3833/J-BR/2021
Eingelangt am 09.02.2021
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möglich.
Anfrage
der BundesrätInnen Doris Hahn MEd MA,
Genossinnen und Genossen,
an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Integration im Bundeskanzleramt
betreffend Entschließung des Bundesrates zur täglichen Bewegungs- und Sporteinheit
Am 16. Juli 2020 wurde im Bundesrat auf Initiative der SPÖ ein Entschließungsantrag beschlossen, in dem die Umsetzung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheit in Österreichs Schulen gefordert wurde.
Konkret heißt es in der Beschlussformel:
„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, der Bundesminister für Kunst, Kultur, Öffentlicher Dienst und Sport und der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz werden ersucht, gemeinsam mit den Bundesländern und dem organisierten Sport Bewegungsinitiativen in den Kindergärten und Schulen weiterhin zu fördern und die flächendeckende Umsetzung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheit in allen Kindergärten und Schultypen voran zu treiben.
Die Umsetzung einer Gesamtstrategie für eine tägliche Bewegungs- und Sporteinheit in allen Kindergärten und Schultypen ist auch ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung unserer Gesellschaft und wird positive Folgewirkungen vor allem für das Gesundheits- und Sozialsystem sowie die Motivierung von Kindern und Jugendlichen für den Leistungs- und Spitzensport haben.
Die Bundesregierung wird aufgefordert eine Gesamtstrategie auszuarbeiten, die auch die Öffnung von Freizeitanlagen und von der öffentlichen Hand errichtete und geführte (Schul-) Sportanlagen beinhaltet, damit diese vor allem Kindern und Jugendlichen ganzjährig zur Verfügung stehen. Zwischen Kindergarten, Schule und dem organisierten Sport mit seinen Verbänden und Vereinen ist eine aktive, wertschätzende Partnerschaft weiter auszubauen. Für die Durchführung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheiten sollten der Zugang für ÜbungsleiterInnen, Trainerinnen bzw. Bewegungscoaches an Kindergärten und schulischen Einrichtungen erleichtert und bürokratische Hürden abgebaut werden.“
Nun ist es klar, dass auf Grund der aktuellen pandemischen Situation und der damit einhergehenden Schließung der Schulen es die entsprechende tägliche Bewegungs- und Sporteinheit nicht wie vorgesehen geben kann. Die Zeit jedoch ungenutzt verstreichen zu lassen, obwohl gerade jetzt Vorsorge getroffen werden könnte, wäre jedoch fatal und nicht im Sinne der Kinder und Jugendlichen in unserem Land.
Zudem stellt sich ja auch die Frage, inwieweit durch fehlende Sportangebote aber auch durch Home Schooling und Distance Learning die körperliche aber auch die psychische Gesundheit von Kindergartenkindern und SchülerInnen beeinflusst wurde und welche Maßnahmen für die nächsten Monate angedacht sind.
Schon im Dezember konstatierte der Bundeskoordinator für Bewegung und Sport in Österreich, der Physiotherapeut Gernot Schweizer, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die Frage, ob sich Kinder und Jugendliche zu wenig bewegen: „Aus der Praxis wie auch als Bundeskoordinator für Bewegung und Sport in Österreich muss ich klar sagen: ja. Und die Corona-Pandemie hat die Situation noch mal dramatisch verschlechtert. Mir macht vor allem Sorge, dass diese Entwicklung jetzt gerne auf die Corona-Zeit geschoben wird. Dabei hatten wir davor schon einen desaströsen Zustand in Sachen Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen. Nach ersten Zahlen hatten wir zwar in der ersten Lockdown-Phase, von März bis Mai, bei denen, die schon immer Sport getrieben hatten, eine Bewegungssteigerung von durchschnittlich 15 Prozent. Bei den anderen aber hatten wir zum großen Teil eine Bewegungseinschränkung. Der Alltagsbewegungsbereich ist im Lockdown noch einmal enorm gesunken.“[1]
Das scheint auch dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz schon seit längerem bewusst zu sein, skizziert es genau diesen Umstand, nämlich, dass Kinder und Jugendliche unter Bewegungsmangel leiden, auch in einem Paper aus dem Juli 2020 mit dem Titel „Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während der Coronapandemie“. Darin heißt es unter anderem: „[…] Durch zeitweise geschlossene Spielplätze, geschlossene Sportanlagen und mangelnden gefahrenlosen Freiraum in der Stadt, haben Kinder und Jugendliche deutlich weniger Möglichkeiten sich körperlich zu betätigen. Hinzu kommt, dass viele Kinder und Jugendliche während des Home-Schoolings und der Ausgangsbeschränkungen/ Kontaktbeschränkungen sicherlich verstärkt verschiedene Medien (Internet, Fernsehen, Spiele) nutzen, was potenziell Auswirkungen auf ihre Gesundheit sowie indirekt auf die Eltern-Kind-Beziehung hat (da es hier häufiger zu Konflikten kommen kann).“[2]
