4010/J-BR/2022

Eingelangt am 12.05.2022
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Dringliche Anfrage

gemäß § 61 GO-BR

 

 

der Bundesrät*innen Korinna Schumann,

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

 

betreffend Versorgungskrise im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich

 

"Das Thema Pflege ist uns als Bundesregierung ein besonderes Anliegen. Wir haben einen starken Sozialstaat und da gehören das Altern in Würde und die bestmögliche Versorgung dazu. Dabei soll es für jeden Menschen das beste Angebot geben, zuhause in den eigenen vier Wänden, mobil und wenn das nicht mehr möglich ist, in einem Pflegeheim"

 

Dieses Zitat stammt vom ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und wurde konkret im Zuge des ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritts der türkis-grünen Regierung im Haus der Barmherzigkeit in Ottakring am 13. Jänner 2020 geäußert. Dabei versprachen Kurz, der ehemalige Gesundheitsminister Anschober sowie Vizekanzler Kogler die Finanzierungsfrage zu lösen und „diese leidige Debatte zwischen Bund und Ländern [zu] beenden“.[1]

 

Geschehen ist indes wenig, die Bundesregierung ist bis heute säumig, wenn es um die Absicherung der Pflege geht. Die Regierung schafft zwar durchschnittlich alle 62 Tage einen Wechsel im Minister*innen-Team, nicht jedoch Maßnahmen zu setzten, um die drängendsten Probleme im Gesundheits- und Pflegebereich auszuräumen. PR-Maßnahmen wurden als große Erfolge verkauft– wie etwa die Schaffung der Community Nurses, die zwar grundsätzlich zu begrüßen sind, aber einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen. Sie wurden mit 54 Millionen Euro aus dem Europäischen Aufbauplan finanziert, während die Regierung in derselben Zeit bereits 73 Millionen Euro für ihre Eigenwerbung verschleudert hatte.

 

An all diesen Beispielen zeigt sich: Der Pflegenotstand steht als mahnendes und erschütterndes Beispiel für das Totalversagen der Bundesregierung. Und das in einem derart wichtigen und für so viele Menschen unmittelbar bedeutsamen Bereich wie der Pflege. Ein Umstand, der aufzeigt, dass es höchst an der Zeit wäre, dass die Bundesregierung zurücktritt und Platz macht für eine Regierung, die die Ängste und Sorgen der Menschen ernst und die Lösung ihrer Probleme in die Hand nimmt, statt sich von einer Krise in die nächste zu lavieren und dabei einzig durch ein ständig wechselndes Regierungsteam aufzufallen. 

 

Bereits vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie hatte das Gesundheits- und Betreuungspersonal in Österreich mit einer massiven Arbeitsüberlastung und mit untragbaren Arbeitsbedingungen zu kämpfen. In den vergangenen beiden Jahren hat sich die Situation noch dramatisch verschlechtert. Durch die Pandemie wurde die Arbeit in Pflege- und Gesundheitsbereich noch schwieriger; fehlende Wertschätzung, schlechte Arbeitsbedingungen und Probleme im Bereich der Ausbildung tun das ihre. Bis 2030 rechnet man mit einem Bedarf von rund 100.000 Menschen, die sich für den Pflegeberuf entscheiden müssten, um auch wirklich für die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft bei gleichzeitig qualitativ hochwertiger Versorgung, gewappnet zu sein.

 

Die Auswirkungen des Pflegenotstandes betreffen dabei nicht nur die Beschäftigten im Gesundheitsbereich und der Langzeitpflege, sondern auch eine Vielzahl an kranken und pflegebedürftigen Menschen in Österreich sowie jene Menschen, die sich als Familie und Freunde um ihre Angehörigen mit Pflegebedarf kümmern. Der Pflegenotstand ist also de facto ein gesamtgesellschaftliches Problem.

