3994/J-BR/2022
Eingelangt am 15.03.2022
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Anfrage
der Bundesrät*innen Mag. Sascha Obrecht,
Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Arbeit
betreffend Crowdwork – Richtlinien-Vorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeit
Die voranschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt bringt gewaltige Umwälzungen mit sich und wirft arbeitsrechtliche Fragen auf. Es ist von zentraler Bedeutung, sich der daraus resultierenden Problemfelder mit bestehenden und – sofern nötig – neuen Regelungen anzunehmen. Nur so kann die Arbeitswelt weiterentwickelt werden.
Am 9. Dezember legte die Europäische Kommission den lange erwarteten Richtlinien-Entwurf zur Regulierung von Plattformarbeit (verkürzt „Crowdwork“) vor. Dem ging bereits ein mehrstufiger Konsultationsprozess auf europäischer Ebene voraus. In beiden Konsultationspapieren der Europäischen Kommission steht berechtigterweise die sogenannte Statusfrage im Mittelpunkt. Also die Frage, ob Plattformarbeitende als Arbeitnehmer bzw. Selbständige tätig sind.
Obgleich die Fahrradbot*innen in der Essenszustellung zweifelsohne das prominenteste Beispiel sind, betrifft dies jedoch eine weit größere Anzahl von Menschen; konkret wird auf europäischer Ebene davon ausgegangen, dass bereits 11 % der am gesamteuropäischen Arbeitsmarkt Erwerbstätigen zumindest einmal über eine Plattform gearbeitet haben.[1]
Dass diese Frage von besonderer Relevanz ist, zeigt sich auch in den einschlägigen Studien von Hießl[2] und de Groen/Kilhoffer/Westhoff/Postica/Shamsfakhr[3], auf die sich die Europäische Kommission stützt.
Demnach geben neun von zehn Plattformen an, dass die Plattformarbeitenden auf ihrer Plattform selbständig tätig sind. Dem steht die Eigenwahrnehmung der Plattformarbeitenden konträr gegenüber: Mehr als die Hälfte der Befragten in diesen Studien geben an, Arbeitnehmer*innen zu sein.
Zentraler Bestandteil dieses Richtlinienvorschlags ist daher eine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, wenn mindestens zwei von fünf im Richtlinien-Vorschlag definierten Merkmalen im Rahmen der Plattformarbeit erfüllt sind.
Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Bundesrätinnen und Bundesräte folgende
Anfrage
1) Gibt es im Bundesministerium für Arbeit Vorarbeiten zur Regulierung von Plattformarbeit?
a. Wenn nein: warum nicht?
b. Wenn ja: aus welchem Jahr stammen sie, wie sehen diese aus und warum wurden sie nicht weiterverfolgt?
2) Kennen Sie die wichtigsten Schlüsse aus den angeführten wissenschaftlichen Studien, auf denen der Entwurf der Kommission beruht?
a. Wenn ja: Ergibt sich daraus für Sie unmittelbarer Handlungsbedarf?
b. Wenn nein: Haben Sie dafür Sorge getragen, dass sich Mitarbeiter*innen im Bundesministerium für Arbeit damit befassen können, um die Tragweite des Kommissionsvorschlags abschätzen zu können und falls nicht, werden Sie dem zukünftig nachkommen?
3) Sehen Sie Nachbesserungsbedarf beim Richtlinien-Vorschlag?
a. Falls ja: Welchen?
4) Viele Plattformarbeiten operieren mit teils für die Plattformwirtschaft leider typischen, unsachlichen und unfairen Vertragsklauseln. Sind Sie sich dieser Situation bewusst und kennen Sie die Ausformungen?
a. Falls nein: Warum beschäftigen Sie sich nicht damit?
5) Ist das Verbot derartiger Vertragsklauseln ein Punkt, den Sie in den weiteren europäischen Verhandlungen ansprechen werden?
a. Falls ja: welche benachteiligenden Klauseln in der Plattformwirtschaft würden sie ansprechen?
b. Falls nein: Warum nicht?
6) Werden Sie den Richtlinien-Vorschlag nach momentanem Stand im Rat der Europäischen Union unterstützen?
a. Wenn nein: Warum nicht?
7) In Ihrer EU-Jahresvorschau 2022[4] führen sie aus, dass Sie den Vorschlag noch prüfen müssen. Der Vorschlag liegt seit 9. Dezember 2021 vor. In der 938. Sitzung des Bundesrates am 9. März 2022 haben Sie ausgeführt, dass keine Positionierung möglich gewesen sei, weil der Bericht im Jänner fertig werden musste. Warum konnten Sie in der Debatte, die im Gegensatz zur Berichterstellung ganze drei Monate nach Veröffentlichung des RL-Vorschlags stattfand, immer noch keine fundierte Stellungnahme abgeben?
