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der Bundesräte Dr. Riess-Passer, Dr. Bösch, Dr. Tremmel, Mag. Gudenus, Dr. Harring
und Kollegen
an den Bundeskanzler
betreffend 50 Millionen Schilling für ‚die Fortsetzung eines Mittagessens‘
Spätestens die Probleme bei der Ratifikation des Maastricht - Vertrages haben den
Politikern die Skepsis der Bürger gegenüber der Europäischen Union und ihr
Akzeptanzproblem in der Öffentlichkeit vor Augen geführt. Die EU ist für die Bürger
kompliziert, undurchschaubar und zentralistisch. Sie können die Auswirkungen der
politischen Entscheidungen, die in ihrem Namen getroffen werden immerhin werden
mittlerweile mehr als zwei Drittel des in den nationalen Rechtsordnungen geltenden
Rechts von Gemeinschaftsorganen erzeugt -, nicht mehr nachvollziehen. Die, nicht nur
räumliche, Distanz zwischen den Bürgern und dem Entscheidungszentrum ist
offenkundig.
Die bisherigen Taten der "EUphoriker" zur Behebung dieser unakzeptablen Situation
beschränkten sich trotz der dieser Problematik zugeordneten Wichtigkeit und
Dringlichkeit vornehmlich auf Ankündigungen, auf marginale Konferenz - und
Beratungsergebnisse sowie auf neue Absichtserklärungen, wie folgende Beispiele
illustrieren:
" Die erste Herausforderung an die Regierungskonferenz (Anm.
Regierungskonferenz 1996) ist damit vorgegeben: Der Bürger muß konkret
an der Gestaltung Europas beteiligt werden. ... die Weiterentwicklung
Europas muß durch mehr Öffentlichkeit abgesichert werden. Somit ist die
Zielvorgabe des Vertrags, "ein bürgernahes Europa zu schaffen"‘, für die
Kommission nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern ein absolutes Gebot
und ständiges Kriterium bei all ihren Initiativen.
Die Kommission wird sich in den Dienst des europäischen Bürgers stellen; sie
wird europäische Wege vorzeichnen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen,
die Umwelt zu schützen und Solidarität zu fördern.
... müssen die Arbeiten der künftigen Regierungskonferenz auf zwei
Schwerpunkte ausgerichtet werden:
* Die Handlungsweise der Union muß demokratisch, verständlich und
transparent sein
* Die Handlungsweise der Union muß effizient, kohärent und solidarisch
sein; ..." (Regierungskonferenz 1996, Bericht der Kommission an die
Reflexionsgruppe, 1995).
"Die Gruppe kam zu dem Schluß, daß im Rahmen der nächsten Reform
vorrangig die "wirklichen" Probleme zu lösen sein werden, d.h. diejenigen,
die die Bürger am meisten bewegen. Eine Mehrheit der persönlichen
Beauftragten zählen die Arbeitslosigkeit, die innere Unsicherheit und die
Zerstörung der Umwelt zu den Problemen, die am dringendsten eine
Antwort erfordern.
Eine weitere notwendige Antwort auf die Herausforderung der Entfremdung
zwischen den Bürgern und der Union ist in einer korrekten und
systematischen Anwendung der Grundsätze der Effizienz, Demokratie,
Transparenz und Solidarität in den Beziehungen zwischen den
Institutionen der Union und zwischen ihren Mitgliedstaaten sowie zwischen
Institutionen und Mitgliedstaaten zu suchen. Diese Grundsätze müssen sich
in der Praxis in konkreten Aktionen niederschlagen ... " (Zwischenbericht des
Vorsitzenden der Reflexionsgruppe zur Regierungskonferenz 1996, Aug.1995).
"Die öffentliche Unterstützung für weitere integrationspolitische Fortschritte
wird davon abhängen, ob deren Vorteile überzeugend erklärt werden, und
ob die heute vorhandene Kluft zwischen den Institutionen der EU und den
Bürgern verringert werden kann. Der Stärkung der demokratischen
Legitimität, der Bürgernähe und Transparenz sowie der
Weiterentwicklung und konsequenten Umsetzung des
Subsidiaritätsprinzips wird daher 1996 besondere Bedeutung zukommen"
(Österr. Bundesregierung: Leitlinien zu den voraussichtlichen Themen der
Regierungskonferenz 1996).
