1452/J-BR
ANFRAGE
der Bundesräte Dr. Riess - Passer und Kollegen
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend Nichteinhaltung der Konvergenzkriterien
Artikel 109j des EG - Vertrages normiert die sogenannten Maastrichtkriterien. Demnach müssen
die einzelnen Mitgliedstaaten folgende Kriterien, zur Erreichung eines hohen Grades an
dauerhafter Konvergenz, erfüllen:
- Erreichung eines hohen Grades an Preisstabilität, ersichtlich aus einer Inflationsrate, die
der Inflationsrate jener - höchstens drei - Mitgliedstaaten nahekommt, die auf dem
Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben. Preisstabilität ist in einem
Land gegeben, wenn seine Inflationsrate während eines Jahres vor der Beurteilung nicht
mehr als 11/2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Inflationsrate der drei
preisstabilsten Länder liegt;
- eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, ersichtlich aus einer
öffentlichen Haushaltszulage ohne übermäßiges Defizit im Sinne des Artikels 104c
Absatz 6 d.h. ein maximales Haushaltsdefizit von 3% des Bruttoinlandsproduktes (BIP)
und eine maximale öffentliche Verschuldung 60% des BIP;
• Einhaltung der normalen Bandbreite des Wechselkursmechanismus des Europäischen
Währungssystems seit mindestens zwei Jahren ohne Abwertung gegenüber der
Währung eines anderen Mitgliedstaats;
- Dauerhaftigkeit der von dem Mitgliedstaat erreichten Konvergenz und seiner Teilnahme
am Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems, die im Niveau der
langfristigen Zinssätze zum Ausdruck kommt. Zinsstabilität liegt vor, wenn der
langfristige Zinssatz für Staatsanleihen im durchschnitt des letzten Jahres vor der
Beurteilung den Durchschnitt der vergleichbaren Zinssätze in den drei preisstabilsten
Ländern um nicht mehr als 2 Prozentpunkte überschritten hat.
Die Einhaltung der im EG - Vertrag verankerten Konvergenzkriterien bildet die unabdingbare
Voraussetzung für die Einführung der Gemeinsamen Währung, doch diese Kriterien sind
unterschiedlich "hart" definiert. So ist beim Verschuldenskriterium ein Überschreiten dann
geduldet, wenn die relative Verschuldung hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem
Referenzwert nähert.
Am 2. Mai 1998 hat der Rat der Europäischen Union in der Zusammensetzung der Staats - und
Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit unter Berücksichtigung der Konvergenzberichte
der Kommission, des Europäischen Währungsinstituts (EWI) und der Stellungnahme des
Europäischen Parlaments entschieden, daß Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland,
Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, und Finnland die notwendigen
Voraussetzungen für die Einführung einer einheitlichen Währung erfüllen.
Der durchschnittliche Schuldenstand der Euro - Teilnehmer liegt aber wesentlich über den
geforderten 60 % des Maastrichtvertrages. Die Schuldenquote hat 1997 nur in drei
Mitgliedstaaten (Finnland, Frankreich, und Luxemburg) unterhalb des Referenzwertes gelegen.
Von den Teilnehmerstaaten, in denen der Referenzwert nicht eingehalten wurde, lag die
Schuldenquote in Deutschland und Portugal geringfügig oberhalb der 60 % - Marke. Probleme
der Staatsschuld ergeben sich auch bei Mitgliedstaaten, die in der Schuldenquote unter oder
nahe bei dem Referenzwert von 60 % bleiben. So wiesen Deutschland und Frankreich eine
starke Dynamik im Wachstum der öffentlichen Verschuldung auf. In Belgien und Italien wurde
die 60 % - Grenze besonders stark überschritten; sie war mehr als doppelt so hoch.
Weiters wurde die Defizitquote vieler Mitgliedstaaten 1997 durch Maßnahmen mit zeitlich
begrenzter Wirkung beeinflußt. In Italien war deren Ausmaß mit 1% des BIP, in Frankreich mit
0,6% des BIP und in Österreich mit 0,5% BIP ausschlaggebend dafür, daß 1997 der
Referenzwert von 3 % des BIP eingehalten werden konnte.
Für Österreich bedeutet dies: ab 1999 muß das Budget ausgeglichen sein, um den
Schuldenstand in einer angemessenen Zeit unter 60 % zu drücken. Derzeit weist Österreich
jedoch ein Budgetdefizit von 2,7 % auf. Eine weitere Erhöhung der Steuerlast (wegen der
Konsolidierung) befürwortet das EWI nicht, da schon die jetzige Steuerlast dem
Wirtschaftswachstum abträglich ist.
Überschreitungen sind im Vertrag von Maastricht nur unter der Bedingung zugelassen, daß die
Schuldenquote hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert.
Italien beispielsweise müßte einen Budgetüberschuß von 11 % aufweisen, um bis zum Jahr
2002 die Verschuldung unter die 60 % Grenze zu drücken. Wenn die Verschuldung bis 2012
unter 60 % gedrückt werden soll, so muß der Budgetüberschuß 0,9 % betragen. Derzeit hat
Italien aber ein Budgetdefizit von 2,7 %.
Auch von der Kommission gibt es dazu eindeutige Aussagen: Bei Fortsetzung der bisherigen
Konsolidierungsbemühungen (d.h. keine weiteren zusätzlichen Maßnahmen) würde Italien 19
Jahre benötigen, um die Verschuldung unter die 60 % Grenze zu drücken. Belgien benötigt 14
Jahre und Österreich würde 7 Jahre benötigen.
Jedenfalls ist die Nachhaltigkeit von Haushaltsdisziplin nicht erwiesen. Sie hätte nach Sinn und
Zweck des EG - Vertrages über einen längeren Zeitraum bewiesen werden müssen. Schließlich
ist damit zu rechnen, daß die jetzt zurückgestauten Ausgaben und die politischen
Anforderungen an die öffentlichen Haushalte wirksam werden, sobald das Ziel, Teilnahme am
Euro, erreicht ist. Das Gleiche gilt für Maßnahmen, denen die Nachhaltigkeit fehlt, weil die
strukturellen Mängel nach wie vor bestehen.
In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Bundesräte an den Bundesminister für
Finanzen folgende
ANFRAGE:
1.) Sind Sie der Auffassung, daß die Konvergenzkriterien den Gleichlauf der
Volkswirtschaften repräsentieren?
2.) Wie soll garantiert werden, daß die Kriterien nicht nur zu einem bestimmten Stichtag,
sondern auch in Zukunft und damit dauerhaft erfüllt werden?
3.) Wie ist auszuschließen, daß politische Entscheidungen Vorrang erhalten vor der
"strengen" Auslegung der Konvergenzkriterien?
4.) Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß das Kriterium Gesamtverschuldung (Grenze 60 %
des BIP) lediglich von Finnland, Luxemburg und Frankreich eingehalten wird, alle
anderen Teilnehmerländer aber dieses Kriterium überschreiten - Italien und Belgien sogar
um mehr als das Doppelte?
5.) Wie kann der Stabilitätspakt die Stabilität des Euro garantieren, wenn Sanktionen nicht
automatisch eintreten und wenn beispielsweise mehrere Länder sich gleichzeitig in der
Situation einer höheren Verschuldung und eines die 3% Grenze überschreitenden
Haushaltsdefizits befinden?
6.) Was geschieht, wenn EWU - Mitgliedstaaten sich weigern, die verhängten Sanktionen zu
respektieren, d.h. zu bezahlen?