2819/J-BR/2011
Eingelangt am 14.04.2011
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möglich.
Anfrage
Der BundesrätInnen Kerschbaum, Kickert und Dönmez
an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
betreffend Atomhaftpflicht und Wettbewerbsverzerrung
Dass die Haftungssummen der einzelnen AKW
Betreiber bzw. Betreiberstaaten bei
weitem nicht ausreichen, um mögliche
Unfallschäden mit grenzüberschreitenden
Auswirkungen zu decken, zeigt sich derzeit in dramatischer Weise in Japan. Wie
aktuellen Pressemeldungen zu entnehmen ist, fordern Sie derzeit, neben den
angekündigten „Stresstests“
für
europäische
AKWs eine „europaweit harmonisierte
Nuklearhaftung“.
Die Atomhaftungskonventionen[1] gewährleisten
zur Zeit weder eine ausreichende
Prävention
für
die durch den Betrieb von Atomanlagen verursachten Umweltrisiken,
noch eine angemessene Sanierungsverpflichtung für
eingetretene Schäden. Die
Herausnahme der Atomanlagen aus einer
umfassenden Haftpflichtversicherung stellt
daher ein sachlich nicht gerechtfertigtes Privileg dieses Wirtschaftszweiges
dar. Dies
wurde auch durch eine Präsentation
anlässlich der ECOSA-Conference vom 21.
April 2005 unterstrichen. Der Mitarbeiter der Europ. Kommission, Christian
Kirchsteiger, wies darauf hin, dass sowohl die Kernkraftwerksbetreiber, als
auch die
einzelnen Staaten innerhalb der Europäischen
Union sehr unterschiedlichen
Haftpflichtregelungen unterworfen sind.
Studien im Auftrag der Europäischen
Kommission kommen zu der Schlussfolgerung,
dass die bislang nicht internalisierten Kosten möglicher
schwerer Unfälle, einem
Mehrfachen der derzeitigen Erzeugungskosten entsprechen. So muss auf folgende
Schlussfolgerungen aus einer einschlägigen
Studie aus 2003 hingewiesen werden:
„To
understand these effects, the current price of 2.5 c€/kWh nuclear
power and the
elevated price (including the calculated premiums) of 7.5 c€/kWH
should be
compared by with current prices for electricity generated by other means. The
average price of electricity ranges from 4 to 5 c€/kWh
with new modern coal or gas
powered plants in a Iower range of about 3.2 c€/kWh
to 5.1 c€/kWh. Compared to
the above-calculated 7,5 c€/kWh,
nuclear power would become extremely
uneconomic and be replaced by any of the aforementioned energy sources[2].“
Die,
im Auftrag von Greenpeace 2010 erstelllte, Studie des Forums für
ökologisch-
soziale Marktwirtschaft „Staatliche
Förderungen der Atomenergie“ stellt fest:
„Die für
die öffentlichen Haushalte
budgetwirksamen Förderungen
betragen im Zeitraum bis
2010 143,2 Mrd. €
nominal bzw. 194,9 Mrd. € in Preisen 2010 (siehe Summe 1 in der
Tabelle). Pro Kilowattstunde Atomstrom1 entspricht dies
einer durchschnittlichen
Förderung von 4,3 Ct/kWh real in
Preisen 2010“. Die notwendige Preiserhöhung
bei
allein durch reelle Haftungssummen beziffert die Studie mit 0,326 ct/kWh.
Gemäß § 30 Atomhaftungsgesetz[3]
hat die Bundesregierung dem Nationalrat alle drei
Jahre über die Entwicklung der
internationalen Haftungsinstrumente für
Atomschäden, insbesondere über
das Ausmaß der auf internationaler Ebene zur
Verfügung stehenden Entschädigungsbeträge,
Bericht zu erstatten.
In den bisher vorliegenden Berichten findet sich kein Hinweis darauf, welche
Aktivitäten die Österr.
Bundesregierung gesetzt hat, um die Wettbewerbsverzerrung
zugunsten der Atomkraft aufgrund von
unterversicherten Kraftwerken zu bekämpfen.