Das Ergebnis der Regierungskonferenz, der Amsterdamer Vertrag, ist ernüchternd. Die
vollmundigen und großspurigen Versprechungen, die gesteckten Ziele wurden
überwiegend nicht erreicht: weder ist den Verhandlern eine grundiegende Verbesserung
des Demokratiedefizits noch die versprochene Bürgernähe und Transparenz des
Vertrages gelungen, die institutionellen Voraussetzungen für eine allfällige Erweiterung
sind vollends auf der Strecke geblieben. Der frühere Präsident des Europäischen
Parlaments, Klaus Hänsch, sprach sogar von einem "Kraut und Rüben - Vertrag" (APA,
26.7.1997).
Der Fehlschlag dieser Regierungskonferenz könnte augenscheinlicher nicht sein. Noch
vor der Ratifikation des Amsterdamer Vertrages durch alle Mitgliedstaaten bricht eine
neue Diskussion aus. Zurückzuführen ist sie auf einen gemeinsamen Brief des deutschen
Bundeskanzlers Kohl und des französischen Präsidenten Chirac, in dem beide eine
Auseinandersetzung mit dem Thema Bürgernähe in der Europäischen Union forderten
und insbesondere die Machtkonzentration der EU - Kommission kritisierten. Die Pro -
Europäer wollen plötzlich der Zentralisierung und Überreglementierung eine Absage
erteilen. Fragen wie der Krümmungsgrad der Gurken, die Größe der Bienenstöcke etc.
sollen nicht länger auf europäischer Ebene entschieden, sondern auf die nationale Ebene
zurückverlagert werden, zumal die Politiker, u.a. auch die österreichischen
Regierungsvertreter, zur Kenntnis nehmen müssen, daß es für sie immer weniger
Interventionsmöglichkeiten gibt (z.B. bei der Brennermaut, bei der Anonymität von
Sparbüchern, bei Unternehmenszusammenschlüssen usw.).
Was bis vor einigen Monaten noch als Nationalismus abgestempelt wurde ist jetzt
salonfähig. Knapp ein Jahr nach Abschluß der Regierungskonferenz sieht sich der
Europäische Rat in Cardiff (15.116. Juni 1998) gezwungen, sich erneut mit den Fragen
der Subsidiarität, Bürgernähe und Effizienz der Union auseinanderzusetzen und gelobt
dies auch zu tun:
"es ist erforderlich, die EU den Menschen näher zu bringen und sie auf die
Fragen zu konzentrieren, die den Bürgern Europas am wichtigsten sind, wie
die Stärkung der demokratischen Legitimität und die Verwirklichung des
Subsidiaritätsprinzips in der Praxis.
Als ersten Schritt wird der Präsident des Europäischen Rates ein informelles
Treffen der Staats - und Regierungschefs und des Präsidenten der
Kommission einberufen, um die diesbezüglichen Beratungen zu vertiefen
und zu prüfen, wie diese Themen am besten für eine Erörterung auf der
Tagung des Europäischen Rates in Wien im Hinblick auf die Fortsetzung
ihrer Diskussion über die Zukunft Europas vorbereitet werden können" (Pkt.
61 der Schlußfolgerungen des Vorsitzes, 52026/EU XX.GP).
Diese zwingend notwendige Hausaufgabe, will die EU endlich ihrem Anspruch, eine
Union der Bürger zu sein, gerecht werden, war kaum selbst verordnet, um sie dann
beiseite zu schieben:
Der amtierende Ratsvorsitzende, Außenminister Dr. Schüssel ist "nicht besonders
glücklich über den von Klima einberufenen Sondergipfel der Staats - und
Regierungschefs ..., der sich mit Fragen der Bürgernähe beschäftigen soll". Für ihn ist
"das Ganze ... eigentlich nicht meht; als die Fortsetzung eines Mittagessens" (Profil,
29.6.1998).
Staatssekretärin Dr. Ferrero - Waldner erklärt, daß "schon viel über Subsidiarität und
Bürgernähe geredet, auch beschlossen wurde. Es müßte nur umgesetzt werden. Die
Bedeutung des Pörtschacher Gipfels liegt wohl in der besonderen politischen
Attraktivität, die dem Begriff "Bürgernähe und dem, was man sich darunter alles
vorstellen kann, innewohnt. ... Es kann nicht wahnsinnig viel Konkretes herauskommen.
