RN/74
14.57
Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Danke schön, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Besucherinnen und Besucher, willkommen hier bei uns im Hohen Haus! Liebe Teilnehmende des Jugendparlaments vor den Bildschirmen! Ich möchte ein bisschen ungewöhnlich beginnen. Ich hätte mir nicht gedacht, dass ich so bald noch einmal dazu komme, aber ich muss tatsächlich der FPÖ zumindest betreffend den ersten Teil ihrer Anfrageeinleitung, nämlich betreffend das Thema Pädagog:innenmangel, zustimmen. Der Problemaufriss ist schon akkurat: Wir haben Lehrer:innenmangel, und das hat massive Auswirkungen. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Der Herr Wiederkehr hat gesagt, es ist alles in Ordnung!) Es leiden Kinder und Jugendliche, aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen, die tagtäglich tatsächlich teilweise Unmenschliches, Übermenschliches leisten. – Eine Direktorin hat es mir gegenüber erst vor Kurzem ziemlich auf den Punkt gebracht: Es geht eigentlich nur mehr darum, die Bälle in der Luft zu halten.
Gleichzeitig erzählen Pädagoginnen und Pädagogen von schwierigen Situationen in den Unterrichtsstunden und davon, dass sie viel mehr Ressourcen bräuchten, um den Bedürfnissen, um den Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden – und das auch an Schulen, an denen es am Papier genügend Pädagoginnen und Pädagogen gibt. (Vizepräsident Ruprecht übernimmt den Vorsitz.)
Pädagogik steht und die Anforderungen an Pädagogik stehen heute vor ganz anderen Herausforderungen als noch vor 30, 20 Jahren oder auch noch vor ein paar Jahren, das kann ich als Mutter von Kindern in einem relativ breiten Altersspektrum tatsächlich aus eigener Erfahrung bestätigen. Die Herausforderungen, die Kinder und Jugendliche haben, sind heute ganz anders als noch vor vielleicht zehn Jahren. Kinder und Jugendliche haben zum Beispiel tatsächlich immer öfter mit Aufmerksamkeitsschwierigkeiten zu tun, was sich oft in Verhaltensauffälligkeiten deutlich zeigt. Gerade diese immer größer werdende Gruppe an Kindern und Jugendlichen braucht mehr Unterstützung.
Wie schon gesagt: Pädagoginnen und Pädagogen sehen sich oft vor der Herausforderung, dass sie gar nicht die Kapazitäten haben, um diese jungen Menschen wirklich gut zu begleiten – was sie ja möchten, was sie wirklich möchten. Diese Pädagoginnen und Pädagogen verzweifeln auch daran. Es bleiben frustrierte Kinder zurück, oft renitente Jugendliche, ausgebrannte Pädagoginnen und Pädagogen.
Eine Freundin – Pädagogin – hat erst unlängst zu mir gemeint: Weißt du, wenn wir nicht einmal mehr den Grundbedürfnissen von Kindern gerecht werden können, dann lässt mich das verzweifeln. – Wir zerstören da wirklich eine Menge an Zukunft, nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Pädagoginnen und Pädagogen, wenn wir nicht wirklich gegensteuern.
Wir haben in der letzten Regierungsperiode mit der Möglichkeit des Quereinstiegs eine Maßnahme gesetzt, dem Personalmangel entgegenzusteuern. Das war und ist uns ein besonderes Anliegen. Ich sehe das ein bisschen anders, als Kollege Kofler es dargestellt hat: Wir finden, dass das wirklich wertvoll ist, denn das sind Menschen, die aus anderen Berufen stammen und ihre fachliche Erfahrung, aber auch ihre Lebenserfahrung und auch den gewissen Blick von außen in die Schulen hineinbringen. Das kann nur bereichernd sein und den Unterricht aufwerten.
Jetzt passiert anscheinend gerade etwas, nämlich dass diese Möglichkeit des Quereinstiegs wieder zurückgefahren wird: Limitierung auf 500 Plätze. Auch wenn der Fokus auf die Mangelfächer natürlich Sinn macht – diese Limitierung ist für uns absolut nicht nachvollziehbar.
Gleichzeitig möchte ich festhalten, dass alle Ausbildungsoffensiven wirklich nicht viel nutzen, wenn die Bedingungen gleich schlecht bleiben. Wir haben hoch qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen, die tagtäglich wirklich ihr Bestes geben, teilweise – ich habe es schon gesagt – Übermenschliches. Wir haben aber von diesen gut ausgebildeten, hoch qualifizierten Menschen wenig, hat das Schulsystem wenig. Wir profitieren nicht davon, wenn sie frühzeitig ausgebrannt sind und aussteigen und aufgeben.
Für uns ist klar: Was es jetzt braucht, ist echte Entlastung durch ausreichend Unterstützungspersonal, wie die pädagogisch-administrativen Kräfte, die wir geschaffen haben. Auch die Vollzeitschulsozialarbeiter: Da brauchen wir bitte eine pro Schule – eine Vollzeitschulsozialarbeiterin oder einen -arbeiter pro Schule, darunter geht es nicht. Ich kenne Berichte von Schülerinnen und Schülern, die sagen: Ich hätte mich dort gern gemeldet, aber in drei Wochen brauche ich keinen Termin, denn die sind halt nur einmal oder höchstens zweimal in der Woche da.
