
„Kinder- und Jugendhilfe quo vadis? Rechte.Chancen.Perspektiven.“

Parlamentarische Enquete des Bundesrates
Mittwoch, 7. November 2018
(Stenographisches Protokoll)
Parlamentarische Enquete des Bundesrates
Mittwoch, 7. November 2018
(XXVI. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)
Thema
„Kinder- und Jugendhilfe quo vadis? Rechte.Chancen.Perspektiven.“
Dauer der Enquete
Mittwoch, 7. November 2018: 10.08 – 16.22 Uhr
*****
Tagesordnung
I. Einstimmung durch einen Kurztext von Renate Welsh
II. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete
Präsidentin des Bundesrates Inge Posch-Gruska
III. Informationen zu politischen Strategien
Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend im Bundeskanzleramt Mag. Dr. Juliane Bogner-Strauß
Ulrike Königsberger-Ludwig (Landesrätin für Soziale Verwaltung, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niederösterreich)
Veronika Matiasek (Zweite Landtagspräsidentin, Wiener Landtag)
IV. Impulsreferate
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Klaushofer (Universität Salzburg)
Mag. Markus Huber (Volksanwaltschaft)
Dr. Andrea Holz-Dahrenstaedt (Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs)
Mag. Elisabeth Hauser (SOS-Kinderdorf)
V. Panel 1-3 und Diskussionen
Panel 1: Krisenpflege und Pflegefamilien – Aktuelle Herausforderungen
Edith Marlovits (Verein Eltern für Kinder Österreich)
Silvia Rosner-Böhm (Pflege- und Adoptivelternverein Burgenland)
Wiedereinstimmung durch einen Kurztext von Renate Welsh
Panel 2: Übergänge – der Weg ins Erwachsenwerden
Caroline Pavitsits (Bundesjugendvertretung)
Mag. (FH) Tanja Lechner (Gesellschaft Österreichischer Kinderdörfer)
Pascal Riegler (Jugendlicher mit Erfahrungsbericht)
Richard Gruber (Jugendlicher mit Erfahrungsbericht)
Panel 3: Das Recht des Kindes auf Schutz, Versorgung und Teilhabe in der Kinder- und Jugendhilfe
Univ.-Prof. Dr. med. Ernst Berger (Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie)
Dr. Christoph Hackspiel (Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit)
Sandra Wohlschlager (Verein Abenteuer Familie)
VI. Schlussreferat
Dr. Helmut Sax (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte)
VII. Politische Schlussfolgerungen
Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland)
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien)
Bundesrätin Rosa Ecker, MBA (FPÖ, Oberösterreich)
VIII. Schlussworte der Präsidentin
Präsidentin des Bundesrates Inge Posch-Gruska
*****
Inhalt
I. Einstimmung durch einen Kurztext von Renate Welsh .......................................... 7
Renate Welsh .................................................................................................................. 7
II. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete ............................... 12
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska ............................................................ 12
III. Informationen zu politischen Strategien ......................................................... 13
Bundesministerin Mag. Dr. Juliane Bogner-Strauß ................................................. 14
Ulrike Königsberger-Ludwig ....................................................................................... 16
Veronika Matiasek ........................................................................................................ 20
IV. Impulsreferate ......................................................................................................... 22
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Klaushofer .......................................................................... 22
Mag. Markus Huber ...................................................................................................... 25
Dr. Andrea Holz-Dahrenstaedt .................................................................................... 27
Mag. Elisabeth Hauser ................................................................................................. 31
V. Panel 1-3 und Diskussionen ................................................................................... 33
Panel 1: Krisenpflege und Pflegefamilien – Aktuelle Herausforderungen .................... 33
Edith Marlovits .............................................................................................................. 34
Silvia Rosner-Böhm ..................................................................................................... 36
Diskussion:
Bundesrat Karl Bader .................................................................................................. 38
Abg. Norbert Sieber ..................................................................................................... 39
Abg. Eva Maria Holzleitner, BSc ................................................................................. 40
Cornelia Schweiner ...................................................................................................... 40
Abg. Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA ................................................................. 41
DSA Hans-Peter Radauer ............................................................................................ 43
Dr. Beate Prettner ......................................................................................................... 44
Wiedereinstimmung ..................................................................................................... 45
Renate Welsh ................................................................................................................ 45
Panel 2: Übergänge – der Weg ins Erwachsenwerden ................................................ 48
Caroline Pavitsits ......................................................................................................... 48
Mag. (FH) Tanja Lechner ............................................................................................. 50
Pascal Riegler ............................................................................................................... 52
Richard Gruber ....................................................................................................... ..... 53
Diskussion:
Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler ............................................................... 55
Bundesrat David Stögmüller ....................................................................................... 55
Abg. Claudia Plakolm .................................................................................................. 57
Dipl.-Ing. Franz Dinhobl ............................................................................................... 58
Dr. Hubert Löffler .......................................................................................................... 59
Abg. Eva Maria Holzleitner, BSc ................................................................................. 60
DSP Gerald Herowitsch-Trinkl .................................................................................... 60
Mag. Rosina Baumgartner .......................................................................................... 62
DSA Herbert Paulischin ............................................................................................... 62
Panel 3: Das Recht des Kindes auf Schutz, Versorgung und Teilhabe in der Kinder- und Jugendhilfe ......................................................................................................................................... 63
Univ.-Prof. Dr. med. Ernst Berger .............................................................................. 63
Dr. Christoph Hackspiel .............................................................................................. 65
Sandra Wohlschlager .................................................................................................. 67
Diskussion:
Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA ............................................................................. 70
Bundesrätin Mag. Martina Ess .................................................................................... 71
Abg. Dr. Gudrun Kugler ............................................................................................... 72
DDr. Wolfgang Bogensberger ..................................................................................... 73
Dr. Hubert Löffler .......................................................................................................... 75
Mag. Alexandra Lugert ................................................................................................ 75
VI. Schlussreferat ......................................................................................................... 76
Dr. Helmut Sax .............................................................................................................. 76
VII. Politische Schlussfolgerungen ............................................................................ 81
Bundesrätin Marianne Hackl ....................................................................................... 81
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................. 83
Bundesrätin Rosa Ecker, MBA ................................................................................... 84
VIII. Schlussworte der Präsidentin ............................................................................. 86
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska ............................................................ 86
Geschäftsbehandlung
Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 45
Beginn der Enquete: 10.08 Uhr
Vorsitzende: Präsidentin des Bundesrates Inge Posch-Gruska, Vizepräsident des Bundesrates Dr. Magnus Brunner, LL.M., Vizepräsident des Bundesrates Ewald Lindinger.
*****
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kämpferinnen und Kämpfer für die Rechte und den Schutz der Kinder! Ich freue mich sehr, dass so viele gekommen sind. Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Kinder- und Jugendhilfe quo vadis? Rechte.Chancen.Perspektiven.“.
Ich darf alle Anwesenden sehr herzlich willkommen heißen. Mein besonderer Gruß gilt den Referentinnen und Referenten dieser Enquete, im Speziellen Frau Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend Mag.a Dr.in Juliane Bogner-Strauß. Herzlich willkommen! (Beifall.) Frau Landesrätin für Soziale Verwaltung, Gesundheit und Gleichstellung im Land Niederösterreich Ulrike Königsberger-Ludwig – herzlich willkommen! (Beifall.) Ich begrüße die Zweite Landtagspräsidentin des Wiener Landtages, Frau Veronika Matiasek. Herzlich willkommen bei uns! (Beifall.)
Weiters begrüße ich herzlich Herrn Univ.-Prof. Dr. Reinhard Klaushofer von der Universität Salzburg, Herrn Mag. Markus Huber von der Volksanwaltschaft und Frau Dr.in Andrea Holz-Dahrenstaedt seitens der Kinder- und Jugendanwaltschaft. (Beifall.)
Ich begrüße Frau Mag.a Elisabeth Hauser, die stellvertretende Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf, Frau Edith Marlovits seitens des Vereins Eltern für Kinder Österreich. (Beifall.)
Weiters begrüße ich Frau Silvia Rosner-Böhm vom Pflege- und Adoptivelternverein Burgenland, Frau Caroline Pavitsits von der Bundesjugendvertretung, Frau Mag. (FH) Tanja Lechner von der Gesellschaft Österreichischer Kinderdörfer. (Beifall.)
Ich begrüße die Herren Pascal Riegler und Richard Gruber, die uns jeweils von ihren persönlichen Erfahrungen berichten werden, Herrn Univ.-Prof. Dr. med. Ernst Berger, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, und Herrn Dr. Christoph Hackspiel von der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Beifall), Frau Sandra Wohlschlager, Landesobfrau des Vereins Abenteuer Familie, sowie Herrn Dr. Helmut Sax vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte. (Beifall.)
Eine besondere Freude ist es mir auch, die Kinder- und Jugendbuchautorin Frau Renate Welsh bei uns begrüßen zu dürfen. Danke für Ihr Kommen und herzlich willkommen! (Beifall.)
Darüber hinaus begrüße ich sehr herzlich die anwesenden Fraktionsvorsitzenden sowie alle Mitglieder des Bundesrates, des Nationalrates, der Landtage und des Europäischen Parlaments, die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierungen, der Bundesministerien und der Sozialpartner sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertreter, die als Expertinnen und Experten an der heutigen Enquete teilnehmen.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir so eine gute Mischung an Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben, die wirklich von der Basis kommen, die wirklich von dort kommen, wofür die Gesetze gemacht werden. Wir Politikerinnen und Politiker sollen sie dabei unterstützen, dass diese Gesetze auch den Kindern und dem Kindeswohl dienen. Daher freue ich mich auf eine sehr gute, sachliche Diskussion heute und hoffe, dass wir viel für unsere Kinder und Jugendlichen weiterbringen werden.
Im Besonderen heiße ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen.
Es freut mich auch sehr, dass ich alle, die via Livestream dabei sind, recht herzlich begrüßen darf. Ich habe heute in der Früh schon ein paar WhatsApp-Nachrichten mit der Frage bekommen, ob die Enquete wirklich via Livestream übertragen wird. Ja, alle, die jetzt nicht hier sein können, können sie via Livestream im Internet verfolgen. Auch diese Zuseherinnen und Zuseher begrüße ich recht herzlich.
*****
(Es folgen technische Mitteilungen in Bezug auf das Prozedere durch die Vorsitzende sowie der Hinweis, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst wird, das nach einiger Zeit im Internet unter www.parlament.gv.at abrufbar sein wird.)
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Ich möchte Herrn Andreas Kovar recht herzlich dafür danken, dass er uns als Gedankengeber, als Initiator des World Café, die Basis für das heutige Treffen bereitet hat, auf der wir sehr gut arbeiten können, und die Ergebnisse der Onlinediskussion zusammengeführt hat. Ein herzliches Dankeschön für die Vorarbeit, die schon geleistet wurde, natürlich auch von allen Mitdiskutanten und Mitdiskutantinnen, die da einen wichtigen Beitrag geleistet haben.
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Als Einstimmung zur heutigen Enquete folgt nun ein Kurztext von Renate Welsh.
Renate Welsh: Schönen guten Morgen! Ich lese zuerst aus meinem Buch, das „Disteltage“ heißt. Da geht es um ein Mädchen, dessen Mutter an einer schweren Depression leidet, das dies aber nicht wahrhaben will.
„Im Treppenhaus roch es nach bruzzelnden Zwiebeln. Sarah lief das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte gar nicht gewußt, wie hungrig sie war. [...]
Mama mußte aufgestanden sein, sich gewaschen und angezogen haben, einkaufen gegangen sein ... Halsweh ließ nach, geprellte Gliedmaßen heilten, Fieber und Schnupfen und Magenverstimmung vergingen. Warum sollte eine Seelenverstimmung nicht vergehen?
Dann konnte alles wieder gut werden. Sie konnten wieder normal leben wie früher. [...]
Wenn es Mama besser ging, war sie bestimmt wütend über das Chaos in Sarahs Zimmer. Genau wie jede andere Mutter. Normal wütend.
Sarah nahm zwei Stufen auf einmal. [...]
Als die Tür hinter Sarah zufiel, blieb der Zwiebelduft draußen. Ein fader, säuerlicher Geruch hing in der Wohnung.
,Mama?‘
Keine Antwort.
Sarah ließ ihre Schultasche fallen, ging in die Küche. Die Teller von gestern standen noch auf der Arbeitsplatte, auf einer Scheibe Wurst mit hochgerolltem Rand saß eine Fliege. Sarah schlug nach ihr, sie flog auf, drehte eine Runde um die Lampe, kam zurück. Saß einfach da und bohrte ihren blöden Rüssel in das glänzende Fett. [...]
Sarahs Blick fiel auf die Marmeladegläser auf dem Bord, sauber geordnet nach Fruchtsorten und Erntejahr, Zeugen der Mutter von früher, die nach dem Büro noch eingekocht und dabei gesungen hatte. Als in diesem Oktober die Zwetschgen angebrannt waren, hatte sie zum ersten Mal zu weinen begonnen, dieses schreckliche stumme Weinen, das nicht aufhörte. In früheren Jahren war sie bei solchen Gelegenheiten wütend geworden, hatte einmal den Kochlöffel an die Wand geworfen, aber geweint hatte sie nicht.
Sarah nahm ein Glas eingemachte Kirschen vom Regal, vermantschte es mit Müsli, lehnte sich an den Kühlschrank und begann zu essen. Sie schlürfte. War doch egal. Hörte sowieso keiner.
Da sah sie den Wurm. Winzig und weiß kroch er aus einer Haselnuß.
Die Schüssel fiel Sarah aus der Hand, zersprang klirrend. Scherben spritzten über die Fliesen, dazwischen rann roter Kirschensaft.
,Scheiße!‘ brüllte Sarah.
Sie starrte auf die Scherben, die Haferflocken, die Nüsse. Wie viele Würmer hatte sie gegessen? Die Küchentür knarrte. Die Mutter stierte auf den Boden, bewegte lautlos wie mümmelnd die Lippen. Die Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, ihre Augen waren rot und verquollen.
,Mama, es tut mir leid. Da war ein Wurm. Die Schüssel ist mir aus der Hand gefallen.‘
Die Mutter öffnete und schloß den Mund, plötzlich schrie sie: ,Du machst mich krank! Das ist ja zum Wahnsinnigwerden!‘
,Willst du ein Aspirin?‘
Sie lachte. Das Lachen klang schrecklich. ,Ein Aspirin! Ein Aspirin willst du mir geben!‘ [...]
,Soll ich nicht doch den Doktor holen?‘
,Wenn du den Doktor holst, spring ich aus dem Fenster. Ich brauche keinen Doktor. Ich brauche nur Ruhe. Weißt du, was das ist? RUHE! Ich bin nicht krank.‘
Sarah sah die Mutter an.
Die Mutter sah Sarah an. Nach einer langen Weile machte sie kehrt und ging ins Schlafzimmer zurück.
Unter Sarahs Füßen knirschten die Scherben. Die dicke Fliege summte laut, klatschte gegen die Fensterscheibe, summte weiter.
Sarah hob eine Scherbe nach der anderen auf. Es waren so viele. Aufkehren ging nicht, alles klebte. Ekelig. Als Sarah den Eimer holte und mit Wasser füllte, zertrat sie wieder eine Scherbe. Wie das knirschte. Sie begann aufzuwaschen. Beim Auswringen faßte sie in einen Splitter, ein scharfer Schmerz zuckte durch die Handfläche. Sie betrachtete den dicken Blutstropfen, der herausquoll, eine Kuppel bildete, dann abschmierte [...]. Sarah stakste aus der Küche, stellte fest, daß sie klebrige Fußstapfen auf dem Teppich hinterließ, schlüpfte aus den Schuhen, ließ sie stehen, wo sie waren. Im Badezimmer wusch sie sich die Hände, sah einem neuen Blutstropfen zu. [...]
Die Mutter war einfach ungerecht. Die wäre doch selbst ganz schön erschrocken, wenn ein Wurm sie angeglotzt hätte.
Wenn sie nicht krank war, warum lag sie dann im Bett?
Warum hatte sie seit Tagen nichts gekocht, nichts eingekauft?
Warum ging sie nicht ins Büro?
Das Geld für den Schulausflug hatte sie Sarah auch nicht gegeben. [...] Und den Aufsatz hatte die Mutter nicht gelesen, für den Sarah einen Einser bekommen hatte. Ihren allerersten Einser im Aufsatz. ‚Schön, sehr schön‘, hatte die Mutter gemurmelt, aber ihre Augen waren ganz woanders gewesen, nicht auf dem Heft.
Apropos einkaufen. Ich muss einkaufen gehen, wenigstens Brot und Milch holen und irgend etwas Tiefgekühltes.
Der Mensch muß essen, sagte Oma immer, ein leerer Sack steht nicht. Wo war sie jetzt? Irgendwo zwischen Venedig und Rom, in einem riesigen Reisebus. ‚Mit Schlafsesseln und Toilette‘, hatte Oma gesagt. ‚Voll klimatisiert.‘“
Wenn man einmal jemanden brauchte, war keiner da. Sie organisiert irgendwie doch etwas.
„Sarah kochte Hühnersuppe genau nach Anleitung auf dem Beutel, trug eine Tasse voll ins Schlafzimmer.
‚Du musst wenigstens ein paar Löffel voll essen, Mama.‘
Nach langen Minuten drehte sich die Mutter um. ‚Wozu?‘
Sarah sagte alle Muttersätze und alle Omasätze, die ihr einfielen. Als sie schon drauf und dran war, aus dem Zimmer zu laufen, setzte sich die Mutter auf, aß ein paar Löffel.
So fremd sah sie aus, so ungeheuer fremd. Ihre Augen starrten auf einen Punkt hinter Sarahs Kopf, und was sie dort sah, mußte schrecklich sein.
‚Ich kann nicht mehr.‘ Suppe schwappte auf die Bettdecke. Sarah nahm die Schale, die Mutter wandte sich sofort wieder ab, lag in derselben Stellung wie zuvor.
‚Mama, du musst gesund werden. Dreh dich nicht weg. Schau mich an, Mama.‘
Die Mutter zog die Decke höher, verschwand fast darunter. ‚Hat doch alles keinen Sinn.‘ Wie kraftlos ihre Stimme klang. ‚Jetzt werden sie mir dich wegnehmen. Darauf hat er doch nur gewartet. Ich hab alles falsch gemacht, Sarah, und jetzt ist es zu spät. Jetzt hab ich keine Kraft mehr. Es ist besser, wenn ich dich nicht auch noch mit hineinziehe. Das ist das einzige, was ich noch für dich tun kann.‘
‚Wir kriegen das schon hin, Mama. Ich war beim Arzt und hab gesagt, du hast Grippe, und er hat dich krankgeschrieben, und das mit der Schule ... hab ich auch geregelt. Mama, wir schaffen das schon! Du mußt nur wollen! Und ich bleibe da. Mich schleppt hier keiner ab. Mit Handschellen werden sie ja nicht kommen. Außerdem weiß niemand, daß es dir ... nicht gut geht.‘
Die Mutter schloß die Augen. ‚Laß mich in Ruhe! Bitte, laß mich!‘ Das war fast geschrien. Geschrien ohne Stimme. Daß man ohne Stimme schreien konnte.“
Jetzt ein völlig anderer Text aus dem Buch „Zeit ist keine Torte“. Da geht es um ein Mädchen, das an sich Glück mit ihren Eltern hat. Die sind sehr nett; das einzige, was ihnen fehlt, ist Zeit. – Wie das so ist: Wenn etwas schiefgeht, dann geht alles schief. Alle Babysitterarrangements funktionieren nicht, so ist Elli in der sogenannten ehemaligen Energiewoche bei der Nachbarin:
„Während Elli die Zähne putzt und sich wäscht, hört sie Papa telefonieren. Zwischen zwei Anrufen verspricht er, dass er dann gleich Gute Nacht sagen kommt.
Eigentlich ist Elli müde. Die Augen fallen ihr zu. Sie reißt sie wieder auf.
Irgendwann steht Papa neben ihrem Bett. Sie stellt sich schlafend, sie hat einfach zu lange gewartet. Papa beugt sich über sie und streift mit seinem Rasierbart ihre Wange. Da kullern ihr ein paar Tränen aus den Augen, obwohl sie doch gar nicht weinen will.
‚Ist ja gut‘, murmelt Papa. ‚Ist ja gut.‘
Sie schüttelt den Kopf.
‚Gefällt es dir nicht bei Frau Neudeck?‘, fragt er plötzlich ganz besorgt. ‚Ist etwas passiert? Heiliger Himmel, das hat mir gerade noch gefehlt!‘
Elli setzt sich im Bett auf. Es gefällt ihr gut bei Frau Neudeck. Sehr gut. Sie will nur wissen – und da bricht sie ab, weil das, was sie fragen möchte, so ungeheuerlich ist, dass sie Angst bekommt.
‚Was willst du wissen?‘ So streng hat Papa noch nie geklungen.
Selber schuld, wenn sie ihm jetzt sagt, was sie denkt!
‚Ich will wissen, warum ihr euch überhaupt ein Kind angeschafft habt, wenn ihr doch keine Zeit dafür habt!‘
Papa reißt den Mund auf, macht ihn wieder zu.
Er steht da und starrt sie an.
Sie starrt ihn an. Genau kann sie ihn nicht sehen, es fällt nur wenig Licht durch die halb offene Tür. Riesengroß kommt er ihr vor. Sie hört ihn atmen, und sie hört ihr Herz klopfen, so laut, dass es in den Ohren wehtut.
Plötzlich zieht er durch die Nase auf. ‚Ich hab kein Taschentuch‘, schnieft er. Sie muss Licht machen, um die Papiertaschentücher neben ihrem Bett zu finden.
‚Elli ...‘ Papa drückt ihren Kopf an seine Brust. ‚Du weißt ja nicht, wie froh ich bin, dass es dich gibt. Und Mama auch! Nur müssen wir eben leider – also ... können wir vielleicht ein andermal? Ich weiß echt nicht, wie ich das erklären soll, ich glaube, ich müsste da –‘
Das Telefon klingelt.
‚Dein Freund und Retter‘, sagt Elli böse.
Einen Moment lang sieht es aus, als wollte Papa das Telefon aus dem Fenster werfen, dann zieht er die Schultern bis zu den Ohren hoch und hebt die Augenbrauen, bis sie ganz schräg stehen, legt die rechte Hand auf sein Herz und den Kopf schief.
Papa mit schuldbewusstem Dackelblick. Beinahe muss Elli lachen, aber nur beinahe. So leicht kommt er ihr nicht davon. Diesmal nicht. Doch dann schläft sie ein, obwohl sie sich so fest vorgenommen hat, wach zu bleiben und ihn zur Rede zu stellen.“
Am Morgen steht Papa mit einem Pflaster am Daumen und einem breiten Grinsen im Gesicht an Ellis Bett. Eine Hand hält er hinter dem Rücken und zeigt ihr, dass er das Messer der Nachbarin frisch poliert hat.
„Während Elli sich anzieht, hört sie ihn am Telefon“ – zu Mama sagen: „‚Montag fängt sowieso die Schule an, und alles wird wieder normal. Weißt du schon, mit welchen Zug du kommst?‘
Beim Frühstück fragt Elli: ‚Was wird wieder normal?‘ [...]
‚Muss das jetzt sein?‘ Papa hofft, dass sie Nein sagen wird. Das spürt Elli so deutlich wie einen Stein im Schuh. Aber sie sagt nicht Nein. Sie sagt Ja.
Papa legt seine Aktentasche weg. Er setzt sich auf den Hocker neben der Tür, stützt die Ellbogen auf die Knie und schaut Elli an. ‚Ich kenn mich nicht aus mit dir. Du ... du willst nur mehr bei der Frau Neudeck sein. Was findet du an ihr?‘
‚Sie hat Zeit für mich! Sie hört mir zu! Sie will wissen, was ich denke!‘
Das Telefon klingelt.
Papa hebt nicht ab. Er lässt es läuten, sehr lange, bis es endlich aufhört.
‚Elli‘, sagt Papa, und dann weiß er nicht weiter.
Elli geht drei Schritte auf ihn zu und legt die Arme um seinen Hals.
Er drückt sie so fest, dass es wehtut. Der Hocker wackelt.
‚Ich werde mich bessern‘, verspricht Papa.
‚Ich glaube, du hast gerade damit angefangen‘, sagt Elli.
‚Du musst halt Geduld haben.‘ Papa wuschelt durch Ellis Haare. ‚Ich hab immer geglaubt, Erwachsene müssen sehr viel Geduld mit Kindern haben. Jetzt komme ich drauf, dass Kinder sehr viel Geduld mit Erwachsenen haben müssen.‘
Plötzlich kommt Elli ein Gedanke, der nicht warten kann. ‚Ich weiß, woran das liegt. Die Erwachsenen glauben, sie wissen, wie es ist, ein Kind zu sein. Aber das stimmt oft nicht.‘
Papa seufzt.
‚Vielleicht müsste man verschiedene Uhren erfinden‘, sagt Elli. ‚Für Erwachsene und für Kinder. Weil Erwachsenenzeit und Kinderzeit ganz verschiedene Zeiten sind.‘
‚Meinst du, die von den Großen geht immer zu schnell?‘ [...]
‚Auch, aber nicht nur. Manchmal kommt mir vor, ihr tut so, als wäre die Zeit eine Torte. Kaum haben wir ein Stück davon gehabt, ist nichts mehr da.‘
‚Über deine Zeit-Torte werde ich noch lange nachdenken‘, sagt Papa. ‚Schokolade oder Zitrone?‘
Elli schaut streng. ‚Keine Torte vor dem Frühstück. Ich glaube, da gibt es ... so einen tiefen Fluss, und wenn man groß ist und sich erinnert, kann man über eine Brücke zurückgehen. Aber wenn man noch klein ist, ist das alles ziemlich unheimlich. Und man weiß nicht, wie viele grausliche Viecher im Wasser sind. Verstehst du?‘
Elli spürt, wie Papa nachdenkt, sie hört fast sein Hirn knacken vor Anstrengung. ‚Ich bemühe mich‘, sagt er. ‚Ich bemühe mich wirklich.‘
Elli kuschelt sich noch ein bisschen an Papas Brust, dann steht sie auf.“
Ich danke Ihnen. (Beifall.)
10.31
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Ich danke Ihnen recht herzlich, Frau Welsh. Ich denke, das waren Texte über zwei Bereiche, die uns recht deutlich gezeigt haben, wie breit unser Betätigungsfeld eigentlich ist.
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Ich darf nun kurz mein persönliches Einleitungsstatement abgeben, bevor ich dann den Referentinnen des ersten Teils das Wort erteile.
Ich habe schon gesagt, dass ich mich freue, dass so viele gekommen sind, dass so viele hier sind, dass wir gemeinsam arbeiten können. Das Thema Kinder- und Jugendhilfe ist ein wichtiger demokratischer Bestandteil für mich, aber auch für unseren Wohlfahrtsstaat, für unseren demokratischen, sozialen Wohlfahrtsstaat in Österreich. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz muss nämlich Menschen, die sich nicht selbst helfen können, Schutz geben und es muss diesen Schutz für Menschen, die sich nicht selbst helfen können, auch sicherstellen.
Kinder und Jugendliche suchen sich nicht aus, ob sie in eine arme oder in eine reiche Familie hineingeboren werden, ob die Eltern mit ihnen für die Schule lernen können, ob sie in einer trockenen Wohnung wohnen können oder ob sie gesunde Nahrung bekommen. Ich bin mir sicher, dass wir uns hier alle über alle Parteigrenzen hinweg und in den unterschiedlichsten Organisationen und Vereinen, in denen wir arbeiten, einig sind, dass ein Kind ein Kind ist und dass jedes Kind in Österreich die bestmöglichen Chancen haben soll und bestmöglich umsorgt werden soll, damit es die Möglichkeit hat, ein selbstbestimmter Erwachsener zu werden.
Dafür gibt es unsere Kinder- und Jugendhilfe. 2013 wurde das Kinder- und Jugendhilfegesetz beschlossen. Schon damals, beim Beschluss, sind sehr viele Wünsche offengeblieben, und nicht alle Forderungen konnten wirklich erfüllt werden. Trotzdem hat die Kinder- und Jugendhilfe sehr viel Gutes bewirkt. Alleine 2016 wurden 50 000 Kinder und Jugendliche durch die Kinder- und Jugendhilfe unterstützt. Die meisten dieser jungen Menschen lebten in Familien, die einem sehr großen Druck ausgesetzt waren, die sich in der Spirale der Überforderung – Angst, Krankheit, Gewalt und meistens auch finanzielle Not – ohne professionelle Hilfe nicht helfen konnten.
Es gibt aber auch viele Kritikpunkte an der aktuellen Kinder- und Jugendhilfe und viele Ungleichheiten, die auch durch dezentrale Regelungen entstanden sind. Denken wir zum Beispiel an die Krisenpflegeeltern oder an die Pflegeeltern. Da gibt es je nach Bundesland sehr unterschiedliche Regelungen. Krisenpflegeeltern sind beispielsweise kaum versichert und werden sehr gering entlohnt, obwohl die Betreuung von Kindern durch Krisenpflegeeltern und Pflegeeltern im Vergleich zu Pflegeheimen eine große finanzielle Entlastung für die Länder wäre.
Einen weiteren Missstand finden wir im Bereich der 18-plus-Jugendlichen. Die Jugendlichen verlieren da den Anspruch auf ihren Platz in einer Wohngemeinschaft oder wichtige Fördergelder.
Eine große Errungenschaft der Kinder- und Jugendhilfe ist die Einrichtung der Kinder- und Jugendanwaltschaften in allen Bundesländern Österreichs und die Weisungsfreiheit der Kinder- und Jugendanwälte. Leider ist es aber auch so, dass nicht alle Kinder- und Jugendanwälte gleich ausgestattet sind und dass es da große Unterschiede in den Bundesländern gibt.
Diese und unzählige weitere Beispiele zeigen, dass österreichweite Qualitätskriterien und Mindeststandards in der Kinder- und Jugendhilfe mehr Rechtssicherheit und dadurch auch mehr Gerechtigkeit für Kinder und Jugendliche in Österreich schaffen. Wir stehen vor Herausforderungen, denen seitens der gesetzlichen Rahmenbedingungen besser entsprochen werden muss. Besonders im Fokus müssen dabei die Lebensqualität der Kinder, die Lebensrealitäten in deren Familien und Entwicklungen im Bereich der Jugendlichen, die in der Ausbildung sind, stehen.
Das habe ich mir jetzt zum Anlass genommen, um in meiner Präsidentschaft im zweiten Halbjahr, also noch bis Ende des Jahres, diese Herausforderungen mit Politikerinnen und Politikern, der Verwaltung, den Trägerorganisationen und weiteren Fachexpertinnen und -experten zu diskutieren. Begonnen – ich habe das schon gesagt – haben wir das im Rahmen eines World Cafés und natürlich bei der Onlinediskussion. Mein Ziel ist es, während meiner Präsidentschaft konkrete Vorschläge für Lösungen in der Zuständigkeit von Politik und Verwaltung zu erarbeiten, die das Wohl aller Kinder Österreichs als zentrales Anliegen haben. Die Ergebnisse der Onlinediskussionen liegen Ihnen bereits vor, Sie finden das Papier auf Ihren Plätzen.
Mit dieser parlamentarischen Enquete soll jetzt ein weiterer Schritt gesetzt werden, um gemeinsam zu einer breiten Lösung zu finden. Es liegt an uns Entscheidungsträgerinnen und -trägern, auf Bundes- und auf Landesebene die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen und Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um in ganz Österreich ohne Ausnahme für alle Kinder und Jugendliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten, die ein kindgerechtes Leben und eine Entwicklung zu einem selbstbestimmten Erwachsenen ermöglichen. Gemeinsam, über alle Grenzen der Zuständigkeit und politischen Zugehörigkeiten hinweg, müssen und wollen wir auch daran arbeiten.
Im Bundesrat tun wir das bereits im Kinderrechteausschuss, der angelehnt an unsere Bundesratspräsidentschaft halbjährlich auch Sitzungen in den Bundesländer abhält. Bei diesen Besuchen der Bundesländer haben wir auch die Themen für die heutige Enquete gewählt. Als besondere Schwerpunktthemen haben sich bei unseren letzten Besuchen die Themen Krisenpflegeeltern und Pflegeeltern, der Weg ins Erwachsenwerden, also 18 plus, und das Recht des Kindes auf Schutz, Versorgung und Teilhabe herausgestellt.
Ein Kind kann nicht beeinflussen, ob es in Armut lebt, von Gewalt betroffen ist oder einen breiten Zugang zu Bildung erhält. Die Politik kann aber die richtigen Maßnahmen setzen und Rahmenbedingungen für eine gute Kindheit mit guter Bildung für jedes Kind in unserem Land schaffen. Wir brauchen dazu mutige Mitstreiterinnen und Mitstreiter für die sozial Schwächsten in unserer Gesellschaft. Ich wünsche daher unserer Enquete einen spannenden Verlauf, sachlich gute Diskussionen und gute Ergebnisse für die Kinder und Jugendlichen bei uns in Österreich.
10.38
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Ich darf nun zum ersten Block überleiten und freue mich, dass Frau Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend im Bundeskanzleramt Mag.a Dr.in Juliane Bogner-Strauß, Frau Landesrätin für Soziale Verwaltung, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niederösterreich Ulrike Königsberger-Ludwig sowie die Zweite Landtagspräsidentin des Wiener Landtags Veronika Matiasek bei uns sind. Ich darf Sie bitten, sich hier vorne herzusetzen.
Ich darf gleich die Frau Bundesministerin um ihre Ausführungen bitten. Ich ersuche die Referentinnen, die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten, und darf darauf hinweisen, dass die Lampe hier vorne 2 Minuten vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt. – Bitte, Frau Ministerin.
Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend im Bundeskanzleramt Mag. Dr. Juliane Bogner-Strauß: Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Inge! Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren, auch im Livestream! Ich bedanke mich wirklich dafür, dass es heute eine parlamentarische Enquete des Bundesrates mit dem Titel „Kinder- und Jugendhilfe quo vadis?“ gibt. Ich glaube, wir treffen hier genau den Punkt der Zeit. Es geht hier um Rechte, um Chancen und um Perspektiven.
Damit wir wissen, wohin es geht, sollten wir uns auch überlegen, woher die Kinder- und Jugendhilfe, woher die Rechte gekommen sind. In Österreich wurde das erste Jugendwohlfahrtsgesetz bereits im Jahr 1954 beschlossen. Dieses Gesetz hatte ein verwaltendes Verständnis, von einer Servicefunktion waren wir seinerzeit noch weit entfernt. Ab den Siebzigerjahren wurde in der Jugendwohlfahrt ein Paradigmenwechsel vollzogen. Es setzte sich allmählich eine Neuorientierung konkret am Wohle des Kindes und seiner Rechte durch.
Ich bin Anfang der Siebzigerjahre geboren. Ich habe am Land gelebt, ich bin in sehr bescheidenen bäuerlichen Verhältnissen, aber in einem behüteten Umfeld aufgewachsen, wohingegen es in meinem Umfeld sehr viele Pflegekinder gab. Diese sind weit entfernt von einem behüteten Umfeld aufgewachsen. Damals ging es eher darum, in Pflegefamilien viele Kinder um sich zu scharen. Es hat wenig Kontrolle gegeben, und diese Kinder sind sozusagen mitgelaufen. Aber von Behütung, von Kontrolle waren wir in den Siebzigerjahren weit entfernt.
Bis zum Ende der Achtzigerjahre hat sich der Blick auf die Jugendwohlfahrt in Österreich entscheidend verändert. Diesem Umstand wurde vor allem im Jahr 1989 – es wurde schon erwähnt – auch mit dem Jugendwohlfahrtsgesetz Rechnung getragen, womit ein wirklich modernes Gesetz zum Beschluss gekommen ist. Eine zentrale Frage war es, die Familienautonomie, die bis dorthin völlig unantastbar war, zu hinterfragen. Was meinte man damit? Der Staat hatte sich grundsätzlich nicht in familiäre Angelegenheiten einzumischen. Die Achtung des Rechts der Eltern zur autonomen Gestaltung des Familienlebens hatte und hat auch heute noch Priorität, aber heute schauen wir anders darauf. Eine wesentliche Klarstellung zum Thema Gewalt in der Erziehung fand man im Gesetz jedoch ab diesem Zeitpunkt. Die Jugendwohlfahrt darf in familiäre Bereiche und Beziehungen so weit eingreifen, als dies dem Wohle der Minderjährigen dient.
1989 – viele von Ihnen werden es wissen – war wirklich für die Rechte der Kinder ein ganz essenzielles Jahr. Es gab das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention. Österreich hat sich, ich möchte sagen, nach Schweden als Pionierland dafür entschieden, ein Gewaltverbot in der Kindererziehung durchzusetzen. Ich darf darauf hinweisen, ich war vor einigen Monaten in Malta bei der Konferenz gegen Gewalt an Kindern, gegen Gewalt in der Erziehung von Kindern, und ich war erstaunt, in wie vielen Ländern sogar in Europa Gewalt in der Erziehung geduldet und erlaubt ist. Ich darf hier Frankreich als Beispiel nennen, von der gesunden Watschen nimmt dort noch niemand Abstand, das ist in der Erziehung dort noch verankert. In vielen Ländern ist es sogar noch in der Elementarpädagogik erlaubt, Gewalt anzuwenden.
Ich bin dankbar dafür, in einem Land wie Österreich zu leben, wo das seit 1989 verboten ist. Aber ich darf Ihnen hierzu auch Zahlen nennen: 1989 waren 90 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen dagegen, dieses Gesetz umzusetzen, ja, und wir haben es trotzdem gemacht. Heute sind Gott sei Dank nur mehr circa 15 Prozent der Österreicher der Meinung, dass die gesunde Watschen durchaus nicht schaden kann.
Allgemein kann eben gesagt werden, dass mit dem Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 überhaupt der Servicecharakter in der Beratung und der konkreten Unterstützung der Familien bei der Erfüllung der elterlichen Pflichten stark verstärkt wurde. Eine weitere Verbesserung – du, liebe Inge, hast es schon genannt – war die Erneuerung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes im Jahr 2013. Es führte zu einem Paradigmenwechsel und zu einer Dienstleistungsorientierung der Kinder- und Jugendhilfe.
Mit diesem Gesetz wurden primär folgende Ziele verfolgt: eine Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt in der Familie und anderen Gefährdungen, Impulse für einheitliche Standards – ich denke, diese einheitlichen Standards werden heute noch öfter diskutiert werden – und weitere Professionalisierung der Fachkräfte. Weitere Ziele waren die Stärkung der Prävention bei Erziehungsproblemen und eine Stärkung der Partizipation von Eltern, Kindern und Jugendlichen. In der Prävention von Gewalt sowie einer möglichst guten Diagnostik der Kinderwohlfahrtsgefährdung wurde das Vieraugenprinzip als prinzipielles Arbeitsprinzip eingeführt. Die Mitteilungspflicht von Fachkräften und eine Professionalisierung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wurden ebenfalls implementiert.
