parlamentarische Enquete
des Bundesrates

„Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft. – Chancen der Dezentralisierung“


Stenographisches Protokoll

 

Mittwoch, 9. Oktober 2019

 

 

 

Großer Redoutensaal


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 9. Oktober 2019

(XXVI. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft. – Chancen der Dezentralisierung“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 9. Oktober 2019: 9.01 – 12.33 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete

Präsident des Bundesrates Karl Bader

II. Panel 1 – Strukturen und Möglichkeiten in Österreich

„Möglichkeiten und Grenzen der Verwaltungsdezentralisierung“

MinR Mag. Martin Sonntag (Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregu­lierung und Justiz, Stabsstelle Reformen und Deregulierung)

„Masterplan – Ländlicher Raum“

SC Mag. Ulrike Rauch-Keschmann (Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tou­rismus, Sektion VII – Tourismus und Regionalpolitik)

„Digitalisierung und Dezentralisierung in Niederösterreich“

Mag. Karl Wilfing (Präsident des Niederösterreichischen Landtages, ÖVP)

III. Demografische Entwicklungen in Österreich und Europa

Dr. Stephan Marik-Lebeck (Statistik Austria, Direktion Bevölkerung)

IV. Panel 2 – Internationale Beispiele

„Nordische Länder: Die Metropolen und der Rest“

Rudolf Hermann („Neue Zürcher Zeitung“)

„Frankreich: Gelbe Westen und das Frankreich der Kreisverkehre: Stadt-Land-Gefälle und das Gleichheitsgebot der Republik“

Dr. Stefan Seidendorf (Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg)

„Spanien: Was unternimmt die Regierung gegen die Entleerung der Regionen?“

Ass.-Prof. Dr. Mario Kölling (Universidad Nacional de Educación a Distancia Madrid)

V. Panel 3 – Handlungsbedarf in Österreich

Dipl.-Ing. Helmut Hiess (Rosinak & Partner ZT GmbH)

Mag. Günther Steinkellner (Mitglied der Oberösterreichischen Landesregierung, FPÖ)

Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger (Institut für Föderalismus Innsbruck)

KommR Mag. Alfred Riedl (Österreichischer Gemeindebund)

KommR Erich Valentin (Österreichischer Städtebund)

VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden

VII. Abschließende Diskussion

VIII. Schlussworte des Präsidenten

Präsident des Bundesrates Karl Bader

*****

Inhalt

I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete .................................. 5

Vorsitzender Präsident Karl Bader .............................................................................. 5

II. Panel 1 – Strukturen und Möglichkeiten in Österreich .......................................... 6

„Möglichkeiten und Grenzen der Verwaltungsdezentralisierung“

MinR Mag. Martin Sonntag ............................................................................................ 7

„Masterplan – Ländlicher Raum“

SC Mag. Ulrike Rauch-Keschmann ............................................................................ 10

„Digitalisierung und Dezentralisierung in Niederösterreich“

Mag. Karl Wilfing .......................................................................................................... 13

III. Demografische Entwicklungen in Österreich und Europa ................................. 16

Dr. Stephan Marik-Lebeck ........................................................................................... 16

Diskussion:

Bundesrätin Klara Neurauter ...................................................................................... 20

Dipl.-Kfm. Marc Fähndrich .......................................................................................... 21

Abg. Mag. Friedrich Ofenauer ..................................................................................... 22

Professor Gottfried Kneifel ......................................................................................... 23

MMag. Jacqueline Niavarani ....................................................................................... 24

Bundesrat Ingo Appé ................................................................................................... 25

Abg. Andreas Kollross ................................................................................................ 25

Abg. Walter Rauch ....................................................................................................... 26

Mag. Martin Müller ........................................................................................................ 27

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Gernot Stöglehner ............................................................. 28

IV. Panel 2 – Internationale Beispiele ........................................................................ 28

„Nordische Länder: Die Metropolen und der Rest“

Rudolf Hermann ........................................................................................................... 29

„Frankreich: Gelbe Westen und das Frankreich der Kreisverkehre: Stadt-Land-Gefälle und das Gleichheitsgebot der Republik“

Dr. Stefan Seidendorf .................................................................................................. 31

„Spanien: Was unternimmt die Regierung gegen die Entleerung der Regionen?“

Ass.-Prof. Dr. Mario Kölling ........................................................................................ 34

Diskussion:

Bundesrat Ernest Schwindsackl ................................................................................ 37

Bundesrat Dr. Peter Raggl .......................................................................................... 38

Dipl.-Ing. Maria Burgstaller ......................................................................................... 39

V. Panel 3 – Handlungsbedarf in Österreich ............................................................. 40

Dipl.-Ing. Helmut Hiess ................................................................................................ 40

Mag. Günther Steinkellner ........................................................................................... 42

Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger .................................................................................... 43

KommR Mag. Alfred Riedl ........................................................................................... 44

KommR Erich Valentin ................................................................................................ 46

VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden ....................................................... 47

Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler ............................................................... 48

Bundesrätin Korinna Schumann ................................................................................ 49

Bundesrat MMag. Dr. Michael Schilchegger ............................................................. 51

VII. Abschließende Diskussion ................................................................................... 53

Bundesrätin Andrea Wagner ...................................................................................... 53

Bundesrätin Dipl.-Ing. Andrea Holzner ...................................................................... 54

Bundesrat Günter Kovacs ........................................................................................... 55

Abg. Dipl.-Ing. Georg Strasser .................................................................................... 56

VIII. Schlussworte des Präsidenten ........................................................................... 57

Vorsitzender Präsident Karl Bader ............................................................................ 57


 

09.01.40Beginn der Enquete: 9.01 Uhr

Vorsitzende: Präsident des Bundesrates Karl Bader, Vizepräsident des Bundesra­tes Dr. Magnus Brunner, LL.M., Vizepräsident des Bundesrates Hubert Koller, MA.

*****


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Einen wunderschönen guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum The­ma „Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft. – Chancen der Dezentralisierung“, und ich danke Ihnen allen, dass Sie diese Einladung sehr zahlreich angenommen ha­ben.

Ich darf alle Anwesenden sehr herzlich bei dieser Enquete im Bundesrat willkommen heißen. Mein Gruß gilt den Referentinnen und Referenten dieser Enquete, im Beson­deren Herrn Ministerialrat Mag. Martin Sonntag vom Bundesministerium für Verfas­sung, Reformen, Deregulierung und Justiz, Frau Sektionsleiterin Mag.a Ulrike Rauch-Keschmann vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus sowie dem Prä­sidenten des Niederösterreichischen Landtages Mag. Karl Wilfing.

An dieser Stelle gestatten Sie mir eine Anmerkung: Ich freue mich zwar sehr, dass heute zwei Experten aus den Ministerien der Übergangsregierung anwesend sind, den­noch möchte ich anmerken, dass es für mich nicht in Ordnung ist, dass die beiden Mi­nister Jabloner und Patek trotz Zusage und terminlicher Abstimmung der Enquete nach ihren Wünschen für heute abgesagt haben. Damit nimmt kein Mitglied der Bundesre­gierung an unserer Enquete teil. Eine solche Vorgehensweise ist mir bisher nicht in Erinnerung. Ich habe das der Frau Bundeskanzlerin vorige Woche auch persönlich mit­geteilt.

Sehr herzlich begrüße ich auch Herrn Dr. Stephan Marik-Lebeck, Leiter des Bereichs Demographie, Gesundheit, Arbeitsmarkt in der Direktion Bevölkerung der Statistik Aus­tria, Herrn Rudolf Hermann, Nordeuropakorrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“, Herrn Dr. Stefan Seidendorf, stellvertretender Direktor des Deutsch-Französischen Ins­tituts Ludwigsburg, Herrn Assistenzprofessor Dr. Mario Kölling von der Universidad Na­cional de Educación a Distancia Madrid, Herrn Dipl.-Ing. Helmut Hiess, Ingenieurkon­sulent für Raumplanung und Raumforschung bei Rosinak & Partner ZT GmbH, Herrn Landesrat Mag. Günther Steinkellner von der Oberösterreichischen Landesregierung, Herrn Universitätsprofessor Dr. Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus in Inns­bruck, Herrn Kommerzialrat Mag. Alfred Riedl, Präsident des Österreichischen Ge­meindebundes, sowie Herrn Kommerzialrat Erich Valentin, Vertreter des Österreichi­schen Städtebundes.

Ich begrüße auch sehr herzlich die Präsidentin des Burgenländischen Landtages Ve­rena Dunst und den Präsidenten des Oberösterreichischen Landtages Kommerzialrat Viktor Sigl. Herr Stadtrat Peter Hacker aus Wien ist angekündigt, aber noch nicht an­wesend.

Darüber hinaus begrüße ich sehr herzlich die anwesenden Fraktions- und Klubvorsit­zenden sowie alle Mitglieder des Bundesrates, des Nationalrates, der Landtage und des Europäischen Parlaments, die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierun­gen, der Bundesministerien und der Sozialpartner sowie alle von den jeweiligen Institu­tionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertreter, die als Expertinnen und Ex­perten an der heutigen Enquete teilnehmen.

Im Besonderen heiße ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen.

Es freut mich sehr, auch alle Zuseherinnen und Zuseher, die die heutige Enquete auf ORF III beziehungsweise via Livestream im Internet verfolgen, herzlich begrüßen zu können.

*****

(Es folgen technische Mitteilungen in Bezug auf das Prozedere durch den Vorsit­zenden sowie der Hinweis, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst wird, das nach einiger Zeit im Internet unter www.parlament.gv.at abrufbar sein wird.)

*****

09.06.08I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete


9.06.11

Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Meine Damen und Herren! Worum geht es heu­te? – 90 Prozent des österreichischen Bundesgebiets sind ländlicher Raum. Zwei Drit­tel der Bevölkerung unserer Republik leben in diesem ländlichen Raum. Damit ist der Anteil der heimischen Landbevölkerung höher als im europäischen Schnitt. Die Bevöl­kerungszahl Österreichs wird weiter steigen, allerdings fast ausschließlich in den gro­ßen Städten und deren Umland. In sehr vielen ländlichen Regionen ist dagegen mit deutlichen Bevölkerungsrückgängen zu rechnen. Das sind drei Punkte, die uns zu den­ken geben und derentwegen wir heute hier sind.

Die Abwanderung – insbesondere von jungen Frauen – wirkt sich auf das gesamte So­zial- und Wirtschaftsgefüge im ländlichen Raum negativ aus. Den Frauen folgen die Männer in die Städte. Junge Familien entstehen nicht am Land, sondern in der Stadt. Die Verschlechterung der Geburtenbilanz führt damit zu weiteren Bevölkerungsverlus­ten außerhalb der Städte. Es ist daher eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre, den ländlichen Raum als aktiven Lebensraum zu gestalten und zu erhalten und jungen Menschen dort eine Perspektive zum Verbleiben in ihren Gemeinden anzubieten.

„Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft“ lautet das Motto des niederösterreichi­schen Vorsitzes hier im Bundesrat, aber auch in der Landeshauptleutekonferenz. Weil gerade wir Bundesräte nah an den Menschen sind, haben wir eine besondere Ver­pflichtung, die Menschen in unseren Ländern bereit für die Zukunft zu machen. Wer, wenn nicht die Länderkammer des Parlaments, hat die Initiative zu ergreifen, wenn die Zukunft unserer Länder nicht gesichert ist?

Mit dem Masterplan ländlicher Raum hat Bundesminister Andrä Rupprechter 2017 in einem breiten Bottom-up-Bürger- und Bürgerinnenbeteiligungsprozess eine Arbeits­grundlage geschaffen, die dafür konkrete Perspektiven und Lösungen aufzeigt. Auf Ba­sis dieser Strategie sollen die Wirtschafts- und Lebensbedingungen am Land systema­tisch verbessert und die Zukunft des ländlichen Raums gesichert werden.

Funktionierende ländliche Regionen sind aber nicht nur für die Landbevölkerung wich­tig, sie sind auch im wesentlichen Interesse der Städte. Wir müssen uns nur ein wenig in Europa umblicken, um zu sehen, welche Probleme die Vernachlässigung ländlicher Gebiete auch für Städte mit sich bringt. In Frankreich etwa sind die dynamischsten Wachstumsräume in den Großstädten, wo ein überdurchschnittliches Wirtschafts­wachstum neue und qualifizierte Arbeitsplätze hat entstehen lassen. Das hat unter an­derem zu einer Explosion der Immobilienpreise in den Innenstädten geführt. In Frank­reich ist die Bevölkerung gesellschaftlich und materiell in die in den großen urbanen Zentren sowie deren Einzugsbereich und die auf dem Land lebenden Bürgerinnen und Bürgern gespalten. Dort zeigen auch die sozialen Proteste der Gelbwesten, dass den abgelegenen Gebieten mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.

In Spanien beispielsweise zogen bereits in den Sechzigerjahren junge Arbeitsuchende in die Industriezentren. Diese Landflucht trieb die Bevölkerungszahl in den Provinz­hauptstädten enorm in die Höhe und führte zu erheblichen sozialen und wirtschaftli­chen Problemen für die Herkunfts- und die Zielgebiete. Die Abwanderung vor allem jüngerer Personen mit besserem Ausbildungsniveau bescherte dem spanischen ländli­chen Raum auch Überalterung, Verfall der Landwirtschaft und einen allgemeinen öko­nomischen Niedergang der Gemeinden. Bereits Tausende Dörfer in Spanien sind voll­ständig verlassen. So weit darf es in Österreich nicht kommen.

Damit die Menschen im ländlichen Raum bessere Zukunftsperspektiven haben, brau­chen sie zunächst eine taugliche Infrastruktur, gute Arbeitsplätze, zeitgemäße Bil­dungsangebote und eine gute Gesundheitsversorgung. Eine deutliche Erhöhung der Chancen für die Landbevölkerung, in den ländlichen Regionen bleiben zu können, ist auch ein Anliegen der Städte. Ein sprunghafter Anstieg der Stadtbevölkerung schafft dort nämlich massive Probleme, etwa in der Bereitstellung leistbaren Wohnraums – ei­ne Existenzfrage gerade für junge Menschen.

Den ländlichen Raum zu erhalten ist also nicht nur im Interesse der ländlichen Gemein­den, sondern auch der Städte, daher müssen wir diese Herausforderungen miteinan­der und nicht gegeneinander angehen. Das ist mir bei diesem Thema ganz besonders wichtig. Weil diese Thematik so wichtig ist und im Rahmen einer Bundesratspräsident­schaft von einem halben Jahr nicht gelöst werden kann, wird uns der Masterplan wahr­scheinlich über mehrere Jahre, auch in der Länderkammer, begleiten.

Wie drängend eine gute Perspektive für die Menschen am Land bereits ist, hat uns der vergangene Wahlkampf zu den Nationalratswahlen gezeigt, in dem der ländliche Raum Thema mehrerer Parteien war. Jedes Bundesland wird im Rahmen der nächsten Prä­sidentschaften im Bundesrat aus dem Masterplan ein Spezialthema wählen. Nieder­österreich hat dabei das Thema Dezentralisierung gewählt, das auch im Zentrum die­ser heutigen Enquete steht.

Verwaltungsdezentralisierung wird dem ländlichen Raum nämlich mehr Chancen zur Entwicklung einräumen. Die Ansiedlung von Bundes- und Landeseinrichtungen sowie ausgelagerten Organisationen in Regionen ist ein wirksames Instrument der Struktur­politik. Durch Dezentralisierung der Verwaltung werden die regionale Innovationsfähig­keit gestärkt und die wirtschaftliche Entwicklung positiv beeinflusst. Eine moderne, kun­denorientierte Verwaltung in den ländlichen Regionen ist Ausdruck von Bürgernähe und ein wichtiger regionaler Standortfaktor für Betriebe. Mit der Verlagerung von Bun­desbehörden könnten mehrere Tausend Dienstposten in den ländlichen Raum kom­men; damit werden Kompetenzen und qualifizierte Arbeitsplätze in die Bundesländer zurückgebracht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr auf die Fachbeiträge, aber auch auf eine spannende und interessante Diskussion im Anschluss daran. – Vie­len herzlichen Dank. (Beifall.)

9.12

09.12.47II. Panel 1 – Strukturen und Möglichkeiten in Österreich


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Ich darf nun Herrn Ministerialrat Mag. Martin Sonntag, Frau Sektionsleiterin Mag.a Ulrike Rauch-Keschmann sowie Herrn Landtags­präsidenten Mag. Karl Wilfing um ihre Referate zu Panel 1 bitten.

Ich ersuche die Referentin und die Referenten, ihren Beitrag vom Rednerpult aus ab­zugeben und die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten. Ich darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Rednerpult 2 Minuten vor Ende der Re­dezeit zu blinken beginnt.

Zunächst darf ich Herrn Ministerialrat Mag. Martin Sonntag um seinen Beitrag zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen der Verwaltungsdezentralisierung“ ersuchen. – Bit­te, Herr Mag. Sonntag.


9.13.37

MinR Mag. Martin Sonntag (Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulie­rung und Justiz, Stabsstelle Reformen und Deregulierung)|: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Gäste! Ich darf Ih­nen zu Beginn die besten Wünsche von Vizekanzler Dr. Jabloner überbringen. Er be­dauert, zu diesem interessanten Thema nicht hier sein zu können, weshalb er mich er­sucht hat, an seiner statt diesen Vortrag, den er inhaltlich kennt, zu halten.

Mein Name ist Martin Sonntag. Ich bin Leiter der Stabsstelle für Reformen und Deregu­lierung im zuständigen Bundesministerium und darf mich in dieser Funktion intensiv mit Themen des Effizienzgewinns durch Optimierung des Verwaltungshandelns und der Verwaltungsstrukturen beschäftigen. Die heutige Enquete steht unter dem Titel „Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft. – Chancen der Dezentralisierung“. Mir wurde die Aufgabe gestellt, in meinem Referat die Möglichkeiten und Grenzen der Verwal­tungsdezentralisierung zu besprechen.

Was versteht man nun unter Dezentralisierung? – Man unterscheidet einerseits die De­zentralisierung und andererseits die Dekonzentrierung. Während die Dezentralisierung die Übertragung von Aufgaben an andere Gebietskörperschaften anspricht, wird mit Verwaltungsdekonzentrierung gemeinhin die Ansiedlung von Behörden an anderen Or­ten umschrieben – etwa die Verlegung von Bundesbehörden in die Regionen. Es han­delt sich also um zwei grundverschiedene Ansatzpunkte, die oft vermengt werden. Ich werde in meinen Ausführungen auf die Dekonzentrierung fokussieren, und die Dezen­tralisierung dann ansprechen, wenn es sachlich dazupasst.

Nach welchen Kriterien kann man sich nun dieser Diskussion nähern? – Meines Erach­tens erscheint es angebracht, nicht abstrakt in Strukturen zu überlegen, Größenver­gleiche anzustellen und auf Basis dieser Modelle zu entwickeln. Ich schlage vor, den Ansatz zu wählen, stärker vom Ende her zu denken.

Zuerst sollte man sich fragen: Was soll erreicht werden?, also das Ziel definieren. Da­bei muss einem bewusst sein, dass ein Ziel immer ein Idealzustand, also eine Vorstel­lung ist, die man verfolgt, die aber nie zur Gänze erreicht werden kann. Diese Ambiva­lenz gilt im gesamten Leben. In der politischen Debatte über die Effizienz von Verwal­tungshandeln kann sie dazu führen, das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Im Mittelpunkt des Verwaltungshandelns steht der Mensch. Verwaltung sollte dabei so unbürokratisch und gleichzeitig so rechtsstaatlich wie möglich sein. Diese Abwägung, welche schon den verfassungsrechtlichen Grundlagen innewohnt, ist nicht immer ein­fach und führt gerade bei größeren Projekten immer wieder zu Diskussionsbedarf. Wie also stellt man den Menschen in Zukunft noch stärker in den Mittelpunkt des Verwal­tungshandelns? – Auch wenn es dazu keine abschließende Antwort geben kann, gibt es doch einige Felder, die sich anbieten, erörtert zu werden.

Drei Felder möchte ich heute ein bisschen detaillierter ansprechen: die Chancen der Digitalisierung, die den Ausbau von One-Stop-Shops und eine Verstärkung der Verfah­renskonzentration mit sich bringen, die Evaluierung von Doppelstrukturen und deren sachgerechter Abbau sowie Kompetenzabrundungen für einen effizienten und sparsa­men Staat.

Was verstehe ich nun unter Chancen der Digitalisierung und Verfahrenskonzentra­tion? – Es stecken viele Chancen in der Digitalisierung. Dafür muss sie mit Augenmaß und dem klaren Ziel, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, in Angriff genommen werden; dazu gehört insbesondere der weitere Ausbau von One-Stop-Shops als zen­trale Anlaufstellen – sowohl virtuell als auch reell.

Es gibt schon jetzt Behörden, bei denen unabhängig von den geteilten Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern eine Vielzahl an Verwaltungsmaterien zusammenlaufen: die Bezirksverwaltungsbehörden. In manchen Statutarstädten werden Anlagen- und Bauverfahren von ein und derselben Behörde durchgeführt, obwohl es sich dabei so­wohl um Bundes- als auch um Landesmaterien handelt, was eine erhebliche Erleichte­rung für die Kunden darstellt. In anderen Bereichen wurde vor Kurzem die rechtliche Zusammenlegung von unterschiedlichen Standorten beschlossen, reell bleiben die an­gesprochenen Finanzämter als Dienstorte mit ihren Mitarbeitern aber bestehen.

Gerade im Bereich der Verfahrenskonzentration gilt es, die Chancen der Digitalisierung extensiv zu nützen. Das hat nicht unbedingt mit einer Änderung der komplexen und rechtlich stark abgesicherten Kompetenzverteilung zu tun. Es geht darum, Verwal­tungsabläufe für die Kunden und die Mitarbeiter der Behörden so einfach und frei von Brüchen wie möglich zu gestalten.

Als Beispiel für einen kundenorientierten Einsatz von Digitalisierungsmaßnahmen kann etwa Estland dienen. Dort wurde das sogenannte Once-only-Prinzip eingeführt, was bedeutet, dass Dateneingaben von Bürgerinnen und Bürgern nur einmal erfolgen müs­sen und dann der gesamten staatlichen Verwaltung zur Verfügung stehen. Klar ist bei diesem Thema, dass sowohl Datenschutz als auch Datensicherheit bei allen Maßnah­men der Digitalisierung unbedingt beachtet werden müssen.

Zum zweiten Punkt: die Evaluierung und der sachgerechte Abbau von Doppelstruktu­ren. Sogenannte Doppelstrukturen sind immer wieder Gegenstand von Debatten. Da­bei muss man unterscheiden, ob tatsächlich gleiche Aufgaben zweimal erbracht wer­den oder ob es bloße Ähnlichkeiten gibt, im Kern aber unterschiedliche Aufgaben erfüllt werden. Während im ersten Fall eine Vereinheitlichung angebracht sein kann, ist dies im zweiten Fall nicht unbedingt zielführend.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Eingliederung von Sonderbehörden des Bundes in die allgemeine staatliche Verwaltung, sprich die Bezirkshauptmann­schaften, genannt. Sie war in bestimmten Fällen auch Gegenstand des letzten Regie­rungsprogramms. Zu erwähnen ist, dass der Anwendungsbereich dieser Sonderbehör­den ein sehr breiter ist. Er reicht von der Erwachsenenbildung über das Sozialministe­riumservice bis hin zur Wildbach- und Lawinenverbauung. In jedem dieser Verwal­tungsbereiche gibt es natürlich Für und Wider hinsichtlich des Beibehaltens der beste­henden Strukturen und einer potenziellen Verländerung. Dazu kann ich keine abschlie­ßende Meinung abgeben. Es bleibt abzuwarten, ob und inwiefern sich ein künftiges Regierungsprogramm dazu äußern wird.

Jedenfalls soll in diesem Bereich auch die Kompetenzentflechtung und da die Grund­satzgesetzgebung im Speziellen nicht unerwähnt bleiben. Durch ein Ausräumen der Grundsatzgesetzgebung des Artikels 12 B-VG und das Schaffen einer klaren Ergeb­nisverantwortung werden zwar keine Doppelstrukturen im obigen Sinn abgeschafft, sehr wohl aber werden Arbeitsschritte innerhalb der Verwaltung und der Legislative, die in vielen Bereichen doppelt ausgeführt werden, ausgeräumt und an einer Stelle ge­bündelt. Auch das ist effizientes Handeln im Sinne der Menschen, weil es Vorschriften bündelt und klarer fasst.

Als dritten Punkt möchte ich noch die Kompetenzabrundungen erwähnen. Da geht es um Weiterentwicklungen in der Verfassungssphäre, welche ein effizienteres Handeln der Verwaltung ermöglichen sollen.

Dazu zwei Themen:

Betreffend den gebietskörperschaftsübergreifenden Einsatz von Amtssachverständigen geht es konkret darum, dass sich die Gebietskörperschaften, insbesondere die Länder, derzeit nicht gegenseitig Amtssachverständige zur Verfügung stellen können. Aufgrund der bundesstaatlichen Gliederung der Republik sind alle Angelegenheiten in Gesetzge­bung und Vollziehung entweder Bundes- oder Landessache. Diese Kompetenzvertei­lung hat auch zur Folge, dass alle Angelegenheiten durch Organe des jeweiligen Voll­ziehungsbereichs wahrzunehmen sind. Es scheidet daher aus, dass etwa eine Landes­behörde bei Vollziehung einer Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung oder der Landesverwaltung Amtssachverständige eines anderen Landes heranzieht. Da wä­ren Effizienzpotenziale im Sinne der Menschen vorhanden.

Gleiches gilt für den Vollausbau der Transparenzdatenbank. Dieser scheitert derzeit noch an den nicht vorhandenen verfassungsrechtlichen Grundlagen. Es müsste der Bundesminister für Finanzen verfassungsrechtlich ermächtigt werden, im Bereich der Transparenzdatenbank für die Verarbeitung der hoheitlichen Daten der Länder tätig zu werden. Bislang ist ihm das als oberstes Organ des Bundes verwehrt, weil er in seinem Vollzugsbereich keinen Weisungen unterliegen darf.

Sie sehen, es geht sehr oft um technische Punkte, die man abrunden, sprich lösen muss, um ein sinnvolles Zusammenarbeiten von Bund und Ländern im Sinne der be­troffenen Menschen zu ermöglichen.

Was kann nun eine Schlussfolgerung des Gesagten sein? – Man kann die Entwicklung eines Staates mit der Fortbewegung eines Fahrrads vergleichen: Es darf nicht zu schnell fahren, um keinen Sturz zu riskieren, es darf aber auch nicht zu langsam fahren oder gar stehen bleiben, damit es nicht umfällt. Diese Metapher lässt sich meines Er­achtens sehr gut auf unser heutiges Thema umlegen. Auch Österreich muss seine staatliche Struktur ständig weiterentwickeln. Wichtig dabei ist, das Ziel des Handelns – also: was dient dem Menschen? – nicht aus dem Blick zu verlieren; dann werden sich die künftigen Bemühungen sicher in die richtige Richtung bewegen. Es müssen nicht immer die großen Würfe sein, auch wenn unter den umgesetzten Verfassungsänderun­gen durchaus solche waren.

