7354 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates

 

Bericht

des Justizausschusses

über den Beschluss des Nationalrates vom 7. Juli 2005 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationalsozialistischer Unrechts­akte erlassen, das Opferfürsorgegesetz geändert und ein Bundesgesetz, mit dem aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine einmalige Zuwendung (Befreiungs-Erinnerungszuwendung) für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung sowie deren Hinterbliebene geschaffen wird (Anerkennungsgesetz 2005)

Der vorliegende Beschluss des Nationalrates trägt dem Umstand Rechnung, dass nach dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 Verurteilungen von Österreichern wegen Hoch- und Landesverrates oder nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung als nicht erfolgt gelten, wenn die Handlung gegen die nationalsozialistische Herrschaft oder auf die Wiederherstellung eines unabhängigen Staates Österreich gerichtet war. Aufgehoben wurden damals auch ex lege alle Verurteilungen, die nach taxativ angeführten Gesetzen ergangen sind, die Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts waren. Die dazu erlassene Verordnung vom 5. September 1945 erweiterte die Anwendbarkeit des Aufhebungs- und Einstellungsgesetzes auf Verurteilungen wegen zahlreicher weiterer deutscher Rechtsvorschriften. Welches Gericht ein solches Urteil gefällt hat, ist dabei ohne entscheidende Bedeutung, sondern hat nur für die Frage der Zuständigkeit für das weitere Verfahren Relevanz.

Eine Überprüfung der geltenden Rechtslage durch das Bundesministerium für Justiz erbrachte, dass in vielen Fällen ergänzend bzw. vielfach sogar ausschließlich das als eines der ersten Gesetze des 1945 neu gewählten Nationalrates beschlossene, in seinen rechtlichen Auswirkungen jedoch bislang weitgehend unbeachtet gebliebene Bundesgesetz vom 6. März 1946 über die Einstellung von Strafverfahren, die Nachsicht von Strafen und die Tilgung von Verurteilungen aus Anlass der Befreiung Österreichs (Befreiungsamnestie) zu berücksichtigen ist. Nach den darin eingebetteten Spezialbestimmungen über die Militärdelikte (§§ 7 bis 9) gelten ohne jede Einschränkung und unabhängig davon, um welches Delikt es sich handelt, alle Urteile der deutschen Militär- und SS-Gerichte (einschließlich der Polizeigerichte) bereits ex lege als nicht erfolgt. Für die Rechtswirksamkeit dieser umfassenden, rückwirkenden Außerkraftsetzung solcher nationalsozialistischer Unrechtsurteile bedarf es weder einer inhaltlichen Prüfung des Falles noch einer beschlussmäßigen Feststellung durch ein Gericht.

Anlass zu Missinterpretationen bot jedoch der Umstand, dass diese pauschale Beseitigung von Unrechtsurteilen im Rahmen eines Amnestiegesetzes erfolgte, das in der Hauptsache ganz anders gelagerte Fälle regelte. Bei § 7 der Befreiungsamnestie handelt es sich jedoch gerade nicht um eine Amnestiebestimmung. Dies geht schon aus den Erläuterungen zu diesem Gesetz eindeutig hervor. Danach ging es dem Gesetzgeber nicht um einen - von den Betroffenen zu Recht als unzumutbar abgelehnten - „kollektiven Gnadenerweis“ für die Verurteilten, sondern um ein klares Zeichen der Abgrenzung von einer Unrechtsjustiz, an deren Rechtsakte sich das wiedererstandene Österreich gerade in den Fällen der Militärdelikte nicht mehr gebunden sah. Somit wurden bereits damals die von solchen Unrechtsurteilen Betroffenen zumindest in juristischer Hinsicht rehabilitiert - ohne dies allerdings mit der heute wünschenswerten Deutlichkeit auszusprechen.

Im Unterschied zu den genannten Spezialbestimmungen in der Befreiungsamnestie sieht das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz in Teilbereichen eine Einzelfallprüfung vor, ob die urteilsgegenständliche Handlung „gegen die nationalsozialistische Herrschaft oder auf die Wiederherstellung eines unabhängigen Staates Österreich gerichtet“ war. Da es nach sechs Jahrzehnten jedoch kaum mehr möglich ist, die unmittelbaren Beweggründe für die damals verurteilten Taten zu objektivieren, wurden die Justizbehörden mit dem Informationserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 30. Dezember 2003 betreffend die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militär- bzw. SS-Gerichtsbarkeit von der jetzt herrschenden, von einigen Gerichten bereits praktizierten und vom Bundesministerium für Justiz geteilten Rechtsansicht in Kenntnis gesetzt, dass eine solche Prüfung entbehrlich erscheint und es nunmehr genügt, dass sich die der Verurteilung zugrundeliegende Handlung schon in objektiver Hinsicht gegen die nationalsozialistische Herrschaft gerichtet hat.

Damit können das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 und die entsprechenden Sonderbestimmungen in der Befreiungsamnestie 1946 als umfassende gesetzliche Grundlage zur pauschalen Beseitigung aller nationalsozialistischen Unrechtsurteile angesehen werden.

Mit dem vorliegenden Beschluss soll insbesondere auch für die nachgeborenen Generationen jede Rechtsunsicherheit beseitigt, die Bemühungen des historischen Gesetzgebers um eine juristische Aufarbeitung dieser nationalsozialistischen Unrechtsakte und um eine entsprechende Rehabilitierung der Verurteilten wieder ins Bewusstsein gerückt und gewürdigt werden. Weiters soll damit auch einem im Gedenkjahr 2005 besonders aktuellen Bedürfnis entsprochen und jenes politische und moralische Zeichen der vollständigen Rehabilitierung gesetzt werden, das von den Opfern der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz bislang vermisst wurde.

Als besondere Geste der politischen und moralischen Rehabilitierung wird daher allen Opfern der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz und der politischen Verfolgung (im Sinne des Opferfürsorgesetzes) sowie den Personen, die dem Ungeist des Nationalsozialismus widerstanden haben und ihm im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die verschiedenste Art und Weise entgegengetreten sind, ebenso Respekt bekundet wie jenen, die vom Nationalsozialismus und den Untaten des NS-Regimes aus ihrer Heimat in die Emigration gezwungen wurden. Mit ihrer Vertreibung ist nicht nur für sie selbst, sondern auch für Österreich ein nicht wieder gut zu machender Verlust verbunden. Achtung und Mitgefühl gilt diesen unmittelbaren Opfern, die das verbrecherische Wüten der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vielfach nicht überlebt haben, und ihren Familien, die noch immer darunter leiden.

Bei dieser Gelegenheit ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass seit dem Inkrafttreten der angeführten Aufhebungsbestimmungen rund 60 Jahre vergangen und daher aus den bereits dargestellten Gründen die im Aufhebungs- und Einstellungsgesetz teilweise vorgesehenen Einzelfallprüfungen als obsolet anzusehen sind, zumal dies sonst für die Betroffenen mit einer nicht mehr zumutbaren Beweislast verbunden wäre.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 19. Juli 2005 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Wien, 2005 07 19

Dr. Peter Böhm    Johann Giefing

       Berichterstatter           Vorsitzender