3849/J-BR/2021

Eingelangt am 18.02.2021
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Anfrage

 

 

der Bundesrät*innen Mag.a Daniela Gruber-Pruner,

Genossinnen und Genossen,

an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz,

 

 

betreffend Versorgungslage psychiatrisch erkrankter Kinder und Jugendlicher

 

 

Bereits vor der Covid19-Krise wurde vom Fachpersonal in Kinder- und Jugendpsychiatrien darauf hingewiesen, dass sowohl die stationären Kapazitäten zur Versorgung erkrankter Kinder und Jugendlicher, als auch die Therapieplätze für die ambulante Betreuung nicht ausreichen.

 

Es sei an dieser Stelle auf den Sonderbericht der Volksanwaltschaft von 2017 „Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen“ Abschnitt 3.1.2. verwiesen, in dem u.a. auf die gravierende Lücke zwischen dem tatsächlichen Bettenangebot und den Zielvorgaben der Gesundheitsplanung hingewiesen wird, die im Zusammenhang mit dem Anstieg der Zahl stationärer KH-Aufenthalte von 2014-2016 problematisch sei und auf die Behandlung von Minderjährigen auf Erwachsenenstationen hinausgelaufen ist. Die Volksanwaltschaft gibt in diesem Bericht auch entsprechende Empfehlungen zur Verbesserung dieser Situation ab.

 

Im vergangenen Jahr wurden mehrfach Bedenken geäußert, dass die anhaltende Pandemie bei Kindern und Jugendlichen zu vermehrten psychischen Belastungen führen werde und es absehbar mehr Betreuungsbedarf geben wird. Eine Entwicklung, von der man vermuten würde, dass man diese bei entsprechendem Monitoring im Gesundheitsbereich hätte rechtzeitig ablesen können.

 

Nun, im Jänner diesen Jahres haben Kinder- und Jugendpsychiater regelrecht Alarm geschlagen und darauf hingewiesen, dass auf den Stationen bereits Triagen durchgeführt werden müssen und erkrankte Kinder und Jugendliche wieder nach Hause geschickt werden – es sei auf Grund von Überbelegung einfach nicht mehr möglich, alle Kinder, die eine Behandlung bräuchten, stationär zu behandeln.

 

Professor Paul Plener – der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH Wien – hat in der Diskussionsveranstaltung „Politik am Ring“ am 15. Februar 2021 mit Hinweis auf zwei aktuelle Studien in der BRD und GB darauf aufmerksam gemacht, dass in der aktuellen Covid-Krise rund 30 Prozent der Jugendlichen psychische Probleme aufweisen. Ebenso bestätigte er einmal mehr die Überlastung der unterdimensionierten kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungsangebote.

 

Diese Entwicklung bestätigen auch zahlreiche Zeitungsberichte in fast allen großen Zeitungen des Landes, für die nachstehender aus dem Kurier vom 29. Jänner 2021 exemplarisch steht und die aktuelle Situation auf den Punkt bringt:

 

Kinder- und Jugendpsychiatrie: Experten schlagen Alarm

Direktorin Sevecke hält Situation für dramatisch: "Der emotionale Zustand der Kinder und Jugendlichen ist besorgniserregend".

Die Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kathrin Sevecke, richtet einen dramatischen Appell an die Politik: Der Zustand vieler Kinder und Jugendlichen in Zeiten des Corona-Lockdowns sei "besorgniserregend", man könne von einem "emotionalen Ausnahmezustand" sprechen, sagte Sevecke im APA-Interview. Die Kliniken in diesem Bereich seien voll. Sevecke forderte eine sofortige Öffnung der Schulen und Freizeiteinrichtungen.

Natürlich unter Einhaltung von Hygienekonzepten, wie sie betonte. "Es braucht eine Debatte darüber, welchen Effekt die Maßnahmen haben. Diese findet in der Öffentlichkeit nicht statt", kritisierte Sevecke, die auch als Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie fungiert. "Wie hoch ist der Nutzen und wie groß sind die daraus entstehenden psychischen Schäden für unsere Kinder? Diese Frage muss man sich stellen", so die renommierte Kinder- und Jugendpsychiaterin und erklärte: Wir nehmen eine deutliche Zuspitzung der psychischen Situation von Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr wahr".