Das Österreichische Institut für Familienforschung führt derzeit eine Evaluierung durch. Wir möchten wissen, wie gut das funktioniert, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Mittlerweile – Sie alle wissen es, denn es wurde auch lautstark diskutiert – steht die Kinder- und Jugendhilfe in Österreich vor einem weiteren Entwicklungsschritt. Die Kompetenzverteilung zwischen Ländern und Bund wird neu geregelt, und dieser Schritt betrifft eben auch die Kinder- und Jugendhilfe. Bisher ist die Grundsatzgesetzgebung beim Bund gewesen, für die Ausführungsgesetzgebung und die Vollziehung waren die Länder verantwortlich. Zukünftig wird die Kinder- und Jugendhilfe in die alleinige Verantwortung der Länder übergehen. Die Landeshauptfrau und alle Landeshauptmänner haben sich dazu bekannt, dass sie sich weiterhin für gehobene und ausgezeichnete Standards einsetzen werden, und alle Landeshauptmänner und die Landeshauptfrau waren fraktionsübergreifend dafür, diese Kompetenzbereinigung durchzuführen.
Ich möchte eines allerdings betonen, und das ist mir vor allem persönlich sehr wichtig: Natürlich stehen für mich die Kinderrechte und das Kindeswohl außer Streit, einheitliche Standards – und darüber wurde auf und ab diskutiert – sind unerlässlich. Ich war auch in den letzten Monaten wirklich in allen Bundesländern unterwegs, und wir sind, ehrlich gesagt, weit weg von einheitlichen Standards, obwohl es in den letzten Jahren ein Bundesrahmengesetz dazu gab. Die Dinge werden in den Bundesländern ganz unterschiedlich gehandhabt, so wie das Thema halt gewachsen ist. Ich glaube, da muss man in Zukunft auch wirklich gut hinschauen. Jedes Bundesland ist natürlich der Meinung, dass das System, das in seinem Land existiert, ein gutes System ist. Aber ich glaube, man kann trotzdem schauen, wo es Best-Practice-Beispiele gibt, und im Rahmen einer Vereinbarung gemäß Art. 15a Abs. 2 sollte das auch in Zukunft bestens geregelt sein.
Worum geht es mir? – Mir geht es darum, dass die Bundesländer hier Verantwortung übernehmen. Das ist für mich ganz, ganz wichtig. Die Bundesländer haben sich zu dieser Verantwortung bekannt. Ich freue mich darauf, zu sehen, was die Evaluierung des Österreichischen Instituts für Familienforschung zutage bringt, denn ich glaube, das kann man dann durchaus in diese Artikel-15a-Vereinbarung einbauen. Es muss einfach weiterhin ein Bewusstsein für die Bedürfnisse unserer Kinder vorhanden sein. Es ist Ihnen allen sicher bekannt, dass die Zahl der Kindesabnahmen leider im Steigen begriffen ist. Wir müssen vor allem auch in die Prävention investieren und müssen auch der Elternbildung mehr Input zukommen lassen.
Wir haben es von Frau Welsh gehört, viele Eltern haben wenig Zeit, andere Eltern sind oft nicht in der Lage – das mag auch gesundheitlich bedingt sein –, sich um ihre Kinder zu kümmern. Da braucht es Unterstützung, und da sind wir alle gefordert, nämlich auch gefordert, hinzuschauen und nicht wegzuschauen – für unsere Kinder und für unsere Jugend. – Danke schön. (Beifall.)
10.50
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Danke sehr, Frau Minister.
Bitte, Frau Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig.
Ulrike Königsberger-Ludwig (Landesrätin für Soziale Verwaltung, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Niederösterreich): Sehr geschätzte Frau Präsidentin, liebe Inge! Geschätzte Expertinnen und Experten! Geschätzte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass heute hier diese Enquete stattfindet, und möchte mich ganz, ganz herzlich bei der Initiatorin bedanken, weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass dieses Thema ein sehr wichtiges Thema ist. Ich habe in den letzten Monaten, seit ich diese Agenda in Niederösterreich innehaben darf, bemerkt, dass es ein Thema ist, das aus meiner Sicht in der politischen Debatte oft viel zu kurz kommt. Es ist ein Thema, das vielleicht nicht so herzeigbar wie vielleicht manch andere Themen in der Politik ist, dennoch bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es ein Thema ist, das viele Menschen in Österreich betrifft, das die gesamte Gesellschaft in Österreich betrifft und auch zu betreffen hat.
Bei den Texten zu Beginn hat man ja auch gesehen, dass es ein Thema ist, das ganz unterschiedlich betrifft. Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen für diese sehr berührenden Texte bedanken, die eine sehr gute Stimmung in den Saal gebracht haben, eine gute Stimmung im Hinblick darauf, dass wir alle uns wieder einmal bewusst machen, wofür die Kinder- und Jugendhilfe, wofür viele Akteurinnen und Akteure, die heute hier sind, tagtäglich arbeiten. Ich möchte mich bei Ihnen herzlich für diese sehr berührenden Texte bedanken.
Ich habe vor rund einem halben Jahr in Niederösterreich die Kinder- und Jugendhilfe als Landesrätin übernehmen dürfen und habe in diesen sieben Monaten bemerkt, in welch großem Spannungsfeld viele von Ihnen, die tagtäglich in diesem Bereich arbeiten, und natürlich auch die Politik stehen. Es ist ein Spannungsfeld zwischen Eltern und den Behörden, zwischen dem Wohl des Kindes und den Behörden, zwischen vielen Playerinnen und Playern, die in der Kinder- und Jugendhilfe tagtäglich arbeiten. Es ist auch ein großes Spannungsfeld in einer Welt, wie ich das immer bezeichne, in der scheinbar alle funktionieren müssen und alles, was ein bisschen aus der Norm ist, nicht so gerne gesehen wird. In diesem Spannungsfeld bewegen Sie sich und muss sich aus meiner Sicht auch die Politik bewegen, wenn sie sich mit Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt, mit dem Auftrag, mit dem gesetzlichen Auftrag, mit dem behördlichen Auftrag, den wir alle gemeinsam zu erfüllen haben.
In meinem Statement, das auch schriftlich in Ihrer Unterlage liegt, habe ich versucht, einen Überblick über die Grundlagen der Kinder- und Jugendhilfe zu geben; Sie alle wissen es, deswegen werde ich jetzt nicht im Detail auf alle einzelnen Grundlagen eingehen. Ich habe auch versucht, einen Überblick darüber zu geben, wie in Niederösterreich die Kinder- und Jugendhilfe organisiert und implementiert ist.
Vielleicht trotzdem ein paar Gedanken dazu, wie die Grundlagen in der Kinder- und Jugendhilfe angesetzt sind: Sie wissen, es gibt die gesetzliche Grundlage vom Bund, wir haben jetzt schon ein paar Sätze dazu gehört. Es gibt den Artikel 12 B-VG zur Kompetenzverteilung – noch gibt es ihn, ich werde dann noch ein paar Worte dazu sagen. Es gibt das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz und es gibt, wie auch schon angesprochen wurde, auch die Kinderrechtskonvention. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass wir im Parlament vor einigen Jahren einige Teile der Kinderrechte in der österreichischen Bundesverfassung implementiert haben. Leider ist es nicht gelungen, alle zu implementieren, aber wir haben doch einige implementiert.
Darauf und auch auf das Niederösterreichische Kinder- und Jugendhilfegesetz baut sich die Kinder- und Jugendhilfe in Niederösterreich auf. In Niederösterreich wurde in den vergangenen Jahren sehr viel und intensiv gearbeitet, um die Kinder- und Jugendhilfe weiterzuentwickeln, um auch immer wieder zu schauen: Was läuft gut in der Kinder- und Jugendhilfe? Was muss man verändern? Was soll in der Abteilung vom Land Niederösterreich neu organisiert werden, aber auch in Zusammenarbeit mit den Bezirksverwaltungsbehörden, in Zusammenarbeit mit den Trägerinnen und Trägern? In diesem Bereich wurde in den letzten Jahren in Niederösterreich sehr viel vorangetrieben, und wir sind jetzt auch mitten in einem Umstrukturierungsprozess, der viel Zeit erfordert. Aber ich bin davon überzeugt, jede Minute, die wir investieren, ist eine gute Minute, die investiert wird, damit wir die Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickeln.
In Niederösterreich gibt es, wie wahrscheinlich auch in allen anderen Ländern, in der Kinder- und Jugendhilfe präventive Maßnahmen, die aus meiner Sicht ein ganz, ganz wichtiger Teil sind, um auch Eltern im Vorfeld zu stützen, um Kinder zu stärken, um Jugendliche zu stärken. Das ist ein Bereich, in dem ja auch der eine oder andere, der heute hier im Saal ist, arbeitet.
Die Präventionsmaßnahmen – Sie alle kennen sie – reichen von der Schulsozialarbeit bis hin zu den sozialen Diensten in der mobilen Jugendarbeit, im Streetwork, wo wirklich Jugendliche in ihrer Lebenswelt aufgesucht werden. Das ist auch ein ganz, ganz wichtiger Teil, ein niederschwelliger Teil, womit man Jugendliche in ihrem Erwachsenwerden stärkt und sie begleitet. Ich glaube, auch das ist ein Teil, wo man hinschauen muss, der sich natürlich in einem Umfeld, wo man auch immer wieder von Sparmaßnahmen geplagt wird – ich sage das jetzt ganz bewusst: geplagt wird –, oft nicht darstellen lässt – auch das wissen wahrscheinlich viele von Ihnen –, weil man halt in unserer Zeit alles messbar machen muss.
Es muss alles mit Kennzahlen hinterlegt werden, es soll immer abgeleitet werden, was denn die einzelnen Maßnahmen bringen. Gerade in dieser ganz niederschwelligen Präventionsarbeit ist es aber oft sehr schwierig, dass man Dinge richtig messbar macht. Deswegen bin ich auch davon überzeugt, dass es viel Dialog braucht, dass es immer wieder auch ein Hinschauen braucht, ein Bewusstmachen von Akteurinnen und Akteuren der Politik gegenüber, nicht nur den ReferentInnen, die sich mit dem Thema beschäftigen, sondern vor allem auch, möchte ich sagen, den FinanzreferentInnen gegenüber, weil es natürlich wichtig ist, bewusst zu machen, dass Prävention auch etwas kostet. Man kriegt nichts umsonst. Gerade in der Präventionsarbeit muss man, meine ich, auch in Zukunft gut hinschauen und noch das eine oder andere zusätzlich investieren.
Natürlich gibt es dann die Maßnahmen im behördlichen Kontext, auch die kennen Sie wahrscheinlich, wo die Behörde wirklich schon eingreifen muss. Dann beginnt das große Spannungsfeld. Wenn man zu Maßnahmen in der Familie – gezwungen ist ein hartes Wort – angeregt wird, ist es natürlich immer schwierig. Ich bin überzeugt davon – und das habe ich in vielen Gesprächen in den letzten Monaten auch immer wieder bestätigt erhalten –, dass im Prinzip alle Eltern oder ein ganz großer Teil der Eltern gute Eltern sein möchten. Dieses Scheitern bewusst zu machen, das ist natürlich auch eine ganz schwierige Aufgabe. Deswegen braucht es genau an dieser Schnittstelle oder an diesen Hebeln, wo man dann eben auch behördliche Maßnahmen setzt, viel Know-how, viel Empathie, damit man die Eltern gut mitnimmt. Ich bin überzeugt davon, eine gute Kinder- und Jugendhilfearbeit muss die Eltern mitnehmen.
In Niederösterreich waren wir in den letzten Jahren und sind wir auch jetzt sehr bemüht, dass wir immer wieder auch verstärkt an diesem Rückführungskontext arbeiten. Ich mag das Wort nicht so gerne, aber es gibt noch kein anderes – vielleicht sagt man Hineingehen oder Wiedernachhausegehen. Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Teil, und da braucht man die Mitarbeit der Eltern. Deswegen ist es ganz wichtig, dass man die Eltern ganz zu Beginn, wenn die Behörde eingreift, bereits gut mitnimmt und ihnen erklärt, dass man nicht die bessere Familie sein möchte, sondern für eine gewisse Zeit einfach eine Begleitung anbietet, damit die Familie, die Stammfamilie, wieder gut funktionieren kann.
Sie kennen das alles. Es gibt die Familienhilfe Plus, es gibt die Jugendintensivbetreuung, es gibt die Familienintensivbetreuung, es gibt die sonstigen Leistungen zur Unterstützung. In Niederösterreich – und ich denke, auch in vielen anderen Bundesländern – ist die Ultima Ratio die Fremdunterbringung. Das ist dann wirklich die letzte Maßnahme, wenn die anderen Hilfen nicht mehr greifen.
Bei uns in Niederösterreich ist es so, dass wir in den letzten Jahren mit einer Reihe von intensiven Gesprächen Veränderungen angepeilt haben. Wir haben den Hilfeplan, der ja im behördlichen Kontext ausgearbeitet werden muss, partizipativ erarbeitet, auf Augenhöhe mit der Familie erarbeitet, mit den Kindern und Jugendlichen erstellt. Wir haben eine wissenschaftliche Begleitung durch gezieltere Kinder- und Jugendhilfeplanung in Angriff genommen, wo wir auch sogenannte Vergleichsringe aufgebaut haben, wo sich die Bezirkshauptmannschaften untereinander – unter Anführungszeichen – auch „vergleichen“, damit man sieht, welche Hilfen in welchem Gebiet ganz besonders eingesetzt werden; natürlich auch, um ein bisschen zu sehen, wo es finanzielle Ausreißer gibt oder wo es vielleicht Dinge gibt, wo man ein bisschen sparen kann, ohne auf das Wohl des Kindes nicht Rücksicht nehmen zu können. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Teil.
Wir haben auch in Niederösterreich über diese Kinder- und Jugendhilfeplanung die sogenannten Netzwerke aufgebaut, in deren Rahmen sich viele BasismitarbeiterInnen vernetzen und immer wieder genau hinschauen, was man in der Kinder- und Jugendhilfe noch verändern kann. Wir haben die wissenschaftliche Begleitung durch Anwendung der schemageleiteten Pädagogik implementiert beziehungsweise sind gerade dabei, dass das in den Einrichtungen implementiert wird.
Außerdem haben wir gemeinsam mit dem Nögus den Kinder- und Jugendplan erarbeitet, der vor allem im Bereich der Beratungsstellen, also im Beratungskontext, zu greifen beginnt. Wir haben auch in diesem Bereich wirklich Qualitätskriterien erarbeitet und werden in den nächsten Jahren eine Art Gütesiegel erarbeiten, damit dann jede Familie, jeder Jugendliche beziehungsweise jedes Kind weiß, wenn sie in eine Beratungsstelle gehen, was sie dort bekommen. Damit wird vielleicht auch ein bisschen ein Wegweiser durch das große Angebot der Beratungsstellen geschaffen, denn es ist oftmals gar nicht so einfach, dass die Eltern an die richtige Stelle angedockt werden.
Das ist also in den letzten Jahren schon teilweise umgesetzt worden. Jetzt sind wir dabei, im Bereich der vollen Erziehung Normkostenmodelle zu erarbeiten, damit wir auch unter den Einrichtungen eine bessere Vergleichbarkeit und vor allem auch Transparenz erhalten.
Das Lamperl leuchtet schon. Frau Präsidentin, darf ich noch ein paar Gedanken anbringen? Es war für mich schon als Abgeordnete immer sehr schwierig, mit dem Lamperl umzugehen. (Vorsitzende Posch Gruska: Ja, bitte!) – Danke vielmals.
Das war jetzt ein kleiner Abriss darüber, wie sich die Kinder- und Jugendhilfe in Niederösterreich gestaltet, und zwar wirklich ein kleiner Abriss, in der Unterlage ist das noch ein bisschen ausführlicher angeführt.
Ich möchte jetzt noch gerne ein paar Gedanken zu dem anbringen, was ich schon angesprochen habe, nämlich wie ich die Sparzwänge als zuständige Politikerin sehe: Ich bin überzeugt davon, dass jeder Euro, der in die Kinder- und Jugendhilfe investiert wird, ein gut investierter Euro ist. Viele meiner Kollegen und Kolleginnen aus dem Landtag sagen das auch immer wieder bei diversen Veranstaltungen, und auch ich meine, dass es ganz, ganz wichtig ist, in diesem Bereich nicht zu sparen, weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass man, wenn man diesfalls spart, an der falschen Stelle spart: Man spart an Chancen für Kinder, man spart an Selbstbestimmungsrechten und Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen.
Im Hinblick darauf denke ich: Das können wir uns als reiche Gesellschaft einfach nicht leisten! Das dürfen wir uns nicht leisten, und das wollen wir uns wahrscheinlich – wie ich hoffe! – auch nicht leisten. Deswegen bin ich überzeugt davon, dass wir in diesem Bereich mit viel Bewusstseinsarbeit immer wieder auch darauf hinweisen müssen und dass es dadurch auch gelingen wird, dass die notwendigen finanziellen Ressourcen in diesem Bereich zur Verfügung gestellt werden.
Noch ganz kurz: Eine der großen Herausforderungen aus meiner Sicht ist vor allem, dass es so viele unterschiedliche Systeme gibt, die zusammenspielen sollten, etwa auch Gesundheitssystem und Arbeitsmarkt. Ich bin überzeugt davon, dass man sich gerade im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt auch überlegen muss, ob es nicht andere Angebote für Kinder und Jugendliche braucht, die in Einrichtungen untergebracht sind, weil die jetzigen Angebote oftmals noch immer zu hochschwellig sind. Gerade diese Jugendlichen brauchen aber einen entsprechenden Einstieg in das Erwerbsleben, damit sie dann ein selbstbestimmtes Leben führen können.
Diese Schnittstelle zwischen Jugendlichen- und Erwachsenenleben wird heute noch ein paar Mal angesprochen werden, ganz egal, ob diese bei 18 oder 21 Jahren liegt. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Bereich, wo man hinschauen muss. Betreffend die Schwierigkeit, dass unterschiedliche Systeme zusammenwirken müssen, habe ich den Eindruck, dass das an der Basis und bei den Organisationen gut funktioniert und dass auch das Bewusstsein da ist, es muss aber vielleicht auch noch ein bisschen in der Politik ankommen, dass man nicht immer nur die eigenen Töpfe sieht, sondern dass man sich manchmal überlegt, wie man an diesen Nahtstellen zusammenarbeiten kann, damit die Nahtstellen keine Schnittstellen für die Menschen werden, für die wir arbeiten. Auch das ist für mich eine ganz große Herausforderung in diesem Bereich.
Eine weitere Herausforderung – und da möchte ich noch ganz kurz auf die Frau Ministerin replizieren – ist, dass man meiner Meinung nach gerade jetzt im Zusammenhang mit Artikel 12 Bundes-Verfassungsgesetz sehr gut darauf achten muss, dass es zu keiner Verschlechterung beim Kinderschutz kommt. Das ist die oberste Prämisse für den Kinderschutz, dass dieser bundeseinheitlich geregelt ist, und ich bin sehr froh darüber, dass wir bei der letzten Kinder- und Jugend-LandesreferentInnenkonferenz gemeinsam einen sehr guten Beschluss gefasst haben. Meine Kollegin aus Kärnten, Beate, ist heute auch hier. Wir haben diesbezüglich wirklich einen guten Beschluss gefasst und ersuchen die Landeshauptleute, dass sie in diesem Bereich gut darauf achten, dass es eine Bund-Länder-Vereinbarung geben soll, wonach der Kinderschutz einheitlich in ganz Österreich geregelt sein muss, damit der Schutz vom Bodensee bis zum Neusiedler See gleichermaßen gegeben ist.
Ich hoffe, dass das dann auch wirklich so umgesetzt wird, weil – wie auch du gesagt hast, Frau Ministerin – der Kinderschutz einfach einheitlich sein muss. Es darf nicht darauf ankommen, wo man in Österreich wohnt, es sollte auch nicht darauf ankommen, in welche Familie man hineingeboren wird. Deswegen gibt es auch die Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe, und ich bin hoffnungsvoll, dass wir das gemeinsam noch auf einen guten Weg bringen werden.
Zum Abschluss möchte ich mich bei allen, die in diesem Bereich arbeiten, herzlich für ihre Arbeit bedanken. Ich habe höchsten Respekt davor, und ich bringe dieser sehr schwierigen Arbeit in diesem Spannungsfeld – wie ich zu Beginn gesagt habe – wirklich hohe Wertschätzung entgegen.
Ich habe bei meinen vielen Besuchen in den letzten Monaten aber auch erlebt und erleben dürfen, dass man ganz viel zurückbekommt, und ich wünsche allen, die in diesem Bereich arbeiten, dass sie immer mit Kraft in den Alltag gehen, damit diese herausfordernde und wichtige Aufgabe gut bewältigt werden kann. Ich wünsche der heutigen Enquete einen guten Verlauf und freue mich auf die Expertenmeinungen.
Abschließend möchte ich noch sagen: Ich bin überzeugt davon, dass es nur in einer guten Partnerschaft zwischen ExpertInnen und Politik gelingen kann, dass wir gemeinsam den Auftrag erledigen können. – Danke schön. (Beifall.)
11.06
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Danke sehr.
Ich darf nun die Zweite Landtagspräsidentin Veronika Matiasek um ihr Statement bitten.
Veronika Matiasek (Zweite Landtagspräsidentin, Wiener Landtag): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Frau Landesrätin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin im Gegensatz zu meinen beiden Vorrednerinnen nicht aktiv verantwortlich für diesen Bereich, über den wir heute diskutieren. Dennoch sage ich danke für dieses Thema, sehr geehrte Frau Präsidentin, denn leider ist es ja so, dass über die Jugendhilfe meist dann gesprochen wird, wenn es negative Schlagzeilen gibt. Umso wichtiger ist es daher, dass uns dieses Thema stets begleitet.
Ich würde mich sozusagen als eine Breitband-Politikerin einordnen, und da wir selbstverständlich auch immer daran mitbeteiligt sind, wie Gesetze und Verordnungen entstehen und wie das in diversen Bereichen und Ressorts durchgeführt wird, ist es natürlich auch wichtig, dass wir uns, ungeachtet dessen, ob wir persönlich politische Verantwortung tragen, mit diesem Thema auseinandersetzen.
Auch ich möchte einen herzlichen Dank an alle voranstellen, sowohl an jene, die institutionell mit der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt sind, als auch an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der freien Träger sowie die vielen ambitionierten Pflegeeltern in Österreich, die Großartiges leisten.
All das zusammen führt dazu, dass wir, wie ich meine, in Österreich im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes insgesamt gut aufgestellt sind. Das sieht man, wenn man, wie die Frau Ministerin schon gesagt hat, diesbezüglich einen internationalen Vergleich zieht.
Ganz besonders erschreckend ist es, dass Gewalt in der Familie doch immer noch gesellschaftlich anerkannt beziehungsweise geduldet ist. Ich glaube aber, es gibt in Österreich mittlerweile erfreulicherweise wirklich einen breiten Konsens zum Schutz der Kinder.
Das betrifft gleich den ersten Punkt, den Sie zum Thema gemacht haben, nämlich die Rechte. – Ja. Das erste Recht ist das Recht auf Schutz und Unversehrtheit unserer Kinder, das Recht auf ein gedeihliches Aufwachsen und auf Chancen im Leben. Es geht um Chancen für die Kinder, aber selbstverständlich auch um Chancen für die Familien, ihr Familienleben möglichst gut bewältigen zu können. Es ist Aufgabe der öffentlichen Hand, hier zu helfen, wenn es alleine nicht mehr geht, damit Kinder und Familien Perspektiven haben. Gleichermaßen gilt natürlich auch, dass die Institutionen, die im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes tätig sind, entsprechende Rechte, Chancen und Perspektiven haben.
Wir sprechen heute von der Kinder- und Jugendhilfe. Als Jahrgang 1958 bin ich – Gott sei Dank, dafür bin ich wirklich sehr, sehr dankbar! – in eine glückliche Familie hineingeboren. Ich war umsorgt von den Eltern und wurde gewaltfrei erzogen, was zu dieser Zeit sicherlich noch seltener der Fall war. Bei uns hat es nie irgendwelche Handgreiflichkeiten gegeben. Meine Eltern haben beide, obwohl sie keine jungen Eltern waren, immer mit uns gesprochen. – Probleme gibt es immer, in jeder Familie, aber es ist eben die Frage, wie man an diese herangeht, wie man sie bewältigen kann und will.
Das damalige Jugendamt – und es hieß lange Jugendamt; die Frau Minister hat ja einen historischen Aufriss der Entwicklung gebracht, das brauche ich jetzt Gott sei Dank nicht zu wiederholen – war zuständig für Verwaltungstechnisches im Zusammenhang mit Familien, und damals war noch lange keine Rede von Begleitung, Prävention oder Unterstützung, damit Familien selbständig leben können.
Ich glaube, es ist ganz wesentlich, dass wir alle heute den Ansatz dahin gehend sehen, dass die Kinder- und Jugendhilfe in erster Linie unterstützend tätig ist und nicht immer nur – wie es manchmal leider auch in der Öffentlichkeit dargestellt wird – für den letzten Schritt zuständig ist, den wir alle nicht wollen, dass die Kinder nämlich in eine Fremdbetreuung überstellt werden müssen, wenn es in einer Familie so gar nicht mehr klappt. – Das heißt: Unterstützung, Begleitung und Prävention sind ein Schwerpunkt in der Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe.
Die Frage der Vereinheitlichung ist heute auch schon angeklungen und wird wahrscheinlich im Laufe dieser heutigen Enquete noch mehrfach ins Gespräch kommen. Diesbezüglich bin ich mit der Frau Minister einer Meinung, dass es absolut einheitliche Standards geben muss und dass wir uns bei der Entwicklung der Standards immer nach oben zu orientieren haben. – Ich komme aus Wien, und ich glaube, wir sind hier in der günstigen Lage, dass im Großen und Ganzen bei uns die Kinder- und Jugendhilfe gut ausgebaut ist, und zwar betreffend die zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kapazitäten insgesamt.
Wichtig ist auch – und ich glaube, das zeichnet uns in Österreich auch aus –, dass solche Institutionen auch von Kontrolle begleitet sind und dass es entsprechende Anwaltschaften, die Jugendanwaltschaft und die Volksanwaltschaft, gibt. Es ist wichtig, dass diese ihre begleitende und kontrollierende Funktion ausüben und ausüben dürfen und dass wir immer mit den Berichten konfrontiert werden und danach auch unsere Politik ausrichten können.
Ein wichtiger Faktor, um Familie gut lebbar zu machen, ist natürlich die Familienpolitik als solche und somit die Zurverfügungstellung der Grundlagen, damit es eben tunlichst nicht zu der Situation kommt, dass die Familie selbst nicht mehr weiterweiß.
Die soziale Situation einer Familie ist ein wichtiges Thema, und neben der finanziellen Ausstattung gibt es weitere, immer stärker werdende Probleme. Das ist auch schon in dem sehr berührenden Einstiegstext angeklungen, und ich bin Frau Welsh dankbar, dass sie diesen Text mit etwas Positivem abgeschlossen hat. Die Geschichte einer kranken Mutter beziehungsweise der Krankheit von Eltern überhaupt ist ein wirklich unglaubliches Thema. Die Problematik ist wohl immer noch nicht ganz erfasst, weil viele Kinder dann zu kleinen Erwachsenen werden und zum Schutze der kranken Mutter oder ihrer kranken Eltern sehr oft regelrecht Techniken entwickeln, um das zu verheimlichen, und dabei wirklich Ungeheures leisten und eine Bürde auf sich nehmen, die einem Kind eigentlich nicht zumutbar ist. Daher wird es notwendig sein, sich noch viel intensiver mit dieser Thematik zu befassen, damit man vorab überhaupt einmal draufkommt, dass ein solcher Zustand in einer Familie besteht.
Grundsätzlich geht es um die Erfassung aller Negativeinflüsse auf ein gedeihliches Familienleben, und um diese Erfassung tätigen zu können, brauchen wir natürlich – da schließe ich mich ganz meiner Vorrednerin an – ausreichende Ressourcen. Deshalb darf es in diesem Bereich selbstverständlich – so notwendig es ist, überall eine schlanke Verwaltung zu haben, sei es im Bildungs- oder Gesundheitsbereich –, wenn es um Schutz und Hilfe für unsere Kinder und Jugendlichen geht, keine personellen Einsparungen geben. Es müssen aber auch diejenigen, die in diesem Metier tätig sind, eine entsprechende Unterstützung erfahren, das heißt, ihre Arbeit muss so gestaltet und entlohnt werden, dass sie selbst nicht ausbrennen und dann eventuell auch zu Risikofaktoren werden.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Lampe leuchtet bereits. Ich hätte noch sehr viel zu sagen, möchte jetzt aber mit einem Gedanken schließen, mit dem ich auch begonnen habe, nämlich mit einem Hinweis auf die negativen Schlagzeilen, in die die Kinder- und Jugendhilfe oft gerät. – Es wird sicherlich in jedem System immer Fehler geben. Im Großen und Ganzen bin ich aber überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier mit höchster Sorgfalt vorgehen.
Manchmal müssen wir dann aber Zeitungsartikel darüber lesen, dass Kinder in die Fremdbetreuung übergeführt werden müssen, die einem wirklich eine Gänsehaut verursachen. Daher ersuche ich auch die Medien, in diesem Zusammenhang mit größter journalistischer Sorgfalt zu agieren und nicht irgendeinen reißerischen Artikel zu schreiben! Gerade ein solcher Artikel kann nämlich eventuell die nächste Familie, die um Schutz ansucht, davon abhalten, diesen Schutz auch anzunehmen, weil man die Institutionen eben für grausam und bösartig hält, und ich glaube, das soll es nicht sein.
Ich werde heute sehr aufmerksam allen Experten und Expertinnen zuhören, denn nur mit ihrer Hilfe kann auch die Politik die richtigen Entscheidungen treffen. Ich wünsche der heutigen Veranstaltung einen guten Verlauf und danke vielmals für die Einladung. (Beifall.)
11.16
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Wir sind jetzt mit dem ersten Themenblock fertig, und ich darf zum zweiten Themenblock, zu den Impulsreferaten, überleiten. Dazu ersuche ich die Referentinnen und Referenten, Herrn Univ.-Prof. Dr. Reinhard Klaushofer, Herrn Mag. Markus Huber, Frau Dr. Andrea Holz-Dahrenstaedt und Frau Mag. Elisabeth Hauser, auf der Regierungsbank Platz zu nehmen und danach ihren Beitrag abzugeben.
Ich darf nun Herrn Univ.-Prof. Dr. Reinhard Klaushofer von der Universität Salzburg um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Professor.
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Klaushofer (Universität Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Vizepräsident! Verehrte Abgeordnete! Vielen Dank für die Einladung. 10 Minuten sind kurz, daher werde ich schnell ins Thema einsteigen. Ich kann dazu vorausschicken, dass sich meine Ausführungen aus zwei wesentlichen Quellen speisen, und zwar einerseits aus der Quelle im Zusammenhang mit meiner Funktion des Wissenschafters an der Universität Salzburg, nämlich der Rechtswissenschaft, und andererseits durchaus aus einer praktischen Quelle im Zusammenhang mit meiner Funktion als Leiter einer der Kommissionen der Volksanwaltschaft, die unter anderem Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe besuchen.
Wenn wir mit der rechtlichen Ebene beginnen, dann muss dem Verfassungsrechtler als Grundzugang zur Kinder- und Jugendhilfe klar sein, dass an oberster Stelle das Kindeswohl steht. Das BVG Kinderrechte und auch die Kinderrechtskonvention auf völkerrechtlicher Ebene stellen das in den Mittelpunkt. Gleichzeitig stellen diese rechtlichen Begriffe und Gesetze im Hinblick auf das Kindeswohl die natürliche Familie und den Schutz in der Herkunftsfamilie in den Mittelpunkt.
Wenn man über Kinder- und Jugendhilfe spricht, ist das nicht nur ein Thema im Zusammenhang mit einem ausgewählten Kreis aus unserer Bevölkerung, sondern es geht in der Breitenwirkung vielmehr um ein gesamtes soziales Gefüge.
Wenn wir jetzt mitbedenken, dass die Kompetenzrechtslage verändert werden soll, was ja aktuell auf der Agenda steht, dann können wir nachlesen, dass mit der sogenannten Verländerung der Kinder- und Jugendhilfe ein Schutzniveau, das bereits besteht, aufrechterhalten werden soll – das können Sie den Erläuterungen entnehmen –, und das soll insbesondere durch eine Übergangsbestimmung sichergestellt werden, die vorbehält, dass eine Vereinbarung gemäß Art. 15a Abs. 2 B-VG getroffen werden soll, wonach die Länder zu entsprechenden Vereinbarungen gelangen.
Aus rechtlicher Sicht muss dazu aber mehreres angemerkt werden. Erstens bedeutet Vereinbarung nicht, dass das, was bis jetzt erreicht wurde, aufrechterhalten wird. Zweitens bedeutet Vereinbarung nicht, dass es unbedingt ein einheitliches Schutzniveau und einheitliche Standards geben muss. Drittens sind diese sogenannten 15a-Vereinbarungen keine Vereinbarungen, auf die sich Betroffene, sprich Kinder und Jugendliche, unmittelbar berufen können; insofern stellen diese aus deren Sicht eine zwar wichtige, aber nicht tatsächlich gut verwendbare Basis dar.
Diejenigen, die die Unterlagen vor sich haben, sehen, dass für mein Impulsstatement verschiedene Punkte erwähnt sind. Bevor ich näher darauf eingehe, möchte ich aber vorausschicken, dass das selbstverständlich keine erschöpfende Aufzählung ist. Das kann hier in 10 Minuten nicht dargestellt werden, und insofern werde ich nur einige Aspekte, die aus meiner Sicht wichtig sind, ansprechen.
Die Kreation einheitlicher Standards und damit auch Qualitätsstandards und insgesamt österreichweit einheitlicher Bedingungen ist wünschenswert. Es muss allerdings dazu gesagt werden: Diese haben wir heute nicht, und es ist sicherlich nicht förderlich, wenn das sozusagen in eine Artikel-15a-Kompetenz verlagert wird, weil das natürlich die föderale Komponente stärkt. Man mag dazu stehen, wie man will: Rein nüchtern betrachtet werden dadurch die Diversifizierung und damit das Anderssein sicherlich gestärkt und wird einheitlichen Standards eher eine Hürde auferlegt werden.
Jetzt schon bedeutende Unterschiede sehen wir – das kann ich auch aus meiner Tätigkeit berichten – etwa im Bereich der Gewaltprävention oder auch im Bereich der sexualpädagogischen Konzepte in Einrichtungen insgesamt oder in partizipativen Einrichtungsstrukturen. Auch die Personalbedarfe und Berechnungen in den Ländern sind vollkommen unterschiedlich und bedeuten natürlich auch ganz unterschiedliche Betreuungsstandards.
Die familiäre Situation in Krisenfamilien und dergleichen ist schon angesprochen worden, darauf gehe ich jetzt nicht noch einmal extra ein.
Wie dem Sonderbericht der Volksanwaltschaft zur Kinder- und Jugendhilfe „Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen“, der vor Kurzem erschienen ist, zu entnehmen ist, haben wir eine alarmierende Personalsituation. Natürlich sind die Ressourcen, wie zuvor schon angesprochen wurde, auch ein wichtiger Faktor, und zwar nicht bloß im Hinblick auf Krisenbetreuung- und -versorgung, sondern selbstverständlich auch im Hinblick auf den präventiven Bereich.
Wir wissen aus der Sozialforschung und aus der Ökonomie, dass jeder präventive Euro circa drei bis dreieinhalb repressiven Euro entspricht, dass also im Vergleich zur unmittelbaren Nachsorge oder auch zum Einschreiten in einer Akutsituation mit der Vorsorge viel mehr an Einsparung erreicht werden kann.
Auch im Bereich der Sozialpädagogik und Agogik – wie Sie sehen, habe ich im Sinne des inklusiven Gedankens auch Menschen mit Behinderungen mitbedacht – sind wir nach wie vor nicht bei einheitlichen Standards angelangt. Wir haben unterschiedliche Ausbildungen, wir haben keine einheitlichen Standards, und wir haben – ich kenne das selbstverständlich auch aus dem universitären Bereich – letztlich in diesem Zusammenhang einen Wildwuchs in der gesamten Bildungslandschaft. Das schafft Orientierungsschwierigkeiten, und zwar nicht nur für diejenigen, die eine Ausbildung suchen, sondern auch für diejenigen, die dann in diesen Bereichen arbeiten. Außerdem kommt es auch zu Orientierungsschwierigkeiten für die Länder in einzelnen Bereichen im Hinblick auf die Frage, an welchen Ausbildungsstandards sie ansetzen sollen. Dabei geht es etwa auch um die Fragen: Ist irgendein Zertifikat gleichwertig mit einem anderen Zertifikat? Inwieweit kann man sicherstellen, dass man hochwertige Betreuung auch in den verschiedensten Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich durch entsprechend gebildetes beziehungsweise ausgebildetes Personal sicherstellt?
Es besteht jetzt schon eine Problematik – und diese wird nach meiner Einschätzung verstärkt –, wenn es um österreichweite Bedarfsplanung geht und diese ganz selbstverständlich kindeswohlzentriert und im Sinne des öffentlichen Haushaltes natürlich ressourcenschonend sein soll. Diese Problematik der Bedarfsplanung zeigt sich an einfachen, aber sehr dramatischen Beispielen, wenn es um Sonderbedarfe von Kindern und Jugendlichen geht, die einen besonders hohen Betreuungsaufwand haben. Hier sehen wir ein Verschieben von Bundesländern zu Bundesländern, zum Beispiel in Salzburg im Grenzgebiet zu Deutschland ein Verschieben nach Bayern. – Offensichtlich gehen also viele Dinge ganz einfach in einer österreichweiten Planung nicht auf!
Wenn man noch mitbedenkt, dass die Bedarfe, die dann in einer Hilfesituation gegeben sind, nicht bloß Bedarfe sind, die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe abgewickelt werden können, sondern dass diese natürlich auch die Bildungslandschaft, sprich die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen und die Zusammenarbeit mit den Schulen, betreffen, insbesondere aber auch das Gesundheitswesen und die schon mehrfach in anderen Zusammenhängen erwähnte dramatische beziehungsweise jedenfalls sehr alarmierende Situation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, dann ist festzustellen, dass hier erhöhte Risiken bestehen, und zwar insbesondere dann, wenn es, wie nachgewiesen ist, zu Fehlplatzierungen kommt. Die Gefahr der Fehlplatzierung ist aber umso höher, wenn wir keine einheitliche Bedarfsplanung haben, und insofern ist das sicherlich eine der großen Herausforderungen, die die Länder treffen wird.
Insbesondere gilt es auch zu verhindern, dass wir Drehtüreffekte haben, wie wir sie aus dem Gesundheits- und Krankenwesen kennen, aber wie sie auch in der Kinder- und Jugendhilfe beobachtbar sind: Die Kinder werden herumgeschoben und haben kein fixes, solides und damit für ihre Entwicklung stabiles Umfeld.
Es muss – und damit bin ich bei meinem nächsten Punkt – insofern auch weiterhin einen verlässlichen Mechanismus zur Verhinderung von Zuständigkeitsverschiebungen geben. Dazu ist zu sagen, dass durch den Wegfall der Bedarfsgesetzgebung auch der § 5 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes wegfällt und aufgrund der Zuständigkeitsverschiebungen zu erwarten ist, dass sich die Zahl der Zuständigkeitsstreitigkeiten erhöhen wird.
Die rote Lampe warnt mich schon. Ich werde daher die letzten Punkte stakkatomäßig erwähnen. – Ich glaube, es ist nach wie vor wichtig, auch nicht zu vergessen, dass die Behindertenrechtskonvention und die Kinderrechtskonvention die Inklusion von behinderten Kindern schaffen. Wir haben allerdings verschiedene Vollzugssysteme und wir haben insofern ein exklusives Verhältnis.