Ebenfalls in diesem Papier findet sich die Erkenntnis, dass Kinder zu den besonders vulnerablen Gruppen zählen und somit besondere Unterstützung bräuchten, um gesund durch die Krise zu kommen. Hier brauche es auch entsprechende Anlaufstellen, von der aufsuchenden Beratung über spezielle Hotlines bis hin zur stationären Jugendhilfe, die weiter ihren wichtigen Aufgaben nachgehen sollen. Es gehe darum den „niederschwelligen Zugang zu Versorgungsangeboten im Bereich der psychischen Gesundheit sicher[zu]stellen“. Dass diese Absichtserklärung aus dem Juli 2020 nicht Realität geworden ist, wurde erst unlängst sichtbar: Das AKH schlug Ende Jänner 2021 Alarm, nachdem die Kinder- und Jugendpsychiatrie an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen war.[3] Ähnliches gab der Leiter der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg gegenüber dem ORF bekannt und erklärte, man hätte sogar Kinder und Jugendliche abweisen müssen – und das in einer psychischen Notsituation.[4]
Wenige Tage später, am 31. Jänner 2021, formulierte es der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie des AKH Univ.-Prof. Dr. Paul Plener in einem Interview mit der Kronenzeitung drastisch: „Wir haben nach mehr als einem Monat Lockdown eine deutliche Zuspitzung akuter Fälle. Kinder und Jugendliche befinden sich vermehrt in sehr schwerwiegenden depressiven Krisen. Viele verspüren den Wunsch, nicht mehr zu leben. Sie haben Selbstmordgedanken oder schon Selbstmordversuche verübt. Auch Essstörungen nehmen zu. Und das ist erst der Anfang.“[5]
All diese Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass es gerade im Bereich der Bildungseinrichtungen aber auch generell im Umgang mit der Krise besonders bei den Kindern und Jugendlichen und bei deren Versorgung mit dringend notwendigen Angeboten massive Probleme gibt, die man hätte verhindern können. Insbesondere deshalb stellen sich mit Blick auf die nächsten Monate zahlreiche Fragen, die uns nicht wichtig genug sein können, geht es doch um die ganzheitliche Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen.
Um Antworten auf diese drängenden – und mit Blick auf die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen unglaublich wichtigen – Fragen zu erhalten, stellen die unterfertigten BundesrätInnen folgende
Anfrage
1) Wurden von Ihnen oder Ihrem Ministerium Maßnahmen zur Umsetzung der Entschließung des Bundesrates vom 16. Juli 2020 gesetzt?
a. Wenn ja, welche konkret?
b. Wenn ja: Welche Ressourcen sind dafür vorgesehen? (Finanzielle Ressourcen, Stunden in den Stundentafeln der unterschiedlichen Schultypen, „LehrerInnenstunden“)
c. Wenn ja: Bis wann ist mit einer Umsetzung der Entschließung des Bundesrates zu rechnen?
d. Wenn nein: Warum nicht?
2) Gab es zwischen Ihrem Ministerium und den anderen adressierten Ministerien bereits konkrete Gespräche zur Umsetzung der im Bundesrat gefassten Entschließung?
a. Wenn ja: Wann wurden diese durch wen geführt?
b. Wenn ja: Was waren die konkreten Ergebnisse daraus?
c. Wenn nein: Warum nicht?
3) Sind zur Umsetzung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheit Kooperationsprogramme bzw. Projekte mit SportlerInnen, Sportorganisationen und -vereinen vorgesehen?
a. Wenn ja: Welche konkret sind das?
b. Wenn ja: Steht dafür ein Budget zur Verfügung, bzw. wie hoch ist dieses konkret?
c. Wenn ja: Wann ist mit einer tatsächlichen Umsetzung dieser Programme bzw. Projekte an den Schulstandorten zu rechnen?
d. Wenn nein, warum nicht?
4) Welche Maßnahmen zur Umsetzung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheit sind – wenn aufgrund von Corona keine stattfinden konnten - nach Corona hierzu geplant? Listen Sie diese konkret auf!
a. Wenn keine geplant sind, aus welchen Gründen nicht?
5) Können Sie die Missstände, die sich in den Kinder- und Jugendpsychiatrien auf Grund fehlender Kapazitäten zeigen bestätigen?
a. Wenn ja: Seit wann wissen Sie um diesen Umstand?
b. Wenn ja: Wie konnte es trotz dem Problembewusstsein, das es bereits im Juli vergangenen Jahres gab, wie sich anhand des Papiers des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz darstellen lässt, zu solchen Engpässen kommen?
c. Wenn ja: Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
6) Haben Sie, bzw. hat Ihr Ministerium Daten zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Corona auf Kinder und Jugendliche?
a. Wenn ja: Welche Ableitungen lassen diese Daten zu?
b. Wenn ja: Was sind die konkreten Ableitungen für Ihr Ministerium, die Sie als verantwortlicher Minister daraus treffen?
c. Wenn ja: Was sind die konkreten Maßnahmen, die sie zur Bekämpfung dieser Auswirkungen treffen?
d. Wenn nein: warum werden diese Daten nicht erhoben?
