17.49
Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Danke schön, Herr Vorsitzender! Werte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zusehende zu Hause vor den Bildschirmen! Ich bin froh, dass ich bei diesem Tagesordnungspunkt Kollegen Forstner nicht widersprechen muss, nicht dagegenreden muss. – Danke schön für die nette Erwähnung, die Karten kommen wirklich von Herzen.
Jetzt zu dem heutigen Gesetz. Ich spreche zum Zuverdienstverbot für Personen, die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen. Es hat ja nicht lange gedauert, bis da die erste Reparatur vorgenommen werden muss, und ja, es ist gut und richtig, dass wir heute eine wichtige Ausnahme beschließen. Eines muss ich aber schon sagen: Das ist zu wenig.
Mit 1. Jänner tritt ein weitreichendes Zuverdienstverbot für Menschen in Kraft, die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen. Beschlossen wurde das im Budgetbegleitgesetz, unserer Meinung nach überstürzt und tatsächlich ein bisschen, ohne die sozialen und arbeitsmarktpolitischen Folgen ganz zu Ende zu denken.
Heute korrigieren wir einen Fehler, der Menschen in AMS-Ausbildungen massiv geschadet hätte. Viele haben ihre Ausbildung – wir haben es schon gehört –, etwa im Pflegebereich, unter der klaren Voraussetzung begonnen, nebenbei geringfügig arbeiten zu dürfen; nicht aus Bequemlichkeit und weil es halt einfach lustig ist, den ganzen Tag irgendwo in Ausbildungen zu sitzen und dann nebenbei auch noch zu arbeiten, sondern einfach, weil Miete, Energie und Lebenshaltungskosten nicht warten, bis man die Ausbildung abgeschlossen hat. Ohne diese Zuverdienstmöglichkeit hätten viele ihre Ausbildung tatsächlich abbrechen müssen. Das wäre nicht nur menschlich schwierig gewesen, sondern auch wirtschaftlich völlig unsinnig, denn die Ausbildungen kosten das AMS einiges – ohne ein Bildungsziel erreicht zu haben, ist das rausgeschmissenes Geld.
Wir sagen deswegen relativ deutlich: Wenn ein System Menschen zwingt, zwischen Ausbildung und Existenzsicherung zu wählen, dann ist nicht der Mensch das Problem, sondern das System. Das reparieren wir jetzt einmal. Die Aufhebung des Zuverdienstverbotes bei AMS-Ausbildungen ist also richtig, aber sie zeigt halt auch, wie unausgereift diese Gesetzesänderung insgesamt war.
Weitere Härtefälle warten leider schon vor der Tür. Besonders betroffen sind Kulturschaffende, Wissenschafter:innen und Lehrende. Das sind Berufsgruppen, deren Erwerbsverläufe oft naturgemäß projektbasiert sind. Diese Erwerbstätigkeiten sind oft unterbrochen und oft stundenweise organisiert, und für sie bedeutet ein striktes Zuverdienstverbot nichts anderes als den Verlust ihrer Perspektive. Viele haben uns tatsächlich geschrieben, viele Interessenvertretungen protestieren auch völlig zu Recht. Betroffen sind aber auch Menschen in Entschuldungsverfahren, für die der Zuverdienst oft das einzige Einkommen ist, um überhaupt Forderungen begleichen zu können. Besonders betroffen sind auch Alleinerziehende, eine Gruppe, die ohnedies schon ein erhöhtes Armutsrisiko trägt.
Lassen Sie mich kurz festhalten: Zusätzliche vollversicherte Jobs entstehen nicht dadurch, dass man Menschen verbietet, dazuzuverdienen. Was jetzt stattdessen passiert, ist leider absehbar: Mehr Menschen werden in die Sozialhilfe gedrängt, mit all den massiven Konsequenzen, die die aktuellen Verschärfungen in den Bundesländern ohnehin schon mit sich bringen.