Da
diese Wettbewerbsverzerrung zuletzt durch den Emissionshandel (die nicht
unerheblichen CO2-Emissionen des
Uran-Abbaus und der Aufbereitung werden den
AKWs ja nicht zugerechnet) noch verstärkt
wurde, wäre eine Anpassung der
Haftungssummen an die Realität, die
derzeit leider in Japan sichtbar wird, daher
dringend einzufordern!
Die unterfertigten BundesrätInnen stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Welche Schritte haben Sie in ihrer Amtszeit unternommen, um die
Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Atomkraft aufgrund der
niedrigen
Haftungssummen und fehlenden Vorsorge für
Endlagerkosten zu bekämpfen?
2. Welche
Studien hat das BMLFUW in Auftrag gegeben, um diese
Wettbewerbsverzerrung zu belegen? Zu
welchen Ergebnissen kommen diese
Studien?
3. Wie beurteilen Sie den Vorstoß von
EU-Kommissar Öttinger
zur Harmonisierung
der Haftung für
Atomkraftwerke?
4. BMin
Berger führte in ihrer Anfragebeantwortung
2393/AB-BR/2008 aus: „Der
Europäischen Union fehlt bislang die
Zuständigkeit auf dem Gebiet der
Atomhaftung, so dass im Rat, in dem allein
die Regierungen vertreten sind, keine
Entscheidungen getroffen wurden und werden konnten.“
Kann sich aufgrund dieser Bemühungen eine
Zuständigkeit
der EU für
die
Atomhaftung in Europa ergeben und unter welchen Umständen?
5. Lt.
Pressemeldungen sollen dieser Arbeitsgruppe Kraftwerksbetreiber,
Versicherer und internationale
Organisationen angehören. Sind AKW-kritische
Länder
und Organisationen in dieser Arbeitsgruppe mit eingebunden? Wenn ja,
welche? Wenn nein, werden Sie diesbezüglich beim Kommissar intervenieren?
6. Ist Österreich in diesen Arbeitskreis mit eingebunden? Wenn
ja - welche
Ministerien werden welche Beamte entsenden?
7. Lt.
Energiekommissar Öttinger sollen die von Ihnen geforderten „Stresstests“
noch heuer durchgeführt werden.
Geplant ist die Umsetzung auf freiwilliger Basis,
nach allgemein anerkannten Regeln und unter Aufsicht unabhängiger
Experten.
Ist diese Ankündigung für Sie
ausreichend?
a. Welche „allgemein
anerkannten Regeln“ existieren für die Sicherheit von
Atomkraftwerken?
b. Welche „unabhängigen
Experten“ könnten
diese Stresstests überwachen?
Wie weit kann die Unabhängigkeit
von Experten im Hinblick auf immer
häufiger auftauchende Meldungen z.B. des
deutschen TÜV und dessen
Abhängigkeit von Deutschen Atomstromproduzenten
garantiert werden?
8. Wie
schätzen Sie die Sicherheit der, von Global2000
in der Atomausstiegs-
Resolution angeführten „Risikoreaktoren“[4]
ein? Wozu dienen Stresstests für
Atomkraftwerke, wenn sich daraus keine
Verpflichtung zur Abschaltung ergibt?
9. Wie viel Zeit werden diese „Stresstests“
beanspruchen und damit die
Ausstiegsdiskussion verzögern?
