3882/J-BR/2021
Eingelangt
am 07.05.2021
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom
Original sind möglich.
Anfrage
der BundesrätInnen Doris Hahn, MEd MA,
Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend allgemeine Ableitungen aus dem Fall Naveed ABBAS/Corona- Situation/mündliche Verhandlungen vor dem BVwG/anwaltliche Vertretungen im Erstinstanzlichen Verfahren/Dolmetscher
Naveed ABBAS war bei der Asylantragsstellung in Österreich sowie im Zulassungsverfahren minderjährig und unbegleitet. Seine Einreise erfolgte am 12. Juni 2015. Damals begann das erste Problem, wonach ihm bei der Erstbefragung ein falscher Dolmetscher beigestellt wurde. Die Übersetzung erfolgte in Urdu, seine Muttersprache ist jedoch Paschtu. Auch hatte er bei der Erstbefragung keine Rechtsberatung entgegen den Bestimmungen des BFA-VG.
Am 13. April 2018 erging der abweisende Bescheid des BFA, also 2 Jahre und 10 Monate nach der Antragsstellung, ohne dass jedoch seine Vulnerabilität im Verfahren berücksichtigt wurde. In der zweiten Instanz erging am 10. Juli 2018 das Erkenntnis des BVwG, ohne dass eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde.
Diese Zeitpunkte liegen alle vor der Corona-Pandemie; die Notmaßnahmen waren daher damals noch nicht in Kraft. Wie uns von verschiedenen Seiten mitgeteilt wurde, leiden gerade vulnerable Personen im Asylverfahren nach Ausbruch der Corona-Pandemie durch geringeren Rechtsschutz, der sich aus diesen Maßnahmen ergibt (z.B. es darf nur eine Person begleiten, Zurückfahren der mündlichen Verhandlungen).
Am 12. April 2021 erfolgte eine Einvernahme zum Integrationsgrad vor dem BFA aufgrund eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des privaten Familienlebens. Im Rahmen dieser wurde der junge Mann verhaftet, inhaftiert und 2 Tage später nach Pakistan abgeschoben. Bei diesem Verfahren schlugen die Corona-Regeln schon voll zu, Vertrauenspersonen durften ihn nicht begleiten, eine anwaltliche Beratung war nur äußerst beschränkt möglich.
Gleichzeitig hat die Bundesregierung eine Kommission mit Irmgard Griss, der ehemaligen OGH-Präsidentin, eingesetzt, um Schwachstellen beim Kindeswohl in solchen Verfahren aufzudecken und diese grundrechtlichen Defizite zu schließen. Am 4. Mai 2021 tagte der Kinderrechteausschuss des Bundesrates, an der die Kindeswohl-Kommission angehört wurde und diese ihre Fortschritte berichtete. Bei der Aussprache waren Irmgard Griss und 3 weitere KollegInnen anwesend. Sie berichteten, dass sie aktuell rasant Fortschritte in ihrer Arbeit machen und noch vor dem Sommer ihre Ergebnisse liefern werden. Sie berichteten auch von eklatanten Schwächen im Bereich des Kindeswohls in heiklen und sensiblen Materien, wie dem Asyl- und Fremdenrecht.
Es ist daher aus menschenrechtlichen Überlegungen, insbesondere das Kindeswohl betreffend, völlig unverständlich, warum in der kurzen Zeit, bis das Ergebnis der Kindeswohl-Kommission feststeht, solche sensiblen Abschiebungen oder Rückführungen vorgenommen werden.
Die unterzeichneten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen daher nachstehende
Anfrage
1. War es dem Innenministerium möglich, alle Verfahrensgarantien in den Asylverfahren in der Zeit vor Ausbruch der Corona-Pandemie gerade bei Minderjährigen sicherzustellen?
2. Wie erklären Sie sich, dass Naveed ABBAS keine Rechtsberatung während der Erstbefragung erhalten hat?
3. Welche rechtlichen Konsequenzen hat die Verletzung einer solchen Bestimmung?
4. Wie erklären Sie sich, dass ihm ein falscher Dolmetscher zugeteilt wurde?
5. Hat sich die Corona-Pandemie negativ auf die Asylverfahren und die Verfahrensgarantien ausgewirkt?
Wenn ja, welche konkrete Auswirkungen hatte dies und was hat das BMI unternommen, um die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren zu wahren?
6. Warum wurde im erstinstanzlichen Verfahren nur auf Formalkriterien abgestellt und die Persönlichkeitsstruktur und Gesundheit des Antragsstellers nicht ausreichend bzw. überhaupt nicht berücksichtigt?
7. Ist es üblich, dass Anhörungen in Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels dazu genutzt werden, um die betroffene Person für die Abschiebung zu verhaften?
8. Ist eine solche Vorgangsweise rechtlich gedeckt?
9. Wie viele Abschiebungen hat es seit Beginn des Jahres 2021 gegeben?
10. Wie viele abgeschobene Personen waren davon minderjährig bei der Antragsstellung und wie viele waren minderjährig auch bei der Abschiebung?
11. In welche Länder erfolgten diese Abschiebungen (aufgegliedert nach den 3 Gruppen, minderjährig bei der Abschiebung, minderjährig bei der Antragsstellung, restliche)?
12. Wie viele dieser Abschiebungen erfolgten freiwillig?
13. Wie viele Kosten verursachten diese Abschiebungen?
14. Warum werden Abschiebungen von Minderjährigen, zumindest bei der Antragsstellung, nicht ausgesetzt, bis die Kindeswohl-Kommission ihre Vorschläge präsentiert hat und diese implementiert wurden?
15. Würden Überlegungen zum Kindes wohl und zu den Grundrechten ein solches Vorgehen nicht aufdrängen?
16. Unterstützt Ihr Ressort die Arbeit der Kindeswohl-Kommission?
Wenn ja, wie?