2068/J-BR/2003 BR. GP
Eingelangt am 15.05.2003
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möglich.
DRINGLICHE ANFRAGE
gem. § 61 Abs. 3 GO/BR
der Bundesräte Prof. Konecny
und GenossInnen
an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur
betreffend Bewahrung der kulturellen und religiösen Vielfalt in Österreich - Gewalt mit
Worten und die Verwendung von Antisemitismen gefährden die innere Sicherheit und
Demokratie in Österreich
Die religiöse, kulturelle und
gesellschaftliche Vielfalt ist immer einer der wesentlichsten
Bestandteile der österreichischen Gesellschaft gewesen, die sich durch die
österreichische
Geschichte und der traditionellen Brückenfunktion Österreichs innerhalb
Europas, aber auch
durch die Anziehungskraft Österreichs für die unterschiedlichsten
Gruppen und Individuen,
ergeben hat. Die Stellung Österreichs in Wissenschaft und Kunst ist ein
deutliches Ergebnis
dieses fruchtbaren Zusammenlebens.
Die Geschichte Österreichs hat jedoch nicht nur diese
positiven und von uns allen so gerne
akzeptierten Seiten, sondern auch jene, die uns eine besondere Verantwortung
auferlegen. Die
kulturelle und religiöse Vielfalt ist aufgrund der nationalsozialistischen
rassistischen
industriell betriebenen Ausrottung ganzer ethnischer bzw. religiöser Gruppen
nicht mehr in
jenem Umfang selbstverständlich gegeben, der noch am Anfang des 20.
Jahrhunderts fraglos
die österreichische Gesellschaft prägte. Daher haben wir nicht nur eine
moralische, sondern
auch eine geschichtliche Verantwortung wahrzunehmen, um die
österreichische Tradition
nicht eines ihrer wesentlichen Bestandteile zu berauben.
Um diese Tradition weiter zu leben und als integralen
Bestandteil unserer Gesellschaft zu
erleben, muss sichergestellt werden, dass Minderheiten, anders Denkende und
anders Lebende
in unserer demokratischen Gesellschaft unangegriffen, ohne verstärkte oder
offenen verbalen
Angriffe diese Vielfalt ausleben können. Gerade aus der österreichischen
Geschichte wissen
wir, dass Gewaltausübung in mehr als nur einer Form gesetzt werden kann.
Allen müssen
bereits die Erkenntnis gekommen sein, dass Gewalt nicht nur mit Taten
sondern auch durch
Worte gesetzt werden kann. Gerade „gewisse Worte" gefährden die
Demokratie auf das
Äußerste. Leichtfertige Wortspiele, die Antisemitismen beinhalten,
Erklärungen, die
halbherzig oder zu spät abgegeben werden und dadurch verharmlosen sind die
wahren Täter
gegenüber der österreichischen Demokratie.
Seit einiger Zeit wurde vom Präsidenten der
Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant,
immer wieder auf die existenzgefährdende finanzielle Situation der
Kultusgemeinde
aufmerksam gemacht. Auf Grund des konsequenten Nicht-Reagierens von
Regierunsseite war
nun die Kultusgemeinde gezwungen, einen nicht zu überhörenden Hilferuf an die
Regierung
zu richten. Die finanzielle Notsituation der Kultusgemeinde begründet
sich nicht nur auf den
hohen Kosten für - und dies ist wohl ein beschämendens Zeugnis menschlichen
Unvermögens ein Miteinander zu leben - Sicherheitsmaßnahmen, sondern auch - und
dies ist
ein beschämendes Zeugnis des Un-Menschlichen - hohen Kosten für
Friedhofserhaltungen.
Beides muss in voller Höhe von der Kultusgemeinde getragen werden und
verursacht
zwangsweise nicht zu bewältigende finanzielle Verpflichtungen. Hinzu
kommen die sozialen
Hilfsmaßnahmen für die jüdischen Emigranten, die ebenfalls von der
Kultusgemeinde
abgedeckt werden müssen.