Die notwendige Absicherung der Kinder- und Jugendanwaltschaften wird sicherlich noch angesprochen und extra erwähnt werden. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass diese eine wichtige Vertrauensfunktion wahrnehmen und insofern ganz wichtige Partner für die Kinder und Jugendlichen sind, deren Unabhängigkeit im Hinblick auf die Zusammenarbeit und auch die enge Beziehung zur Verwaltung sehr wichtig ist.
Betreffend Aufstockung der Personalressourcen sowie Forschung und Statistik möchte ich Ihnen jetzt nur zusammenfassend mitteilen, dass das für die weitere gedeihliche Entwicklung wichtig ist.
Ich möchte mit einem Punkt schließen, der mir in der Gesamtbetrachtung wichtig ist: Wir als Erwachsene gehen mit den Kindern und Jugendlichen einen Generationenvertrag ein beziehungsweise haben mit ihnen einen Generationenvertrag. Die Wertschätzung, die wir ihnen heute im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe entgegenbringen, prägt die Kultur der Zukunft und hat auch mit uns zu tun. Das scheint mir ein wichtiger Aspekt für alle beteiligten Akteure zu sein. – Vielen Dank. (Beifall.)
11.28
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Danke sehr.
Als Nächsten darf ich Herrn Mag. Huber von der Volksanwaltschaft zum Rednerpult bitten.
Mag. Markus Huber (Volksanwaltschaft): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Professor Klaushofer hat es schon angesprochen: Die Volksanwaltschaft hat seit 1. Juli 2012 eine zusätzliche Funktion bekommen. Zusätzlich zu unserer nachprüfenden Kontrolltätigkeit sind wir jetzt im Rahmen eines Mandats der UNO beauftragt, ausdrücklich die Einhaltung der Menschenrechte zu schützen, und im Rahmen dieser Funktion haben wir die Möglichkeit, mit sechs von uns bestellten Kommissionen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu besuchen.
Aufbauend auf unserer Kontrolltätigkeit, auf den Besuchen, auf die Expertise der Kommissionen haben wir jetzt einen Sonderbericht erstellt. Herr Professor Klaushofer hat es schon angesprochen: Es geht um den Sonderbericht „Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen“. Wir haben davon ein paar Exemplare mitgebracht, und dieser Bericht ist auch auf unserer Homepage ersichtlich.
Wir haben die Thematik dem Parlament natürlich zur Behandlung vorgelegt, und ich möchte jetzt einige Punkte, die wir in diesem Bericht behandelt haben, herausgreifen.
Vorab möchte ich sagen: Es liegt natürlich in der Natur eines Kontrollorgans, dass es Defizite aufzeigt. Das ist seine Aufgabe. Trotzdem möchte ich vorab und übereinstimmend mit meinen Vorrednern sagen, dass nach unseren Erkenntnissen in der Kinder- und Jugendhilfe flächendeckend grundsätzlich gute Arbeit geleistet wird. Das zeigt sich vor allem, wenn wir den Vergleich zu früher ziehen. Bei der Volksanwaltschaft ist ja auch die Heimopferrenten-Kommission eingerichtet, in deren Rahmen wir es mit Anträgen von früheren Heimopfern zu tun haben, und es ist wirklich erschreckend und erdrückend, wenn man sich diese Schilderungen anhört und diese nachher zu bewerten hat. Im Hinblick darauf muss man wirklich sagen, dass sich da zum Glück doch vieles getan hat.
Der Kernpunkt unserer Tätigkeit ist oftmals die Kontrolle der Fremdunterbringung. Leider ist es ja unvermeidlich, dass es bei einer Gefährdung zum Schutze und zum Wohle der Kinder zu einer Fremdunterbringung kommt, entweder in einer Einrichtung oder bei Pflegeeltern.
Auffällig sind für uns allerdings die Unterschiedlichkeiten schon allein in der Anzahl der Fremdunterbringungen in den einzelnen Ländern, wenn man diese in ein Verhältnis zu der Anzahl der im Land lebenden Kinder setzt. Ich habe jetzt die Zahlen, die wir für unseren Sonderbericht erhoben haben, mit den Zahlen, die zuletzt von der Statistik Austria ausgewiesen wurden, verglichen und festgestellt, diese sind ungefähr gleich geblieben. Der Spitzenreiter ist Wien, gefolgt von Kärnten und Steiermark. In Wien und Kärnten ist mehr als jedes hundertste Kind fremd untergebracht. Im Vergleich dazu sind es zum Beispiel in Tirol um ein Drittel weniger. – Vieles lässt sich sicherlich mit regionalen Gegebenheiten erklären. Wien ist eben eine Großstadt, und da gibt es große soziale Unterschiede. Deswegen sind Statistiken natürlich mit Vorsicht zu behandeln. Trotzdem glaube ich, dass eine gewisse Tendenz daraus ablesbar ist.
Vorab möchte ich sagen: Für uns, für die Volksanwaltschaft, ist es – wie wahrscheinlich für jeden anderen auch – unbedingt ein Ziel, diese Anzahl der Fremdunterbringungen zu reduzieren. Die Herausnahme des Kindes aus dem Familienverband ist ein schwerwiegender Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und ist als Ultima Ratio anzusehen. Das wurde heute auch schon erwähnt, und ich glaube, dazu gibt es keine wirklich abweichende Meinung. Das ist auch von der Rechtsprechung gedeckt. Das heißt, es sind vorher alle Möglichkeiten zu prüfen, inwieweit eine solche Herausnahme durch familienunterstützende Maßnahmen wie mobile Hilfen, aber auch schon im Vorfeld durch frühe Hilfen und präventive Maßnahmen wie Elternberatung vermieden werden kann.
Wir haben uns daher nach Erstellung des Sonderberichtes nochmals mit jenen Ländern in Verbindung gesetzt, die dieses Ranking anführen, um auf diese Wichtigkeit hinzuweisen. Das Erfreuliche ist, dass wir aus den Reaktionen gesehen haben, dass den Ländern bewusst ist, dass die ambulanten, mobilen Hilfen ausgebaut werden müssen. Wie das zu erfolgen hat, kann unterschiedlich sein, entweder durch Organisationsänderungen oder durch ein zusätzliches Angebot, was in der Regel – wie alle haben anklingen lassen – natürlich damit verbunden ist, dass auch zusätzliche finanzielle Mittel vonnöten sind.
Faktum ist aber – ich glaube, das wurde heute auch angesprochen –, dass dieser Ausbau der Hilfen notwendig sein wird. Wenn die Herausnahme des Kindes aus dem Familienverband, die Kindesabnahme und die Fremdunterbringung nun schon einmal stattgefunden haben, dann muss es natürlich primäres Ziel sein, das Kind so schnell wie möglich wieder in die Familie rückzuführen. Daher ist es wichtig, dass kein Abbruch der familiären Bindungen stattfindet, sondern dass der Kontakt des Kindes zu den Eltern aufrecht bleibt. Dabei ist es natürlich nicht besonders förderlich, wenn das Kind außerhalb des eigenen Bundeslandes untergebracht wird, dass zum Beispiel ein Kind aus Wien in der Steiermark untergebracht wird und der Anfahrtsweg für die Eltern mehr als zwei Stunden beträgt.
Nicht besonders förderlich ist es auch, wenn das Kind mehrfach die Einrichtung wechseln muss, was wir immer wieder erleben. Außerdem ist es auch nicht besonders förderlich, wenn der Besuchskontakt eine Stunde pro Monat stattfindet, wie wir es leider in Extremfällen auch sehen, denn da kann natürlich eine entsprechende Bindung nicht aufrechterhalten werden. Das heißt: Manchmal haben wir wohl auch Zweifel, ob das Ziel wirklich die Rückführung ist oder ob nicht einfach das Ziel verfolgt wird, dass das Kind im bisher neuen System, zum Beispiel bei Pflegeeltern, bleibt.
Weiters kommt hinzu, dass während der Zeit der Fremdunterbringung intensivst mit der Familie gearbeitet werden muss, denn es gilt ja, die bestehenden Defizite zu beseitigen. Nur wenn sich in der Familie etwas ändert, kann es in der Regel auch wieder zu einer Rückführung kommen. Hier besteht nach Ansicht der Volksanwaltschaft massiver Aufholbedarf.
Es gibt in diesem Zusammenhang durchaus positive Ansätze. Wir haben im Bericht zwei Länder herausgegriffen, nämlich Vorarlberg und Oberösterreich. Dort haben wir sehr, sehr positive Ansätze gesehen. Aber insgesamt müssen hier verstärkt Maßnahmen gesetzt werden.
Ich war schon früher als Anwalt und bin jetzt bei der Volksanwaltschaft seit rund 20 Jahren in diesem Bereich tätig, und was ich von Anfang an gesehen habe, ist ein Spannungsverhältnis zwischen den Mitarbeitern der Kinder- und Jugendhilfe und den Eltern. Daher muss versucht werden, zu bewirken, dass die Sozialarbeiter beziehungsweise die Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe nicht als Feind betrachtet werden, sondern dass man sie mehr als Partner sieht, um gemeinsam an einer Rückführung zu arbeiten. Ich weiß, dass das schwierig ist, weil dieser Eingriff in die Familien natürlich massiv ist, aber es muss versucht werden, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen.
Kurz noch zu weiteren Unterschieden; wir haben heute schon von einigen gehört. Es ist zum Beispiel nicht einsichtig, wieso die Gruppengröße der betreuten Kinder in Wien und in Salzburg acht Kinder beträgt, im Burgenland hingegen bis zu 16 Kinder, obwohl nach sozialpädagogischen Standards eine Gruppe nicht mehr als zehn Kinder umfassen sollte.
Wir haben auch von nur zu bestätigenden Unterschieden bei der Entlohnung der Pflegeeltern und von Unterschieden bei den Ausbildungsstandards des in den Einrichtungen tätigen Personals gehört. Was ergibt sich daraus? – Daraus ergibt sich aus meiner Sicht, dass das bisherige Regelwerk, der bisherige Art. 12 Abs. 1 Z 1, jedenfalls nicht geeignet war, harmonisierte Standards festzulegen. Wir haben zwar ein Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz, in dem steht, dass die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach fachlichen Standards zu erbringen sind. Das wurde auch in allen Ausführungsgesetzen übernommen, damit ist aber noch lange keine Einheitlichkeit gewahrt. Jetzt ist durch die beabsichtigte Konzentrierung der Kompetenzen bei den Ländern natürlich zu befürchten, dass sich dieser Trend fortsetzt. Allerdings bleiben eine abschließende Hoffnung und ein abschließender Wunsch, nämlich dass es nunmehr gelingt, durch eine Artikel-15a-Vereinbarung hier zu einer Einheitlichkeit beizutragen. – Danke schön. (Beifall.)
11.38
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Auch Ihnen ein herzliches Dankeschön.
Ich darf nunmehr Frau Dr.in Andrea Holz-Dahrenstaedt das Wort erteilen. – Bitte.
Dr. Andrea Holz-Dahrenstaedt (Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus Sicht einer Kinder- und Jugendanwaltschaft möchte ich in fünf Punkten die Herausforderungen skizzieren.
Vorweg ganz kurz zur Einleitung, weil wir schon mehrmals auf unseren Zugang angesprochen wurden: Vor 29 Jahren wurde die UN-Kinderrechtskonvention beschlossen. Im Zuge dessen ist in Österreich in jedem Bundesland eine unabhängige, weisungsfreie Kinder- und Jugendanwaltschaft eingerichtet worden, und zwar mit zwei wesentlichen Aufgaben, nämlich einerseits auf der Mikroebene als Ombudsstelle, Anlaufstelle, Organisation von Vertrauenspersonen, Sprachrohr für Kinder und Jugendliche und andererseits auf der Makroebene als Interessenvertretung mit Monitoringaufgaben, um sich die strukturellen Schwierigkeiten anzuschauen und Empfehlungen abzugeben.
Zu den Fällen: Die Kija Salzburg ist jetzt 25 Jahre alt beziehungsweise jung, und hochgerechnet hatten wir in diesen Jahren 50 000 Fälle. Wenn wir das hochrechnen und auf ganz Österreich umlegen, dann sind das ungefähr 500 000 Kinder und Jugendliche, die mit einem konkreten Anliegen zu uns gekommen sind. Manche oder viele davon – aber nicht alle – haben die Kinder- und Jugendhilfe betroffen. Ich könnte Ihnen jetzt von sehr vielen Einzelfallbeispielen erzählen, aber das ist aus Zeitgründen natürlich nicht möglich.
So wendet sich aber etwa ein Kind an uns, das keinen Kontakt zu seinen Eltern und seinen Geschwistern hat, weil es in einem entfernten Bundesland untergebracht ist. – Wenn ich jetzt von „uns“ spreche, sage ich dazu: Ich erzähle das ohne Bundesländerzuweisung, das betrifft immer alle Kijas der einzelnen Bundesländer. Natürlich kommen zu uns nur die Fälle, in denen es sich spießt und in denen ein Bedarf da ist. So hat sich zum Beispiel eine Mutter, die Alleinerzieherin ist und im Gastgewerbe arbeitet, an die Kinder- und Jugendhilfe gewandt, und man hat als Antwort die Kinder fremd untergebracht. Oder man hört von Schulen betreffend Kinder psychisch kranker Eltern – das ist ein häufiges Thema –, dass sie sich gar nicht trauen, sich an die Kinder- und Jugendhilfe zu wenden, weil die dann zu wenig Angebote hätten. – Da gibt es sozusagen eine breite Palette.
Wir sind sehr froh, dass auf der strukturellen Ebene 2012 zumindest einige wichtige Punkte ins BVG Kinderrechte aufgenommen wurden und das wirklich als gesamtgesellschaftliche Verantwortung betrachtet wird. Darin steht, dass jedes Kind Anspruch auf „bestmögliche Entwicklung und Entfaltung“ hat. Darüber hinaus haben Kinder, die fremd untergebracht sind, „Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates“.
Der Staat hat wirklich die Verantwortung beziehungsweise Verpflichtung, für ein gutes Aufwachsen in einem guten Umfeld zu sorgen. Fünf Punkte sind dabei aus unserer Sicht beziehungsweise aus Sicht der Kinder und Jugendlichen wichtig.
Goethe soll gesagt haben: Gebt den Kindern „Wurzeln und Flügel“! – Eine zentrale Wurzel sind Beziehung, Bindung und die Bedeutung von Bindung. Wir wissen das aus verschiedenen Forschungsergebnissen, etwa aus der neurobiologischen Forschung. Worum geht es da? – Es geht um Geborgenheit, um Sicherheit, um empathische, verlässliche Erwachsene, die kontinuierlich für die Kinder da sind.
Es muss also alles getan werden, angefangen von frühen Hilfen. Auch das ist österreichweit sehr uneinheitlich gelöst, und da gibt es schon wieder eine Schnittstelle zum Gesundheitssystem: dass nämlich Eltern frühzeitig, zu dem Zeitpunkt, da sie noch die bestmöglichen Eltern sein wollen, es aber aus verschiedenen Gründen gar nicht sein können, unterstützt werden. Das betrifft nicht nur sozial schwache Familien, sondern da geht es etwa auch um Schwangerschaftsdepressionen et cetera. In diesem Zusammenhang fehlt noch viel in Österreich, damit es einen universellen Zugang gibt und damit das nicht stigmatisierend wirkt, weil man sich nur um Familien kümmert, die schon auffällig sind. Es sollte daher frühe Hilfen wirklich für alle Eltern geben.
Es geht weiter bei der ambulanten Hilfe. Das wurde schon mehrfach gesagt: Kinder sollen zunächst zu Hause bleiben können, solange es nur irgendwie geht. Es ist wirklich ein gravierendes Problem in allen Bereichen, dass der Sparstift angesetzt wird, ob das jetzt sozialpädagogische oder therapeutische Zugänge bei der Familienbetreuung sind. Es gibt Wartezeiten auf der Kinderpsychiatrie, es gibt Wartezeiten bei ambulanten Hilfen. – Das ist nicht die rasche Hilfe, von der wir hier reden! Die Kinder brauchen jetzt Unterstützung, bis hin zu der Situation, dass Kinder fremd untergebracht sind und in Fremdpflege beziehungsweise Fremdunterbringung sind.
Das größte Problem: Es gab eine Befragung von Care Leavers, also von Jugendlichen, ehemaligen Kindern, die fremd untergebracht waren, und diese haben gesagt, dass eine der größten Belastungen der häufige Wechsel der Einrichtungen sowie der Betreuer und Betreuerinnen ist. So kann keine Beziehung und Bindung aufgebaut werden. Dafür braucht es Zeit und Kontinuität. Der Wissenschafter Henri Julius sagt, dass nur 7 Prozent aller fremd untergebrachten Kinder als sicher gebunden gelten. Daher ist es also umso wichtiger, dass Kinder in Fremdunterbringung nicht nochmalige Verluste und Abbrüche erleiden.
Was brauchen wir? – Es darf möglichst wenig Fluktuation in den Einrichtungen geben. Wie kann das gelingen? – Dafür benötigt man bestmögliche Rahmenbedingungen, kleine Gruppengrößen und Zeit. Es kostet alles so viel Zeit: die Dokumentation, die Datenschutz-Grundverordnung – all das kostet Zeit. Das ist wichtig und notwendig, aber diese Zeit geht dann bei den Kindern und Jugendlichen ab. Daher geht es wirklich um die Aufwertung der sozialen Berufe als Schlüsselfachkräfte, sei es in Jugendämtern, sei es in den Einrichtungen.
Um die Care Leavers noch einmal anzusprechen, die auch schon erwähnt wurden: Wenn die Jugendlichen die jeweilige Einrichtung verlassen, sollen sie weiter diese Ansprechpersonen haben, und zwar sollen Kinder, wie wir meinen, nicht nur bis zum 21. Lebensjahr, sondern eigentlich bis zum 24. Lebensjahr weiter dort andocken können, wo sie schon angedockt sind. Das ist eine wichtige Wurzel.
Die zweite wichtige Wurzel ist der Rechtsschutz vor Gewalt. Das Recht auf eine gewaltfreie Kindheit, den Schutz vor Gewalt bezeichnen Kinder und Jugendliche als ihr wichtigstes Recht, wenn man sie betreffend Kinderrechte befragt.
Ja, es ist viel geschehen; auch die Kinder- und Jugendanwaltschaften waren beziehungsweise sind teilweise Opferschutzkommissionen und Opferschutzanlaufstellen im Hinblick auf die Aufarbeitung der Traumata der ehemaligen Heimkinder, also der Opfer im Zusammenhang mit dem Heimkinderskandal. Was war der gravierende Punkt? – Es hat sich fraglos viel verändert, aber auch ich selbst habe noch viele Gespräche geführt, bei denen alle unisono gesagt haben: Es gab niemanden Außenstehenden und es hat mir niemand geglaubt.
Das heißt, dass neben dem Bedarf an traumasensiblem Fachpersonal, an Gewaltschutzpräventionskonzepten und sexualpädagogischen Konzepten in allen Einrichtungen und an Ausbildung von entsprechenden Fachkräften ein weiteres ganz wichtiges Kriterium als Qualitätsmerkmal auftaucht: Es muss externe Vertrauenspersonen als Ansprechpersonen für Kinder, die fremd untergebracht sind, geben. Das findet sich auch im Leitfaden für sozialpädagogische Einrichtungen wieder, und auch in dem Sonderbericht der Volksanwaltschaft wurde das explizit als ein wichtiger Rechtsschutz für Kinder und Jugendliche in Fremdunterbringung erwähnt.
Ich streife die weiteren zwei Punkte nur ganz kurz: Mitbestimmung ist ein zentraler Punkt im BVG Kinderrechte. Warum ist das für diese Kinder ganz besonders wichtig? – Sie sind ohnehin ohnmächtig oder empfinden sich oft als ohnmächtig. Ohne ihr Zutun, ohne Freiwilligkeit, ohne dass sie das eigentlich wollten, sind sie fremd platziert, und häufig hören wir den Satz: Am Ende passiert ohnehin nur das, was die Erwachsenen wollen, was die Betreuer wollen, was das Jugendamt will! Es gibt kein Mitspracherecht bei der Auswahl einer Einrichtung oder betreffend Mitnehmen einer Vertrauensperson zu Helferkonferenzen bis hin zur Ausbildung. – Da braucht es auch noch viel Ausbau. Diesbezüglich könnte man sich von der Behindertenhilfe einiges abschauen, denn dort wird den Selbstbestimmungsrechten ein höherer Stellenwert eingeräumt.
Auch den vierten Punkt kann man nicht unerwähnt lassen, nämlich das zentrale Thema betreffend den gesamten Komplex der Kompetenzverschiebung, das zu so viel Rechtsunsicherheit führen wird. Dabei geht es um viele, viele Punkte, und die Kijas Österreichs haben sich, gemeinsam mit vielen anderen Einrichtungen, massiv dagegen ausgesprochen, weil sich dadurch die Unterschiede verstärken werden. Nur ein Beispiel: Zahlt für ein Kind, das bei Pflegeeltern lebt, das Bundesland, in dem das Kind lebt, oder zahlt das Bundesland, das sozusagen den Auftrag gibt? – Die Gefahr ist riesengroß, dass es da zu einem weiteren Auseinanderklaffen kommen wird.
Vorher war die Rede von Chancengleichheit, Rechtsansprüchen, Qualitätssicherung, Weiterentwicklung und davon, dass alle Kinder geschützt werden müssen. Es werden in diesem Zusammenhang aber auch noch viele andere Punkte diskutiert, etwa dass die Familienbeihilfe beziehungsweise die Mindestsicherung gerade für kinderreiche Familien gekürzt werden soll. Das wird natürlich die Armutsspirale, von der wir gehört haben, und den Faktor Armut im Hinblick auf Gewaltgefährdungen weiter verstärken.
Allerletzter Punkt: Es ist gut, dass es Gesetze gibt, aber sie sind nur gut, solange sie auch wirklich gelebt und ausgebaut werden, und sie sind auch nur dann gut, wenn alle, auch die Kinder und Jugendlichen, Bescheid wissen, wo sie Zugang zu Stellen haben, an denen Menschen an ihrer Seite sind und sie bei der Rechtsdurchsetzung unterstützen.
Die Kijas sind öfters erwähnt worden. Nächstes Jahr wird das Jubiläum von 30 Jahren UN-Kinderrechtskonvention begangen, und das wäre ein guter Anlass, die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs auch im BVG Kinderrechte zu verankern und so zu stärken; es geht auch um etliche andere Rechte, wie das Recht auf Gesundheit, und darum, all diese Schnittstellen nicht als Schnittstellen, sondern besser als Nahtstellen haben zu können.
Alle Kinder sind gleich an Würde und Rechten geboren: Dazu brauchen wir statt eines Fleckerlteppichs einheitliche Bestimmungen. Welch langer Weg es bis zur Jugendschutzvereinheitlichung war, das wissen alle, die hier im Saal sind.
Wir hatten im Juni in Salzburg eine Tagung mit der Volksanwaltschaft und dem Österreichischen Institut für Menschenrechte mit dem Titel: „1 Kind, 3 Systeme … gleich behandelt, gleich betreut?“ – Es sind nämlich drei Systeme: die Kinder- und Jugendhilfe, die Grundversorgung, wenn wir die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge noch dazunehmen, und die Behindertenhilfe. Jetzt besteht die Gefahr, dass wir dann pro Kind neun Mal drei Systeme haben werden, und es ist wirklich wichtig, gemeinsam daran zu arbeiten, dass das nicht passiert. Wir müssen, wenn diese Bund-Länder-Vereinbarung kommt, darauf achten, dass es dann wirklich starke Instrumente und Mechanismen gibt, die verhindern, dass das nicht weiter divergiert. – Herzlichen Dank. (Beifall.)
11.51
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Auch Ihnen ein herzliches Dankeschön.
Ich bitte nun die stellvertretende Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf, Frau Mag.a Elisabeth Hauser, um ihren Beitrag.
Mag. Elisabeth Hauser (SOS-Kinderdorf): Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Anwesende! Geschätzte ExpertInnen! Ich spreche seitens SOS-Kinderdorf aus Sicht der Träger und mit einer Erfahrung betreffend neun Mal entsprechende Angebote österreichweit.
Ich möchte einen speziellen Aspekt herausgreifen, der heute schon manchmal angerissen wurde und der speziell von Herrn Mag. Huber von der Volksanwaltschaft noch einmal betont wurde, nämlich die Zusammenarbeit mit dem – wie ich es jetzt ausdrücke – Herkunftssystem der Kinder und Jugendlichen, die in Fremdunterbringung sind.
Kinder und Jugendliche, die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe in der vollen Erziehung betreut werden, haben Eltern. Wir haben bei der Geschichte von Renate Welsh einen Einblick bekommen, was in solchen Familien passieren kann. Die Kinder haben diese Eltern weiterhin, und sie haben nicht nur die Eltern, sondern sie haben auch Geschwister, sie sind in Sportvereinen, sie haben Beziehungen, soziale Beziehungen, sie haben Freunde, die weiterhin eine Rolle spielen werden und sollen. Das heißt, die Zusammenarbeit mit dem Herkunftssystem von Kindern in Fremdunterbringung muss ein wesentlicher Baustein sein, um die Polarität von Familie und Einrichtung aufzulösen und um eine Kontinuität in der Beziehungsgestaltung der Kinder und Jugendlichen weiterhin zu gewährleisten. (Vizepräsident Brunner übernimmt den Vorsitz.)
Im Wesentlichen ruht die Betreuung von Kindern und Jugendlichen auf vier Säulen, und zwar erstens auf einer Beziehung, die tragbar und nachhaltig sein und dem Kind oder Jugendlichen ermöglichen muss, Bindung zu erleben, deren Qualität bisher jedoch vielleicht verstörend war.
Die zweite Säule ist die Professionalität. Das heißt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen brauchen hohe Qualifikation, brauchen Reflexion, brauchen Auseinandersetzung und brauchen auch entsprechende Ressourcen, um das herzustellen.
Der dritte Aspekt wird heute auch noch Thema sein, nämlich die Beteiligung. Selbstverständlich sind Kinder und Jugendliche altersspezifisch und entwicklungsspezifisch in die sie betreffenden Situationen miteinzubeziehen. Sie sind nicht Objekte der Betreuung, sondern Subjekte des Handelns und müssen unbedingt als solche gesehen werden.
Jetzt möchte ich auf die vierte Säule, nämlich auf die Zusammenarbeit mit dem Herkunftssystem, eingehen und erklären, warum diese so wichtig ist. Dabei kann es um die Eltern, aber auch um andere wichtige Bezugspersonen im Umfeld des Kindes gehen. In diesem Bereich sind die kulturellen Wurzeln der Kinder und Jugendlichen, dort findet Identitätsbildung statt und in diesem Bereich darf nicht abgebrochen werden.
Sie wissen aus der Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe, dass das früher natürlich ganz anders gesehen wurde. Es ist noch nicht so lange her, dass durch die sogenannte Kilometertheorie, wie sie schrecklicherweise genannt wurde, dafür gesorgt wurde, dass Kinder möglichst weit weg vom sogenannten schädlichen Milieu untergebracht werden. Das ist heute natürlich nicht mehr State of the Art, aber die Rahmenbedingungen und Kontexte führen nach wie vor dazu – und wir haben es auch im Bericht von Frau Dr. Holz-Dahrenstaedt gehört –, dass Kinder weit weg von ihren Eltern untergebracht werden und keine weiteren Bindungen mehr pflegen können.
Wenn Kinder in Fremdunterbringung sind, ist es aber höchst notwendig, dass diese Bindungen weiter aufrechterhalten werden. Wenn die Bindungen verstörend sind – und das waren sie wahrscheinlich, denn sonst müsste das Kind nicht im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe versorgt werden –, dann wird mit den Eltern an deren Bindungsfähigkeit und Erziehungskompetenz zu arbeiten sein, und zwar vor allem dann, wenn Kinder und Jugendliche wieder zu den Eltern, ins Herkunftssystem, zurückkehren.
Im Hinblick darauf ist es – weil das vielleicht gar nicht so bewusst ist – ganz interessant, sich das anzuschauen: Kehren sie überhaupt zurück? Sind sie dann nicht sowieso bis zur Verselbständigung in den Einrichtungen? – Dem ist überhaupt nicht so! Wir von SOS-Kinderdorf haben eine Studie über mehrere Zeiträume hinweg gemacht, dahin gehend, wie sich das Rückkehrverhalten, wie wir es genannt haben, beziehungsweise die Rückkehrprozesse gestalten. Dabei haben wir festgestellt, dass im Durchschnitt – zumindest in unseren Angeboten, die sich von Krisenwohngruppen bis hin zu Kinderdorffamilien mit sehr langfristig ausgerichteten Betreuungskontexten erstrecken – 45 Prozent der Kinder und Jugendlichen wieder ins Herkunftssystem zurückkehren. Sogar bei Jugendeinrichtungen, die ja in definierter Weise die Verselbständigung von Jugendlichen zum Ziel haben, kehren sehr viele wieder ins Elternsystem zurück.
Diese – wie ich bewusst sage – Rückkehr entspricht nicht immer, sondern eigentlich sehr selten dem gezielten Hilfeplan. Das heißt, die Rückkehr gestaltet sich meist ungeplant und manchmal ohne dass vorher in irgendeiner Weise mit dem Herkunftssystem gearbeitet wurde. Das geschieht nicht aus Unwissenheit oder weil die Beteiligten vielleicht sogar noch veraltete Theorien verfolgen, sondern das kommt daher, dass die entsprechenden Ressourcen nicht vorhanden sind und dass auch die Gesetzeslage eine andere ist. Es steht zwar im Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz, dass die Reintegration ein Ziel ist, und in Einrichtungen, in denen Rückführung ein Ziel ist, sind die Konzepte auch besser und die Ressourcen weit besser, aber in anderen Einrichtungen ist das nicht der Fall. Dort wird zwar Elternarbeit geleistet, es gehen vielleicht FamilienberaterInnen zur Familie und schauen, dass sich die Kontakte entsprechend gestalten, aber die Ressourcen dafür sind nicht gegeben.
Das heißt, diese Zusammenarbeit mit dem Elternsystem und mit den Geschwistern, also mit den Wurzeln des Kindes, muss geplant gestaltet sein, um sicherzustellen, dass es nicht nur nach der Rückkehr, sondern auch während der Betreuung Bindung gibt.
Wir befragen unsere Kinder und Jugendlichen regelmäßig bei unseren Qualitätsaudits: Wie wird denn über deine Eltern gesprochen? Wie erlebst du die Verbindung zwischen den MitarbeiterInnen sowie deinen Betreuern hier und deinen Eltern? – Wir sind selbstverständlich sehr glücklich, dass die Befragten sagen, dass respektvoll über die Eltern gesprochen wird. Es ist ein ganz wesentlicher Minimalanspruch, dass die Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen erfahren, dass den Eltern vertraut werden kann, dass es Menschen sind, die es eine Zeit lang nicht geschafft haben, für ihre Kinder da zu sein, dass ihnen aber vertraut wird, dass Hoffnung da ist, dass weiterentwickelt wird und dass sie Partner sind, von Besuchskontakten bis hin zu sogenannten Erziehungspartnerschaften, bei denen die Eltern in die Betreuung miteinbezogen werden.
Es wird deswegen künftig noch viel wichtiger sein, mit den Eltern beziehungsweise mit dem Herkunftssystem zusammenzuarbeiten, weil die Betreuungsverläufe immer kürzer werden, das heißt die Verweildauern kürzer werden. Dieser Trend lässt sich über die Jahre hinweg feststellen, und die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder und Jugendliche zu ihren Eltern zurückkehren, wird immer größer. Schon deswegen ist es notwendig, das im Blick zu haben.
Ein weiterer Punkt, warum es von zentraler Bedeutung ist, mit den Eltern zu arbeiten, ist die Tatsache, dass es für die Kinder und Jugendlichen wichtig ist, zu erleben, dass ihre kulturellen Wurzeln einen Stellenwert haben, dass sie nicht andere sind und dass sie ihren Eltern nicht fremd werden. Das heißt, es geht darum, die Lebensweltorientierung und das, was in der Einrichtung geschieht, sehr nahe an dem zu halten, wie die Eltern leben und welche Rolle die Bewältigungsstrategien der Eltern spielen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der in die Konzepte und damit auch in die Rahmenbedingungen aufgenommen werden sollte.
Zu den Rahmenbedingungen ist vielleicht zu sagen, dass sie neun Mal verschieden sind. Es gibt positive Beispiele. Zum Beispiel wird in der Steiermärkischen Durchführungsverordnung die Zusammenarbeit mit dem Herkunftssystem explizit erwähnt; es wird aber nicht definiert, wie das passieren kann. Es gibt aber sehr viele wohldurchdachte und erprobte Methoden, wie Elternarbeit passieren kann, Family Group Conferences und viele andere Möglichkeiten, mit den Eltern in Kontakt zu bleiben.
Es ist mir ein Anliegen im Sinne der Kinder und Jugendlichen, die in der Kinder- und Jugendhilfe versorgt werden, betreut werden, diese Verbindung und Bindung zu ihrem Herkunftssystem als zentrales Element einer gelingenden Betreuung und eines gelingenden Wachstums heute zu thematisieren. – Ich danke sehr für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
12.00
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Damit ist der zweite Themenblock abgeschlossen. Ich bedanke mich bei allen für ihre Beiträge.
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Ich ersuche die Referentinnen, bei diesem Panel auf der Regierungsbank Platz zu nehmen und ihren Beitrag dann auch von dort aus abzugeben. Ich darf die Referentinnen auch bitten, die Zeit von 7 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten, und darf darauf hinweisen, dass dann das rote Lämpchen zu blinken beginnt.
Panel 1: Krisenpflege und Pflegefamilien – Aktuelle Herausforderungen
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Wir kommen nun zu Panel 1, den Referaten zum Thema „Krisenpflege und Pflegefamilien – Aktuelle Herausforderungen“.
Ich darf zunächst Frau Edith Marlovits vom Verein Eltern für Kinder Österreich um ihren Beitrag bitten.
Edith Marlovits (Verein Eltern für Kinder Österreich): Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Edith Marlovits und ich bin seit zwölf Jahren Krisenpflegemutter. Ich betreute bereits mehr als 60 Kinder aus Wien und aus dem Burgenland. Ich selbst habe drei eigene Kinder, drei Pflegekinder und zurzeit betreue ich zwei Krisenpflegekinder. Seit 2017 bin ich beim Verein Eltern für Kinder Österreich in Wien angestellt.
Was bedeutet Krisenpflege? Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: von einer Stunde zur nächsten bereit zu sein, ein fremdes Kind in Ihrer eigenen Familie aufzunehmen, und zwar im Alter von null bis drei Jahren aus Wien und eventuell älter aus dem Burgenland. Meist sind es Kinder ohne Dokumente, ohne e-card, nur mit der Kleidung ausstaffiert, die sie gerade am Körper tragen. Alles, was Sie erfahren, ist das Alter und der Name des Kindes.
Es bedeutet, Sie nehmen ein Kind an, egal in welchem Zustand es ist. Es sind eventuell Kinder, die aus Überforderung abgegeben worden sind, verwahrloste Kinder, Kinder mit Läusen, Wanzenbissen, Scabies beziehungsweise mit kaputten Zähnen. Oft bekommen wir Kinder gleich aus dem Krankenhaus. Es sind Kinder aus einem gesellschaftlichen Milieu, das einem gänzlich fremd ist, Kinder, die Misshandlungen und Missbrauch erfahren haben, Kinder mit Folgen nach Schütteltraumen, Knochenbrüchen und Verbrennungen, Kinder mit verschiedensten Krankheiten, von Lungenentzündung bis hin zu Syphilis, Aids und TBC, Kinder mit leichten Behinderungen, Kinder mit Essstörungen oder Entzugsbabys.
Sehr häufig sind diese Kinder distanzlos, abgestumpft, Kinder, die bereits resigniert haben. Oft haben sie eine sehr schlechte Selbstwahrnehmung. Manchmal mussten sie bereits aus der innerfamiliären Situation heraus selbst wie Erwachsene funktionieren.
Um Sie noch mehr in unsere Lage zu versetzen, möchte ich Sie näher mit unseren Aufgaben vertraut machen. Wenn wir ein Kind übernehmen, müssen wir mit ihm gleich zum Arzt fahren, um es untersuchen zu lassen. Innerhalb von 24 Stunden haben wir einen Bericht zu schreiben, der den derzeitigen Entwicklungsstand des Kindes beschreibt. Wir müssen die Kinder neu einkleiden, da sie ja nichts Weiteres mitgebracht haben, und innerhalb kürzester Zeit richten wir einen geeigneten Schlafplatz für sie her. Wir besorgen passende Windeln, notwendige Hygieneartikel und eventuell geeignete Babynahrung. Innerhalb kurzer Zeit finden wir heraus, was diese Kinder gerne essen, auch wenn sie noch nicht sprechen können oder unsere Sprache nicht sprechen.
Wir trösten sie. Wir machen sie mit unserer Familie vertraut. Wir geben diesen Kindern einen Tagesrhythmus, Stabilität und bieten ihnen Geborgenheit an. Wir fahren mit ihnen einmal in der Woche zu den Besuchskontakten und fangen sie danach wieder auf, wenn sie emotional aufgewühlt sind.
Wir schreiben mindestens einmal im Monat einen Bericht über die Veränderung, die das Kind gerade durchmacht. Wir müssen schon bei den kleinsten Verletzungen mit diesem Kind zum Arzt fahren, da wir jede Verletzung des Kindes dokumentieren müssen – schon aus Selbstschutz. Wir sind oft mit Vorwürfen von den leiblichen Eltern konfrontiert, dürfen uns, so eigenartig es jetzt für Sie klingen mag, dagegen aber nicht zur Wehr setzen. Das machen wir aber schon den Kindern zuliebe.
Weiters müssen wir behördliche Gänge durchführen, zum Beispiel Wohnsitz anmelden, Geburtsurkunde besorgen, Aufenthaltstitel beantragen, e-card besorgen beziehungsweise das Kind bei uns mitversichern lassen, weil es keine eigene Versicherung hat. Oftmals müssen wir weite Strecken zurücklegen, um ins Krankenhaus zur Nachuntersuchung, zu Entwicklungsdiagnostiken oder zu speziellen Untersuchungen zu fahren, welche meist nur in Wien angeboten werden. Diese Kinder benötigen oft Therapien wie Logopädie, Physiotherapie oder sensorische Integration. Bei den größeren Kindern im Burgenland kommt noch die Begleitung in die Schule und die Begleitung in den Kindergarten dazu.
Wenn Sie selbst Kinder haben, wissen Sie sehr genau, wie zeitintensiv die Betreuung der uns anvertrauten Erdenbürger ist. Diese Kinder jedoch, von denen ich Ihnen jetzt gerade erzählt habe, brauchen noch viel mehr Aufmerksamkeit, Zeit und Zuwendung. Wir Krisenpflegeeltern sind für diese Kinder 24 Stunden am Tag da, solange sie bei uns sind. Das können zwei Tage, zwei Wochen, sechs Monate sein – oder auch länger.
Ist eine Entscheidung für diese Kinder gefallen, kommen sie entweder nach Hause, zu Pflegeeltern oder in eine öffentliche Einrichtung. Dann steht dem Kind, den Pflegeeltern und uns Krisenpflegeeltern eine lange, aufwendige und vor allem emotionale Anbahnung bevor. Das heißt, das Kind wird langsam an sein neues Zuhause herangeführt. Es soll ja nicht wieder das Trauma erleben, plötzlich von einer Bezugsperson weggerissen zu werden.
