1226/J-BR

der Bundesräte Dr. BÖSCH
und Kollegen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend den Entwurf des ,, Übereinkommens auf Grund von Artikel K3 des Vertrages über
die Europäische Union über die Verbesserung der Auslieferung zwischen den Mitgliedsstaaten
der Europäische Union mit Stand der Beratungen des Ausschusses der Ständigen Vertreter
vom 30. Mai 1996.
Gemäß Art.2a des Entwurfes ist die Auslieferung dann zu bewilligen, wenn die dem
Ersuchen zugrunde gelegten Handlungen zwar nach dem Recht des ersuchten Staates keine
strafbare Handlung darstellen, aber eine Verabredung zu einer Straftat oder die Beteiligung an
einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel terroristischer Handlungen oder anderer
auslieferungsfähiger strafbarer Handlungen erfolgt ist.
Gemäß Art. 3 des Entwurfes soll die Einrede des politischen Charakters von Straftaten
gegen ein Auslieferungsbegehren nicht statthaft sein.
Gemäß Art. 5 ist die Auslieferung eigener(!) Staatsbürger vorgesehen!
Gemäß Art. 6 muß die Auslieferung gewährt werden, auch wenn die Strafverfolgung
oder Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Mitgliedsstaates bereits
verjährt ist.
Die unterzeichneten Bundesräte stellen in diesem Zusammenhang fest, daß eine Reihe
europäischer Staaten in der Vergangenheit Strafverfahren durchgeführt haben, die nicht im
Einklang mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK)
standen, und die deshalb zu Verurteilungen dieser Staaten durch die Kommission bzw. den
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führten.
Die unterzeichneten Bundesräte haben aufmerksam zur Kenntnis genommen, daß
Griechenland in der Anlage II des Entwurfes bei politischen Straftaten einen gewichtigen
Vorbehalt macht, der es seinem Ermessen anheimstellt, einen Ausländer(Q wegen einer
politischen Straftat auszuliefern. - Daß die Republik Österreich bisher einen derartigen
Vorbehalt angemeldet hätte, ist nicht bekannt.
Die Republik Österreich hat bisher grundsätzlich eigene Staatsbürger nicht ausgeliefert
und hat bei Vorliegen politischer oder politisch motivierter sog. "relativ politischer" Straftaten
auch Südtiroler immer so behandelt wie eigene Staatsbürger, was auch im Einklang mit der
stets geübten Schutzmachtrolle stand. Südtiroler wurden bisher wegen politischer Vergehen -
absoluter wie relativer - grundsätzlich nicht an Italien ausgeliefert!
Die unterzeichneten Bundesräte stellen in diesem Zusammenhang fest, daß das
italienische Strafgesetzbuch, der "codice penale´", der unter dem faschistischen Justizminister
ROC CO ausgearbeitet und 1930 eingeführt wurde und der - mit Ausnahme ganz weniger
Bestimmungen - immer noch unverändert in Kraft ist, über eine Reihe ausufernder politischer
Strafbestimmungen verfügt, die teils kein klares Tatbild aufweisen und daher willkürlich
auslegbar sind, teils noch unverfälscht den faschistischen Geist atmen und mit den heutigen
Standards der Menschenrechte nicht im Einklang stehen.
So bedroht zum Beispiel der Art. 246 des "codice penale wegen "Korruption durch
Ausländer" jeden italienischen Staatsbürger mit einem Strafrahmen von drei bis zehn Jahren
Gefängnis, der Geld oder andere Zuwendungen von Ausländern entgegen nimmt, um
Handlungen gegen die nationalen Interessen (was auch immer das sein mag - Anm. der
Unterzeichneten) zu setzen ". Damit steht jede kulturelle und soziale Hilfstätigkeit schon in
Gefahr gerichtlicher Verfolgung!
Art. 269 sieht Gefängnis nicht unter fünf Jahren für " antinationale Aktivitäten im
Ausland" vor.
Art. 271 bedroht die Mitgliedschaft in " antinationalen Organisationen im Ausland" mit
einer Freiheitsstrafe von einem bis zu drei Jahren,
Nach Art. 272 wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, wer
antinationale Propaganda betreibt und schließlich bedroht
Art. 292 jeden wegen "Schmähung der italienischen Nation und der italienischen
Fahne von einem bis zu drei Jahren Gefängnis!
All diese Straftatbestände fallen vom Strafrahmen her gesehen und in Verbindung mit
dem Vorwurf, einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung anzugehören, unter die
auslieferungsfähigen Delikte.
Die unterzeichneten Bundesrate weisen ferner darauf hin, daß Delikte nach diesen
faschistischen Staatsschutz - Paragraphen (die in Italien heute noch in Geltung stehen) in
Österreich naturgemäß keine strafbaren Tatbestände darstellen, künftig jedoch gem. Art.2a
des Entwurfes in Verbindung mit der bloßen Behauptung, einer "kriminellen oder
terroristischen Vereinigung anzugehören oder eine solche auch nur zu unterstützen,
auslieferungsfähige Straftatbestände darstellen werden.