Auf Grund der österreichischen Geschichte
ergibt sich ein erhöhtes Verantwortungspotential,
das leider in Zeiten Stadler'scher Reden, burschenschaftlicher Trauerfeiern am
Heldenplatz
und dem Salonfähigmachen der Meinung, der Vergangenheitsbewältigung habe
man genug
Zeit und Geld gewidmet, mehr und mehr zurückgedrängt und durch gleichgültiges
Aufrechnen von Opferzahlen ersetzt wird.
Vergessen wird dabei nicht nur auf die
Opfer, das Leid der Millionen, die Lebenseinbrüche,
Demütigungen und Erniedrigungen, sondern auch auf den finanziellen Aderlass der
Kultusgemeinde und ihrer Mitglieder
Seit 1995 kämpft die Israelitische
Kultusgemeinde erfolglos um Restituierung und
Entschädigung ihres geraubten und zerstörten Eigentums. Sie kämpft seit Beginn
der Zweiten
Republik nicht nur gegen das Unverständnis gegenüber ihren Ansprüchen,
sondern auch
gegen antisemitischen Stereotype, und die darauf begründete
Verweigerung solidarischen,
gerechten und rechtsbilligen Verhaltens.
Trotz der vielfältigen Maßnahmen, die in den letzten
Jahrzehnten gesetzt wurden, um die
Geschichte aufzuarbeiten und einen Sensibilisierungsprozess einzuleiten, der
das Vestehen
und damit auch das Verständnis ermöglicht, hat die - vom damaligen
Bundeskanzler
Vranitzky erstmals bekundeten Schuldübernahme für Vertreibung,
Erniedrigung und dem
Mord an Millionen jüdischer ÖsterreicherInnen noch immer nicht den
notwendigen
Niederschlag im breiten Selbstverständnis der Bevölkerung und der
Entscheidungsträger
gefunden. Noch immer muss die Israelitsiche Kultusgemeinde gegen den
alltäglichen Unbill
kämpfen. Die Einsicht der Sonntagsreden ist nicht jene der
Wochentags-Entscheidungen.
Die österreichische Bevölkerung und Regierung ist nun, auf Grund der nicht mehr
unüberbrückbaren finanziellen Notlage aufgefordert, längst fällige Schritte zu
setzen und
damit der Israelischen Kultusgemeinde das Überleben zu sichern. Hier
sind vor allem die
Restitution und Entschädigung des Eigentums der Israelitischen
Kultusgemeinde, die
Förderung der Erhaltungsmaßnahmen für die jüdischen Friedhöfe, die teilweise
Abdeckung
der hohen Sicherheitskosten zu nennen.
Aus diesen angeführten Gründen richten die
unterzeichneten Bundesräte daher an die
Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur nachstehende
Anfrage:
1. Welche Maßnahmen werden Sie als zuständiges Mitglied der Bundesregierung
unternehmen, um die Existenz der Israelitischen
Kultusgemeinde in finanzieller Hinsicht
zu gewährleisten?
2. Welcher zeitliche Rahmen wird
dabei angestrebt, um die finanzielle Notlage der
Israelitischen Kultusgemeinde so rasch als möglich zu entspannen?
3. In welcher Höhe werden die finanziellen Hilfsmaßnahmen sein?
4. Welche Schritte werden von Ihnen
bzw. der Bundesregierung gesetzt werden, um die
Förderung der Erhaltungsmaßnahmen der jüdischen Friedhöfe zu installieren und
abzusichern?
5. Welche Schritte werden Sie
setzen, um die teilweise finanzielle Abdeckung des hohen
Sicherheitsaufwandes zum Schutz jüdischer Einrichtungen zu ermöglichen?
6. In welchem zeitlichen Rahmen wird
mit Restitutionsmaßnahmen hinsichtlich des
Eigentums der Israelitischen Kultusgemeinde gerechnet werden können, bzw.
werden
hierbei Schritte gesetzt, um diesen Vorgang zu beschleunigen?
Unter einem wird gem. § 61 Abs. 3 verlangt, diese Anfrage
vor Eingang in die
Tagesordnung dringlich zu behandeln.