Kinder, die seit der Geburt in Österreich waren, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, müssen plötzlich in ihr Land zurück. Sie kennen die Sprache mitunter gar nicht, und auch wir Krisenpflegeeltern sind mit dieser Vorgehensweise großen emotionalen Belastungen ausgesetzt, da Kinder, die über längere Zeit bei uns waren, plötzlich repatriiert werden müssen und dann dort in ein Heim kommen – zum Beispiel rumänische und slowakische Kinder. Können diese Kinder, wenn es keine Angehörigen in ihrem Land gibt, die sie versorgen und betreuen können, denn dann nicht in Österreich bleiben?
Wie Sie sich denken können, können wir keiner weiteren Arbeit nachgehen, da die Kinder rund um die Uhr unsere Aufmerksamkeit brauchen. Ich bin beim Efkö in Wien angestellt, da ich Wiener Kinder betreue. Das Burgenland ist das einzige Bundesland, das noch keine Anstellung für Pflegeeltern anbietet. Ich verdiene 372 Euro im Monat, aber nicht für die Kinderbetreuung, sondern ich muss dafür noch zusätzlich 200 Einzelstunden im Jahr in Form von Fortbildungen, Supervisionen und einigem mehr vorweisen. Für die Kinder bekomme ich eine Aufwandsentschädigung, aber auch diese ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
Was schätzen Sie, wie viel ich für so ein Kind ausgebe – Arztkosten, Medikamente, Kleidung, Spielzeug, Sprit für die Fahrten, Nahrung, Windeln, Therapiekosten und so weiter?
Ich frage Sie jetzt: Besteht nicht die Möglichkeit, ein einheitliches Anstellungsmodell zu erstellen, ein einheitliches Berufsbild mit einer einheitlichen kollektiven Bezahlung? Besteht nicht die Möglichkeit, daraus ein offizielles Berufsbild zu machen? Bedenken Sie: Öffentliche Einrichtungen sind wesentlich teurer und nicht so familienorientiert, wie wir Krisenpflegeeltern es sind.
Wir Krisenpflegeeltern wollen uns eigentlich auf die Kinder konzentrieren, müssen aber viele behördliche Hürden bewältigen – zum Beispiel zurzeit den Kampf um das Kinderbetreuungsgeld –, also Energie aufwenden, die uns anvertraute Kinder aber viel dringender bräuchten.
Ja, wir Krisenpflegeeltern sind nur eine kleine Gruppe; ja, wir sind sozial, und ja, wir haben den Glauben an unseren Job und an unsere Kinder noch nicht verloren. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
12.11
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Ich darf nun Frau Silvia Rosner-Böhm vom Pflege- und Adoptivelternverein Burgenland um ihren Beitrag bitten.
Silvia Rosner-Böhm (Pflege- und Adoptivelternverein Burgenland): Mein Name ist Silvia Rosner-Böhm. Ich bin Mama eines leiblichen 16-jährigen Burschen und seit zwei Jahren Pflegemama eines mittlerweile vorschulpflichtigen Pflegekindes. Gemeinsam mit meiner Familie wohne ich im Burgenland und bin Mitglied des burgenländischen Pflege- und Adoptivelternvereins.
Die Aufnahme eines Pflegekindes in die Familie stellt eine große Herausforderung für uns Pflegeeltern, aber auch für unsere Pflegekinder dar. Wir Pflegeeltern müssen uns gemeinsam mit unseren leiblichen Kindern nach einer circa zweiwöchigen, sehr intensiven Anbahnungszeit, die wir mit unserer Arbeitszeit vereinbaren müssen, zunächst einmal an den plötzlichen Familienzuwachs gewöhnen. Genauso muss sich aber auch das Pflegekind in unserer Familie einfinden – was vor allem für das Pflegekind alles andere als leicht ist.
Kinder suchen grundsätzlich die Schuld bei sich selbst und haben daher ständig Angst davor, in der Pflegefamilie etwas falsch zu machen und wieder woanders untergebracht zu werden. Die Pflegekinder leben somit zu Beginn sehr starr und angepasst. Sie fassen dann aber früher oder später Vertrauen zu uns Pflegeeltern und haben auch das Gefühl, in der neuen Familie angekommen zu sein und auch bleiben zu dürfen. Sodann gehen sie aber auch mehr aus sich heraus und testen natürlich die Grenzen aus. Für uns Pflegeeltern bedeutet dies viel Verständnis und Einfühlungsvermögen, vor allem aber viel Geduld und viel Zeit.
Da wir Pflegeeltern zum Beispiel bei der Übernahme eines bereits älteren Pflegekindes nicht mehr in Karenz gehen können, liegt es vor allem am Entgegenkommen des Arbeitgebers, ob wir von einem Tag auf den anderen ein bis zwei Wochen Urlaub erhalten beziehungsweise ob wir die Stundenzahl reduzieren können, um dem Pflegekind ein harmonisches neues Zuhause bieten zu können. Wir Pflegeeltern müssen Besuchstermine mit den leiblichen Eltern, eventuell mit Geschwistern, koordinieren, Termine mit dem Jugendamt wahrnehmen, et cetera, wir sollen aber mit demselben Zeitkontingent den Arbeitsplatz nicht vernachlässigen und treu und verlässlich unseren Dienst tun.
Für das Pflegekind wird die Herkunftsfamilie immer ein wichtiger Teil seines Lebens sein, egal, wie schlimm die Geschehnisse dort auch waren. Wir Pflegeeltern müssen daher bereit sein, die Herkunftsfamilie unserer Pflegekinder zu akzeptieren, zu tolerieren und unseren Pflegekindern Kontakte zu ihrer Herkunftsfamilie zu ermöglichen.
Jedes Kind möchte seine Wurzeln kennen. Besuchskontakte sind daher ein Teil der Biografiearbeit. Auch wenn die leiblichen Eltern teilweise oder gar nicht zu den vereinbarten Besuchskontakten kommen, bleiben sie trotzdem ein wichtiger Punkt im Leben unserer Pflegekinder. Besuchskontakte stellen aber jedes Mal eine Ausnahmesituation für alle Beteiligten dar. So gehört es zu unseren Aufgaben als Pflegeeltern, mit unseren Pflegekindern die Besuchskontakte vor- und nachzubereiten, damit sie die Möglichkeit haben, sich auf den Besuch der leiblichen Eltern einzustellen und danach über Erlebtes zu sprechen.
Auch müssen wir während des Besuchskontaktes gemeinsam mit der Besuchsbegleitung stets achtsam sein, ob sich die Pflegekinder wohlfühlen. Es gibt Pflegekinder, die freuen sich, wenn ihre Herkunftsfamilie zu Besuch kommt. Bei anderen Pflegekindern passiert es aber immer wieder, dass sie in ihre alten Muster zurückfallen. Leider schaffen es die leiblichen Eltern oftmals gar nicht, sich an regelmäßige Termine zu halten. Daher kommt es auch vor, dass Pflegekinder wahnsinnig enttäuscht sind, wenn die leiblichen Eltern nicht zu dem vereinbarten Besuchstermin erscheinen.
Bei bereits älteren Pflegekindern ist es dann umso schwieriger, da diese viel genauer nachfragen, warum denn die leiblichen Eltern nicht kommen, wenn es doch einen Termin gegeben hat. Pflegekinder fragen sich dann natürlich, ob die leiblichen Eltern sie überhaupt noch lieb haben. Viele leibliche Eltern beschweren sich auch nach Besuchskontakten über uns Pflegeeltern, weil sie meinen, sie müssten uns schlechterstellen, um so das Gefühl haben zu können, selbst die besseren Eltern zu sein. Viele leibliche Eltern gehen auch so weit, dass sie immer wieder Anträge bei Gericht stellen, weil sie die Kinder öfters sehen wollen oder aber auch, weil sie die Kinder zurück haben wollen. Dies beansprucht uns als Pflegeeltern sehr und geht auch an den Kindern nicht spurlos vorbei. Kinder sind sehr feinfühlig, sie spüren sehr viel.
Im Jahr 2017 waren im Burgenland 434 Kinder fremduntergebracht, nur knapp 30 Prozent davon lebten bei Pflegeeltern; dies eben auch darum, weil es im Burgenland nur sehr wenige Pflegeeltern gibt. Das Land hatte deshalb sogar einen Aufruf über die Medien gestartet, dass Pflegeeltern gesucht werden.
Wir burgenländische Pflegeeltern bekommen Kinderpflegegeld ausbezahlt, das kein Gehalt, sondern lediglich einen Aufwandsersatz für den Unterhalt des Pflegekindes darstellt. Leider gibt es im Burgenland entgegen der Gesetzeslage kein Anstellungsmodell für uns Pflegeeltern. Uns 174 burgenländischen Pflegeeltern fehlt somit ein regelmäßiges Gehalt für unsere Leistung und in weiterer Folge die Kranken-, die Unfall-, die Arbeitslosen- und die Pensionsversicherung. Ein Pflegekind in einer Pflegefamilie kostet im Burgenland 864 Euro im Monat. Ein Kind in einer sozialpädagogischen Einrichtung hingegen kostet laut sicherer Quelle bis zu 400 Euro pro Tag, also bis zu 12 000 Euro im Monat.
Natürlich sind wir Pflegeeltern kein pädagogisches Fachpersonal, wie es teilweise in den sozialpädagogischen Einrichtungen vorhanden ist, allerdings möchte ich auch auf die in den Medien präsenten Missstände in einigen Pflegeeinrichtungen, unter anderem auch im Burgenland, hinweisen. Zu diesen Missstände kommt es auch deswegen, weil diese Pflegeeinrichtungen zu wenig familienähnlich geführt werden. Kinder und vor allem Pflegekinder brauchen eine familienähnliche Struktur und diese können nur wir Pflegeeltern bieten. Eine Anstellung für uns Pflegeeltern mit einem Nettolohn von 1 500 Euro pro Monat würde einen Kostenaufwand von lediglich circa 3 000 Euro im Monat darstellen.
In diesem Sinne fordere ich im Namen der burgenländischen Krisen- und Dauerpflegeeltern die praktische Umsetzung des bereits bestehenden § 24 Abs. 4 des Burgenländischen Kinder- und Jugendhilfegesetzes für einen Pflegeelternteil für jedes in Österreich vermittelte Pflegekind, unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Pflegekindes.
Diese praktische Umsetzung darf allerdings entgegen der momentanen burgenländischen Gesetzeslage keine Schlechterstellung für jene Pflegemamas darstellen, die es trotzdem schaffen, nebenbei noch arbeiten zu gehen.
Sehr geehrte Bundesräte und Abgeordnete! Zusätzlich zur Betreuung unserer Pflegekinder arbeiten gehen zu müssen, um finanziell und sozialversicherungsrechtlich abgesichert zu sein, widerspricht unseren Grundprinzipien als Pflegeeltern.
Kinder haben nur diese eine Kindheit! Es ist unsere Aufgabe als Pflegeeltern, Pflegekindern diese eine und einzige Kindheit einmalig zu gestalten. Das ist alles, was wirklich zählt: das Wohl unserer Pflegekinder. – Danke schön. (Beifall.)
12.19
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Wir gehen nun in die Diskussion ein.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Karl Bader. – Bitte.
Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen zunächst ganz herzlich dafür, dass Sie so zahlreich an dieser Enquete des Bundesrates zu diesem wichtigen Thema teilnehmen. Wie es die Frau Bundesministerin schon am Beginn gesagt hat, schauen wir heute einfach ganz anders darauf.
Ich kann mich noch an meine Schulzeit erinnern. Wir hatten ein Kinderheim in unserer Gemeinde. Schülerinnen und Schüler aus diesem Heim haben gemeinsam mit uns die Schule besucht, aber darüber hinaus gab es keinen Kontakt mit uns. Diese Kinder waren damals allesamt aus Wien und es gab natürlich auch jene Kontakte nicht, die Sie angesprochen haben, nämlich mit den Eltern, beziehungsweise waren sie sehr, sehr reduziert auf ganz wenige Besuche.
Hinschauen ist wichtig. Das hat sich Gott sei Dank im Laufe der letzten Jahrzehnte stark verändert, und ich bin froh darüber, dass das auch passiert. Wenn wir heute diskutieren und wenn wir die Beiträge gehört haben, so ist mir jetzt und auch in den Unterlagen, die für nachkommende Wortspenden, Beiträge und Expertendarlegungen kommen werden, aufgefallen, dass sich aufgrund der Änderung, mit der die Bundesregierung Doppelgleisigkeiten im Zuge der Kompetenzentflechtung vermeiden und abschaffen möchte, viele ganz einfach fürchten. Ich glaube nicht, dass wir uns im Hinblick auf Kinder- und Jugendhilfestandards in unserem Land vor etwas fürchten müssen.
Wir hatten bis jetzt eine Regelung, wonach es eine bundesgesetzliche Grundsatzregelung gegeben hat und Ausführungsgesetze, die die Bundesländer selbst gestaltet haben. Klar ist, dass die Standards, die in bundesgesetzlichen Regelungen verpflichtend vorgeschrieben wurden, auch in allen Bundesländern in den Ausführungsgesetzen umgesetzt und eingehalten wurden. Daran wird sich auch nichts ändern. Wenn die Grundsatzgesetzgebung auf Bundesebene wegfällt, heißt es ja überhaupt nicht, dass die landesgesetzlichen Regelungen, die landesgesetzlichen Standards damit automatisch gesenkt werden.
Ich möchte mir anschauen, welches Bundesland in Österreich sich dazu bereit erklären wird, die Standards im eigenen Land zu ändern. Daher ist es notwendig – und ich glaube, dass diese Regelung auch eine gute ist, wenn die Kompetenzen schlussendlich bei den Bundesländern liegen –, dass sich die Bundesländer untereinander zu einer 15a-Länder-Länder-Vereinbarung treffen, um auch für die Zukunft sicherzustellen, dass die entsprechenden Regelungen eingehalten werden.
Entscheidend unter dem Strich ist ganz einfach, was der Inhalt von solchen Vereinbarungen ist, was der Inhalt von solchen Regelungen ist und nicht, wer diese Regelungen trifft. Das, glaube ich, ist das Thema. Das Thema ist auch, dass wir weiterhin hinschauen wollen und werden, um für unsere Kinder und Jugendlichen die beste Situation für ihre Zukunft zu schaffen. – Vielen Dank. (Beifall.)
12.23
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank.
Als Nächster gelangt Herr Norbert Sieber, Nationalratsabgeordneter der ÖVP, zu Wort. – Bitte.
Abgeordneter Norbert Sieber (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Expertinnen und Experten! Geschätzte Mitdiskutanten! Geschätzte Damen und Herren! Ein Ziel ist uns sicher allen gemeinsam, nämlich, dass Kinder und Jugendliche den bestmöglichen Schutz vor Gewalt auch in der Familie bekommen. Der Anlass für diese Diskussion, die wir heute führen, ist das sogenannte Kompetenzbereinigungsgesetz, in dessen Rahmen der Kinder- und Jugendschutz praktisch zu den Ländern wandern soll.
Hier ist dazuzusagen, dass alle Landeshauptleute dieses Kompetenzbereinigungsgesetz gefordert haben und auch dem von Experten erarbeiteten Vorschlag zugestimmt haben. Worum geht es nun? – Das Grundsatzgesetz, die Rahmengesetzgebung soll vom Bund zu den Ländern wandern. Selbstverständlich bleiben allerdings die Landesgesetze unverändert aufrecht. Da kann also nicht von heute auf morgen eine Standardisierung nach unten gemacht werden. Ich frage mich, meine Damen und Herren: Welches Land wird denn nun hergehen und seine Standards schlagartig nach unten nivellieren? Ich habe durchaus Vertrauen zu den Ländern, dass das nicht geschehen wird.
Dass dieses Gesetz sehr ernst genommen wird, ist ja sehr erfreulich. Man sieht es auch daran, dass sich die zuständigen Referenten der Länder mit dem Thema auseinandergesetzt und Mindeststandards gefordert haben. Nur übersehen sie, dass genau diese Mindeststandards in Zukunft von ihnen gemacht werden können. Ich glaube, dass hier ein guter Weg gefunden wurde.
Um aber allen Vorurteilen, Ängsten irgendwo entgegenzutreten, ist es so, dass wir zwar das Gesetz beschließen können, dann aber nicht automatisch diese Kompetenz wandert, sondern wir klar festhalten: Die Kompetenz wandert erst dann, wenn sich die Länder committet haben, gemeinsam eine 15a-Vereinbarung, Artikel 2-Vereinbarung miteinander zu erarbeiten. Erst dann wird im Zuge einer Verordnung die Kompetenz zu den Ländern wandern.
Also ich glaube, dass hier vonseiten des Bundes wirklich für Sicherheit gesorgt wird, dass die Ängste genommen werden können und dass der Ball jetzt auch bei den Ländern liegen wird.
Ich, meine Damen und Herren, habe keine Zweifel daran, dass sich alle Länder intensiv damit auseinandersetzen werden, wie dieser Kinder- und Jugendschutz in ihrem Rahmen bestmöglich gestaltet und sichergestellt werden kann, und glaube auch, dass in den Ländern diese Thematik im Sinne aller Kinder und Jugendlichen bestmöglich umgesetzt wird. – Danke. (Beifall.)
12.26
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank.
Als Nächste ist Frau Abgeordnete Eva Maria Holzleitner zu Wort gemeldet. – Bitte schön.
Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Liebe Inge, danke, dass du dieses Thema in deiner Bundesratspräsidentschaft behandelst! Ich finde es unglaublich wichtig. Leider kriegt die Kinder- und Jugendhilfe oftmals nicht den Stellenwert, den sie eigentlich verdient hätte. Dabei bekommen gerade Kinder und Jugendliche generell oftmals nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigen würden.
Wir haben heute schon einiges zu dem Thema gehört, nämlich bei den inhaltlichen Statements ganz zu Beginn, aber auch von den Expertinnen und Experten im Anchluss. Ich denke, es gibt viele Punkte, über die wir uns alle einig sind: Es braucht die einheitlichen Qualitätsstandards, es braucht eine funktionierende Kommunikation, nämlich zwischen den Ländern, aber auch zwischen den verschiedenen Bereichen, Sparten, Gesundheit und Arbeit. Budgetäre Einschnitte darf es auf keinen Fall geben; es braucht Kontrollmaßnahmen, die kontrollieren, dass das alles auch so bewerkstelligt wird; und es braucht Weiterbildung beim Personal.
Das Um und Auf für die weitere Diskussion für mich und auch für die SPÖ-Fraktion ist aber, dass die Evaluierung des bestehenden Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes endlich auf den Tisch gelegt wird; denn ohne dass diese Evaluierung analysiert wird und dort die Ergebnisse auch behandelt werden, kann es keine ordentliche Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in ganz Österreich geben, weder von Vorarlberg bis ins Burgenland, noch von Oberösterreich bis Kärnten. Also diese Evaluierung und die Analyse dieser Evaluierung ist einfach das Um und Auf, das für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe sehr wichtig ist.
Das Mindeste ist, wie wir heute schon gehört haben, für die Kinder und Jugendlichen zu wenig. Das wollen wir nicht. Die Kinder- und Jugendhilfe darf niemals dem Sparstift zum Opfer fallen; denn es geht für die Betroffenen, wie der Titel dieser Enquete auch schon sagt, um Rechte, um Chancen und um Perspektiven. Das dürfen wir in diesem ganzen Diskurs niemals vergessen, nämlich, dass sich das Ganze für die Betroffenen zum Besten entwickeln muss. – Danke schön. (Beifall.)
12.29
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank.
Als Nächste ist Frau Cornelia Schweiner, Landtagsabgeordnete aus der Steiermark, zu Wort gemeldet. – Bitte.
Cornelia Schweiner (Abgeordnete zum Steiermärkischen Landtag, SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Ich möchte zu den beiden Pflegemüttern noch einen Erfahrungsbericht bringen, nämlich weniger als Politikerin, sondern mehr als Pflegemutter eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings, die ich mit meiner Familie 2015 wurde.
Es war nicht unser Plan, eine Pflegefamilie zu werden. Es waren mehr oder minder die Wirren der Bürokratie, die einen elfjährigen Buben im Jahr 2015, nachdem er über vier Monate in Traiskirchen unbetreut auf der Wiese gelegen war, wobei die Obsorge damals von der zuständigen BH Baden nicht geregelt wurde, in die Steiermark in eine große Halle von 2 000 Menschen spülten.
Dort habe ich ihn gefunden. Dort haben wir ihn dann über die Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe aufgenommen, die Ausbildung zur Pflegefamilie absolviert und ihn neben acht anderen Kindern, die auch mit dem Status unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Steiermark bei Familien untergebracht wurden, begleitet.
Bei dieser Zielgruppe gibt es noch ganz andere rechtliche Herausforderungen, die die Pflegeeltern – und das möchte ich einfach zu Ihnen beiden ergänzen – neben all dem, was Sie schon ausgeführt haben, zu bewältigen haben. Das ist auf der einen Seite die Herausforderung, dass diese Kinder keinen Zugang zur Familienbeihilfe haben und somit ich als Pflegemutter keinen Anspruch auf Familienbeihilfe habe.
Am Anfang habe ich mir gedacht, das ist ja eigentlich nur ein Geldbetrag, bis ich draufgekommen bin: Das ist nicht nur ein Geldbetrag, der mir als Pflegemutter nicht übergeben wird, nicht zusteht, sondern davon hängen auch ganz viele Leistungen ab. Da wäre zum Beispiel die Schülerfreifahrt, die sonst für Kinder in der Grundversorgung über die Firma, deren Namen ich jetzt nicht weiß, jedenfalls geregelt ist. Nun ist aber unser Pflegekind in keiner Grundversorgung, weil es ja in der Familie lebt und somit keinen Anspruch auf Schülerfreifahrt hat.
Da gibt es noch unzählige Beispiele für Dinge, die – Sie wissen das besser als ich – rechtlich mit dem Anspruch auf Familienbeihilfe zusammenhängen: Anspruch auf Pflegefreistellung und so weiter. Pflegefamilien von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen haben ganz viele praktische Dinge nicht zur Verfügung, weil diese Kinder durch zwei Systeme durchfallen oder in zwei Systeme nicht hineinpassen. Sie sind keine klassischen Pflegekinder, die sozusagen eine Niederlassung in Österreich haben; sie sind aber auch keine Kinder, die nur in der Grundversorgung, in Quartieren versorgt werden, sodass es dort geregelt würde, sondern in Familien.
Das ist mir einfach wichtig, weil wir in dieser Zeit als Familie gesehen haben, was alles möglich ist. Ich weiß, es ist in der politischen Landschaft derzeit nicht en vogue, darüber zu reden, welche Chancen in der Integration von UMFs liegen, aber die liegen in Familien. Es gibt viele Familien, die bereit waren und noch immer bereit sind, diesen Kindern bei der Integration in das Leben in Österreich, aber auch bei der Bewältigung der Traumata, die auf der Flucht passiert sind, beizustehen. Ich möchte einfach, dass auch sie heute erwähnt werden, und dass auch an sie gedacht wird, wenn es in Zukunft darum geht, die Kinder- und Jugendhilfe und die Situation der Pflegeeltern zu verbessern.
Denn alles, was diese beiden Frauen vorhin geschildert haben, kann ich nur, weniger als Politikerin, mehr als Pflegemutter, unterstreichen. Wenn man einmal in die Mühlen des Systems geraten ist – und ich habe mir das alles vorher nicht so ausmalen können –, wird einem danach erst klar, wie schnell man auf einmal zur Bittstellerin wird. Wenn man nämlich für jede Zusatzleistung – das Kind hatte auch nichts am Leib – einen Antrag stellen muss, erlebt man oft, wie das alles in riesengroße Bürokratie ausartet.
Ich verstehe die zuständige Sozialarbeiterin, sie hält sich auch nur an Vorschriften und Gesetze; da muss aber einfach ein anderer Zugang Einzug halten, nämlich einer, der diesen Menschen, die Pflegefamilien sind, Würde, Respekt und einen notwendigen Rahmen zur Verfügung stellt. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)
12.34
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank.
Als Nächste gelangt Frau Daniela Holzinger-Vogtenhuber, Nationalratsabgeordnete der Liste Pilz, zu Wort. – Bitte schön.
Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (PILZ): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe ZuseherInnen! Es ist wirklich berührend zu hören, welche Schicksale Kinder oft erleiden müssen und welch schwierige Startbedingungen manche Kinder auch in Österreich haben. Man glaubt es eigentlich kaum, dass es auch bei uns solche Fälle gibt, dass Kinder unter solch schwierigen Bedingungen in ihr zukünftiges Leben starten müssen.
Deshalb möchte ich mich ganz besonders bei allen Pflegeeltern, auch Krisenpflegeeltern, bedanken und auch bei Ihnen (in Richtung Referentin Rosner-Böhm) ganz im Speziellen. Danke auch für Ihre Schilderungen. Es ist wirklich berührend und ich bin sehr froh darüber, dass es so viele Menschen gibt, die sich da ein Herz nehmen und helfen. Vielen Dank. (Beifall.)
Was die aktuelle Diskussion betrifft, muss ich sagen – und da möchte ich anschließen an die Worte der Volksanwaltschaft durch Sie, Herr Mag. Huber, und natürlich auch an die Worte des Vortragenden von der Uni Salzburg, Herrn Dr. Klaushofer –: Ich kann den Bericht der Volksanwaltschaft zu 100 Prozent unterstützen. Es sind vielerlei Kritikpunkte angebracht worden, aber natürlich auch Missstände aufgezeigt worden, die unbedingt behoben werden müssen.
Es geht mir darum, in eine Diskussion zu starten und zu wissen, dass es aktuell trotz Bundesgrundsatzgesetzgebung so viele unterschiedliche Ausprägungen in den Bundesländern gibt. Die natürliche Denkweise wäre da: Okay, dann regeln wir es besser bundesweit, dann schauen wir gemeinsam, wie wir diese Missstände bundesweit beheben können.
Einen völlig anderen Weg einzuschlagen, nämlich herzugehen und zu sagen: Na warum geben wir es den Ländern nicht gleich völlig?, ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Das widerspricht dem Hausverstand, denke ich. Das ist einfach nicht mein Zugang, das wäre nicht meine Lösung gewesen. Deshalb sehe ich es immens kritisch, dass man hier die Kinder- und Jugendhilfe verländern will und sagt: Die Probleme, die wir aktuell bei den Jugendschutzgesetzen oder in vielen weiteren Bereichen haben, eben weil das föderalisiert ist, verbreitern wir hier noch und schreiben wir hier auch noch wirklich fest.
Ich möchte besonders eines herausgreifen, nämlich diese Verschickung von Kindern, dieses Fremdunterbringen: Ein Kind wird aus einer Familie in Oberösterreich herausgelöst und in das Burgenland verschickt oder umgekehrt. Warum? – Wie es im Volksanwaltschaftsbericht steht, wird es ein Zuschlag sein, den die privaten Träger da für Minderjährige aus anderen Bundesländern erhalten, was dies dann attraktiv macht.
Das ist nicht im Sinne des Kindeswohls. Es ist ein Menschenrecht der Kinder, Kontakt zu ihren Geschwistern und natürlich auch zu den leiblichen Eltern zu haben. Wenn dies nicht gegeben ist, dann wird auch dieses Menschenrecht entsprechend untergraben. Wenn zwei bis drei Stunden Fahrtzeit auf die Familie, auf die Geschwister zukommen, dann ist das eben ein großes Hindernis.
Kindesabnahmen sehe ich allgemein als das wirklich letzte Mittel. Wenn ich die Schilderungen höre, bin ich mir sehr wohl dessen bewusst, dass diese in vielen, vielen Fällen wirklich dringend nötig sind. Andererseits sollte es nicht Ziel des Staates sein, bei privaten Trägern oder Einrichtungen, überspitzt formuliert, die Betten mit Kindern voll zu haben. Zuerst sollte man wirklich hergehen und schauen, was für eine Unterstützung die betreffende Familie braucht. Das gelindeste Mittel zuerst! Vielleicht reicht ja die Wegweisung eines gewalttätigen Elternteiles, anstatt die Kindesabnahme sofort durchzuführen.
Eine Kindesabnahme sollte nur in Akutfällen, wenn wirklich Gefahr im Verzug ist, praktiziert werden. Stattdessen sollte man nach Möglichkeit Mittel in die Familien investieren, vielleicht in eine Therapie, vielleicht in eine finanzielle Unterstützung für die Eltern, das muss Priorität haben.
Es gibt noch viele weitere Punkte. Meine Redezeit ist quasi aufgebraucht, aber vielleicht noch eines zum Schluss: Verländerung oder bundesweite Vereinheitlichung? – Alleine wenn ich mir ansehe, dass es kinderanwaltliche Vertrauenspersonen nicht allen Bundesländern gibt, glaube ich nicht, dass sich diese Situation verbessern wird, wenn wir hier in Richtung Verländerung gehen. Wenn wir uns die einheitlichen Ausbildungsstandards für das Personal in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen ansehen, wenn wir uns ansehen, wie die Unterbringung geregelt ist, wird klar: Wir brauchen bundesweit einheitliche Standards und keine Verländerung, die wieder neun Ländergesetze festschreibt. – Vielen Dank. (Beifall.)
12.38
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank.
Als Nächster gelangt Herr Hans-Peter Radauer vom Österreichischen Berufsverband der Sozialen Arbeit zu Wort. – Bitte, Herr Radauer.
DSA Hans-Peter Radauer (Österreichischer Berufsverband der Sozialen Arbeit): Werter Herr Präsident! Werte Enquete-TeilnehmerInnen! Ich bedanke mich für die Möglichkeit, hier zu reden. Ich bin Sozialarbeiter, war zuletzt 25 Jahre im Jugendamt, nachdem ich 15 Jahre lang Erzieher war. Seit zehn Monaten bin ich im Ruhestand und leite die Fachgruppe Kinder- und Jugendhilfe im Berufsverband der Sozialen Arbeit.
Wie Sie wissen, hat sich dieser Verband umstrukturiert. Es geht nicht mehr nur um Diplomierte SozialarbeiterInnen beziehungsweise um an den FHs ausgebildete SozialarbeiterInnen, sondern auch um SozialpädagogInnen, die vertreten werden.
Ich möchte die Möglichkeit zu reden nutzen, als jemand, der die Praxis gut kennt. Ich war nie in leitenden Funktionen und ich denke, es gibt in der Praxis der sozialen Arbeit und jetzt im Speziellen in der Kinder- und Jugendarbeit niemanden, der irgendwie nur ansatzweise Gefallen daran findet oder irgendeine Perspektive für sich sehen kann, was denn bei den großen fachlichen und Standardfragen, die es ja immer wieder zu klären gilt, gewonnen sein sollte, wenn die Kinder- und Jugendhilfe verländert wird.
Also ich kenne niemanden und ich habe da relativ viele Kontakte. Ich würde es mir sehr, sehr wünschen, dass sich Abgeordnete finden, die diese viel gerühmten und vielfach geforderten einheitlichen fachlichen Standards erwirken würden. Warum dann ein Bundesgesetz weitgehend außer Kraft gesetzt werden soll, verstehe ich nicht!
Ein Schlagwort: Mich stört an der Diskussion heute der Begriff Kinder herausnehmen. Ja, das passiert manchmal. Es wurde aber eigentlich nie darüber gesprochen, dass Fremdunterbringung eine Lösung ist, die durchaus mit Eltern und Kindern auch besprochen werden kann, wenn es einfach nicht mehr geht, wobei es unter Umständen beide einsehen können.
Zur Verländerungsfrage: Wer immer im öffentlichen Dienst gearbeitet hat, weiß, glaube ich, dass Ämter ein Trägheitsmoment haben. Da ich weiß, wie schnell – ich bin jetzt bei Jugendämtern – gesagt wird, das machen wir nicht, ist es umso mehr mein Wunsch, dass es da auch weiterhin eine Gesetzgebung auf Bundesebene gibt, die Forderungen stellt, und zwar neben allen anderen Kontrollinstrumenten.
Ich hätte zwar noch einige Punkte, aber meine Redezeit ist vorbei. – Danke schön. (Beifall.)
12.42
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank, Herr Radauer.
Als Nächste gelangt Frau Beate Prettner von der Kärntner Landesregierung zu Wort. – Bitte, Frau Prettner.
Dr. Beate Prettner (Landeshauptmannstellvertreterin, Landesregierung Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Präsidentin! Hoher Bundesrat! Wertes Plenum, das heute hier anwesend ist! Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass alle Kinder, egal, woher sie kommen, egal, aus welchen sozialen Schichten sie sind, ein Recht auf ein gewaltfreies Leben haben, und auch ein Recht darauf, die bestmögliche Förderung für eine positive Entwicklung zu haben.
Das ist auch der Grund dafür, dass wir heute hier sind, dass wir darüber diskutieren. Ich bedanke mich wirklich sehr für diese Enquete, weil es ein ganz aktuelles Thema ist, weil es ja um grundsätzliche Zuteilungen von Aufgaben geht und weil es uns alle angeht. Kinderschutz geht uns tatsächlich alle an, Politikerin und Politiker, Vertreter von Organisationen, von der Juristerei oder der Volksanwaltschaft, Vertreter aller Berufsgruppen, Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern, wir alle sind ja mehr oder weniger Eltern, Tanten und Angehörige von Kindern. Und Kinder sind unsere Zukunftsfrage, das haben Sie sehr treffend formuliert. Es geht uns etwas an.
Wir haben eine positive Entwicklung, was die Rechtsprechung betrifft. Ich beziehe mich jetzt auf das Gesetz aus dem Jahr 2013, das tatsächlich einen Paradigmenwechsel gebracht hat, das uns alle mehr in die Schutzfunktion gebracht hat und unser Helfersystem aktiviert hat. Wir haben in Kärnten das Vieraugenprinzip im Gesetz festgeschrieben. Und glauben Sie mir, jede der Unterbringungen wird mit dem Vieraugenprinzip begründet und hat ihre Begründung.
Es wurde erwähnt, dass für ein Kind – und auch das ist eine Kompliziertheit, die in unserem föderalen Staate herrscht – unter Umständen bis zu drei Systeme zuständig sind, nämlich die Kinder- und Jugendhilfe, die Behindertenhilfe und die Grundversorgung. Ihre Statistik berücksichtigt das nicht.
Ihre Statistik berücksichtigt nicht, dass Kinder in Kärnten in der Kinder- und Jugendhilfe sind, wenn sie fremduntergebracht sind, das heißt, wenn sie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind. In einem anderen Bundesland, in der Steiermark, wird das beispielsweise in der Grundversorgung geregelt. Auch diese Statistik zeigt jetzt schon ihre Kompliziertheit. Deshalb plädiere ich dafür, auf diesem Gesetz aus 2013 aufbauend, noch viel mehr Standards vorzugeben. Diese Tagung bewerte ich auch so, dass wir hier einen Rahmen brauchen. Wir in den Ländern können viel tun, und wir tun auch viel, aber es braucht, wie die Vorrednerinnen und Vorredner das ja schon gezeigt haben, auch Standards.
Ich möchte das noch einmal betonen: Wir brauchen Standards, was die Berufsqualifizierung in unseren Einrichtungen betrifft. Wir brauchen auch Standards, was finanzielle Mittel betrifft. Ganz sicher brauchen wir auch Zuwendungen. Wir haben nämlich Systeme wie früher Hilfen, die eben sehr hilfreich sind. Wir haben derzeit schon finanzielle Zuwendungen, und wir brauchen sie auch in Zukunft, denn wir möchten das ja auch weiter ausbauen und standardisieren.
Sehr hilfreich ist es nicht, wenn man die Familienbeihilfe – besonders für Risikofamilien – streicht, denn – Sie haben das ja sehr treffend ausgeführt – Kinder brauchen Wurzeln, brauchen Bindungen, und diese Bindungen werden damit wirklich unterbunden, und das ist für uns keinesfalls hilfreich.
Wir brauchen vor allem einen Austausch wie diesen. Wir brauchen übergeordnet auch vergleichbare Statistiken und Zahlen, damit wir uns orientieren können. Dann sollen sie aber auch vergleichbar sein. Wir brauchen einfach diesen Austausch und in manchen Fällen vielleicht sogar ganz besondere Einrichtungen, die es nicht in jedem Bundesland wird geben können, weil wir es oft auch mit sehr, sehr speziellen Kindern und sehr, sehr speziellen Herausforderungen zu tun haben.
Ich danke auf jeden Fall für diesen Austausch, der heute organisiert wurde und bin sehr froh darüber, hier anwesend sein zu können. Wir werden natürlich darauf Wert legen, dass diese 15a-Vereinbarung garantiert, dass es zu keiner Qualitätsverschlechterung kommt, sondern dass es darauf aufbauend zu einer Weiterentwicklung unseres derzeitigen Systems kommt. (Beifall.)
12.47
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank.
Es liegen dazu keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe daher die Debatte zu Panel 1. Ich bedanke mich bei allen für ihre Beiträge.
Ich unterbreche jetzt die Verhandlungen bis 13.30 Uhr. Im Kleinen Redoutensaal erwartet Sie ein Mittagsbuffet.
Die Sitzung ist unterbrochen.
*****
(Die Enquete wird um 12.48 Uhr unterbrochen und um 13.32 Uhr wieder aufgenommen.)
*****
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf die unterbrochene Sitzung wieder aufnehmen.
Wiedereinstimmung durch einen Kurztext von Renate Welsh
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Wiedereinstimmung folgt nun ein weiterer Kurztext von Renate Welsh.
Bitte, Frau Welsh, um Ihren Text.
Renate Welsh: Manche von Ihnen werden sich vielleicht wundern und sagen, es ist ein bisschen zu früh für diesen Text, aber in allen Geschäften hat es auch schon zu weihnachten begonnen. Der Text heißt: „Wer klopfet an?“
(Einen Teil des Textes singend vortragend:) „Den Adventkranz in Ellis Klasse haben die Kinder selbst gebunden, und er ist richtig schön geworden. Jeden Morgen zündet die Lehrerin eine Kerze an, liest etwas vor, spielt Gitarre oder ihre komische kleine Ziehharmonika. Es wird gesungen und getrommelt.
Eine Woche vor Weihnachten soll es ein Fest für die Familien geben, da werden die Kinder das alte Lied ‚Herbergsuchen‘ mit verteilten Rollen singen, wobei am Ende jeder Strophe ein anderer hartherziger Wirt Maria und Josef die Tür vor der Nase zuschlägt.
‚Wer klopfet an?‘ / ‚O zwei gar arme Leut!‘ / ‚Was wollt ihr dann?‘ / ‚O gebt uns Herberg heut. / Morgen wird der Heiland kommen,“ – ich singe es lieber nicht (Heiterkeit) – „der da liebt und lobt die Frommen!‘ / ‚Geht mich nichts an!‘ / ‚Habt Mitleid, lieber Mann!‘ / ‚Ei, das kann einmal nicht sein, / da geht nur fort, ihr kommt nicht rein!‘ / [...]
Beinahe jeden Tag singt die Klasse ‚Herbergsuchen‘, alle können schon jede Rolle übernehmen. Außerdem soll natürlich getrommelt und geflötet und trompetet werden. Die Kinder haben auch Sterne gefaltet aus weißem Papier. Wenn man den Stern aufmacht, steht drin, was sich das Kind wünscht. Es musste etwas sein, das man nirgends kaufen kann. In keinem Geschäft, hat die Lehrerin gesagt. Nicht einmal im größten Einkaufszentrum.
