2769/J-BR/2010
Eingelangt am 22.07.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
von Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum, Freundinnen und Freunde
an BM Nikolaus Berlakovich
betreffend
unverantwortliches Sicherheitsrisiko durch
geplante Laufzeitverlängerung der
deutschen Atomkraftwerke
Die unterfertigten BundesrätInnen stellen daher folgende
ANFRAGE:
Die Diskussion über eine Verlängerung der Laufzeit deutscher Atomkraftwerke ist in
unserem Nachbarland in vollem Gange. Im September soll ein
Gesetzesentwurf
vorgelegt werden, der eine Verlängerung
der geplanten Betriebszeiten deutscher
AKWs um kolportierte 15 Jahre vorsieht!
Obwohl die Österreichische Bevölkerung
von den Risken einer solchen Entscheidung direkt betroffen wäre,
ist von aktiven
Diskussionsbeiträgen oder bilateralen Aktivitäten
der österreichischen
Bundesregierung zu diesem Thema nichts zu hören.
Eine aktuelle Studie des Büros für
Atomsicherheit im Auftrag der Deutschen Grünen[1]
kommt zum Schluss, dass kein heute in Betrieb befindliches
Kernkraftwerk in
Deutschland dem Sicherheitsstandard entspricht, der spätestens
seit 1994 (!) nach
Stand der Wissenschaft und Technik für neue
Anlagen zu Grunde gelegt werden
müsste. So
liegt auch für
keine der in Betrieb befindlichen Anlagen ein aktueller
Nachweis zur Beherrschung einer Kernschmelze vor - ein aus österreichischer
Sicht
höchst
relevanter Umstand, der schon längst die österreichische Bundesregierung zu
forschem Eintreten gegen den Weiterbetrieb der Kernanlagen hätte
veranlassen
müssen. In diesem Zusammenhang müsste
ein Weiterbetrieb der Kernanlagen
schon längst von Österreich
kategorisch abgelehnt werden!
Der Verfasser dieser Studie, Wolfgang Renneberg, ist als
ehemaliger Abteilungsleiter
für Reaktorsicherheit des deutschen
Bundesumweltministeriums ein unbestrittener
Experte im Bereich der Deutschen AKWs. Nach seinen Aussagen sind die
Sicherheitsnachweise der deutschen Kernkraftwerke veraltet und die
Störfallsicherheit durch Dokumente belegt, die
zum Teil älter als dreißig
Jahre sind.
Eine aktuelle Sicherheitsbewertung dieser AKWs einschließlich
einer Überprüfung
der alten Sicherheitsnachweise nach
aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik
liegt nicht vor.
Neckearwestheim I und Biblis A eine bis zu viermal höhere jährliche
Ereignisrate als
die neueren AKWs Neckarwestheim 2 und Emsland!
Es ist ganz einfach und logisch nachvollziehbar, dass
allein aufgrund der Belastung
der Komponenten der AKWs Risken nach 30-40 Jahren Betrieb massiv ansteigen.
Jedes Bauteil versagt mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit im
Lauf der Zeit
(Ausfallsrate). Dass diese Wahrscheinlichkeit mit fortschreitender Alterung des
Bauteils steigt, ist statistisch belegt und
logisch nachvollziehbar. Dazu kommen die
Veralterung der Anlagenkonzepte und
der Dokumentation - und nicht zuletzt auch
des Personals. Das Risiko einer Laufzeitverlängerung
ist daher It. Renneberg
weitaus höher einzuschätzen
als das Risiko bei Neubauten von AKWs (für
welche
auch Nachweise im Bewilligungsprozess gefordert sind, die, wie dargestellt, für
Bestandsanlagen nicht vorliegen).
Dieses
erhöhte Risiko, welchem somit auch Österreich
massiv ausgesetzt sein
würde, würde die
deutsche Bundesregierung mit dem Beschluss einer
Laufzeitverlängerung in
Kauf nehmen. Zum Schutz der österreichischen Bevölkerung
ist es daher dringend notwendig, dass die Österr.
Bundesregierung alle möglichen
Schritte unternimmt, um diese Laufzeitverlängerung
zu verhindern!
