ANFRAGE
der Bundesräte Albrecht K. Konecny
und Genossen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend Strafanzeige gegen Augusto Pinochet wegen erpresserischer Entführung mit
Todesfolge (§102 Abs. 1, Abs. 2 StGB)
Am 14.11.1998 wurde beim Leitenden Staatsanwalt beim Landesgericht für Strafsachen Wien
eine Strafanzeige gegen den früheren chilenischen Staatschef Augusto Pinochet eingebracht.
Gegenstand der Anzeige ist ein Vorfall im Juni 1976 in Santiago de Chile. Damals hatten 23
verfolgte Angehörige der chilenischen demokratischen Opposition im Gebäude der
bulgarischen Botschaftsresidenz Zuflucht gesucht. Zu diesem Zeitpunkt übte der
österreichische Botschafter in Chile die Schutzmachtfunktion für das bulgarische
Botschaftsgebäude aus.
Diese 23 Personen wurden von chilenischen Sicherheitsorganen aus dem Botschafisgebäude
entführt und in die Folterabteilung Cuatra Alamos - des berüchtigten Gefängnisses Tres
Alamos - gebracht. Zwei dieser Entführten - Raul Guillermo Cornejo Campos und Sergio
Pardo Pedemonte - sind nach offiziellen UN - Berichten seit damals verschollen.
Nach chilenischen Zeitungsberichten war es, nachdem zuvor mehrfach Verfolgte erfolgreich
in Botschaften Zuflucht gesucht hatten, das ausdrückliche Ziel der Sicherheitskräfte, dadurch
von weiteren derartigen Aktionen abzuschrecken. Die Entführung von 23 Asylsuchenden aus
der unter österreichischer Schutzmacht stehenden bulgarischen Botschaftsresidenz in Santiago
de Chile erreicht insofern eine besondere Dimension, als sie nicht in den Putsch - Tagen,
sondern rund drei Jahre später stattfand und die gezielte Verletzung der Immunität der
Botschaft ohne Zustimmung höchster chilenischer Regierungsstellen nicht vorstellbar ist. In
diesem Fall ist daher die Verantwortung des damaligen Staatschefs Pinochet für die
nachfolgende Folterung der Entführten und das ,,Verschwinden" zweier von ihnen
unbestreitbar.
Die österreichische Zuständigkeit ist zweifellos durch die Verletzung österreichischer
Interessen gegeben, die die Verletzung der diplomatischen Immunität der unter
österreichischen Schutzmacht stehenden bulgarischen Botschaftsresidenz bedeutet. Dabei ist
zudem zu berücksichtigen, daß zwar sechsmal Personen, die in die ebenfalls unter
österreichischen Schutzmacht stehenden ungarischen Botschaft geflüchtet waren, vom
österreichischen Botschafter unter seinen Schutz gestellt worden waren. Auch die von den
chilenischen Behörden beabsichtigte Abschreckung richtete sich also direkt gegen
österreichische Interessen.
Die unterzeichneten Bundesräte sind der Überzeugung, daß Diktatoren und andere, die die
Menschenrechte in brutaler Weise verletzen, nicht straffrei davonkommen dürfen. Die
Verhaftung des ehemaligen chilenischen Diktators Pinochet in Großbritannien eröffnet die
Möglichkeit, dies in einem besonders gravierenden Fall unter Beweis zu stellen. Die Tätigkeit
internationaler Gerichtshöfe ist zur Erreichung dieses Zieles ebenso notwendig wie das
Handeln der nationalen Justiz.
Im Falle Pinochets, der als Urheber eines Militärputsches eine demokratisch gewählte
Regierung stürzte, tausende Demokraten foltern und ermorden ließ und tausende ins Exil
trieb, geht es nicht um Rache an einem alten Mann, sondern um einen unverzichtbaren
Beitrag zur Herstellung von Gerechtigkeit und zur Klärung geschichtlicher Wahrheit. Diese
Klärung liegt zuallererst im Interesse Chiles. Solange aber dort aus politischen Gründen ein
rechtsstaatliches Verfahren gegen den Ex - Diktator unmöglich ist, besteht ein Bedarf, alle
anderen Möglichkeiten für dieses Ziel zu nützen.
Die unterzeichneten Bundesräte richten daher an den Bundesminister für Justiz nachstehende
Anfrage:
1. Welche Schritte wurden von der Staatsanwaltschaft seit dem Einlangen der Anzeige
gesetzt?
2. Wann ist mit einer Antragstellung seitens der Staatsanwaltschaft zu rechnen?
3. Haben Sie sich über die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft in diesem Fall berichten
lassen und/oder beabsichtigen Sie das zu tun?
4. Sind Sie bereit, gegebenenfalls für eine möglichst rasche Stellung eines
Auslieferungsantrags zu sorgen?