1234/J-BR/96
DRINGLICHE ANFRAGE
der Bundesräte Dr. Kapral, Mag. Langer, Dr. Riess-Passer
und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Bedrohung der Sicherheit der Wiener und der Bevölkerung
anderer österreichischer Städte
Innenminister Einem und Polizeipräsident Stiedl planen einen
Anschlag auf die Sicherheit Wiens. Seit einigen Wochen sorgt
die geplante Schließung von zahlreichen Wiener Wachzimmern
und die Reduzierung von Beamten für Schlagzeilen. Zeitungsberichten
zufolge sollten 18 Wachzimmer geschlossen werden. Zur Zeit wird
sogar die Möglichkeit der Sperre von ) 1 Wiener Wachzimmer
geprüft. Dies steht im Gegensatz zu den im vergangenen
Gemeinderatswahlkampf gemachten Versprechungen von Bürgermeister
Häupl, der im Wahlkampf noch 1.200 Polizisten mehr versprochen
hat. Auch Bundeskanzler Vranitzky hat im Jahr 1991 noch mehr
Polizeibeamte für Wien versprochen. Tatsächlich jedoch
hat sich die Zahl der Polizeibeamten seither vermindert. Kaum
ist der Wahlkampf vorbei, werden die Politiker schon wortbrüchig.
Die Vorgangsweise des Innenminister Einem läßt nur
mehr den Schluß zu, daß ihm die Sicherheit der Österreicherinnen
und Österreicher kein besonderes Anliegen ist. Die katastrophale
personelle und ausstattungsmäßige Situation der österreichischen
Sicherheitsbehörde hat bereits internationales Aufsehen erregt.
Vom Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Bernd Jochen
ist Innenminister Einem sogar als "Sicherheitsrisiko"
bezeichnet worden, weil er es versäumt habe, für die
nach dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens für die EU-Außengrenze
erforderlichen Maßnahmen Vorsorge zu treffen (Presse, 11.11.1996).
Die Richtigkeit dieser gegen Österreich gerichteten Vorwürfe
erscheinen durch den Umstand bestätigt, daß anläßlich
der "Arbeitstagung" der Regierung das Wirksamwerden
des Schengener Abkommens für Österreich nunmehr auf
den 1. Oktober 1997 hinausgeschoben wurde.
Die beiden Wachzimmer in Mariahilf sollen zusammengelegt werden,
was Polizeipräsident Stiedl gleich dazu nutzen will, daß
der dortige Personalstand bei der Sicherheitswache von derzeit
86 auf 66 Beamte reduziert wird. Die 86 Mariahilfer Sicherheitswachebeamte
versehen derzeit bei normaler Besetzung (20 % Urlaubsquote abgezogen)
monatlich in zwei Wachzimmer rund 7.000 Außendienststunden.
Nach der Reform würden 20 Beatme dem Sparpaket zum Opfer
fallen und es wurden die restlichen 66 Beamten in einem Wachzimmer
rund 5.800 Außendienststunden erbringen.
Im Bezirk Döbling gab es früher einmal zehn Wachzimmer,
mittlerweile gibt es nur mehr fünf, und nun soll ein weiteres
("'Sickenberggasse) geschlossen werden.
Währings Bezirkvorsteher Karl Homole ist im Besitz eines
Schreibens des Innenministeriums, in dem dieses die Polizeidirektion
Wien bereits am 13. August 1996 "antragsgemäß
ermächtigt", das Wachzimmer Gersthofer Straße
135 zu schließen.
Auch die darüber hinausgehende Geplante Wachzimmer - Zusammenlegung
in Währing ist nichts Neues, sie gehe auf einen Erlaß
von Innenminister Einem von Oktober 1996 zurück.
Laut polizeilicher Kriminalstatistik- gab es 1995 in Wien
166.42 bekanntgewordene Kriminalfälle. Dem steht
eine Aufklärungsquote von 37,2 % "gegenüber. Bei
einer Einwohnerzahl von 1.595.768 entfallen auf je 100.000 Einwohner
der Wiener Wohnbevölkerung 10.429 strafbare Handlungen.