Ein Blick auch in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass die Bundesverfassung und auch die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern ein lebendiges Gebiet dar­stellen. Zu nennen wäre etwa die Gemeindeverfassungsnovelle 1962, mit der eine grundlegende Neuregelung der Gemeindeverfassung in Österreich durchgeführt wur­de. 2008 wurde der Asylgerichtshof geschaffen und die nicht territoriale Selbstverwal­tung in der Bundesverfassung festgeschrieben. 2012 wurde die Verwaltungsgerichts­barkeit in erster Instanz durchgängig eingeführt und es wurden erstmals Landesver­waltungsgerichte geschaffen. Im Zusammenhang mit dieser Reform wurde auch eine Vielzahl an unabhängigen Verwaltungsbehörden abgeschafft – ein Paradebeispiel für effizientes Handeln im Zusammenspiel von Bund und Ländern. Auch die in der letzten Legislaturperiode beschlossene Kompetenzentflechtung stellt einen wichtigen Schritt zur klaren Aufgabenzuordnung mit dem Ziel einer verbesserten Ergebnisverantwortung dar. Diese wichtigen Entwicklungen konnten trotz der politischen Sensibilität und der erhöhten Beschlusserfordernisse auf den Weg gebracht werden.

Auch wenn das Perchtoldsdorfer Paktum aus dem Jahr 1992 durch die vielen in der Zwischenzeit durchgeführten Reformen nicht vollständig umgesetzt worden ist und auch wenn die Vorschläge des Österreich-Konvents ebenso ihrer vollständigen Umset­zung harren wie die Empfehlungen der Aufgabenreform- und Deregulierungskommis­sion und vieler anderer Expertengremien, ist Fakt, dass bereits viele Schritte zur Wei­terentwicklung gesetzt wurden und weiterhin beständig gesetzt werden. Veranstaltun­gen und Initiativen wie die heutige Enquete sind vor diesem Hintergrund immer wieder nötig, um den erforderlichen Impuls zu geben und Etappenziele der ständigen Weiter­entwicklung vorzugeben, damit sich das Fahrrad Österreich beständig weiterbewegt und Kurs halten kann.

Ich bin am Ende meines Vortrags angelangt, bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und stehe im Plenum oder später für Fragen gerne zur Verfügung. – Danke schön. (Beifall.)

9.24


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Sehr geehrter Herr Ministerialrat Mag. Sonntag, ich danke sehr herzlich für Ihre Ausführungen.

Ich darf nun Frau Sektionsleiterin Mag.a Ulrike Rauch-Keschmann um ihren Beitrag zum Thema „Masterplan – Ländlicher Raum“ ersuchen. – Bitte sehr.


9.24.49

SC Mag. Ulrike Rauch-Keschmann (Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tou­rismus, Sektion VII – Tourismus und Regionalpolitik)|: Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Expertinnen und Experten, die Sie heute hier geladen sind! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuallererst ein herzli­ches Dankeschön an den Bundesrat für die Abhaltung dieser Enquete! Es ist mir trotz Ihrer verständlichen Enttäuschung eine persönliche Freude, heute Bundesministerin Maria Patek hier vertreten zu dürfen und Ihnen einen Überblick über den Status quo der Umsetzung – und auch über die Zukunft – des Masterplans ländlicher Raum aus der Sicht des zuständigen Ministeriums zu geben.

Ich darf seit knapp 15 Monaten die Sektion Tourismus und Regionalpolitik leiten, und in dieser Funktion liegt auch die Umsetzung des Masterplans ländlicher Raum bei mir. Der Masterplan – der Herr Präsident hat es angesprochen – wurde von Novem­ber 2016 bis Juni 2017 in einem breiten Beteiligungsprozess unter Einbindung von Stakeholdern sowie Bürgerinnen und Bürgern unter Federführung des damaligen Bun­desministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft erarbei­tet. Der Masterplan geht davon aus, dass ein attraktiver ländlicher Raum und seine Leistungen für ganz Österreich keine Selbstverständlichkeit sind. Sein Hauptanliegen ist die Sicherstellung lebendiger ländlicher Räume, in denen Menschen auch künftig am Land leben, arbeiten und wirtschaften können.

Damit die ländlichen Räume Zukunftsräume sind und bleiben, braucht es zeitgemäße Rahmenbedingungen wie eine zukunftsfähige Infrastruktur, hochwertige Arbeitsplätze, moderne Bildungsangebote, verlässliche Gesundheitsversorgung, Angebote für Kin­der- und Seniorenbetreuung, lebendige Dörfer, Kulturangebote und vieles mehr. Das Programm der letzten Bundesregierung sah daher im Kapitel Landwirtschaft und ländli­cher Raum unter dem Titel „Bekenntnis zu chancengleichen regionalen Lebensräu­men“ auch die weitere „Konkretisierung und konsequente Umsetzung des Masterplans ‚ländlicher Raum‘ durch die Bundesregierung“ vor.

Wir haben bei uns im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus dann ein ei­genes Geschäftsfeld eingerichtet, um auch horizontal über alle Sektionen des Hauses eine Umsetzung sicherzustellen. Dieses Geschäftsfeld hat am 1. Juli 2018 seine Arbeit aufgenommen und in einem ersten Schritt einmal eine umfassende Analyse der in Umsetzung befindlichen beziehungsweise geplanten Schritte gemacht. Diese hat er­geben, dass viele Punkte des Masterplans im Rahmen unserer Zuständigkeiten und Möglichkeiten auch bereits umgesetzt werden.

So werden umfangreiche Maßnahmen zur Stärkung ländlicher Räume gesetzt und er­hebliche Mittel in nachhaltige Infrastrukturen wie Breitband und öffentlichen Verkehr, in neue Technologien, in die Nutzung nachwachsender Ressourcen, in Klimaschutzmaß­nahmen und erneuerbare Energien, in Naturräume, in Schutzmaßnahmen vor Naturge­fahren, in Qualifikation und Beratung sowie in innovative Projekte in Gemeinden und Regionen investiert. Genau diese Investitionen bewirken dann regionale Wertschöp­fungs- und Arbeitsplatzeffekte, den Aufbau von Strukturen und Kapazitäten, die Bil­dung von Human- und Sozialkapital sowie den Erhalt der Lebens-, Natur- und Umwelt­qualität der ländlichen Räume, die der Herr Präsident ja in der Einführung schon ange­sprochen hat.

Erlauben Sie mir, nur ein Instrument herauszugreifen, für das unser Ressort federfüh­rend verantwortlich ist, und zwar das Österreichische Programm für die ländliche Ent­wicklung 2014 bis 2020. Die Zwischenevaluierung dieses Programms zeigt, dass es gerade in Regionen mit Rückstand bezogen auf das Wirtschaftswachstum eine positive Entwicklungsdynamik gibt. Das ist aus unserer Sicht durchaus ein Erfolg unserer ge­meinsamen Bemühungen um die Stärkung der ländlichen Räume. Dennoch bleibt der Masterplan ländlicher Raum für uns ein wichtiger Auftrag, und es ist noch viel zu tun. Im weiteren Prozess der Umsetzung gilt es daher, die bestehenden Anliegen weiterzu­führen und insbesondere auch hinsichtlich der strukturschwachen Regionen verstärkt weiterzuentwickeln.

Vor diesem Hintergrund freuen wir uns ganz besonders über die Initiative des Bundes­rates, den Masterplan ländlicher Raum mit unterschiedlichen Schwerpunkten über ei­nen längeren Zeitraum zu bearbeiten, weil er unsere Bemühungen um die Stärkung der ländlichen Räume unterstützt und ihnen ganz massiven Rückenwind in der politi­schen, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung geben wird.

Die künftige Ausrichtung dieser Aufgaben wird im Detail vom Programm der nächsten Bundesregierung gestaltet werden. Ich gehe aber davon aus, dass auch der nächste Bundesminister oder die nächste Bundesministerin in meinem Ressort für einen star­ken ländlichen Raum eintreten wird, denn – und da sind wir uns einig – es gibt zwei­fellos Regionen, die strukturschwach sind und in denen Abwanderung stattfindet. Es sind allerdings nicht alle, denn es gibt auch sehr dynamische Regionen, in denen sogar Zuwanderung stattfindet. Wir sehen es da als unsere Verantwortung, auch in der Öf­fentlichkeit ein durchaus differenziertes Bild zu zeichnen. Ich kann da nur an die Aus­führungen des Präsidenten anschließen: Auch uns geht es um ein Miteinander von Städten und ländlichem Raum und nicht um ein Gegeneinander.

Wir wissen, dass Abwanderung oft ein Phänomen der Jungen ist, insbesondere der jungen Frauen; wenn diese gehen, folgen die Männer oft nach. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass wir demografische Veränderungen nur beschränkt beeinflus­sen können. Diese Regionen brauchen deshalb aber unsere besondere Aufmerksam­keit, und es wird ein Bündel von Maßnahmen notwendig sein, um die angestrebte Chancengleichheit auch zu realisieren.

Bei unseren Bemühungen im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, das sich aufgrund seiner breiten Zuständigkeit durchaus auch als das Ministerium der Regionen versteht, gehen wir davon aus, dass die besten Lösungen nur von und mit den Menschen vor Ort gefunden werden können, eben nah an den Menschen, wie es im Titel der Enquete auch schon so treffend heißt. Es braucht ein förderliches Umfeld für neue Ideen und qualitätsvolle Prozesse, in die sich alle relevanten Stakeholder ein­bringen können. Dazu sind in den Regionen Kooperationen zwischen Institutionen, Wirtschaftspartnerinnen und -partnern, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, Ver­waltung sowie Akteurinnen und Akteuren wesentlich.

Ganz wichtig ist aber auch, dass man sich bei Maßnahmen der übergeordneten Ebe­nen noch besser als bisher damit auseinandersetzt, wie diese in den und auf die regio­nalen und lokalen Ebenen wirken. Wichtig ist dann aber auch, dass diese erarbeiteten Konzepte in die Umsetzung kommen.

Aus diesem Anspruch heraus und auch zur Konkretisierung von weiteren Schwerpunk­ten des Masterplans haben wir im Rahmen der Österreichischen Raumordnungskon­ferenz ein Projekt initiiert, das der Stärkung dieser regionalen Handlungsebene dient. Unter der Federführung unseres Hauses gemeinsam mit dem Land Steiermark sowie unter Einbindung aller für die Gemeinde- und Regionsebene relevanten Stakeholder, insbesondere auch Gemeinde- und Städtebund, werden Konzepte entwickelt, wie die interkommunalen und regionalen Handlungsebenen strukturell gestärkt werden kön­nen.

Ausgehend von einer Analyse der Faktoren für den Erfolg von Regionen werden Ver­besserungsvorschläge für alle Ebenen entwickelt. Dabei geht es beispielsweise auch darum, wie die vielfältigen Strukturen vereinfacht werden können. Es geht aber auch um Möglichkeiten, wie Maßnahmen und Förderprogramme des Bundes und auch der Bundesländer noch besser auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Regionen ab­gestimmt werden können. Darüber hinaus werden Ideen erarbeitet, wie unter anderem Kooperationen auf regionaler Ebene mithilfe der künftigen EU-Förderprogramme noch effektiver unterstützt werden können.

Wir haben mit diesem Projekt im Herbst begonnen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten bedanken. Wir haben Ende Oktober den nächsten Workshop in Matrei, und ich denke, dass wir da mit Beginn des nächsten Jahres konkrete Ergebnis­se haben werden, die dann auch schon in die Programmierung der beiden Fonds ein­fließen können.

Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zum konkreten Thema der En­quete, der Dezentralisierung, sagen:

Dezentralisierung wird in einem Schwerpunkt des Masterplans ländlicher Raum explizit angesprochen und hat aus diesem Blickwinkel zwei wesentliche Komponenten: einer­seits – und da hat mein Vorredner schon einiges angesprochen – die räumliche Verla­gerung von Dienststellen, Agenturen und Behörden in ländliche Räume und anderer­seits die dezentrale Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen beziehungsweise den unkomplizierten Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu diesen.

Zum ersten Punkt, der Verlagerung, darf ich vielleicht ein praktisches Beispiel aus der Sicht unseres Ressorts beisteuern: Viele der Dienststellen des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus befinden sich bereits in ländlichen Gebieten. Die Mehr­zahl unserer rund 3 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet in den Bundesländern in Forschungseinrichtungen, Bundesämtern und Bundesanstalten, höheren land- und forstwirtschaftlichen Schulen oder der Wildbach- und Lawinenverbauung, und nur ein Drittel von ihnen arbeitet in Wien. Ich glaube also, da gibt es viele Beispiele, an denen man sieht, dass wir da auf einem guten Weg sind.

Zum zweiten Punkt, der dezentralen Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen: Die Digitalisierung bietet da natürlich große Chancen, und daher wird sie vom Masterplan ländlicher Raum auch in mehreren Schwerpunkten angesprochen. Digitalisierung sorgt ja dafür, dass Menschen in den Regionen einerseits neue wirtschaftliche Chancen nutzen können, sie aber andererseits natürlich auch von modernen Bürgerinnen- und Bürgerservices profitieren können. Wir haben in unserem Haus sowohl für das elek­tronische Datenmanagement als auch in anderen Politikbereichen des Ressorts durch­gängige elektronische Verfahren bereits konkret vorbereitet und umgesetzt. Inwieweit diese Verfahren auch über das Bürgerinnen- und Bürgerserviceportal zur Verfügung gestellt werden, ist Gegenstand der derzeitigen konkreten Umsetzungsmaßnahmen.

Wenn ich abschließend noch die Maßnahme innovative digitale Bürger- und Bürgerin­nenservices erwähnen darf: Hierfür stellt die Vorhabensart Breitbandinfrastruktur für ländliche Räume des LE-Programms Mittel zur Verfügung, die im Verhältnis zur Breit­bandmilliarde für den Ausbau der Breitbandinfrastruktur und den Zugang zu Breitband­lösungen zwar gering sind, aber gerade für das Schließen von Versorgungslücken in schlecht versorgten – und vielleicht für die Mobilfunkbetreiber unwirtschaftlichen – Re­gionen sehr wichtig sind.

Ich darf mich abschließend beim Bundesratspräsidium und bei Ihnen allen für das Auf­greifen dieses wichtigen Themas bedanken. Ich freue mich auf die weitere Diskussion, aber vor allem auf die weitere gemeinsame Arbeit für die Stärkung der ländlichen Räu­me. – Danke schön. (Beifall.)

9.34


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Vielen Dank, Frau Sektionsleiterin, für Ihren Bei­trag.

Als Letzten in Panel 1 darf ich Herrn Landtagspräsidenten Mag. Karl Wilfing um seinen Beitrag zum Thema „Digitalisierung und Dezentralisierung in Niederösterreich“ ersu­chen. – Bitte sehr, Herr Präsident.


9.35.12

Mag. Karl Wilfing (Präsident des Niederösterreichischen Landtages, ÖVP)|: Geschätz­ter Herr Präsident! Meine geschätzten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Einladung, ich freue mich darüber, denn ich sehe das auch als eine Rückkehr in den Bundesrat. Ich war ja selbst – zwar schon im letzten Jahrtausend – von 1996 bis En­de 1999 Mitglied des Bundesrates und bin sehr gerne bereit, heute bei dieser Enquete gerade zu diesem wichtigen Thema kurz die Position Niederösterreichs zu erörtern. Ich bin auch wirklich davon überzeugt, dass der Bundesrat die richtige Institution ist, um den Ausgleich, den wir zwischen den Regionen Österreichs brauchen, damit alle glei­chermaßen Chancen haben, als Schwerpunkt weiter zu bearbeiten.

Als unsere Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ihre Funktion 2017 übernommen hat, hat sie schon in ihrer ersten Rede die sogenannte 3-D-Strategie für die Landes­politik angesprochen: Digitalisierung, Dezentralisierung und Deregulierung. Es war ab diesem Zeitpunkt klar, dass wir eine Digitalisierungsstrategie brauchen, um zu wissen, wo wir stehen und wohin wir wollen. Diese Strategie wurde von drei Schwerpunkten geprägt: erstens, dem Schaffen und Sichern von Arbeitsplätzen; zweitens, dem Stei­gern der Chancen des ländlichen Raums; und drittens, dem Heben der Lebensqualität für die Menschen Niederösterreichs.

Ich beginne mit der Frage der Arbeitsplätze: Es war für uns von Beginn an völlig klar, dass wir weniger von Industrie 4.0, sondern primär von Wirtschaft 4.0 reden, weil wir ja – und das ist für alle Bundesländer Österreichs zutreffend – 90 Prozent Klein- und Mittelbetriebe haben. Für uns war es daher völlig klar, dass wir diese dabei unterstüt­zen müssen, all die Möglichkeiten, die ihnen die Digitalisierung bietet, auch zu nützen. Das betrifft Fördermöglichkeiten, das betrifft Ausbildungsmöglichkeiten, das betrifft na­türlich die enge Abstimmung mit den Kammern, und so sind wir da sehr, sehr intensiv unterwegs.

Ein weiterer Schwerpunkt muss natürlich sein, dass wir die Menschen ertüchtigen; das beginnt mit Bildung und Ausbildung. Es gibt bei uns zum Beispiel ab dem Kindergarten die Möglichkeit, über Beebots – ich kenne da in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedlichste Modelle – spielerisch zu programmieren, damit wird Kindern von klein auf dieser Zugang ermöglicht. Es geht dann weiter über verschiedenste Angebote der Digitalisierung in den einzelnen Pflichtschulen bis hin – dann natürlich auch in der Frage der Ertüchtigung der Handelsakademien – zu Digital HAKs, gerade im Waldvier­tel, in jener Region, die ja in jüngster Zeit in der Wahlwerbung, die manche auch als Wahlkampf zu gebrauchen versucht haben, intensiv als der ländliche Raum apostro­phiert worden ist. Es geht natürlich weiter, wir ertüchtigen auch die Senioren – da geht es dann schon um die Hebung der Lebensqualität – und machen viele Angebote, wie die Digitalisierung ihr Leben erleichtern kann.

Ein wesentlicher Schwerpunkt, wenn wir von Arbeitsplätzen sprechen, war natürlich für uns die Frage des öffentlichen Diensts. Ich bin sehr dankbar, dass unser Landesamts­direktor Werner Trock heute hier anwesend ist, der dies, soweit ich das beobachten kann, mit wirklicher Freude, Leidenschaft und auch hoher Kompetenz mitträgt. Es geht darum, dass wir als Land Niederösterreich versucht haben, die Möglichkeiten der Digi­talisierung so zu nutzen, dass mittlerweile 135 Behördenwege online erledigt werden können, sei es in Fragen der Wohnbauförderung, in Baufragen, in Wirtschafts- und Tourismusfragen, sei es in Fragen der Landwirtschaft oder der Weiterbildungsmöglich­keiten.

Zudem war für uns wichtig, dass wir gleich von Beginn an sehr bewusst eine Ge­schäftsstelle für Technologie und Digitalisierung eingerichtet haben, damit in Abstim­mung der einzelnen Ressorts untereinander, aber auch in Abstimmung mit den einzel­nen Abteilungen ganz, ganz gezielt Schwerpunkte gesetzt werden. Gleichzeitig mit der Einführung der Digitalisierungsstrategie haben wir auch beschlossen, pro Jahr mindes­tens eine Großveranstaltung Forum Digitalisierung abzuhalten, um diese Fragen der Weiterentwicklung und der Qualitätsverbesserung schwerpunktmäßig an einem Tag mit vielen Expertinnen und Experten zu diskutieren und daraus die notwendigen Schlüsse für uns im Land zu ziehen.

Der heurige Forum-Digitalisierung-Tag war auch davon geprägt, dass wir im Land selbst einen Digicontest ins Leben gerufen und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesdienststellen eingeladen haben, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir die Digitalisierung zur Erleichterung von Behördenwegen, zur Vereinfachung ihrer Ar­beitstätigkeiten, auch für die Bürgernähe besser nützen können. Das hat dazu geführt, dass wir 73 Vorschläge erhalten haben, von denen einige bei diesem Forum-Digitali­sierung-Tag auch ausgezeichnet worden sind und die wir nun schrittweise umsetzen.

Was ist da gekommen? – Nur drei Beispiele: Zum einen gibt es den großen Schwer­punkt, dass wir in der Veterinärkontrolle digital arbeiten. Es gibt da bis zu 44 Check­listen abzuarbeiten, was in Zukunft eben nicht mehr – ich sage das jetzt bewusst – Tonnen von Papier erzeugt, sondern die Listen werden digital abgearbeitet und stehen damit auch sofort wieder allen zur Verfügung.

Der zweite Bereich ist der gesamte Bereich der Flächenwidmung, in dem früher – ich sage das jetzt auch bewusst – Quadratkilometer an Plänen hin- und hergeschickt und abgelegt worden sind. Das haben wir jetzt digitalisiert und damit den Zugang sehr, sehr stark vereinfacht. Damit können wir natürlich sofort verschiedenste Vernetzungen be­treffend all die Fragen, die mit der Flächenwidmung verbunden sind – wie viele Bau­landflächen gibt es in welcher Region?, und, und, und –, abrufen.

Der dritte Schwerpunkt, den ich hier als Vorschlag, der dort erarbeitet wurde, noch nennen möchte, ist die virtuelle Ambulanz in unseren Drogenberatungsstellen, im Rah­men derer gerade in der Frage der Alkoholprävention und auch in der Frage der Be­handlung und Begleitung von Alkoholabhängigen in den einzelnen Beratungsstellen die Fachleute aus Mauer und so weiter zugeschaltet werden, um den Betroffenen vor Ort, aber auch den jeweiligen Beratungsstellen sofort Hilfe anbieten zu können.

Die Digitalisierung, und das ist ja auch der Schwerpunkt, der gerade für euch wichtig ist, dann in die Frage der Dezentralisierung übergehend, hat uns auch ermöglicht, dass wir von Beginn an – und das war wirklich der starke Wunsch von Johanna Mikl-Leit­ner – auch darüber nachdenken, wie wir gerade auch in den periphereren Gebieten Landesdienststellen stärken können. Der erste Zugang für uns war der, dass wir be­wusst gesagt haben: Weil das ja möglich ist, es heute ja an und für sich relativ egal ist, wo man seinen Computer stehen hat, wo man an ihm arbeitet, wollen wir das hinaus­bringen.

Wichtig dabei ist im Bereich der Digitalisierung natürlich – und das muss ich noch er­wähnen –, dass die Infrastruktur herzustellen ist. Das ist eine große Aufgabe für alle Bundesländer. Da hat es Wien etwas leichter, ihr könnt mehr Kraft dafür verwenden, die Menschen fit zu machen; die Infrastruktur ist in der Stadt im Wesentlichen gege­ben. Bei uns ist die Situation die, dass wir derzeit circa 250 000 Haushalte versorgen, weil die Region rund um Wien als die Region, in der viele Menschen leben, natürlich auch von privaten Breitbandunternehmen gerne ausgebaut wird. Man darf ja nicht ver­gessen: Mittlerweile leben – das ist den wenigsten bewusst – ungefähr 30 Kilometer rund um Wien mehr Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher als im Rest von Niederösterreich. Da sieht man auch, was von Präsident Karl Bader gerade schon an­gesprochen worden ist, wie stark wir uns bemühen müssen, auch die anderen Re­gionen fit für die Aufgaben im dritten Jahrtausend zu halten und die Infrastruktur dem­entsprechend auszubauen.

Wir haben bewusst auf ein Modell gesetzt, im Rahmen dessen wir privates Kapital ein­setzen wollen. Daher gibt es bei uns dieses bekannte Drei-Schichten-Modell, für das wir 2016 auch den Europäischen Breitbandpreis erhalten haben.

Erste Schicht: Wir bauen mit unserer Gesellschaft, Nögig, Niederösterreichische Glas­faserinfrastrukturgesellschaft, Glasfaserinfrastruktur in den Regionen bis zum Objekt, und die bleibt im Besitz des Landes.

Zweite Schicht: Wir suchen uns private Netzbetreiber, die dieses Netz pachten und da­mit die Investition der öffentlichen Hand wieder rückerstatten.

Dritte Schicht: Der Nutzer, der Haushalt, sucht sich selbst seinen Provider, der Gebüh­ren für das Netz an den neutralen Netzbetreiber zahlen muss.

Das haben wir jetzt ausgeschrieben und versorgen damit die nächsten 100 000 Haus­halte, wobei wir so vorgehen, dass die Regionen, die wir versorgen, garantieren müs­sen, dass 40 Prozent der Haushalte in der Gemeinde, im Ort einen Anschluss machen lassen; dann bauen wir dort aus, weil wir dann auch die Wirtschaftlichkeit berechnen können.

Knapp 400 000 von 800 000 Haushalten haben derzeit schon Zugang zu Breitbandin­ternet. Ziel ist, bis 2030 den Großteil, 90 Prozent, mit Glasfaser und den Rest über Mo­bilfunk zu versorgen, weil es natürlich nicht wirtschaftlich darstellbar ist, jedes Haus in der Peripherie – oft allein stehend – mit Glasfaser zu versorgen.

Dezentralisierung: Wir sind bemüht, aus den Landesdienststellen St. Pöltens Mitarbei­ter in die Regionen zu bringen. Aktuell sind es 130. Ich erwähne das als Beispiel, weil ich bis 2018 auch Landesrat für Jugendfragen war: Wir haben einen Landesjugendre­ferenten, der in Gloggnitz zu Hause ist, drei Tage in der Woche in Gloggnitz arbeitet und zwei Tage in St. Pölten, oder er macht Außendienste. Das funktioniert hervorra­gend. 130 Arbeitsplätze wurden so schon verlagert.

Es wurde ein eigenes Bezirkshauptmannschaften-Gesetz geschaffen, mit dem wir Kompetenzen bei einzelnen Bezirkshauptmannschaften bündeln und damit auch Be­zirkshauptmannschaften – ich sage das jetzt wieder bewusst – in den ländlichen Räu­men stärken; die Zuständigkeiten werden gebündelt, sodass etwa natürlich nur ein kleines Beispiel für Niederösterreich – Skiliftbewilligung und -kontrolle und so weiter bei einer BH konzentriert sind, die das dann für alle Teile Niederösterreichs bearbeitet. So gibt es viele Fragen, für die wir die Zuständigkeiten konzentriert haben. Das gilt auch für das Landesverwaltungsgericht; wir haben mit dem Landesverwaltungsgerichtsge­setz fixiert, dass die drei Außenstellen Mistelbach, Wiener Neustadt, Zwettl fix erhalten bleiben und damit auch viele Parteienwege, Zeugenaussagen und so weiter vor Ort ge­tätigt werden können.

Abschließend: Ich denke, dass es wirklich ein Schwerpunkt sein sollte, gerade auch Bundesdienststellen in die Bundesländer zu bringen, um die ländlichen Räume zu stärken und damit die Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit in ganz Österreich für alle Räume zu garantieren. – Danke. (Beifall.)

9.46


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Vielen Dank, Herr Präsident, für deine Ausfüh­rungen.

Der erste Themenblock des Panels 1 ist damit abgeschlossen, und ich bedanke mich sehr herzlich für alle drei Beiträge dazu.

09.46.38III. Demografische Entwicklungen in Österreich und Europa


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Nun kommen wir zum zweiten Thema des Pa­nels 1.

Ich bitte dazu den Referenten, Herrn Dr. Stephan Marik-Lebeck, Leiter des Bereichs Demographie, Gesundheit, Arbeitsmarkt in der Direktion Bevölkerung der Statistik Aus­tria, seinen Beitrag vom Rednerpult aus zu präsentieren. – Bitte.


9.47.06

Dr. Stephan Marik-Lebeck (Statistik Austria, Direktion Bevölkerung)|: Guten Morgen von meiner Seite! Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeord­nete! Ich freue mich sehr, dass ich hier an dieser Enquete teilnehmen kann, um Ihnen einige Fakten zum Thema der demografischen Entwicklungen in Österreich – mit ei­nem kleinen Ausblick auch im europäischen Kontext – zu präsentieren. Die Demografie ist sozusagen das zugrunde liegende Thema; sie schafft die Basis für Veränderungen, die sich in den Regionen Österreichs abspielen, und nachfolgend sozusagen auch Fakten, auf die die Politik reagieren sollte.

Der Herr Präsident hat es in seinem Eingangsstatement bereits erwähnt: Die Bevölke­rung Österreichs altert, sie verändert sich, sie wächst gleichzeitig. Es gibt viele ver­schiedene Komponenten, die sich da überlagern, und ich möchte mit meinem Vortrag ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.