Laut der, von der Österreichishen
Bundesregierung hochgerühmten EU-
Nuklearsicherheitsrichtlinie, sind die Betreiberstaaten
angehalten, das jeweils
höchste Niveau an nuklearer Sicherheit zu gewährleisten.
Im Lichte der
Ausführungen des deutschen Büros
für Atomsicherheit scheint sich die deutsche
Bundesregierung hierum keinen Deut kümmern zu
wollen und die Österreichische
Bundesregierung sekundiert dies durch ihr Schweigen und ihre Untätigkeit.
Die o.a. Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Wann und in
welcher Form haben Sie, als zuständiger Österreichischer
Bundesminister,
gegen die
Laufzeitverlängerung deutscher AKWs interveniert?
a. Auf bilateraler Ebene
b. Auf EU-Ebene
2.
Beabsichtigt die Österr. Bundesregierung im Rahmen des
EU-Notifikationsverfahrens zu
einem in Rede
stehenden neuen dt. Atomgesetz (Laufzeitverlängerung) eine harsche
Position abzugeben?
3.
Wann und in welcher Form wird der österreichische
Bevölkerung bei einer Entscheidung
über
eine Laufzeitverlängerung deutscher AKWs ein Recht auf Stellungnahme -
vergleichbar mit einem UVP-Verfahren für neue AKWs eingeräumt?
a.
Wie werden Sie dieses Mitspracherecht der Österreichischen Bevölkerung auf
bilateraler bzw. auf EU-Ebene einfordern?
4.
Wie bewerten Sie die Aussagen des ehemaligen Leiters der Abteilung
Reaktorsicherheit
des dt.
Bundesumweltministeriums, Dr. Renneberg, bezüglich der Nachweisdefizite zu
allen in Betrieb befindlichen deutschen Kernanlagen?
5.
Über welche Kenntnisse, Berichte und eigene Expertisen zu den
Sicherheitsdefiziten dt.
Kernanlagen
verfügt das BMLFUW im Allgemeinen?
6. Über
welche Kenntnisse, Berichte und eigene Expertisen zu den Sicherheitsdefiziten
dt.
Kernanlagen
verfügt das BMLFUW im besonderen zu:
a. Biblis A (Baujahr 1975)
b. Biblis B (Baujahr 1977)
c. Neckarwestheim I ( BJ 1976)
d. Unterweser (BJ 1978)
e. Brunsbüttel (BJ 1977)
f. Krümmel(BJ 1984)
g. Isar I (BJ 1979)
h. Phillipsburg I (BJ 1980)
7.
Wurden vom
BMLFUW Studien /Expertisen zur Sicherheit der deutschen AKWs
beauftragt, erstellt und abgenommen? Wenn
ja - bitte um chronologische Anführung.
8.
Welche Studien, Expertisen etc. liegen dem BMLFUW vor, die eine
Risikobewertung der
unter Frage 6 angeführten Kernanlagen unter besonderer
Berücksichtigung von Szenarien
schwerer Unfälle
mit grenzüberschreitenden Auswirkungen auf Österreich beinhalten?
9.
Wie schätzt das BMLFUW nach aktuellstem Kenntnisstand das
Ausmaß der Bedrohung
Österreichs
durch den angepeilten Weiterbetrieb dt. Kernanlagen jeweils für die unter
Frage 6 angeführten Anlagen ein?
10.
Da nach dem
geltenden dt. Atomgesetz die Betreiber der unter Frage 6 angeführten
Kernanlagen bekannte Stillegungstermine gewärtigen mussten, haben sowohl
die
Betreiber, als auch die einschlägigen
Aufsichtsbehörden nicht den aktuellsten Stand der
Sicherheitstechnik für die Anlagen vorgeschrieben. Im Zuge der aktuellen
Debatte sind
nun Nachrüstungserfordernisse erforderlich, die jedoch (sofern
überhaupt möglich) erst
einer neuen Planung und Bewilligung bedürfen. Dadurch erhöht
sich bis zur
Implementierung der angedachten Nachrüstung das Risiko nochmals,
insbesondere bei
jenen Anlagen, deren Abschaltung in den kommenden Jahren anstehen würde.
