10925 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates
Bericht
des Justizausschusses
über den Beschluss des Nationalrates vom 23. März 2022 betreffend eine Vereinbarung zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Europäischen Auslieferungsübereinkommens auf Gibraltar
Die durch die Note des Vereinigten Königreichs und die österreichische Antwortnote abgeschlossene Vereinbarung zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ist gesetzändernd bzw. gesetzesergänzend und bedarf daher der Genehmigung durch den Nationalrat gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Sie hat nicht politischen Charakter. Es ist nicht erforderlich, eine allfällige unmittelbare Anwendung der Vereinbarung im innerstaatlichen Rechtsbereich durch einen Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG, dass die Vereinbarung durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch die Vereinbarung keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf sie keiner Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.
Das Europäische Auslieferungsübereinkommen, BGBl. Nr. 320/1969 (im Folgenden: „Übereinkommen“) ist für Österreich am 19. August 1969 in Kraft getreten.
Das Übereinkommen findet gemäß Art. 27 Abs. 1 „auf das Mutterland der Vertragsparteien“ Anwendung. Das Übereinkommen erlaubt die Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf andere als die in seinem Art. 27 Abs. 1, 2 und 3 erwähnten Gebiete, für deren internationale Beziehungen eine der Vertragsparteien verantwortlich ist. Es verlangt dafür jedoch gemäß Art. 27 Abs. 4 eine unmittelbare Vereinbarung zwischen dieser und mindestens einer anderen Vertragspartei.
Das Zweite Zusatzprotokoll zum Übereinkommen vom 17. März 1978, BGBl. Nr. 297/1983, ist für Österreich am 1. August 2015 in Kraft getreten. Es ermöglicht in Art. 8 Abs. 2 die Erstreckung des Anwendungsbereichs durch eine bloße Erklärung an die Generalsekretärin bzw. den Generalsekretär des Europarates auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet, dessen internationale Beziehungen der erklärende Vertragsstaat wahrnimmt oder für das er Vereinbarungen treffen kann. Auch das Dritte Zusatzprotokoll vom 10. November 2010, BGBl. III Nr. 70/2015, in Kraft für Österreich seit 1. August 2015, ermöglicht in Art.16 Abs. 2 die Erstreckung des Anwendungsbereichs durch eine an die Generalsekretärin bzw. den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet. Das Vierte Zusatzprotokoll vom 20. September 2012, BGBl. III Nr. 42/2016, in Kraft für Österreich seit 1. Juni 2016, hat eine gleichlautende Bestimmung in Art. 12 Abs. 2. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Zusatzprotokolle ist demnach durch bloße Erklärung möglich; es ist hier keine Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien erforderlich. Da die Zusatzprotokolle mit dem Übereinkommen untrennbar verbunden sind, kann die völkervertragsrechtliche Ausdehnung ihres Anwendungsbereichs ohne gleichzeitige Ausdehnung auch des territorialen Anwendungsbereichs des Übereinkommens keine Wirkung entfalten.
Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat in einer Note an den Generalsekretär des Europarates vom 29. Juli 2019 in Bezug auf das Übereinkommen und sein Zweites, Drittes und Viertes Zusatzprotokoll mitgeteilt, den Anwendungsbereich auf Gibraltar auszudehnen, und den Generalsekretär ersucht, die Vertragsstaaten des Übereinkommens von diesem Vorhaben zu informieren. Sollte ein Vertragsstaat innerhalb von 90 Tagen dagegen keinen Einspruch erheben, bestünde eine Vereinbarung zwischen dem Vereinigten Königreich und diesem Vertragsstaat im Sinne von Art. 27 Abs. 4 des Übereinkommens über die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens auf Gibraltar.
Der Generalsekretär des Europarats entsprach diesem Ersuchen mit einer Note vom 1. August 2019 und präzisierte dabei, dass, wenn Vertragsstaaten bis zum 27. Oktober 2019 keinen Einspruch erheben, zwischen dem Vereinigten Königreich und diesen Vertragsstaaten Vereinbarungen im Sinne von Art. 27 Abs. 4 des Übereinkommens über die Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Gibraltar bestünden.
Die Ausdehnung der Anwendung des Übereinkommens auf andere als die in Art. 27 Abs. 1, 2 und 3 erwähnten Gebiete – Gibraltar ist ein solches anderes Gebiet– ist eine Vertragsänderung, die in Österreich gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG der Genehmigung des Nationalrats bedarf.
Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs desselben Übereinkommens auf die Niederländischen Antillen und Aruba erfolgte ebenfalls mit Genehmigung des Nationalrats (vgl. BGBl. Nr. 847/1995).
Da die Durchführung eines parlamentarischen Genehmigungsverfahrens bis zum 27. Oktober 2019 nicht möglich war, hat Österreich zunächst einen rechtswahrenden Einspruch erhoben.
Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates in seiner Sitzung am 5. April 2022 in Verhandlung genommen.
Berichterstatterin im Ausschuss war Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner.
An der Debatte beteiligten sich die Mitglieder des Bundesrates Stefan Schennach und Dr. Peter Raggl.
Bei der Abstimmung wurde mit Stimmeneinhelligkeit beschlossen, gegen den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .
Zur Berichterstatterin für das Plenum wurde Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner gewählt.
Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Wien, 2022 04 05
Mag. Dr. Doris Berger-Grabner Claudia Hauschildt-Buschberger
Berichterstatterin Vorsitzende