Zu den generellen Rahmenbedingungen: Wenn wir die Zeitspanne der letzten 20 Jah­re, ungefähr seit der Jahrtausendwende, heranziehen, dann sehen wir, dass die Bevöl­kerung Österreichs in diesem Zeitraum von damals grob acht Millionen auf zwischen­zeitlich etwa 8,8 Millionen angewachsen ist – eine Zunahme also um 10 Prozent in 20 Jahren. Diese Zunahme ist allerdings ganz wesentlich und eigentlich fast aus­schließlich auf die Zuwanderung aus dem Ausland zurückzuführen, denn in diesen letzten 20 Jahren sind eine Dreiviertelmillion mehr Menschen nach Österreich zuge­wandert, als Menschen das Land verlassen haben. Gleichzeitig gab es in diesem Zeitraum in Österreich nur ungefähr 40 000 Geburten mehr als Sterbefälle. Das zeigt, dass das Bevölkerungswachstum Österreichs primär nicht aus eigener Kraft, sondern eben durch einen Zufluss aus dem Ausland erfolgt.

Das hat natürlich auch ganz konkrete Auswirkungen auf die regionale Bevölkerungs­struktur und auf die Veränderung der Bevölkerung in den Regionen Österreichs, weil die Zuwanderung aus dem Ausland nicht gleichmäßig auf das ganze Bundesgebiet Ös­terreichs wirkt, sondern sich in bestimmten Bereichen, namentlich in den Ballungsräu­men, stark konzentriert.

Ich habe Ihnen zu meinem Vortrag auf Folien eine ganze Reihe von Übersichtsgrafiken mitgebracht, weil ich der Meinung bin, dass Bilder besser sprechen, als ich das deskrip­tiv machen könnte. Allen diesen Grafiken ist gemein, dass sie rote und blaue Flächen zeigen, die das österreichische Bundesgebiet sozusagen klassifizieren. In den blauen Gebieten hat es eine Bevölkerungsabnahme gegeben und in den roten Gebieten einen Bevölkerungszuwachs.

Sie erkennen auf den ersten Blick ein klares räumliches Muster. Ich habe das – erste Grafik – zunächst einmal für den Zeitraum von 2001 bis 2011 gemacht: Sie sehen – leicht unterlegt, wenn Sie ganz genau schauen, in Orange das hochrangige Straßen­netz –, die Bevölkerungszunahme korrespondiert sehr stark mit Ballungsräumen, aber auch mit Gebieten, die entlang der Verkehrsachsen liegen. Natürlich gibt es da auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung einen klaren Zusammenhang.

Im Gegensatz dazu liegen die blauen Flächen auf der einen Seite im Inneren Öster­reichs, in den zentralalpinen Gebieten, vor allem im östlichen Bereich, in der Oberstei­ermark, im niederösterreichischen Alpenland, aber auf der anderen Seite auch in gro­ßen Teilen von Kärnten und auch in weiten Teilen des Waldviertels. Der Westen Öster­reichs ist demgegenüber von stärkerem Wachstum betroffen. Da sind die Gebiete mit Bevölkerungsrückgängen eher spärlich gesät, auf einige Seitentäler beschränkt; zum Beispiel wären das Lechtal in Tirol oder auch das obere Montafon zu nennen.

Die zweite Grafik zeigt dieselbe Entwicklung, sie gibt die Bevölkerungsveränderung für die Dekade von 2012 bis 2019 wieder. Das sind noch nicht volle zehn Jahre, aber Sie sehen, dass sich diese räumlichen Prozesse ein bisschen verändert haben, dass sich nämlich in den zurückliegenden zehn Jahren die Bevölkerungszunahme noch stärker auf Ballungsgebiete konzentriert hat, gleichzeitig aber die Bevölkerungsabnahme in den periphereren Regionen etwas abgeschwächt wurde.

Es wurde dies auch bereits im Eingangsstatement gesagt: Die Bevölkerungsverände­rung ist einerseits durch Wanderungsbewegungen bedingt, andererseits aber auch durch die Geburtenbilanz. Ich habe Ihnen mit der dritten Grafik eine Information darü­ber mitgebracht, wie die Geburtenbilanz in den Jahren seit 2012 in den österreichi­schen Gemeinden ausgesehen hat.

Da gibt es ein generelles West-Ost-Gefälle. Es gibt sozusagen im Westen Österreichs eine nahezu durchwegs positive Geburtenbilanz. Das ist ganz wesentlich darauf zu­rückzuführen, dass es dort in der Vergangenheit mehr Geburten gegeben hat, dass die Bevölkerung im Westen Österreichs etwas jünger ist als im Osten Österreichs und dass es dort daher dementsprechend etwas weniger Sterbefälle gibt. Gleichzeitig neh­men die blauen Flächen, Gebiete, in denen die Geburtenbilanz negativ ist, es also mehr Sterbefälle als Geburten gibt, umso mehr zu, je weiter man nach Osten kommt. Das hat auch wieder mehrere Ursachen. Es handelt sich dabei einerseits um Gebiete, in denen es schon seit Längerem generell weniger Geburten gibt, zweitens aber auch um Gebiete, in denen schon seit Längerem eine Abwanderung stattfindet, die Bevöl­kerung daher älter ist und daher diese Spirale schon in Gang gesetzt worden ist, dass eine überwiegend ältere Bevölkerung in diesen Gemeinden lebt und es mehr Sterbe­fälle als Geburten gibt.

Ich habe Ihnen, sozusagen als Gegensatz zur Geburtenbilanz, auch die Wanderungs­bilanz insgesamt dazugestellt, also Wanderungen aus dem Ausland nach Österreich plus Wanderungen innerhalb Österreichs. Es gibt ja aus Sicht der Gemeinden beide Komponenten, die zusammenwirken; es wandern ja nicht nur Leute aus dem Ausland in eine bestimmte Gemeinde zu, sondern auch aus anderen Gemeinden Österreichs.

Sie sehen anhand dieser Grafik – Folie 6 ist das –, wie sich die Wanderungsbilanz in den einzelnen Gemeinden Österreichs in den letzten sieben Jahren entwickelt hat. Auch da ist wieder klar erkennbar, dass die größten Gewinner der Wanderung mit ei­nigen Ausnahmen in den Ballungsräumen beziehungsweise entlang der Verkehrsach­sen liegen, wohingegen Gebiete mit Abwanderungstendenzen weiterhin hauptsächlich inneralpin, vor allem in den östlichen Alpenteilen der Obersteiermark und Niederöster­reichs, in großen Teilen Kärntens sowie in Teilen des Waldviertels konzentriert sind.

Natürlich verändern die Wanderungen – ich habe das schon angesprochen – auch die Zusammensetzung der Bevölkerung. Wanderungen innerhalb Österreichs – das wurde auch schon in anderen Statements klar – betreffen bestimmte Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Ausmaß. Es ist immer die Rede von jungen Frauen, die abwandern und denen die Männer in die Städte folgen, was dann zu einer Abwanderungsspirale führt.

Ich möchte drei Punkte herausgreifen, die für die österreichischen Wanderungsmuster besonders auffallend sind, nämlich erstens die Bildungswanderung von jungen Er­wachsenen, zweitens die Suburbanisierungswanderung bei der Familiengründung und drittens Ruhestandswanderungen. Diese drei Muster sind auf den Folien 8 bis 10 ab­gebildet.

Ich gehe zunächst einmal auf Folie 8 ein, die Bildungswanderung von jungen Erwach­senen. Wenn Sie sich diese Folie ansehen, dann sehen Sie ganz klar: Ganz Österreich ist blau – das ist auf der Ebene der politischen Bezirke –, nur die Städte sind die klaren Gewinner in diesem Segment. Warum? – Weil natürlich in den Städten die höheren Bildungseinrichtungen konzentriert sind und dementsprechend junge Erwachsene, die ihre Ausbildung fortsetzen möchten, etwa im Tertiärbereich durch ein Studium, ganz überwiegend in die Städte gehen, um dort an den Bildungseinrichtungen zu studieren.

Folie 9 zeigt allerdings, dass es dann im Alter von etwa 27 bis 39 Jahren – ich be­zeichne das in einem Lebenszyklus als die Phase der Familiengründung – eine Gegen­bewegung gibt. Da steht im Vordergrund, dass junge Familien überwiegend nach Wohnraum im Grünen suchen. Dieser ist in den Städten nicht in ausreichendem Aus­maß vorhanden, es spielt dabei auch die Frage der Leistbarkeit eine Rolle, und dem­entsprechend sind in dieser Altersgruppe vor allem die Regionen rund um die Städte, die Speckgürtel um die Ballungsräume, die großen Gewinner der Wanderungen. Die weiter entfernten ländlichen Räume können von diesen Wanderungen kaum profitie­ren; Sie sehen das an dem Muster dieser Karte ganz deutlich.

Noch einmal ein bisschen anders zeigt sich dann das Bild, wenn man sich die Wande­rungsbewegungen der Gruppe der 60- bis 74-Jährigen ansieht, also jener Personen, die gerade in den Ruhestand übergetreten sind. Da zeigt sich, dass es dann doch auch in weiter entfernten ländlichen Gebieten durchaus Wanderungsgewinne gibt. Wa­rum?  Da steht die Lebensqualität im Vordergrund. Das sind Leute, die am Ende ihres Berufslebens stehen. Sie ziehen dann aufs Land und verwirklichen dort den Traum, einfach in Ruhe das ländliche Leben zu genießen.

Diese drei Muster zeigen eigentlich nur, wie vielschichtig die Wanderungsprozesse sind, welche die Bevölkerungsstrukturen in Österreich verändern.

Ich möchte jetzt im Folgenden noch ein paar Schlaglichter darauf werfen, wie die Be­völkerungsstrukturen grundsätzlich aussehen. Der Megatrend, der zugrunde liegende Trend der österreichischen Bevölkerungsveränderung ist der Trend der Alterung der Bevölkerung. Das ist ein Trend, der allen Industriestaaten schon seit mittlerweile fast, muss man sagen, 50 Jahren gemein ist, nämlich ab dem Zeitpunkt, als die Geburten­raten unter das Niveau gefallen sind, das notwendig wäre, um eine Generation voll­ständig zu ersetzen. Das heißt, die Zahl der geborenen Kinder ist nicht mehr genauso groß wie die Zahl der Eltern. In Österreich war das im Jahr 1972, also vor fast 50 Jah­ren, der Fall.

Was wir erkennen können, ist: Durch diesen Geburtenrückgang seit Anfang der 1970er-Jahre gibt es im Verhältnis sehr viel mehr Personen, die in den Jahren davor geboren wurden. Es gab in Österreich im Zeitraum von den 1950er-Jahren bis etwa 1970 be­sonders geburtenstarke Jahrgänge, und diese geburtenstarken Jahrgänge rücken nun langsam in das Pensionsalter vor. Dementsprechend lässt sich klar abgrenzen und ist bereits jetzt erkennbar, dass in weiten Teilen Österreichs mit einer Zunahme des An­teils der über 65-Jährigen an der Bevölkerung zu rechnen ist und gleichzeitig parallel dazu auch eine Abnahme des Anteils der unter 20-Jährigen an der Bevölkerung erfolgt.

Auch dazu habe ich Ihnen wieder drei Karten mitgebracht. Diese Karten haben alle drei die gleiche Skala, sie stellen die Zeitpunkte 2002, 2012 und 2019 dar. Wenn Sie sich das in der Zusammenschau ansehen, dann sehen Sie ganz klar, dass die Gemeinden, in denen mehr als ein Viertel der Bevölkerung unter 20 Jahre alt ist, in denen die Be­völkerung also jung ist, immer weniger werden. Sie waren ursprünglich fast über ganz Österreich verteilt, mit Ausnahme des Ostens Österreichs, weil dort die Bevölkerung aufgrund geringerer Geburtenzahlen immer schon ein bisschen älter war. Sie waren dann noch stärker in Oberösterreich und im Westen Österreichs vertreten. Im Jahr 2019 sind eigentlich nur noch ganz wenige Gemeinden im Mostviertel und im Mühlviertel mit einem so hohen Bevölkerungsanteil von jungen Personen übrig geblieben.

Das gegengleiche Bild, nämlich den Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung, zeigen die nächsten drei Folien, also die Folien 15 bis 17. Da ist es genau umgekehrt: Der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung steigt, vor allem in einigen peri­pheren Regionen, sprich im nördlichen Waldviertel, in Grenzregionen zu Tschechien, aber auch in der inneren Peripherie, im südlichen Niederösterreich, in den alpinen Ge­bieten und in der Obersteiermark. Dort gibt es Gemeinden, die schon lange einen ho­hen Anteil an über 65-Jährigen an der Bevölkerung haben, und das breitet sich flä­chendeckend immer mehr aus, sodass die Alterung ein Trend ist, der nach und nach alle Gemeinden Österreichs mit Ausnahme der Städte, der Kernstädte, erfasst.

Wie sieht die Situation in Österreich im Vergleich zum europäischen Kontext aus? –Österreich ist natürlich nicht von Europa abgekoppelt, ganz im Gegenteil: Das Gros der Zuwanderer nach Österreich stammt aus anderen europäischen Staaten.

Was man feststellen kann, ist, dass durch die starke Zuwanderung der letzten 20 Jahre die demografische Alterung in Österreich im Vergleich zu den meisten Nachbarländern, aber auch innerhalb der EU, etwas langsamer voranschreitet. Der Anteil jener, die 65 Jahre oder älter sind, an der Bevölkerung ist etwas niedriger als im EU-Durchschnitt und er nimmt auch ein bisschen langsamer zu als im EU-Durchschnitt. Gleichzeitig ist allerdings auch der Anteil der unter 20-Jährigen etwas niedriger als im EU-Durch­schnitt.

Wenn Sie das auf die Länderebene herunterbrechen, so sehen Sie, Deutschland hat ebenso wie die seit 2004 der EU beigetretenen Staaten eine insgesamt etwas ungüns­tigere Altersstruktur als Österreich – Sie können das aus den Zahlen auf den Folien 19 und 20 im Detail noch genauer herauslesen. Gleichzeitig wird auch klar, dass die Schweiz mit einem etwas höheren Anteil an unter 20-Jährigen und einem etwas nied­rigeren Anteil an über 65-Jährigen eine etwas günstigere Altersstruktur hat. Die Schweiz hatte auch in der Vergangenheit höhere positive Geburtenbilanzen als Öster­reich und auch stärkere Wanderungsgewinne.

Wenn ich nun zu einer Zusammenfassung und einem Fazit kommen möchte, dann kann man Folgendes konstatieren: Die demografischen Prozesse laufen regional sehr unterschiedlich ab, manche Gemeinden sind Gewinner der Bevölkerungsveränderun­gen, andere Gemeinden sind Verlierer. Was sich jedenfalls klar abzeichnet, ist ein Ge­gensatz zwischen den Ballungsräumen und den periphereren Gebieten mit entspre­chend unterschiedlichen Bevölkerungsstrukturen. Die jüngere Bevölkerung konzentriert sich ganz überwiegend in den Städten beziehungsweise auch in den Speckgürteln – in den Städten vor allem durch Zuwanderung aus dem Ausland, im Speckgürtel vor allem durch Suburbanisierungswanderungen in der Familiengründungsphase. Die ältere Be­völkerung dagegen verbleibt überproportional in Abwanderungsgebieten.

Ich bin damit am Ende meines Vortrags und danke Ihnen recht herzlich für Ihre Auf­merksamkeit. Ich freue mich auf eine spannende Diskussion. – Danke schön. (Beifall.)

10.02


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Vielen Dank, Herr Dr. Marik-Lebeck, für Ihre Ausführungen.

Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist der zweite Themenblock des Panels 1 abgeschlossen. Ich bedanke mich sehr herzlich für die Beiträge.

10.02.05Diskussion


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Wir gehen nun in die erste Diskussion ein.

Ich darf an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche Sie gleichzeitig, die Vorgabe einzuhalten. Ich darf weiters darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Rednerpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt.

Bitte geben Sie die Redebeiträge vom Rednerpult aus und unter Nennung Ihres Na­mens und Ihrer Institution ab; derzeit liegen mir sechs Wortmeldungen vor.

Ich darf zunächst Frau Bundesrätin Klara Neurauter an das Rednerpult bitten.


10.03.13

Bundesrätin Klara Neurauter (ÖVP, Tirol)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Damen und Herren! Wie aktuell das Thema dieser heutigen Enquete ist, zeigt auch die heutige Ausgabe der „Tiroler Tageszeitung“, die sich auf dem Titelblatt und in einem ganzseitigen Artikel mit der Landflucht beschäftigt.

Ein wirksames Instrument der Strukturpolitik ist die Ansiedlung von Bundeseinrichtun­gen in den einzelnen Bezirken. Dadurch wird die regionale Innovationsfähigkeit ge­stärkt, die wirtschaftliche Entwicklung positiv beeinflusst, und Kompetenz und qualifi­zierte Arbeitsplätze werden in die Bundesländer zurückgebracht.

Leider hat es bei der räumlichen Dekonzentrierung von Bundesdienststellen keine be­deutende Entwicklung gegeben. Wie wir von der Frau Sektionsleiterin gehört haben, ist das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus in dieser Hinsicht schon ein Vorreiter – allerdings sind diese Dienststellen natürlich nicht mit Leitungspositionen aus­gestattet.

Ich möchte auch negative Beispiele aus der jüngeren Zeit anführen. Bei der Vereini­gung der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft mit der Bundesanstalt für Bergbauernfra­gen wurde überhaupt keine Debatte über eine Verlagerung der neuen Einrichtungen angedacht – der Sitz ist weiterhin in Wien. Im Zuge der Reform der Sozialversiche­rungsträger wurde über den künftigen Standort der Österreichischen Gesundheitskas­se gesprochen. Wir haben zwar heftig darüber diskutiert, sie wurde dann aber wieder in Wien angesiedelt. (Vizepräsident Koller übernimmt den Vorsitz.)

Ich vermisse also eine offensive Strategie einer Dekonzentrierung. Noch immer sind 95 Prozent der Bundesbehörden in der Bundeshauptstadt angesiedelt. Wir müssten uns fragen: Wie wirkt sich eine Verwaltungsdezentralisierung und Verlagerung auf die Leistungskraft der Aufgabenträger, die geografischen Orte und die Bürger aus?

Bundeseinrichtungen in den Ländern anzusiedeln, hilft sicher auch mit, die Landflucht zu stoppen; diese wirkt sich negativ auf das gesamte Sozial- und Wirtschaftsgefüge aus. Denken wir zum Beispiel nur an die vielen Akademiker aus den peripheren Ge­bieten, die in ihren Heimatregionen bleiben könnten, sowie an die vielen Vereine und Institutionen wie zum Beispiel die freiwilligen Feuerwehren, das Rote Kreuz und so weiter, die auf die ehrenamtliche Mitarbeit der Bürger angewiesen sind und davon pro­fitieren würden, gut ausgebildete Mitbürger in ihrer Heimat zur Verfügung zu haben!

Durch Dezentralisierung und Digitalisierung können wir mehr Fairness für den ländli­chen Raum schaffen. Es geht ja nicht um einen Gegensatz zwischen Stadt und Land, sondern um Fairness und Chancengleichheit. Die Digitalisierung erleichtert die räumli­che Verlagerung von Behörden ungemein, deswegen ist es ganz wichtig, diese ener­gisch voranzutreiben.

Bayern ist dabei meiner Meinung nach ein Vorbild, denn dort arbeitet man gerade da­ran, 3 155 Dienststellen von München in periphere Landkreise zu verlegen. Das ist sehr lobenswert. Ich möchte auch die Bemühungen von Niederösterreich extra hervor­heben. Alles das geht schließlich nicht von heute auf morgen; man muss aber einmal damit beginnen, um eine solche Dezentralisierung auch zum Erfolg zu führen.

Eine gemeinsame Studie des Instituts für Föderalismus und des Instituts für Verwal­tungsmanagement empfiehlt, in einem Zeitraum von zehn Jahren circa 3 500 Stellen in Österreich zu dezentralisieren. Daher begrüße ich jede Gesetzesinitiative, zumindest bei der Einrichtung neuer Bundesdienststellen eine ausgewogene Verteilung der Stand­orte auf das gesamte Bundesgebiet sicherzustellen. (Beifall.)

10.07


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Danke schön, Frau Bundesrätin.

Als Nächster ist Herr Dipl.-Kfm. Marc Fähndrich, Mitglied der Europäischen Kommis­sion, zu Wort gemeldet. – Bitte sehr.


10.07.46

Dipl.-Kfm. Marc Fähndrich (Europäische Kommission)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich Danke sagen, dass die Europäische Kommission in diese Enquete des österreichischen Bundesrates einge­bunden ist. Warum ist das Thema auch für uns interessant und wie können wir dabei helfen? – Ich möchte diesbezüglich zwei Bereiche nennen: Der eine Bereich betrifft die Analyse und die Ableitung von politischen Schlussfolgerungen, der andere die Finan­zierung.

Hinsichtlich des ersten Bereichs möchte ich das Europäische Semester erwähnen; dieses ist auf europäischer Ebene das wichtigste Koordinierungsinstrument der Wirt­schaftspolitik, es entstand aufgrund der großen Finanz- und Wirtschaftskrise. Im Rah­men des Europäischen Semesters geben wir Empfehlungen für alle Mitgliedstaaten ab und diskutieren diese auch mit den anderen Mitgliedstaaten.

Warum ist das für diese Enquete relevant? – Wir haben auch erkannt, dass Österreich ein Problem mit Doppelstrukturen hat. Das wurde bereits von Ministerialrat Sonntag in dessen Vortrag angesprochen. Wir haben das auch als eine Empfehlung an Österreich adressiert: Wir möchten, dass Österreich in diesem und im nächsten Jahr die Finanz­beziehungen und Zuständigkeiten der verschiedenen staatlichen Ebenen vereinfacht und rationalisiert und Finanzierungs- und Ausgabenverantwortlichkeiten angleicht.

In dieser Hinsicht ist schon einiges passiert. Das Kompetenzbereinigungspaket war ein wichtiger erster Schritt im Hinblick auf die Entflechtung der Zuständigkeiten, allerdings erfasst das Paket bislang nur eine begrenzte Anzahl von Politikbereichen. Wir sind sehr gespannt darauf, was im nächsten Regierungsprogramm stehen wird und ob die­ser Prozess weitergeführt wird.

Ich komme nun zu einem Thema, bei dem es um die Finanzierung geht. Wir diskutie­ren derzeit über das EU-Budget 2021–2027 – es ist uns eine besondere Freude, dass der zuständige EU-Kommissar, Kommissar Hahn, aus diesem Land kommt –, und auch da müssen wir gegenwärtig natürlich sicherstellen, dass dieses wichtige Thema finanziell abgedeckt wird. Wir plädieren deswegen für ein Budget, das diesen Anforde­rungen gerecht wird – trotz Brexit und trotz anderer Finanzausfälle. Es gibt dann auch Chancen für den ländlichen Raum, es gibt sehr viele budgetäre Instrumente, die dann auch genutzt werden können, um den Strukturwandel zu ermöglichen. – Besten Dank. (Beifall.)

10.10


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Als Nächster ist Herr Nationalratsab­geordneter Mag. Friedrich Ofenauer zu Wort gemeldet. – Bitte sehr.


10.10.47

Abgeordneter Mag. Friedrich Ofenauer (ÖVP)|: Herr Präsident! Geschätzte Präsiden­ten und Experten! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir über Dezentra­lisierung reden, dann bin ich aufgrund meiner politischen Funktionen – nämlich zum ei­nen vor Ort als Bürgermeister einer kleinen Gemeinde und zum anderen als National­ratsabgeordneter als Teil der Gesetzgebung in dem für viele so fernen Wien – in ge­wisser Art ein Zerrissener.

Ich möchte als Bürgermeister aber darauf hinweisen, dass der ländliche Raum nicht erst in den Rand-, Grenz- oder Bergregionen beginnt oder endet, sondern dieser oft­mals – gerade, was den öffentlichen Verkehr betrifft – auch nur fünf Kilometer von Lan­deshauptstädten entfernt liegen kann.

Ich verstehe beide Seiten sehr gut. Stadt und Land sind kein Gegeneinander und dür­fen auch kein Gegeneinander sein, sondern sie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Worum geht es aber? – Es geht darum, dass wir auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen können, auf deren Lebensrealitäten, Wünsche, Sorgen und Ängste. Ein gu­ter, gesunder Föderalismus kann dazu beitragen, dass die Menschen besser und vor allem auch vor Ort verstanden und eingebunden werden, denn letztlich geht es immer um ein gutes Miteinander.

Urbanisierung ist, wie wir gehört haben, ein internationaler Trend, der auch vor Öster­reich nicht Halt macht. Stadt und Land haben für sich je eigene Vorteile. Der öffentliche Verkehr ist in der Stadt sicherlich leichter zu organisieren. Weitere Vorteile sind der sparsame Umgang mit Bodenflächen, eine Verdichtung sowie die effiziente Ausnut­zung der Infrastruktur. Im Gegensatz dazu sind als mögliche Nachteile eine hohe Be­völkerungsdichte, Lärm und eine gewisse Anonymität zu nennen. Vorteile des ländli­chen Raumes andererseits sind eine geringe Bevölkerungsdichte, eine intakte Natur, günstigere Grundstückspreise, eine höhere Lebensqualität und Ruhe.

Letztlich aber geht es um ein Miteinander, um Gleichwertigkeit und vor allem um die Herstellung von Chancengleichheit dort, wo diese noch nicht gegeben ist. Die größte Chance der Dezentralisierung ist meiner Ansicht nach auch eine Entlastung der Bal­lungsräume, eine Stärkung der Regionen, die Einbremsung der Abwanderung und eine ausgewogene Entwicklung durch Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen, wobei ich damit auch entsprechende Leitungsfunktionen meine.

Durch eine Verlagerung zum Beispiel von Verwaltungseinrichtungen können meiner Ansicht nach mehr Identifikation und mehr Lebensqualität entstehen, es kommt zu we­niger Pendelverkehr und es wird vor allem auch durch Möglichkeiten des Einkaufens vor Ort die lokale Wirtschaft gestärkt. Wir müssen bei all dem auch die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen.

Es muss und es soll im Vordergrund stehen, dass ein lebendiger Raum, ein Raum des Zusammenhalts und der Zusammengehörigkeit, ein Miteinander von Stadt und Land entstehen. Letztlich geht es nämlich auch um die Pflege des ländlichen Raumes, also um den Erhalt der Kulturlandschaft, was uns gegenseitigen Nutzen bringt. Viele Ge­meinden leben schon das Miteinander, zum Beispiel bei Bürgerbeteiligungen, Zen­trumsentwicklungen oder Ortsgestaltungen. Das führt zu einer besseren Identifikation und zu lebendigen Dörfern, in denen eine positive Energie entsteht und Neues ge­schaffen werden kann.

Meiner Ansicht nach müssen wir gerade auch bei Gemeindeverwaltungen in die Rich­tung weiterdenken, Kooperationen zu erleichtern, zu fördern und zu unterstützen, und zwar mit dem Ziel, die Qualität des Services und der Entscheidungen noch mehr zu verbessern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, es gibt allgemein eine Überein­stimmung, dass der ländliche Raum weiterhin gestärkt werden muss – es gibt keine Al­ternative dazu. Wir in Niederösterreich sind den entsprechenden Weg gegangen. Wir stehen am Beginn dieses Weges, und ich denke, wir müssen es einfach machen. – Danke schön. (Beifall.)

10.14


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Als nächsten Redner darf ich sehr herzlich den Herrn Bundesratspräsidenten außer Dienst Gottfried Kneifel von der Initia­tive Wirtschaftsstandort Oberösterreich begrüßen. – Bitte.