Jeder zweite junge Erwachsene leidet an depressiven Symptomen, besagt eine aktuelle Studie der Donau-Uni Krems. 26 Prozent der Gesamtbevölkerung klagen über depressive Symptome, 23 Prozent über Angstsymptomen und 18 Prozent über Schlafstörungen.

Jeder zweite junge Erwachsene leidet an depressiven Symptomen

Schlafstörungen, Traurigkeit, sozialer Rückzug, zunehmende Aggressivität vor allem bei Burschen, Depressionen, schwere Essstörungen, Selbstverletzungen - schwere Verläufe und emotionale Krisen- und Ausnahmezustände würden signifikant zunehmen: "Wir erleben beispielsweise auch in unserer Klinik in Hall in Tirol ein vielfaches Mehr an Notaufnahmen sowie Akut-Vorstellungen in unserer Ambulanz". Hinzu komme erschwerend, dass viele Jugendliche "oft gar nicht mehr erreichbar" sind.

An der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall beispielsweise seien alle 43 Plätze "komplett belegt, ja überbelegt". Man habe oft nur die Möglichkeit, kurzfristig therapeutisch zu intervenieren. Und vor allem: Die massiven Probleme würden beim Verlassen der Klinik nicht verschwinden, denn: "Sie gehen zurück in ihre Familien und müssen dort mit den gleichen Rahmenbedingungen wieder zurecht kommen". Für eine nachhaltige Therapie sei neben dem Schulbesuch ein soziales Freizeitverhalten für die Entwicklung unbedingt notwendig - dies sei aktuell aufgrund der Maßnahmen aber nicht möglich. Das soziale Leben könne nicht ersetzt werden. Sie verstehe etwa nicht, weshalb Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nicht Fußball spielen oder in ein Jugendzentrum gehen dürfen - natürlich unter Einhaltung der Schutzbestimmungen.

Aus den Erfahrungen nach dem ersten harten Lockdown im vergangenen Frühjahr habe man zudem mitgenommen, dass die Symptome und das Leiden der Kinder und Jugendlichen mit einer Öffnung nicht sofort verschwinden. Sie wirken nach. Und nunmehr habe man es bereits mit einem längeren Lockdown zu tun als damals. Je länger solche Maßnahmen anhalten würden, umso länger dauere es - und umso schwerer werde es - die psychischen Symptome der Kinder und Jugendlichen in den Griff zu bekommen, gab Sevecke zu bedenken.

Die Dramatik der Situation ist also in ausreichendem Maße kommuniziert und muss auch dem Gesundheitsministerium im besten Fall bewusst, zumindest aber bekannt sein.

Um nicht nur auf die dramatische aktuelle Situation zu reagieren, sondern nachhaltig Kapazitäten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu schaffen und so an den tatsächlichen Bedarf anzupassen, werden zahlreiche Schritte notwendig sein. Hier ist das Gesundheitsministerium jetzt gefordert und muss ehestmöglich in die Umsetzung kommen. Um den Fortschritt der Maßnahmen besser einschätzen zu können und einen Eindruck über die Tätigkeiten in diesem Bereich zu bekommen, stellen die unterfertigten Bundesrätinnen und Bundesräte folgende

 

Anfrage

 

1)      Wie viele kinder- und jugendpsychiatrische Stationen gibt es österreichweit?
Listen Sie diese bitte nach Standort und Bettenkapazität auf und nennen Sie, ob diese durch die öffentliche Hand oder privat finanziert sind. Geben Sie außerdem bitte die maximale Auslastung ab März 2020 monatlich bis zum letztmöglichen Datum vor Beantwortung der gegenständlichen Anfrage an.

