4216/J-BR/2024
Eingelangt am 10.07.2024
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möglich.
ANFRAGE
des
Bundesrates Christoph Steiner
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Verweigern Sie die Vollziehung eines Bundesgesetzes, Herr
Minister?
In Österreich gilt das „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz (AGesVG)“. In den letzten Monaten war auffällig, dass das Straßenbild, insbesondere in Wien, wieder von Frauen in Vollverschleierung zunehmend geprägt ist.
Obwohl besonders in der Inneren Stadt beispielsweise in der Kärntner Straße oder am Graben laufende Polizeipräsenz herrscht, sieht man dennoch selbst dort regelmäßig Frauen einen Niqab (umgangssprachlich als Burka bekannt) aus religiösen Gründen tragen. Von den Exekutivbeamten wird bei Patrouillen sichtlich nicht eingegriffen. Es entsteht somit der Eindruck, dass ein Bundesgesetz, das seit 1. Oktober 2017 in Kraft ist, schlicht und ergreifend nicht exekutiert wird.
§ 4 AGesVG Vollziehung
Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist der Bundesminister für Inneres betraut.
§ 2 AGesVG Verhüllungsverbot
(1) Wer an
öffentlichen Orten oder in öffentlichen Gebäuden seine
Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände in einer Weise
verhüllt oder verbirgt, dass sie nicht mehr erkennbar sind, begeht eine
Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 150 Euro zu
bestrafen. Die Verwaltungsübertretung kann durch Organstrafverfügung
gemäß § 50 VStG in der Höhe von bis zu 150 Euro geahndet
werden. Öffentliche Orte oder öffentliche Gebäude sind Orte, die
von einem nicht von vornherein beschränkten Personenkreis ständig
oder zu bestimmten Zeiten betreten werden können, einschließlich der
nicht ortsfesten Einrichtungen des öffentlichen und privaten Bus-,
Schienen-, Flug- und Schiffsverkehrs.
(2) Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot gemäß Abs. 1
liegt nicht vor, wenn die Verhüllung oder Verbergung der Gesichtszüge
durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist, im Rahmen künstlerischer,
kultureller oder traditioneller Veranstaltungen oder im Rahmen der
Sportausübung erfolgt oder gesundheitliche oder berufliche Gründe
hat.
Einen Vorwand der Nichtvollziehung des Gesetzes stellt vermutlich das Tragen von Masken dar, das allerdings auch unter das Gesetz fällt, sollte es nicht aufgrund eines Attests begründet sein. Dies umfasst nicht nur die (verdeckte) Vollverschleierung, sondern auch das Tragen einer Maske aufgrund einer hygienischen Befindlichkeit.
Bereits vor fast anderthalb Jahren, im März 2023, gab es rund um diese Thematik in der Tageszeitung „Kurier“ einen ausführlichen Bericht, in dem es unter anderem heißt:[1]
Streng genommen gilt
seit dem 1. März auch in Wiener Öffis wieder das Vermummungsverbot.
Zur Erinnerung: Die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung hat 2017 das
sogenannte Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz (AGesVG) umgesetzt. (…)
Das Gesetz - salopp auch Burka-Verbot genannt - sollte primär verhindern,
dass sich muslimische Frauen verschleiern. (…) Die Maskenpflicht
während der Pandemie hat es dann vorerst obsolet gemacht. Die ist mit Ende
Februar auch in ganz Wien außer Kraft getreten. Das heißt: Streng
genommen kann die Polizei Vermummte nun wieder österreichweit bestrafen.
Oder?