10.15.00

Professor Gottfried Kneifel (Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich)|: Sehr ge­schätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Referentin­nen und Referenten, die Sie heute schon zum Thema gesprochen haben! Zuerst ein­mal ein herzliches Dankeschön und Gratulation an das Präsidium des Bundesrates und alle Mitglieder der Länderkammer, dass dieses wichtige Thema zum Gegenstand einer Enquete gemacht wurde, womit wieder die Möglichkeit besteht, die Aufmerksam­keit und das Bewusstsein der Öffentlichkeit auf die Bedürfnisse des ländlichen Raumes zu richten.

Wir haben zwar eine Verfassung, in der steht: „Österreich ist ein Bundesstaat“, aber wir entwickeln uns derzeit genau in die andere Richtung, nämlich in Richtung eines Zen­tralstaates. Es ist höchst an der Zeit, dem entgegenzuwirken, damit auch die Chancen und Möglichkeiten der Bevölkerung des ländlichen Raumes entsprechend aufgewertet werden. Es ist nämlich eine Frage von Gleichwertigkeit, Gerechtigkeit und Fairness, dass Stadt und Land nicht weiter auseinanderklaffen, sondern dass wir – das hat Prä­sident Bader schon aufgezeigt – den Menschen in den Mittelpunkt stellen und ein Mit­einander entwickeln, mit dem wir dieses Auseinanderklaffen verhindern können.

Zur Analyse ist ja bereits viel gesagt worden. Ich kann nur Universitätsprofessor Ro­land Gnaiger vom Institut für Raum und Design der Kunstuniversität Linz zitieren: „‚Wir müssen feststellen, dass der ländliche Raum in den vergangenen Jahrzehnten an At­traktivität verloren hat‘, sagt Gnaiger. Die Speckgürtel seien ‚angereichert‘ worden, so­wohl was den Gewerbe- als auch den Einfamilienhausbau betrifft. Bis vor rund zehn Jahren hätten darunter nicht nur das Land, sondern auch Städte gelitten. Bei Letzteren ist die Trendumkehr geschafft, auf dem Land nicht.“

Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel einer Gemeinde beziehungsweise eines Tourismus­ortes, den jeder von Ihnen kennt: Die Gemeinde Hallstatt im Salzkammergut hat seit 1971 41 Prozent ihrer Bevölkerung verloren. Dieses Beispiel steht stellvertretend für viele andere Gemeinden – ich könnte sie aufzählen. Insgesamt gibt es derzeit 813 ös­terreichische Gemeinden mit einer negativen Bevölkerungsentwicklung. Meine sehr ge­ehrten Damen und Herren, das kann uns nicht egal sein, und da muss entsprechend gegengesteuert werden.

Es gibt verschiedene Ansätze dafür, diese Lebensverhältnisse zu verbessern. Ich glau­be, es ist nicht möglich, gleiche Lebensverhältnisse für die Menschen im ländlichen Raum herzustellen, aber doch annähernd gleiche Lebensbedingungen – nicht identi­sche, aber annähernd gleiche.

Dazu könnte man noch sagen: Forschungseinrichtungen müssen nicht in Wien platziert sein. Die Digitalisierungsagentur ist nun wiederum in Wien angesiedelt worden, obwohl diese genauso gut in Hallein, Moosbach oder Schwarzenberg entstehen könnte.

Zu erwähnen sind auch die Themen Glasfaserausbau oder Gesundheit. Und ein Nach­holbedarf: Seit 1986 ist St. Pölten die niederösterreichische Landeshauptstadt, aber das AMS Niederösterreich hat seinen Sitz noch immer in Wien. Es ist schon geraume Zeit her, dass St. Pölten Landeshauptstadt und damit aufgewertet wurde.

Es geht darum, eine Gleichwertigkeitsprüfung für jedes Gesetz zu machen – da pflichte ich dem Präsidenten bei und gratuliere zur Initiative –, so wie es in nordischen Ländern wie Finnland schon üblich ist. Wenn es um die Ansiedlung neuer Agenturen oder Bun­desdienststellen geht, soll in einer Gleichwertigkeitsprüfung geprüft werden, ob diese nicht woanders als in Wien möglich ist. Es ist bisher immer so geschehen, dass in Wien angesiedelt wurde. Wien war in der Monarchie das Zentrum des Staates, aber nun leben wir in einer demokratischen Republik und sollten das auch entsprechend ge­stalten. – Ich danke Ihnen vielmals. (Beifall.)

10.19


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Als Nächste bitte ich Frau MMag.a Jac­queline Niavarani vom Bundesministerium für Frauen, Familien und Jugend, Sektion für Frauenangelegenheiten und Gleichstellung, zum Rednerpult. – Bitte sehr.


10.20.01

MMag. Jacqueline Niavarani (Bundesministerium für Frauen, Familien und Jugend, Sektion III – Frauenangelegenheiten und Gleichstellung)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuallererst vielen Dank für die Einladung und auch für die bisherigen Statements und Referate! Als Vertreterin der Sektion für Frauenangelegenheiten und Gleichstellung möchte ich ein Thema in den Fokus stellen, und zwar – es wird Sie nicht überraschen – das Thema Frauen und Gleichstellung der Geschlechter im ländlichen Raum. Dabei geht es vor allem darum, die Bedürfnisse von Frauen und Männern, also eine geschlechterbezogene Sichtweise, bei der Planung und bei der Gestaltung des ländlichen Raums miteinzubeziehen.

Es gibt zahlreiche Herausforderungen, die wir aus Geschlechterperspektive im ländli­chen Raum beobachten können – wir haben schon von einigen gehört. Es sind mehr Frauen als Männer, die aus dem ländlichen Raum abwandern, und es sind vor allem die jungen Frauen, die diesen Schritt setzen. Frauen in ländlichen Regionen, die über­durchschnittlich gut gebildet sind, finden dort wenige attraktive berufliche Perspektiven vor. Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beziehungsweise Familienleben, und zwar die Frage nach Kinderbetreuungsangeboten und anderen sozialen Dienstleistun­gen, ist ein großes Thema. Wir haben auch schon gehört, dass Digitalisierung ein gro­ßes Thema ist, und da gilt es, auch aus der Geschlechterperspektive die Chancen und die Risiken der Digitalisierung bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter im Blick zu haben.

Nicht zu vergessen ist natürlich ein Themenbereich, von dem wir sagen können, dass er sozusagen die Ursache für viele der identifizierten Herausforderungen ist, nämlich das hartnäckige Weiterbestehen von tradierten Geschlechterstereotypen, die sowohl Frauen und Mädchen als auch Männer und Buben daran hindern, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. In dem heute erwähnten Masterplan für den ländlichen Raum finden sich auch zahlreiche Maßnahmenvorschläge, die genau da ansetzen und die Gleichstellung von Frauen und Männern verbessern sollen. Der Europäische Land­wirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums fördert in der aktuellen Pe­riode soziale Dienstleistungen und andere Maßnahmen zur Verbesserung der Verein­barkeit beziehungsweise zur Erwerbsbeteiligung, und es gilt, auch in Zukunft Augen­merk auf dieses Thema zu legen.

Im Masterplan lesen wir auch: „Die Zukunft des Landes ist weiblich.“ In diesem Sinne sollten wir alle die Strategie des Gendermainstreaming, das heißt, die Miteinbeziehung einer Geschlechterperspektive bei jeglichen Vorhaben, im Fokus haben. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.22


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Vielen Dank für den Beitrag.

Ich bitte nun Herrn Bundesrat Ingo Appé ans Rednerpult.


10.22.45

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Nah an den Menschen“, Stärkung des ländlichen Raums: Kollege Bader – jetzt ist er leider nicht da –, ich kann dir nur gratulieren, das sind Faktoren im ländlichen Raum, die in der Vergangenheit brachgelegen sind. 25 Prozent der Mitglie­der des Bundesrates sind BürgermeisterInnen oder VizebürgermeisterInnen, also Be­troffene, die wissen, wie die Situation im ländlichen Raum zurzeit ist.

Was sind die Parameter für ein lebenswertes Leben im ländlichen Raum? – Leistbares Wohnen, Ärzte, Apotheken, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeeinrichtun­gen, Nahversorger, öffentliche Verkehrsmittel, Postämter, Polizeistationen, Bezirksge­richte. In der Vergangenheit ist man da einen anderen Weg gegangen. Viele dieser Einrichtungen wurden geschlossen und die Lebensqualität im ländlichen Raum damit stark eingeschränkt. Man muss zukünftig einen anderen Weg gehen – und da brauche ich kein Umweltbundesamt in Ferlach, das hilft mir nichts; die Rahmenbedingungen müssen stimmen.

Herr Landtagspräsident Wilfing hat gesagt, ein Schwerpunkt solle sein, „Bundesdienst­stellen in die Bundesländer zu bringen“. Ich bin selbst Betroffener. Im Kabinett Schüs­sel I ist man den verkehrten Weg gegangen. 2000 wurden sehr viele Bundesdienst­stellen geschlossen, privatisiert und diese Arbeitsplätze in den Bundesländern abge­schafft.

Sehen wir uns die derzeitige Situation und die jetzige Gesetzgebung an: Die Finanz­ämter und die Sozialversicherungen werden zentralisiert – nach Wien. Da sind wir von dem Thema, das wir heute besprechen, weit entfernt. Ich hoffe, dass wir einen Turn­around schaffen, dann haben wir schon gewonnen. – Danke. (Beifall.)

10.25


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Als Nächsten zum Rednerpult bitte ich Herrn Nationalratsabgeordneten Andreas Kollross.


10.25.13

Abgeordneter Andreas Kollross (SPÖ)|: Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Danke für die Initiative! Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns über das Leben im ländlichen Raum unterhalten. Die diversen Beiträge dazu waren sehr interessant.

Ich möchte gerne an das, was mein Vorredner gesagt hat, anschließen und die Diskus­sion um einen Aspekt erweitern: Ich glaube, neben all den Debatten, die im Zuge der möglichen Übersiedelung des Umweltbundesamtes geführt wurden, ob Klosterneuburg schon ländlicher Raum ist, geht es schon darum, dass wir uns darüber unterhalten, welches Mindestmaß an Infrastruktur wir im ländlichen Raum wollen – das ist es auch, was meines Erachtens letztendlich im Masterplan ländlicher Raum fehlt –: Arzt, Bank, Post, Polizei, Schule, Einkaufsmöglichkeiten, öffentlicher Verkehr und so weiter und so fort. Das sind in Wirklichkeit die eigentlichen Probleme, die wir im ländlichen Raum ha­ben.

Ich bin ebenfalls Bürgermeister einer 4 000-Einwohner-Gemeinde. Ich bin im Gegen­satz zu anderen in der glücklichen Lage, dass die Gemeinde im sogenannten Speck­gürtel von Wien liegt, wo eben Zuzug stattfindet. Die Einwohnerzahl meiner Gemeinde hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren verdoppelt, aber die Probleme, die wir haben, sind dieselben; die haben sie nicht nur im Waldviertel, die haben sie nicht nur im Mühl­viertel, sondern die haben wir auch in diesem Raum von Niederösterreich. Gemeinden sind monatelang, teilweise jahrelang damit beschäftigt, überhaupt einen praktischen Arzt zu finden, der öffentliche Verkehr existiert in Wirklichkeit nicht mehr, Banken schließen und so weiter und so fort.

Wenn ich mir noch eine Bemerkung betreffend das Bargeld erlauben darf: In der letz­ten Nationalratssitzung haben wir unter anderem beschlossen, das Recht auf Bargeld in die Verfassung zu schreiben. – Okay, das kann man tun; aber meiner 80‑jährigen Mutter hilft es genau gar nichts, wenn man das Recht auf Bargeld in die Verfassung schreibt, wenn es gleichzeitig in der Gemeinde kein Bankinstitut gibt, wo sie das Bar­geld überhaupt abheben kann. (Beifall.)

Wir dürfen in der Debatte über den ländlichen Raum nicht stehen bleiben und nicht sa­gen: Okay, schreiben wir halt irgendetwas in die Verfassung!, sondern wir brauchen auch Gesetze, die regeln, wie wir ein Mindestmaß an Infrastruktur im ländlichen Raum gewährleisten, damit zum Beispiel das Recht auf Bargeld auch wohnortnah wahrge­nommen werden kann und in jeder Gemeinde ein Postamt, ein Bankinstitut, ein Arzt, eine Schule, ein Polizeiposten und so weiter und so fort gewährleistet sind. Nur so, glaube ich, können wir den ländlichen Raum attraktiv machen und nur so können wir diese Debatte auch ernsthaft führen. – Danke schön. (Beifall.)

10.28


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Vielen Dank für den Beitrag.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter zum Nationalrat Walter Rauch. – Bitte sehr.


10.28.14

Abgeordneter Walter Rauch (FPÖ)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wurde soeben schon viel zu diesem Thema beziehungsweise zu diesem Themenblock gesagt. Ich bin selbst stellvertretender Vorsitzender in einer Region in der Steiermark, genauer gesagt in der Südoststeiermark, und bin natürlich tagtäglich mit diesen Problematiken oder Themenfeldern beschäftigt.

Wir haben aktuell eine Studie vorliegen: Was sind die wichtigsten Punkte, die den Men­schen unter den Nägeln brennen, um im ländlichen Raum zu bleiben, um dort auch nachhaltig ihre Familien versorgen zu können? – Der erste Punkt war natürlich die Schaffung von Arbeitsplätzen; das ist der wesentliche Aspekt, damit man/frau über­haupt in einer Region bleiben kann. Der zweite Punkt waren die Verkehrsentwicklung und die Mobilität – auch ein wichtiger Faktor. Der dritte Punkt war Breitband – in aller Munde. Der vierte Punkt betraf Kinder, Jugend und Familie, dass diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, ihre Familien entsprechend versorgen können. Der fünfte Punkt war die Bildung. Die Punkte waren nicht unterschiedlich gewichtet, aber trotz alledem waren sie in dieser Reihenfolge positioniert.

Nun hat dieser Bezirk, diese Region Südoststeiermark aber 69 Prozent Auspendler, die tagtäglich oder wöchentlich den Bezirk verlassen müssen, ohne diese Infrastruktur, die ich soeben erwähnt habe, in einer Dichte zu haben, um das auch leistbar zu gestalten. Da ist es natürlich schön, wenn es einen Masterplan ländlicher Raum gibt. Ich durfte in der letzten Gesetzgebungsperiode – gemeinsam mit Präsident Riedl – bei den Ver­handlungen des Regierungsprogramms dabei sein, und wir haben uns intensiv damit beschäftigt. Leider, muss man sagen – so ehrlich sind wir –, war die Zeit zu kurz, um diese Maßnahmen dann entsprechend umzusetzen. Das wäre ein wichtiger Punkt ge­wesen.

Nichtsdestotrotz, glaube ich, ist es fünf nach zwölf und nicht fünf vor zwölf. Wenn wir soziale Brennpunkte in den Städten hintanhalten wollen, wenn wir den ländlichen Raum stärken und gleichzeitig die Dezentralisierung der Verwaltung vorantreiben wollen – ich habe vorhin gehört, auch ein Landesamtsdirektor aus Niederösterreich ist hier –, ist zu sagen, es ist nicht nur der Bund, der da gefordert ist, sondern auch die Länder sind entsprechend gefordert, ihre Verwaltungseinrichtungen in den ländlichen Räumen zu verteilen. Schließlich muss die Finanzbuchhaltung eines Landes – ich nehme sie jetzt nur als Beispiel her – nicht in der Landeshauptstadt angesiedelt sein, sie kann sich auch in einer Bezirkshauptstadt außerhalb dieses zentralen Raums befinden.

Einen meines Erachtens ganz wichtigen Punkt möchte ich noch ansprechen, vor allem weil er vorhin angesprochen wurde: die Flächenwidmung. Sie ist ein wichtiger Faktor, vor allem was die gewerblichen Betriebe betrifft. Diesbezüglich gibt es meines Erach­tens nur einen lösungsorientierten und gangbaren Weg, das ist der interkommunale Fi­nanzausgleich: dass man mehrere Gemeinden zusammenschließt, versucht, Gewerbe­flächen zu bündeln und im ländlichen Raum Arbeitsplätze zu schaffen, um ihn für die Bevölkerung attraktiv zu gestalten. – Danke. (Beifall.)

10.31


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Vielen Dank für den Beitrag.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Mag. Martin Müller vom Österreichischen Ge­werkschaftsbund. – Bitte sehr.


10.31.56

Mag. Martin Müller (Österreichischer Gewerkschaftsbund)|: Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal vielen Dank für die Mög­lichkeit, namens des Österreichischen Gewerkschaftsbundes hier Stellung zu nehmen! Der Schlüssel für Dezentralisierung und Dekonzentration ist natürlich die Infrastruktur, und ich möchte gar nicht wiederholen, was zahlreiche meiner Vorrednerinnen und Vor­redner schon gesagt haben. Es geht um Verkehrsinfrastruktur, es geht um Kommuni­kationsinfrastruktur, und es geht auch um soziale Infrastruktur; und da geht es natürlich nicht nur um Bildung, sondern auch um Einrichtungen wie Theater, Kinos und so wei­ter – und da bedarf es natürlich Investitionen.

Wenn wir einen gewissen Topf staatlicher oder öffentlicher Mittel haben, dann können wir den Schwerpunkt der Investitionen auf die Ballungsräume legen, wo es natürlich auch gewisse Probleme und Fragestellungen gibt, oder auf den ländlichen Raum. Nun habe ich mehrmals gehört, das dürfe kein Widerspruch sein, Stadt und Land müssen doch zusammenarbeiten. – Dazu sage ich: Ja, gerne, wenn es dafür auch entspre­chende öffentliche Mittel gibt! Das heißt, das Miteinander von Stadt und Land ist schon auch eine Frage der Staatsfinanzierung, und daher ist jede pauschale Forderung nach einer Senkung der Abgabenquote und jede Schuldenbremse eine Einschränkung die­ser Möglichkeiten und eine Einschränkung des Ausgleichs zwischen Stadt und Land.

Daher: Wenn wir wirklich ein Miteinander von Stadt und Land haben wollen, dann stel­len wir bitte auch die notwendigen Mittel dafür sicher! – Danke schön. (Beifall.)

10.34


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Danke schön für den Beitrag.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Universitätsprofessor Dr. Gernot Stöglehner vom Institut für Raumplanung der Boku Wien. – Bitte sehr.


10.34.22

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Gernot Stöglehner (Institut für Raumplanung, Umweltpla­nung und Bodenordnung, Boku)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für die Möglichkeit, hier ganz kurz ein paar Reflexionen anzubringen! Wir haben schon mehr­mals das Schlagwort Flächenwidmung gehört – auch das hat ganz wesentlich damit zu tun, nah an den Menschen zu sein, denn das hängt mit Raumstrukturen, mit der Art und Weise, wie wir den Raum organisieren, zusammen.

Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest, dass wir doch einigermaßen viele un­günstige räumliche Entwicklungen vorfinden. Wir haben vielfach Funktionstrennung, das betrifft Wohnen, Einkaufen, Arbeiten, und damit verbunden ist die Pendlerthematik. Wir beobachten gerade im ländlichen Raum mittlerweile häufig das Phänomen, dass wir zu geringe Dichten vorfinden, um eine leistungsfähige Infrastruktur anzubieten; beim öffentlichen Verkehr ist es evident und auch bei anderen leitungsgebundenen In­frastrukturen kommt es zum Tragen.

Die Wege sind oft weit, und das hat auch mit Zersiedelung zu tun. Wir brauchen aber bestimmte räumliche Strukturen, um die entsprechenden räumlichen Voraussetzungen schaffen zu können, um den Alltag im ländlichen Raum bewältigbar zu machen. Das heißt, in der Entwicklung von Gemeinden und Regionen muss man wieder stärker ver­suchen, das Thema Funktionsmischung – Wohnen, Arbeiten, Versorgen et cetera – vo­ranzutreiben, die Ortskernbelebung entsprechend voranzutreiben, die Siedlungsent­wicklung in Richtung Innenentwicklung zu treiben – auch das ist ganz wichtig, und dafür braucht es entsprechende Rahmenbedingungen. Das gehört dazu, um Infra­struktur bereitstellen zu können. Das betrifft zum Beispiel auch Breitband, das Thema Digitalisierung.

Ich möchte hier noch folgenden Aspekt einbringen: Digitalisierung bedeutet nicht nur Breitbandausbau, das bedeutet nicht nur, dass wir unter anderem entsprechend ef­fizientere Verwaltungsprozesse haben können, sondern das bedeutet auch ganz mas­sive Verwerfungen am Arbeitsmarkt. Wesentliche Tätigkeiten, die wir zurzeit ausüben, werden in Folge der Digitalisierung nicht mehr ausgeübt werden. Es stellt sich die Fra­ge, was das bedeutet: Bedeutet das massive Arbeitsplatzverluste, bedeutet das, dass Menschen kreativ werden und neue Aspekte oder neue Tätigkeiten finden werden? Jedenfalls ist es so, dass dies sowohl die Stadt als auch das Land trifft. Aus Studien gewonnene jüngste Erkenntnisse scheinen in die Richtung zu gehen, dass das Land stärker betroffen sein wird als die urbanen Räume.

Wichtig ist daher auch die Frage, wie wir mit Betriebsansiedelungen umgehen, und auch diesbezüglich ist, wie es bereits angesprochen wurde, das Thema der interkom­munalen Kooperationen ganz wesentlich. Auch das halte ich für sehr wichtig, um wei­terzukommen, auch um die Chancen im ländlichen Raum zu nutzen und entsprechend auszubauen. Und damit sind wir beim Thema Energie- und Ressourcenwende: Ich denke, auch da verknüpfen sich ganz wesentliche Aspekte, die wir noch nicht ambitio­niert genug abrufen. – Vielen Dank so weit von meiner Seite. (Beifall.)

10.37


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Vielen Dank für den Beitrag.

Es liegen dazu keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Debatte.

10.37.22IV. Panel 2 – Internationale Beispiele


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Wir kommen nun zu Panel 2.

Ich ersuche die Referenten wieder, ihren Beitrag vom Rednerpult aus abzugeben und die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten. Ich darf darauf hinwei­sen, dass das rote Lämpchen am Rednerpult 2 Minuten vor Ende der Redezeit zu blin­ken beginnt.

Ich darf zunächst Herrn Rudolf Hermann, Nordeuropakorrespondent der „Neuen Zür­cher Zeitung“, um seinen Beitrag zum Thema „Nordische Länder: Die Metropolen und der Rest“ ersuchen. – Bitte, Herr Hermann.


10.38.01

Rudolf Hermann („Neue Zürcher Zeitung“)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir hier über Regionalisierung sprechen, dann hoffe ich, dass Sie mir nachsehen, dass ich in den nächsten Minuten in einer ausgesprochen regionalen Va­riante des Deutschen zu Ihnen spreche. (Heiterkeit.)

Lassen Sie mich mit einem persönlichen Erlebnis beginnen: Vor etwa zweieinhalb Jah­ren reiste ich für eine Reportage über das Gefälle zwischen Stadt und Land nach Nord­schweden, nach Norrbotten, dem nördlichsten Landesteil. Damit Sie eine Vorstellung von Norrbotten haben, nenne ich ein paar Zahlen: Die Fläche beträgt rund 100 000 Qua­dratkilometer, also etwa 20 Prozent mehr als die Fläche Österreichs, und die Einwoh­nerzahl beträgt rund 250 000; das entspricht etwa der Stadt Graz oder 4 Prozent der schwedischen Gesamtbevölkerung. Von diesen 250 000 Menschen wohnen wiederum fast die Hälfte im Städtedreieck Luleå, Piteå und Boden, die relativ nahe beieinander­liegen; damit können Sie sich vorstellen, wie es im Rest von Norrbotten aussieht. Sied­lungsabstände von 50 Kilometern sind dort keine Seltenheit, und wenn wir von Siedlun­gen sprechen, dann sind es Siedlungen von ein paar Hundert, höchstens ein paar Tau­send Einwohnern.

Zurück zu meiner Recherche: In Luleå, der Provinzhauptstadt, sprach ich mit einem Beamten der Wirtschaftsverwaltung der Region Norrbotten. Er beklagte sich darüber, dass Norrbotten große wirtschaftliche Leistungen erbringe – es gibt viel Wasserkraft, es gibt Stahlindustrie, Bergbau, Forstindustrie –, dass aber vom erwirtschafteten Steu­eraufkommen, das zur Umverteilung nach Stockholm abfließt, unproportional wenig zu­rückkomme.

Da fragte ich meinen Gesprächspartner, ob man sich denn in Norrbotten von Stock­holm missverstanden fühle, und er sagte: Ja, eigentlich jeden Tag! Da fragte ich weiter: Was ist für Sie die Konsequenz? Wollen Sie mehr politische Autonomie beziehungs­weise mehr politischen Handlungsspielraum? Wollen Sie mehr finanziellen Spielraum? Wollen Sie mehr Steuerautonomie?, und so weiter. – Er gab mir zur Antwort: Nein, wir wollen eine Zentralregierung, die uns besser versteht!

Als er mir diese Antwort gab, verschlug es mir zunächst einmal den Atem, denn ich bin Schweizer, ich komme aus einem Land, das stark dezentralisiert ist und stark von un­ten nach oben gebaut ist. Als mein Atem wiederkam, fand ich, dass mir der Herr eine sehr schwedische Antwort gegeben hatte.

Warum schwedisch? – Verantwortung wird in Schweden, wie auch in den übrigen nor­dischen Ländern, von der Bevölkerung gerne von unten nach oben delegiert. Die Be­völkerung hat damit kein Problem, weil das Vertrauen in die staatlichen Strukturen ge­nerell sehr hoch ist: Die da oben, die machen es schon recht!, das ist im Prinzip ein nordischer gesellschaftlicher Konsens, und das ist im Prinzip ja positiv, denn es macht es der Politik leichter, zu regieren. Es macht es der Politik aber auch leichter, mehr Macht im Zentralstaat zu konzentrieren.

Die nordischen Staaten waren historisch alle entweder Königreiche – Dänemark, Nor­wegen und Schweden sind es noch heute – oder Teile von Königreichen – zum Bei­spiel Finnland, das unter Schweden und unter Russland funktionierte –, daher ist im nordischen Raum seit Jahrhunderten in allen Staaten eine relativ starke Top-down-Or­ganisationsstruktur verankert. Diese Struktur äußert sich unter anderem in einem gro­ßen Ungleichgewicht zwischen den Hauptstadtregionen und den restlichen Landestei­len.

Dazu wieder ein paar Zahlen: Schweden hat 10 Millionen Einwohner; Finnland, Norwe­gen und Dänemark haben je rund fünfeinhalb Millionen, und alle Staaten haben Haupt­städte, die als metropolitane Großräume allein schon 20 bis 25 Prozent der gesamten Landesbevölkerung stellen. Das Gefälle zwischen den Hauptstädten und den jeweils zweitgrößten Städten ist ebenfalls wirklich groß: In Dänemark, Finnland und Norwegen liegen die Bevölkerungszahlen der Hauptstadtagglomerationen bei je rund eineinhalb Millionen. Die jeweiligen Nummern zwei, Århus in Dänemark, Turku in Finnland und Bergen in Norwegen, kommen je auf gut eine Viertelmillion; das ist also etwa ein Fak­tor sechs zwischen der Hauptstadtregion und den zweitgrößten Städten.

In Schweden ist der Fall ein bisschen anders. Dort besteht das größte Gefälle zwi­schen dem Metropolendreigestirn Stockholm – mit 2 Millionen –, Göteborg – mit 1 Mil­lion – und Malmö-Lund – mit einer halben Million – und dem Rest der Städte: Schon die viertgrößte schwedische Stadt Uppsala hat nicht einmal 150 000 Einwohner – und Uppsala, das muss man dazusagen, ist eigentlich Teil des Großraums Stockholm. Das heißt, die nach den drei großen nächstgrößten Städte haben in etwa 100 000 Einwoh­ner.