[1] Pariser Übereinkommen
1982 ("Übereinkommen vom 29.7.1960 über
die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der
Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des
Protokolls vom 16. November 1982" dBGBI
1985 II 964); Brüsseler Zusatzprotokoll 1982
("Zusatzübereinkommen vom 31.1.1963 zum Pariser Übereinkommen
vom
29.7.1960 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des
Protokolls vom 16. November 1982" dBGBI 1985
II 970);
Wiener Übereinkommen
1963 ("Convention on Civil Liability for Nuclear Damage" vom
21.5.1963, IAEA INFCIRC/500);
Gemeinsames Protokoll 1988 („Joint
Protocol relating to the application of the Vienna Convention and the Paris
Convention"
vom 21.9.1988, IAEA INFCIRC/402); Entschädigungsmit-telübereinkommen
1997 („Convention on Supplementary
Compensation for Nuclear Damage" vom 12.9.1997, IAEA INFCIRC/567); Brüsseler
Seetransport-Übereinkommen
(„Convention Relating to Civil Liability in the
Field of Maritime Carrige of Nuclear Material" vom 17.12.1971, 944 UNTS 255,
IAEA, Legal Series No 4 (Revised 1976 Edition) 55 ff), Brüsseler
Reaktorschiffs-Übereinkommen 1962 („Convention
on the
Liability of Operators of Nuclear Ships" vom 25.5.1962, IAEA, Legal Series
No 4 (Rev 1976 Ed) 34 ff; Wiener Zusatzprotokoll
1997 („Protocol to amend the Vienna Convention on Civil Liability for
Nuclear Damage" vom 12.9.1997, IAEA
INFCIRC/566).
Änderungsprotokolls zum Pariser Übereinkommen
1982 zur Diskussion (NEA/LEG/CPPC(98)10/FINAL)
[2] Environmental harmful support measures in EU Member States B.A. Leurs, R.C.N. Wit (CE, Delft), G.A. Harder, A. Koomen,
F.H.J. Kiliaan (Ernst & Young Rotterdam), G. Schmidt
(Öko Institut, Darmstadt) Report for the DG Environment of the
European Commission, Delft, January 2003
[3]
Am 1. Jänner 1999 trat das
Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für
Schäden durch Radioaktivität
(Atomhaftungsgesetz 1999 - AtomHG 1999, BGBl Nr. I 170/1998) in Kraft und ersetzte damit das
aus den 60er
Jahren stammende Atomhaftpflichtgesetz. Das Gesetz regelt die
zivilrechtliche Haftung für Schäden,
die durch
ionisierende Strahlung von Kernanlagen,
Kernmaterial oder Radionukliden an Menschen oder Sachen verursacht
werden.
Das AtomHG 1999 sieht ein unterschiedliches
Haftungsregime für
Betreiber von Kernanlagen und Beförderer von
Kernmaterial einerseits sowie für
die Verwendung von Radionukliden andererseits vor. Die einschlägigen
Bestimmungen stimmen allerdings nicht mit
internationalen Atomhaftungskonventionen überein. Durch
diesen nationalen Alleingang ist also, wie
auch die Erläuterungen
zum Gesetz ausführen,
die effektive
Erlangung von Entschädigungen
mangels Sicherstellung der Durchsetzung nicht gewährleistet.
[4] Die fünf deutschen Siedewasserreaktoren Brunsbüttel, Krümmel, Isar 1 und Philippsburg 1,
Grundremmingen (ähnlich dem Typ
Fukushima ). Ebenso die Schweizer AKW Leibstadt und Mühleberg,
beides ebenfalls veraltete Siedewasserreaktoren.
Alle AKW in Erdbebengebieten (dazu zählen u.a. das AKW Krsko in
Slowenien und das AKW
Neckarwestheim in Baden-Württemberg).
Alle AKW ohne Schutzhülle (kein Containment =
Stahlschutzhülle): Dazu zählen u.a. die grenznahen AKW
Mochovce, Dukovany, Paks, Bohunice)
Alle Atomkraftwerke, die entweder älter als 30 Jahre sind
bzw. schwerwiegende Sicherheitsmängel
aufweisen. Dazu zählen u.a.
die vier deutschen AKW Biblis A und B (Betriebsstart 1974 und 1976),
Neckarwestheim 1 (1976) und Unterweser
(1978), aber auch AKW in Großbritannien (insbesondere Wylfa,
Oldury und Sellafield), Frankreich (insbes. Blayais, Bugey, Dampierre, Fessenheim,
St-Laurent), Belgien (Doel,
Tihange) und den Niederlanden (Borssele). Keines dieser AKW ist
ausreichend gegen Erdbeben,
Flugzeugabstürze oder Terroranschläge geschützt. Insbesondere
die AKW in Osteuropa weisen gravierende
Sicherheitsmängel auf.