Aus einem Anteil von Zuverdienenden von gerade einmal 9,5 Prozent der Menschen, die diese Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen, ein arbeitsmarktpolitisches Problem zu machen, ist ein bisschen absurd. Das reale Problem entsteht nicht im System, sondern bei den Betroffenen, wenn ihnen die Chance genommen wird, beruflich wieder Fuß zu fassen – wofür diese Zuverdienstmöglichkeit oft tatsächlich die einzige Möglichkeit ist.
Wir brauchen wie schon gesagt weitere zusätzliche Ausnahmen vom Zuverdienstverbot, für alle Personen in AMS-Maßnahmen, für Kulturschaffende, für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, für Lehrende, für Alleinerziehende und für Menschen in Vorbereitung oder Durchführung eines Insolvenzverfahrens. Und das AMS soll in besonderen Fällen weitere Ausnahmen gewähren können: die Möglichkeit, das Zuverdienstverbot befristet auszusetzen, wenn die soziale Absicherung gefährdet ist oder wenn wirtschaftliche Entwicklungen, etwa hohe Inflation, steigende Arbeitslosigkeit oder eine Rezession, eine solche Maßnahme notwendig machen. Diese Flexibilität ist nicht nice to have, sondern sie ist ein Ausdruck eines funktionierenden Sozialstaates, der sich an die Realität anpasst – und nicht umgekehrt.
Das aktuelle Zuverdienstverbot ist überschießend, weil es eben nicht zur aktuellen Arbeitsmarktsituation passt und weil es das Armutsrisiko verschärft, statt Menschen zu unterstützen, wieder in stabile Beschäftigung zu kommen. Ein Zuverdienstverbot kann nur dort wirken, wo hohe Arbeitskräftenachfrage herrscht, und auch nur in der Anfangsphase der Arbeitslosigkeit, aber nicht in einer angespannten Situation, wie wir sie jetzt haben, und schon gar nicht für jene, deren Erwerbsrealitäten aus guten Gründen ganz anders ausschauen.
Wir bringen daher einen Antrag ein:
Entschließungsantrag
der Mitglieder des Bundesrates Simone Jagl, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rücknahme des Zuverdienstverbots beim Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe“
Der Bundesrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird ersucht, dem Nationalrat und dem Bundesrat einen Gesetzesentwurf zuzuleiten, der eine zumindest teilweise Rücknahme des Zuverdienstverbots beim Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe vorsieht, um durch eine praxistaugliche Lösung unnötige soziale Härten, die mangelhafte wirtschaftliche Absicherung und die Verunmöglichung der Berufsausbildung bei spezifischen Personengruppen zu vermeiden.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nutzen Sie diese letzte Sitzung vor Weihnachten, um unnötige soziale Härten zu vermeiden, unterstützen Sie unseren Antrag für einen Arbeitsmarkt, der Chancen eröffnet, statt Perspektiven zu nehmen!
Zum Schluss möchte ich auch noch die Gelegenheit nutzen und in der letzten Sitzung vor Weihnachten ein paar Worte sagen: Auch wenn wir wirklich oft ganz unterschiedlicher Meinung sind, auch wenn wir wirklich manchmal einfach nicht der gleichen Meinung sind, ist es, glaube ich, wichtig, dass wir uns darauf besinnen, dass wir alle ein gemeinsames Ziel haben, nämlich wirklich das Beste für Österreich zu erreichen. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)
Das ist unser aller Ansinnen. Der Weg dorthin ist vielleicht ein anderer, aber das kann ich anerkennen. Das traue ich uns allen zu, dass das unser innerstes Anliegen ist. Aus diesem Grund: Ich wünsche Ihnen allen, euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parlamentsdirektion, aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von uns hier im Bundesrat, ein wirklich wunderbares, frohes Weihnachtsfest, nach dem Motto, das wir auf unsere Karte geschrieben haben: mit viel Zeit zum Leben, zum Lachen und zum Lieben, und tatsächlich wirklich alles Gute von Herzen fürs neue Jahr. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Mitgliedern des Bundesrates von SPÖ und FPÖ.)
17.58
Der Gesamtwortlaut des Antrages ist unter folgendem Link abrufbar:
Vizepräsident Michael Wanner: Der von den Bundesräten Simone Jagl, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Rücknahme des Zuverdienstverbots beim Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Claudia Arpa.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.