8) Ist die rechtliche Prüfung des RL-Vorschlags nun endlich abgeschlossen?
9) Sollte die Prüfung noch nicht abgeschlossen sein: Wie viel Zeit werden Sie noch ungefähr benötigen?
a. Falls Sie die Verzögerung nicht abschätzen können: woran liegt das?
10) Können Sie versichern, dass das Argument der „rechtlichen Prüfung“ nicht erneut als Vorwand für die Ablehnung/Enthaltung des RL-Vorschlags im Rat – analog Ihrem Verhalten zum „Richtlinien-Vorschlag für angemessene Mindestlöhne in der EU“ am 6. Dezember 2021 – missbraucht wird?
a. Falls ja: werden Sie diesmal Ihr Abstimmverhalten im Vorfeld des betreffenden Rates öffentlich kundtun oder wieder – wie bei der Abstimmung zum RL-Vorschlag für angemessene Mindestlöhne in der EU – klandestin handeln und (vergeblich) hoffen, dass Ihnen niemand auf die Spur kommt?
b. Werden Sie das Parlament in die Positionierung zu dieser Frage auf europäischer Ebene einbinden?
11) Sollte der Richtlinien-Vorschlag in dieser Form beschlossen werden, ergibt sich daraus Ihres Erachtens Handlungsbedarf für den österreichischen Gesetzgeber?
a. Wenn ja: Werden Vorbereitungen für die gesetzliche Implementierung der Richtlinie getroffen? Wie sehen diese aus?
b. Wenn nein: Durch welche gesetzlichen Bestimmungen sehen Sie insbesondere die vorgeschlagene gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bei mitunter speziell auf die Plattformwirtschaft orientierten Kriterien in der österreichischen Rechtsordnung als bereits implementiert an?
12) Die wissenschaftliche Debatte im europäischen Arbeitsrecht geht mitunter immer wieder in die Richtung, zweifelhafte Vertragseinstufungen über gesetzliche Vermutungen wie auch in diesem Vorschlag zu lösen. Wie stehen Sie diesem Instrument generell gegenüber?
a. Gibt es in Ihrem Ministerium einen fachlichen Austausch zu dieser Frage und wie sieht dieser aus?
13) Sehen Sie andere Bereiche in der Arbeitswelt in denen gesetzliche Vermutungen für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bei Erfüllung bestimmter Kriterien sinnvoll sind?
a. Wenn ja: welche Bereiche sind das und gibt es hierzu bereits Vorarbeiten in Ihrem Ministerium?
b. Wenn nein: warum nicht?
14) Stellt die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bei Erfüllung gewisser Kriterien Ihres Erachtens ein taugliches Instrument für die Beseitigung von Scheinselbständigkeit (= Arbeitnehmer*innen, die fälschlicherweise als Selbständige dargestellt werden) dar?
a. Falls ja: werden Sie diesen Weg unabhängig der europäischen Initiativen in Österreich aktiv verfolgen? Falls nein: Warum nicht?
b. Falls nein: Was ist Ihr Lösungsansatz bei der Bekämpfung von Scheinselbständigkeit?
15) Welche Problemfelder machen Sie beim sog. Algorithmus-basierten Arbeiten (= Steuerung des Arbeitsprozesses durch mathematische Formeln, anstatt Führungsentscheidungen von Menschen) aus?
a. Sehen Sie die im Richtlinien-Vorschlag enthaltenen Lösungsvorschläge als ausreichend an?
b. Gibt es in Ihrem Ministerium unabhängig vom Richtlinien-Vorschlag bereits Überlegungen zu diesem Zukunftsthema und falls ja, wie sehen diese aus?
16) Haben Sie sich (oder die Mitarbeiter*innen im Bundesministerium für Arbeit) in dieser Frage mit der Industriellenvereinigung ausgetauscht?
a. Falls ja: warum, wie oft und wann konkret?
[1] JRC, New evidence on platform workers in Europe - Results from the second COLLEEM survey, 2020.
[2] ECE, Case Law on the Classification of Platform Workers: Cross-European Comparative Analysis and Tentative Conclusions, Comparative Labour Law & Policy Journal, 2022.
[3] Digitial labour platforms in the EU: Mapping and business models, 2021.
[4] III-774-BR/2022 d.B.