BMEIA I.4

Stand: 09.06.2015

 

SCHRIFTLICHE INFORMATION

gemäß § 6 EU-InfoG

zu Pkt. 1 der Tagesordnung der Sitzung des EU-Unterausschusses des Bundesrates am 11.06.2015

58032/EU, XXV. GP

Delegated acts

 

 

 

1.             Bezeichnung des Dokuments

Schreiben der Ständigen Vertreterin Lettlands bei der Europäischen Union als Vorsitzende des AStV II vom 19.02.2015 an PEP Schulz und PEK Juncker betreffend den Erlass delegierter Rechtsakte (Dok. 6773/15). Dem Schreiben ist die Initiative des Rates zur Komplettierung des „Common Understanding on delegated acts as regards the consultation of experts“ vom 19.02.2014 beigefügt (Dok. 6774/14).

 

2.             Inhalt des Vorhabens:

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gestaltet sich die Ausarbeitung delegierter Rechtsakte gemäß Art. 290 AEUV mangels ausreichender Einbindung mitgliedstaatlicher Experten schwierig. Eine Verpflichtung zur Konsultation nationaler Experten ist zwar bereits in einer gemeinsamen „Vereinbarung“ („common understanding“) zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament über delegierte Rechtsakte aus dem Jahr 2011 normiert. Die diesbezügliche Praxis der Kommission erscheint den Mitgliedstaaten jedoch nicht zufriedenstellend. Ihre Kernforderung ist die systematische, zeitgerechte, angemessene und transparente Konsultation nationaler Experten bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte, also vor deren Erlass durch die Kommission. Diesbezügliche Forderungen waren Anfang Dezember 2013 auch vom österreichischen Bundesrat und Nationalrat erhoben worden (21/MT-BR/2013 bzw. 1MTEU XXV.GP).

 

Der Rat hatte daher im Februar 2014 den Vorschlag unterbreitet, die bisherigen Regelungen in der „Vereinbarung“ in Bezug auf die Einbindung nationaler Experten zu stärken. Da eine substantielle Reaktion von Kommission und Europäischem Parlament ausgeblieben war, richtete die Ständige Vertreterin Lettlands bei der Europäischen Union im Namen des Rates im Februar 2015 ein Schreiben an PEK Juncker und PEP Schulz, in dem die Initiative des Rates von Februar 2014 in Erinnerung gerufen und darum ersucht wird, nun vordringlich eine horizontale Lösung für die Einbindung nationaler Experten in die Erstellung von delegierten Rechtsakten zu finden. In Reaktion darauf hatte die Kommission deutlich Entgegenkommen signalisiert und ein Non-Paper zirkuliert.

 

Darin griff sie viele der vom Rat geäußerten Anliegen auf, insbesondere die systematische Einbindung nationaler Experten in die Ausarbeitung von delegierten Rechtsakten, aber auch die Veröffentlichung der Entwürfe von delegierten Rechtsakten, öffentliche Konsultationen bei breiter Betroffenheit der Öffentlichkeit, ein öffentliches Register für delegierte Rechtsakte sowie gemeinsame Kriterien und Kategorien zur Abgrenzung von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten.

 

Die Kommission hat konkret vorgeschlagen, die Ausarbeitung delegierter Rechtsakte in vier Schritten transparenter und inklusiver auszugestalten: (i) in transparenter Weise organisierte vorbereitende Phase – Studien, Konsultation der Interessensvertreter und nationalen Experten, Zusammentragen wissenschaftlicher Anleitung – und Durchführen von Folgeabschätzungen für delegierte Rechtsakte, von denen erwartet wird, dass sie signifikante direkte Auswirkungen haben. (ii) Einbeziehung der Experten aller Mitgliedstaaten in die konkrete Ausarbeitung des delegierten Rechtsakts Sobald ein erster Entwurf des delegierten Rechtsakts vorliegt, will die Kommission die nationalen Experten mittels der Ständigen Vertretungen zu Sitzungen einladen, wobei die Kommission nach jeder Sitzung darlegen soll, welche Schlussfolgerungen sie zieht und wie sie weiter vorgeht. Sollte sich der Entwurf, der in die öffentliche Konsultation geschickt worden war, ändern, so werde den nationalen Experten Gelegenheit gegeben, sich noch zur endgültigen Version des delegierten Rechtsakts zu äußern. (iii) Die Entwürfe der delegierten Rechtsakte sollen auf einer eigenen Website während vier Wochen veröffentlicht werden. Diese Etappe der öffentlichen Konsultation solle in folgenden Fällen übersprungen werden: die Kommission verfügt über keinen Ermessensspielraum betreffend den Inhalt des delegierten Rechtsakts; der Entwurf des delegierten Rechtsakts wurde von einer Agentur erstellt, war bereits Gegenstand einer öffentlichen Konsultation und soll nicht substantiell geändert werden; der delegierte Rechtsakt soll im beschleunigten Verfahren angenommen werden. (iv) Schließlich sollen dem Rat und dem Europäischen Parlament während der gesamten Ausarbeitungsphase alle relevanten Unterlagen rechtzeitig und gleichzeitig übermittelt werden. Auf Wunsch des Europäischen Parlaments sollen seine Experten an den Sitzungen mit den nationalen Experten teilnehmen können.