Die "Häufigkeitszahl" der strafbaren Handlungen
auf je 100.000 Einwohner, die im ersten Wiener Gemeindebezirk
im vergangenen Jahr verübt wurden ist alarmierend, sie betrug
68.041. In Mariahilf war die Polizei beispielsweise nur in 27,3%
der zur Anzeige gebrachten Fälle erfolgreich.
Nun stellt sich die Frage, ob die Verminderung der Zahl der Polizeidienststellen
vor dem Hintergrund der steigenden Kriminalität richtig und
sinnvoll ist. Polizeiwachzimmer stellen Stützpunkte für
Fußstreifenpatrouillen dar und sind vor allem erste Anlaufstellen
für die Bürger, die Auskunft, oder Hilfe brauchen, oder
die etwas meiden wollen. Durch eine Schließung der Wachzimmer
wird das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung noch mehr
verringert werden. Und das, obwohl durch die explosionsartig
ansteigende internationale Kriminalität mit neuen Deliktsformen
und mit bisher unbekannter Brutalität, das weitere Anwachsen
der Wirtschaftskriminalität, das Ansteigen von hereingetragenen
politisch, religiös und ethnisch motivierten Gewalttaten,
sowie zunehmenden Emigrationsströmen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis
der Bevölkerung besteht. Terrorismus, Drogenhandel, Geldwäsche,
Schlepperunwesen, Ausnutzung der illegalen Einwanderung und andere
Formen international organisierten Verbrechens versetzen die Bürger
immer mehr in Angst und Schrecken, beeinträchtigen ihre Sicherheit
und die innere Sicherheit generell in zunehmendem Maß.
Seit den Meldungen über die Wachzimmerschließungen
protestiert nicht nur die Bevölkerung auf das heftigste,
sondern auch die Bezirksvorsteher äußern schwere Bedenken.
So etwa wurden innerhalb von nur zwei Tagen in Währing ca.
4.000 und in Mariahilf in nur drei Tagen 3.000 Unterschriften
gegen die Schließung der jeweiligen Wachzimmer gesammelt.
Während etwa der VP-Bezirksvorsteher der Inneren Stadt Richard
Schmitz, nebenbei Koalitionsverhandler im Rathaus, das Wachzimmer
Bräunerstraße bereits aufgegeben hat, obwohl gerade
von dort häufig wichtige Großeinsätze durchgeführt
werden, leistet ein Großteil der Bezirkspolitiker heftigen
Widerspruch. Der SP-Bezirksvorsteher von FünfhausRudolfsheim
Rolf Huber will um sein Wachzimmer in der Oelweingasse kämpfen,
vor allem wegen der Drogenszene und des hohen Ausländeranteils.
Mariahilfs VP-Bezirksvorsteher Kurt Pint hat "angeblich"
bereits "mit Brief und Siegel" erreicht, daß das
bedrohte Wachzimmer in der Stumpergasse nicht gesperrt wird.
Er kritisierte aber die mangelhafte Information durch die Polizeidirektion.
Heinz Lehner, SPBezirksvorsteher in Floridsdorf, kritisierte
scharf, daß mitten in Stammersdorf ein Wachzimmer geschlossen
werden soll, noch dazu, wo dieses Wachzimmer erst vor wenigen
Jahren vergrößert wurde.
Jüngsten Zeitungsmeldungen (Kurier vom 11.11.1996) zufolge,
bestehen zumindest auch in den Städten Graz und Salzburg
ähnliche Absichten über Umstrukturierungsmaßnahmen
wie Wachzimmerschließungen und Reduzierung der Zahl der
Dienstposten wie in der Bundeshauptstadt. Zumindest zwei, wenn
nicht vier Wachzimmer in den Grazer Außenbezirken sollen
geschlossen werden. Auch ein Abbau von 50 Planstellen wird in
Erwägung gezogen. Die diese Pläne umgebende Geheimniskrämerei
fährt laut Kurier zu Kritik und Protest bei Gewerkschaft
und Personalvertretung, wobei insbesondere dagegen Stellung genommen
wird, daß angeblich im Verwaltungsapparat von Sparmaßnahmen
nicht die Rede sei.