In allen vier Ländern besteht daher eine relativ große Gefahr, dass die Zentralregierun­gen, die eben stark sind, weil nach oben delegiert wird und das Vertrauen besteht, aus einer urbanen Blase heraus agieren und die Bedürfnisse der Landregionen unter den Tisch fallen.

Warum ist der Zentralisierungsgrad im Norden so hoch? – Das ist einerseits ein Resul­tat der schon erwähnten historischen und gesellschaftlichen Einflüsse, also der Monar­chien und des fehlendes Bedürfnisses der Bürger, die Entscheidungskompetenzen auf der niedrigstmöglichen Stufe zu halten oder sie auf dieser einzufordern; andererseits spielen auch die Geografie und die sozialstaatliche Struktur beziehungsweise die ge­sellschaftliche Organisation eine Rolle.

Die nordischen Staaten gehören zu den am stärksten urbanisierten Gesellschaften Eu­ropas, gleichzeitig sind sie mit Ausnahme Dänemarks alle auch große Flächenstaaten. Die großen Distanzen zwischen Siedlungen städtischen und ländlichen Typs erschwe­ren der Landbevölkerung den Zugang zum Angebot bei Bildung, Gesundheit und Transport deutlich stärker, als es in dichter besiedelten Staaten wie Österreich, Deutschland oder der Schweiz der Fall ist. Die Landgemeinden sind nämlich räumlich oft sehr stark isoliert – wie gesagt, schon in Norrbotten gibt es Siedlungsabstände von 50 Kilometern und mehr, und entsprechend dünn ist der öffentliche Verkehr: Der Bus fährt nicht, wie in der Stadt, viermal pro Stunde, sondern der Bus fährt zweimal pro Tag, und die Haltestellen liegen nicht 500 Meter auseinander sondern mehr.

Die Folge dieser Verhältnisse ist eine ausgeprägte Landflucht. Dem will die Zentralre­gierung entgegenwirken. Als Beispiel diene hier das nationale Programm für Zugang zu Breitbandinternet, das die Voraussetzung dafür schaffen soll, dass Arbeitsplätze nicht mehr stadtgebunden sind, sondern gewisse Tätigkeiten in gewissen Branchen auch vom Land aus ausgeführt werden können. Das von der Zentralregierung in Schweden anvisierte Ziel lautet, 95 Prozent der Bevölkerung mit Breitbandnetz versorgen zu können. Das klingt nicht schlecht. Der schon erwähnte Wirtschaftsvertre­ter aus Norrbotten hat mir aber gesagt, da die Bevölkerung von Norrbotten 4 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmache, könnte man das gesamte Breitbandnetz aufbauen, die Vorgabe einhalten und keinen einzigen Breitbandanschluss in Norrbotten zur Verfü­gung stellen.

Die Zentralisierung ist aber auch eine Folge des sogenannten nordischen sozialstaatli­chen Modells, das den Anspruch hat, für alle überall ungefähr die gleichen Leistungen zur Verfügung zu stellen. Die Steuerbelastung für die einzelnen Bürger ist auch so, dass auf dieser Ebene die Nivellierung erreicht ist; bei den Leistungen aber sieht es anders aus.

Dazu ein Beispiel aus dem schwedischen Gesundheitswesen: In der mittelschwedi­schen Kleinstadt Sollefteå, einer Stadt mit 10 000 Einwohnern, wird seit zwei Jahren vor dem Krankenhaus demonstriert, eine Mahnwache abgehalten, da vor zwei Jahren die Geburtenabteilung des lokalen Spitals geschlossen wurde. Das hat hohe Wellen geschlagen. Schwangere Frauen mussten sich nach Alternativen umsehen, die jeweils etwa 1 Autostunde entfernt lagen; für Frauen aus dem Hinterland, die sowieso schon abgeschnitten sind, bedeutet diese Schließung, dass sie statt 2 Stunden dann halt 3 Stunden fahren. Als Konsequenz boten Hebammen vorsichtshalber Kurse für Notge­burten im Auto, die zum Teil auch wirklich erfolgten, an. – Das sind Verhältnisse, wie man sie im städtischen Schweden überhaupt nicht kennt. Wo sind wir also mit den gleichwertigen Leistungen?

In Sollefteå war es aber nicht der Zentralstaat, der das Krankenhaus geschlossen hat, sondern es war die regionale Verwaltung, die das Geld zwar vom Zentralstaat be­kommt, dann aber selbst entscheidet, was sie mit diesem Geld finanziert. Es entstand daraus eine Diskussion darüber, ob es genügend Know-how auf der regionalen Ebene gebe: Haben die das gut gemacht, haben die das schlecht gemacht? Musste man die­se Abteilung schließen oder hätte man sie weiterführen können, wenn man eine bes­sere Verwaltung gehabt hätte? – Daraus wiederum ergibt sich der Ruf nach einer ge­samtstaatlichen Lösung, denn wenn alle die gleichen Leistungen erhalten sollen, muss man das unter einen gesamtstaatlichen Deckel beziehungsweise Hut bringen.

Diese Diskussion wird auch betreffend das Bildungswesen geführt, und es ist eine Dis­kussion mit offenem Ende, in Schweden und mutatis mutandis in den anderen nordi­schen Staaten. Klar ist hingegen, dass im nordischen Kontext gleichwertige Leistun­gen – was eine Vorgabe ist – mit den gegenwärtigen Strukturen nicht erreicht werden können. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.49


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Herr Hermann, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich darf nun Herrn Dr. Stefan Seidendorf, den stellvertretenden Direktor des Deutsch-Französischen Instituts Ludwigsburg, um seinen Beitrag zum Thema „Frankreich: Gel­be Westen und das Frankreich der Kreisverkehre: Stadt-Land-Gefälle und das Gleich­heitsgebot der Republik“ ersuchen. – Bitte sehr.


10.49.32

Dr. Stefan Seidendorf (Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für die Gelegenheit, heute zu Ihnen nach Wien zu kommen und zu diesem Thema zu sprechen – noch dazu an historischer Stätte: Vor 23 Jahren war ich als Student im Rahmen eines kunsthistorischen Seminars auf Exkur­sion in der Hofburg, und ich hätte nicht gedacht, dass ich in dieser Funktion einmal hierher zurückkommen werde!

Zur Situation in Frankreich: Frankreich ist in vielem eine Ausnahme oder ein Gegenmo­dell zu dem, was wir in Österreich und in der Bundesrepublik kennen. Derzeit ist die Si­tuation durch eine zunehmende materielle und gesellschaftliche Spannung gekenn­zeichnet – Sie alle haben die Gelbwestenproteste im Fernsehen verfolgen können –, durch Spannungen zwischen den Bewohnern der dynamischen und attraktiven städti­schen Zentren und der Bevölkerung, die im ländlichen Raum oder in den periurbanen vorstädtischen Einzugsbereichen lebt. Manche sehen darin bereits einen neuen Klas­senkonflikt.

Die Besonderheit in Frankreich ist dabei aber die starke Demografie. Unter den euro­päischen Staaten hat Frankreich nach Irland die stärkste Geburtenrate – das gilt, auch wenn sich das im Moment gerade etwas verändert –, und es ist eben nicht nur die Im­migration, die für die Zunahme der Bevölkerung sorgt. Die Einwohnerzahl Frankreichs ist seit 1982 um etwa 15 Millionen gestiegen, seit den Siebzigerjahren gibt es keine Landflucht mehr, sondern die Bevölkerung nimmt auch auf dem Land wieder zu. Diese Besonderheit muss man natürlich verstehen und zu den Diskussionen um die Attrak­tivität des ländlichen Raums in Frankreich in Bezug setzen.

Damit das funktioniert, damit sie attraktiv bleiben können, benötigt dieser ländliche Raum, benötigen die regionalen, kleinen Städte, viele unter 5 000 Einwohner – Sie wis­sen, in Frankreich gibt es die meisten Kommunen Europas, nämlich immer noch über 34 000, weil nie eine richtige Gemeindereform mit Eingemeindungen gelungen ist –, Dienstleistungsangebote: Gesundheit, Verwaltung, staatliche Behörden, Bildungsange­bote, Einzelhandel – Bäckereien und Metzgereien scheinen ganz wichtig zu sein. Das sind alles Umfrageresultate, weil wir durch die Gelbwestenproteste natürlich sehr viele Informationen darüber gewonnen haben, was die Bevölkerung dort wünscht und möch­te. Wichtig sind in Frankreich natürlich auch le bar – die Gaststätte – und das Vereins­leben auf dem Land, idealerweise verbunden mit einem integrierten Nah- und Regio­nalverkehrsangebot. Dann sind auch diese ländlichen Gebiete attraktiv, wirtschaftliche Aktivität entwickelt sich, Arbeitsplätze entstehen, und Familien siedeln sich auch wie­der an.

Das größere Bild ist aber natürlich auch durch die wirtschaftliche Dynamik, die vor al­lem in den 15 großen Städten Frankreichs stattfindet, geprägt. Dort wurde die Wirt­schaftskrise überwunden, dort beginnt jetzt auch der Abbau der hohen Arbeitslosigkeit von 10 auf jetzt etwas unter 8 Prozent. Dort leben zwar nur 40 Prozent der Gesamtbe­völkerung, es finden sich dort jedoch über 90 Prozent der qualifizierten Arbeitsplätze der höheren Angestellten und der mittleren Berufsgruppen. Die Anzahl der einfachen Angestellten und der Arbeiter hat in diesen Ballungsräumen seit 1975 kontinuierlich fast linear abgenommen.

Natürlich stellt sich die Frage: Was machen 60 Prozent der Bevölkerung, und wo woh­nen diese Menschen? – Wegen der hohen Immobilienpreise besonders in den Städ­ten – fast alle dieser 15 großen Städte haben im Moment in den Innenstädten und auch in Zentrumsnähe eine richtige Immobilienblase – ziehen die Menschen aufs Land, bei immer noch vorhandenem großem Angebot an nutzbaren Flächen und relativ nied­rigen Immobilienpreisen. Vergessen Sie nicht, Frankreich ist ein sehr großer Flächen­staat! Wir haben am Institut in Ludwigsburg eine Grafik gemacht, auf der man sieht, dass man die Bundesrepublik komplett in Frankreich hineinpacken könnte. Frankreich ist geografisch riesengroß; wenn Sie einmal mit dem Auto an die Atlantikküste in den Urlaub fahren, wissen Sie, wie lange man braucht, um dieses Land zu durchqueren.

Das heißt, es gibt außerhalb der Zentren immer noch ein großes Angebot an nutzbaren Flächen. Schwindende Industrialisierung und die abnehmende Bedeutung der Land­wirtschaft führen aber dazu, dass diese neue Landbevölkerung natürlich anderen Le­bens- und Arbeitsmodellen nachgeht: Sie ist mobil, pendelt eineinhalb Stunden in die nächstgrößere Stadt, viele machen auch schon Telearbeit, Heimarbeit. Bei diesen Mo­dellen ist die individuelle Mobilität natürlich eine Grundvoraussetzung. – Zur Erinne­rung: Die Proteste hatten sich ja zunächst an der banalen Erhöhung der Dieselsteuer entzündet, die diese Menschen, die häufig mit dieselbetriebenen Fahrzeugen zur Ar­beit fahren, natürlich besonders getroffen hat.

Man hat diese Gruppen lange als das unsichtbare Frankreich bezeichnet, weil sie we­der in den Banlieues, den Vorortghettos, randalieren und Autos anzünden noch in den Talkshows oder in den Pariser Salons auf irgendeine Weise vertreten sind oder den Ton angeben. Seit Herbst 2018 sind sie als Gelbwesten auf den Kreisverkehren in das Licht der Öffentlichkeit getreten. Materiell ist es eher die untere Mittelschicht, die zwar mit Abstiegsängsten zu kämpfen hat, die aber nicht direkt von Armut bedroht ist oder unter der Armutsgrenze lebt: Es sind Krankenpflegerinnen, Zeitarbeiter, Kassiererin­nen, Lagerarbeiter, die Familien haben häufig zwei Einkommen und auch zwei Autos, es ist für sie aber schwierig, an dem Lebensmodell teilzuhaben, das zum Beispiel über das Fernsehen kommuniziert wird.

Angesichts der hohen Abgabenlast in Frankreich – Frankreich ist in der Europäischen Union eines der Länder mit den höchsten Steuern und Sozialabgaben – bestehen na­türlich auch sehr hohe Erwartungen und Ansprüche an die Verfügbarkeit und die Qua­lität staatlicher Leistungen, die auch auf dem Land unmittelbar vor Ort zugänglich sein sollen. Es gibt die Vorstellung, dass die Republik garantieren muss – der Idee und dem Verfassungsauftrag nach ist das ja auch so –, dass all diese Leistungen – vor allem die Bildungsleistungen, die Gesundheitsleistungen, die Verwaltungsleistungen – und die bis vor Kurzem noch staatlichen Monopole, also Gas, Elektrizität und Verkehr, über das ganze Land gleich verteilt zugänglich sein müssen, zum gleichen Preis und mit den gleichen Möglichkeiten.

Dem stehen natürlich die jüngsten Entwicklungen in Frankreich entgegen. Seit der gro­ßen Krise in Europa sind auch in Frankreich ganz klar Sparanstrengungen, Konsolidie­rung und Rationalisierung der öffentlichen Angebote sowie der Verwaltungen das Leit­thema. So wurde aus diesem Protest gegen eine Energiesteuer letztendlich eine De­batte über die Glaubwürdigkeit der Republik und ihren Anspruch, überall die gleichen Angebote und Chancen anzubieten und so die Gleichheit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Aus diesem eher allgemeinen Gefühl der Unzufriedenheit, das es schon lange gibt – schon Chirac hat mit dem Thema der sozialen Spaltung Wahlkampf ge­macht –, und aus einem Protest gegen eine Treibstoff- beziehungsweise Dieselabgabe wurde so eine viel tiefer gehende Auseinandersetzung um die Glaubwürdigkeit der politischen Leitideen der Republik.

Im zweiten Teil komme ich nun sehr kurz zu den Antworten, die die Politik auf diese Herausforderungen zu geben versucht: Die beschriebene Spaltung und die Situation, die ich gerade skizziert habe, existiert natürlich schon länger. Seit Sarkozy mussten sich alle Präsidenten vor allem darum kümmern, Wachstumspotenzial freizusetzen.

In der angespannten finanziellen Situation, in der schwierigen wirtschaftlichen und so­zialen Situation mit teilweise über 10 Prozent Arbeitslosigkeit war es natürlich sehr wichtig, das vorhandene Wachstumspotenzial freizusetzen, und dieses lag nun einmal in den großen Städten, wie gerade schon beschrieben. Schon unter Sarkozy wurde deshalb die Verwaltungsreform der Metropolen eingeführt, als ein Zusammenschluss großer Ballungszentren von mindestens 400 000 Einwohnern in einem Großraum von mindestens 650 000 Einwohnern. Die folgenden Präsidenten haben das noch weiterentwickelt – heute gibt es 21 davon –, was natürlich dazu geführt hat, dass sich die Stadt-Land-Spaltung eher noch verschärft hat, denn diese Metropolen haben ihre neuen Möglichkeiten genutzt.

Hollande hingegen hat drei weitere Reformen auf Schiene gebracht, die sehr viel Fle­xibilität ermöglichen: die große Regionalreform, von 21 beziehungsweise 22 zu 13 Re­gionen stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn man in Österreich oder Deutschland neun Bundesländer mit einem Federstrich zu vier fusionieren würde! –, weiters eine große Reform der öffentlichen Verwaltung und eine des territorialen Staatsaufbaus.

Konsequenz heute: Mit einfachem Gesetz können Kompetenzen auf die verschiedenen Verwaltungsebenen delegiert werden: auf die kommunale Ebene, die Ebene der Departements und die regionale Ebene; und, was noch interessanter ist, die verschie­denen Gebietskörperschaften können sich zusammenschließen, entweder innerhalb der gleichen Ebene – zwei Departements, mehrere Kommunen – oder ebenenüber­greifend. In Korsika zum Beispiel haben sich die beiden Departements und die Region zu einer einzigen Gebietskörperschaft für die Insel Korsika zusammengeschlossen.

Das alles ist jetzt sehr flexibel, es kann mit jeweils einfachen Mehrheiten und einfa­chem Gesetz sehr leicht umgesetzt werden. Es gab dann eine Reihe neuer Instrumen­te, um diese neue Vielfalt zu koordinieren: eine Territorialkonferenz, die die verschiede­nen Akteure auf der kommunalen Ebene, der Ebene der Departements und der regio­nalen Ebene und natürlich den Präfekten als Vertreter der nationalen Regierung zu­sammenbringt; sowie von allen Ebenen verbindlich zu erstellende Planungsdokumen­te – das hört sich ein bisschen nach den Siebzigerjahren oder nach Ostblock an, wird aber sehr stark genutzt; es gibt nur noch große Vorgaben durch die Zentralregierung –, die dann von den Regionen und den Departements mit viel Flexibilität umgesetzt wer­den.

Letzter Schritt – damit komme ich zum Schluss –: Macron versucht, diese Reform­schritte unter Hollande, an denen er ja schon beteiligt war – zunächst als Generalse­kretär im Élysée-Palast, dann als Wirtschaftsminister –, zu verallgemeinern und in der Verfassung zu generalisieren, sodass es jetzt ganz allgemein und dauerhaft ein Recht auf Differenzierung gibt, also form follows function. Es gibt Regionen, in denen das De­partement wichtig ist, weil es keine großen Metropolen gibt; dann bleibt das Departe­ment bestehen und erfüllt seine Aufgaben. In den Metropolregionen kann es einfach wegfallen, seine Aufgaben werden von den Metropolen übernommen.

Ganz interessant ist die letzte Entwicklung, und das ist mein Schlusswort: Macron hat gemerkt, dass es als Antwort auf diese größere Glaubwürdigkeitskrise der Republik nicht reicht, eine Verwaltungsreform zu machen, sondern es jetzt auch nötig ist, ein er­neuertes republikanisches und demokratisches Versprechen zu geben – so hat er das genannt. Dahinter verbirgt sich vor allem die Idee, Teilhabe über partizipative Instru­mente zu gewährleisten, die großen Infrastrukturentscheidungen basisdemokratisch begleiten zu lassen, aber ohne dass diese Bürgerversammlungen Entscheidungsbe­fugnisse hätten. – Vielen Dank.

Das war der Schnelldurchgang, Sie finden den Gesamttext in den schriftlichen Ausfüh­rungen. (Beifall.)

11.00


Vorsitzender Vizepräsident Hubert Koller, MA|: Herr Dr. Seidendorf, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Weiters darf ich Herrn Assistenzprofessor Dr. Mario Kölling von der Universität Uned um seinen Beitrag zum Thema „Spanien: Was unternimmt die Regierung gegen die Entleerung der Regionen?“ ersuchen. – Bitte, Herr Professor.


11.01.04

Ass.-Prof. Dr. Mario Kölling (Universidad Nacional de Educación a Distancia Madrid)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Abgeordnete! Damen und Herren! Herzlichen Glückwunsch zur Organisation dieser parlamentari­schen Enquete! Auch in Spanien steht das Thema Entvölkerung und demografischer Wandel neben vielen anderen Problemen ganz oben auf der politischen Agenda. Wie bereits vom Präsidenten erwähnt, bildet die Problemlage aber auch ein traditionelles Schlüsselproblem Spaniens: Seit Anfang der Sechzigerjahre begann ein Massenexo­dus von jungen arbeitsuchenden Menschen, die entweder als Immigranten in andere europäische Länder abwanderten oder aber in Form der internen Migration in die In­dustriezenten Bilbao, Barcelona, Madrid, Valencia oder die Provinzhauptstädte abwan­derten.

Diese interne Migration hatte erhebliche soziale und ökonomische Folgen – die man heute noch spürt –, sowohl für die Herkunfts- als auch für die Zielgebiete: Verlust an Humanressourcen, Überalterung, Verfall der Landwirtschaft in Kombination mit wach­sender Bodenerosion und Desertifikation. (Vizepräsident Brunner übernimmt den Vor­sitz.)

Seit 2008 sprechen wir aber von der zweiten Welle der Entleerung, die nun auch ver­stärkt die Provinzhauptstädte betrifft. Das innere Spanien, außer Madrid, hat von 2008 bis 2018 eine Viertelmillion Einwohner verloren. Während in der ersten Welle haupt­sächlich Landflucht aus Gemeinden von bis zu 1 000 Einwohnern stattfand, sind heute auch Städte von 20 000 bis 30 000 Einwohnern betroffen. Somit können wir heute auch schon über eine Stadtflucht sprechen. Dabei sprechen wir auch über eine Migra­tion vor allem von jungen Erwachsenen und dabei auch, wie im Fall von Österreich, von jungen Frauen.

Heute weisen rund 48 Prozent aller spanischen Gemeinden eine Bevölkerungsdichte von weniger als 12,5 Einwohnern pro Quadratkilometer auf. Markant ist die Situation aber im sogenannten spanischen Lappland. Dieses spanische Lappland erstreckt sich über eine Fläche von 86 000 Quadratkilometern, das sind 75 Prozent der Fläche Öster­reichs, und es erstreckt sich über mehrere Provinzen und autonome Gemeinschaften. In diesem Gebiet wohnen durchschnittlich weniger als acht Einwohner pro Quadratkilo­meter.

Seit den Achtzigerjahren kam es zudem zu einem tiefgreifenden demografischen Wan­del in Spanien. Neben den Wachstumsphasen aufgrund der Immigration zwischen den Jahren 2000 und 2012, in welchen die Bevölkerung Spaniens von 41 Millionen im Jahr 2001 auf 47 Millionen im Jahr 2012 angewachsen war, deuten die demografischen Prognosen nun auf einen ununterbrochenen Rückgang der Bevölkerung hin, mit einem Verlust von mehr als einer halben Million Menschen bis zum Jahr 2030.

Bereits im Jahr 2017 lag die Zahl der Geborenen unter der Zahl der im selben Jahr Verstorbenen. Der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung betrug 2018 20 Prozent. Infolge des demografischen Wandels hat sich natürlich in den letzten 20 Jahren auch die Anzahl der Rentenbezieher stetig erhöht, und Prognosen sagen einen Anstieg der Ausgaben für Pensionen von zurzeit 11 Prozent des Bruttoinlands­produkts auf 17,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2040 voraus. Von dieser Entwicklung sind die Regionen natürlich unterschiedlich betroffen.

In jüngster Zeit konnten vor allem Bürgerinitiativen wie Teruel Existe oder Soria Ya ihre Forderungen wirkungsvoll einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen, obwohl auch diese Plattformen bereits seit fast 30 Jahren existieren. Mit einem Protestmarsch in Madrid im März 2019 oder den fünf Schweigeminuten am vergangenen Freitag konnte die Bewegung auch europaweit Aufmerksamkeit erregen. Nun haben die Bürgerplatt­formen das Ziel, nach den kommenden Wahlen des spanischen Parlaments am 10. November als Partei in den Kongress einzuziehen, mit durchaus guten Erfolgsaus­sichten, da in den bevölkerungsarmen Provinzen wie Teruel nur 15 000 Stimmen not­wendig sind, um ein Mandat zu erreichen.

Wenn ich kurz auf die bisherigen Aktivitäten der Regierung eingehen darf: Neben der Zentralregierung haben wir natürlich auch einen dezentralen oder föderalen Staat Spa­nien, die autonomen Gemeinschaften, die umfassende Kompetenzen im Bereich der Raumordnung und der ökonomischen Entwicklung ihres Territoriums haben. Diese ha­ben sie bisher weniger stark oder sehr stark im Rahmen der autonomen Regionalpolitik ausgenutzt. Wichtige Elemente dieser Politik waren der Ausbau von Infrastruktur, finanzielle Hilfen für Klein- und Mittelbetriebe, die Förderung von Forschung oder Tech­nologie und Forschung durch die Gründung von Technologie- und Wissenschaftsparks. Auch haben alle autonomen Gemeinschaften, wie die Bundesländer, spezielle Agentu­ren für die Regionalentwicklung gegründet.

Spanien hat auch umfangreiche Hilfe aus den EU-Regionalfonds erhalten. Diese wur­den bisher allerdings nur indirekt als Maßnahmen gegen den Bevölkerungs- und de­mografischen Wandel eingesetzt. Im Rahmen der bereits angesprochenen Debatte um die Ausrichtung der EU-Regionalpolitik 2021 bis 2027 setzen daher die spanische Regierung und auch die Regierungen der autonomen Gemeinschaften auf Programme, die besonders auf die Entvölkerung beziehungsweise den demografischen Wandel abzielen. – Wie wir ja bereits gehört haben, kann die spanische Regierung dabei sicher auf europaweite Unterstützung hoffen.

Die Regierungen der autonomen Gemeinschaften, die besonders vom demografischen Wandel betroffen sind, haben bereits 2013 das Forum der Regionen, die vom demo­grafischen Wandel betroffen sind, gegründet und sogar parteiübergreifend – eine Be­sonderheit im spanischen Staat der autonomen Gemeinschaften – im Oktober 2018 eine Erklärung unterzeichnet, in der sie die Einbeziehung der demografischen Heraus­forderungen und der Entvölkerung als wichtige Bezugsgröße für die Definition des neu­en Finanzmodells der autonomen Gemeinschaften fordern.

Bereits der Regierung Rajoy wurde im Januar 2017 eine Kommissarin für die demogra­fische Herausforderung ernannt, ein nationaler Aktionsplan konnte allerdings nicht er­stellt werden. Schon im Jahr 2007 hat die Regierung Zapatero ein Gesetz zur nach­haltigen Entwicklung des ländlichen Raums auf den Weg gebracht, welches aber auf­grund der einsetzenden Wirtschafts- und Finanzkrise nicht umgesetzt werden konnte.

Die Regierung Sánchez hat das Problem der Entvölkerung bereits kurz nach der Amts­übernahme im Juni 2018 als Priorität und Querschnittsaufgabe benannt, und es wurde zur Koordinierung der Aktivitäten aller Ministerien und autonomen Gemeinschaften so­wie der lokalen Ebene eine nationale Strategie ausgearbeitet, die im März 2019 vom Ministerrat angenommen wurde. Diese Strategie konzentriert sich auf die Eckpunkte Entvölkerung, Alterung und Fluktuation der Bevölkerung. – Die einzelnen Punkte der Strategie habe ich in meinem Paper, das Sie in Ihren Ordnern finden können, darge­legt.

Nach der Bildung einer neuen Regierung in Spanien wird sich zeigen, ob die Debatte über die demografische Herausforderung und die Entvölkerung ein wahltaktisches Ma­növer war oder ob sich die Einsicht in die Ernsthaftigkeit der Lage in konkreten Aktivi­täten niederschlägt. Die Verantwortung liegt jedoch nicht nur bei der spanischen Re­gierung, auch die autonomen Gemeinschaften und die lokalen Gebietskörperschaften müssen Vorschläge bringen und Maßnahmen ergreifen, um dem Trend der Entvölke­rung, der lange Zeit als unumkehrbar galt, entgegenzuwirken.

Es wurde heute aber auch bereits deutlich, dass wir über ein europäisches Problem re­den, und als ein europäisches Problem braucht diese Situation auch eine europäische Lösung. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.10


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank für Ihre Aus­führungen.

Das Panel 2 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Bei­träge.

11.10.32Diskussion


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Wir gehen nun in die zweite Diskussion ein.

Ich darf auch an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche Sie, diese Vorgabe ein­zuhalten. Ich darf auch darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Rednerpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt.

Es besteht immer noch die Möglichkeit, sich am Präsidium zu Wort zu melden.

Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. – Bitte.


