11050 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates
Bericht
des Ausschusses für Familie und Jugend
über den Beschluss des Nationalrates vom 8. Juli 2022 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Einkommensteuergesetz 1988 geändert werden
Die Abgeordneten Norbert Sieber, Barbara Neßler, Kolleginnen und Kollegen haben den dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates zu Grunde liegenden Initiativantrag am 23. Juni 2022 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Zu Artikel 1 (Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967):
Es erfolgt eine formale Aufhebung der Bestimmungen vergangener Familienleistungen (Kleinkindbeihilfe und Mutter-Kind-Paß-Bonus).
Zu Artikel 2 (Änderung des Einkommensteuergesetzes 1988):
Zu Z 1 und 2 (§ 2 Abs. 4 Z 2 und § 15 Abs. 3 Z 2 lit. a):
Es sollen Redaktionsversehen bereinigt werden.“
Im Zuge der Debatte im Nationalrat haben die Abgeordneten Norbert Sieber, Barbara Neßler, Kolleginnen und Kollegen einen Abänderungsantrag eingebracht, der beschlossen und wie folgt begründet wurde:
„Zu Artikel 1 (Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967):
Zu Z 1 und 6 (§ 3 Abs. 6 und 7 sowie § 55 Abs. 57):
Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurde eine Massenfluchtbewegung in die Europäische Union und v.a. auch in das Bundesgebiet Österreichs ausgelöst. Die Europäische Union hat aufgrund der Singularität eines Krieges auf europäischem Boden in jüngster Vergangenheit erstmals die sog. „Massenzustrom-RL" aktiviert (RL 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABI L 2001/212, 12.). Österreich zeigt sich in seiner humanitären Tradition solidarisch und leistet umfangreiche Nachbarschaftshilfe. Auch viele andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind sich der Einmaligkeit dieses Krieges und der historischen Verantwortung bewusst und setzen die „Massenzustrom-RL" in nationales Recht um.
Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, wobei es sich bei diesen großteils um Frauen und Kinder handelt, gelten als „Vertriebene" im Sinne des § 62 AsylG 2005 (BGB! 1 2005/100 idF BGB! 1 2021 /234) und des § 1 Vertriebenen-VO (Verordnung der Bundesregierung über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene (Vertriebenen-VO) BGB! II 2022/92). Gemäß§ 62 Abs 1 und 2 AsylG 2005 in Verbindung mit § 4 Abs 1 Vertriebenen-VO haben Vertriebene ein ex lege wirksames, vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bis 3. März 2023, das heißt sie erwerben sofort und kollektiv vorübergehender Schutz, ohne dass eine individuelle Prüfung vorgenommen werden muss. Sie erwerben somit ein provisorisches Aufenthaltsrecht für einen kurzen Zeitraum, derzeit bis zum 3. März 2023 (§ 4 Abs 1 Vertriebenen-VO). Sie sind „Grundversorgungs-Zielgruppe" (Art 2 Abs 1Z3 Grundversorgungsvereinbarung) und haben sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Ihr begrenzter Aufenthalt in Österreich dient lediglich der Überbrückung der akuten Gefährdungssituation und ist auf eine möglichst baldige Rückkehr in die Heimat Ukraine ausgerichtet. Vertriebene stellen daher eine besondere Gruppe von Fremden dar, deren außergewöhnliche Hilfsbedürftigkeit speziell (kurzfristige) finanzielle Unterstützung erfordert. Diese Kurzfristigkeit umfasst dabei nicht nur die Dauer des Aufenthalts in Österreich, sondern auch die Notwendigkeit, sich in kürzester Zeit in Österreich zurechtfinden zu müssen. Diese fehlende Möglichkeit sich auf den Aufenthalt in Österreich systematisch und praktisch vorbereiten zu können, ist eine Folge des für viele überraschenden Angriffs Russlands. Verschärft wird diese Notlage durch den Umstand, dass es sich aktuell vorwiegend um Frauen und Kinder handelt, die in Österreich Schutz finden. Gerade die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern und das Ziel, diesen möglichst schnell ein stabiles und sicheres Umfeld zu bieten, macht die Situation von ukrainischen Vertriebenen besonders herausfordernd.
Personen, die aufgrund der kriegerischen Handlungen in der Ukraine vertrieben worden sind und in Österreich vorübergehend Schutz finden, sollen für ihre Kinder österreichische Familienleistungen erhalten, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen.
Die FLAG-Sonderbestimmung wird mit der Gültigkeit des vorübergehenden Aufenthaltrechtes nach der Vertriebenen-VO (ein Jahr bis 3. März 2023 und im Falle einer Verlängerung um ein weiteres Jahr bis längstens 3. März 2024) beschränkt.
Vertriebene begründen keinen Lebensmittelpunkt in Österreich, weshalb für die Dauer des Aufenthaltes in Österreich eine Fiktion des Lebensmittelpunktes für die Erfüllung dieser Familienbeihilfe-Anspruchsvoraussetzung geschaffen werden muss.“
Der Ausschuss für Familie und Jugend hat den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates in seiner Sitzung am 12. Juli 2022 in Verhandlung genommen.
Berichterstatterin im Ausschuss war Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner.
An der Debatte beteiligten sich die Mitglieder des Bundesrates Heike Eder, BSc MBA, Marlies Steiner-Wieser, Andrea Kahofer und Mag. Sandra Gerdenitsch.
Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, gegen den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben (dafür: V, G, S, dagegen: F).
Zur Berichterstatterin für das Plenum wurde Bundesrätin Mag. Dr. Doris Berger-Grabner gewählt.
Der Ausschuss für Familie und Jugend stellt nach Beratung der Vorlage mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Wien, 2022 07 12
Mag. Dr. Doris Berger-Grabner Heike Eder, BSc MBA
Berichterstatterin Vorsitzende