Wie
beurteilen Sie diesen Umstand aus Sicht des Schutzes der Österr.
Bevölkerung?
11.
Welche
Defizite aus dem heutigen Stand der Technik und Wissenschaft, sowie auch
gemäß den
Bestimmungen des dt. Atomgesetzes sind dem BMLFUW für die, unter Frage
6 angeführten,
Anlagen bekannt?
12.
Welche Nachrüstungserfordernisse hält das BMLFUW für
die unter Frage 6 angeführten
Kernanlagen jeweils
spezifisch aus österreichischer Sicht für unbedingt notwendig?
a. Nach welcher Expertise erfolgt diese Einschätzung?
13. Aufgrund der in Diskussion
stehenden Laufzeitverlängerung alter Kernanlagen erhöht
sich
auch nach Meinung von
Dr. Renneberg das Risiko schwerer Unfälle. Daher ist in diesem
Zusammenhang auch die Frage der Deckung von Schäden schwerer Unfälle
durch
Betreiber und Betreiberstaat neu zu stellen. In welcher Höhe haften die
Betreiber der u.a.
AKWs im Falle eines Unfalles mit grenzüberschreitender Auswirkung auch
für Schäden
in Österreich (Haftungssummen und Prämien zu folgenden Anlagen)?
a. Biblis A
b. Biblis B
c. Neckarwestheim I
d. Unterweser
e. Brunsbüttel
f. Krümmel
g. Isar I
h. Phillipsburg I
14.
Wie beurteilen Sie die Bestimmungen im dt. Atomgesetz, wonach nur eine
Höchstsumme
von 2,5 Mrd. Euro von
den Betreibergesellschaften sicherzustellen ist, jedoch ein
schwerer Unfall mit massiver Freisetzung aufgrund der hohen
Bevölkerungsdichte weit
höhere Schäden zur Folge haben könnte?
15. Wie
beurteilen Sie die Inaktivität der dt. Bundesregierung
bezüglich einer Wertanpassung
der Haftungssummen
der Betreiber, bzw. die Tatsache, dass die lt. dt. Atomgesetz
vorgesehenen periodischen Revisionen der
Haftungssummen bislang unterlassen wurden?
16. Haben Sie in der Diskussion um die
Laufzeitverlängerung
die Anpassung der
Haftungssummen deutscher AKWs an die
erhöhten Risken durch veraltete AKWs
gefordert? Wann und wo haben Sie diese Forderung eingebracht?
17.
Welche Haftungssummen wären bei einer
Laufzeitverlängerung um 15 Jahre angebracht
und in welcher Form
haben Sie dies vor allem auch in den Foren auf EU-Ebene,
insbesondere beim EU Umweltministerrat, in den Ratsarbeitsgruppen, im Rahmen
der
NEA und der IAEA wann zur Sprache gebracht?
18.
Beabsichtigen sie, vor oder nach der Vorlage von Erstentwürfen
von Regierungsvorlagen
der dt.
Bundesregierung betreffend die Laufzeitverlängerung politische
Konsultationen
einzufordern? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt? Wenn nein, warum nicht?
19.
Gemäß dem Beschluss der LandesumweltreferentInnenkonferenz vom
Juni 2010 sind Sie
aufgefordert, speziell betreffend der Anlage Isar 1 tätig zu werden.
Welche Aktivitäten hat
das BMLFUW seit
Beschlussfassung durch die LURK bis zum heutigen Datum explizit
unternommen?
20.
Haben Sie, um den LURK-Beschlüssen vom Juni 2010 zu
entsprechen, um die Einleitung
von Beamten- bzw.
Expertengesprächen auf Basis des geltenden bilateralen
Nuklearinformationsabkommens mit Deutschland in Deutschland bereits angefragt?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja: Wann werden diesbezüglich erste Gespräche stattfinden?
c. Wenn ja: In welcher Form beabsichtigen Sie
diesbezüglich
den National- und
Bundesrat über den Verlauf, Inhalt und
Ergebnis dieser Gespräche zu informieren?