Zudem hat die italienische Justiz in der Vergangenheit den Begriff der kriminellen
Vereinigung im politischen Bereich stets sehr weit ausgelegt und beispielsweise in Österreich
rechtmäßig zugelassene Vereine, wie den ,,Bergisel-Bund" oder in der Bundesrepublik
Deutschland nach bundesdeutschem Stiftungsrecht zugelassene Stiftungen und karitative
Organisationen als "terroristische Organisationen " oder als einen Teil von solchen bezeichnet
und tut dies bis auf den heutigen Tag. Damit in Verbindung stehende Personen wurden in der
Vergangenheit - bei unverändert gleicher italienischer Gesetzeslage wie heute - zu erheb -
lichen Gefängnisstrafen verurteilt, wie etwa der verstorbene Nordtiroler Landesrat Dr. Aloys
OBERHAMMER, der Nordtiroler Landesarchivar Dr. Eduard WIDMOSER, der
Widerstandskämpfer gegen das NS - Regime Hofrat Dr. Wolfgang PFAUNDLFR und andere
mehr. Die Leiterin der Südtirol - Abteilung des Amtes der Nordtiroler Landesregierung, Frau
Hofrat Dr. Viktoria STADLMAYER, ehemals Mitglied der österreichischen Südtirol -
Verhandlungsdelegationen, befand sich wochenlang unter der Anklage, einer terroristischen
Vereinigung anzugehören, in Bozen in Untersuchungshaft. Der U - Richter, der den Haftbefehl
ausstellte, war Dr. Mario MARTIN, heute Oberstaatsanwalt in Bozen.
In Rechtshilfeersuchen hat die Bozner Justiz noch vor kurzem behauptet, es gebe seit
den Sechzigerjahren bis heute eine durchgehende anti - italienische "terroristische Orga-
nisation" mit Zweigstellen in Südtirol, Österreich und der Bundesrepublik Deutschland, was
bedeuten würde, daß der seinerzeitige ,, Befreiungsausschuß für Südtirol" (DAS) von 1961 in
Wirklichkeit nie zu bestehen aufgehört hätte.
Bedeutende Vertreter der Justiz in Trient, wie etwa der Generalstaatsanwalt COSSU,
oder in Bozen haben noch vor wenigen Monaten sogar den Bereich der Publizistik in die
"terroristischen Organisationen" einbezogen, indem sie die - ihnen mißliebige - Bericht -
erstattung einiger österreichischer und Südtiroler Medien und Journalisten als ,, terrorismo
psicologico bezeichneten und diesen in eine Reihe mit dem materiellen Terrorismus stellten.
Die i<nterzeichneten Bundesräte stellen dem Bundesministerium für Justiz auf Wunsch
gerne eine ausführliche Dokumentation zu den obig genannten Tatsachen zur Verfügung.
Angesichts dieser Sachlage richten die unterzeichneten Bundesräte an den Bundes-
minister für Justiz folgende
Anfrage:
1.) Wird in Zukunft die Auslieferung eigener Staatsbürger an das Ausland ermöglicht
werden? Wenn nein, durch welche österreichischen Rechtsbestimmungen wird der Schutz vor
Auslieferung künftig garantiert werden?
2.) Ist in Zukunft beabsichtigt, von der bisherigen Übung, die eine Auslieferung von
Südtirolem italienischer oder anderer Staatsangehörigkeit an Italien bei Vorliegen absoluter
oder relativer politischer Delikten nicht zuläßt, abzugehen?
Wenn nein, welche österreichischen Rechtsbestimmungen werden künftig diesen
Personen den bisher geübten Schutz vor der Auslieferung nach Italien garantieren?
3.) Auf Grund welcher rechtlicher Grundlagen oder noch zu setzender österreichischer
Rechtsakte wird sichergestellt sein, daß in Österreich aufhältige Südtiroler nicht auf Grund von
in der Vergangenheit gegen sie ergangener italienischer Abwesenheitsurteile wegen absoluter
oder relativ politischer Delikte nach Italien zur Strafverbüßung ausgeliefert werden?
Die unterzeichneten Bundesräte stellen diese Frage insbesondere auch deshalb, weil
Italien in der Vergangenheit derartige - der EMRK nicht entsprechende Verfahren durchge-
führt hat und davon Betroffene zum Teil nie eine Anklageschrift erhielten, sohin keine
Möglichkeit zu ihrer Verteidigung besaßen und von ihrer Verurteilung erst aus den Medien
erfahren mußten.
Ein derartiger Fall ist in einem Urteil des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes
ausdrücklich als menschenrechiswidrige Verurteilung dokumentiert (Auch dieses Urteil stellen
die unterzeichneten Bundesräte dem BMfl auf Wunsch gerne zur Verfügung).
4.) Welche rechtlichen Möglichkeiten wird sich die Republik Österreich allgemein
offenhalten, um in bestimmten Fällen selbst die Auslieferung von Ausländern - sollten Fälle
absoluter oder relativer politischer Delikte vorliegen - an Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union zu verweigern, wenn der Verdacht besteht, daß die Prozeßführung oder die
anschließende Strafverbüßung in solchen Staaten nicht den Bestimmungen der EMRK
entsprechen könnten oder es sich überhaupt um ungerechtfertigte politisch motivierte
Verfolgungen handelt?
Die unterzeichneten Bundesräte stellen diese Frage insbesondere auch unter dem
Gesichtspunkt einer späteren Erweiterung der Europäischen Union nach dem Osten und
Südosten hin.