Die Schließung von Wachzimmern ist somit zur Sicherheit
der Bevölkerung sowohl in Hinblick auf die Kriminalität
wie Einbrüche etc. als auch in Bezug auf die Verkehrssicherheit
völlig unverständlich. Da jedoch die Kriminalität
zu- und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gleichzeitig
abnimmt, stellen die unterfertigten Bundesrate in diesem Zusammenhang
an den Herrn Bundesminister für Inneres folgende
D r i n g l i c h e A n f r a g e
1. Sind die beabsichtigten Maßnahmen eine Folge der Sparmaßnahmen
der Bundesregierung und können Sie es als Innenminister verantworten,
daß diese Sparmaßnahmen auf die Kosten der Sicherheit
der Bevölkerung gehen?
2. Wieviele und welche Wiener Wachzimmer werden nun bzw. bis Ende
1998 tatsächlich geschlossen?
3. Wieviele Wachzimmer werden nun bzw. bis Ende 1998 tatsächlich
in den einzelnen Landeshauptstädten, soweit dort Polizeidirektionen
bestehen, geschlossen?
4. Nach weichen Kriterien wird bei der Schließung bzw.
Zusammenlegung von Wachzimmern vorgegangen und wer entscheidet
darüber?
5. Wird dabei auch auf die Sicherheit der Bevölkerung Rücksicht
genommen bzw. diese bei solchen schwerwiegenden Entscheidungen
einbezogen?
Wenn ja, inwiefern'?
Wenn nein, warum nicht?
6. Ist es richtig, daß alle Wiener Wachzimmer von einer
Kommission geprüft werden? Wenn ja, wie setzt sich diese
Kommission zusammen, und was genau wird überprüft?
7. Wurde die Kommission auch schon bei den bisherigen Wachzimmerschließungen
und/oder -Zusammenlegungen eingesetzt?
Wenn ja, bei weichen und mit weichen Ergebnissen?
8. Wann und in weicher Form wurden die Bezirksvorsteher von den
Schließungsplänen informiert bzw. in die Verhandlungen
einbezogen'?
9. Wie lauteten die Stellungnahmen der Bezirksvorsteher zu den
einzelnen Schließungsplänen im Detail?
10. Wer - wird letztendlich die Entscheidung über die Schließung
bzw. Zusammenlegung von Wachzimmern treffen?
11. Welche der Wiener Wachzimmer wurden in den vergangenen Jahren
renoviert (mit genauem Datum) und wieviel haben die jeweiligen
Umbau- bzw. Renovierungskosten ausgemacht?
12. Welche der Wiener Wachzimmer wurden in den vergangenen Jahren
zumindest teilweise adoptiert und weiche Kosten wurden dadurch
jeweils verursacht?
13. Welche Wachzimmer wurden in den vergangenen Jahren neu eröffnet
und wann, welche werden in den nächsten Jahren neueröffnet
werden?
14. Wie ist der Ist-Personalstand der Wiener Exekutive und der
Exekutive in den einzelnen Bundesländern zum 1. November
1996 und wie wird er sich nach den geplanten Maßnahmen in
den nächsten beiden Jahren vorraussichtlich entwickeln?
a) Wie viele Zollwachebeamte werden noch im Jahr 1996 bzw. im
Jahr 1997 in den Gendarmeriedienst übernommen, wo werden
diese eingesetzt und wie wird sich diese Übernahme auf den
Personalstand der Gendarmerie in den einzelnen Bundesländer
auswirken?
b) Ist es richtig, daß z.B. das Bundesland Tirol mit mehr
als 200 Zollwachebeamten betroffen ist und wo werden diese eingesetzt'?
c) Können Sie ausschließen, daß in den Gendarmeriedienst
übernommene Zollwachebeamte entgegen ihrem Willen in andere
Bundesländer versetzt bzw. dienstzugeteilt werden?
d) Wie beurteilen Sie die Aussage des Vorsitzenden der Deutschen
Polizeigewerkschaft Bernd Jochen, Sie seien ein Sicherheitsrisiko?