 

Der Personalmangel hat bereits enorme Auswirkungen. Pflegeheime haben bereits zugesperrt, Stationen in bettenführenden Krankenanstalten wurden geschlossen. Gleichzeitig wird auch im niedergelassenen Bereich die Anzahl an Kassenärzt*innen stetig geringer. Um es klar auszusprechen: die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ist in Gefahr!

 

Nicht nur, aber vor allem in Krisenzeiten muss der Gesundheits- und Langzeitpflegebereich mit ausreichenden personellen Ressourcen ausgestattet sein, um dem Versorgungsauftrag nachkommen zu können.

 

Um dem aktuellen und dem künftigen Bedarf gerecht zu werden, braucht es ein Bündel an Maßnahmen. Darunter fallen nicht nur dringend erforderliche Sofortmaßnahmen, um die akuten Belastungen zu reduzieren und dem akuten Personalmangel entgegenzuwirken, sondern es besteht insbesondere auch die Notwendigkeit von mittel- und langfristigen Verbesserungen. Hier sind aus Sicht der SPÖ neben einer höheren Bezahlung auch andere Arbeitszeitmodelle, eine höhere Wertschätzung, Supervision im Krisenfall oder aber auch Anreize im Bereich der Ausbildung und dem Ein- und Umstieg in den Pflegeberuf unabdingbar. Diese lassen jedoch nach wie vor auf sich warten – ein Umstand, der nicht länger hingenommen werden kann und darf.

 

Bislang lässt sich die Entwicklung dieser Maßnahmen, die so dringend notwendige Reform, aber nicht erkennen. Ankündigungen und leere Versprechen – mehr hat man den Beschäftigten bislang nicht präsentiert. Stattdessen wird in Kauf genommen, dass die Gesundheit der Beschäftigten im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich massiv gefährdet wird. Eine Vielzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Bereichen ist auf Grund von Personalengpässen und unzumutbaren Arbeitsbedingungen sowohl physisch als auch psychisch enorm belastet. Dazu kommt noch die Gewalt, der viele an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sind – verbale und auch körperliche Angriffe auf das Gesundheits- und Langzeitpflegepersonal sind leider keine Seltenheit. Durch die Pandemie hat sich diese Situation noch verschärft.

 

Eine Vielzahl der Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich denkt daher regelmäßig darüber nach, den Beruf an den Nagel zu hängen, viele setzen dieses Vorhaben auch um und kündigen ihre Dienstverhältnisse.

 

Aber nicht nur beim Pflegepersonal gibt es einen Notstand. Auch die Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Kassenleistungen nimmt extrem ab. Immer weniger Kassenvertragsärzt*innen stehen zur Verfügung.

Die Zahl der Wahlärzt*innen explodiert, während Kassenstellen fehlen oder nicht besetzt werden können.

 

Schere zwischen Wahlärzten und Kassenärzten weiter groß ...

 

 

Im Bereich der Kassenärzt*innen werden laut Ärztekammer rund 50% in den nächsten 10 Jahren in Pension gehen. Schon jetzt werden Kassenstellen teilweise 40x erfolglos ausgeschrieben.

Rund 200.000 Menschen haben in Österreich keine*n Hausärzt*in in der Nähe – ein Problem, das sich in Zukunft verschärfen wird.

 

In den nächsten zehn Jahren ist aufgrund der Altersstruktur mit einem Rückgang der Ärzt*innenanzahl um ca. 5,5 Prozent von aktuell rund 47.000 auf 44.400 im Jahr 2030 zu rechnen, so eine Studie der Simulationsforscher Nikolas Popper und Claire Rippinger im Auftrag der Bundeskurie niedergelassene Ärzte. Laut dieser Studie wirkt sich dieser Rückgang vor allem auf die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte aus.

 

Es ist also höchst an der Zeit, die dringend notwendigen Reformen des Gesundheitswesens und des Bereichs der Langzeitpflege anzugehen und die erforderlichen finanziellen Mittel dafür bereitzustellen.

