10790 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates
Bericht
des Ausschusses für Innovation, Technologie und Zukunft
über den Beschluss des Nationalrates vom 19. November 2021 betreffend ein Protokoll zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht betreffend die vorläufige Anwendung
Die Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts ist neben der Einführung eines einheitlichen Patentschutzes ein zentrales Element einer weitreichenden Reform des europäischen Patentsystems. Hintergrund ist, dass sich der derzeit fragmentierte Patentmarkt und die beträchtlichen Unterschiede zwischen den nationalen Gerichtssystemen nachteilig auf die Innovation auswirken. Insbesondere für Klein- und Mittelbetriebe (KMU) ist es schwierig, ihre Patente durchzusetzen und sich gegen unberechtigte Klagen und Klagen im Zusammenhang mit Patenten, die für nichtig erklärt werden sollten, zu wehren.
Mit der Errichtung des Einheitspatents („Patent mit einheitlicher Wirkung“) und zugehörig dem Einheitlichen Patentgerichtshof wird einem langjährigen Wunsch der europäischen Wirtschaft Rechnung getragen: Einerseits wird der Zugang zum europäischen Patentsystem einfacher, kostengünstiger und rechtssicherer. Andererseits wird sichergestellt, dass die Patentinhaber und Patentinhaberinnen ihre Patente vor einem einzigen Gericht - dem Einheitlichen Patentgericht - durchsetzen und verteidigen können.
Die Schaffung einer zentrierten Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit soll einen hohen Grad an Rechtssicherheit (Vermeidung divergierender Entscheidungen in verschiedenen Staaten) mit sich bringen. Sie soll qualitativ hochwertige Entscheidungen in einem angemessenen Zeitrahmen ermöglichen und Kosteneffizienz substanziell verbessern.
Die Grundlage für das EU-Einheitspatent bilden drei Rechtsakte, die aufeinander abgestimmt in Kraft treten bzw. Anwendung finden sollen:
- EU-Verordnung über das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung und
- EU-Verordnung über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen.
- Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ).
Diese Rechtsakte können nur gemeinsam in Kraft treten.
Das einheitliche Patentgericht wird für Verfahren in Bezug auf bestehende europäische Patente (gemäß dem Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente, BGBl. Nr. 350/1979 idgF) und für das künftige europäische Patent mit einheitlicher Wirkung zuständig sein. Für Streitigkeiten aus nationalen Patenten sollen weiterhin die nationalen Stellen der Mitgliedstaaten zuständig sein.
Die beiden EU-Verordnungen wurden im Dezember 2012 vom Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament angenommen. Das EPGÜ wurde im Februar bzw. März 2013 von 25 Mitgliedstaaten - darunter Österreich - unterzeichnet (vgl. Beschluss der Bundesregierung vom 12. Februar 2013, Pkt. 10 des Beschl.Prot. Nr. 175).
Im Unterschied zu den beiden genannten Verordnungen ist das EGPÜ ein multilateraler Vertrag zwischen EU-Mitgliedstaaten. Nach Hinterlegung der erforderlichen Anzahl von 13 Ratifikationsurkunden – darunter zwingend Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich – wird das EGPÜ in Kraft treten, und das Einheitliche Patentgericht errichtet werden. Inzwischen haben 16 Mitgliedstaaten ratifiziert; die Ratifikation durch Deutschland ist noch ausständig, könnte aber in nächster Zeit erfolgen, was das System in Kraft setzen würde. Das Vereinigte Königreich hat am 20. Juli 2020 den Depositär über seinen Rückzug aus dem Einheitlichen Patengericht aufgrund des mittlerweile erfolgten EU-Austritts informiert. Da das Vereinigte Königreich seine Absicht klar zu erkennen gegeben hat, nicht Vertragspartei des EGPÜ zu werden, ist seine Ratifikation für das Inkrafttreten auch nicht mehr erforderlich.