15. Wie ist der Ist-Personalstand des übrigen Personals der
Bundespolizeidirektion Wien und jeweils in den einzelnen Bundesländern
zum 1. November 1996 und wie wird er sich nach den geplanten Maßnahmen
in den nächsten beiden Jahren vorraussichtlich entwickeln?
16. Sind Sie der Auffassung,. daß mit dem gegenständlichen
Personalstand der Bundespolizeidirektion Wien die Sicherheit der
Bevölkerung gewährleistet werden kann? Wenn ja, inwiefern?
Wenn nein, warum nicht?
17. Teilen Sie die Auffassung des Polizelpräsidenten Stiedl,
daß die mangelnde Präsenz der Polizei zu einem besorgniserregenden
Sicherheitsdefizit beiträgt?
18. Wie können Sie derartige Wachzimmerschließungen
und -Zusammenlegungen mit dem
Bedürfnis nach Sicherheit in Einklang bringen?
19. Durch weiche Maßnahmen wurden Sie bei eventuellen Schließungen
von diversen oder auch nur einem Wiener Wachzimmer setzen, um
dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung zu
tragen?
20. Können Sie garantieren, daß die derzeitige Organisation,
bei der jeder Wiener Gemeindebezirk ein Kommissariat aufweist,
bestehen bleibt?
Wenn nein, warum sucht?
21. Können Sie garantieren, daß die Wachzimmer in der
Stumpergasse, der Sickenberggasse, der Bräunerstraße,
der Gersthoferstraße und das Wachzimmer am Stephansplatz
erhalten bleiben?
Wenn nein, warum nicht?
22. Mir Erlaß Nr. 40030207 11/3/96 wurde die Zusammenlegung
der Wachzimmer Währing ermöglicht. Welchen konkreten
Inhalt hat dieser Erlaß, ist er noch aufrecht und wann wird
er vollzogen?
23. Gibt es eine Weisung des Innenministeriums, die die Schließung
von einem oder mehreren Wiener Wachzimmern vorsieht?
Wenn ja, von wem ist diese, wann genau wurde sie an wen verteilt
und wie lautet ihr konkreter Inhalt?
24. Warum gibt es noch kein Sicherheitskonzept für Wien'?
25. Wird ein solches Sicherheitskonzept für Wien erstellt
werden'?
26. Weiche Stellen werden mit der Ausarbeitung dieses Konzeptes
befaßt und wann wird das Konzept vorliegen?
27. Der Sicherheitssprecher der Wiener SPÖ stellte im SP-Pressedienst
am 12.11.1996 fest, daß das Wachzimmer Gersthof nicht nur
bestehen bleibe, sondern auch vergrößert und saniert
werde. Wie erklären Sie sich diesen Informationsvorsprung
eines sozialistischen Polizeifunk-tionärs und die
Aussage des Wiener Polizeipräsidenten, daß "davon
bei uns nichts bekannt sei"?
28. Wie beantworten Sie die in Wiener Polizelkreisen gestellte
Frage: "wer reformiert eigentlich die Wiener Polizei"
(Kurier vom 13.11.1996), angesichts des Umstandes, daß die
Wiener SPÖ-Funktionäre über die geplanten Maßnahmen
offenbar besser informiert sind, als die Spitzen der Wiener Polizei?
In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des
§ 61 GO-BR dringlich vor Eingang" der Tagesordnung
zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur Begründung
zu geben.
Wien, am 14.11.1996