 

Die Kommission hat am 19. Mai d.J. eine Reihe von Mitteilungen vorgelegt, die die Rechtsetzung auf europäischer Ebene verbessern sollen. Im Anhang zu ihrem Vorschlag zur Revision der Interinstitutionellen Vereinbarung (IIV) zu Besserer Rechtsetzung aus 2003, in dem der Grundsatz der breiten Konsultation von Sachverständigen der Mitgliedstaaten sowie der Öffentlichkeit vor der Annahme von delegierten Rechtsakten verankert ist, findet sich auch eine überarbeitete Fassung des „Common Understanding“ betreffend delegierte Rechtsakte, die insbesondere der Forderung der Mitgliedstaaten nach systematischer Einbeziehung nationaler Experten bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte entgegenkommt und sich am Non-Paper orientiert. Es fehlt im EK-Entwurf allerdings die Selbstverpflichtung der EK zur Einrichtung eines Registers für delegierte Rechtsakte, obwohl dies im Interesse des Rats liegt und auch vom Europäischen Parlament gefordert wird. Neu in der vorgeschlagenen „Vereinbarung“ ist ein Abschnitt mit Kriterien zur Abgrenzung der delegierten Rechtsakte nach Art. 290 AEUV von den Durchführungsrechtsakten gem. Art. 291 AEUV, die von der Kommission im Komitologieverfahren gem. VO (EU) Nr. 182/2011 beschlossen werden.

 

3.             Hinweise auf Mitwirkungsrechte des Nationalrates und des Bundesrates:

Bei den Modalitäten der unionsrechtlich auf die verschiedenen Arten von Maßnahmen des „tertiären Unionsrechts“ zutreffenden Rechtssetzungsverfahren handelt es sich um eine Angelegenheit des allgemeinen Europarechts, für die weder eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes noch der Länder besteht.

 

4.             Auswirkungen auf die Republik Österreich einschließlich eines allfälligen Bedürfnisses nach innerstaatlicher Durchführung:

Eine systematische, zeitgerechte, angemessene und transparente Konsultation nationaler Experten bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte ist in Österreichs Interesse, da Österreich dadurch besser Einfluss auf den Inhalt des delegierten Rechtsakts nehmen kann. Besondere innerstaatliche Durchführungserfordernisse ergeben sich nicht; Österreich entsendet bereits heute Experten, die an der Ausarbeitung bzw. Begutachtung delegierter Rechtsakte teilnehmen.

 

5.             Position des zuständigen Bundesministers samt kurzer Begründung:

Österreich hat die Initiative des Rates von Februar 2014 ausdrücklich unterstützt und sich immer dafür ausgesprochen, rasch eine horizontale Lösung zur Einbindung von nationalen Experten bei der Erstellung von delegierten Rechtsakten zu finden.

Österreich begrüßte das Non-Paper der Kommission, das viele unserer Anliegen aufgriff. Für Österreich wesentliche Punkte sind: die systematische Einbindung nationaler Experten in die Ausarbeitung delegierter Rechtsakte, die Veröffentlichung der Entwürfe, öffentliche Konsultationen bei breiter Betroffenheit der Bürger, gemeinsame Kriterien zur Abgrenzung von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten sowie ein öffentliches Register für delegierte Rechtsakte. Letztgenanntes würde für delegierte Rechtsakte wieder die zuvor bei ihrem Vorgänger, dem noch unter die Komitologie-Bestimmungen fallenden Regelungsverfahren mit Kontrolle, bestehende Transparenz und Nachvollziehbarkeit der von der Kommission angenommenen Maßnahmen sicherstellen.

Da diese Neuerungen – darunter insbesondere die systematische Einbindung nationaler Experten – nicht nur allgemein formulierte Prinzipien darstellen dürfen, sondern vielmehr konkret rechtlich abgesichert werden müssen, begrüßt Österreich die von der Kommission vorgeschlagene Verankerung im Rahmen der Neufassung der IIV zur Besseren Rechtsetzung in Form einer überarbeiteten „Vereinbarung“ über den Erlass delegierter Rechtsakte („common understanding“).

 

6.             Angaben zur Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität:

Bei der Entscheidung, ob und in welchem Ausmaß nationale Experten in den Erlass delegierter Rechtsakte eingebunden werden, handelt es sich um eine rein prozedurale Frage, die nur durch die EU-Institutionen selbst geregelt werden kann und die in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt. Weder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch der Grundsatz der Subsidiarität kommen zur Anwendung. Das Subsidiaritätsprinzip ist nicht anwendbar, da es nach Art. 5 EUV nur dann einschlägig wird, wenn ein Bereich umfasst ist, der nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt. Eine systematische und verstärkte Einbeziehung nationaler Experten in den Erlass delegierter Rechtsakte führt zu keiner weiteren Verlagerung von Regelungsbefugnissen von den Mitgliedstaaten auf die Union, sondern stellt im Gegenteil sicher, dass die Expertise der Mitgliedstaaten in die Ausarbeitung delegierter – also tertiärer – Rechtsakte einfließt.

 

7.             Stand der Verhandlungen inklusive Zeitplan:

Die Überarbeitung der IIV – und damit auch die Arbeit an einer systematischen und angemessenen Einbeziehung nationaler Experten bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte – wurde im RAA am 21.04.2015 diskutiert. Dabei kündigte der Vorsitz an, die im Lichte der Diskussion erarbeiteten Kernanliegen des Rates in einem Schreiben an die Kommission (VP Timmermans) zu übermitteln. Der AStV II hat dieses Schreiben am 29.04.2015 angenommen. Darin ruft der Rat die bisherigen Arbeiten auf Ratsebene zur Erarbeitung einer Ratsposition für die IIV-Überarbeitung in Erinnerung. Die Kommission hat ihren Textvorschlag für die IIV-Überarbeitung wie angekündigt am 19.05.2015 vorgelegt. Die Erörterungen dazu in den vorbereitenden Ratsgremien haben Anfang Juni begonnen und sollen u.a. am Juni-RAA fortgesetzt werden.