 

Angesichts der umfangreichen Problemstellungen, muss festgestellt werden, dass es fünf nach 12 ist und der Pflege- und Gesundheitsnotstand mittlerweile so weit geht, dass eine Katastrophe nicht mehr weit zu sein scheint. Darauf haben viele verschiedene Institutionen regelmäßig und seit Jahren hingewiesen.

 

 Jetzt ist es Gesundheitsminister Rauch der sich mit der Thematik auseinandersetzen und endlich Lösungen auf den Tisch bringen muss, nachdem seine Amtsvorgänger*innen säumig geblieben sind. Zu den Forderungen, der Caritas sagte er, die Regierung sei bei der Pflegereform in der "Endphase der Verhandlungen". Und weiter: "so viel kann ich verraten, das wird vor dem Sommer noch präsentiert werden". Er gehe dann davon aus, "dass auch die Caritas sagen wird, 'Das ist die Reform, auf die wir gewartet haben'"[2].

 

Wir werden Bundesminister Rauch beim Wort nehmen und ihn zeitgerecht daran erinnern.

 

Aus den angeführten Gründen stellen die unterfertigten Bundesrätinnen und Bundesräte folgende

 

 

Dringliche Anfrage

 

 

1.        Welche Maßnahmen wurden seit Ihrer Amtsübernahme im Zusammenhang mit der angekündigten Pflegereform bereits gesetzt?

 

2.        Welche Maßnahmen zur Verbesserung der Pflegesituation wurden seit Antritt der türkis-grünen Bundesregierung gesetzt?

 

3.        Welche Stakeholder wurden in die Erarbeitungsprozesse dieser Maßnahmen bisher eingebunden?

 

4.        Welche Maßnahmen werden von Ihnen gesetzt, um eine weitere Überlastung des Gesundheits- und Pflegepersonals im Falle eines neuerlichen Anstiegs an Hospitalisierungen im Zusammenhang mit COVID-19 zu verhindern?

 

5.        Welche Stakeholder werden in die Entwicklung dieser Maßnahmen eingebunden?

 

6.        Nach welchen quantitativen und qualitativen Kriterien wird der Personalbedarf im Gesundheitsbereich, in der Akut- und in der Langzeitpflege festgelegt?

 

7.      Welche Pläne gibt es in ihrem Ressort, um die Datenlage im Akut- und Langzeitpflegebereich zu verbessern?

 

8.        Welche Pläne gibt es zur dringend notwendigen Ausbildungsoffensive im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich?

 

9.        Wie viele neue Ausbildungsplätze sollen in welchem Zeitrahmen geschaffen werden?

 

10.  Welche finanziellen Unterstützungen soll es für Aus-, Fort- und Weiterbildung geben?

 

11.  Wie viele zusätzliche Personen – also zusätzlich zu den von den Ländern ohnehin geplanten Ausbildungen – haben durch die sogenannte „Corona-Joboffensive“ eine Pflegeausbildung/Umschulung begonnen (aufgelistet nach Bundesländern)?

 

12.    Ist geplant, eine Bezahlung für Auszubildende für Pflege- und Gesundheitsberufe einzuführen, die sich am Vorbild von Polizeischüler*innen orientiert?

 

13.    Wie hoch ist die Personalfluktuation im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich? Nennen Sie uns dazu bitte konkret die Zahlen nach den Jahren 2019, 2020, 2021 und im bisherigen Jahr 2022 sowie die Gründe, für den Ausstieg aus dem Feld von Pflege und Gesundheitsberufen.

 

14.    Welche Maßnahmen wurden bzw. werden gesetzt, um der Fluktuation entgegenzuwirken?

 

15.    Welche (kurzfristigen) Maßnahmen werden zur Besetzung von vakanten Stellen im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich gesetzt?