Es ist ein informelles Treffen. Beschlossen wird nichts". (Profil, 24.8.1998).
EU - Kommissionspräsident Santer verhehlt nicht, daß "das in formelle Treffen der 15 EU -
Regierungschefs noch diffusen Charakter" hat und gesteht ein: "Wir werden gemeinsam
nachdenken, obwohl wir noch nicht genau wissen worüber" (KLZ, 16.10.1998).
Jedenfalls stellt sich, wenige Tage vor dem Treffen der Staats - und Regierungschefs der
Europäischen Union heraus, daß das Hauptantiegen, mehr Subsidiarität und mehr
Bürgernähe, wiederum gänzlich marginalisiert wird, ja eigentlich kein Thema mehr sein
soll. Das zeigt sich zum einen darin, daß der Bundeskanzler, anstelle sich auf die
vorgegebenen Themen zu konzentrieren und diese entsprechend vorzubereiten, in einer
"Tour der Qual" (Klima) quer durch alle EU - Hauptstädte reist, um sich "14 Rucksäcke an
Sonderwünschen umhängen zu lassen, die man dann eh nicht erfüllen kann", wie
Kritiker aus dem Außenministerium (Profil, 19.10.1998) bemerken.
Dies zeigt sich weiters darin, wie die Prioritäten des - zig millionenteuren Events, auf
Kosten des Steuerzahlers, gesetzt sind: für das für zwei Tage anberaumte Treffen sind
einerseits knapp 5 Stunden für Arbeitsgespräche vorgesehen, und andererseits sollen
substantielle Gespräche über die bessere Koordination der Beschäftigungs -, Wirtschafts -
und Fiskalpolitik sowie über die Weiterentwicklung der Inneren Sicherheit und der
Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik geführt, Überlegungen über die künftige
Rolle Europas in der Welt und die Vertiefung der EU angestellt, die Erhaltung des
europäischen Gesellschaftsmodells diskutiert, die Auswirkungen des Euro zur Sprache
gebracht, die aktuellen Finanzkrisen in Asien und Rußland sowie die Krise im Kosovo
behandelt werden.
Dies zeigt sich letztlich darin, daß seitens der Bundeskanzlers im Vorfeld des Gipfels in
Pörtschach bereits vorgesorgt wird, daß eine berechtigte Erwartungshaltung der Bürger
überhaupt nicht aufkommen soll. Wozu der Gipfel der Staats - und Regierungschefs
daher letztlich dienen wird, bringt die Delegationsteiterin der ÖVP - Abgeordneten im
Europäischen Parlament, Ursula Stenzel, treffend auf den Punkt: "Das wird
hauptsächlich eine Schau für Gerhard Schröder und Viktor Klima. ... Für die einzelnen
Bürger schaut dabei wenig heraus" (Profil 43, 19.10.1998).
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Bundesräte an den Herrn
Bundeskanzler nachstehende
DRINGLICHE ANFRAGE:
1. Trifft es zu, daß beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Pörtschach
Gespräche über die bessere Koordination der Beschäftigungs -, Wirtschafts - und
Fiskalpolitik sowie über die Weiterentwicklung der Inneren Sicherheit und der
Gemeinsamen Außen - und Sicherheitspolitik geführt, Überlegungen über die
künftige Rolle Europas in der Welt und die Vertiefung der EU angestellt, die
Erhaltung des europäischen Gesellschaftsmodells diskutiert, die Auswirkungen des
Euro zur Sprache gebracht, die aktuellen Finanzkrisen in Asien und Rußland sowie
die Krise im Kosovo behandelt und letztlich die Fragen der Subsidiarität und
Bürgernähe diskutiert werden sollen?
• Wenn nein, welche Themen werden konkret besprochen?
2. Gibt es hinsichtlich der angeführten Themen eine Schwerpunktsetzung Ihrerseits?
• Wenn ja, wie sieht diese konkret aus?