Anfangs war es sehr schwer etwas zu finden, das sie in den Stern schreiben könnten, aber plötzlich fiel ihnen immer mehr ein, und zuletzt wollten die Kinder gar nicht mehr aufhören. Jetzt haben sie zwei große Körbe voll mit weißen Faltsternen, die werden sie an die Besucherinnen und die Besucher verteilen.
Heute hat Oskar die blaue Schürze umgebunden und singt sehr laut und streng: ‚Wer klopfet an?‘
Da klopft es wirklich, und im selben Moment geht die Tür auf.
Der Herr Direktor kommt herein, gefolgt von zwei Polizisten. Er geht direkt auf Emine zu. Die Lehrerin legt beide Hände auf Emines Schultern.
‚Frau Kollegin, ich bitte Sie!‘, sagt der Direktor, und das klingt nicht wie eine Bitte.
Elli springt auf und klammert sich an Emine.
‚Setzen!‘, sagt der Herr Direktor mit einer Stimme, die keine Widerrede duldet.
Alle Kinder setzen sich. Einige beginnen zu weinen.
Der größere Polizist hebt Emine einfach hoch und trägt sie aus der Klasse.
Elli schreit.
Sie schreit, so laut sie kann.
Der Herr Direktor und der zweite Polizist verlassen die Klasse. Die Lehrerin will Elli in die Armen nehmen, Elli stößt sie weg, rennt aus der Klasse, rennt die Stiegen hinunter, unten fällt das große Tor zu.
Als es ihr endlich gelingt, das Tor zu öffnen, sieht sie das Polizeiauto wegfahren mit Emine und dem großen Polizisten auf dem Rücksitz. Ohne zu denken rennt sie dem Auto nach. Ein Müllwagen blockiert die Kreuzung! Der Polizist muss bremsen, während die Müllmänner die riesigen Tonnen auf die Hebebühne stellen.
Elli klopft ans Autofenster. Mit riesigen verschreckten Augen schaut Emine sie an. Sie können einander gerade noch winken. Eine Abgaswolke hüllt Elli ein, sie krümmt sich vor Husten.
Plötzlich wird sie an der Hand gepackt und von der Straße weggezogen. ‚Mir scheint, du spinnst!‘, sagt eine kratzige Stimme direkt an ihrem Ohr. ‚Wenn du das noch einmal machst, dann scheuer ich dir eine, dass du alle Engel singen hörst.‘ Sie schaut auf, aber der Mensch, der sie zwischen den Autos herausgeholt hat, ist schon weg, sie sieht nur mehr seinen Rücken, den sollte sie kennen, aber sie kennt ihn nicht. Sie hört noch: ‚Geh schleunigst zurück in die Klasse, deine Lehrerin dreht bestimmt schon durch.‘
Elli wundert sich, wie schwer ihre Füße sind, als sie sich zur Schule zurückschleppt. Sie steht eine ganze Weile vor dem Haus, bevor sie tief einatmet und die Tür öffnet. Die Stufen in den ersten Stock sind sehr hoch.
Alle Kinder sind beim Malen, alle schauen auf, als Elli hereinkommt, und beugen sich gleich wieder tief über ihre Blätter. Die Lehrerin nickt Elli zu und reicht ihr Zeichenpapier. ‚Du kannst malen, was du willst, mit Kreide, Kohle, Wasserfarben oder Filzstift.‘
Kein Mensch würde verstehen, wie schwer es ist, an einem so leeren Platz wie dem neben Elli vorbeizugehen. Sie stößt sich den Ellbogen an und dann auch noch die Hüfte. In dem Fach liegen Emines Hefte und die Federschachtel, die Elli ihr zum Geburtstag geschenkt hat.
Augen zeichnet Elli, nichts als Augen, und übermalt sie mit vielen schwarzen Strichen in alle Richtungen.
Nach dem Läuten ruft die Lehrerin Elli zu sich. ‚Ich bin auch traurig. Und wütend. Es ist nur so ...‘ Sie setzt sich Elli gegenüber und erzählt, was sie erfahren hat, während Elli Emine nachgelaufen ist: Emines Eltern hatten vor drei Wochen den Abschiebungsbescheid erhalten, aber sie hatten einfach nicht geglaubt, dass sie tatsächlich weggebracht werden würden. Daher hatten sie Emine verboten, darüber zu sprechen.
‚Wenigstens mir hätte sie es doch sagen müssen!‘
‚Gerade dir nicht, Elli.‘
Elli schaut empört auf, da sieht sie, dass die Lehrerin nasse Augen hat.
‚Und jetzt?‘, fragt Elli.
Die Lehrerin zieht die Schultern hoch. ‚Ich weiß nicht. Ich werde versuchen, mich zu erkundigen. Es gibt ein paar Leute, die ich anrufen werde. Aber mache dir keine Hoffnungen.‘
Elli möchte aufspringen und hinausrennen, sie möchte schreien und aufstampfen. Sie bleibt sitzen und starrt vor sich hin. ‚Nein, es kann einmal nicht sein, da geht nur fort, ihr kommt nicht rein‘, haben sie beim Herbergsuchen gesungen. Jetzt geht es um Emine, die wird einfach rausgeworfen, zusammen mit ihrer Mama, ihrem Vater und ihrem kleinen Bruder. Emine hat nie erzählt, wie sie hierher gekommen sind. Einmal stellte Elli eine Frage, da bekam Emine ganz tote Augen und musste mit einer Hand die andere halten und beide fest an sich drücken, damit sie aufhörten zu zittern. Danach hat Elli eine Zeitlang genau aufgepasst, wenn vom Irak die Rede war, aber irgendwann hat sie vergessen, dass Emine von anderswo gekommen ist. Emine war einfach Emine.
So leer wie der Platz, auf dem Emine nicht mehr sitzt, so leer darf kein Platz auf der Welt sein.
Die Lehrerin nickte, als hätte sie Ellis Blick mitbekommen.
Mama fragt, wie es in der Schule war, und wie immer knurrt Elli nur irgendwas Unverständliches, während sie ihre Schuhe auszieht. Aber als sie später einen kleinen Abendspaziergang machen, platzt es aus Elli heraus. Mama bleibt stehen. ‚Mitten aus der ‚Herbergsuche‘ haben sie deine Freundin abgeholt?‘
Elli nickt.
Mama schlägt die rechte Faust in die linke Handfläche. ‚Das darf doch nicht wahr sein. Das ist doch ein schlechter Scherz. Ein ganz schlechter, geschmackloser Witz.‘ Sie zieht Elli an sich, so stehen sie eine Weile, durch die Mäntel spürt Elli Mamas Herz klopfen. Als ihre Fußsohlen kalt werden, gehen sie weiter, schweigend.
Plötzlich sagt Mama: ‚Elli, ich habe eine Idee. Kann sein, dass sie gar nichts bringt, kann sein, dass ein paar Leute anfangen zu denken. Ihr habt doch das Lied vom Herbergsuchen geprobt, stimmt’s? Wenn deine Klasse einverstanden ist, könnt ihr es doch an vielen öffentlichen Plätzen in der ganzen Adventzeit singen und dabei ein Transparent halten, auf dem steht, dass eure Mitschülerin Emine während der Probe abgeschoben wurde.‘
Elli ist begeistert. ‚Glaubst du, dass sie dann dableiben darf?‘
Mama schüttelt den Kopf. ‚Ich möchte es gern glauben. Aber auf jeden Fall ist es besser als Nichts tun, denke ich.‘
Die ganze Klasse wird mitmachen. Alle Kinder. Am Anfang waren nicht alle Eltern dafür, aber die Kinder haben sie überzeugt. Eine Mutter hat gesagt: ‚Das Lied hat mich ganz verrückt gemacht. Bis ich draufgekommen bin, dass ... dass es nicht das Lied war, das verrückt war.‘
In der Schule darf nicht darüber geredet werden. Weil Politik in der Schule verboten ist, versucht die Lehrerin den Kindern zu erklären. Die verstehen das überhaupt nicht. Elli ist sicher, dass die Lehrerin es selbst nicht versteht und deshalb nicht erklären kann, aber sie machen einfach alles per SMS aus. Maxi hat die großartige Idee, seine Trommel mitzubringen, und schlägt Maria und Josef jede Tür mit einem wilden Trommelwirbel vor der Nase zu.
‚Wer klopfet an?‘
Manchmal singen Zuhörerinnen und Zuhörer mit. Manchmal wollen sie für Emine spenden. Manchmal wird geschimpft. ‚Bei uns gibt’s ja auch arme Leut’‘ und ‚Da könnt’ ja jeder kommen.‘
Eine Journalistin macht Interviews.
Elli verdrückt sich im Hintergrund.
Auf dem Foto in der Zeitung ist nur der Bommel ihrer Mütze zu sehen.
Emines Platz bleibt leer.“
– Ich danke Ihnen. (Beifall.)
13.43
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Herzlichen Dank, Frau Welsh, für Ihren berührenden, vorweihnachtlichen Text.
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Wir kommen nun zu Panel 2, den Referaten zum Thema „Übergänge – der Weg ins Erwachsenwerden“. Ich ersuche die Referentinnen und Referenten, vorne Platz zu nehmen und die Zeit von 7 Minuten pro Statement wenn möglich nicht zu überschreiten.
Ich darf zu Beginn gleich Frau Caroline Pavitsits von der Bundesjugendvertretung um ihren Beitrag bitten. – Bitte.
Caroline Pavitsits (Bundesjugendvertretung): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Kinder- und Jugendarbeit! Auch ich möchte mich zuerst ganz herzlich für die Initiative dieser Enquete und für die Einladung, hier im Namen der österreichischen Bundesjugendvertretung unsere Standpunkte darzulegen, bedanken.
Im Titel der parlamentarischen Enquete stecken bereits drei Begriffe, die gut auf den Punkt bringen, worum es der Bundesjugendvertretung als gesetzliche Interessensvertretung aller Kinder und Jugendlichen in Österreich geht: Rechte, Chancen und Perspektiven.
Zum Stichwort Rechte: Bereits 1992 hat Österreich die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Sie ist ganz klar unser Bezugsrahmen, wenn es um Kinder- und Jugendhilfe geht. An vorderster Stelle der Konvention, in Artikel 2, ist grundgelegt, dass kein Kind diskriminiert werden darf. Dies gilt auch in Bezug auf den Wohnort innerhalb eines Landes. Ein Kind in Tirol darf nicht schlechter gestellt sein und anders behandelt werden als ein Kind in der Steiermark. Artikel 3 der Kinderrechtskonvention besagt, dass das Kindeswohl bei allen Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen ist. Dies gilt bei öffentlichen und privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, bei Gerichten, Verwaltungsbehörden und Gesetzgebungsorganen. Das heißt, nicht die günstigste oder unkomplizierteste Variante soll realisiert werden, sondern, wie wir heute schon gehört haben, die, die für die Kinder am besten ist.
Warum stelle ich diesen Punkt an den Beginn meines Statements? – Ganz einfach, weil wir diese Rechte durch die geplante Kompetenzverschiebung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe als massiv bedroht erachten. Wir als Bundesjugendvertretung können absolut nicht verstehen, wieso diese Kompetenzen, nachdem diese erst vor Kurzem, im Jahr 2013, durch das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz zum Bund kamen, nun wieder auf die Landesebene verlagert werden sollen. Dies geschieht außerdem, ohne die Ergebnisse der ersten Evaluation der Implementierung dieses Gesetzes abzuwarten. Die Bundesjugendvertretung sieht die geplante Kompetenzverschiebung mehr als kritisch. Wir befürchten, dass es bei den Standards zu einer Nivellierung nach unten kommt. Es könnte passieren, dass nicht mehr das Kindeswohl an erster Stelle steht, sondern beispielsweise budgetäre Faktoren. Kinder könnten abhängig von ihrem Wohnortbundesland Unterstützung erfahren oder eben nicht. Wir haben heute schon gehört, dass man den Bundesländern vertrauen soll. Ich denke, Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser. Vor allem, wenn es sich um ein so sensibles Thema wie die Kinder- und Jugendhilfe dreht.
Unser nochmaliger Appell an alle politischen EntscheidungsträgerInnen, Nationalratsabgeordnete und BundesrätInnen lautet daher: Es braucht bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass das Kindeswohl in Österreich an erster Stelle steht.
Zum Stichwort Chancen: Für die Bundesjugendvertretung steht fest: Alle Kinder und Jugendliche haben das Recht auf gleiche Chancen. Wenn Kinder und Jugendliche – aus welchem Grund auch immer – nicht ausreichend Unterstützung durch ihre Familien bekommen, ist es Aufgabe des österreichischen Staates, für Chancengerechtigkeit zu sorgen und diese Kinder und Jugendliche entsprechend zu unterstützen. Auch darauf wollten wir in diesem Jahr mit unserer Kampagne „Armut ist kein Kinderspiel!“, #genugjetzt aufmerksam machen.
Dieses Panel steht unter dem Thema „Übergänge – der Weg ins Erwachsenwerden“. Besonderer Handlungsbedarf besteht aus Sicht zahlreicher Expertinnen und Experten in der Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Kinder- und Jugendhilfe bis zu einem Alter von 24 Jahren. Momentan enden Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe mit 18 Jahren. Die derzeitige Regelung, nach der eine Verlängerung beantragt werden muss, stellt eine zusätzliche und gleichzeitige auch eine unnötige Hürde für junge Menschen mit Unterstützungsbedarf dar.
Gerade der Übergang von der Schule oder Ausbildung zum Erwachsenenleben ist ein Meilenstein im Erlangen von Eigenständigkeit. Nicht allen Jugendlichen gelingt dieser Schritt auf Anhieb, auch denen nicht, die aus einem stabilen Familienumfeld kommen. Der Staat darf sich hier nicht aus der Verantwortung ziehen, besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche nicht zu unterstützen. Vielmehr soll der Staat Weitsicht beweisen und in die Begleitung dieses Übergangs investieren. Es ist nachweislich belegt, dass alle Maßnahmen, die jungen Menschen an dieser Stelle zugutekommen, langfristig positive Effekte haben.
Zum letzten Stichwort Perspektiven: Als junge Menschen hören wir oft: Ihr seid die Zukunft. Gegen diese Floskel legen wir jedoch stets vehement Widerspruch ein, denn wir sind nicht die Zukunft, wir sind die Gegenwart. Will heißen: Nur wenn Anliegen und Bedürfnisse von uns jungen Menschen schon heute berücksichtigt werden und bei Maßnahmen über die aktuelle Legislaturperiode hinaus gedacht wird, eröffnen sich genügend Gestaltungsspielräume für unser weiteres Leben.
Wenn wir als die Zukunft bezeichnet werden, schwingt dabei immer auch die Erwartung mit, dass wir uns als aktive Mitglieder der Gesellschaft entwickeln und uns an demokratischen Prozessen beteiligen. So weit, so gut. Für uns Junge bedeutet das aber: Wir brauchen jetzt Rechte, jetzt Chancen und jetzt Perspektiven. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
13.50
Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Ich darf nun Frau Tanja Lechner von der Gesellschaft Österreichischer Kinderdörfer um ihren Beitrag bitten. – Bitte, Frau Lechner.
Mag. (FH) Tanja Lechner (Gesellschaft Österreichischer Kinderdörfer): Sehr geehrte Bundesratspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst einmal für die Einladung und die Möglichkeit, hier zum Thema Care Leaving und Übergang ins Erwachsenenleben zu sprechen, bedanken.
Vielleicht ganz kurz: Es war heute Vormittag schon Thema, Care Leavers sind jene junge Menschen, die einen Teil ihrer Kindheit, ihrer Jugend in institutioneller Erziehung verbracht haben und am Übergang ins Erwachsenenleben stehen. Ich persönlich hatte das Glück, dass ich bei meinen Eltern am südlichen Wiener Stadtrand aufgewachsen bin, die Schule besucht habe und dass völlig klar war, dass meine Eltern mein Studium finanzieren und dass ich zu dieser Zeit auch bei ihnen wohnen kann. Ich hatte zusätzlich das Glück, dass sie mir bei der Einrichtung meiner ersten Wohnung finanziell geholfen haben, und dafür bin ich sehr dankbar.
Jugendliche, die bei uns in den Einrichtungen leben, sind traumatisiert – sonst wären sie nicht bei uns. Jugendliche, die bei uns in unseren Einrichtungen vor ihrem 18. Geburtstag stehen, die stehen vor der Ungewissheit, wie es weitergeht. Sie wissen, dass die Kinder- und Jugendmaßnahme endet, sie wissen, dass sie das Kinderdorf verlassen müssen und sie wissen, dass sie im Gegensatz zu anderen Gleichaltrigen kein familiäres Netzwerk haben, auf das sie zurückgreifen können.
Wir versuchen in unseren Einrichtungen, die Jugendlichen so gut wie möglich vorzubereiten. Wir haben Jugendwohngruppen, in denen unsere Sozialpädagogen und -pädagoginnen versuchen, ihnen Selbstständigkeit zu lehren. Dass aber Themen wie Haushaltsbudget, Wäsche waschen, kochen, Haushalt erledigen, nicht die Lieblingsthemen von 14-, 15-, 16-Jährigen sind, das können Sie sich wahrscheinlich vorstellen.
Als weiteren Schritt in die Selbstständigkeit bieten wir im Rahmen des betreuten Außenwohnens Wohnungen an, in denen die Jugendlichen, jungen Erwachsenen weitgehend selbstständig leben, aber noch vom Kinderdorf mitbetreut werden. Zum Maßnahmenende wünschen wir uns, unsere Jugendlichen in einer Wohnung, die sie sich leisten können, und in einem aufrechten Berufsumfeld zu sehen.
Meist merken wir aber, dass eine Betreuung über den 18. Geburtstag hinaus wünschenswert wäre, weil die meisten 18-Jährigen einfach noch nicht bereit sind, ihr Nest – wenn man so sagen will – zu verlassen. Eine Verlängerung der Kinder- und Jugendhilfemaßnahme – wir haben es gehört – ist grundsätzlich möglich, ist abhängig vom Herkunftsbundesland des Kindes und geht maximal bis zum 21. Geburtstag. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf.
Viele dieser Care Leavers verfügen aber, wie ich erwähnt habe, kaum über stabile soziale Netzwerke und materielle Ressourcen. Gleichzeitig erwartet man von ihnen aber wesentlich mehr als von vergleichbaren Gleichaltrigen. Sie sollen auf eigenen Beinen stehen und das alles während der Lehrabschlussprüfung, der Matura, eventuell der Führerscheinausbildung und so weiter. Sie können dabei auf keinerlei Unterstützung zurückgreifen – auf ihr familiäres Umfeld nicht, weil dieses nicht vorhanden oder nicht in der Lage ist, und auf die Kinder- und Jugendhilfe nicht, weil die nicht zuständig ist. Aufgrund dieser existenziellen Themen, die diese jungen Menschen haben, verändern sich natürlich auch ihre Bildungschancen. Ein 17-Jähriger wird sich sehr gut überlegen, ob er ein Studium einschlägt oder ob er einen Berufsweg einschlägt, in dem er gleich Geld verdient, um die Anforderungen, die auf ihn zukommen, auch bewältigen zu können.
Ich möchte aber in einem Land leben, in dem alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Chancen und auch die gleichen Bildungschancen haben. Das bedeutet: Die Kinder- und Jugendhilfe muss über den 18. Geburtstag hinaus zentraler Ansprechpartner bleiben. Ich würde sogar weitergehen und meinen: 26 ist das neue 18!
Das bedeutet nicht, dass alle Jugendlichen so lange wie möglich in einer Kinder- und Jugendhilfemaßnahme verwurzelt sein sollen, aber es soll individuelle Begleitung möglich sein. Biografische Übergänge können gemäß Transitionstheorie immer nur dann positiv gelingen, wenn klar ist, dass es längerfristige Prozesse sind, und wenn klar ist, dass diese Prozesse vom jeweiligen sozialen Umfeld begleitet werden. Das heißt, im Falle der Care Leavers sind diese sozialen Umfelder natürlich und vor allem die Einrichtungen, in denen diese jungen Menschen einen Großteil ihrer Jugend verbracht haben. Daher kann eigentlich nur die Kinder- und Jugendhilfe und im Konkreten die jeweilige Einrichtung dafür zuständig sein, diese jungen Menschen gut in ihr unabhängiges Leben zu begleiten.
Das wünschen sich im Übrigen auch die Betroffenen selbst. Im Zuge einer von SOS-Kinderdorf durchgeführten Studie mit dem Titel „Prepare for Leaving Care“ wurden junge Menschen befragt, was sie sich wünschen, wenn sie daran denken, dass die Kinder- und Jugendhilfemaßnahme endet. Diese jungen Menschen haben ganz klar formuliert: zwei bis drei Jahre Vorbereitung, Fachkräfte, die gut mit ihnen umgehen, und maßgeschneiderte Maßnahmen. Daher braucht es meiner Meinung nach einen Rechtsanspruch auf eine Verlängerung der Kinder- und Jugendhilfemaßnahme, wahrscheinlich bis zum 26. Lebensjahr, um allen Menschen die gleichen Chancen zu geben. Es braucht außerdem entsprechend geschultes Personal. (Vizepräsident Lindinger übernimmt den Vorsitz.)
Ich bin davon überzeugt, dass eine Veränderung der entsprechenden Rahmenbedingungen auf Bundesebene – es war heute bereits mehrmals Thema – möglich und notwendig ist. Ich bin auch davon überzeugt, dass es längerfristig auch kostengünstiger ist, länger in die Kinder- und Jugendhilfe zu investieren und selbstständige junge Menschen, die auf eigenen Beinen stehen, aus den Maßnahmen zu entlassen, anstatt heillos überforderte junge Menschen, die vermutlich ihr Leben lang auf Unterstützung angewiesen sind und aus ihrer Überforderung nicht mehr herauskommen.
Ich wünsche mir, dass Care Leavers sich eingeladen fühlen, sich immer wieder dann, wenn es ihnen ein Bedürfnis ist, an die Kinder- und Jugendhilfe zu wenden, weil dort ein Teil ihres Zuhause ist. Ich glaube an den positiven Gestaltungswillen der Politik. Ich glaube auch, dass es möglich ist, diese Maßnahmen, diese Prozesse umzusetzen, und ich bin davon überzeugt, dass die Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche in ihren Jugendjahren machen, die sind, die sie am stärksten und am nachhaltigsten prägen. – Danke schön. (Beifall.)
13.57
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke, Frau Lechner, für Ihre Ausführungen.
Ich darf nun Herrn Pascal Riegler um seinen eigenen Erfahrungsbericht bitten. – Bitte.
Pascal Riegler (Jugendlicher mit Erfahrungsbericht): Sehr geehrte Bundesratspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Pascal Riegler und ich bin seit dem 22. Oktober 2013 im Kinderdorf Pöttsching. Ich habe am 29. Oktober meinen 19. Geburtstag gefeiert und bin seit dem 29. Juni 2018 in einer vom Kinderdorf unterstützten Wohnung untergebracht.
Was ich als allererstes Problem am Weg zur Selbstständigkeit erkannt habe, ist, dass ich zu Fuß, ohne Führerschein – den ich gerade mache – und ohne Auto alles selbst organisieren muss und auch selber einkaufen muss, was auf Dauer recht schwierig wird. Es war anfangs recht schwer für mich und für andere Jugendliche in dieser Einrichtung, mit dem Budget, das wir bekommen, umzugehen. Wir haben früh gelernt, unser Geld zu sparen, haben aber nie wirklich erfahren, wie wir es richtig einsetzen sollen. Wir sollen ausgewogen, gesund und abwechslungsreich kochen und essen, haben aber nie die Möglichkeit gehabt, das zu lernen, da bei uns immer alles vorhanden war und wir auch die Lebensmittel, die wir hatten, verwendet haben.
Das für mich größte Problem sind unsere Abrechnungen. Wir müssen einmal im Monat alles Ausgegebene abrechnen. Das haben wir leider nicht im Kinderdorf gelernt, da sind die Erzieher mit uns einkaufen gegangen und wir haben gekauft, was wir brauchten. Schnell fiel mir auf, dass es eine große Umstellung war, dass ich auch daran denken muss, Grundlebensmittel wie Milch, Eier, Mehl, Gewürze zu kaufen. Bei uns war das immer da und wir haben keinen Gedanken daran verschwendet, woher das kommt. Jetzt bin ich draufgekommen, mein Kühlschrank wird leer, wenn ich nicht einkaufen gehe. (Heiterkeit.)
Was ich am Kinderdorf auch toll fand – zumindest wenn ich im Nachhinein daran denke –, waren Sachen wie der Haushalt oder Hygieneartikel. Die hatten wir im Lager und wenn wir etwas brauchten, sind wir zu den Erziehern gegangen und haben bekommen, was wir wollten.
Auch nach meinem Auszug habe ich die ersten Wochen einfach nicht daran gedacht. Ich habe eine sehr zuvorkommende Mitbewohnerin, die an Dinge wie Duschgel und Klopapier gedacht hat. Als es dann leer war, musste ich selber daran denken. Wir hatten im Kinderdorf ein sehr striktes Regelwerk, wenn es um Dinge wie Haushalt ging. Wir haben uns alle Arbeiten im Haushalt aufgeteilt – wer den Geschirrspüler macht, wer staubsaugt, wer zusammenräumt – und hatten zusätzlich auch noch eine Reinigungskraft, die einmal in der Woche alles durchgewischt hat. Wir haben schon erfahren, was es bedeutet, ein eigenes Zimmer sauber zu halten. Es ist aber ein Unterschied, ob ich ein kleines Zimmer oder eine ganze Wohnung sauber halten muss. – Und wer von uns Privatpersonen hat denn schon eine Reinigungskraft?
Gleich nach meinen Umzug in meine eigene Wohnung, also in die betreute Wohnung, ist mir aufgefallen, dass ich vieles noch nicht kenne, wie die einfachsten Amtswege: Wo melde ich mich um?; Wie wechsle ich meine Bank?; et cetera. Solche Termine wurden meistens vom Kinderdorf ausgemacht, oder man hat uns Bescheid gegeben, wo wir anrufen sollen. Dann haben wir es mit der Unterstützung des Kinderdorfes gemacht. Das fällt jetzt alles weg. Ich muss selber daran denken, wie ich zu meinen Terminen komme. Das muss ich mir selber ausmachen, und so lange ich mein Auto und meinen Führschein nicht habe, muss ich es auch irgendwie öffentlich bewältigen. Es ist ein weiterer Umstand, den ich nicht bedacht habe, als ich versuchte, mich für die Startwohnung vorzubereiten.
Ich denke oft über die nahe Zukunft nach meinen 21. Geburtstag nach, denn wie wir schon alle mehrfach gehört haben, wird mit meinem 21. Geburtstag die Maßnahme beendet. Leider habe ich recht spät mit meiner Lehre angefangen. Daher wird mein Lehrabschluss erst nach meinem 21. Geburtstag sein, und danach muss ich noch den Zivildienst absolvieren. Ich weiß noch nicht, wie ich das alles unter einen Hut bringen soll, wie ich mich in dieser Zeit finanziere. Der Gedanke daran, dass ich weder familiäre Unterstützung habe noch nach meinem 21. Geburtstag vom Kinderdorf und von der Kinder- und Jugendhilfemaßnahme unterstützt werde, macht mir Angst.
Ich persönlich sehe da eine Lücke im Sozialsystem. Vielleicht kann man das überdenken. Ich finde es hart, dass man gesagt bekommt, du bist jetzt 21, du musst jetzt auf deinen eigenen Beinen stehen. In der Theorie hätte ich es zwar schon gelernt, da ich lange im Kinderdorf bin, doch rein praktisch ist es vor allem in dieser Zeit recht schwer. Ich mache meinen Lehrabschluss, ich fange mit dem Zivildienst an, absolviere ihn und soll danach wieder zurück in die Arbeitswelt. Das ohne jegliche Unterstützung zu bewältigen, ist ein sehr beängstigender Gedanke. Daher wünsche ich mir für die Zukunft – nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen Jugendlichen nach mir – eine Änderung.
Mein Name ist Pascal Riegler, ich bin eines der Kinder in der Kinderjugendwohlfahrt und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
14.04
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Vielen Dank, Pascal, für deine Ausführungen.
Ich darf nun Herrn Richard Gruber um seinen Erfahrungsbericht bitten. – Bitte, Herr Gruber.
Richard Gruber (Jugendlicher mit Erfahrungsbericht): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Ihnen heute im Zuge dieser Enquete meine persönlichen Eindrücke, Erfahrungen zum Thema „Der Weg ins Erwachsenwerden“ vortragen.
Ich möchte meine heutige Rede mit einem Zitat von Picasso beginnen, dies lautet wie folgt: „Jedes Kind ist ein Künstler. Die Frage ist nur, ob es einer bleibt, wenn es aufwächst.“ Wie bei jedem Zitat gibt es natürlich verschiedene Auslegungsvarianten. Für mich persönlich bedeutet dieses Zitat, dass es sehr, sehr wichtig ist, dass wir unsere Kinder fördern, ihnen Lernerfahrungen ermöglichen, sie auch einmal tüfteln lassen, um etwas Neues auszuprobieren, und sie so für spätere Aufgaben, für das spätere Leben vorzubereiten.
Jetzt haben wir da ein Stichwort gehört: Vorbereitung für das spätere Leben. Wo passiert denn jetzt diese Vorbereitung? Passiert das vielleicht im Kindergarten? Passiert das vielleicht in der Schule oder doch bei den Eltern zu Hause? – Nun, wie bei vielen Dingen ist auch hier der gesunde Mittelweg die richtige Lösung. Wir brauchen eine ausgewogene Mischung dieser drei Orte. Eltern neigen sehr oft dazu, dass sie ihre ganze Verantwortung an Pädagoginnen und Pädagogen abgeben wollen. Eltern stehen aber genauso in der Pflicht, ihre Kinder zu erziehen, ihnen ihre Rechte und vor allem ihre Pflichten aufzuzeigen. Genauso sind natürlich Eltern dazu verpflichtet, ihre Kinder in jeglicher Hinsicht zu fördern und ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, um sie bei der späteren Ausbildungs- beziehungsweise Berufswahl zu unterstützen.
Die Kinder und später dann die Jugendlichen werden immer älter. Sie bekommen auch vom Staat mehr Rechte verliehen. Doch müssen sie deswegen mehr Pflichten erfüllen? – Das ist eine Frage, die ich mir gestellt habe. Eine andere ist: Wer vermittelt diese Pflichten? – Das Schulsystem alleine kann das sicher nicht. Genau hier sind dann auch wieder die Eltern gefordert, dass sie die Kinder und Jugendlichen in die Unabhängigkeit führen. Kinder und Jugendliche brauchen Aufgaben. Es müssen keine großen Aufgaben sein, es können auch kleine Aufgaben sein – wie vielleicht den Eltern einmal im Haushalt zu helfen –, denn wenn sie nicht lernen, gewisse Pflichten zu übernehmen, eine gewisse Leistung zu erbringen, werden sie sich später einmal im Zustand einer erlernten Hilflosigkeit wiederfinden. Im gleichen Zuge müssen Kinder und Jugendliche natürlich auch lernen, dass sie etwas leisten müssen, denn wenn sie das nicht lernen, werden sie im späteren Berufsleben einmal Probleme haben, Fuß zu fassen.
Das heißt, einerseits muss dieser Leistungsgedanke natürlich von zu Hause kommen – dass etwa die Kinder- und Jugendlichen, wenn sie eine Aufgabe ausführen, den Eltern vielleicht irgendwo helfen, vielleicht ein bisschen mehr Taschengeld bekommen –, andererseits muss dies natürlich auch in der Schule passieren. In der Schule ist man gewöhnt, oder ich persönlich war es halt gewöhnt, dass man zumindest am Ende des Jahres eine genügende Leistung erbringen musste. Wenn man die genügende Leistung nicht erbracht hat, konnte man nicht aufsteigen. Wir haben in den letzten Jahren teilweise erlebt – ich nenne jetzt nur das Stichwort Neue Oberstufe –, dass es Kindern und Jugendlichen ermöglicht worden ist, in die nächste Schulstufe aufzusteigen, ohne dafür irgendeine Leistung zu erbringen. Würden wir das auf ein wirtschaftlich tätiges Unternehmen ummünzen – und ich sage bewusst: wirtschaftlich tätig –, würden wir dort so arbeiten, wäre das Unternehmen relativ schnell am Abgrund, wenn nicht sogar bankrott.
Welche Eigenschaften brauchen Kinder und Jugendliche, um in der späteren Arbeitswelt oder bei der späteren Ausbildungs- beziehungsweise Berufswahl Fuß fassen zu können? – Ich habe zwei Eigenschaften herausgeschrieben. Die eine heißt selbstbestimmt, die andere eigenständig. Auch hierbei sind natürlich wieder die Eltern in der Pflicht, ihren Kindern den Weg dahin zu ebnen, sie zu unterstützen, sie bei der Ausbildungs- beziehungsweise Berufswahl zu unterstützen.
Man muss dabei jedoch immer ganz klar unterscheiden: Manche Eltern neigen dazu oder haben die eingesessene Meinung, dass es ihren Kindern einmal viel besser gehen muss als ihnen selbst. Da sind ihnen oft viele Mittel recht, zum Beispiel, dass sie handwerklich begabte Kinder in ein Oberstufengymnasium stecken, obwohl das die Kinder gar nicht wollen. Umgekehrt erleben wir natürlich auch, dass Eltern sprachlich sehr begabter Kinder darauf bestehen, dass ihre Kinder einen handwerklichen Beruf erlernen, weil vielleicht auch der Vater oder die Mutter einen handwerklichen Beruf gelernt hat. Da sind wir dann beim Problem, dass es Eltern zwar gut meinen, aber indem sie ihren Kindern eine gewisse Ausbildung, eine Berufswahl aufzwingen, eigentlich das genau Gegenteilige bewirken.
Ich möchte das Ganze noch einmal kurz zusammenfassen: Eltern müssen deswegen ja die Welt jetzt nicht neu erfinden. Sie müssen sich nur dessen bewusst sein, dass es ihre Pflicht ist, ihre Kinder zu selbstbestimmten und eigenständigen Menschen zu erziehen. – Danke. (Beifall.)
14.10
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Ich bedanke mich für Ihren Beitrag, Herr Gruber.
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Wir gehen nun in die Diskussion ein.
Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr.in Andrea Eder-Gitschthaler. – Ich bitte um Ihren Beitrag.
Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin von diesen Stunden, die wir gemeinsam hier verbringen, emotional berührt. Es sind ja doch Themen, die auch mir als Mutter zu Herzen gehen – sei es, wenn man Frau Renate Welsh mit ihren Beiträgen, sei es, wenn man die Krisenpflegeeltern-Mütter und die Adoptiveltern-Mutter hört und erfährt, in welcher Welt wir leben, obwohl wir in so einem reichen Land leben. Ich bedanke mich bei allen, die dazu beitragen, dass unsere Welt jeden Tag besser wird – bei Ihnen allen, die Sie hier so engagiert bei der Arbeit sind und uns bis jetzt so wertvolle und interessante Inputs geliefert haben.
Ich habe mich zu diesem Panel gemeldet, weil ich das Glück hatte, eine Tochter zu haben, die schon sehr selbständig ist, auf eigenen Beinen steht, einen Beruf hat und jetzt schon Mutter geworden ist, und eine weitere Tochter, die mit 17 diesen Weg in nächster Zeit vor sich hat oder schon gegangen ist. Wir leben Gott sei Dank sehr gut miteinander, es geht uns gut, wir können unser Kind begleiten, und darum ist es notwendig und wichtig, hinzuschauen, wenn das nicht so ist.
Lieber Herr Pascal, Sie haben mich auch sehr berührt, wie Sie von Ihrem Weg erzählt haben. Ja, natürlich muss man sich überlegen, was wir tun können und wie wir Ihnen weiter helfen können. Es gibt Rahmenbedingungen, und als Gesetzgeber müssen wir uns überlegen, wie wir das machen können. Die Verlängerung der Unterstützung bis 24 Jahre, wie sie heute schon gefordert wurde, muss man sich mit den dafür zuständigen Ländern anschauen.
Wir haben heute schon gehört, wie die Kompetenzentflechtung vonstattengehen soll. Wir haben auch Ihre Inputs gehört, dass das eine oder andere dann nicht so gut ankommt.
Ich denke, man darf es schon den Ländern überlassen, denn die wissen genau, was vor Ort passieren soll. Die wissen genau, was sie tun können und wie sie unterstützen können. Ich bin guten Mutes, dass uns das miteinander gut gelingt.
In diesem Sinne, wie gesagt, vielen, vielen Dank für diese wertvollen Inputs und dir, Inge, dafür, dass du das Ganze initiiert hast. Es war für mich bis jetzt ein wirklich sehr interessanter Tag, und ich freue mich schon auf die weiteren Diskussionen. (Beifall.)
14.14
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Eine weitere Wortmeldung liegt vor. – Bitte, Herr Bundesrat David Stögmüller.
Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen aus Bundesrat und Nationalrat! Ich möchte mich vorweg ebenfalls ganz kurz bei dir, Frau Bundesratspräsidentin Inge Posch-Gruska, dafür bedanken, dass du aus dem Bundesrat auch ein Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendhilfe machst. Das muss man tatsächlich erwähnen. Ich glaube, wir eignen uns da immer mehr Kompetenzen an. Das festzuhalten ist, glaube ich, auch ganz wichtig. Also vielen Dank für diesen Schwerpunkt. (Beifall.)
Ich muss schneller reden, weil ich heute kein politisches Statement mehr abgeben darf und doch noch ein paar Dinge dazu sagen möchte.
Zu den Care Leavers: Ich glaube, es braucht in diesem Bereich wirklich eine bundeseinheitliche – und ich betone: bundeseinheitliche – Lösung, damit endlich wirklich eine Absicherung stattfindet.
Da geht es zum einen um den Anspruch auf eine Weiterführung der Hilfe nach der Volljährigkeit und auch nach der Ausbildung. Das haben wir heute schon sehr gut gesehen und das ist ganz wichtig, damit man eine Ausbildung auch fertigmachen kann. Das hat Herr Pascal Riegler eindrücklich geschildert.
Notwendig ist tatsächlich auch die Abstellung der Unterstützung auf den individuellen Unterstützungsbedarf, damit man entsprechende Unterstützung dort gibt, wo sie benötigt wird.
Zum politischen Statement – und ich glaube, da passen die Care Leavers perfekt dazu, denn sie sind das beste Beispiel dafür, dass es in den Bundesländern neun unterschiedliche Lösungen gibt: einmal bis 21, einmal etwas länger, einmal ein bisschen Unterstützung dort und einmal da. Hier sieht man, was eine Verländerung bewirkt: Jedes Bundesland macht sein eigenes Ding, und das Pech oder das Glück des Kindes hängt sozusagen davon ab, wo es aufgewachsen ist. Genau da möchte ich ansetzen und ganz klare und ehrliche Worte finden: Wir von den Grünen, als grüne Fraktion und auch in grünen Bundesländern, werden uns ganz klar gegen eine Verländerung aussprechen. Wir sind immerhin in vier Landesregierungen; in drei Landesregierungen führen und leiten wir dieses Ressort.