 

16.    Ist mit Blick auf die aktuelle Situation in der Ukraine geplant, Menschen, die aus anderen Staaten kommen und eine einschlägige Ausbildung im Gesundheits- und Pflegebereich besitzen, mit ihren Kenntnissen in den Arbeitsmarkt einzugliedern?

a.       Wenn ja: Wie und bis wann?

 

17.    Welche Maßnahmen werden gesetzt, um die Beschäftigten im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich vor den vielfältigen Formen von Gewalt am Arbeitsplatz zu schützen?

 

18.    Sind Sie zu diesem Zweck mit anderen Minister*innen im Gespräch?

a.       Wenn ja: Mit welchen anderen Ministerien stehen Sie dazu im Austausch?

b.      Wenn ja: Welche konkreten Entscheidungen liegen dazu vor?

 

19.    Welche Perspektive können sie den Beschäftigten im Gesundheits- und Langezeitpflegebereich bieten, die regelmäßig daran denken ihren Job aufzugeben?

 

20.  Werden Sie Tätigkeiten der berufsbedingten Pflege und Betreuung endlich grundsätzlich als Schwerarbeit anerkennen und die Schwerarbeitsverordnung entsprechend ändern?

a.       Wenn ja: Bis wann?

b.      Wenn nein: Warum nicht?

 

21.  Wie viele Stationen in bettenführenden Krankenanstalten und Einrichtungen der Langzeitpflege wurden im Jahr 2021 aufgrund von Personalmangel vorübergehend geschlossen?

 

22.    Wie viele Stationen in bettenführenden Krankenanstalten und Einrichtungen der Langzeitpflege wurden im Jahr 2021 aufgrund von Personalmangel mittel- und längerfristig geschlossen?

 

23.    Welche Maßnahmen werden gesetzt, um die pflegenden An- und Zugehörigen zu entlasten?

 

24.    Welche zusätzlichen budgetären Mittel planen sie noch in dieser Gesetzgebungsperiode einzusetzen, um die Pflegeversorgung der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern?

 

25.  Ist vorgesehen, zusätzliche finanzielle Mittel für akut erforderliche Sofortmaßnahmen bereitzustellen?

a.       Wenn ja, in welcher Höhe und zur Deckung welcher konkreten Sofortmaßnahmen?

b.      Falls nein: Warum nicht?

 

26.    Gibt es in ihrem Ressort Pläne oder Vorschläge an die Krankenversicherungsträger, um unbesetzte Kassenvertragsstellen zu besetzen?

 

27.    Welche Maßnahmen werden durch Sie bzw. Ihr Ressort gesetzt, um mehr Ärzt*innen für die Tätigkeit in einer Kassenvertragsordination zu gewinnen?

 

28.    Sind Sie hinsichtlich der Maßnahmen zur treffsicheren Bekämpfung des Kassenvertragsärzt*innen-Mangels im Austausch mit Stakeholdern aus diesem Bereich?

a.       Falls ja: Welche sind das konkret?

 

29.  Sind sie hinsichtlich des drohenden Ärztemangels im Gespräch mit anderen Ressortkolleg*innen, um geeignete Maßnahmen rasch umzusetzen um mehr Ärzt*innen auszubilden und Anreize zu setzen, um diese dann für den Sachleistungsbereich zu gewinnen?

 

30.  Was werden Sie, als für die Gesundheit der Menschen in unserem Land verantwortlicher unternehmen, um die medizinische Versorgung der Menschen wohnortnah und mit möglichst kurzen Wartezeiten sicherzustellen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unter einem wird in formeller Hinsicht verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 61 Abs. 3 GO-BR vor Eingang in die Tagesordnung dringlich zu behandeln.



[1] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2020/bundeskanzler-sebastian-kurz-wuerdevolles-leben-im-alter-zentrales-anliegen-der-bundesregierung.html

[2] https://www.derstandard.at/story/2000135470343/caritas-warnt-vor-katastrophe-in-der-pflegekrise