Wir brauchen auch eine Verdoppelung der schulpsychologischen Unterstützung. Und was es auch braucht, ist echte Begleitung. Das ist das, was Pädagoginnen und Pädagogen, wenn ich mit ihnen spreche, wirklich oft genug anführen. Dadurch, dass die Situationen im Unterricht teilweise so schwer sind, brauchen sie wirklich diese Begleitung von Junglehrerinnen und Junglehrern. Es ist okay, wenn Studierende im Unterricht stehen, aber sie müssen wirklich gut und ausreichend begleitet werden, ebenso die Quereinsteiger:innen. Wir verlieren sonst tatsächlich wertvolle Pädagog:innen, wertvolle Ressourcen, wenn wir sie gleich zu Beginn ausbrennen, sodass sie nach – ich weiß nicht – wenigen Wochen quasi fluchtartig den Lehrberuf wieder verlassen.
Jetzt komme ich wieder in ein bisschen vertrautere Gefilde, zum letzten Punkt eurer Anfrage. Ihr schreibt da wieder über Genderideologie, ihr kritisiert, dass Schulkinder mit Themen wie Geschlechtsidentität und LGBTIQ plus in Berührung kommen, und verortet da eine Überforderung beziehungsweise möglicherweise sogar Frühsexualisierung, aber ich beginne vielleicht mit einer Begriffsklärung: Geschlechtsidentität hat nichts – wirklich gar nichts – mit Sexualisierung zu tun. (Bundesrätin Steiner-Wieser [FPÖ/Sbg.]: Ah geh!) Es geht um Selbstverständnis, nicht um Sexualverhalten. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Ach so!) Es geht um das Selbstverständnis. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: So wie bei der Pride-Parade, da geht es auch ums Selbstverständnis, nicht um Sexualisierung!) Wer das vermischt, der schafft tatsächlich bewusst nur Ängste und Verwirrung.
Selbst da könnte man, glaube ich, beruhigt sein. Ich zitiere einen Freund von mir, der gemeint hat: Wenn ich höre, dass Menschen bezüglich der zukünftigen Orientierung ihrer Kinder Bedenken haben, weil sie in der Schule von Schwulen lesen, dann kann ich das wirklich nur belächeln, denn ich habe in meiner ganzen Schulzeit nur von heterosexuellen Menschen gelesen und gehört, und ich bin trotzdem stockschwul geworden. – Das hat er so gesagt. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser [FPÖ/Sbg.].)
Man könnte auch umgekehrt versuchen, es zu verstehen. Auch der Einfluss der Pride-Parade und so weiter: Ich weiß nicht, glaubt ihr, dass alle Menschen, die heutzutage als Jugendliche und junge Menschen damit in Berührung kommen, in der Zukunft nur mit Einhorn und Regenbogen herumflattern? – Nein. Das ist vielleicht in eurer Vorstellung so.
Weil wir uns gerade in den 16 Tagen gegen Gewalt an Frauen befinden, möchte ich auch noch einen anderen zentralen Punkt betonen: Sexualpädagogik in der Schule – auch in der Volksschule, altersgerecht – ist kein Risiko, sondern Schutz. (Beifall bei den Grünen.) Kinder lernen dort nicht, was sie zu sein haben, sondern wo ihre Grenzen sind. Sie lernen, dass ihr Körper ihnen gehört, sie lernen, was in Ordnung ist und was nicht, sie lernen, dass sie Nein sagen dürfen, und sie lernen, wie sie Nein sagen dürfen.
Alle Expert:innen – von Kinderschutzorganisationen über Psycholog:innen bis hin zu Präventionsstellen – sind sich wirklich einig: Frühe, altersgerechte Sexualerziehung ist einer der wirksamsten Schutzfaktoren gegen sexuelle Gewalt. Kinder, die nie gelernt haben, über ihren Körper zu sprechen, haben es schwer, sich Hilfe zu holen. Kinder, denen man beigebracht hat, dass alles rund um Körper und Gefühle peinlich oder verboten ist, tragen das Schweigen weiter, und Schweigen ist das, wovon Täter leben. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].)
Deswegen ist es tatsächlich so gefährlich, wenn Sexualpädagogik, Diversität und Aufklärung in ein Licht der Bedrohung gestellt werden, denn wir schützen Kinder nicht, indem wir Wörter verbieten, sondern wir schützen sie, indem wir ihnen Wissen geben. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und SPÖ, bei Mitgliedern des Bundesrates von der ÖVP sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].)
15.06
Vizepräsident Günther Ruprecht: Vielen Dank, Frau Kollegin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, begrüßen Sie mit mir herzlich hier im Hohen Haus die Bilaterale Parlamentarische Gruppe Slowenien-Österreich mit Präsidentin Mojca Pašek und unserem ehemaligen Kollegen, Vizepräsidenten außer Dienst des Bundesrates und Nationalratsabgeordneten Ernst Gödl. – Dober dan! (Allgemeiner Beifall.)
Wir gehen in der Debatte weiter.
Zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Mag.a Dr. in Julia Deutsch. Ich erteile es ihr.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.