Wir werden das nicht mittragen. Wir haben uns dagegen ausgesprochen, auch in der Darstellung der 15a-Vereinbarung, die dazu in Aussicht gestellt wurde, weil es für uns nicht logisch, nicht klar und nicht erklärbar ist, dass ein Kind aus Vorarlberg anders behandelt werden darf beziehungsweise behandelt und geschützt wird als im Burgenland oder in anderen Bundesländern. Das geht nicht. Es ist für mich unlogisch und hat auch keine Unterstützung.
Ich appelliere hier schon noch einmal an die Regierungsparteien und auch an die Oppositionsparteien – diese brauchen wir auch in diesem Fall, wenn wir das wirklich verhindern oder aufhalten wollen –, denn eine 15a-Vereinbarung ist unserer Meinung nach nicht wirklich sinnvoll und in der Praxis nicht wirklich umsetzbar. Man weiß ja, dass die Realisierung dann ganz anders aussieht, auch wenn einheitliche Standards natürlich super wären. Sie in die Form eines Gesetzes zu gießen wäre aber noch viel sinnvoller. Darüber hinaus hat es Jahre und Jahrzehnte gedauert, bis man es überhaupt endlich einmal geschafft hat, einheitliche Standards zu implementieren. Diese jetzt aufzulösen finde ich absurd und meiner Meinung nach wirklich nicht sehr sinnvoll.
Vielen Dank noch einmal – (auf das blinkende Lämpchen am Rednerpult blickend) das Lämpchen zeigt, dass meine Redezeit schon vorbei ist – Ihnen allen, den Expertinnen und Experten, für Ihren heutigen Input. Ich hoffe, die Ausführungen hier haben dazu beigetragen, dass es zu diesem Thema im Plenum und im Verfassungsausschuss, wo es noch einmal behandelt wird, einen Denkanstoß geben wird. Vielen Dank für Ihre Inputs und vielen herzlichen Dank allen Menschen, die in der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten. Ihr macht einen super Job! – Vielen Dank. (Beifall.)
14.18
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Die nächste Wortmeldung liegt von Frau Nationalrätin Claudia Plakolm vor. Ich erteile ihr das Wort.
Abgeordnete Claudia Plakolm (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Zuallererst vielen herzlichen Dank für die heutige Enquete zur Kinder- und Jugendhilfe. Es ist schön, dass am heutigen Tag Kinder und Jugendliche im Zentrum des politischen Austausches stehen. Ich hoffe, wir nehmen uns davon auch etwas für die Zukunft mit.
Nun zu den Übergängen im Erwachsenwerden. Was sind also die großen Meilensteine, die einen Jugendlichen begleiten? – Führerschein, Schul- und Lehrabschluss, Berufswahl, der Auszug von daheim. Spätestens wenn man die eigene Familie gründet, realisiert man, dass man nun erwachsen ist.
Die eigenen Eltern geben bei diesen Schritten oft Orientierung und gleichzeitig auch Halt, was auch in Zukunft – mehr denn je – gefragt ist, unabhängig davon, welche politischen Maßnahmen wir hier im Parlament setzen, ganz nach dem Motto: Die Jugend soll ihre eigenen Wege gehen, aber ein paar Wegweiser würden nicht schaden.
Gewissermaßen ist aber auch die Schule gefordert, auf ein eigenverantwortliches Leben, auf das Erwachsensein vorzubereiten. 2015 twitterte eine Schülerin in Deutschland: Ich bin fast 18 und habe keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen, aber ich kann eine Gedichtanalyse in vier Sprachen schreiben.
Dieser Tweet löste zu Recht viele Diskussionen über das Bildungssystem aus. Zugleich möchte ich festhalten: Die Schule kann nicht auf alle Eventualitäten, auf alle Gegebenheiten vorbereiten. Das ist ganz klar. Ich denke aber schon, dass neben der Allgemein- und Berufsbildung auch Alltagskompetenzen im Lehrplan Platz haben sollten.
Dazu gehören Inhalte wie: Wie funktioniert der Staat Österreich? Was sind Sozialversicherungen? Wie mache ich eine Arbeitnehmerveranlagung? Auch das erste Mal Wählen ist ein ganz entscheidender Schritt auf dem Weg zum mündigen Bürger, und dazu wäre ein eigenes Unterrichtsfach Politische Bildung enorm wichtig.
Neben der Schule sind Vereine und Organisationen die beste Lebensschule. Jeder zweite Jugendliche engagiert sich ehrenamtlich, lernt dadurch Verantwortung zu übernehmen und erwirbt ganz wertvolle Fähigkeiten, besonders im sozialen Bereich.
Der Auszug von daheim bedeutet ein großes Stück Eigenständigkeit, die man damit erwirbt – ob das im Studentenheim, in einer WG oder in der ersten gemeinsamen Wohnung mit dem Partner, mit der Partnerin, bis hin zum Eigentum, ist. Das zeigt, dass Jugendliche heutzutage wesentlich flexibler und mobiler sind, was die Wohnortsuche betrifft. Die Wohnortwahl selbst hängt natürlich von den Perspektiven ab, die Jugendlichen geboten werden. Das sind Ausbildungs- und Berufschancen und natürlich Infrastruktur und Anbindung.
In Oberösterreich haben wir heuer eine Umfrage zum Thema Junges Wohnen durchgeführt. Das Ergebnis zeigt, dass 91 Prozent der Jugendlichen später gerne in der Gemeinde, in der sie aufgewachsen sind, wohnen würden. Dies spricht nicht nur für den ländlichen Raum, sondern vor allem für eine hohe emotionale Bindung zur Heimatgemeinde, die durch Familie, Freunde und ganz besonders natürlich durch das Ehrenamt entsteht.
Aufgrund steigender Preise wird es allerdings immer schwieriger, dass Jugendliche geeignete Wohnungen und Baugründe finden. In diesem Bereich wäre zum Beispiel die Politik gefordert, steuerliche Unterstützungen zu ermöglichen, beispielsweise durch eine Senkung der Grunderwerbsteuer.
Wir Jugendlichen sind nicht nur die Zukunft, sondern vielmehr die Gegenwart. Das ist heute am Podium schon gesagt worden. Darum freut es mich, dass heute so viele Jugendliche selbst am Rednerpult gestanden sind und nicht über Jugendliche, sondern mit Jugendlichen geredet worden ist. Ich freue mich auf eine weitere gute Zusammenarbeit mit den vielen Organisationen. Ich möchte mich an dieser Stelle auch noch einmal ganz herzlich dafür bedanken. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
14.22
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Eine weitere Wortmeldung liegt von Herrn Landtagsabgeordnetem Dipl.-Ing. Franz Dinhobl vor. – Bitte.
Dipl.-Ing. Franz Dinhobl (Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag, ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der gesetzgebenden Körperschaften! Die große Zahl an Menschen, die heute zusammengekommen sind, um sich damit auseinanderzusetzen, wie es mit der Jugend- und Kinderhilfe zukünftig weitergeht, zeigt, dass dieses Thema emotional bewegt. Wir sehen aber auch, dass wir in einem föderalen System leben, in welchem wir die bestmögliche Antwort auf die Frage finden müssen, wo wir welche Aufgaben ansiedeln können, um sie effizient, sinnvoll und direkt an den Menschen, direkt an den Kindern und Jugendlichen durchzuführen.
Kinder und Jugendliche sind Menschen, die sich oft nicht oder nie selbst helfen können. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen, darauf, dass wir ihnen diese Hilfe direkt und unmittelbar gewähren können.
Jetzt sehen wir aber auch, dass in diesem System, in diesem Bereich den Ländern die Möglichkeit gegeben wird, direkt an den Kindern und Jugendlichen tätig zu werden, weil es, glaube ich, notwendig ist, auf persönliche Bedürfnisse eingehen zu können.
Wir haben es in den Berichten der Jugendlichen gehört, dass es nicht egal ist, wo man hingestellt wird, wo man aufwächst, in welchem Bereich man aufwächst, die Voraussetzungen und Fähigkeiten sind nicht gleich. Deswegen, glaube ich, ist es wichtig und richtig, dass die Politik dort ansetzt, wo es möglich ist, direkt und unmittelbar an den Menschen tätig zu werden. Der Bund, die Länder und die Gemeinden sollen dort arbeiten, wo sie am schnellsten und effizientesten arbeiten können. Wir haben auch gehört, dass die finanziellen Mittel beschränkt sind – sie werden immer beschränkt sein –, deshalb müssen wir uns genau überlegen, wo wir ansetzen wollen und können, damit diese Mittel am besten und am unmittelbarsten eingesetzt werden.
Jemand, der am Land tätig ist und auch immer wieder unmittelbar mit den Bedürfnissen zu tun hat, sieht, dass wir gerade bei den Kleinsten ansetzen können und müssen, um ihnen ein Leben zu ermöglichen, das sie auch in Zukunft aus dieser Problematik herausführt, sodass sie zukünftig ins Leben eintreten und ihre Ausbildung machen können. Es gilt, direkt an und mit den Jugendlichen zu arbeiten. Ich glaube, die Länder sind dafür eine richtige und gute Plattform. (Beifall.)
14.25
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Zu Wort gelangt nun Herr Hubert Löffler vom Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. Ich erteile ihm das Wort.
Dr. Hubert Löffler (Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen): Sehr geehrte Damen und Herren, denen das Anliegen der Kinder- und Jugendhilfe in Österreich ein großes Anliegen ist!
Es wurde jetzt zu dem Thema junge Erwachsene in der Kinder- und Jugendhilfe schon einiges gesagt, und es ist meines Erachtens relativ deutlich geworden, dass die aktuelle Gesetzeslage für diese Gruppe von Jugendlichen und Care Leavers ungenügend ist.
Wenn man es kurz zusammenfasst: Das Ungenügen liegt darin, dass die jetzige Lösung ungerecht ist, denn der biografische Nachteil, den diese jungen Menschen schon mitbringen, weil sie nicht in ihrer Familie aufwachsen konnten, wird ein weiteres Mal verstärkt, indem man sie schon mit 18 oder spätestens mit 21 Jahren aus der Betreuung hinauswirft.
Es ist zweitens klar, dass diese Lage wissenschaftlich überholt ist, denn die Wissenschaft, die Soziologie, sagt uns schon seit Langem, dass der Übergang in das Erwachsenenalter komplizierter geworden ist, dass sich die Phase des Erwachsenwerdens weit in das dritte Lebensjahrzehnt hinein erstreckt. Als das jetzige Gesetz geschaffen wurde – das war 1989 und dann 2013, es wurde aber nicht wirklich in diesem Punkt erneuert –, ist man durchschnittlich noch mit 21 Jahren aus der Familie ausgezogen, heute zieht man mit 25 Jahren aus. Das ist in Österreich, in Deutschland, in der Schweiz überall gleich oder ähnlich.
Drittens: Diese jetzige Gesetzeslage ist finanziell fahrlässig – das haben wir auch schon gehört –, weil die Folgekosten, wenn dieser Übergang nicht gelingt, wesentlich höher sind als die Kosten für das Begleiten des Jugendlichen in dieser Phase des Übergangs. Da wird schon möglicherweise 1 Million Euro investiert, um die Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen, und dann wird das wegen einer geringen Summe unter Umständen wieder zunichte gemacht.
Als Dachverband haben wir in den letzten drei Jahren mit 17 Einrichtungen ein Care-Leaver-Projekt gemacht. Wir reden nicht einfach vom grünen Tisch aus, sondern haben 300 bis 400 Care Leavers in der Zeit nach ihrer Jugendhilfe unterstützt. Wir haben dabei die Erfahrung gemacht – das haben sie uns mitgeteilt –, das Wichtigste ist, dass sie nach dieser Zeit nicht Bittsteller sein wollen, wie das jetzt ist, und häppchenweise vielleicht Verlängerungen bekommen, sondern dass sie eine gewisse Planungssicherheit brauchen, die sie jetzt nicht haben.
Wir haben zurzeit ein zweites Care-Leaver-Projekt laufen, wo wir Care Leavers – so wie die zwei jungen Leute, die heute hier waren – motivieren und auch vorbereiten, dass sie mit den Politikern selbst direkt in Kontakt treten. Das haben wir in sechs Bundesländern schon gemacht. Mit diesen Care Leavers hat es Politikergespräche gegeben, die sehr berührend waren. Die Politiker waren sehr erstaunt und von der Situation sehr betroffen. Diese jungen Menschen sagen uns: Was wir brauchen, ist eine flexible, beziehungsorientierte Unterstützung – also nicht wieder einen Wechsel – und eine diskriminierungsfreie Unterstützung – also keine Diagnose, damit wir weiter unterstützt werden. (Beifall.)
14.29
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Nächste Wortmeldung: Frau Abgeordnete zum Nationalrat Eva Maria Holzleitner. – Bitte.
Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Herr Präsident! Liebe Frau Bundesratspräsidentin! Nochmals vielen Dank an dich, Pascal, für deinen wirklich tollen persönlichen Bericht. Du hast das unglaublich gut gemacht. Ich bin wirklich stolz, dass du heute da bist und uns das so authentisch und toll erzählt hast. (Beifall.)
Dein Beispiel hat uns auch eines vor Augen geführt: Der 21. Geburtstag sollte eigentlich ein freudiges Ereignis sein – so wie jeder Geburtstag, auf den man sich freut, an dem man feiert und gemeinsam eine schöne Zeit verbringt –, er darf kein Datum der Angst sein. Ich glaube, diese Flexibilität, im Hinblick auf den Abschluss der Ausbildung und all das, braucht es einfach heutzutage, wenn es um Unterstützungsangebote im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe geht, indem man genau diese Realitäten mitnimmt, in unsere politische Agenda mit aufnimmt und einfach einfließen lässt.
Bezüglich Kompetenzentflechtung: Ich glaube, diese Bundesratsenquete heute ist die beste Gelegenheit, um das Ganze nach Hause mitzunehmen. Wir sind VertreterInnen aus dem Nationalrat, aus dem Bundesrat, aus den Ländern. Hier haben wir und alle möglichen Playerinnen und Player die Themen länderübergreifend, bundeslandübergreifend dargelegt, damit man das auch nach Hause mitnehmen und in die politische Arbeit einfließen lassen kann.
Der Blick auf die Komplexität der Schritte in die persönliche Selbständigkeit ist mir auch persönlich ein ganz wichtiges Anliegen. Es geht dabei – wir haben es heute schon gehört – um das Thema Wohnen: Wie komme ich zu einer Wohnung? Wie läuft das mit der Miete ab? Von zu Hause auszuziehen ist ein erster Schritt, der bei manchen Menschen früher, bei manchen später erfolgt, der jedoch unglaublich wichtig ist. Es geht weiters um den Themenbereich der Bildung: Was mache ich nach der Pflichtschule? Gehe ich weiter in die Schule oder möchte ich in eine Ausbildung gehen, et cetera? An diese Komplexität bei den verschiedenen Altersgrenzen müssen wir, glaube ich, unsere politische Arbeit anpassen und das einfach mitnehmen.
Auch die politische Bildung als eigenständiges Schulfach in allen Schultypen ist unglaublich wichtig. Es ist besser, sie jetzt einzuführen als später. Ob die ArbeitnehmerInnenveranlagung da reinpasst, weiß ich noch nicht, aber auf jeden Fall ist politische Bildung unglaublich wichtig. Ich glaube, sie ist gerade auch für uns ein Thema, das wir auf jeden Fall mitnehmen sollten, um den Jugendlichen und Kindern in Österreich wirklich die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu geben, wenn sie dann später einmal aktiv wählen dürfen oder sich vielleicht auch selber für eine Wahl aufstellen lassen.
So viel nur kurz dazu. – Danke schön, und ich freue mich jetzt auf das nächste Panel. (Beifall.)
14.32
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Als Nächster ist Herr Gerald Herowitsch-Trinkl vom Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen zu Wort gemeldet. – Ich bitte um seinen Beitrag.
DSP Gerald Herowitsch-Trinkl (Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Inge! Ich stehe heute als Vertreter des Dachverbandes Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen hier, melde mich aber im Besonderen auch als Leiter einer therapeutischen sozialpädagogischen Einrichtung im Burgenland zu Wort. Ich lebe dort mit Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen, die ins Erwachsenenleben übergehen und von mir begleitet werden. Ich bin somit auch emotional von der Sache betroffen.
Ich möchte mich bei dir bedanken, liebe Inge, dass du es ermöglichst, dass so viel über Kinder- und Jugendhilfe gesprochen wird und darüber, wie wichtig Kinder- und Jugendhilfe ist, wie viel sich in der Kinder- und Jugendhilfe verbessert hat.
Das ist definitiv so, aber ich möchte auch mahnen und doch emotional anmerken, dass nicht alles so gut ist, wie wir tun. Es gibt noch einiges zu tun. Es gibt massive Unterschiede in den Bundesländern. Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hingehören.
Ich möchte mich jetzt, da es die Gelegenheit gibt, an die Vertreter von Ländern, an Politiker, an Verwaltungsmitarbeiter, wenden, weil sie vielleicht die Möglichkeit haben, etwas zu verändern. Dazu möchte ich ein paar Fragen aufwerfen, um nicht wieder in das Erheben von Forderungen überzugehen.
Die erste wäre: Wie können wir es zulassen, dass es in Österreich noch immer und immer wieder junge Menschen gibt, die mit 18 ihr Zuhause, die Einrichtung, verlassen müssen und eigentlich vor dem Nichts stehen? Wie können wir es zulassen, dass wir in Österreich die Situation haben, dass junge Menschen, die vielleicht in der Euphorie – jetzt bin ich 18, jetzt schaffe ich mein Leben selber – aus ihrem Zuhause, aus der Einrichtung ausziehen und dann keine Möglichkeit mehr auf Unterstützung haben, nicht einmal, wenn dies die Einrichtung will, oft nicht einmal, wenn die Länder wollen? Da gibt es keine gesetzliche Möglichkeit.
Wir haben heute schon gehört, wie wichtig Bindungen, Bezugspersonen sind. Wie können wir es dann zulassen, dass es noch immer Einrichtungen und Bundesländer gibt, in denen acht bis zehn Kinder mit einem Pädagogen oder einer Pädagogin alleine im Dienst dastehen? Wie soll da Beziehung gelebt werden? Wie soll da adäquat mit Krisen umgegangen werden? Wie können wir es zulassen, dass es Bundesländer oder Einrichtungen gibt, wo Kinder standardmäßig, zum Beispiel mit dem sechsten Lebensjahr, die Einrichtung verlassen müssen, weil diese nur für sechs Jahre vorgesehen ist, oder mit 15, weil sie dann in eine Jugendeinrichtung müssen? Wie können wir bei all dem zuschauen und es als Gesellschaft verantworten?
Ich hätte noch viele, viele Fragen, die aufzuwerfen sind: Wie können wir es zulassen, dass in Österreich das durchschnittliche Alter, wann junge Menschen von zu Hause ausziehen, 26 Jahre ist, unsere Kinder und Jugendlichen aber mit dem 18. und allerspätestens mit dem 21. Lebensjahr die Einrichtung und die Unterstützung verlassen müssen – und falls mit dem 21. Lebensjahr, dann nur deshalb, weil es die entscheidende Behörde, das entscheidende Bundesland will und nicht weil der junge Mensch ein Recht darauf hat oder weil wir uns um die Kinder und Jugendlichen kümmern wollen.
Das Lämpchen am Pult leuchtet, ich sollte zum Schluss kommen. Ich möchte Sie alle, die die Möglichkeit haben, etwas im Land zu verändern, bitten, es wirklich zu tun, die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen und vor allem das Potenzial, das in diesen Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen steckt, zu nutzen und nicht verkümmern zu lassen. – Vielen Dank. (Beifall.)
14.36
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke für Ihren Beitrag.
Nächste Wortmeldung: Frau Rosina Baumgartner vom Katholischen Familienverband. – Bitte.
Mag. Rosina Baumgartner (Katholischer Familienverband Österreichs): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute gehört, beim Kinder- und Jugendhilfegesetz ist der Bund für die Grundsatzgesetzgebung zuständig, die Ausführung liegt bei den Ländern.
Wir haben am Vormittag in Panel 1 auch gehört, dass es trotzdem ganz unterschiedliche Ausbildungsstandards gibt, dass es ganz unterschiedliche Entlohnungssysteme bei den Pflegefamilien gibt, dass es sehr unterschiedliche Gruppengrößen bei der Fremdunterbringung gibt und dass die Standards und Praktiken bei der Rückführung in die Herkunftsfamilien ebenso sehr unterschiedlich sind. Die Frau Bundesministerin konnte sich bei ihrer Ländertour selbst überzeugen, dass wir von einheitlichen Standards sehr weit weg sind. Als Vertreterin einer Lobbyorganisation, als Vertreterin des katholischen Familienverbandes frage ich mich jetzt, was beziehungsweise warum es besser werden soll, wenn wir die Kinder- und Jugendhilfe in die alleinige Verantwortung der Länder geben. Ich frage mich, warum es beziehungsweise was besser werden soll, wenn sich die neun Bundesländer in einer 15a-Vereinbarung zu einheitlichen Standards bekennen.
Es gibt in der Politik auch Bereiche, die in die umgekehrte Richtung führen, zum Beispiel im Jugendschutz. Die Politik und auch wir alle, wir Familienorganisationen, haben uns ausdrücklich dafür eingesetzt, dass es ein einheitliches Jugendschutzgesetz gibt. Der Weg dahin war ein mühsamer, ein zäher und ein sehr, sehr langwieriger. Warum man jetzt gerade bei der Kinder- und Jugendhilfe wieder den umgekehrten Weg nehmen will, also von einer Grundsatzgesetzgebung auf neun unterschiedliche Regelungen umstellen will, verstehe ich einfach nicht. (Beifall.)
14.39
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke für Ihren Beitrag.
Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Herbert Paulischin vom Österreichischen Berufsverband der Sozialen Arbeit. – Bitte.
DSA Herbert Paulischin (Österreichischer Berufsverband der Sozialen Arbeit): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Frage, die sich für diese Veranstaltung stellt, heißt: Kinder- und Jugendhilfe quo vadis? – Ich möchte sie ein bisschen provokant beantworten: Die Richtung geht Richtung Deprofessionalisierung.
Sie planen die Verländerung. Wir wissen, dass wird auf Kosten der Qualität gehen, wir haben die Erfahrung am Beispiel des Vieraugenprinzips: Alles an Qualität, das etwas kostet, wird nicht implementiert werden.
Ich bin Sozialarbeiter und habe in mehr als 40 Jahren mit viereinhalbtausend Fällen von Gewalt, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch von Kindern zu tun gehabt. Ich denke, ich weiß, wovon ich rede. Wenn Sie sich anschauen, welche Kriterien bei den tödlichen Misshandlungsfällen in Österreich der letzten 20, 25 Jahre maßgeblich waren, werden Sie draufkommen, dass es um Schnittstellenmanagement, um Kommunikation geht. Es geht darum, dass notwendige Informationen nicht weitergegeben wurden, von der Schule zum Jugendamt, vom Jugendamt zum Krankenhaus, zur Polizei und so weiter. Das wird erschwert, wenn es über Bezirksgrenzen geht, oder noch schwieriger, wenn es über Landesgrenzen geht. Genau das planen Sie jetzt.
Die neuesten Ergebnisse der Resilienzforschung zeigen, dass Kinder dann eine positive und gute Chance auf ein gelingendes Leben haben, wenn sie in stabilen, verlässlichen, lang anhaltenden Beziehungen leben können. Dabei ist es nicht einmal so notwendig, dass es Beziehungen zu den biologischen Eltern sind. Es geht generell um Beziehungen.
Es gibt in diesem Bereich neben Sozialpädagogen und -pädagoginnen noch eine Berufsgruppe, die Sie heute leider einzuladen vergessen haben, und das sind die Sozialarbeiterinnen und die Sozialarbeiter. Wir arbeiten in diesem Feld seit mehr als hundert Jahren. Wir sind mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, aber wir bemühen uns. Es ist schade, dass man auf unsere Stimme in diesem Zusammenhang nicht hören möchte. Es ist, als würden Sie planen, ein Krankenhaus ohne Ärzte zu betreiben. Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei. – Danke. (Beifall.)
14.42
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke für Ihren Beitrag.
Es liegen dazu keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Debatte. Panel 2 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Beiträge und besonders bei Pascal, der uns in der Einleitung sehr emotionalisiert hat. (Beifall.)
Panel 3: Das Recht des Kindes auf Schutz, Versorgung und Teilhabe in der Kinder- und Jugendhilfe
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Wir kommen nun zu Panel 3 mit den Referaten zum Thema „Das Recht des Kindes auf Schutz, Versorgung und Teilhabe in der Kinder- und Jugendhilfe“.
Ich ersuche die Referentinnen und Referenten, ihre Beiträge von der Regierungsbank aus abzugeben und die Zeit von 7 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten. Ich darf hinweisen, dass das rote Lämpchen wie immer 2 Minuten vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt.
Ich darf zu Beginn Herrn Univ.-Prof. Dr. Ernst Berger, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Universitätsprofessor.
Univ.-Prof. Dr. med. Ernst Berger (Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel unseres Panels – Recht auf Schutz, Versorgung und Teilhabe – stellt Prinzipien aus der Kinderrechtskonvention und aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern dar. Die Etablierung dieser Rechtsnormen war ein Paradigmenwechsel, weil an die Stelle des Konzepts des Schutzes das Konzept der Kinderrechte getreten ist.
Wir wissen aber, dass diese Rechte keineswegs immer Realität gewesen sind. Das hat uns die Diskussion um den sogenannten Heimskandal ab dem Jahre 2010, der heute schon erwähnt wurde, besonders deutlich vor Augen geführt. Wir wissen – und ich weiß es persönlich, weil ich selbst 130 Interviews mit Betroffenen dieser Heimperiode gemacht habe –, welche dramatischen lebenslangen Folgen die Defizite in der sozialpädagogischen Betreuung dieser Zeit mit sich gebracht haben. Es ist ja nicht nur ein historisches Phänomen gewesen, das weit, weit zurückliegt, sondern war ein Problem, das bis in die 1980er-Jahre existiert hat.
Der Rückblick auf diese Zeit, auf diese Ereignisse und auf die Analysen, die über diese Ereignisse erstellt wurden, hat gezeigt, dass einerseits eine gesellschaftliche Haltung, die wir heute mit dem Begriff der schwarzen Pädagogik bezeichnen, aber auch institutionelle Relikte aus der Zeit des Nationalsozialismus dahintergestanden sind. Es waren vor allem Ausbildungsdefizite – damals gab es keine einheitlichen Ausbildungsstandards, Sozialpädagogik als Begriff hat damals nicht existiert – und die Tatsache, dass Kinder keine verbrieften Rechte und vor allem auch keine gesellschaftliche Lobby gehabt haben. All das hat zu diesen Ereignissen geführt.
Damals, als das laut wurde, gab es eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema. Es ist ja relativ selten, dass über die Themen der Kinder- und Jugendhilfe auch öffentlich diskutiert wird. Sie erinnern sich vielleicht noch an den Fall Luca aus dem Jahre 2007. Die damaligen Entscheidungen des Jugendamtes sind in die Kritik geraten. Heute haben wir Diskussionen über umgekehrte Entscheidungen. Heute wird viel darüber geklagt, dass die Kinder- und Jugendhilfebehörden zu früh Abnahmen machen, doch das sind insgesamt relativ seltene Diskussionen.
Wir können also sagen, dass das Thema der Kinder- und Jugendhilfe de facto ein Minderheitenthema ist, das aber in Konsequenz lebenslange Bedeutung für die Betroffenen hat. Ich bin seit mehr als 40 Jahren in der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig und kann aus dieser Perspektive gut einschätzen, welche Bedeutung der Bereich der Kinder- und Jugendhilfe – früher hat er Kinder- und Jugendwohlfahrt geheißen – hat und welche Bedeutung die rechtlichen Normen in diesem Bereich haben, denn Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe sind gewissermaßen über weite Strecken zumindest so etwas Ähnliches wie kommunizierende Gefäße.
Die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung ist zwar im Prinzip in den jeweiligen Bundesländern organisiert, aber de facto haben wir in vielen Bereichen länderübergreifende Funktionen zu erfüllen. Da werden differente Standards zwischen den einzelnen Ländern tatsächlich zu einem relevanten Problem, dort, wo es um die Qualität sozialpädagogischer Betreuung und um unterschiedliche Angebote von Betreuungsformen zwischen stationären und ambulanten Kinder- und Jugendhilfeangeboten geht.
Ich war in meiner Funktion als Kinder- und Jugendpsychiater auch in die Entstehung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 eingebunden und kann mich noch sehr gut an die damalige Diskussion erinnern. Sie lässt mich an allen Beiträgen, die gemeint haben, lasst es nur den Ländern, die wissen schon, was gut ist und was passieren soll, zweifeln. Die Diskussionen dort gingen darum, dass das heute von niemandem mehr bestrittene Vieraugenprinzip bei der Überstellung von Kindern und Jugendlichen im Gesetz mit dem Begriff „erforderlichenfalls“ versehen wurde. Viele Länder haben darum gekämpft, dass dort „erforderlichenfalls“ hineingeschrieben wird. Wir wissen – und haben es heute schon gehört –, dass es trotz der Existenz des Bundesgesetzes nach wie vor große Differenzen gibt, auch in den Überstellungsentscheidungen.
Ich war von 2012 bis 2018 als Kommissionsleiter der Volksanwaltschaft tätig, dort haben wir uns im Bereich der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen auf Themen wie Ausbildungsqualität in den sozialpädagogischen Einrichtungen, Qualität der Hilfeplanung, die Möglichkeit von Supervision, die Möglichkeit von Partizipation fokussiert. Aus den Berichten der sechs Kommissionen über ihre Tätigkeit in den ersten sechs Jahren erstellte ich eine zusammenfassende Evaluation. Aus der so entstandenen Publikation möchte ich abschließend kurz zitieren.
Wir haben dort zum Beispiel festgehalten, dass die Möglichkeiten des selbstständigen Verlassens der Einrichtungen und der Freizeitgestaltung gestreut sind, von einerseits einem offenen Haus mit abends versperrten Türen über geregelte Ausgangszeiten bis hin zu restriktiven Ausgangszeiten in der Hausordnung, die im Widerspruch zum Jugendschutzgesetz des Landes stehen. BewohnerInnen haben keinen Schlüssel. Die Fenster, aus denen der Ausstieg möglich wäre, sind vergittert. In Summe gleicht dies einer haftähnlichen Anhaltung. So wird es in einem Protokoll geschildert.
Eine andere Schilderung aus den Protokollen: Es gibt keine laufende personen- und prozessbezogene Dokumentation hinsichtlich der Förderung und Betreuungsplanung, keine Zielvereinbarungen, keine Nachvollziehbarkeit von Planung und Umsetzung individueller Entwicklungsprozesse, obwohl im § 23 Abs. 1 des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 festgehalten ist, dass die Hilfeplanung ein Grundprinzip ist.
Als letzter Punkt: Bereiche, in denen noch größere Streuungen festzustellen sind, sind die Personalqualität hinsichtlich Ausbildungsniveaus und Fortbildungsmöglichkeiten, die Arbeitsbedingungen hinsichtlich der Dienstpläne und der Supervisionsangebote, obwohl im § 12 Abs. 4 des Bundesgesetzes die Notwendigkeit dieser Angebote festgehalten ist.
Ich fasse abschließend zusammen: Ich habe in der ganzen Diskussion, auch jener der letzten Wochen und Monate, kein einziges überzeugendes und vor allem kein einziges sachbezogenes Argument gehört, das gegen die Existenz eines Bundesgesetzes spricht, abgesehen von der etwas nebulosen Formulierung der Entflechtung, die mir sachlich nicht fundiert zu sein scheint.
Die Basiserfordernisse, wie zum Beispiel das Vieraugenprinzip, werden durch das Bundesrahmengesetz realisiert. Ohne dieses gäbe es diese Basiserfordernisse nicht. Bei Wegfall dieses Bundesrahmengesetzes sehe ich die große Gefahr, dass der Maßstab der Gesetzgebung die Vorgaben der Landesfinanzabteilungen sind und nicht die Kinderrechte. Das ist spätestens der Zeitpunkt, ab dem das Kindeswohl als Leitprinzip nur mehr zum Lippenbekenntnis degeneriert. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
14.51
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Universitätsprofessor.
Ich darf nun Herrn Dr. Christoph Hackspiel von der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Dr. Hackspiel.
Dr. Christoph Hackspiel (Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich danke Ihnen als Vertretung des Bundesrates für diesen schönen Raum, die Zeit und damit auch die Kraft, die Sie diesem Thema geben. Wir freuen uns sehr über diese Einladung und darüber, dass Sie unser Thema, das Thema der Kinder- und Jugendhilfe ins Zentrum stellen.
Vielleicht muss ich neben allem dazusagen: Wir sind Betroffene, wir sind Kinder gewesen, wir haben Pascal gehört, wir sind immer wieder in Krisensituationen, wir sind als Fachpersonen hier anwesend, Kolleginnen und Kollegen, und wir sind in der Gesetzgebung tätig.
Alle von uns haben aber auch noch eine andere Rolle: Wir sind in diesem Kontext auch in einer Elternfunktion für sehr viele Kinder, die nicht die Bedingungen haben, die wir uns für uns selber wünschen, die wir unseren Kindern weitergeben und in der wir eine Verantwortung übernehmen, die nicht zuletzt in Gesetzen, aber auch durch Diskussionen wie diese hier ausgedrückt wird. Es braucht also ein ganzes Dorf, und ein Teil dieses Dorfes ist auch hier.
Österreich hat ein grundsätzlich gutes Gesetz für die Kinder- und Jugendhilfe und motivierte MitarbeiterInnen. Die Landesgesetze gehen oft darüber hinaus. Das freut mich auch, gerade in Vorarlberg. Wenn ich dorthin komme, denke ich, da haben wir auch Spielräume nach oben. Das soll auch so bleiben. Die Umsetzung in der Praxis zeichnet sich durch eine hohe Fachlichkeit und Motivation der MitarbeiterInnen in den öffentlichen und privaten Einrichtungen aus. Darüber kann ich aus Erfahrung sprechen. Ich arbeite seit 40 Jahren in der größten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung in Vorarlberg und weiß, wie anstrengend diese Arbeit ist und wie motiviert und gut die Leute im Großen und Ganzen mit ihren Möglichkeiten umgehen. – Sie tun, was sie können.
Es hat auch schon viel an Kritik gegeben. Wir haben gehört, wo Baustellen sind. Ich will sie jetzt nicht alle aufzeigen, sie sind zum Teil auch in meinem Referat. Vielleicht noch zusätzlich etwas: Die gesellschaftlichen und oft neoliberalen Entwicklungen führen zu einer zunehmenden Überforderung der Familien. Es gibt vermehrt Verhaltensauffälligkeiten und Kinder mit einem durchaus dringenden, erhöhten Unterstützungsbedarf. Aufgrund der unzureichenden Ressourcen, aber auch eines doch auch problematischen Selbstverständnisses konzentriert sich die Kinder- und Jugendhilfe zu sehr auf einen Schutzauftrag und interveniert erst sehr spät.
Als Folge davon bewegen wir uns alle in einem Hochrisikofeld, in dem Fachkräften oft viel zu viel zugemutet wird, die Burn-out-Gefahr steigt und qualitative Zeit für Kinder fehlt. Es geht um hohe Betreuungsschlüssel und so weiter – das ist alles schon angesprochen worden –, schleppende Gerichtsentscheidungen, kurze Interventionen und Ähnliches. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bürokratie zunimmt. Wir haben das heute schon mehrfach gehört. Das alles geht von der Zeit für die Kinder ab.
Es müsste auch darüber geredet werden – ich denke, das ist hier an dieser Stelle noch nicht deutlich gefallen –, dass die Einrichtungen wirklich bessere Bedingungen brauchen, um den steigenden Herausforderungen gerecht zu werden. Ich sehe in ganz Österreich meistens nur Indexierungen, wenn überhaupt, oder sogar Kürzungen der Mittel.
Wir befinden uns also in einem Umfeld, in dem soziale Dienstleistungen insgesamt unter Druck stehen, und auch in der Kinder- und Jugendhilfe daran nicht vorübergegangen wird; da sollten wir uns keine Illusionen machen. Die Politik bietet Rahmenleistungen, die eigentlich – für die Politik insgesamt – gut sein müssten. Da sehe ich, dass Kürzungen anstehen: bei der Mindestsicherung, bei kinderreichen Familien, bei sozialen Randgruppen. Das macht eigentlich große Bedenken, auch über die Kinder- und Jugendhilfe hinaus, aber es trifft die Kinder- und Jugendhilfe.
Wir sollten also vielmehr in den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen oder in die Förderung von Kindern investieren und nicht Beruf und Familie und deren Vereinbarkeit, sondern vor allem die Förderung von Kindern in den Mittelpunkt stellen. Es gibt aber auch einfach zu wenige Beteiligungsprojekte. Gott sei Dank sind heute und hier Kinder beziehungsweise Jugendliche selbst aufgetreten. Wir als Kinderliga treten für ein Kinderministerium oder zumindest einen Bundeskinderbeirat, wie ihn die Senioren schon haben, ein. Wir glauben, dass Kinderrechte bei allen politischen Entscheidungen viel mehr berücksichtigt werden müssen und ein Kinderministerium dem auch Ausdruck verleihen könnte, dass man es wirklich ernst meint. Kinder machen fast ein Viertel unserer Bevölkerung aus.
Das Care-Leaver-Thema ist schon angesprochen worden. Auch dort haben wir elterliche Funktionen. Es gibt in unserem reichen Land Österreich – Tendenz steigend – viel zu viele Kinder, die in ihrer Entwicklung und im gesunden Aufwachsen keine guten Startbedingungen haben: Mangel an Zeit und Zuwendung, instabile Familienverhältnisse – wir haben das alles gehört –, Selbstverletzungen, die entstehen, Störungen des Sozialverhaltens, Aggressionen. 400 000 Kinder in Österreich leiden nachweislich unter psychischen Auffälligkeiten. Ebenso viele Minderjährige sind Gewalterfahrungen ausgesetzt, 100 000 davon schweren Formen. 300 000 Kinder und Jugendliche sind armutsgefährdet, 100 000 leben in manifester Armut. Die Bildungs- und Berufschancen sind gering.
Wenn wir in diese Kinder nicht investieren – viel früher, und die Kinder- und Jugendhilfe hätte die besten Möglichkeiten, weil sie die Rahmenbedingungen dafür schafft und die gesetzlichen Grundlagen –, dann werden wir unermessliche volkswirtschaftliche Folgekosten zu tragen haben. Der Vorarlberger Rechnungshof hat in seinem Kinder- und Jugendhilfebericht 2 Millionen Euro berechnet, wenn es nicht gelingt, dass ein Kind mit 16 Jahren motiviert in schulische und berufliche Ausbildung geht und selbst Leben gestalten kann.
Die Kinder- und Jugendhilfe erreicht nur einen Bruchteil dieser Kinder. Sie gilt bei vielen Menschen immer noch als Kinderabnahmebehörde, anstatt nach gesetzlichem Auftrag, § 16 B-KJHG 2013, eine Unterstützung in Richtung zur „Bewältigung des alltäglichen Familienlebens“ zu sein. – So steht es im Gesetz. Viel zu oft bleiben wir in der Schutzfunktion hängen. Es ist schmerzlich, zu erkennen, dass das Verständnis für die vom Gesetz vorgegebenen offenen Zugänge „nach ihrem eigenen Ermessen“ – so heißt es im Gesetz – einfach nicht funktionieren und stattfinden, und auch die Administration das viel zu wenig wahrnimmt, weil Budgetbegrenzungen das behindern und es die eigenen Leute dann nicht einmal mehr wissen. Wir sollten den Auftrag nutzen, den uns das Gesetz gibt. Eine forcierte Rahmengesetzgebung wäre eigentlich das Richtige. In dem Sinne ist die Verländerung aus unserer Sicht gefühlsmäßig eine Kindesweglegung. Der Bund legt die Agenden der Kinder von sich weg, durchaus in gute andere Hände, das mag ja sein, aber die Verantwortung in diesem Feld abzugeben ist ein Risiko, das wir nicht gerne eingehen möchten.
Der Bund sollte – immer diese Zuschreibung von sollen – eigentlich schon längst eine 15a-Vereinbarung machen – kann es natürlich später auch –, um den Ländern und Kommunen zu helfen, dass die sozialen Nahräume gestärkt werden und die Kinder- und Jugendhilfe als das wichtigste gesellschaftliche Thema, das wir einfach haben, auch anerkannt wird: Hürden der Kinder- und Jugendhilfe abbauen, Informations- und Anlaufstelle werden, Ressourcen erhalten, um aktivierend und präventiv angelegte Versorgungs- und Beteiligungsstrukturen zu erreichen.
Kinder und Jugendliche verursachen als über 20 Prozent der Bevölkerung nur 6 Prozent der Gesundheitskosten. Die Steigerung der Gesundheitskosten – man sagt, alles wird immer teurer – betrifft ausschließlich die letzten Monate und Jahre des Lebens: Pflege, Pensionen, Krankenanstalten. Da will ich überhaupt nicht gegenrechnen, aber es ist einfach trotzdem notwendig, auf Bundes- und Landesebene darüber zu reden, wo wirklich die nachhaltigsten Investitionen und Möglichkeiten sind, und die wären in der Kinder- und Jugendhilfe am besten gemacht.
In unserer Bundeshymne heißt es in der ersten Strophe: „zukunftsreich“ – das heißt, nachhaltig, chancengerecht. Der nächste Satz heißt: „Heimat großer Töchter und Söhne“. Damit meinen wir unsere Kinder, die alle gute Chancen haben sollten, Großes zu erreichen – und uns in dem Sinn auch auf unsere Bevölkerung stolz zu machen –, in die wir aber wirklich viel mehr investieren müssen, für die wir viel, viel offenere, direktere Zugänge schaffen sollten. Danke dem Bundesrat, dass es möglich ist, das hier zu diskutieren. – Danke schön. (Beifall.)
15.01
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Ich darf nun Frau Sandra Wohlschlager, Landesobfrau des Vereins Abenteuer Familie, um ihren Beitrag bitten. – Bitte, Frau Wohlschlager.
Sandra Wohlschlager (Verein Abenteuer Familie): Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Vertreter der Politik! Geschätzte Referentinnen und Referenten! Abenteuer Familie ist ein gemeinnütziger Verein, 2013 in Wels gegründet, dessen Aktivitäten anfangs vor allem im freizeitpädagogischen Bereich angesiedelt waren. Doch Gespräche mit Eltern und anderen Familienorganisationen zeigten schnell, es besteht Bedarf für mehr.
Zwei unserer Tätigkeitsfelder knüpfen an die Kinder- und Jugendhilfe an, bei den begleiteten Besuchskontakten, die wir seit rund drei Jahren anbieten, und in der Arbeit mit unseren – liebevoll so genannten – Stammkindern, die von der KJH betreut werden und die regelmäßig zu unseren Veranstaltungen kommen.
Doch bleiben wir vorerst bei der Besuchsbegleitung: Wie Sie sicherlich wissen, steht dabei das Kindeswohl an oberster Stelle, damit verbunden das Recht des Kindes auf Schutz und Teilhabe.
Nun erzähle ich Ihnen von Mark. Mark wird nächste Woche elf Jahre alt. Seine Mutter lebt von seinem Vater getrennt seit Mark drei Jahre alt ist. Seit sechs Jahren haben die beiden überhaupt keinen Kontakt mehr. Da es immer wieder Delikte wie Betrug und auch Körperverletzung gab, befindet sich der Kindesvater von Zeit zu Zeit in Haft. Dazwischen äußerte er sein Bedürfnis, Mark zu sehen, obwohl dieser nicht will, obwohl er diesen Mann, der sein Vater ist, eigentlich nicht kennt, keine Beziehung zu ihm aufgebaut hat. Bei mehrmals vereinbarten Terminen erscheint der Kindesvater nicht, ohne abzusagen, Mark aber schon. Obwohl es ihm sichtbar schwerfiel, darüber zu sprechen – er hatte bei dem Termin mehrmals Tränen in den Augen, schämte sich auch dafür –, wollte er die begleitenden Besuchskontakte dennoch versuchen, da ihm das Gericht dies ja verordnete. Die Situation stellt für Mark eine enorme psychische Belastung dar. Vor den Terminen wird er auch immer wieder zum Bettnässer.
Jetzt frage ich Sie: Wo bleibt im Fall von Mark das Recht des Kindes auf Schutz? Wo bleibt im Fall von Mark das Recht des Kindes auf Teilhabe? In Fällen wie diesen sehen wir uns auch als Sprachrohr des Kindes, als Organisation, die der Stimme des Kindes auch bei Gericht etwas mehr Gewicht geben kann.
Unser zweiter Kontaktpunkt mit der Kinder- und Jugendhilfe besteht bei Kindern, die unser Freizeitangebot in Anspruch nehmen, von denen wir wissen, dass sie von der KJH betreut werden. Sie haben durch viele gemeinsame Aktivitäten bereits Vertrauen zu unseren Betreuerinnen gefasst und damit lassen sie uns auch an ihrem Alltag und an ihren Problemen teilhaben. Dies ist für uns ein wichtiger Bereich, um positiv in ihren Alltag einwirken zu können und ihnen Hilfestellungen in unterschiedlichen Lebenslagen zu geben.
Womit wir immer wieder konfrontiert werden, ist die mangelnde Unterstützung von Eltern, vor allem in sozial schwachen Familien, aber auch, dass Kinder mit Migrationshintergrund oft entwurzelt sind, da ihnen Integration – und das bedeutet jetzt nicht die Verleugnung der eigenen Werte oder der Herkunft – nicht beigebracht wird.
Die Erklärung am Beispiel von Mohammed: Mohammed ist neun, Schüler einer Welser Volksschule und verzweifelt. Seine Pädagogin sagt ihm, Hausübung sei wichtig, um den in der Schule gelernten Stoff zu festigen. Sie schimpft, und es gibt Konsequenzen, wenn er sie nicht abliefern kann, weil er sie schlicht und einfach nicht gemacht hat.
Mohammeds Vater erklärt im zu Hause, lernen und Schule im Allgemeinen seien nicht wichtig, er solle sich doch lieber auf das Leben vorbereiten, was auch immer das heißen mag. Was aber passiert mit Mohammed? Er ist gespalten zwischen den Werten seines Vaters und den Erfahrungen, die er in der Schule mit den anderen Kindern und seiner Pädagogin macht. Er weiß nicht, wohin. Natürlich wird er sich eher am Elternhaus orientieren. Da kommt die Schulsozialarbeit ins Spiel, die aber ebenso wie andere Bemühungen von Externen auf der Mithilfe der Eltern beruht. Da gibt es mitunter definitiv Verbesserungsbedarf.
Ähnliches passiert oft beim sozialpädagogischen Tageswohnen. Aktuell werden bei uns in Wels acht Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren betreut. Sie lernen, was für uns absolut normal ist, strukturierte Abläufe wie ein gemeinsames Mittagessen, bei dem alle zur gleichen Zeit am gleichen Tisch sitzen, sich austauschen. Kommen sie abends nach Hause, sind sie wieder mit ihrer Welt konfrontiert, wo entweder niemand Essen für sie bereithält oder jeder dann isst, wann es ihm gerade passt.
Es ist kein Austausch, kein soziales Miteinander, kein Sich-Mitteilen möglich. Wieder kommt da die Mitarbeit der Eltern ins Spiel. Bei vielen externen Angeboten – wir haben beispielsweise auch Lernförderung in Sportvereinen im Programm – ist es schwierig, die Kinder zu unterstützen, wenn die Kooperation der Eltern fehlt. In der Kinder- und Jugendhilfe ist die Androhung der Kindesabnahme oft das einzige Druckmittel. Die fehlenden Konsequenzen bedauern wir sehr. Die besten Projekte zur Unterstützung der Kinder nützen nichts, wenn die betroffenen Eltern diese nicht annehmen. Es wäre wünschenswert, sich neue Lösungsansätze zu überlegen, um wirklich für alle Kinder erfolgreich tätig zu sein.
Noch ein paar Zahlen der Kinder- und Jugendhilfe in Wels: Hilfe in belasteten Familiensituationen erhielten im Jahr 2018 mit Stand Ende September 203 Kinder. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es – Tendenz leicht steigend – 191. Von den aktuell 203 Kindern befinden sich 111 in der unterstützenden Betreuung und 92 in der vollen Erziehung. Dies stellt für Oberösterreich aber auch für Österreich gesamt einen überdurchschnittlichen Wert dar. Wir hatten heute bereits das Beispiel Burgenland, wo im gesamten Bundesland rund 400 Kinder in der vollen Betreuung sind. Ein Viertel davon haben wir in Wels.
Fakt ist, dass Eltern heute oft überfordert sind. Sie schaffen es häufig nicht, die Grundbedürfnisse ihrer Kinder zu befriedigen, und sind sich ihrer Vorbildwirkung nicht bewusst. Soziale Medien, Handy, Tablets und Co tun das Übrige dazu. Hinzu kommt: Wenn Eltern keine strukturierten Abläufe kennen, keine Rituale oder Strukturen aus ihrer Herkunftsfamilie kennenlernten, können sie diese auch nicht weitergeben. Werte, Halt und Orientierung fehlen.
Es gibt eine Vielzahl von Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, doch müssen wir vermehrt in den Familien ansetzen, denn Fremdbetreuung, Fremdunterstützung wird irgendwann nicht mehr leistbar sein.
Abschließend ist es mir ein Anliegen, die Wichtigkeit von präventiven Elternbildungsmaßnahmen zum Schutz der Kinder generell zu unterstreichen. In allen Bereichen muss es unser oberstes Ziel sein, Familien in ihrer Kompetenz zu unterstützen, sie zu stärken, ihnen immer wieder positive Feedbacks zu geben und sie auch dahin gehend zu unterstützen, dass sie selber in der Lage sind, ihre Kinder bei gleichzeitiger Befriedigung aller kindlichen Bedürfnisse zu versorgen. (Beifall.)
15.09
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Ich begrüße als Zuhörerin und Zuschauerin die Dritte Präsidentin des Nationalrates Frau Anneliese Kitzmüller. – Herzlich willkommen! (Beifall.)
Ich darf als Besucher auf der Galerie den ehemaligen Dritten Präsidenten Werner Fasslabend mit einer Besuchergruppe begrüßen. – Herzlich willkommen bei uns! (Beifall.)
Wir gehen nun in die Diskussion ein.
Als Erste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Doris Hahn. – Bitte.
Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Ich werde mich redlich bemühen, die 3 Minuten nicht voll auszuschöpfen. Zunächst einmal möchte ich aber trotzdem die Gelegenheit nutzen, um der Frau Bundesratspräsidentin recht herzlich zu dieser sehr gelungenen Veranstaltung zu gratulieren. Wir haben heute sehr unterschiedliche Aspekte, die im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe angesiedelt sind, gehört und in unseren Köpfen sind sehr berührende Bilder entstanden. Ich glaube, wir haben vieles, was wir uns von hier sozusagen als Hausaufgaben auch mit nach Hause nehmen können.
Erfreulich für mich ist ganz besonders – wenn ich mich hier umschaue und wenn ich mir die Wortmeldungen alle noch einmal ins Gedächtnis rufe –, dass ich diese Enquete eigentlich als ein großes Plädoyer für die Kinder- und Jugendhilfe sehen kann. Ich glaube, es ist in unser aller Interesse, dass das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt steht, der Schutz der Kinder und Jugendlichen und natürlich auch die Chancen für die Kinder und Jugendlichen, die betroffen sind.
Ich möchte nur ganz kurz auf das eine oder andere, das wir heute gehört haben, replizieren. Zum einen möchte ich noch kurz klarstellen, weil es heute Vormittag Thema war: Der Anlass für diese heutige Enquete ist nicht die Kompetenzbereinigung, wie es heute angesprochen wurde – ganz im Gegenteil, wenngleich ich weiß, dass die Auswirkungen dieser Kompetenzbereinigung natürlich sehr wohl ein Teilaspekt in der heutigen Diskussion sind –, sondern die heute schon angesprochene kommende, drohende – wie auch immer – Verländerung der Kinder- und Jugendhilfe durch den Einsatz der 15a-Vereinbarung anstatt der Bundesgesetzgebung.
Ich spreche nicht nur als Politikerin, sondern auch als Vertreterin einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, nämlich von Rettet das Kind in Niederösterreich. Wir alle sind uns einig und wir haben es in allen Wortmeldungen heute gehört: Wir alle sind für einheitliche Regelungen, für eine entsprechende Vergleichbarkeit und auch für eine Sicherheit für die handelnden Personen, für die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, für die Psychologen und so weiter. Aus diesem Gesichtspunkt heraus ist es für uns einfach nicht logisch und nicht nachvollziehbar, warum man dann nicht gleich eine bundeseinheitliche Regelung findet, sondern wieder neun unterschiedliche 15a-Vereinbarungen einrichten muss.
Da geht es natürlich um Feinheiten wie Betreuungsschlüssel, Gruppengrößen, Nahtstellen, Schnittstellenkommunikation, wie wir es heute schon gehört haben, und vieles andere mehr, besonders wenn es dann um die Thematik über Bezirks- und Landesgrenzen hinweg geht.
Worum es aber aus meiner Sicht nicht geht, sind zum Beispiel Dinge wie die Senkung der Grunderwerbsteuer. Ich glaube nicht, dass das Thema der Kinder- und Jugendhilfe ist und es geht auch am Thema und am Kompetenzbereich der Kinder- und Jugendhilfe etwas vorbei.
Eine kurze Anmerkung noch zu einer Wortmeldung, was das In-die-Pflicht-Nehmen der Eltern betrifft: Ich glaube, genau da besteht ja die Krux in der Thematik, dass es nämlich genau für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, um die es heute geht, ja schwierig ist, weil sie eben Eltern haben, denen es aus den unterschiedlichsten Gründen nicht so leicht fällt, ihre Pflichten wahrzunehmen. Ich glaube, unsere Aufgabe als Politik ist es, hier einfach Grundlagen und Rahmenbedingungen, Gegebenheiten zu schaffen und zu gewährleisten, damit dies eben auch wieder leichter möglich ist.
Ich als Pädagogin habe noch einen abschließenden Wunsch und eine Aufforderung zu dieser bundeseinheitlichen Lösung. Ich würde mir einfach – das erwähne ich deswegen, weil es heute noch nicht in der Form angeklungen ist – eine breitere und stärkere Kooperation und Kommunikation mit den Schulen und den Bildungseinrichtungen, aus denen die Kinder kommen, wünschen, wenn es notwendig ist, auch mehr Ressourcen, denn wir Lehrer und Lehrerinnen würden uns einfach leichter tun, wenn wir manchmal wissen, wo die Kinder herkommen, welche Geschichten sie unter Umständen mitbringen. Dasselbe betrifft dann vice versa natürlich auch die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Da, glaube ich, gibt es noch viel Arbeit, die auf uns zukommt. Ich würde einfach bitten, auch das in die Überlegungen miteinzubeziehen. – Danke schön. (Beifall.)
15.16
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Martina Ess. – Bitte.
Bundesrätin Mag. Martina Ess (ÖVP, Vorarlberg): Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Expertinnen und Experten! Mama, ich weiß, du hast kaum Zeit für dich, aber was kann ich dafür? – Julia sucht wie ganz, ganz viele Kinder nach dem Warum, sie sucht Antworten und sie findet keine.
Eine aktuelle Studie, eine Präventionskampagne in Vorarlberg gibt von Gewalt betroffenen Kindern aktuell in diesen Tagen eine Stimme, ganz unverblümt auf den Punkt gebracht. Es freut mich, dass ich heute gehört habe, dass nicht nur in Vorarlberg diese Kampagne angelaufen ist, sondern in zwei weiteren Bundesländern. Neben statistischen Aussagen, die auf Plakaten mitten im öffentlichen Raum gezeigt werden, kommen die Kinder selbst zu Wort, eben so wie Julia.
Wir haben vorhin ganz gebündelt, insbesondere von Herrn Hackspiel, Zahlen gehört, die unter die Haut gehen. Die aktuelle Kampagne gibt diesen nüchternen Zahlen Leben, sie befüllt sie, und zwar an Orten, an denen Kinder täglich sind, in der Schule, im Bus, im täglichen Leben eben. So lese ich in diesen Tagen, wenn ich über den Marktplatz in meiner Gemeinde gehe: 476 Kinder gehen täglich über diesen Marktplatz, und obwohl es verboten ist, werden 33 von ihnen täglich geschlagen. – Und zack ist diese Frage da und, wie ich glaube, just in diesem Moment in all unseren Köpfen: Wie? Was? Das passiert wirklich bei uns, unmittelbar in unserem Ort? – Ja, es ist so, Gewalt geschieht in unserem unmittelbaren Umfeld.
Wir haben heute schon oft gehört, dass Gewalt und Vernachlässigung vor unseren Augen stattfinden, immer noch, täglich und ohne Pardon, und unumstritten haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen. Wir alle sind gefordert, wir haben es vorhin gehört, die Eltern, jeder Einzelne von uns; es ist, schlicht zusammengefasst, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Heute in der Früh hat unsere Ministerin Juliane Bogner-Strauß etwas erwähnt, das heute ein wenig zu kurz gekommen ist, und darum ist mir diese Kampagne besonders wichtig, das ist nämlich die Aufklärungsarbeit, die wir alle zu leisten haben, und auch die Prävention. Setzen wir dort einen Fokus! Ich selbst als Mutter von zwei Kindern bemühe mich um einen liebevollen Umgang, und das sollte jedes Kind gleichermaßen erfahren dürfen.
Abschließend sei gesagt, weil es heute doch zum Thema wird: Man sieht, in Vorarlberg tut sich etwas, auch in anderen Bundesländern. Die Standards in meinem Bundesland sind sehr, sehr hoch, darauf sind wir stolz. Wir haben diese Kompetenz, das ist in Vorarlberg – Stichwort Verländerung – in besten Händen, Herr Hackspiel.
Letztlich lässt sich, glaube ich – und das ist heute noch nicht gesagt worden –, keine Materie besser im Kleinen und vor Ort regeln als die Daseinsvorsorge. Dazu gehört der Schutz von Kindern und Jugendlichen, und da ist jeder und jede Einzelne gefordert, insbesondere auch das Land. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
15.19
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke, Frau Kollegin.
Als Nächste zu Wort gelangt Frau Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler. – Bitte.
Abgeordnete Dr. Gudrun Kugler (ÖVP): Herr Vorsitzender! Frau Präsidentin! Ich möchte zuerst einmal sagen, dass ich ganz großen Respekt vor der Arbeit von vielen, die hier sind, habe, vor der Arbeit von Expertinnen und Experten, Leitern von Vereinen, Hilfswerken und Projekten und ganz besonders auch vor der Arbeit der drei Redner bei diesem Panel.
Ich möchte, bevor ich meine Bitten an die Länder, die ich heute mitgebracht habe, äußere, kurz auf zwei der Redner eingehen, nämlich auf Professor Berger und Dr. Hackspiel. Sie haben gefragt, warum die Kompetenzentflechtung sinnvoll ist. Ich möchte noch einmal drauf hinweisen, dass es sich um eine Materie gemäß Artikel 12 B-VG handelt, das heißt, dass die Grundsatzgesetzgebung dem Bund obliegt, aber die Ausführungsgesetzgebung und der Vollzug den Ländern. Das heißt, der Bund gibt denen etwas vor, die die eigentlichen Experten sind, die die Arbeit wirklich machen.
Was jetzt geschehen soll, ist, dass diese Mindeststandards, die der Bund bisher vorgegeben hat, weiterhin vorgegeben werden, aber von den Ländern gemeinsam. Das versteht man unter Art. 15a Abs. 2 B-VG. Das heißt, es wird keine Verschlechterung werden. Es wird auch nicht das Ende der einheitlichen Standards sein, Frau Bundesrätin Hahn, sondern es soll einheitliche Standards geben, die von den Ländern, die mit der Sache selbst betraut sind, geschaffen werden. Bevor diese einheitlichen Standards durch die Länder nicht geschaffen sind, wird auch die Kompetenz nicht entflochten.
Ich habe als Nationalrätin drei Bitten an Sie alle mit, insbesondere aber an die anwesenden Bundesrätinnen und Bundesräte; drei Bitten in Bezug auf Menschenrechte und Kinder- und Jugendwohlfahrt. Ich bin Menschenrechtssprecherin des ÖVP-Parlamentsklubs und sehe diese Thematik ganz stark aus dem Blickwinkel Menschenrechte von Kindern, aber auch der Eltern dieser Kinder.
Erste Bitte: Artikel 8 MRK sieht ein Recht auf Privat- und Familienleben vor. Der Sonderbericht der Volksanwaltschaft, der uns im Dezember vorgelegt worden ist, spricht von einem Anstieg der Fälle von Kindesabnahmen von 8 000 auf 13 600 in den letzten zehn Jahren. Ich frage mich, warum das so ist. Ich bitte Sie in den Ländern, die Kindesabnahme wirklich als letztes Mittel, als Ultima Ratio anzuwenden und zu überlegen, ob es nicht gelindere Mittel gibt.
Ich habe ein langes Gespräch mit dem Leiter des Jugendamts Wien geführt und gefragt: Was braucht ihr, damit es weniger Abnahmen gibt? Er sagt: Bitte, eine Investition in Dinge wie frühe Hilfen, in Ideen wie die Familienkonferenz, dass man, wenn es zu einer Abnahme kommt, das Umfeld zusammenholt, die Lehrer, die Verwandten, Freunde und fragt: Was können wir in diesem Fall gemeinsam tun?
Meine zweite Bitte bezieht sich auf Artikel 9 der UNO-Kinderrechtskonvention und Artikel 2 des BVG über die Rechte von Kindern. Dort heißt es, dass das Kind ein Recht auf „direkte Kontakte zu beiden Elternteilen“ hat.
Mich hat als Menschenrechtssprecherin des ÖVP-Parlamentsklubs eine Familie kontaktiert, die gesagt hat: Seit sechs Monaten versuchen wir, mit unserem neunjährigen Sohn Kontakt aufzunehmen; er ist in Graz fremduntergebracht, wir sind aus Wien. Sechs Monate lang hat es aus verschiedensten Gründen nicht geklappt. Die Familie leidet, der Neunjährige wahrscheinlich auch, der Geburtstag liegt mitten drinnen. Das ist etwas, wo ich die Länder bitte, ganz stark Augenmerk darauf zu legen, an Kontakt und, wenn es möglich ist, auch an einer Rückführung zu arbeiten.
Die Volksanwaltschaft hat hier auf einen Missstand hingewiesen, nämlich dass es in einigen Bundesländern Zuschläge gibt – es wurde heute Vormittag schon von einer Nationalrätin, einer Kollegin erwähnt –, wenn Kinder in einem anderen Bundesland untergebracht werden. Das führt dazu, dass zum Beispiel 29 Prozent der im Burgenland fremduntergebrachten Kinder nicht aus dem Burgenland kommen, in Vorarlberg sind das nur 2 Prozent. Ich bitte darum, dass man genau darauf schaut, ob das wirklich der Fall ist, und wenn ja, dass man so etwas sofort abstellt.
Eine letzte Bitte: Es geht in der Frage der Kinder- und Jugendwohlfahrt auch um Grundrechte der Eltern. Eltern empfinden die Kindesabnahme oft als Strafe, fühlen sich hilflos, fühlen sich schlecht informiert, haben zu wenig Akteneinsicht. Auch da bitte ich darum, dass man die Eltern, wenn es möglich ist, so einbindet, dass sie nicht das Gefühl haben, ohnmächtig vor einer Übermacht zu stehen.
Zusammenfassend möchte ich sagen – Herr Dr. Hackspiel hat es angesprochen, aber auch Frau Wohlschlager –: Die zunehmende Überforderung der Familien führt zu diesen Problemen. Es ist das Ziel unserer Politik im Nationalrat, dieser Regierung, dass wir Familien, soweit es geht, vom Druck von außen befreien, sodass Familie nach innen gelingen kann. Wir versuchen das auf vielen Ebenen; ich weiß, da gibt es politische Unterschiede. Der Familienbonus ist eine dieser Maßnahmen, Familien vom Druck von außen zu befreien. Das will diese Regierung machen. Ich freue mich auf einen spannenden Dialog darüber, wie das gehen soll. – Vielen Dank. (Beifall.)
15.24
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke für Ihren Beitrag.
Als Nächster zu Wort gelangt Herr Wolfgang Bogensberger von der Europäischen Kommission. – Bitte.
DDr. Wolfgang Bogensberger (Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Dritte Nationalratspräsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie eine solche, wie ich meine, sehr wichtige Konferenz durchführen, dass Sie zu dieser Konferenz auch die Europäische Kommission eingeladen haben und dass ich dabei auch sprechen darf – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Jugendschutz keine europäische Angelegenheit per se ist, sondern in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, wobei die europäische Ebene ergänzend und unterstützend und koordinierend tätig sein kann und darf. Das heißt aber nicht, dass sich die europäische Ebene völlig zurücknimmt und sagt: Okay, dann überlassen wir das den Mitgliedstaaten! Sie nimmt auch die unterstützende und ergänzende Aufgabe sehr ernst und auch wahr.
Ich möchte einfach ganz kurz zitieren, was vor etwa einem Monat bei einer dreitägigen Jugendkonferenz im Rahmen der österreichischen Ratspräsidentschaft als Goal, als Ziel festgelegt worden ist. Da sind elf Punkte festgelegt worden, und einen Punkt möchte ich gerne daraus zitieren: „Ein Drittel der jungen Menschen in Europa ist von Armut und damit von gesellschaftlichem Ausschluss bedroht. Viele haben keinen Zugang zu ihren gesellschaftlichen Rechten. Viele erfahren weiterhin vielfältige Diskriminierungen, begegnen Vorurteilen und sind Opfer von Hassverbrechen.“ Als Schlussfolgerung wird daraus gezogen, dass man mehr darauf hinarbeiten sollte, gesellschaftliche Inklusion für alle jungen Menschen zu ermöglichen und sicherzustellen.
Das ist einer der elf Punkte, den ich jetzt beispielhaft hervorgehoben habe. Ich möchte das auch deswegen gerne erwähnen, weil diese elf Punkte nicht von Einrichtungen für Jugendliche erarbeitet worden sind, sondern von den Jugendlichen miterarbeitet worden sind. Das ist einer der beispielgebenden Zugänge, wie in diesem Bereich gearbeitet werden soll – nicht nur für, sondern mit den Betroffenen gemeinsam Themen erarbeiten.
Auf europäischer Ebene wird aber nicht nur an solchen Zielsetzungen gearbeitet, sondern tatsächlich gibt es in manchen Bereichen auch ein durchaus starkes Engagement im Bereich des Jugendschutzes, unter anderem in den Bereichen Jugendarbeitslosigkeit, Jugendbildung, Erasmusprogramme, Fortbildungsmöglichkeiten und auch Jugendschutzmaßnahmen, insbesondere soweit Jugendliche Opfer von Straftaten werden, dass sie bei bestimmten Straftatbeständen besondere Verfahrensrechte bekommen – sexueller Missbrauch an Jugendlichen, Jugendliche als Opfer im Zusammenhang von häuslicher Gewalt. Da gibt es also auch hard law, wo tatsächlich Jugendschutz auf europäischer Ebene in rechtsförmige Akte eingeflossen ist.
Im Rahmen dieser europäischen Rechtsakte ist vielleicht noch Artikel 24 der Grundrechtecharta von besonderer Bedeutung und hervorzuheben: dass immer dann, wenn Jugendliche von europäischen und hoheitlichen Akten betroffen sind, das Jugendwohl vorrangige Berücksichtigung finden soll. Das ist ein grundrechtlicher Standard, der zumindest dann, wenn europäisches Recht angewendet wird, immer beachtet werden sollte.
Erlauben Sie mir zum Abschluss noch eine kleine Bemerkung zu dieser Diskussion, die wir heute sehr leidenschaftlich erlebt haben: Wer ist besser geeignet, die nationalstaatliche oder die Länderebene, um bestimmte Regelungen zu treffen? – Aus europäischer Sicht kommt einem diese Diskussion sehr gut bekannt vor. Da verwendet man gerne den Begriff der Subsidiarität, denn da geht es im Wesentlichen auch darum, welche Ebene besser geeignet ist, was zu regeln, und auf welche Weise man das tatsächlich durchführen kann.
Aus meiner Sicht war das heute eine sehr spannende Diskussion, weil hier nicht wie üblich quasi eine Diskussion zwischen europäischer Ebene und nationalstaatlicher Ebene zur Debatte gestanden ist, sondern eine innerstaatliche Diskussion: Wer ist innerstaatlich besser geeignet, bestimmte Regelungen zu treffen?
Ich möchte mich da überhaupt nicht einmengen. Ich möchte nur grundsätzlich betonen, wie wichtig eine solche Diskussion ist, wie sorgsam eine solche Diskussion geführt werden muss und wie behutsam mit Änderungen in Zuständigkeitsbereichen umgegangen werden soll; zumindest ist das ein Bereich, der quasi nicht einer tagespolitischen Laune entspringen soll, sondern längeren Perspektiven folgen soll.
Ganz zum Abschluss möchte ich in diesem Kontext noch darauf hinweisen, dass eben dieses Subsidiaritätsthema nächste Woche bei einer Konferenz in Bregenz, auf die wir uns sehr freuen, Hauptthema sein wird; sie wird im Wesentlichen das Thema der Subsidiarität weiter vertiefen. – Herzlichen Dank. (Beifall.)
15.30
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke, Herr Bogensberger, für Ihren Beitrag.
Als Nächster zu Wort gelangt Herr Hubert Löffler vom Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. – Bitte.
Dr. Hubert Löffler (Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen): Danke, dass Sie mir noch einmal 3 Minuten schenken, aber eine zweite Wortmeldung eines Vertreters von 150 Einrichtungen in ganz Österreich, die mit den Jugendlichen und den Kindern arbeiten, die wirklich die Maßnahmen durchführen, die von der öffentlichen Jugendwohlfahrt gesetzt werden, ist vielleicht berechtigt.
Ich möchte eigentlich nur drei Fragen stellen, insbesondere an die Personen, an die PolitikerInnen, die einer Verländerung gewogen sind, die diese Verländerung vielleicht beschließen werden. Die erste Frage, die ich habe, ist: Warum wurde keine inhaltliche Abschätzung der Folgen dieser Gesetzesänderung gemacht? Es wurde nur eine vereinfachte Folgenabschätzung gemacht. Das ist meines Erachtens unzulässig, denn wenn Kinder und Jugendliche betroffen sind, es Auswirkungen gibt – und es gibt da eine ganze Reihe von Themen, die betroffen sind –, dann müsste diese Folgenabschätzung gemacht werden.
Zweite Frage: Warum widerspricht genau das Pionierland betreffend Kinderrechtskonvention Österreich, wie wir heute von der Frau Ministerin gehört haben, nun der eindeutigen Intention der Kinderrechte, möglichst breite, weite Standards und übergeordnete Regelungen zu haben?
Dritte Frage: Warum wird der Kinderschutz genau in einer Zeit, in der immer mehr davon geredet wird, man sollte den Tierschutz vereinheitlichen, man sollte schon lange den Jugendschutz vereinheitlichen, so behandelt, als könnte der ruhig verschieden sein?
Wir haben ja heute in den verschiedenen Statements gehört, dass die Antwort 15a-Vereinbarung, die immer als einzige inhaltliche Antwort kommt, ungenügend ist. Sie gibt keine Rechtssicherheit, sie ist jederzeit kündbar. Die Verländerung wird schon abgestimmt, bevor diese 15a-Vereinbarung feststeht, das heißt, man kauft die Katze im Sack. Die Hürde für die Weiterentwicklung der Standards wird enorm hoch gesetzt – Beispiel Care-Leaver-Thematik. Man wird in Zukunft, wenn man dieses Thema österreichweit regeln will, an neun Länder herantreten müssen, mit ihnen lange Verhandlungen führen müssen, dass das und das besser ist – drei werden zustimmen, drei werden dagegen sein und drei werden überhaupt nichts dazu sagen, und dann haben wir eben keinen österreichweiten Standard.
Mein Appell an alle, die da mitentscheiden, ist, diese Überlegungen in Bezug auf den Kinderschutz und die Kinder- und Jugendhilfe in das zweite Paket zu übernehmen – die Mindestsicherung wird ja im nächsten Jahr noch einmal abgestimmt werden – und aus diesem Paket herauszunehmen. – Danke. (Beifall.)
15.33
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke für Ihren Beitrag.
Als Letzte zu Wort gelangt Frau Alexandra Lugert vom Österreichischen Familienbund. – Bitte.
Mag. Alexandra Lugert (Österreichischer Familienbund): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Pascal Riegler hat meiner Meinung nach wirklich beeindruckend auf den Punkt gebracht, was Jugendliche lernen müssen, um ihren Alltag zu meistern. Die Familie ist es, die da primär gefordert ist, diese Fertigkeiten neben anderen Grundkompetenzen an die nächste Generation weiterzugeben und auch Rechte und Pflichten liebevoll zu vermitteln. Dort, wo Eltern überfordert sind, sollte die Gesellschaft schnell und unbürokratisch helfen. Dabei muss die Prämisse sein, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Was muss getan werden? – Es muss in Prävention investiert werden, in Elternbildung und Elternbegleitung, und diese sollte auch aufsuchend angeboten werden, um die Beziehungen und Bindungen, die so essenziell sind, in der Familie zu stärken und Überforderung entgegenzuwirken. Ziel muss es sein, dass weniger Kinder und Jugendliche mit teuren Maßnahmen aus ihrem häuslichen Umfeld herausgelöst werden müssen und mit Glück, wenn es gelingt, wieder zurückgeführt werden. – Danke. (Beifall.)
15.35
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke.
Es liegen dazu keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Debatte.
Panel 3 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich bei den Referenten für die Sachbeiträge und für die Diskussionsbeiträge.
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Wir kommen nun zum Schlussreferat. Ich darf den Referenten ersuchen, die Zeit von 15 Minuten nicht zu überschreiten und seinen Beitrag vom Rednerpult aus abzugeben.
Ich bitte Herrn Dr. Helmut Sax vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte um seinen Beitrag. – Bitte, Herr Dr. Sax.
Dr. Helmut Sax (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte): Herr Vorsitzender! Frau Präsidentin! Danke für die Einladung, für die Gelegenheit, hier das Schlussreferat halten zu dürfen. Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Jugendliche! Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, das Schlussreferat halten zu dürfen, gleichzeitig, finde ich, auch keine sehr einfache Aufgabe, nach den vielfältigen Themen, die wir gehört haben, von der Pflege, von den Care Leavers, vom Gewaltschutz, all das in einer gewissen Weise auch von der Diskussion rund um die Kompetenzverschiebung überschattet.
Ich habe mir lange überlegt, wie ich an so ein Schlussreferat herangehen soll, und habe versucht, es in zwei Teile zu gliedern: einen kurzen, etwas polemischeren und einen etwas ausführlicheren, hoffentlich konstruktiv-analytischeren Teil im Hinblick auf die zukünftigen Debatten, die es zu diesem Themenbereich sicher weiterhin geben wird.
Ich arbeite seit circa 20 Jahren im Bereich der Kinderrechte, und man betritt eine Welt voller Kontraste, würde ich sagen, von Gegensätzen, von Widersprüchlichkeiten, von Ambivalenzen. Nur ein paar kurze Beispiele: Die Kinderrechtskonvention ist der erfolgreichste Menschenrechtsvertrag aller Zeiten, mit Ausnahme eines Landes von allen Staaten der Welt unterschrieben, gleichzeitig damit aber wahrscheinlich auch der am meisten verletzte Menschenrechtsvertrag, angesichts von – zum Beispiel, um nur eine Zahl herauszugreifen – 275 Millionen Kindern weltweit, die von Gewalt betroffen sind, wie einmal eine WHO-Schätzung ergeben hat.
Österreich war 1990 unter den Erstunterzeichnern der Konvention. Schon 1994 hat der Nationalrat in einer Entschließung auch die Verankerung von wesentlichen Kinderrechten in der Verfassung gefordert. Gleichzeitig hat es bis 2011 gedauert, bis dieses Verfassungsgesetz Wirklichkeit geworden ist. Österreich war auch 2012 unter den Erstunterzeichnern des dritten Zusatzprotokolls zu dieser Konvention, bei dem es um die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus bei Verletzungen von Kinderrechten geht. Die Ratifikation dieses Protokolls durch Österreich ist aber bis heute ausständig.
Zum Thema dieser Tagung: Österreich lobt im Bericht der Bundesregierung an den UNO-Kinderrechtsausschuss vom April dieses Jahres das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz als einen wesentlichen Beitrag zur Vereinheitlichung von Standards. Im Mai darauf einigt man sich aber mit den Bundesländern auf politischer Ebene – nicht auf fachlicher, würde ich sagen – auf dessen Auflösung. Im selben Bericht lobt man den sogenannten Jugend-Check, die wirkungsorientierte Folgenabschätzung, begnügt sich aber dann bei einer Verfassungsänderung, wie bereits angesprochen wurde, die dem Bund Zuständigkeiten für die österreichweite Kinder- und Jugendhilfe entzieht, mit einer verkürzten Form, offenbar mit der Begründung – es gab keine weitere Begründung –, dass sie keine wesentlichen Auswirkungen auf die Dimension Kinder und Jugend haben sollte. Angesichts von – wie wir gehört haben – 50 000 Kindern und Jugendlichen in Österreich, die von Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe profitiert haben, ist das eine mutige Aussage, würde ich sagen.
Schließlich: Die Regierung will Verbesserungen für die Kinder- und Jugendhilfe erreichen, das ist auch das erklärte Ziel dieser Kompetenzentflechtung, und zwar dadurch, dass bestehende österreichweite gesetzliche Standards durch jederzeit aufkündbare Artikel-15a-Vereinbarungen ersetzt werden.
Verzeihen Sie die Polemik, diese Gegensatzpaare wollte ich an sich nur unterbringen, weil sie aus meiner Sicht schon auch einen gewissen Rahmen für die Diskussion geben, letztlich auch für die zeitliche Dimension, warum es gerade heute zu einer Diskussion über die Kinder- und Jugendhilfe im Kontext des Bundesrates gekommen ist!
Damit jetzt aber zu einem mehr analytisch-konstruktiven Teil: Österreich hat die Kinderrechtskonvention ratifiziert, hat sich zur Einhaltung verpflichtet. Was wird diesbezüglich erwartet? – Ganz kurz vorweggenommen: In der Diskussion wird aus meiner Sicht allzu oft von einem Entweder-oder, Bund oder Länder, gesprochen. Ich würde aus meiner Sicht, auf der Basis der kinderrechtlichen Überlegungen, sagen, der Bereich Kinder- und Jugendhilfe ist ein Bereich, in dem es auch in Zukunft Bund und Länder gemeinsam wird geben müssen, die an einem Strang ziehen, weil sonst das Konzept von Kinderschutzsystemen, wie wir es heute auch schon gehört haben, nicht funktionieren wird.
Ich habe mir das im Vorjahr im Rahmen einer sehr späten Dissertation ein bisschen genauer angeschaut: Was bedeuten die internationalen Vorgaben für ein kinderrechtsorientiertes, integriertes Kinderschutzsystem, wie es die UNO, der UNO-Kinderrechtsausschuss, wie es der Europarat mit Strategien, wie es die Europäische Union seit Jahren fordern, wie es auch die Praxis – wir haben heute schon ganz viel über die Schnittstellenproblematik gehört – seit Langem fordert?
Ich habe das dann in meiner Arbeit in vier Dimensionen mit 15 Bereichen zu unterteilen, zu gliedern versucht.
Erste Dimension: Grundsätze. Wenn es ein kinderrechtsbasiertes Kinderschutzsystem sein soll, muss auch dieser Kinderrechtsansatz sichtbar gemacht werden. Das kann über deklaratorische Verweise in den Gesetzen auf Bundes-, auf Landesebene erfolgen, das passiert auch in Österreich, und auch mittels Ausdruck von bestimmten grundlegenden Rechten: Gewaltverbot, Kindeswohlvorrang, Partizipation, Diskriminierungsverbot. Mit dazu gehört aber zum Beispiel auch, dass Rechtsansprüche für Kinder und Jugendliche auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe gewährleistet sein müssen.
Zweite Dimension: Strukturen – für die Strategieentwicklung, für die Koordination, für ein Schnittstellenmanagement, für die Gewährleistung von Ressourcen, von Qualitätsstandards; auch in diesem Bereich gibt es Vorgaben.
Dritte Dimension: die Leistungen selbst. Das beginnt mit der Identifizierung von Gefährdungssituationen, Unterstützungsangeboten, Schutzmaßnahmen bis hin zur Herausnahme der Kinder aus Familien als letztes Mittel, Rehabilitation und Prävention.
Die letzte Dimension: die Rechenschaft. Wie wird sichergestellt, dass all diese Maßnahmen auch entsprechend umgesetzt werden, dass sie nicht nur auf einer rechtlichen Ebene, sondern auch tatsächlich in der Praxis wirksam werden? Dazu gehören die interne Aufsicht, ein externes Monitoring, Datenerhebung, Statistik und Forschung.
Ich habe dann anhand dieses Analyseschemas den Beitrag der Bundes- und der Landesgesetze im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe untersucht. Daraus haben sich für mich dann gewisse Schlussfolgerungen ergeben.
Im Bereich der Grundsätze ist zu sagen: Es gibt derzeit keinen Rechtsanspruch auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Es gibt im Gesetz selbst sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene kaum Vorgaben, um auf Spezialisierungen in Bezug auf bestimmte Aspekte, zum Beispiel das Diskriminierungsverbot, entsprechend eingehen zu können. Schwerpunktsetzungen im Bereich Diversität, Umgang mit Migration sollen nur hervorgehoben werden. Vieles im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe wirkt immer noch sehr stark an österreichischen Kindern und Jugendlichen orientiert. Dass es nicht erst seit 2015 ganz andere Dimensionen gibt, dass es Kinder aus dem Ausland gibt – in einem anderen Kontext arbeite ich auch sehr viel im Bereich Menschenhandel und Kinderhandel –, ist oft außerhalb des Blickfelds der Diskussion.
Ein weiterer Aspekt, den ich auch unter diese Grundsätze und Commitments im Bereich der Kinderrechte im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe einordnen würde, sind die Kinder- und Jugendanwaltschaften als Interessenvertretung von Kindern, also ein gewisser Ausdruck einer institutionalisierten Partizipation, die derzeit allerdings auch im ersten Teil des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes geregelt sind, der ja wegfallen soll.
Zweite Dimension: die Strukturen. Seit 18 Jahren erwartet der Kinderrechtsausschuss von Österreich ein Gesamtpaket zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, aber es gibt zum Beispiel keinen Aktionsplan, kein Strategiedokument gegen Gewalt gegen Kinder. Wir haben so etwas betreffend Gewalt gegen Frauen, betreffend Gewalt gegen Kinder nicht. Wenn das ausschließliche Landeskompetenz wird, dann stelle ich mir auch die Frage: Wer stellt sicher, dass es einen solchen Aktionsplan gibt?
Wir haben schon von den fehlenden einheitlichen Ausbildungsstandards gehört, von den fehlenden definierten Schnittstellen für die Zusammenarbeit mit dem Bildungsbereich, mit dem Sozialbereich, mit dem Gesundheitsbereich.
Besonders problematisch ist das meiner Meinung nach auch im Bereich von Bundeskompetenzen wie Gewaltschutz in Bezug auf Polizei oder eben auch im Bereich Asyl- und Fremdenwesen. Da habe ich mir drei Beispiele herausgegriffen. Bei Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz gibt es in der Praxis oft die Kritik an der Rolle des Jugendamtes auf der einen Seite, und dann hätten wir die Möglichkeit, einstweilige Verfügungen zu beantragen. Wo ist dann letztlich auch da die Schnittstelle zwischen den Bundeszuständigkeiten, wenn es um Polizei und gerichtliche Strukturen geht, und der Landesebene mit den Jugendämtern zu verorten?
Ein anderes Beispiel: Im Vorjahr hat es eine spannende Initiative von Unicef gegeben, Mindeststandards für Gewaltschutzmaßnahmen in Flüchtlingsunterkünften herzustellen. Auch da hat sich die Frage gestellt, wer dafür jetzt eigentlich auf Bundesebene zuständig ist. Ist es das Familienministerium, ist es das Innenministerium? Im Idealfall hätten es beide sein sollen. Trotzdem ist die Umsetzung dieser Initiative, dass tatsächlich in allen Einrichtungen, in denen Kinderflüchtlinge aufhältig sind, entsprechende Kinderschutzmechanismen mit Ansprechpersonen und Konfliktmanagementstandards existieren, weiterhin offen.
Das dritte Beispiel habe ich schon kurz angesprochen: Kinderhandel. Das ist vielleicht eine kleine Gruppe von Kindern, die aber in besonders massiver Weise von unzureichenden Angeboten betroffen ist, wenn es darum geht, Kinder aus einem Abhängigkeitsverhältnis herauszuholen, wenn sie zum Betteln gezwungen werden, wenn sie zu kriminellen Handlungen, Taschendiebstahl et cetera gezwungen werden, wenn Burschen, Mädchen zu Prostitution gezwungen werden. Auch das passiert in Österreich seit Jahren, es gibt eine interministerielle Taskforce gegen Menschenhandel, Arbeitsgruppe Kinderhandel. Seit Jahren arbeiten wir an Handlungsorientierungen, an einem Konzept für eine Schutzeinrichtung für betroffene Kinder. Auch da sehen wir die Schwierigkeiten der Bund-Länder-Koordination. Wenn es da keine Bundeszuständigkeit mehr gibt, wer übernimmt dann die Verantwortung für diesen Bereich?
Dagegen hat in Deutschland – ich finde, es zahlt sich in dieser Hinsicht auch immer wieder aus, auf die Nachbarländer zu schauen – die Familienministerin, und zwar die Familienministerin auf Bundesebene, 2018 ein Bundeskooperationskonzept für die Umsetzung von Schutzmaßnahmen für Betroffene von Kinderhandel vorgestellt.
Zur dritten Dimension: Leistungen. Im Vordergrund der Diskussion steht meist der Leistungskatalog. Wir haben schon ganz viel darüber gehört, dass die Leistungen schon bisher sehr unterschiedlich gestaltet waren. Gegen einen gewissen Spielraum der Länder ist an sich nichts einzuwenden, wenn gewisse Standards jedenfalls gewährleistet sind. Es darf nur nicht zu einer Diskriminierung in dem Sinn kommen, dass es dann letztlich vom Wohnort abhängig ist, welchen Zugang zu Leistungen Kinder tatsächlich haben, ob sie dann auch entsprechende Therapieangebote in Anspruch nehmen können oder nicht.
Ein anderer Aspekt ist die Prävention: Da, finde ich, hat das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz zwar proklamiert, einen Schwerpunkt zu setzen, es hat aber sowohl in der Ausgestaltung als auch in den Landesgesetzen, finde ich, durchaus sehr uneinheitliche Akzente gegeben. In ganz wenigen Bundesländern beziehungsweise Landesgesetzen sind tatsächlich frühe Hilfen oder Schulsozialarbeit angesprochen gewesen.
Eine große Baustelle ist die Rechenschaft: In allen Landesgesetzen gibt es letztlich Regelungen zur internen Aufsicht, aber nicht dafür, wie das externe Monitoring gestaltet ist. Für bestimmte Bereiche gibt es die Besuchskommissionen der Volksanwaltschaft, für bestimmte Aspekte erklären sich aber auch in unterschiedlicher Weise die Kinder- und Jugendanwaltschaften zuständig, es gibt zum Teil Ombudseinrichtungen für die Fremdunterbringung. Wir haben aber zum Beispiel auch im Kontext der Flüchtlingsunterbringungen, der Flüchtlingsunterkünfte gesehen: Wenn es um Familien geht, fällt das noch unter das Mandat der Volksanwaltschaft. Auch da braucht es zentrale Mechanismen.
Letzter Bereich: Planung und Steuerung. Im jetzigen Bundesgesetz finden zumindest rudimentäre Mindestdatensätze Erwähnung, die eine gewisse Statistik ermöglichen, allerdings ohne Analyse. Für eine echte Forschungsagenda, die ausdifferenziert, welche Kinder von verschiedenen Maßnahmen betroffen sind, genügt das aber derzeit auch nicht.
Der Mehrwert von Forschung – das möchte ich nur noch als Beispiel erwähnen – wird für mich zum Beispiel bei einer interessanten Studie deutlich, die es in Deutschland im Kontext Prävention 2011 gegeben hat. Da wurde zunächst eine Blindflugsituation in Deutschland konstatiert, dass man eigentlich nicht wirklich beziffern konnte, welchen Mehrwert Präventionsmaßnahmen haben. Dann haben sich Mitarbeiter der Uni Gießen hingesetzt, haben alle möglichen Modellrechnungen durchgeführt und sind zum Ergebnis gekommen, dass man, wenn man mit frühen Hilfen im Säuglings- und Kleinstkindalter interveniert, über den Lebenslauf gerechnet mit Kosten um die 34 000 Euro rechnen muss. Wenn man erst ein paar Jahre später, im Kindergartenalter, interveniert, verteuert sich das um den Faktor 13, dann sprechen wir von 430 000 Euro pro Kind über den Lebenslauf gerechnet. Wenn das im Schulalter beginnt, kommt man zu Zahlen von 1,1 Millionen Euro pro Kind über den Lebenslauf gerechnet, um aus den ursprünglichen Problemlagen wieder eine bessere Situation für die Kinder und Perspektiven entwickeln zu können.
Einerseits finde ich diese Zahlen interessant. Was ich aber auch interessant finde: Das ist eine Studie, die vom deutschen Familienministerium zusammen mit dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen finanziert wurde, das heißt, wieder auf einer zentralen, auf einer Bundesebene.
Von dieser Perspektive her, von den kinderrechtlichen Vorgaben her, wäre es aus meiner Sicht naheliegend, zu sagen, man müsste in der Diskussion eigentlich noch einmal zurück zum Start, sich noch einmal genau überlegen, auf welchen Ebenen welche Leistungen, welche Maßnahmen getroffen werden sollen. Die Vollziehung soll natürlich auf Landesebene erfolgen; es gibt viele Vorteile, direkt an der Bevölkerung, an den Zielgruppen entsprechend ansetzen zu können, aber es muss auch eine Möglichkeit geben, eine Zusammenschau, eine Perspektive entwickeln zu können.
In diesem Sinn war die bisherige Konstruktion mit dem Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz nicht die schlechteste, würde ich sagen. Bevor man über die Verländerung und Kompetenzverschiebung diskutiert, hätte man zunächst die Ergebnisse der Evaluation abwarten und dann auf dieser Basis überlegen sollen, wie eine sinnvolle Aufgabenaufteilung zwischen diesen beiden Ebenen stattfinden kann.
Aus meiner Sicht entspricht das bisherige Vorgehen – damit komme ich zum Ende – nicht den Standards einer evidenzbasierten Kinderrechtspolitik. Man setzt zuerst gesetzliche Maßnahmen, die noch nicht einmal – in den Materialien zumindest nicht wirklich – substanziell begründet werden, und versucht dann im Nachhinein über Vereinbarungen, die nicht dieselbe rechtliche Qualität wie eine gesetzliche Grundlage haben, die keine Rechtsansprüche für Kinder und Jugendliche vorsehen, noch irgendwie in einer gewissen Weise Schadensbegrenzung zu betreiben.
Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die Diskussion jedenfalls, wie auch immer sie weitergeht, einen Mechanismus bringt, der nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch sicherstellt, dass es zu keinen Verschlechterungen kommt, dass es ein Monitoring gibt, dass man sich von mir aus in fünf Jahren wieder – dann hoffentlich vorzeitig – mit den Evaluationsergebnissen auseinandersetzt. Es muss tatsächlich auch weiterhin eine klare Bundeszuständigkeit für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe geben, damit konkret das Familienministerium im Bundeskanzleramt in seiner Führungsrolle in der Umsetzung von Kinderrechten als Ansprechpartner für die UNO-Ebene, aber auch als Lead-Ministerium innerhalb der Bundesregierung und als Ansprechpartner für die Länder entsprechend tätig werden kann. Deshalb: Ein reiner Artikel-15a-Mechanismus nur im Bereich der Länder wird diesen Ansprüchen definitiv nicht genügen.
Letztes Beispiel aus Deutschland: Auch in Deutschland, das ja bekanntermaßen auch sehr stark föderalistisch geprägt ist, gibt es im Bereich Kinderschutz ein Bundeskinderschutzgesetz für zentrale Kooperationsmechanismen. Im Vorjahr wurde im Bundestag ein Kinder- und Jugendstärkungsgesetz mit zentralen Meldepflichten, Aufsicht, Beratungs-, Beschwerdemöglichkeiten von Kindern beschlossen. Also auch dort hat man eingesehen, dass kein Entweder-oder, sondern nur ein gemeinsames Vorgehen es ermöglicht, effektiv Kinderrechte auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zu gewährleisten.
Nächstes Jahr wird Österreich vor dem Kinderrechtsausschuss zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention Rede und Antwort stehen müssen. Das bietet jetzt die Chance für Bund und Länder, gemeinsam dafür zu sorgen, dass es eben kein Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit mehr gibt, dass man im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe dann nicht mehr sagen muss: Willkommen in einer Welt der kinderrechtlichen Kontraste! – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
15.55
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Wir sind nun bei der Abschlussrunde der Enquete, den politischen Schlussfolgerungen, angelangt, wozu ich je einer Vertreterin oder einem Vertreter pro Fraktion das Wort erteile. Ich ersuche darum, dass die Statements die Dauer von 5 Minuten nicht überschreiten.
Als Vertretung des Fraktionsvorsitzenden der ÖVP darf ich Frau Bundesrätin Marianne Hackl um ihren Beitrag bitten. – Bitte.
Bundesrätin Marianne Hackl (ÖVP, Burgenland): Geschätzte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Ich möchte mich im Vorfeld bei dir, Frau Präsidentin, für diesen Tag bedanken, für diese wichtige Enquete, die du ins Leben gerufen hast. Wir arbeiten schon länger im Kinderrechteausschuss überparteilich zusammen, und dazu sind wir auch heute da. – Danke, dass du das initiiert hast.
Als Mutter von drei erwachsenen Kindern und mittlerweile auch Großmutter mit einem Enkelkind ist es auch für mich ein besonderes Thema, das mir am Herzen liegt. Genau aus diesem Grund freut es mich sehr, dass ich heute hier stehen darf und persönlich, aber auch politisch das Schlussreferat halten darf. Dafür möchte ich unserem Fraktionsobmann herzlich Danke sagen.
Das Wohl unserer Kinder und Jugendlichen und deren Rechte stehen an erster Stelle. – Ich glaube, da spreche ich für alle. Das Regierungsprogramm sieht eine Entflechtung der Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern vor. Diese Trennung ist in meinen Augen sinnvoll, da die Splittung der Kompetenzen eine Verschlankung des Staates und der Bürokratie ist. Diese Vereinfachung und die österreichweit einheitlichen Standards kommen wiederum jedenfalls unseren Kindern und Jugendlichen zugute.
Bundesministerin Dr. Juliane Bogner-Strauß hat sich dafür stark gemacht, dass die Bundesländer im Rahmen ihres Kompetenzbereiches die Verantwortung zur Umsetzung dieser Standards wahrnehmen und dies mit ressourcenschonendem Verwaltungseinsatz zu gewährleisten haben. Genau das ist auch der richtige Weg. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Länder sich ihrer Verantwortung bewusst sind und ein entsprechend effizientes Leistungsangebot für unsere Kinder und Jugendlichen umsetzen.
Das Leben ist nicht immer einfach, immer haben wir mit diversen Herausforderungen zu kämpfen. Jetzt im 21. Jahrhundert ist die Welt leider von Krisen und Konflikten beherrscht. Das wissen wir aber alle. Gerade für die Kinder und Jugendlichen können diverse Schwierigkeiten, die sie durchleben müssen, prägend für das ganze Leben sein.
Bei uns im Burgenland ist die Jugendwohlfahrt gerade erst gestern ein großes Thema gewesen. Bei der Eröffnung der Friedenskonferenz des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung haben sich gestern, Dienstag, rund 120 Pädagogen und Pädagoginnen, Vertreter von Jugendwohlfahrtseinrichtungen und Kinder- und Jugendanwaltschaften auf der Burg Schlaining im Bezirk Oberwart versammelt. Die Friedenspädagogik ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je.
Sowohl an Schulen als auch in den Familien ist Gewalt leider ein Alltagsthema. Daher ist es sehr wichtig, dass vor allem Krisenpflegeeltern Werkzeuge vermittelt bekommen und im Umgang mit Gewalt sensibel sind und so darauf einwirken können, dass man lernt, friedlich miteinander zu leben. Krisenpflegeeltern sind enorm wichtige Bezugspersonen für Kinder in Notsituationen, das haben wir ja heute schon sehr emotional gehört. Doch während bei Pflegeeltern maßgeblich ist, dass zwischen Pflegeeltern und Pflegekind ein Eltern-Kind-ähnliches Naheverhältnis aufkommt, sollten bei der Krisenpflege hingegen nur vorübergehende und kurzfristige Eltern-Kind-ähnliche Naheverhältnisse zustande kommen. Es soll sich nur um kurzfristige Überbrückungen handeln, denn das Kind kommt danach wieder zu seinen leiblichen Eltern oder zu den Dauerpflegeeltern zurück.
Krisenpflegeeltern erhalten für diese schwierige, aber sehr wichtige Aufgabe seitens der Bundesländer Leistungen. Die Rechtsprechung sagt: Der Oberste Gerichtshof stellt fest, dass für Krisenpflegeeltern mangels Erfüllung des Elternbegriffs kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht. – Diese Tatsache ist menschlich, allerdings schwer verdaulich. Bundesministerin Dr. Juliane Bogner-Strauß hat sich der Sache bereits angenommen. Glücklicherweise wird im Familienressort intensiv an einer Lösung gearbeitet.
Gerade der Übergang von der Schule oder Ausbildung zum Erwerbsleben ist ein Meilenstein im Erlangen von Eigenständigkeit. Nicht allen Jugendlichen gelingt dieser Schritt auf Anhieb, auch denen nicht, die in einem stabilen Familienumfeld aufwachsen. Erwachsenwerden ist ein fließender Prozess. Jugendliche übernehmen immer mehr Verantwortung für sich selbst. Dadurch nimmt die Unterstützung durch Eltern und andere Bezugspersonen logischerweise ab.
Der Prozess des Erwachsenwerdens verläuft nicht gleichmäßig, manchmal auch sehr sprunghaft. Er kann nicht an ein konkretes Datum, zum Beispiel an die Volljährigkeit, geknüpft werden, sondern unterliegt individuellen Unterschieden. Was man definitiv sagen kann, ist, dass auch junge Erwachsene Hilfe aus dem familiären Umfeld erhalten. Außerdem ziehen junge Menschen in Europa tendenziell immer später aus dem Elternhaus aus.
Jugendliche können aufgrund ihrer gefährdeten Lebenssituation bis maximal zum 21. Lebensjahr Erziehungshilfen von der Kinder- und Jugendhilfe erhalten. Diese Hilfen können entweder stationär – etwa betreutes Wohnen oder die Weiterfinanzierung der Unterbringung bei Pflegepersonen – oder ambulant – etwa Beratungen und Therapien – sein. Auf diese Hilfen besteht allerdings kein Rechtsanspruch. Da müssen unbedingt noch Lösungen gefunden werden.
Artikel 3 der Kinderrechtskonvention besagt, dass das Kindeswohl bei allen Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen ist. – Das Ermöglichen eines gewaltfreien Aufwachsens sollte oberste Priorität sein. Die Pflicht zur altersgemäßen Förderung und gewaltfreien Erziehung trifft in erster Linie die Eltern und sonstige mit der Obsorge betrauten Personen. Besteht der Verdacht, dass Kinder und Jugendliche gefährdet werden – sei es psychisch oder physisch, durch sexuelle Gewalt oder Vernachlässigung –, sind Personen und Institutionen, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, zur Mitteilung der Gefährdung sogar verpflichtet.
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schlusswort!
Bundesrätin Marianne Hackl (fortsetzend): Ich möchte abschließend sagen, dass Kinder und Jugendliche unser wertvollstes Gut sind. Wir müssen die bestmöglichen Voraussetzungen schaffen, damit die Eltern, Pflegeeltern und auch die Krisenpflegeeltern weiterhin gute Arbeit leisten können. Ich möchte sagen: Fürchtet euch nicht, es wird sich nichts verschlechtern! Ganz im Gegenteil, durch die 15a-Vereinbarung kann jedes Land individuell Verbesserungen anstellen. – Danke. (Beifall.)
16.04
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke für Ihre Ausführungen.
Ich erteile nunmehr Frau Mag.a Daniela Gruber-Pruner als Vertreterin des Fraktionsvorsitzenden der SPÖ das Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Herzlichen Dank, dass Sie alle noch hier sind und sich an dieser Debatte beteiligen. Herzlichen Dank für diesen sehr informativen, aufschlussreichen und bekräftigenden Tag. Die Ernsthaftigkeit und die Dringlichkeit dieses Themas, mit dem wir uns heute beschäftigt haben, ist, glaube ich, sehr spürbar geworden. Im Fokus von uns allen und insbesondere der Kinder- und Jugendhilfe müssen die Kinder und Jugendlichen in unserem Land stehen, vor allem jene Kinder und Jugendlichen, um die wir uns Sorgen machen, und zwar aus verschiedensten Gründen Sorgen machen – wir haben das heute schon mehrfach und in der ganzen Bandbreite gehört.
Jeder, der beruflich oder privat mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, weiß, dass man Kinder und Jugendliche dann gut begleiten kann, wenn entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen, und zwar Ressourcen in verschiedener Hinsicht: ob das gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, ob das die Zeit ist – die heute mehrfach Thema war –, die man ihnen zur Verfügung stellen kann, ob es räumliche oder materielle Gegebenheiten sind, und so weiter. Diese Ressourcen können nicht genug sein, weil mit ihnen die Qualität des Angebotes, das wir für diese Kinder und Jugendlichen stellen können, steht und fällt.
Ich wollte nicht darauf eingehen, aber ich muss es nun tun: Ich möchte hinsichtlich dieser Ressourcen mein Wort an meine Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien richten, denn diese Ressourcen werden zurzeit genau diesen Familien, genau diesen Kindern und Jugendlichen genommen. Denken Sie an die Familienberatungsstellen, bei denen gekürzt wird – wir haben heute viel über die Prävention gehört –, denken Sie an die Mädchenberatungsstellen, bei denen gekürzt wird! Wir wissen, dass das ein wesentliches Angebot in der Gewaltprävention ist. Denken Sie an die Mindestsicherung! Das, was da eingekürzt wird, betrifft genau jene Familien und Kinder und Jugendlichen, für die wir in der Kinder- und Jugendhilfe da sind. Denken Sie an den Familienbonus! Sie haben diesen heute als wertvolle Maßnahme gelobt. Genau die Familien aber, um die es hier heute geht, profitieren nicht davon, denn sie bekommen 250 Euro, während alle anderen Familien um einiges mehr bekommen.
Es gab heute so viele Bekenntnisse dazu – darüber freue ich mich –, wie wichtig die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ist und dass dieser Bereich unsere ganze Aufmerksamkeit braucht. Gleichzeitig aber beweisen die aktuellen politischen Maßnahmen, dass genau diese Familien in prekäre Situationen gebracht werden, der Druck in genau diesen Familien erhöht wird, was immer bedeutet, dass sich auch der Druck auf die Kinder und Jugendlichen auswirkt, für die wir in der Kinder- und Jugendhilfe dann wieder Reparaturmaßnahmen brauchen. Wenn Ihre heute getätigten Lippenbekenntnisse ernst gemeint sind, hätten wir nun, denke ich, die Möglichkeit, dass wir nun auch ernsthaft an Maßnahmen herangehen und diese politischen Worte von heute auch in politische Maßnahmen umsetzen.
Mit dem Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 konnten wir unter anderem erreichen, dass über diese Ressourcen wie auch über die Kooperation zwischen den einzelnen Beteiligten in der Kinder- und Jugendhilfe gesprochen wird und dass diese Kooperationen weiterentwickelt werden. Wir haben heute nämlich auch gehört, dass Kinder und Jugendliche, denen es nicht gut geht, ein gutes Netz brauchen, und dieses Netz ist umso enger, je mehr verschiedene Stellen miteinander arbeiten. Damit dieses Netz hält, müssen Stellen auf lokaler Ebene, auf Landesebene und auf Bundesebene zusammenarbeiten.
Wir von der SPÖ-Fraktion haben deswegen kein gutes Gefühl, wenn es nun darum geht, dass sich der Staat aus dieser Verantwortung, aus diesem Netz herausnehmen und Lücken hinterlassen will. Wir haben auch kein gutes Gefühl, wenn sich das alles rund um die Kompetenzbereinigung abspielt und damit begründet wird, weil wir auch wissen, dass in der Mindestsicherung offensichtlich der Artikel 12 bestehen bleiben darf, dass in der Energieversorgung der Artikel 12 nach wie vor Gesprächsthema ist und dass auch in der Krankenanstalten-Verordnung der Artikel 12 nach wie vor besteht. Warum ist die Kinder- und Jugendhilfe nicht wichtig genug, dass wir sie auch mit diesem Artikel 12 diskutieren dürfen?
Eines, denke ich, ist heute auch sehr klar geworden: Es hat noch selten zu einem Gesetzesvorhaben eine dermaßen breite und fundierte fachliche Einigung gegeben wie zu diesem. Dass diese fachlichen Inputs und fachlichen Statements nicht wirklich einbezogen werden in die politische Arbeit und nicht berücksichtigt werden, finde ich extrem bedauerlich, weil so keine evidenzbasierte Politik stattfinden kann.
Meine Fraktion wird daher keinen Persilschein für eine etwaige 15a-Vereinbarung ausstellen. Wir wollen die höchste Qualität für alle Kinder und Jugendlichen in Österreich und eben besonders für jene, die sie besonders brauchen. Die Qualität, die wir brauchen, brauchen wir auf jeder Ebene. Der Staat kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Es ist eine staatliche Verantwortung, auf den Schutz der Bevölkerung und in diesem Falle auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen Einfluss zu nehmen. Ich würde mir wünschen, dass wir hier im Parlament alle an einem Strang ziehen und zum Wohle der Kinder und Jugendlichen agieren. – Danke schön. (Beifall.)
16.11
Vorsitzender Vizepräsident Ewald Lindinger: Als Nächste gelangt die Vertreterin der Fraktionsvorsitzenden der FPÖ, Frau Bundesrätin Rosa Ecker, zu Wort. – Bitte.
Bundesrätin Rosa Ecker, MBA (FPÖ, Oberösterreich): Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrtes Präsidium! Geschätzte Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit, in der einerseits das Kindeswohl im Mittelpunkt steht, andererseits aber immer mehr Kinder die Sicherheit ihres Familiennestes verlieren und die Gesellschaft für ihre weitere Entwicklung Verantwortung übernehmen muss. – So beschreibt Dagmar Wortham unsere Zeit äußerst treffend in ihrem Buch mit dem Titel „Die ungeliebten Kinder: Endstation Heim?“ (Präsidentin Posch-Gruska übernimmt den Vorsitz.)
Wir haben heute schon gehört: Dem überwiegenden Teil der Kinder steht mit ihrer Geburt in unserem Land eine große Menge an Möglichkeiten offen, aber nicht alle werden in ein glückliches, problemloses Leben hineingeboren, und manche Lebensrealitäten verändern sich ins Negative.
John Naisbitt, ein amerikanischer Zukunftsforscher, sagt: „Menschen, deren Leben durch eine Entscheidung berührt und verändert wird, müssen an dem Prozeß, der zu dieser Entscheidung führt, beteiligt sein und gehört werden.“ – Darum ist in der Kinder- und Jugendhilfe die Partizipation von Kindern und Jugendlichen – eben dieses Gefragt- und Gehörtwerden – der rote Faden und in vielen Bereichen gesetzlich vorgeschrieben.
Solche Beteiligungsprozesse sind mühsam und komplexer, als man annimmt, und meistens von den Möglichkeiten, Bemühungen und Ressourcen von SozialarbeiterInnen abhängig. Diese entscheiden über weitere Lebenswege – daher passt der Titel der heutigen Enquete total gut –, Rechte, Chancen und Perspektiven müssen da bedacht werden.
Fachlich versierte Autoren wie Engelbert oder Reimer stellen dezidiert fest, dass Kinder und Jugendliche das Aufwachsen in einer Familie brauchen, um erwünschte Kompetenzen und eine eigene Identität entwickeln zu können. Darum sind Familien – Herkunftsfamilien und Pflegefamilien – große Ressourcen in dem System des Pflegekinderwesens. Es gibt in Österreich, allen voran in Oberösterreich, das politische Bekenntnis, dieses soziale Netz an besonderen Familien zu erweitern. Trotzdem ist der Anteil von Kindern, welche familiär betreut werden, im Vergleich mit anderen Ländern in Europa zahlenmäßig eher gering.
Schlussendlich ist uns allen bewusst, dass auch die unterschiedlichen Kosten immer ein Faktor für Entscheidungskriterien sind. Pflegefamilien entlasten das System Pflegekinderwesen. Sie sind eine wesentlich günstigere Form der Unterbringung – ein schreckliches Wort. Man muss betonen, dass Pflege und Erziehung zum überwiegenden Teil an Frauen ausgelagert werden. Ohne darauf eingehen zu wollen, warum die Pflegepersonen diese Aufgabe annehmen, muss man einmal ganz klar festhalten: Sie erfüllen damit einen öffentlichen Auftrag. Dafür erhalten sie im Vergleich zur aufgewandten Arbeit und Energie – die Damen haben es heute schon festgestellt – eine geringe Abgeltung und dann später für diese Zeit eine geringe Pension beziehungsweise in manchen Bundesländern gar keine. Pflege und Erziehung im Pflegekinderwesen ist nämlich als unbezahlte Arbeit deklariert. Trotzdem sind Pflegeeltern sehr gerne für die zu betreuenden Kinder da. Sie nehmen ihre Aufgabe sehr ernst und sind mit Herzblut dabei. Und: Sie sind sehr, sehr oft verlässlich und nachhaltig über die Dauer des Pflegeverhältnisses hinaus für die Jugendlichen da.
Auf die Frage, wie Pflegepersonen geholfen werden kann, wird mit konkreten Beispielen oder Gefühlen geantwortet. Sie betreffen einerseits die Kinder- und Jugendhilfe, wo aufgrund enger Personalkapazitäten der einzelnen KJH-Stellen – auch wenn sich diese bestmöglich bemühen – bei Pflegepersonen das Gefühl des Alleingelassen-Werdens aufkommt.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft positioniert sich ganz klar und begrüßt die forcierte Unterbringung in Pflegefamilien; ebenso die Volksanwaltschaft. Durch die zukünftigen Vereinbarungen im Rahmen einer 15a-Vereinbarung erwarten wir uns bundesweit einheitliche und zukunftsweisende Regelungen, welche ja von uns allen angestrebt werden. Wir halten heute diese Bundesrats-Enquete ab. – Der Bundesrat ist die Länderkammer. Haben wir also bitte etwas Vertrauen in unsere Bundesländer, dass sie diese Herausforderung aufnehmen, annehmen und positiv lösen. Mit dem Beispiel Oberösterreich in Bezug auf das Pflegekinderwesen haben wir, denke ich, die beste Ausgangsposition, an der sich alle orientieren können, und das hat das Bundesland geschafft! Deswegen habe ich auch Vertrauen in die anderen Bundesländer, dass sie diese Herausforderung meistern.
Nicht wegsehen, sondern aufmerksam hinsehen – das haben wir heute auch schon gehört –, Missstände erkennen und sich trauen, auch in Situationen aktiv einzugreifen. Wir brauchen eine mitwirkende, nicht nur eine versorgende Gesellschaft.
Ich bin davon überzeugt, dass auch weiterhin die Betreuung in einer Familie als bevorzugte und wichtigste Form der Hilfe für betroffene Kinder gewährleistet sein muss. Dafür braucht die Kinder- und Jugendhilfe entsprechende Unterstützung. Wir brauchen ein gutes Maß an präventiven Maßnahmen. Pflegefamilien, die sich zur Verfügung stellen, brauchen dafür geeignete Rahmenbedingungen – finanzielle, aber auch gesellschaftliche Anerkennung. Stationäre Einrichtungen sollte es bitte nur in Kleingruppen geben.
Ich bin als Bundesrätin, aber ganz besonders als angestellte Pflegemutter mit diesen verschiedenen Facetten des Pflegekinderwesens bestens betraut. Aus diesem Wissen, was diese Arbeit und das Engagement bedeuten, bedanke ich mich ganz, ganz herzlich bei den Familien, die diese Aufgabe übernehmen, ganz besonders bei den Krisenpflegefamilien, weil das noch einmal eine bedeutende Veränderung in einer Familie mit sich bringt, und auch bei den diplomierten SozialarbeiterInnen in der Kinder- und Jugendhilfe. Bei letzteren hat man nämlich das Gefühl, sie können eigentlich immer nur alles falsch machen – nehmen sie es ab, ist es falsch, nehmen sie es nicht ab, ist es auch falsch. Es gibt SozialarbeiterInnen, die am Freitag sagen: Ich hoffe, es passiert bis Montag nichts! – Das ist eigentlich keine befriedigende Situation.
Die Politik und wir als Gesellschaft müssen dafür Sorge tragen, dass die Kinder in einem Umfeld von Sicherheit, Geborgenheit, Ruhe, Frieden und auch Herzlichkeit zu selbständigen jungen Menschen heranwachsen können – ich denke, das hoffen wir alle – und dann in Selbstverantwortung ihren weiteren Lebensweg gehen können. (Beifall.)
16.18
Vorsitzende Präsidentin Inge Posch-Gruska: Danke, Rosa.
Ich möchte nur kurz erwähnen, dass heute alle Fraktionen überzogen haben. Es ist also anscheinend viel zu diesem Thema zu sagen, da jede Fraktion ein wenig länger gebraucht hat. Ich glaube, das ist auch gut so.
Heute ist sehr oft „Danke, Frau Präsidentin!“ gefallen, daher auch ein Danke von mir an euch alle; Danke an alle Referentinnen und Referenten, die Redebeiträge abgegeben haben, Danke an alle Politikerinnen und Politiker, die da waren. Es geht nur, wenn wir zusammenarbeiten. Manchmal heißt es, ich sei halt ein bisschen eine Sozialromantikerin, aber ich stehe dazu. Gemeinsam werden wir das schaffen, gemeinsam können wir das machen, da bin ich mir ganz, ganz sicher.
Ich möchte gerne noch einen besonderen Dank aussprechen, nämlich der Landesrätin Ulli Königsberger-Ludwig und der stellvertretenden Landeshauptfrau und Landesrätin Beate Prettner. Danke schön, dass ihr von Anfang bis zum Schluss dageblieben seid und euch wirklich alle Beiträge angehört habt. – Danke schön. (Beifall.)
Ich habe von der heutigen Diskussion ganz viel mitgenommen und habe auch ganz viel mitgeschrieben. Eines, was mir wirklich gut gefallen hat, ist: 26 ist das neue 18. – Also das werde ich wirklich mitnehmen.
Ein wichtiger Satz, der gefallen ist: Auf Vereinbarungen kann man sich nicht verlassen. – Darüber muss man nachdenken, das ist ganz wichtig.
Die Wertschätzung und vor allem auch die Absicherung für die Pflegeeltern und Krisenpflegeeltern sind ein ganz wichtiges Thema.
Ich sage jetzt wirklich nur mehr Schlagworte, wir werden uns das ganz sicherlich im Kinderrechteausschuss anschauen und gemeinsam darüber diskutieren.
Irgendjemand hat gesagt, dass wir vergessen haben, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter einzuladen. – Nein, das haben wir nicht! Wir haben das wirklich aufgebaut: Wir haben im Juli ein World Café gemacht, zu dem wir sie alle eingeladen haben, dann eine Onlinediskussion und heute diese Enquete. Wir wollen auch nicht zu arbeiten aufhören, sondern wir wollen weiterarbeiten und weitermachen. Wir suchen alle Ergebnisse zusammen und werden schauen, dass wir da etwas weiterbringen.
Wir haben nicht alle Bereiche abgedeckt, das stimmt. Ich habe es schon zu Beginn gesagt, dass die drei Bereiche, die wir abgedeckt haben, jene Bereiche sind, die uns bei der Arbeit im Kinderrechteausschuss besonders oft als Problemfall in den Ländern bekannt wurden. Daher haben wir diese drei Bereiche aufgedeckt und daran weitergearbeitet.
Ich bin wirklich ganz stark von dieser großen Kompetenz beeindruckt, die die Referentinnen und Referenten vermittelt haben. Ich habe schon einmal die Möglichkeit gehabt, beim Kinderrechtenetzwerk bei einer Diskussion dabei zu sein. Es ist da so viel an Kompetenz, so viel an Wissen vorhanden, es ist so viel für unsere Kinder und Jugendlichen vorhanden, und dieses Wissen müssen wir als Politikerinnen und Politiker wirklich aufnehmen, wir müssen gute Schlüsse daraus ziehen und Maßnahmen auf den Weg bringen, um in ganz Österreich die gleichen Chancen für alle Kinder zu schaffen, um verlässliche und einheitliche Qualitätskriterien für die Schwächsten in unserer Gesellschaft zusammenzustellen. Ich glaube, das ist unser Auftrag, und dem sollten wir als Politikerinnen und Politiker auch nachkommen.
Noch einmal ein herzliches Dankeschön für Ihr Engagement, für das lange Dableiben und das viele Diskutieren! Versprochen ist: Wir lassen es nicht unter den Tisch fallen. Neben dem Protokoll wird es noch weitere Maßnahmen geben. – Danke schön. (Beifall.)
16.21
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Die Enquete ist geschlossen.
Schluss der Enquete: 16.22 Uhr
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