11.11.04

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark)|: Geschätzter Herr Präsident! Werte Referentin! Werte Referenten! Geschätzte Damen und Herren! Ich komme aus der Steiermark, aus der Landeshauptstadt Graz. Wir sind die größte Stadt Österreichs, denn Wien ist ja ein Bundesland und nebenbei Stadt. – Gönnen Sie mir diese kurze Freude!

Geschätzte Damen und Herren, Graz hat – ich durfte dem Grazer Gemeinderat einige Zeit angehören – natürlich auch Partnerstädte, 17 insgesamt, in Europa und darüber hinaus, etwa Vancouver, und wir haben natürlich nicht nur kulturelle Interessen abge­glichen, sondern auch all das, was die Bevölkerungsverschiebungen und -verände­rungen mit sich gebracht haben. Wir haben vor allem in Graz ein sehr breites Spektrum an Sprachen – in der Stadt befinden sich 123 verschiedene Nationalitäten in einem wunderbaren Einklang –, unsere – unter Anführungszeichen – „Hauptausländer“ kom­men aus der Bundesrepublik Deutschland, gefolgt von Kroatien, Bosnien Herzegowina, und erst weiter hinten findet sich die Türkei.

Was will ich damit zum Ausdruck bringen? Dass die Landeshauptstadt oder dass viele große Städte nicht unbedingt zur Ausdünnung der Regionen beitragen. Wir haben in Graz sogar das Gegenteil erreicht. Warum? Dazu hat natürlich auch die steiermärki­sche Landesregierung viel beigetragen. Wir haben vor einiger Zeit, 2010 bis 2015, als sehr verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker im Land diese Reformpartner­schaft gelebt und auch ausgeführt haben, von 17 Bezirken auf 13 Bezirke reduziert, verkleinert, wie auch immer. Das hat allerdings auch die Gemeinden betroffen: Wir hatten immerhin 544 Gemeinden, jetzt sind es 287. Natürlich bringt jede Veränderung auch einmal Ablehnung mit sich, es könnte ja sein, dass jemandem irgendetwas ab­handenkommt, möglicherweise sogar der Titel einer Bürgermeisterin oder eines Bür­germeisters, was natürlich auch der Fall war. Es sind dann allerdings Ortsbürgermeis­terinnen und Ortsbürgermeister eingesetzt worden.

Ich glaube, es ist schon auch wichtig, dass gerade auch Regionen fusioniert werden, das ist ja ein wesentlicher Beitrag, den wir jetzt auch von den Referenten hier gehört haben. Herr Dr. Seidendorf hat in seinen Unterlagen ja diese Fusionierung der Regio­nen in Frankreich beschrieben, wo das ja auch stattgefunden hat. Jetzt weiß ich nicht, haben die Franzosen das der Steiermark abgeschaut oder umgekehrt, ich glaube, es war vielleicht eher das Erstere der Fall.

Auf alle Fälle ist die Vielfalt der Regionen ein sehr wesentlicher Punkt, und gerade auch die Regionalisierung vor Ort ist ein wichtiger Teil, der auch mit der Topographie zusammenhängt. Ich kann natürlich in erster Linie nur dort Wintersport betreiben, wo es auch regelmäßig Schnee gibt, das ist bei uns in Schladming, in der oberen Region der Fall. Und ich habe halt in der Südsteiermark die wunderbare Weinlandschaft, die steirische Toskana, die viel schöner ist als die wirkliche Toskana, wo es eben weniger Schnee, dafür aber wunderbare andere Dinge gibt. Gerade diese Vielfalt und deren Stärkung und Schärfung ist da ein wesentlicher Punkt, auch in Zusammenarbeit mit dem großen europäischen Raum. Ich denke da an die vielen steierischen Betriebe, die das leben.

Da heute so viele Damen anwesend sind: Speziell der süße Bereich ist ein gutes Bei­spiel. Zotter-Schokolade – ohne jetzt Werbung gemacht zu haben, mir ist der Name zu­fällig herausgerutscht – ist mittlerweile mit seinen Produkten aus Riegersburg in ganz Österreich und Europa und sogar darüber weiter hinaus bis nach Shanghai entspre­chend präsent. Das ist auch wichtig, das ist auch ein Beitrag dazu, dass das Geld auf­grund der Umwegrentabilität wieder in die Region zurückkehrt.

Paul Watzlawick hat so wunderbar gemeint, wer sich selbst nicht mag, kann andere nicht ausstehen. Ich möchte das auf die Regionen und auf die Gemeinden umlenken: Wenn eine Gemeinde, eine Region sich selbst nicht mag – ja, wer soll sie dann mö­gen? – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.15


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank für die steiri­sche Werbeeinschaltung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Peter Raggl. – Bitte.


11.15.37

Bundesrat Dr. Peter Raggl (ÖVP, Tirol)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen! Liebe Fachleute! Ich darf jetzt am Anfang – das nehme ich mir als Tiroler heraus – zuerst einen Dank an Präsident Karl Bader richten, dass er dieses so wichtige Thema aufgegriffen hat, und ich darf auch schon ankündigen, dass wir uns committet haben, dieses Thema in den folgenden Präsident­schaften auch noch zu vertiefen, da es uns im Bundesrat ein sehr großes Anliegen ist.

Ich darf an dieser Stelle auch einen Dank an den Initiator des Masterplans für den ländlichen Raum richten, den damaligen Minister Andrä Rupprechter, der dazu ganz wichtige Impulse gegeben hat. Als Tiroler weiß ich auch, dass da ein wichtiges Institut im Hintergrund gestanden ist, das seinen Sitz in Tirol hat, es ist das Institut für Föde­ralismus, und da möchte ich meinen Dank an den Leiter Professor Peter Bußjäger und an den ehemaligen Bundesratspräsidenten Georg Keuschnigg richten: Vielen Dank für eure so wichtige Basisarbeit! (Beifall.)

Zu meinem Heimatbundesland Tirol: Natürlich gibt es auch in meinem Heimatbundes­land ein Stadt-Land-Gefälle, vielleicht in einer wesentlich abgefederteren Form als es hier sehr dramatisch für andere Nationalstaaten beschrieben wurde. Ich sage auch gleich die Begründung dazu – aus meiner Sicht –: weil wir in meinem Bundesland eine funktionierende Landwirtschaft in den ländlichen Räumen haben, aber auch – vielleicht mindestens so wichtig –, weil wir einen sehr starken Tourismus haben.

Eine weitere Begründung dafür, dass das Stadt-Land-Gefälle in meinem Bundesland nicht so stark ist, ist, dass mein Bundesland schon sehr früh angefangen hat, Len­kungsmaßnahmen zu setzen – ob das die Breitbandoffensive war, die bei uns schon sehr früh gestartet ist, ob es Dezentralisierungen von ganz wichtigen Bildungseinrich­tungen waren oder ob es Lenkungsmaßnahmen sind, die durchaus überraschende Ergebnisse bringen.

Heute lese ich in der „Tiroler Tageszeitung“, dass die Landeshauptstadt Innsbruck das erste Mal seit 2002 schrumpft. Es sind zwar nur 300 Einwohner, aber trotzdem ist das sehr beachtlich, und es wurde von den Statistikern auch die Begründung dafür ge­liefert: Die Landeshauptstadt Innsbruck schrumpft, weil die Landeshauptstadt mutig war und gesagt hat, die Voraussetzung für den Erhalt der Mietzinsbeihilfe wird auf drei Jahre Anwartschaft angehoben. Man muss also drei Jahre in der Stadt wohnen, um Mietzinsbeihilfe zu bekommen, und damit ist es gelungen, dass die Studenten sich be­mühen – denn es werden vor allem die Studenten weniger –, in der Peripherie günsti­gere Wohnungen zu bekommen. Dies wirkt gepaart mit der weiteren Maßnahme: In Ti­rol gibt es ein sehr günstiges Öffiticket, und die Studenten können daher sehr leicht in unsere Landeshauptstadt einpendeln. Damit gibt es vielleicht ein bissl mehr Wohn­raum – einen sehr teuren, aber vielleicht findet man da irgendwo eine Obergrenze, da­mit sich die Wohnkosten für die Bevölkerung, die tatsächlich in der Stadt wohnt, in Grenzen halten.

Abschließend darf ich als Landwirtschaftsvertreter noch etwas anbringen: Die ländli­chen Räume genießen in meinem Bundesland und, wie ich glaube, insgesamt in Öster­reich eine sehr hohe Attraktivität. Meine Begründung dafür ist, dass vor allem unsere ländlichen Räume von fleißigen Bäuerinnen und Bauern Gott sei Dank nach wie vor so liebevoll gepflegt werden, sodass wir eine schöne Kulturlandschaft haben. Meine Bitte und meine Forderung ist daher: Im Förderungsprogramm ab 2021 – es ist angespro­chen worden – darf es im Sinne der Landwirtschaft zu keinen Kürzungen kommen, denn sonst gräbt man sich selbst die Basis, die Grundlage für gesunde ländliche Räu­me ab. – Danke schön. (Beifall.)

11.19


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Dipl.-Ing. Maria Burgstaller von der Bundesar­beitskammer. – Bitte.


11.20.16

Dipl.-Ing. Maria Burgstaller (Bundesarbeitskammer)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzen­der! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Vielen Dank für die Möglich­keit, einen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten. Ich möchte mich in meinem Rede­beitrag auf das Programm für den ländlichen Raum konzentrieren. Dieses Programm ist heute schon mehrmals erwähnt worden; es ist auch vielen Bundesräten bekannt, wiewohl ich denke, es wäre notwendig, mehr Details zu kennen. Lassen Sie mich zu­vor noch ein paar Anmerkungen zu bereits getätigten Äußerungen anbringen!

Nicht Stadt gegen Land, sondern gemeinsam!, ist gesagt worden. Wenn man auf die Details in der Diskussion hört, ist es nicht immer so gemeinsam, wie das offiziell gesagt wird. Ich denke aber, nur das gemeinsame Entwickeln von Stadt und Land macht Sinn, denn Stadt und Land sind voneinander abhängig.

Ein Zweites: Es gibt nicht den ländlichen Raum. Auch das ist schon mit Zahlen und Fakten belegt worden, sondern es gibt ländliche Räume, die sich unterschiedlich entwickelt und teilweise sogar besser entwickelt haben als städtische Räume, wie auch die erwähnte Studie gezeigt hat. Einzelne ländliche Räume in Österreich wachsen stär­ker als die städtischen.

Ich möchte meine Ausführungen auf das Programm für den ländlichen Raum be­schränken, weil es so enorm wichtig ist. Es ist ein EU-Programm, das alle EU-Länder in Anspruch nehmen können und Österreich besonders stark dotiert hat. Die Hälfte des Geldes kommt aus dem EU-Budget, die andere Hälfte kommt aus nationalen Budgets, und zwar zu 60 Prozent vom Bund und zu 40 Prozent von den Ländern. In diesem Pro­gramm liegt ein ungeheuer großes Potenzial für eine Dezentralisierung der Mitbestim­mung. Es gibt Maßnahmen, die jetzt schon möglich sind und bei denen die Länder sehr, sehr stark mitsprechen können, das ist Leader und das sind – und die liegen uns besonders am Herzen – die sozialen Dienstleistungen.

Soziale Dienstleistungen sind, um sich da Genaueres vorstellen zu können, Investitio­nen in Kinderbetreuung – extrem wichtig, wichtiger als Schokoladefabriken –, psycho­soziale Einrichtungen, Einrichtungen der Pflege – ganz wichtig; wir haben gehört, al­ternde Bevölkerung gibt es auch am Land – und auch Beiträge zur Mobilität.

Diese Maßnahmen sind extrem wichtig. Es ist wichtig, dass diese Gelder von der EU abgeholt werden. Sehr wichtig ist vor allem – mein Vorredner ist Landwirtschaftsver­treter –, enorm wichtig ist, dass wir den ländlichen Raum nicht nur als Landwirtschaft sehen. Seit dem EU-Beitritt sind in der Landwirtschaft 72 000 Vollarbeitsplätze verloren gegangen. Das heißt, auch Bauernfamilien und deren Nachkommen brauchen Be­schäftigung, brauchen Infrastruktur, brauchen soziale Pflege und so weiter. Also nut­zen wir die Chancen! Mein Appell an den Bundesrat ist: Tun Sie mit bei der Entwick­lung des neuen Programms ab 2020! – Vielen Dank. (Beifall.)

11.23


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank.

Es liegen keine Wortmeldungen dazu mehr vor. Ich schließe daher die Debatte.

11.23.55V. Panel 3 – Handlungsbedarf in Österreich


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Wir kommen zu Panel 3, den Referaten zum Thema Handlungsbedarf in Österreich.

Ich ersuche wieder die Referenten, ihren Beitrag vom Rednerpult aus abzugeben und die Zeit von 5 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.

Zu Beginn darf ich Herrn Dipl.-Ing. Helmut Hiess, Ingenieurkonsulent für Raumplanung und Raumforschung bei Rosinak & Partner, um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Di­plom-Ingenieur.


11.24.20

Dipl.-Ing. Helmut Hiess (Rosinak & Partner ZT GmbH)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich herzlich für die Einladung bedan­ken, eine Expertensicht zu diesem wichtigen Thema einzubringen. Ich schließe mit meinem Statement an die Ausführungen von Frau Sektionsleiterin Rauch-Keschmann an, ohne dass wir uns vorher abgestimmt hätten. Ich habe meinem Statement die Überschrift gegeben: Die regionale Handlungsebene ist der Schlüssel für eine zu­kunftsfähige Gestaltung des ländlichen Raumes. Dafür braucht es eine erfolgreiche de­zentrale Konzentration.

Ich plädiere für eine Präzisierung des Begriffs Dezentralisation in dezentrale Konzen­tration. Warum? – Das wurde schon ausführlich erläutert. Alle politischen Bezirke au­ßer den Städten sind in Österreich vom Bevölkerungsrückgang betroffen. Etwa 40 Pro­zent der Gemeinden weisen einen Bevölkerungsrückgang auf. Hauptgrund für den Bevölkerungsrückgang ist aber nicht mehr, wie oft angenommen, die Abwanderung, sondern eine negative Geburtenbilanz, zumindest auf regionaler Ebene. Ich habe jetzt nur die Zahlen für 2015, aber da hatte nur mehr eine Region mit Bevölkerungsrück­gang eine negative Wanderungsbilanz, aber alle Regionen außer einer hatten eine ne­gative Geburtenbilanz.

Natürlich gibt es im ländlichen Raum viele kleinere Regionen und Gemeinden, in denen sich negative Geburten- und Wanderungsbilanzen überlagern. Die Zahlen ha­ben Sie ja vorhin vom Kollegen von der Statistik Austria präsentiert bekommen. Den­noch denke ich, dass es in den ländlichen Regionen nicht mehr so sehr darum geht, Abwanderung zu verhindern, sondern Zuwanderung, vor allem aber Rückwanderung zu unterstützen – Rückwanderung von denen, die aus Ausbildungsgründen abgewan­dert sind, was ja an sich etwas Positives ist. Die gilt es, zur Rückwanderung zu bewe­gen und sie dabei zu unterstützen.

Es geht aber auch um Zuwanderung von Personen, die auf den regionalen, ländlichen Arbeitsmärkten dringend gesucht werden, Facharbeiter in den Industrieregionen, Be­schäftigte im Tourismus und WissensarbeiterInnen in den regionalen Zentren. Die Rück- und ZuwanderInnen brauchen ein attraktives Lebensumfeld, das Qualitäten von Stadt und Land miteinander verknüpft. Dazu zählen attraktive Landschaft und intakte Natur – die ist meistens genau dort vorhanden –, aber auch, das wurde schon gesagt, ganztägige Kinderbetreuungseinrichtungen und Ausbildungsstätten, vielfältige Freizeit- und Kulturangebote, Mobilitätsmöglichkeiten auch unabhängig vom Pkw und attraktive Versorgung mit Einrichtungen der Daseinsvorsorge.

Gleichzeitig sehen wir, dass Dienstleistungen, die vom Markt erbracht werden, immer stärker konzentriert werden. Dabei wird die verbesserte Erreichbarkeit mit der Nutzung von Größenvorteilen kombiniert. Die stationären Einzelhandelsgeschäfte haben sich zwischen 2007 und 2017 um ein Fünftel verringert. Die Zahl der Lebensmittelgeschäfte ist seit 1960 von etwa 24 000 auf 5 500 zurückgegangen. Die Zahl der Poststellen hat sich seit 1989 von 3 500 auf 1 700 mehr als halbiert und die Zahl der Bankstellen hat seit 1991 um ein Viertel abgenommen.

Auch die öffentliche Hand gerät unter Druck. Die Qualitätsansprüche an die zu erbrin­genden Leistungen steigen, gleichzeitig wird ein effizienterer und sparsamer Einsatz von öffentlichen Geldern gefordert.

Welchen Ausweg aus diesem Dilemma gibt es aus meiner Sicht? – Die Erhaltung und Schaffung von attraktiven Wohn-, Arbeits- und Lebensstandorten im ländlichen Raum erfordert die Stärkung der regionalen und kleinregionalen Zentren. Die Kehrseite der Dezentralisierung ist daher Konzentration gepaart mit Erreichbarkeit auf regionaler Ebene. Dezentrale Konzentration kann nur gelingen, wenn eine gemeinsame regionale Sicht entwickelt werden kann, wenn Kooperation und regionale Zusammenarbeit er­folgreich etabliert werden. Es geht darum, einen fairen Ausgleich zwischen den Zen­tren und den Gemeinden herzustellen um Konkurrenzverhältnisse zu überwinden.

Dazu zählen zum Beispiel – das wurde schon öfters angesprochen – die Entwicklung interkommunaler Betriebsgebiete an den besten Standorten in der Region, die Entwick­lung von regionalen Qualitätsangeboten für Wohnen, Kultur und Freizeit mit einem in­terkommunalen Finanzausgleich und die gemeinsame Festlegung von attraktiven Kin­derbetreuungseinrichtungen und Schulstandorten.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Der Teufel steckt im Detail. Voraussetzung ist die Etablierung einer regionalen Handlungsebene, auf der das Zusammenspiel aller Akteure – Gemeinden, Kammern, NGOs, Land, Bund – organisiert und gemanagt wird, Vertrauen entstehen kann und Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Die re­gionale Handlungsebene ist aus meiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg für eine ge­glückte dezentrale Konzentration und eine Stärkung des ländlichen Raumes.

Die regionale Handlungsebene, das ist die Ebene zwischen dem Land und den Ge­meinden. Das ist eine Ebene, die in den österreichischen Bundesländern durchaus Tradition hat und schon entwickelt ist. Eine Unterstützung von Bundesseite würde je­denfalls dem Motto der Enquete zusätzlichen Rückenwind verschaffen. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

11.30


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank für Ihre Aus­führungen.

Ich darf nunmehr Herrn Landesrat Mag. Günther Steinkellner um seinen Beitrag bit­ten. – Bitte. Herr Landesrat.


11.30.50

Mag. Günther Steinkellner (Mitglied der Oberösterreichischen Landesregierung, FPÖ)|: Geschätzter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Experten! Sehr geschätzte Abgeordnete und Mitglieder des Bundesrates! Danke für die Einladung. Auch ich begebe mich kurz in die Vergangenheit; es freut mich als ehemaliger Klubdirektor, hier jetzt selbst als Re­ferent aufzutreten, war ich doch 1989 bis 1991 als Klubdirektor auch damit beschäftigt, Enqueten nicht in diesem Haus, sondern im anderen zu organisieren.

Ich bin kein Experte; ich betrachte mich als Betroffener. Das Land Oberösterreich in­vestiert jetzt in die Infrastruktur zur Erhaltung des Standards, den wir im öffentlichen Verkehr haben, gemeinsam mit dem Bund allein 725 Millionen Euro, damit wir zum Beispiel die Nebenbahnen – Mühlkreisbahn, Hausruckbahn, Almtalbahn – erhalten. Warum? – Weil sich der Bund mit dem heurigen Fahrplanwechsel daraus zurückgezo­gen hätte. Bis dato mussten die Länder keine Infrastrukturbeiträge leisten. Jetzt müs­sen wir als Land mitzahlen, um überhaupt den Zugverkehr aufrechtzuerhalten. Es ist kein Streitfall zwischen Stadt und Land, nein, es ist ein Problem zwischen Bundesfi­nanzen und Landesfinanzen. Wenn wir vom ländlichen Raum reden, von Ökologisie­rung und vom Klimaschutz und gleichzeitig den öffentlichen Verkehr befeuern, dann müssen Sie wissen, dass jeder zusätzliche Zug, den ein Land bestellt, zusätzliche Kos­ten beim Land verursacht, weil der Bund nicht mehr mitzahlt. Wir haben derzeit ein Verhältnis von 70 zu 30 Prozent, rund 70 Prozent zahlt aufgrund der früheren Gege­benheiten noch der Bund, 30 Prozent zahlen wir.

Das verändert sich mit jeder weiteren Bestellung. Solange wir von öffentlichem Ver­kehr, Infrastruktur und Arbeitsplätzen reden, aber die Länder gleichzeitig immer mehr unter finanziellen Druck geraten, weil sie für den Regionalverkehr, für die Regionen verantwortlich sind, wird es schwierig werden. Es wird nicht gehen, dass man sich mit den wirklich schwierigen Themen der Finanzierung und deren Aufteilung zwischen Bund und Ländern nicht wirklich auseinandersetzt. Meine Hoffnung bei jeder Verhand­lung über eine neue Regierung ist, dass wie mit dieser Enquete dankenswerterweise wieder zum richtigen Zeitpunkt an den Föderalismus und an die Nähe zu den Men­schen erinnert wird.

Umgekehrt sage ich aber auch, dass sich die Länder nicht fürchten dürfen, schwierige Aufgaben zu übernehmen. Nah am Menschen – ich frage bei meinen Sprechtagen die Bürgermeister immer, wer denn zum Beispiel für den Schülertransport der politisch Verantwortliche ist. Ich bekomme so gut wie nie eine Antwort. Ich sage es Ihnen: der­zeit Frau Bundeskanzlerin Bierlein. Warum? – Weil sie den Familienlastenausgleichs­fonds verwaltet und die Busbestellungen für die Schülertransporte über die Finanzäm­ter in den Ländern erfolgen. Wenn ein Kind nicht in die Schule transportiert wird, glau­ben Sie, dass irgendjemand dann zur Bundeskanzlerin oder zum Bundeskanzler geht? Die werden zuerst zum Bürgermeister gehen und danach natürlich zum Verkehrsrefe­renten des Landes oder zum Landeshauptmann gehen und sagen, dass das nicht funktioniert. Fair, aber auch sehr anstrengend und unangenehm wäre beispielsweise, diese Aufgabe tatsächlich den Ländern zu übertragen, weil sie damit Schülertransport und Linienverkehr gemeinsam planen könnten. Das geht natürlich nur dann, wenn die Strukturen, das Personal und natürlich auch die Finanzen dafür zur Verfügung gestellt werden.

Wenn wir Föderalismus leben wollen, müssen wir versuchen, eine umfassende Staats­reform dort anzusetzen, wo man sehr augenscheinlich erkennt, dass derartige Entwick­lungen hanebüchen sind. Man stelle sich vor: Politisch verantwortlich für den Schüler­transport in der Gemeinde Eberschwang im Innviertel ist jetzt die Bundeskanzlerin.

Wenn wir das Geld für die Infrastruktur in den ländlichen Räumen nicht zur Verfügung stellen, wird es uns nicht gelingen. Da gehören folgende Dinge dazu: Arbeitsplatz, Mo­bilität und damit die Infrastruktur. Wir haben im Innviertel besonders großartige Unter­nehmungen, FACC und KTM sind international bekannt. Sie befinden sich in Zuzugs­gemeinden im ländlichen Raum. Wir hinken dort mit der Infrastruktur hinterher und müssen sehr, sehr viel Geld investieren, sei es in Bahn oder auch Straße, um dort die Infrastruktur der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen.

Ohne Bundesfinanzierung in die Infrastruktur für den ländlichen Raum wird es eine akademische Diskussion bleiben. Die ländlichen Regionen werden es sich nicht leisten können, weil die Bundesländer selbst Probleme mit ihren Budgets haben. All diese Maßnahmen verschlingen enorme Summen, die wir derzeit nur ganz schwer stemmen können. Deswegen bitte ich alle, die in Zukunft Regierungsverhandlungen führen wer­den, auf diesen Umstand, auf Länderinteressen und auf den ländlichen Raum auch fi­nanziell Rücksicht zu nehmen. – Danke. (Beifall.)

11.36


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank, Herr Landes­rat.

Als Nächsten darf ich Herrn Universitätsprofessor Dr. Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte.


11.36.31

Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger (Institut für Föderalismus Innsbruck)|: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich beim Bundesrat dafür, dass er dieses Thema aufgegriffen hat. Es ist in allen Referaten heute klar geworden, dass es ein absolutes Zukunftsthema ist. Ich würde mir wünschen, dass der Bundesrat an diesem Thema dranbleibt. Ich bedanke mich natürlich auch für das freundliche Lob, das wir bekommen haben, möchte es aber zurückgeben. Ausgangspunkt der Dezentralisie­rungsdiskussion in Österreich war eine Studie des Instituts für Föderalismus aus dem Jahre 2015 „Der Bund und seine Dienststellen“. Diese Studie ist wesentlich von Gott­fried Kneifel initiiert, angeregt und von Georg Keuschnigg und meiner Wenigkeit ausge­arbeitet worden. Das war sozusagen die Initialzündung. Das Thema ist also vom Bun­desrat ausgegangen, wenn man das so sagen will, und es ist schön, dass es jetzt hier erörtert wird. Es müssen dann allerdings auch konkrete Schritte gesetzt werden.

Vielleicht noch kurz: Das Thema Dezentralisierung oder Dekonzentration, wie immer man das auch bezeichnen will, ist an sich ein alter und neuer Trend. Alt insoweit, als wir wissen, dass andere Staaten in einem viel stärkeren Ausmaß als wir gesamtstaat­liche Einrichtungen territorial verteilt haben. Denken Sie an die Schweiz und Deutsch­land! Da ist es für einen Juristen wie mich immer ganz interessant zu hören, dass man, wenn man von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts spricht, sagt, dass Karls­ruhe gesprochen hat, oder in der Schweiz bei einem Urteil des Bundesgerichts, dass Lausanne gesprochen hat. Da bemerkt man dann eine ausgewogenere Verteilung.

Es ist aber auch ein neuer Trend. Gegenwärtig verlagern die nordischen Staaten Stel­len in periphere Regionen, Bayern tut das, Hessen tut das. Es geschieht also einiges. Das hat damit zu tun, dass wir gegenwärtig mit zwei Megatrends konfrontiert sind. Der erste ist die Digitalisierung. Sie ist unausweichlich, und Digitalisierung ist für sich ge­nommen zunächst einmal neutral. Faktisch hat die Digitalisierung bisher in Österreich eher zu einer Zentralisierung geführt. Daran kommen wir nicht vorbei. Denken Sie an die Reform, an die Neugestaltung der Abgabenverwaltung! Da habe ich als Verwal­tungswissenschafter großes Verständnis dafür, dass man aus einer Vielzahl gesonder­ter Stellen einen Apparat mit Regionalstellen macht. Das ist schon okay. Das Problem, das daraus resultiert, ist dann aber, dass die qualifizierten Funktionen, die Leitungs­funktionen in die Zentrale abwandern und dass vor Ort keine Ansprechpartner mit Ent­scheidungskompetenz mehr vorhanden sind. Das ist das große Problem! Die regionale Wirtschaft ist zum Beispiel bei einer Großbetriebsprüfung sehr wohl auf diese An­sprechpartner angewiesen. Es wird eine Herausforderung sein, dies auch in Zukunft zu gewährleisten.