Das Tragen einer Maske ist rechtlich zwar <aus medizinischen Gründen> erlaubt. Dafür verlangte die Polizei vor der Pandemie allerdings ein Attest. Und aktuell? Das Innenministerium (BMI) ließ am Mittwoch auf KURIER-Nachfrage einen gewissen Spielraum: <Bei der Anwendung des AGesVG wird die Polizei, vor allem in den nächsten Monaten, verhältnismäßig einschreiten.> (…)
<Wenn die Person eine gesundheitliche Begründung glaubhaft machen kann, liegt keine Verwaltungsübertretung vor>, hieß es am Mittwoch (7.3.2023) vom BMI. Wie kann man ohne Attest glaubhaft machen, dass man gesundheitliche Probleme hat? Das lässt das BMI offen. Ziel und der Zweck des Anti-Verhüllungsverbotes sei die Förderung der Integration, so das BMI: <Dies sollte beim Einschreiten im Vordergrund stehen, aber das Gut der Gesundheit nicht in den Hintergrund drängen.>
Da während der Coronakrise eine allgemeine Maskenpflicht galt, wurde somit auch das Tragen von Masken als ein gesundheitlicher Grund angesehen – allerdings nur vorübergehend. Nunmehr ist die Maskenpflicht sowie eine tolerierbare Umgewöhnungsphase definitiv seit über einem Jahr vorbei und dadurch ein diesbezüglicher Missstand entstanden.
Die liberale und scheinbar ungeklärte Handhabe wird dadurch perfide ausgenutzt und der schwarze Gesichtsschleier des Niqab oftmals gegen eine (schwarze) Maske bzw. einen Mund-Nasenschutz getauscht. Obwohl es sich in diesem Fall eindeutig um keinen gesundheitlichen Grund handelt, schreitet die Exekutive nicht ein.
Auch die Tageszeitung „Der Standard“ berichtete in diesem Zusammenhang vergangenen Dezember über das AGesVG:
Keine drei Jahre später brach die Corona-Pandemie aus, und das Verhüllungsverbot schien wie vergessen. Masken wurden von einem Moment auf den anderen zur Pflicht. Heute sind sie die "neue Normalität" – und prägen den öffentlichen Raum. Ist das Gesetz also praktisch totes Recht?
In diesem Zusammenhang richtet der unterfertigte Bundesrat an den Bundesminister für Inneres folgende
Anfrage
1. Wann endete die Umgewöhnungsphase, die sie auf Anfrage des „Kurier“ mit für die „nächsten Monate“ definierten?
2. Welche rechtliche Grundlage hatte die Umgewöhnungsphase?
3. Gibt es einen von Ihnen unterzeichneten Erlass, der das Exekutieren des AGesVG untersagt oder zumindest nicht fordert?
a. Falls nicht, wer hat eine solche Dienstanweisung erlassen?
4. Gab oder gibt es von Ihrer Seite Weisungen an eine dem Bundesministerium nachgeordnete Dienststelle, wie die Exekutivbeamten bei einer Amtshandlung bei einem Verstoß gegen dieses Gesetz umzugehen haben?
a. Falls ja, wie lautet diese Weisung?
b. Falls ja, wann und für welchen Zeitraum wurde diese veranlasst?
5. Ist es möglich, ohne Attest glaubhaft zu machen, dass man aus gesundheitlichen Gründen eine Maske tragen muss?
a. Wenn ja, wie kann man das ohne Attest?
6. Werden alle Personen, die mittels einer Maske vermummt sind, nach einem Attest gefragt?
a. Falls nein, warum nicht?
7. Werden Personen, die kein Attest vorweisen können, gemäß dem AGesVG belangt?
8. Wie viele Organmandate oder Strafverfahren wurden seit März 2023 wegen Verstößen gegen dieses Gesetz ausgestellt bzw. eingeleitet?
9. Wie viele Organmandate oder Strafverfahren wurden im Vergleichszeitraum von März 2018 bis einschließlich August 2019 wegen dieses Gesetzes ausgestellt bzw. eingeleitet?
Sollten einzelne Antworten einer Vertraulichkeit bzw. Geheimhaltung unterliegen, wird ersucht, diese unter Einhaltung des Informationsordnungsgesetzes klassifiziert zu beantworten.
[1] https://kurier.at/politik/inland/rauch-maskentragen-verstoesst-nicht-gegen-vermummungsverbot/402359013