3. Inwiefern und inwieweit wird mit diesem Themenkatalog dem Beschluß des
Europäischen Rates von Cardiff, wonach "es erforder/ich ist, die EU den Menschen näher
zu bringen und sie auf die Fragen zu konzentrieren, die den Bürgern Europas am wichtigsten
sind, wie die Stärkung der demokratischen Legitimität und die Verwirklichung des
Subsidiaritätsprinzips in der Praxis nachgekommen?
4. Welche konkreten Maßnahmen und Vorschläge werden Sie beim Gipfel in
Pörtschach unterbreiten, um die "vorhandene Kluft zwischen den Institutionen der
EU und den Bürgern zu verringern" und welche konkreten Ergebnisse erwarten Sie
sich?
5. Welche konkreten Maßnahmen und Vorschläge werden Sie beim Gipfel in
Pörtschach unterbreiten, um die Mitwirkungsrechte der Mitgliedstaaten, die
Bürgernähe und die Transparenz der Europäischen Union zu stärken und mit
welchen Ergebnissen rechnen Sie?
6. Welche konkreten Maßnahmen und Vorschläge werden Sie beim Gipfel in
Pörtschach unterbreiten, um die Weiterentwicklung und konsequente Umsetzung
des Subsidiaritätsprinzips zu fördern bzw. zu garantieren und welche Ergebnisse
erwarten Sie sich?
7. Welche konkreten Maßnahmen und Vorschläge werden Sie beim Gipfel in
Pörtschach für eine bessere Koordination der Beschäftigungs -, Wirtschafts - und
Fiskalpolitik unterbreiten und welche Ergebnisse erwarten Sie sich?
8. Welche konkreten Maßnahmen und Vorschläge werden Sie beim Gipfel in
Pörtschach für eine Weiterentwicklung der Inneren Sicherheit unterbreiten und mit
welchem Ergebnis rechnen Sie?
9. Welche konkreten Maßnahmen und Vorschläge werden Sie beim Gipfel in
Pörtschach hinsichtlich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unterbreiten
und welche diesbezüglichen Ergebnisse erwarten Sie sich?
10.Wird im Rahmen des Gipfels in Pörtschach die Erweiterung der Europäischen Union
Gegenstand der Diskussion sein?
. Wenn ja, werden Sie die Probleme in Bezug auf die mangelnde Sicherheit der
Kernkraftwerke in Beitrittskandidatenländern, die nicht EU - konforme
Menschenrechtssituation in den Verfassungen einzelner beitrittswilliger Staaten und
die besonderen wirtschaftlichen und sozialen Probleme der österreichischen
Grenzregionen zur Sprache bringen?
11. Inwieweit beabsichtigen Sie der Anregung von Komm issionspräsident Santer, "eine
Debatte über das Gesellschafts- und Sozialmodell Europas" zu führen,
nachzukommen und was verstehen Sie darunter?
12.Trifft es zu, daß für das zweitägige Treffen der Staats - und Regierungschefs in
Pörtschach lediglich knapp 5 Stunden für konkrete Arbeitsgespräche zur Verfügung
stehen werden?
• Wenn ja, sind Sie der Auffassung, daß damit ausreichend Zeit für eine vertiefte
Diskussion gegeben ist?
. Wenn nein, wieviel Zeit steht für gemeinsame Arbeitsgespräche zur Verfügung?
13.Trifft es zu, daß bei diesem Gipfel in Pörtschach "keine konkreten Resultate erzielt
werden sollen"?
Wenn ja, aus weichen Gründen?
14. Auf welche Höhe werden sich die Gesamtkosten des Gipfels in Pörtschach belaufen
und wie werden sich diese Kosten dem österreichischen Steuerzahler darstellen?
15. Halten Sie es mit den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und
Zweckmäßigkeit vereinbar, einen Gipfel zu veranstalten, bei dem sowieso keine
Ergebnisse erzielt werden sollen?
16.Welche anderen Gründe, als "daß beim informellen Außenministerrat in Salzburg
nur über das Mittagsmenü geredet worden sei" (Klima, in der ORF - Pressestunde am
18.10.1998), haben Sie dazu bewogen, den Gipfel der Staats - und Regierungschefs in
Pörtschach als notwendig zu bezeichnen?
In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne der Bestimmungen des § 61
der Geschäftsordnung des Bundesrates dringlich vor Eingang in die Tagesordnung zu
behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur Begründung zu geben.