Das Einheitliche Patentgericht soll seine richterliche Tätigkeit unmittelbar mit Inkrafttreten des EPGÜ aufnehmen. Gleichzeitig treten dadurch die beiden Verordnungen für das Einheitspatent in Kraft. Damit das Einheitliche Patentgericht bereits von Anfang an arbeitsfähig ist, müssen umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden. Dies erfordert eine vorläufige Anwendbarkeit von Teilen des EPGÜ in einer Vorlaufphase vor dem Inkrafttreten. Zu diesem Zweck hat der Vorbereitende Ausschuss des Einheitlichen Patentgerichts das Protokoll über die vorläufige Anwendung (PPA) vorgelegt.
Das EPGÜ enthält institutionelle und organisatorische Bestimmungen (Instanzenzug, Ausschüsse, Organisation, Schulung, Auswahl und Ernennung der Richter) sowie Verfahrensvorschriften. Es tritt am ersten Tag des vierten Monats nach Erfüllung der Ratifikationserfordernisse in Kraft: Das Gericht soll ab dem Tag des Inkrafttretens voll arbeits- und funktionsfähig sein. Da diese Frist sehr kurz bemessen ist, haben die Mitgliedstaaten ein Protokoll zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht betreffend die vorläufige Anwendung (kurz: Protokoll) erarbeitet, das seit 1. Oktober 2015 in Brüssel zur Unterzeichnung bereitliegt.
Das dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates zugrundeliegende Protokoll soll nun mit dem gegenständlichen Rechtsakt für Österreich anwendbar werden. Die vorläufige Umsetzung während einer „Vorlaufphase“ ermöglicht es, umfangreiche Vorbereitungen zu treffen, damit das Einheitliche Patentgericht bereits am ersten Tag des Inkrafttretens seine Arbeit aufnehmen kann. Insbesondere folgende Vorbereitungsarbeiten sollen in der „Vorlaufphase“ stattfinden:
- notwendige Organe inaugurieren, z.B. um die Richter zu ernennen,
- Auswahlverfahren für die Richter vorbereiten und fallweise eine ergänzende Ausbildung der Richter ermöglichen,
- IT-Infrastruktur einrichten.
Durch die Ratifikation des Protokolls ist die österreichische Mitwirkung in den „provisorisch“ eingerichteten Ausschüssen garantiert.
Für das Inkrafttreten des Protokolls sind ebenfalls 13 Ratifikationen erforderlich, darunter obligatorisch DE, FR und UK. Derzeit wurde das Protokoll von 11 Staaten ratifiziert: BE, BG, DK, EE, FI, FR, IT, LU, NL, SE, UK. Es tritt am Tag nach der Erfüllung des Quorums in Kraft.
Als gemeinsames Gericht der Vertragsmitgliedstaaten wird das Patentgericht Teil des Gerichtssystems der Mitgliedstaaten sein und kann damit unter anderem den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen (Art. 267 AEUV). Als internationales Gericht der am Übereinkommen teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten wird es mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet.
Das EPGÜ wurde am 19. Februar 2013 von Österreich unterzeichnet, die Ratifikationsurkunde am 6. August 2013 hinterlegt. Dies unterstreicht das Interesse, für unsere exportorientierte Wirtschaft das Einheitspatent möglichst zügig bereit zu stellen und alle Hindernisse für das Inkrafttreten soweit möglich beiseite zu räumen.
Der Ausschuss für Innovation, Technologie und Zukunft hat den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates in seiner Sitzung am 30. November 2021 in Verhandlung genommen.
Berichterstatter im Ausschuss war Bundesrat Marco Schreuder.
An der Debatte beteiligten sich die Mitglieder des Bundesrates Michael Bernard, Marco Schreuder, Otto Auer und Stefan Schennach.
Bei der Abstimmung wurde mit Stimmeneinhelligkeit beschlossen, gegen den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Zum Berichterstatter für das Plenum wurde Bundesrat Marco Schreuder gewählt.
Der Ausschuss für Innovation, Technologie und Zukunft stellt nach Beratung der Vorlage mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Wien, 2021 11 30
Marco Schreuder Stefan Schennach
Berichterstatter Vorsitzender