7) Haben Sie, bzw. hat Ihr Ministerium Daten bezüglich Gewichtszunahme, Adipositas oder Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen auf Grund der aktuellen Pandemie?
a. Wenn ja: Welche Ableitungen lassen diese Daten zu?
b. Wenn ja: Was sind die konkreten Ableitungen für Ihr Ministerium, die Sie als verantwortlicher Minister daraus treffen?
c. Wenn ja: Was sind die konkreten Maßnahmen, die sie zur Bekämpfung dieser Auswirkungen treffen?
d. Wenn nein: warum nicht?
8) Haben Sie, bzw. hat Ihr Ministerium Daten bezüglich Auswirkungen von Bewegungsmangel, Haltungsschäden, Nackenschmerzen etc. bei Kindern und Jugendlichen auf Grund der aktuellen Pandemie?
a. Wenn ja: Welche Ableitungen lassen diese Daten zu?
b. Wenn ja: Was sind die konkreten Ableitungen für Ihr Ministerium, die Sie als verantwortlicher Minister daraus treffen?
c. Wenn ja: Was sind die konkreten Maßnahmen, die sie zur Bekämpfung dieser Auswirkungen treffen?
d. Wenn nein: warum nicht?
9) Haben Sie, bzw. hat Ihr Ministerium Daten bezüglich Auswirkungen auf die Psyche bei Kindern und Jugendlichen auf Grund der aktuellen Pandemie?
a. Wenn ja: Welche Ableitungen lassen diese Daten zu?
b. Wenn ja: Was sind die konkreten Ableitungen für Ihr Ministerium, die Sie als verantwortlicher Minister daraus treffen?
c. Wenn ja: Was sind die konkreten Maßnahmen, die sie zur Bekämpfung dieser Auswirkungen treffen?
d. Wenn nein: warum nicht?
10) Sind die Daten, über die Sie bzw. Ihr Haus verfügen, für die Öffentlichkeit verfügbar bzw. zugänglich?
a. Wenn ja: Wo sind diese Daten konkret zugänglich – nennen Sie bitte die genauen Links bzw. Publikationen?
b. Wenn ja: Ist geplant, eine Zusammenfassung dieser Daten zu veröffentlichen?
c. Wenn nein: Warum sind diese Daten nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und sollen diese für wissenschaftliche Studien veröffentlicht werden?
11) Sind von Ihnen bzw. Ihrem Ministerium Studien geplant, die die Auswirkungen von Corona auf die körperliche Gesundheit der Kinder analysieren?
a. Wenn ja: Bis wann werden diese durchgeführt?
b. Wenn ja: Wer sind die verantwortlichen WissenschafterInnen, die mit der Durchführung betraut wurden und auf welcher Grundlage erfolgte die Auswahl?
c. Wenn ja: Welche neuen Erkenntnisse erwarten Sie sich aus diesen Studien?
d. Wenn nein: Warum nicht?
12) Sind von Ihnen bzw. Ihrem Ministerium Studien geplant, die die Auswirkungen von Corona auf die psychische Gesundheit der Kinder analysieren?
a. Wenn ja: Bis wann werden diese durchgeführt?
b. Wenn ja: Wer sind die verantwortlichen WissenschafterInnen, die mit der Durchführung betraut wurden und auf welcher Grundlage erfolgte die Auswahl?
c. Wenn ja: Welche neuen Erkenntnisse erwarten Sie sich aus diesen Studien?
d. Wenn nein: Warum nicht?
13) Welche Maßnahmen setzen Sie bzw. Ihr Ministerium, um Kindern und Jugendlichen in der aktuellen Pandemie bestmöglich zur Seite zu stehen und diese nicht mit Ihren Sorgen allein zu lassen?
14) Welche Maßnahmen sind im Rahmen Ihrer Ressortzuständigkeiten hinsichtlich der Verbesserung der Situation von Kindern, Jugendlichen und Familien in Pandemiezeiten im Jahr 2021 geplant. Listen Sie diese bitte konkret auf!
[1] https://www.faz.net/aktuell/stil/leib-seele/corona-kinder-brauchen-ein-bewusstsein-fuer-bewegung-17099075.html
[2] https://www.boja.at/sites/default/files/wissen/2020-08/Gesundheit%20von%20Kindern%20und%20Jugendlichen%20w%C3%A4hrend%20Corona.pdf
[3] https://wien.orf.at/stories/3087068/
[4] https://salzburg.orf.at/stories/3087160/
[5] www.krone.at/2330965