 

2)      Entsprechen die belegbaren Betten der Zahl der systemisierten Betten?

a.       Wenn nein: Was sind die Gründe für die Diskrepanz?

 

3)      Wie viele Kinder- und Jugendpsychiater*innen sind in den genannten kinder- und jugendpsychiatrischen Stationen angestellt bzw. tätig?

 

4)      Wie viele Kinder- und Jugendpsychiater*innen-Stellen gibt es in Österreich aktuell?

 

5)      Sind aktuell alle Stellen, die es im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt, besetzt?

a.       Wenn nein: Wie viele sind aktuell nicht besetzt?

b.      Wenn nein: Aus welchen konkreten Gründen sind diese nicht besetzt?

c.       Wenn ja: Ist es bei den aktuellen Zahlen nicht erforderlich, weitere Dienststellen zu schaffen?

 

6)      Wie viele Kinder- und Jugendpsychiater*innen arbeiten darüber hinaus ambulant?

 

7)      Gibt es derzeit unbesetzte Facharzt-Ausbildungsstellen?

a.       Wenn ja: Wie viele?

b.      Wenn ja: Wo befinden sich die freien Ausbildungsstellen?

c.       Wenn ja: Welche Maßnahmen werden Sie bzw. Ihr Ressort konkret setzen, um die freien Stellen ehestmöglich zu besetzen?

 

8)      Gab es seit dem zitierten Bericht der Volksanwaltschaft eine Ausweitung der Versorgungsangebote?

a.       Wenn ja: Inwiefern wurde das Angebot ausgebaut?

b.      Wenn ja: Ist ein weiterer Ausbau vorgesehen?

c.       Wenn nein: Warum nicht?

d.      Wenn nein: Welche konkreten Maßnahmen werden Sie bzw. Ihr Ressort setzen, um das zu ändern?

 

9)      Wie viele Behandlungsplätze wurden seither im teilstationären (Tageskliniken), wie viele im stationären Bereich geschaffen?

 

10)   Welche versorgungswirksamen Effekte hat die „Mangelfach-Verordnung“ bisher gehabt?
Ist die Zahl von Fachärzt*innen dadurch angestiegen?

 

11)  Wurden seit dem Bericht der Volksanwaltschaft Maßnahmen gesetzt, um das Facharzt-Defizit z.B. durch Anwerbungen aus dem EU-Ausland zu kompensieren?

a.       Wenn ja: Welche?

b.      Wenn ja: Gibt es eine positive Entwicklung, die sich anhand von Zahlen konkret darstellen lässt?

c.       Wenn nein: Warum nicht?

d.      Wenn nein: Welche Maßnahmen werden Sie bzw. Ihr Ressort setzen, um das zu ändern?

 

12)  Wie viele minderjährige Patient*innen gab es in den Jahren 2018, 2019, 2020 und bis zum Datum der Beantwortung der Anfrage im Jahr 2021?

a.       Welche Krankheitsbilder dieser Patient*innen sind dokumentiert?
Sortieren Sie diese bitte nach Häufigkeit und Alter geordnet.

 

13)  Wie viele Patient*innen mussten in diesen Jahren von den Stationen abgewiesen werden?

 

14)  Wurde für die abgewiesenen Patient*innen eine weitere Versorgung sichergestellt?

a.       Wenn ja: Wie wurden diese Patient*innen weiter versorgt?

b.      Wenn nein: Wieso nicht?

 

15)  Wie lange sind die Wartezeiten auf einen stationären Platz aktuell in den einzelnen Stationen?

 

16)  Wurden Maßnahmen gesetzt, um die Kooperation zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe zu intensivieren (z.B. SozialarbeiterInnen im Nahtstellenbereich)?

a.       Wenn ja: Durch welche konkreten Maßnahmen?

b.      Wenn nein: Warum nicht?

 

17)  Wieviele Aufnahmen nach dem UbG (gegen den Willen) wurden an KJP-Abteilungen im letzten Jahr durchgeführt?
Welche Veränderung zeigt diese Zahl im Vergleich der letzten 5 Jahre?