Digitalisierung kann uns aber auch helfen, Dienststellen zu verlagern, ohne dass ir­gendwelche Nachteile eintreten beziehungsweise so, dass die Nachteile, die beim He­rausreißen aus einem bestimmten Zusammenhang auftreten, gering gehalten werden. Das ist die Chance der Digitalisierung und die müssen wir nützen.

Der zweite Megatrend in der Verwaltung ist die Spezialisierung. Die Verwaltungsein­richtungen müssen sich immer mehr spezialisieren. Eine Antwort darauf ist – das ha­ben wir heute schon gehört – die Zusammenführung von Verwaltungsapparaten bezie­hungsweise von Bezirken. Dazu gibt es aber auch Alternativen. Niederösterreich ist den Weg der sogenannten Schwerpunkt-Bezirkshauptmannschaften gegangen. Dort werden regionale Kompetenzen gebündelt und es können Standorte erhalten werden. Das finde ich sehr wichtig und ich glaube, dass wir diesen Schritt stärker gehen müs­sen.

Ein weiterer Punkt, den wir für Österreich noch beachten müssen, ist: Wir müssen die territoriale Verlagerung von Verwaltungseinrichtungen in periphere Regionen von dem Umstand auseinanderhalten, dass wir nach Möglichkeit Dienststellen des Bundes, die wir bereits in den Regionen angesiedelt haben, in die allgemeine staatliche Verwaltung nach Maßgabe der sachlichen Zusammenhänge eingliedern.

Die Wildbach- und Lawinenverbauung gehört meines Erachtens in die allgemeine staatliche Verwaltung der Bezirksverwaltungsbehörden und der Ämter der Landesre­gierung eingegliedert, denn es hat keinen Sinn, wenn die eine Stelle sozusagen den Wildbach bearbeitet und die andere Stelle die Flussbauverwaltung macht. Das muss zusammengeführt werden, um Synergien zu erzielen.

Das sind aus meiner Sicht die wesentlichen Handlungsempfehlungen, dass wir nämlich einerseits bei der Verlagerung von Dienststellen die Chancen der Digitalisierung nüt­zen, andererseits auch schauen, dass wir Aufgaben der Verwaltung zusammenführen, nämlich nach Maßgabe der sachlichen Zusammenhänge.

Zu guter Letzt noch die Bemerkung – das wurde ja schon gesagt –: In unserer Studie haben wir vorgeschlagen, 3 500 Stellen sozusagen auszugliedern, in die Regionen zu verlagern, und das ist ein Wert, der meines Erachtens realistisch ist. Da sind, wie schon gesagt worden ist, auch die Länder gefordert. Dazu habe ich gestern gelesen, dass das Land Salzburg 200 Dienststellen in die Regionen verlagern will. Beispiels­weise wird die Gemeindeaufsicht nach Hallein verlagert, habe ich gelesen. Auch das halte ich für einen sehr wichtigen Ansatz. Das zeigt, dass die Länder hier eine Vorbild­funktion übernehmen. Das sollte auch der Bund machen können. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

11.43


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank für die Aus­führungen.

Als Nächsten darf ich Herrn Mag. Alfred Riedl, Präsident des Österreichischen Ge­meindebundes, um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Präsident.


11.43.30

KommR Mag. Alfred Riedl (Österreichischer Gemeindebund)|: Meine sehr geehrten Damen und Herren Präsidenten, Abgeordnete und Experten! Danke für die Einladung, auch hier einen Beitrag leisten zu dürfen. Handlungsbedarf und 5 Minuten für einen Kommunalvertreter, das ist eine beachtliche Herausforderung.

Die Städte und Gemeinden sorgen für die Lebenswelten unserer Landsleute. 40 000 Ge­meindevertreterinnen und Gemeindevertreter sind wohl am nächsten bei den Men­schen. Sie sind es auch gewohnt, Ausfallhaftungen für jene gut gemeinten Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften zu übernehmen, für die dann halt keine Bede­ckung oder keine – unter Anführungszeichen – „Unterstützung“ auf der lokalen Ausfüh­rungsverantwortung gebracht wird.

Gestatten Sie mir daher, drei Handlungsbedürfnisse zu formulieren! Erstens: Infrastruk­tur. Egal, wie wir das jetzt meinen, ob soziale Infrastruktur, Kinderbetreuung, Pflege, ob im eigentlichen Sinn, im ursprünglichen Sinn, Dateninfrastruktur – ja, das ist der Motor für Prosperität und Wachstum. Wenn wir es nicht flächendeckend zusammenbringen, werden die digitale Schule, das Digitale Amt und so weiter einfach nicht stattfinden. Wir reden hier nicht von einer Milliarde Euro oder paar Hundert Millionen Euro zur Un­terstützung, sondern wir reden von einem Investment in der Höhe von 10 Milliarden Euro, um das auf die Reihe zu bekommen.

Wir reden auch von der Rosinenpickerei. Was ist Tatsache? – Dass wir die Gunstlagen dem Markt überlassen haben und dass sich in Wahrheit die Unternehmungen gegen­seitig kannibalisiert haben, Infrastruktur gebaut haben, dass also die wirtschaftlich prosperierenden Räume Infrastruktur vom Markt bekommen haben und dass die schwierigen Lagen, die Ungunstlagen jetzt eigenes Geld in die Hand nehmen müssen oder sollten, um am Ende Chancengleichheit zu erarbeiten.

Das ist nicht fair; das ist nicht das, was wir uns als Kommunalvertreter vorstellen. Es sei auch angemerkt, dass wir das alles, was wir jetzt haben, nicht zusammengebracht hätten, wenn wir vor 50 Jahren beim Strom, beim Kanal oder bei der Siedlungswasser­wirtschaft anders gehandelt hätten.

Hier war es ganz selbstverständlich, dass wir eine chancengleiche Infrastruktur in allen Räumen gleichwertig brauchen und dass wir daher die notwendige Unterstützung dort gegeben haben, wo es von selbst nicht möglich war. Das heißt für mich Strukturfonds für den Ausbau und die Sanierung von Infrastruktur.

Die finanzielle Benachteiligung des ländlichen Raums bei der Finanzierung des öffent­lichen Nahverkehrs wurde schon angesprochen. Das ist ein Thema für uns, das wird ein Thema bleiben und das wird immer ein Forderung sein.

Planungssicherheit als zweites Thema: Planungssicherheit heißt für mich mit Sicher­heit nicht Anschubfinanzierung. Das ist für uns ein Unwort geworden. Vielfach – unter Anführungszeichen – sind „gut gemeinte“ Ratschläge mit der Anschubfinanzierung ver­bunden.

Es bedeutet aber auch für uns in der Planungssicherheit, dass wir die verfassungswid­rige Übertragung von Aufgaben nicht mehr akzeptieren können. Wenn wir über Bil­dung – eine ganz wichtige Thematik – reden, dann reden wir nicht nur über die 300 oder 400 Bildungseinrichtungen des Bundes, sondern über das Zehnfache, näm­lich über die Grundschule, die Sekundarstufe, die Kinderbetreuung und die Kindergär­ten.

Wenn wir dort über die Notwendigkeiten, über die besonderen Bedürfnisse mancher Kinder, über Stützkräfte, über Sozialarbeiter diskutieren, dann kann das nicht Aufgabe der Gemeinden beziehungsweise der Finanzierungsverpflichtung der Gemeinden sein, wie es derzeit dargestellt wird. Daher gilt es, auch in dieser Frage Planungssicherheit in der Neuordnung der Kompetenzen herzustellen.

Wir haben als Gemeindebund das Thema Deregulierung angesprochen, haben ver­sucht, ganz einfache Handlungsanleitungen anhand konkreter Fälle zu geben und dür­fen das der nächsten Bundesregierung übergeben. Da geht es um Leer- und Mehr­fachmeldungen, da geht es um die Unmöglichkeit der Kooperation. Da ich Herrn Minis­terialrat Matzinger hier sehe, sei erwähnt: Die Unmöglichkeit der Kooperation durch steuerliche Mehrbelastung ist ein Thema, und ich verstehe nicht, warum wir das nicht endlich sozusagen mobilisieren und unterstützen, sodass die gemeindeübergreifende gemeinsame Kooperation leichter möglich wird.

Der nächste Punkt für mich ist die Vertragsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung dort, wo es Mitfinanzierungsverantwortungen gibt; denn ich glaube, dass es gut ist, wenn wir dort, wo wir Ausführungsverpflichtungen, Finanzierungsverantwortung haben, von Anfang an unsere Interessen bei der Vorbereitung der Gesetzesbeschlüsse ein­bringen können.

Ich sehe da auf allen gesetzgebenden Ebenen Handlungsbedarf, so wie es Herr Rudolf Hermann gemeint hat. Bei zentraler Entscheidungsvorbereitung besteht nämlich die Gefahr, dass aus einer urbanen Blase entschieden wird und die dann die Interessen der Räume nicht gleichwertig, nicht dem Prinzip der Chancengleichheit entsprechend, berücksichtigt.

So möchte ich, meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht erleben, dass es uns wie den deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten geht. Die führen nämlich heftige Debatten untereinander, ja ich hätte fast gemeint, Krieg; denn die einen wollen dassel­be wie wir, nämlich Chancengleichheit und Chancen für alle Räume, während die Wirt­schaftsforschungsinstitute in ländlichen Räumen gleichzeitig Diskussionsbeiträge über Entflechtung oder Abwanderung vorbereiten.

In diesem Sinne Danke für diese Enquete! Danke für die Möglichkeit, auch unsere Wünsche und unsere Vorstellungen einzubringen! (Beifall.)

11.49


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank, Herr Präsi­dent Riedl.

Zuletzt darf ich Herrn Kommerzialrat Erich Valentin als Vertreter des Österreichischen Städtebundes um seinen Beitrag bitten. – Bitte.


11.49.37

KommR Erich Valentin (Österreichischer Städtebund)|: Sehr geehrter Herr Vorsitzen­der! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir lange die Frage gestellt, von welcher Seite ich es angehen soll, seit ich im „Kurier“ gelesen habe, worum es vor allem gehen soll. Lassen Sie mich aber vorweg, bevor ich dieses Geheimnis lüfte, et­was Grundsätzliches dazu sagen!

Wenn es Landflucht gibt, dann kann es Wien nicht wurscht sein, denn die Leute, die – unter Anführungszeichen – „fliehen“, gehen ja wo hin. Das sind meistens Leute, die ein Defizit verortet haben, vor dem sie fliehen; und das, was ihnen im ländlichen Raum fehlt, finden sie eben im Ballungsraum, in den sie „hingeflohen“ sind. Wien hat ein massives Interesse daran, dass es keine Landflucht gibt und dass der ländliche Raum ein gesunder Raum ist; das lassen Sie mich vorweg einmal sagen.

Ich möchte aber davor warnen, die Hoffnungen in Sackgassen zu fokussieren. Da ich heute in der Früh gelesen habe: „Raus aus Wien“, Initiativantrag des Bundesrates für Bundesämter am Land“ – heute wird das vom Herrn Präsidenten präsentiert –, möchte ich etwas Grundsätzliches sagen: Wir feiern gemeinsam, oder auch nicht, wir begehen jedenfalls am 24. Oktober ein Jubiläum. An diesem Tag vor zwei Jahren haben der da­malige Bundesminister Rupprechter und Frau Landeshauptfrau Mikl-Leitner verkündet, dass das Umweltbundesamt in den ländlichen Raum, nämlich nach Klosterneuburg, übersiedeln wird.

Seitdem ist für mich der ländliche Raum ein diskussionswürdiger Faktor geworden, der bis zum heutigen Tag nicht rasend aufgeklärt worden ist. Das letzte Mal, als ich einen Freund in Klosterneuburg besucht habe, habe ich festgestellt, dass es dort nicht an­ders ausschaut als in Wien. Ein sehr ländlicher Raum kann es also zumindest optisch nicht sein.

Jetzt wird sehr viel auf Wissenschaft reflektiert, und ich glaube, Politik sollte nicht Fehler immer wieder perpetuieren. Wir sind ja als Homo sapiens lernfähig. Deshalb möchte ich mich auf etwas konzentrieren, das nicht ich, nicht Wien, nicht irgendeine österreichische Stelle gesagt hat, sondern diejenigen, die sich mit Umsiedelung von Bundesämtern beschäftigt haben, nämlich die deutschen Freunde, die ja aufgrund der Geschichte, nicht etwa weil sie so viel umsiedeln wollten, nach dem Mauerfall eine ge­wisse Notwendigkeit hatten, Bundesdienststellen zu übersiedeln.

Die warnen und sagen Folgendes – ich verkürze das Ganze –: „Um strukturschwache Regionen zu stärken, wird häufig in Erwägung gezogen, dort öffentliche Behörden an­zusiedeln. [...] Nachfrageeffekt der öffentlichen Hand [...]. Während die Erwartungen der Öffentlichkeit hoch sind, ist die empirische Evidenz für positive Beschäftigungsef­fekte allerdings nur spärlich vorhanden.“

Sie führen weiter aus, dass es eine Verlagerung vom produzierenden Bereich zum Dienstleistungsbereich gibt – weil die Produktion normalerweise schlechter bezahlt wird –, und dann der produzierende Bereich verkümmert. Die Wissenschafter vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München, auf deren Artikel ich mich hier beziehe, warnen – mit Verweis auf Lyons Review – davor, bestehende Einrichtungen zu übersiedeln, weil es dann einen Abfall von Leistungsträgern gibt: Die­jenigen, die dort arbeiten, wollen nicht mitziehen, was zu einer Ausdünnung der Kom­petenz der Republik beziehungsweise der staatlichen Stellen führt.

Die genannten Wissenschafter warnen explizit davor, sagen aber auch – und das ist das Versöhnliche, damit der Vertreter aus Wien nicht nur die schlechten Nachrichten bringt – Folgendes: Wenn es neue Bundesdienststellen gibt, sollte man das sehr wohl als Ausgleich massiv in Erwägung ziehen, weil man dann grundsätzlich neue Struk­turen schafft.

Ich bin sehr dafür – und da kann ich dem Herrn Landesrat aus Oberösterreich nur zustimmen –, dass es um Infrastruktur geht. Ich habe mir ausgehoben, was es kosten würde, wenn man tatsächlich das Umweltbundesamt in der Form, wie man es jetzt vorhat, verlagern würde. Das sind rund 60 Millionen Euro allein an Übersiedlungs- und Neuadaptierungskosten und die Betriebskosten würden um 1 Million im Jahr steigen. Wenn ich das in eine Region hineinprojiziere, und viele von Ihnen haben wesentlich mehr Ahnung als ich, was Infrastrukturinvestitionen kosten, da kann man schon einiges bewegen.

Deshalb mein Plädoyer zum heutigen Tag: Ja, man muss alles Erdenkliche tun, um Landflucht zu verhindern. Es ist wichtig, dass strukturschwache Regionen Unterstüt­zung bekommen, damit man neue Schwerpunkte setzen kann. Man muss es aber ef­fizient tun. Lassen Sie uns alte Stärken der Republik nicht durch Umzüge schwächen, aber sehr wohl neue Stärken aufbauen! Das ist mein Plädoyer. (Beifall.)

11.54


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank für Ihre Aus­führungen.

Das Panel 3 ist somit abgeschlossen. Ich bedanke mich bei allen für ihre Beiträge.

11.54.29VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Wir gelangen nunmehr zu den Stellungnahmen der VertreterInnen der im Bundesrat vertretenen Fraktionen. Ich darf diese ersuchen, ihren Beitrag ebenfalls vom Rednerpult aus abzugeben und auch eine Redezeit von 5 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.

Als Erste darf ich die Fraktionsvorsitzende der ÖVP, Frau Dr. Andrea Eder-Gitsch­thaler, um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte.


11.54.52

Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP, Salzburg)|: Sehr geehrter Herr Prä­sident Bader! Sehr geehrte Expertinnen, Experten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab möchte ich mich bei dir, lieber Bundesrats­präsident Karl Bader, für die heutige Enquete und den gewählten Themenschwerpunkt in deiner Präsidentschaft ganz, ganz herzlich bedanken. Lieber Karl, du hast damit wieder Impulse gesetzt und hast, wie du ja an den Meinungen und Informationen von­seiten der Experten erkennst, ein wirkliches Zukunftsthema ausgewählt, und das ist nicht hoch genug einzuschätzen. Vielen, vielen Dank dafür, dass du dich in deiner Prä­sidentschaft für dieses Thema so stark einsetzt. (Beifall.)

Die Zukunft des ländlichen Raums ist eine der größten Herausforderungen, ein zentra­les Thema für die positive Entwicklung unseres Landes; und eben mit diesem Leitmotiv ländlicher Raum ist es uns im Bundesrat gelungen, einen wichtigen Schwerpunkt zu setzen, der, wie schon mein Kollege Peter Raggl gesagt hat, über dieses halbe Jahr hinweg fortgesetzt werden soll, nämlich sowohl in Oberösterreich als auch bei uns in Salzburg und dann auch weiter in Tirol.

Dieses Zukunftsthema geht uns alle an, dieses Thema Dezentralisierung und Digitali­sierung. Der ländliche Raum lebt von den Menschen, die sich für ihn starkmachen und engagieren. Wer, wenn nicht wir im Bundesrat als die Länderkammer sollen sich dafür einsetzen? Unsere Länder, unsere Regionen sind die Keimzellen des Miteinander für die Zukunft.

Zwei Drittel der Bevölkerung leben, wie wir heute schon gehört haben, im ländlichen Raum. Flächenmäßig sind es fast 90 Prozent des Staatsgebietes; und die demografi­sche Entwicklung in unserer Republik – auch das haben wir schon sehr eindrucksvoll gehört – ist von starker Landflucht gekennzeichnet. Wir restliche Bundesländer verlie­ren jährlich ungefähr 5 000 Menschen, und zwar gut ausgebildete Menschen, muss man sagen, an den Großraum Wien.

Wenn sich das weiter fortsetzt, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind das über 50 000 Menschen, und das ist natürlich ein bedeutender Braindrift. Auch in Spanien ist dieses Problem, wie wir gehört haben, sehr aktuell und dramatisch. Es betrifft also nicht nur uns, sondern den ganzen EU-Raum.

Diese Abwanderung – Frau Mag. Rauch-Keschmann hat das auch gesagt – speziell von jungen Frauen wirkt sich negativ auf das gesamte soziale und Wirtschaftsgefüge in diesem ländlichen Raum aus. Daher braucht es strategische Neuorientierung und am­bitionierte politische Schwerpunkte für die Zukunft des ländlichen Raums, um diesen Abwanderungsprozessen entgegenzuwirken.

Es geht, wie schon gesagt, nicht um ein Gegeneinander zwischen Stadt und Land, sondern es geht um ein konstruktives Miteinander, denn das ist ein Zukunftsthema für uns alle in unserem Österreich, und daher braucht es ein gegenseitiges Miteinander.

Es geht um mehr Fairness, um Chancengerechtigkeit für den ländlichen Raum. Es muss uns gelingen, diesen für junge Menschen durch aussichtsreiche Angebote und Perspektiven in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und Gemeinden – vielen Dank, Herr Präsident Riedl – attraktiv zu machen. Es braucht besondere Unterstützung für Betriebsansiedelungen, für landwirtschaftliche Betriebe und – auch das haben wir heute schon gehört – für attraktive Kinderbetreuung, für Schulen, für Ärzte. All das ist wichtig für den ländlichen Raum, das müssen wir erhalten.

Die öffentliche Hand muss mit gutem Beispiel vorangehen und Verwaltungstätigkeiten in den ländlichen Raum verlagern – Kollegin Neurauter hat das auch schon sehr ein­drucksvoll gesagt. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. In Österreich sind 65 von 68 Zentralstellen des Bundes, der Höchstgerichte und anderer Einrichtungen in Wien. Warum?, frage ich hier an dieser Stelle. Warum muss zum Beispiel die Seilbahnbehör­de in Wien sein und nicht in Salzburg oder in Tirol, wo ja die Seilbahnen sind?

Mein Bundesland – und darauf bin ich besonders stolz, und Herr Professor Bußjäger hat schon darauf hingewiesen – geht jetzt wirklich konkret einen anderen Weg. Wir ver­lagern in mehreren Etappen sechs Dienststellen von der Landeshauptstadt in die Be­zirke: Das Landesabgabenamt wird nach Tamsweg verlagert, die Landesforstdirektion nach Zell am See, die Gemeindeaufsicht und das Gemeindepersonal nach Hallein, Teile der Lebensmittelaufsicht nach Sankt Johann und die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung wird nach Seekirchen verlagert. Damit werden auch wieder at­traktive Arbeitsplätze inklusive Leiterfunktionen, auch das ist besonders wichtig, in die Bezirke verlagert. Telearbeit wird forciert und weiter ausgebaut.

Vielen Dank, Herr Landesamtsdirektor Dr. Sebastian Huber, du warst maßgeblich an dieser Reform beteiligt. Ich denke, wir können nicht hoch genug einschätzen, was da jetzt in Salzburg passiert, und womit wir die Bezirke entsprechend stärken.

Wir stärken damit auch das Ehrenamt – Kollegin Neurauter hat das schon gesagt –, weil wir Menschen wieder vor Ort haben, die dann für die Einsätze zum Beispiel der Feuerwehr greifbar sind. Daher mein Appell: Gehen wir gemeinsam den Weg! Schau­en wir – kein Bashing Stadt-Land, sondern miteinander –, wie wir diese Herausforde­rungen lösen können, denn es gilt: Dieser digitale Wandel ist in vollem Gang! Wir kön­nen ihn nützen, um den ländlichen Raum zu stärken. – Vielen Dank. (Beifall.)

12.00


Vorsitzender Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.|: Vielen Dank.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist die Fraktionsvorsitzende der SPÖ, Frau Korinna Schu­mann. – Bitte.


12.01.03

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft. – Chancen der Dezentralisierung“ ist das Thema der heutigen Enquete, initiiert vom Bundesratspräsidenten aus Niederösterreich, Karl Bader.

Als Österreicherinnen und Österreicher wissen wir, dass unsere Republik föderal ange­legt ist. Sie setzt sich aus den Bundesländern zusammen, deren Vertreterinnen und Vertreter wir, die Mitglieder des Bundesrates, in diesem Hohen Haus sein dürfen.

Als VertreterInnen der Länder kommt uns eine wichtige Rolle zu. Wir üben gemeinsam mit dem Nationalrat die Gesetzgebung aus, kontrollieren die Bundesregierung und ha­ben im Rahmen unserer Möglichkeiten die Chance, regionale Gegebenheiten und fö­deralistische Notwendigkeiten verstärkt zu betonen.

Denken wir an den Schutz vor der Privatisierung des Wassers, der aus der zweiten Kammer des Parlaments gekommen ist und heute Verfassungsrealität geworden ist! Denken wir an den juristisch relevanten Charakter, mit dem der Bundesrat Gesetze vor den Verfassungsgerichtshof bringen kann, um Menschen vor sozialpolitischem Kahl­schlag zu schützen, wie zum Beispiel beim höchst bedenklichen Sozialhilfe-Grundsatz­gesetz oder bei der Zerschlagung der Sozialversicherung.

Die sozialdemokratische Fraktion im Bundesrat wird auch die Verankerung einer In­vestitionsbremse in der Verfassung verhindern, da diese Form der Zukunftsbremse zum Schaden unseres Landes und vor allem zum Schaden der Städte und Gemeinden wäre.

In all diesen Bereichen ist der Bundesrat seiner Verantwortung im besten Sinne nach­gekommen. Insofern ist es vielleicht die spannendste Frage, wie man ihn weiter auf­werten könnte, damit er noch besser seine hauptsächliche Aufgabe, den Ausgleich in Österreich zu schaffen, erfüllen kann.

Als Sozialdemokratie stehen wir dafür ein, die großen Fragen wie Bildung, Gesundheit, Soziales oder Pensionen möglichst zentral zu organisieren. Österreich soll in diesen Fragen einen bundesweit einheitlichen, guten Standard haben. In der Umsetzung je­doch sind die spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Länder und der lokalen Standorte zentral, daher braucht es verstärkt Bemühungen, um eine bestmögliche Ver­sorgung in allen Bereichen des Lebens sicherzustellen.

In Artikel 5 unserer Bundesverfassung heißt es: „Bundeshauptstadt und Sitz der obers­ten Organe des Bundes ist Wien.“ Eine Dezentralisierungsdiskussion wäre völlig ver­fehlt, würde sie in ein Wienbashing ausarten. Unsere Landeshauptstädte sollen im glei­chen Ausmaß nicht geschwächt werden. Weshalb wir das so konkret betonen, ist der Umstand, dass es in der Vergangenheit immer wieder wenig erfolgreiche Vorstöße gab, Bundesdienststellen in die Länder zu verlegen. Das bereits zitierte Beispiel des Umweltbundesamtes sei wieder erwähnt, denn in diesem Vorhaben, eine Bundes­dienststelle ohne Not von Wien in das 3,3 Kilometer entfernte Klosterneuburg zu verle­gen, kann man die so notwendige Stärkung einer strukturschwachen Region eigentlich nicht erkennen.

Zentral muss immer die Frage gestellt werden, ob eine derartige Verlegung von Dienst­stellen auch für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragbar ist. Be­sonders beim Umweltbundesamt war lauter Widerstand der Kolleginnen und Kollegen zu hören.

Genauso bedarf es einer genauen Prüfung, ob eine Verlegung in das Bundesgebiet nicht auch Nachteile für die Anbindung an das Parlament, die Ministerien oder andere öffentliche oder private Institutionen, die in Wien angesiedelt sind, bedeutet.

Gleichzeitig sind immer die Folgekosten – auch im Sinne des Klimaschutzes – zu prü­fen. Bitte vergessen Sie zudem nicht, dass es in den Ländern doch schon jetzt ausge­zeichnete nachgeordnete Dienststellen des Bundes gibt, nämlich dort, wo sie für Ser­viceleistungen für die Menschen und Betriebe sorgen. Beispiele hierfür sind die Ar­beitsinspektion, das Sozialministeriumsservice, die Gerichte oder die Finanzämter.

Nicht übersehen werden darf aber auch der Umstand, dass eine große Zahl an Ge­setzen im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung, also durch Landesbehörden, vollzogen wird. Ebenso konnte seit 2014 durch die Einführung der Landesverwaltungs­gerichte auch die Gerichtsbarkeit als Aufgabe der Länder definiert werden.

Den Wunsch, die Regionen zu stärken, unterstützen wir Sozialdemokratinnen und So­zialdemokraten natürlich aus vollem Herzen. – Keine Frage! Umso weniger verstehen wir dann, dass bis zum heutigen Tage unter der Devise sparsamer Verwaltung von ÖVP und FPÖ Versuche unternommen wurden, Dienststellen im regionalen Bereich zusammenzuziehen und zu schließen. Das ist nicht unser Weg, weil wir wissen, dass das die Regionen schwächt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden dem nicht zustimmen, da wir überzeugt sind, dass eine solche Reform zu einer Aus­dünnung der Infrastruktur im ländlichen Raum führt.

Im Titel der Enquete steht „Nah an den Menschen“. Dabei muss uns klar sein, dass diese Formulierung strukturelle Fragestellungen, wie die Frage, welche Ebene den Menschen und ihren Bedürfnissen wirklich ideal dient, aufwerfen kann. Die Bevölke­rung erwartet sich völlig zu Recht die besten und leicht zugänglichen Serviceleistungen der öffentlichen Hand, und unsere Aufgabe ist es, diese sicherzustellen: Kinderbetreu­ung vor Ort, die Vollzeitarbeit ermöglicht, beste Pflege in einem vertrauten Umfeld. Nicht unerwähnt darf der Umstand bleiben, dass unter einem ÖVP geführten Innenmi­nisterium viele Polizeidienststellen geschlossen wurden, was zur Schwächung und zu Unsicherheit im ländlichen Raum geführt hat.

Ich darf auch zum zweiten Teil des Titels, „Bereit für die Zukunft“, Folgendes anmer­ken: Wenn die Möglichkeit geschaffen wird, Arbeitsplätze von MitarbeiterInnen nach ih­rem eigenen Wunsch in die Regionen zu bringen, dann ist dieses Vorhaben von meh­reren Seiten zu betrachten. Die Arbeit von einem Telearbeitsplatz aus ist grundsätzlich kein Problem mehr. Ich darf aber darauf hinweisen, dass in diesem Zusammenhang viele arbeitsrechtliche Fragen und ArbeitnehmerInnenschutzfragen noch nicht gesetz­lich geklärt sind.

In der Frage der Dezentralisierung möchte ich auch nicht auf die Tausenden Patien­tInnen vergessen, die seit dem Versprechen der ehemaligen Regierung, durch die Zu­sammenlegung der Krankenkassen mit einer Milliarde Euro für bessere Leistungen be­dacht zu werden, noch vergeblich darauf warten. Wir haben mehrfach darauf hinge­wiesen, dass dabei gut funktionierende Strukturen in den Ländern zerschlagen wurden und die Zentralisierung in dem Bereich mit verschiedenen Leistungskatalogen nicht günstiger, sondern teuer wird. Zudem ist es unweigerlich ein Schritt zur Zentralisierung der Kassenstruktur, also auch ein Abbau von Leistung, Infrastruktur und Arbeitsplätzen in den Ländern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo­kraten sind gerne bereit, über die weitgesteckte Thematik der Dezentralisierung und ih­rer Auswirkungen zu diskutieren. Sicher darf diese Diskussion aber nicht in einen einfa­chen konkurrenzgetriebenen Interessenstreit zwischen Land und Stadt abgleiten. Das Verbindende ist vor das Trennende zu stellen. Dafür ist auch der Bundesrat ausge­zeichnet. (Präsident Bader übernimmt den Vorsitz.)

Ich danke Ihnen, Herr Präsident, dass Sie im Rahmen Ihrer Präsidentschaft einen An­stoß gegeben haben, darüber zu diskutieren, und freue mich namens meiner Fraktion auf weitere konkrete Vorschläge, die wir gerne weiter behandeln. – Vielen Dank. (Bei­fall.)

12.08


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Sehr geehrte Frau Fraktionsvorsitzende, herzli­chen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat MMag. Dr. Michael Schilchegger als Vertreter der Fraktionsvorsitzenden der FPÖ zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.


12.09.05

Bundesrat MMag. Dr. Michael Schilchegger (FPÖ, Oberösterreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dezentralisierung kennt immer Ver­lierer und Gewinner, das ist bei jeder Reform und auch bei diesem Thema so. Wir ha­ben es im vorigen Redebeitrag kurz gehört: Wenn man sich überlegt, ob eine be­stimmte Behörde nunmehr in den Ländern angesiedelt sein wird, wird es immer zu Widerstand der betroffenen Mitarbeiter kommen. Es wird auch zu Widerstand vonsei­ten der Bundeshauptstadt, die natürlich diese Entwicklung verhindern möchte, kommen.

Wenn man diesen Weg beschreiten will, ist es, glaube ich, notwendig, einen Fahrplan zu machen, um insbesondere bei der Neuansiedlung von neuen Behörden und Dienst­stellen auch einmal Pilotprojekte zu starten und einfach einmal zu beginnen. Es ist ja auch nicht so, dass Städte wie St. Pölten oder Linz eine halbe Weltreise von Wien ent­fernt wären. Es ist also durchaus auch möglich, mit betroffenen Mitarbeitern, die wo­möglich in Wien ansässig sind, eine vernünftige Lösung zu finden, um derartige De­zentralisierungen zu ermöglichen. Kurz gefasst: Es fehlt einfach an politischem Willen, dies zu tun.

Ich komme nun auf ein anderes Thema zu sprechen, das mit Dezentralisierung im Zu­sammenhang steht. Es betrifft die Frage, warum es denn in Österreich so schwer ist, dass dieses hehre Ziel – wir haben es vom Vertreter der Europäischen Kommission bereits gehört –, dass Einnahmen-, Ausgaben- und Aufgabenerfüllungsverantwortung möglichst in einer Hand sind, nicht erfüllt und erreicht werden kann.

In Österreich haben wir diesbezüglich ein ganz massives Problem mit Doppelstruktu­ren, Doppelverwaltung, das natürlich auch daraus resultiert, dass es keine Kompetenz­verteilung in der Privatwirtschaftsverwaltung gibt. Wir haben also das Problem, dass Verfügungsmittel einfach auf allen Ebenen, Bund, Länder und Gemeinden, vorhanden sind und sich alle Ebenen für bestimmte Projekte auch verantwortlich fühlen. Ein Bei­spiel ist die Sportförderung – ein wichtiges Thema –, bei der sich aber immer eine Ebene bereitfindet, die Förderung auch auf lokaler Ebene, auf regionaler Ebene und auf Ebene des Bundes weiter voranzutreiben. Ein weiteres Beispiel ist die Kulturför­derung.

Wenn man die Doppel- und Mehrfachförderungen zusammenzählt, braucht man sich nicht zu wundern, dass Österreich Förderweltmeister ist. Es geht um Milliarden Euro, die bei einer klügeren Aufgabenverteilung einfach eingespart werden können, ohne dass ein nennenswerter oder ungerechter Einschnitt stattfinden würde.

Man muss sich einmal fragen: Woran liegt es denn, dass diese Kompetenzrechtsrefor­men nicht stattfinden können? – Wir haben es heute auch schon gehört: Perchtolds­dorfer Paktum, 1992 – Bundesstaatsreform. Das Problem war, dass letztlich ein viel zu zentralistischer Entwurf hineinverhandelt werden sollte, der für die Länder nicht tragbar war. Ähnlich war es beim Österreich-Konvent 2003. Auch dort gab es einen sehr zen­tralistischen Entwurf, wobei man aber dazusagen muss, dass dieser Erfolg der dama­ligen schwarz-blauen Regierung vonseiten der Sozialdemokratie, die eine Sperrminori­tät im Nationalrat hatte, nicht gegönnt worden ist. Unter der Regierung Gusenbauer – das war im Jahr 2007 – hat man versucht, das Problem zu entpolitisieren und eine Ex­pertenkommission einzusetzen. An der fehlenden politischen Einbindung und am feh­lenden Rückhalt der Politik ist es gescheitert, die Kompetenzverteilung, so wie sie erar­beitet wurde, auch tatsächlich umzusetzen.

Was sind die Lehren aus all diesen gescheiterten Reformen? – Man muss eine Politik der kleinen Schritte machen. Das hat die letzte Bundesregierung unter Türkis-Blau auch getan. Es kam zu ersten Erfolgen bei der Auflösung des Artikels 12 Bundes-Ver­fassungsgesetz, womit die Grundsatzgesetzgebungskompetenz in vielen Bereichen einfach auf Bund oder Länder aufgeteilt wurde. Es geht nicht darum, einer bestimmten Ebene das Übergewicht zu geben, um sozusagen eine weitere Zentralisierung oder um eine weitere Stärkung der Länder voranzutreiben, sondern es geht um eine Verhand­lung auf Augenhöhe und darum, die Kompetenzen sinnvoll zu entflechten und immer dort, wo etwas den Ländern gegeben wird, auch etwas für den Bund, wo es sinnvoll ist, zurückzugewinnen.

Die zweite große Lehre aus diesen gescheiterten Reformen ist: Man muss sie auf poli­tischer Ebene einfach angehen. Daher danke ich für die heutige Enquete.

In Richtung der Österreichischen Volkspartei, die auf Bundesebene seit 17 Jahren den Finanzminister stellt, die seit noch viel mehr Jahren auch in Regierungsverantwortung ist und seit einigen Jahren den Bundeskanzler, zwei Drittel aller Landeshauptleute, die Landesfinanzreferenten und über zwei Drittel aller Bürgermeister in Österreich stellt, sei gesagt: Also wenn Sie so eine Enquete veranstalten und sagen, Sie wollen mehr Dezentralisierung, dann möchte ich Sie, liebe Damen und Herren von der Österrei­chischen Volkspartei, doch ersuchen, dass Sie einmal so eine Enquete in kleinerer Form auf Klubebene, zu der Sie Vertreter aus den Ländern einladen, abhalten und sich innerparteilich einig werden, welche Ebene denn in welcher Form gestärkt werden soll.

Ich glaube, die Freiheitliche Partei hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten bewie­sen, dass es niemals an uns gelegen ist, wenn man eine sinnvolle Reform auch auf Verfassungsebene verwirklichen will. In diesem Sinne: Gehen wir es an! – Danke schön. (Beifall.)

12.14

12.14.11VII. Abschließende Diskussion


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Vielen herzlichen Dank, Herr Bundesrat, für Ih­ren Beitrag.

Wir gehen nun in die dritte und abschließende Diskussion ein.

Ich darf an dieser Stelle nochmals darauf verweisen, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche gleichzeitig darum, diese Vor­gabe einzuhalten. Ich darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Rednerpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt.

Es liegen derzeit vier Wortmeldungen vor.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Wagner. – Bitte.


12.15.01

Bundesrätin Andrea Wagner (ÖVP, Niederösterreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Als Nieder­österreicherin, genauer gesagt, als Waldviertlerin aus dem Bezirk Zwettl bedanke ich mich zuallererst für die Möglichkeit, heute auch meine Sichtweise beziehungsweise die Sichtweise unserer Region einbringen zu dürfen.

„Gib denen, die du liebst, Flügel, um wegzufliegen. Wurzeln, um zurückzukommen und Gründe, um zu bleiben.“ Für die Gründe, um zu bleiben, sind wir gemeinsam verant­wortlich, sollten wir gemeinsam sorgen. Wie schon von Dipl.-Ing. Hiess erwähnt, geht es in den ländlichen Regionen vor allem darum, die Rückwanderung zu unterstützen, die Gründe, um zu bleiben, zu schaffen und zu erhalten. Am Land ist der soziale Zu­sammenhalt, die Gemeinschaft, das soziale Gefüge am wichtigsten. Junge Menschen müssen sich in der Welt erst zurechtfinden und dort, wo sie sich angenommen fühlen, bleiben sie. Es ist wichtig, ihnen im ländlichen Raum das Gefühl zu vermitteln, sie sind ein Teil der Gemeinschaft. Dies funktioniert am besten – bei uns zumindest – über Ver­eine und Jugendgruppen.

Ich möchte die Landjugend erwähnen, die bei uns in den Gemeinden sehr aktiv ist. Ihre Mitglieder leben die Traditionen und das Brauchtum und sind natürlich auch Neuem sehr aufgeschlossen. Sie engagieren sich ehrenamtlich. Die Landjugend Niederöster­reich hat zum Beispiel im September den Projektmarathon durchgeführt, bei dem sie gemeinnützige Projekte für die Gemeinden beziehungsweise die Pfarren durchführt – 42,195 Stunden lang, also die Marathonstrecke in Stunden –, wodurch sie eine Leis­tung für die Gemeinde erbringt und auch aktiv am Gemeindeleben teilnehmen und sich einbringen kann. Diese Gemeinschaft, dieses Miteinander gibt den jungen Menschen Wurzeln und Halt. Diese Gemeinschaft, dieser Zusammenhalt ist später auch einer der Gründe dafür, warum sie, wenn sie zum Beispiel zum Studieren oder Arbeiten in Wien oder im Ausland waren, gerne wieder zurückkehren. Vor allem sehen sie den ländli­chen Raum als lebenswerten Ort für ihre Kinder, für ihre zukünftige Familie.

Ein paar Punkte möchte ich heute noch herausnehmen beziehungsweise Punkte, die schon erwähnt worden sind, verstärken. Es sind Punkte beziehungsweise Maßnah­men, die helfen, dem ländlichen Raum, wie schon erwähnt, die gleichen Chancen wie den Städten zu geben. In diesem Zusammenhang möchte ich den abgestuften Bevöl­kerungsschlüssel ansprechen, der unseres Erachtens nicht mehr zeitgemäß ist und überdacht werden sollte. Es ist natürlich wichtig, dass die Gemeinden und die ansäs­sigen Vereine die Mittel in die Hand bekommen, um die Jugendlichen zu halten. Ein gesunder Ausgleich der finanziellen Mittel würde dem ländlichen Raum sehr helfen, seine Aufgaben zu erfüllen, denn auch bei uns funktionieren Kunst und Kultur und auch bei uns am Land können sich junge Menschen in moderner Form entwickeln. Die Ge­meinden sind, wie schon gesagt, für immer mehr Aufgaben zuständig, und es braucht daher auch auf Gemeindeebene die finanziellen Mittel.

Ein weiteres Beispiel möchte ich noch kurz ansprechen, die Landarztgarantie in Nie­derösterreich. Die Landarztgarantie greift dann, wenn eine Ordination mehr als zwölf Monate nicht besetzt ist. Diese Stellen werden mit Medizinern der Landeskliniken ab­gedeckt. Auch bei den Ärzten ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Thema, wobei vor allem Teampraxen gefragt und auch neue Modelle anzudenken sind. Bei all den Themen, die den ländlichen Raum betreffen, ist es immer wichtig, die wahren Ex­perten, nämlich die Menschen vor Ort, in die Entscheidungen miteinzubeziehen und dadurch die regionalen Handlungsebenen zu stärken. Ich glaube, durch die Digitali­sierung gibt es die Chance, Arbeitsplätze in die Regionen zu bringen.

Bei uns im Bezirk oder im gesamten Waldviertel stehen wir aber zum Beispiel auch vor der Herausforderung eines massiven Facharbeitermangels in den nächsten Jahren, daher ist im Bereich der Bildung auf die duale Ausbildung beziehungsweise die Lehr­lingsausbildung verstärkt zu fokussieren.

Wir alle zusammen sind gefordert, die richtigen Maßnahmen zu setzen. Diese sind sehr vielfältig und sehr umfangreich.

Zum Schluss möchte ich – wie schon viele meiner Vorredner – noch einmal sagen: Vielen Dank an dich, Herr Bundesratspräsident, lieber Karl Bader, dass du dieses wichtige Thema zum Thema deiner Präsidentschaft gemacht hast, und dass auch die nächsten Präsidentinnen und Präsidenten des Bundesrates sich dieses Themas an­nehmen werden und so der Masterplan ländlicher Raum Wirklichkeit wird.

Wie schon Herr Bußjäger gesagt hat: Dranbleiben! Es geht um ein Miteinander von Stadt von Land. Man braucht eben beides. Je besser man dieses Miteinander lebt, um­so erfolgreicher werden wir für unsere Bevölkerung arbeiten können. Wenn man nah an den Menschen ist, dann ist man nämlich bereit für die Zukunft. – Danke. (Beifall.)

12.20


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dipl.-Ing. Andrea Holzner. – Bitte.


12.21.03

Bundesrätin Dipl.-Ing. Andrea Holzner (ÖVP, Oberösterreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Auch ich möchte mich bei dir, lieber Bun­desratspräsident Karl Bader, für das Thema der Enquete bedanken.

Chancengleichheit für den ländlichen Raum ist ein zentrales Anliegen von uns Bun­desräten und auch von uns Bürgermeistern und – wie wir im Referat von Herrn Dr. Ste­fan Seidendorf anhand des Beispiels Gelbwesten gehört haben – auch eine Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Ich möchte auch im Hinblick auf die kommenden Regierungsverhandlungen darauf hinweisen, und ich bitte darum, den Aspekt der Ein­führung einer CO2-Steuer in der Diskussion zu bedenken.

Stärkung und Chancengleichheit für den ländlichen Raum: Ich möchte hier kurz das Referat von Mag. Ulrike Rauch-Keschmann beziehungsweise Redebeiträge vieler Re­ferenten zusammenfassen. Damit der ländliche Raum ein Zukunftsraum bleibt, braucht es eine zeitgemäße Infrastruktur mit hochwertigen Arbeitsplätzen, modernen Bildungs­angeboten, einer verlässlichen Gesundheitsversorgung, Angebote für Kinder- und Seniorenbetreuung. Wir haben heute auch schon mehrfach gehört, dass junge Frauen eine Schlüsselrolle in lebendigen Dörfern einnehmen.

Die Experten haben uns hervorragende Analysen und auch Wege für Chancengleich­heit im ländlichen Raum aufgezeigt. Ich möchte hierbei die Dezentralisierung, Verlage­rung von Dienststellen und Verwaltungsvereinfachung durch Digitalisierung hervorhe­ben, ich möchte aber noch weitergehen. Die Digitalisierung ermöglicht es, dass Arbeit zu den Menschen kommt. Digitalisierung bedeutet eine tiefgreifende Veränderung in der Weise, wie wir leben, wie wir arbeiten werden. Betreffend nah am Menschen: Die Menschen müssen in diesem Prozess mitgenommen werden.

Ich möchte mich bei unserem Präsidenten des Oberösterreichischen Landtages, Kom­merzialrat Viktor Sigl bedanken. Er hat eine breitaufgestellte Enquete zum Thema Chancen der Digitalisierung veranstaltet. Gerade in diesem Bereich ist es wichtig, mög­lichst viele Akteure zusammenzuholen.

Ein kleines Beispiel aus unserer Gemeinde: Wir haben mit einer ortsansässigen Firma eine sogenannte Spürnasenecke im Kindergarten eingerichtet, wobei uns die Firma mit Labormaterialien unterstützt hat. Unter anderem haben wir da einen Teppich, auf dem der Ortsplan unserer Gemeinde aufgezeichnet ist, Kinder Roboter programmieren, mit denen man dann bestimmte Ziele – Nahversorger, die Gemeinde, das Zuhause – ansteuern kann. Das macht den Kindern unwahrscheinlich viel Spaß. Das ist das Thema: die Menschen auf diesem Weg mitnehmen.

Ich sehe in der Digitalisierung ein großes Potenzial für den ländlichen Raum. Die digi­tale Technik, wie auch schon ein Referent gesagt hat, ist aber ein Werkzeug, der Men­schen muss im Mittelpunkt stehen. Ich bin auch überzeugt davon, dass der Bundesrat in der kommenden Legislaturperiode ein starker Motor für die Chancengleichheit im ländlichen Raum sein wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.24


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Ich danke sehr herzlich, Frau Bundesrätin.

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Günter Kovacs zu Wort. – Bitte.


12.24.32

Bundesrat Günter Kovacs (SPÖ, Burgenland)|: Herr Präsident! Ich freue mich sehr, dass Sie diese Enquete: „Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft. – Chancen der Dezentralisierung“ einberufen haben.

Wie wichtig die Enqueten sind, haben wir beim letzten Mal gesehen, Korinna Schu­mann hat es vorhin angesprochen. Ingo Appé hat es damals wirklich geschafft, mit diesem Thema einiges in Bewegung zu bringen. Wasser darf jetzt in Österreich nicht mehr privatisiert werden. Ich glaube, das war eine tolle Enquete, und man hat gese­hen, was daraus werden kann.

Ich freue mich auch sehr, dass meine Landtagspräsidentin aus dem Burgenland heute da ist. Ich selbst bin ja aus dem Burgenland, Bundesrat aus dem Burgenland. Der Herr Landtagspräsident aus Niederösterreich hat vorhin die drei Ds – nämlich Digitalisie­rung, Dezentralisierung, Deregulierung – für das Land Niederösterreich erwähnt. Ich darf diese drei Begriffe natürlich auch für das Burgenland umsetzen und gebe noch ein viertes D dazu, bei uns ist es nämlich Landeshauptmann Doskozil, der das umsetzt.

Wie setzt er das um? – Wir versuchen natürlich in unserem Wirkungsbereich im Bur­genland, vieles zu machen, was möglich ist. Mit der Krankenhausstandortgarantie ha­ben wir im Landtag einen Beschluss gefasst, damit es nicht so ist, dass der ländliche Raum ausgehöhlt wird. Wir haben in unserem Heimatland zum Beispiel fünf Spitäler. Ich darf an dieser Stelle auch sagen, da waren nicht alle Parteien dafür, dass wir das erhalten, aber wir haben es trotzdem umgesetzt. Oder zum Beispiel die Biowende, die jetzt in aller Munde ist. Auch das ist ein Projekt, das flächendeckend in unserem Hei­matland, im Burgenland umgesetzt wird. Über das ganze Land werden Leitbetriebe ins­talliert, werden in Bezirken festgemacht, damit die ländliche Bevölkerung Arbeitsplätze hat und eine Mehrabwanderung verhindert wird.

Herr Präsident Bader! Ich habe Ihnen damals zu dieser Enquete gesagt: Wenn man sagt, man will dezentralisieren, dann muss man es aber auch leben. Es ist heute noch nicht so angesprochen worden, aber wenn man die Gebietskrankenkassen zentrali­siert, wenn man die Finanzämter zentralisiert und dann heute Dezentralisierung fordert, dann hoffe ich, und dann bin ich guten Mutes, dass vielleicht auch die ÖVP in sich geht und diese Dezentralisierung in Zukunft auch leben wird. Da, meine Damen und Herren, geht es nämlich um viele Arbeitsplätze, da geht es um Selbstverwaltung.

Ich möchte mit dieser Erklärung enden, nämlich: Selbstverwaltung liegt dann vor, wenn der Staat Österreich einen Teil seiner Verwaltung jenen Personen überträgt, die unmit­telbares Interesse daran haben. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk­samkeit. (Beifall.)

12.27


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Danke für Ihren Redebeitrag.

Als Nächster gelangt Herr Nationalrat Dipl.-Ing. Georg Strasser zu Wort. – Bitte sehr.


12.27.36

Abgeordneter Dipl.-Ing. Georg Strasser (ÖVP)|: Herr Präsident! Geschätzte Kollegin­nen und Kollegen! Lassen Sie mich ein paar Gedanken zum Thema Bodenverbrauch und zum Thema Flächenwidmung formulieren!

Heute ist ein guter Tag. Es wurde der Bericht über die Reduktion des Bodenverbrauchs in Österreich mit einer guten Nachricht präsentiert. In den letzten zehn Jahren ist der Bodenverbrauch um 50 Prozent zurückgegangen. Es werden aktuell pro Tag 12 Hektar verbaut, weniger als die Hälfte davon wird nicht mehr versiegelt. Das lässt uns aber nicht ruhig schlafen, denn das ist immer noch zu viel, da ist noch Luft nach oben. Mein Beitrag soll zu einer sachlichen Diskussion über den Bodenverbrauch und die Flächen­widmung dienen.

Aktuell sind die Gemeinden und die Länder für die Flächenwidmung zuständig. Ich se­he da zwei Pole, zwei geografische Punkte, die man sich anschauen muss. Das eine ist: Wenn man den Großraum Wien betrachtet – ich mache jetzt kein Wienbashing, ich rede vom angrenzenden Niederösterreich rund um Wien –, dann sehe ich viele Ge­meinden, die mit den vielen Menschen, die dort leben wollen, oft überfordert sind. Dort ist es wichtig, dass man die Planung besser koordiniert, dass man Siedlungsgrenzen und auch Naturräume definiert, um letztendlich Ökosysteme und auch die Lebensqua­lität der Menschen vor Ort abzusichern. Das wird in letzter Konsequenz den Bodenver­brauch reduzieren, damit die Gemeinden letztendlich auch besser mit der Siedlungs­entwicklung umgehen können, und die Lebensqualität für die Menschen vor Ort gesi­chert werden kann.

Der zweite Pol, die geografische Situation, ist aber die Randlage. Da gibt es kleine Ge­meinden, die kämpfen um jeden Arbeitsplatz, die kämpfen um jeden Siedler, die freuen sich, wenn eine junge Familie in eine Wohnung einzieht. Da ist mein Credo: Also im Großraum Wien müssen wir Entwicklung steuern und in der Randlage Entwicklung ermöglichen. Ich möchte mich bei allen Landespolitikerinnen und -politikern, bei allen Gemeindepolitikerinnen und -politikern bedanken.

Zurück zu meinem Anfang: Heute ist ein guter Tag. Der Bodenverbrauch wird gesenkt, weil verantwortungsvolle Leute in den Regionen die richtigen Entscheidungen treffen. Verbauen wir uns aber nicht die Zukunft! Der Bodenverbrauch muss noch mehr ge­senkt werden. – Danke schön. Alles Gute! (Beifall.)

12.29


Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Vielen Dank, Herr Nationalrat.

Es liegen dazu keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Die Debatte ist geschlossen.

12.30.18VIII. Schlussworte des Präsidenten


12.30.21

Vorsitzender Präsident Karl Bader|: Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kol­leginnen und Kollegen! Zunächst darf ich mich sehr, sehr herzlich bei Ihnen allen für die engagierte Auseinandersetzung mit der Thematik des ländlichen Raums bedanken.

Mein Dank gilt zum einen den internationalen Experten, den nationalen Experten, aber auch allen, die sich an der Diskussion und Debatte beteiligt haben. Ich danke auch un­serem Bundesratspräsidenten außer Dienst, Georg Keuschnigg, und dem Institut für Föderalismus für die hochmotivierte und engagierte Vorbereitung dieser Enquete.

Der Bundesrat hat sich heute engagiert und intensiv mit den Chancen, Möglichkeiten, aber auch den Gefahren, die dem ländlichen Raum drohen, auseinandergesetzt. Wir haben gehört, dass das Thema ländlicher Raum nicht nur auf der österreichischen Agenda steht, sondern dass das auch ein Thema im europäischen Konnex ist und dass sich auch andere Regionen damit intensiv auseinandersetzen.

Und wir haben vor allem eines gehört: Dass eine wesentliche Frage der Stärkung des ländlichen Raums darin begründet ist, wie Infrastruktur geschaffen, erhalten und aus­gebaut werden kann – ob das im Bereich der Digitalisierung und der Breitbandversor­gung ist, ob das im Bereich der Mobilität ist, ob das im Bereich der Gesundheitsver­sorgung ist, ob das im Bereich der Kinderbetreuung ist, ob das im Bereich der Bildung und vielem anderen mehr ist. Die finanzielle Herausforderung ist in jedem Fall eine sehr, sehr große. Im organisatorischen Bereich gibt es schon einige sehr, sehr positive Beispiele dafür, wie der ländliche Raum gefördert werden kann, aber ohne die ent­sprechenden finanziellen Mittel werden auch diese Maßnahmen oft über Lippenbe­kenntnisse nicht hinauskommen.

Die niederösterreichische Bundesratspräsidentschaft hat diese Dezentralisierung als Leitthema für dieses Halbjahr gewählt. Wir wollen daher heute diskutieren, aber wir wollen es nicht bei der Diskussion alleine belassen, sondern tatsächlich etwas zum Positiven verändern, daher möchte ich heute auch eine Gesetzesinitiative aus dem Bundesrat ankündigen und dazu einladen.

Es geht bei dieser Initiative darum, dass bei der Neueinrichtung einer Bundesdienst­stelle in unserem Land eine verbindliche Prüfung erfolgt, ob diese Dienststelle nicht doch besser in den Regionen draußen angesiedelt werden sollte. Das soll eine kon­krete Maßnahme aus dieser Enquete sein, und ich lade alle Mitglieder aller Fraktionen dieses Hauses im Bundesrat ein, diese Initiative mitzutragen, sie gemeinsam zu disku­tieren und dann gemeinsam, gestärkt als die Länderkammer, in eine Beschlussfassung umzusetzen.

Miteinander, das wurde heute schon mehrmals gesagt, nicht gegeneinander müssen wir diese Herausforderungen angehen. Es geht um faire und es geht um gleiche Chan­cen für den ländlichen Raum, nicht um ein Bashing in irgendeine Richtung. – Vielen Dank.

12.33

*****

Die Enquete ist geschlossen. (Beifall.)

12.33.22Schluss der Enquete: 12.33 Uhr

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien