
parlamentarische Enquete
des Bundesrates
„Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts“
Stenographisches
Protokoll
Dienstag, 29. November 2022
Großer Redoutensaal
Parlamentarische Enquete des Bundesrates
Dienstag, 29. November 2022
(XXVII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)
Thema
„Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts“
Dauer der Enquete
Dienstag, 29. November 2022: 9.02 – 13.00 Uhr
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Tagesordnung
I. Eröffnung und Begrüßung
Vorsitzende Präsidentin des Bundesrates Korinna Schumann
II. Impulsreferat „Krisen meistern und Transformation gestalten: Zur Rolle des Staates und der öffentlichen Finanzen“
Prof. Dr. Achim Truger (Universität Duisburg-Essen, Institut für Sozioökonomie)
III. Panel 1 „Wirtschaft im Wandel – die Rolle des aktiven Staates“
Dr. Helene Schuberth (Österreichischer Gewerkschaftsbund)
Kommerzialrat Peter Hanke (Amtsführender Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Internationales und Wiener Stadtwerke)
Dr. Christoph Matznetter (Wirtschaftskammer Österreich)
IV. Panel 2 „Die Rolle öffentlicher Strukturen als Stabilisator in Zeiten der Krisen und großen Veränderungen“
Renate Anderl (Arbeiterkammer Wien, Bundesarbeitskammer)
Mag. Amelie Groß (Wirtschaftskammer Österreich)
Wolfgang Katzian (Österreichischer Gewerkschaftsbund)
V. Panel 3 „Die Bedeutung der Daseinsvorsorge als verlässlicher Partner in unserem Alltag“
Ing. Christian Meidlinger (Younion – Die Daseinsgewerkschaft)
Andreas Kollross (Sozialdemokratischer Gemeindevertreter:innenverband Österreich)
Abgeordneter Erwin Angerer (FPÖ)
Mag. Doris Anzengruber (Caritas Sozialberatung Wien)
Priv.-Doz. Dr. Monika Köppl-Turyna (Eco Austria)
VI. Statements der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates und Beiträge der Teilnehmer:innen
VII. Schlussworte der Präsidentin
Vorsitzende Präsidentin des Bundesrates Korinna Schumann
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Inhalt
I. Eröffnung und Begrüßung ........................................................................................ 4
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann ................................................................ 4
II. Impulsreferat „Krisen meistern und Transformation gestalten: Zur Rolle des Staates und der öffentlichen Finanzen“ ............................................................................................... 11
Prof. Dr. Achim Truger ................................................................................................. 11
III. Panel 1 „Wirtschaft im Wandel – die Rolle des aktiven Staates“ .................. 23
Dr. Helene Schuberth ................................................................................................... 23
Kommerzialrat Peter Hanke ........................................................................................ 27
Dr. Christoph Matznetter ............................................................................................. 32
IV. Panel 2 „Die Rolle öffentlicher Strukturen als Stabilisator in Zeiten der Krisen und großen Veränderungen“ .......................................................................................................... 37
Renate Anderl ............................................................................................................... 38
Mag. Amelie Groß ......................................................................................................... 41
Wolfgang Katzian ......................................................................................................... 44
V. Panel 3 „Die Bedeutung der Daseinsvorsorge als verlässlicher Partner in unserem Alltag“ ............................................................................................................................... 48
Ing. Christian Meidlinger .............................................................................................. 49
Andreas Kollross ........................................................................................................... 53
Abg. Erwin Angerer ....................................................................................................... 57
Mag. Doris Anzengruber .............................................................................................. 62
Priv.-Doz. Dr. Monika Köppl-Turyna ........................................................................... 67
VI. Statements der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates und Beiträge der Teilnehmer:innen ........................................................................................................................................ 72
Bundesrat Mag. Harald Himmer .................................................................................. 73
Bundesrat Stefan Schennach ....................................................................................... 75
Bundesrat Josef Ofner .................................................................................................. 77
Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross .............................................................................. 80
Mag. Veronica Kaup-Hasler ......................................................................................... 83
Bundesrätin Elisabeth Wolff, BA ................................................................................. 85
Bundesrat Ingo Appé .................................................................................................... 87
Abg. Mag. Dr. Petra Oberrauner ................................................................................. 89
Abg. Alois Schroll .......................................................................................................... 91
MEP Mag. Andreas Schieder ........................................................................................ 93
Elvira Schmidt ............................................................................................................... 95
Bundesrätin Eva Prischl ................................................................................................ 97
Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster ........................................................................... 98
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................ 100
Bundesrätin Klara Neurauter .................................................................................... 101
Abg. Rober Laimer ...................................................................................................... 102
Bundesrat Mag. Sascha Obrecht ............................................................................... 104
Bundesrat Günther Novak ......................................................................................... 106
Bundesrat Karl Bader ................................................................................................. 108
VII. Schlussworte der Präsidentin .......................................................................... 109
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann ............................................................ 109
Beginn der Enquete: 9.02 Uhr
Vorsitzende: Präsidentin des Bundesrates Korinna Schumann, Vizepräsident des Bundesrates Günther Novak, Vizepräsident des Bundesrates Bernhard Hirczy.
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Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ und danke Ihnen, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind.
Ich darf alle Anwesenden herzlich willkommen heißen. Mein herzlicher Gruß gilt den Referentinnen und Referenten dieser Enquete – in der Reihenfolge ihres Auftretens –: Herrn Prof. Dr. Achim Truger, Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des deutschen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Frau Dr.in Helene Schuberth, Leiterin des Bereichs Volkswirtschaft im Österreichischen Gewerkschaftsbund, Herrn Kommerzialrat Peter Hanke, Amtsführender Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Internationales und Wiener Stadtwerke, Herrn Nationalratsabgeordneten Dr. Christoph Matznetter, Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich, Frau Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer Wien und der Bundesarbeitskammer, Frau Mag.a Amelie Groß, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich, Herrn Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Herrn Ing. Christian Meidlinger, Vorsitzender der Younion – Die Daseinsgewerkschaft, Herrn Nationalratsabgeordneten und Bürgermeister Andreas Kollross, Bundesvorsitzender des Sozialdemokratischen Gemeindevertreter:innenverbandes Österreich, Herrn Nationalratsabgeordneten und Bürgermeister Erwin Angerer, Frau Mag.a Doris Anzengruber, Leiterin der Caritas Sozialberatung Wien, und Priv.-Doz.in Dr.in Monika Köppl-Turyna, Direktorin Eco Austria.
Ich bedanke mich bei Ihnen allen sehr herzlich für Ihren Beitrag zu dieser parlamentarischen Enquete.
Mein besonderer Gruß gilt weiters Landtagspräsidentin Sonja Ledl-Rossmann aus Tirol, Landtagspräsidentin Verena Dunst aus dem Burgenland – ich sehe sie noch nicht, aber sie wird eintreffen –, dem Landtagspräsidenten aus Wien Mag. Ernst Woller, Landeshauptmannstellvertreterin Kathrin Gaál aus Wien, Landesrätin Mag.a (FH) Daniela Winkler aus dem Burgenland, Stadträtin Mag.a Veronica Kaup-Hasler aus Wien, dem Vizepräsidenten des Bundesrates Bernhard Hirczy, dem Vizepräsidenten des Bundesrates Günther Novak, allen Mitgliedern des Bundesrates, des Nationalrates, der Landtage und des Europäischen Parlaments, den Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierungen und der Landtage, der Bundesministerien und der Sozialpartner sowie allen von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertretern, die als Expertinnen und Experten an der heutigen Enquete teilnehmen.
Ferner heiße ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen.
Es freut mich sehr, auch alle Zuseherinnen und Zuseher, die die Enquete auf ORF III beziehungsweise via Livestream im Internet verfolgen, herzlich begrüßen zu können.
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(Es folgen technische Mitteilungen in Bezug auf das Prozedere durch die Vorsitzende sowie der Hinweis, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst wird, das nach einiger Zeit im Internet unter www.parlament.gv.at abrufbar sein wird.)
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Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Abgeordnete zum Nationalrat! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierungen! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner und der öffentlichen Institutionen, vor allen Dingen: sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! „Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ oder ein starker Staat als Grundlage des Zusammenlebens – unter dieses Motto habe ich meine Präsidentschaft gestellt. Als die Entscheidung gefallen ist, dieses Thema meiner Präsidentschaft zu widmen, waren wir gerade über die ärgsten Verwerfungen der Coronakrise hinweg. Mit dem Herbst letzten Jahres hat dann die Teuerung eingesetzt, und mit dem Ausbruch des brutalen Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine traten zwei neue Krisen auf den Plan, die für viele von uns in Europa nicht erwartbar gewesen sind.
Hier wird einmal mehr klar: Unser stärkster Schutz gegen die brutale Wucht dieser Auswirkungen und die Gestaltungsmacht in diesen Dynamiken sind nur ein starker Staat, der Sozialstaat und die Daseinsvorsorge.
Ich darf in diesem Zusammenhang den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt zitieren, der sagte: „Ich halte den Sozialstaat [...] für die größte Kulturleistung, die die Europäer im Lauf des schrecklichen 20. Jahrhunderts zustande gebracht haben.“
Wir leben also in einer Zeit der vielfachen Krisen, weitreichenden Transformationen und umfangreichen Herausforderungen. Es ist eine Zeit, die es aktiv zu gestalten gilt, um den Menschen Sicherheit zu geben und niemanden zurückzulassen. Dieses Gestalten ist die große Aufgabe der Politik und damit auch des Staates. Wir sehen uns aktuell mit multiplen Krisen konfrontiert: Teuerung, Energiekrise, Krieg, Klimawandel, digitaler Wandel, eine älter werdende Gesellschaft. Das sind aktuell geballt auftretende Krisen, oft ineinander verzahnt. Die Verwerfungen, die auf diese Krisen folgen, sind noch nicht klar absehbar.
Als aktiver Staat gilt es sich in Anbetracht dieser Herausforderungen nicht lähmen zu lassen, sondern vor allem jetzt besonders aktiv und vorausschauend zu sein. Es geht darum, die Probleme an der Wurzel zu packen und auf all jene besonders zu achten, die von den Krisen besonders betroffen sind. Und niemand soll zurückgelassen werden. Gleichzeitig muss es langfristige Perspektiven über die Krisen hinaus geben, die man mitbedenkt, um die Zukunft der Menschen in Österreich zu gestalten und nachhaltige Strukturen in allen Bereichen des Lebens zu schaffen.
Diese gestaltende, aber auch die regulierende Rolle des Staates anzunehmen und aktiv im Interesse der Menschen einzusetzen ist entscheidend – sei es jetzt in der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik, der Frauen-, der Klima-, der Gesundheitspolitik: Die Rahmenbedingungen für ein gutes Leben für alle müssen gut durchdacht und langfristig gestaltet werden.
Vor allem während der vergangenen Krisen hat sich der Staat als Sicherheitsnetz einmal mehr bewährt und auch als Innovationstreiber seine Rolle eingenommen – seien es Kurzarbeitsregelungen und Wirtschaftshilfen oder Sonderbestimmungen für besonders von den Krisen betroffene Gruppen während der Coronapandemie. Der Staat muss sich in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit als stabiler Regulator erweisen, der Strukturen im Sinne der Menschen schafft.
Der wirtschaftliche Wandel betrifft uns alle. Einerseits wandeln sich die Industrie, die Landwirtschaft, aber auch die Dienstleistungen aufgrund von Digitalisierung und technischem Fortschritt, andererseits entstehen neue Wirtschaftsbereiche. Vor allem aufgrund des Klimawandels werden ganze Branchen auf neue Beine gestellt, neue Energieformen, neue Produktionsmethoden und Lieferketten zur Versorgungssicherheit werden entworfen. Besonders die Frage der Arbeitsplätze ist hier die entscheidende. Viele traditionelle Berufe werden sich in einer nachhaltigen Wirtschaftslandschaft in Österreich verändern, viele einen neuen Stellenwert erhalten. Das ist eine große Herausforderung, die es anzupacken gilt. Aktive Arbeitsmarktpolitik und Berufsausbildung sind Instrumente, die im Fokus stehen müssen, um bei diesen Wandelprozessen alle mitzunehmen und für die kommenden Herausforderungen vorzubereiten.
Wir sind bereits – und darauf kann man stolz sein – ein globales Vorzeigebeispiel, wenn es um die duale Ausbildung von Lehrlingen geht. Das ist eine unserer Stärken, die es zu nutzen gilt, um Jugendliche zu fördern und gleichzeitig eine Zukunft in der Facharbeit zu bieten. Bei aktiver Wirtschaftspolitik geht es um viel mehr als nur darum, unsere Industrie zukunftsfit zu machen; es geht darum, unseren gesamtgesellschaftlichen Wohlstand zu erhalten, auszubauen und auch gerecht zu verteilen. Ich bin der tiefen Überzeugung: Mit einem starken Staat können wir den Weg aus der Krise gerade mit Blick auf die notwendigen Transformationen als Chance für uns alle neu gestalten.
Für solch eine Aufgabe braucht es funktionierende und krisenfeste staatliche Strukturen und öffentliche Institutionen. Ein wichtiger Bestandteil ist die österreichische Verwaltung. Diese vielen kleinen und großen Zahnräder, die ineinandergreifen, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, sind Antrieb und Stütze der öffentlichen Strukturen und ein ganz wichtiges Bindeglied zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den Institutionen. Das Gestalten ist jedoch nicht nur dem Staat als solchem vorbehalten, Sozialpartner, Interessenvereinigungen und öffentliche Institutionen sind richtungsweisende Kernbereiche, die Stabilität in der Gesellschaft bieten. Gleichzeitig unterstützen öffentliche Institutionen die aktuellen und zukünftigen Wandlungsprozesse und tragen zur allgemeinen Akzeptanz und zur individuellen Absicherung bei.
Aber – und auch das muss uns klar sein –: Wandel ist für viele Menschen nicht positiv behaftet, sondern mit ganz vielen Unsicherheiten versehen. Die Last der Unsicherheiten müssen wir den Menschen von den Schultern nehmen und ihnen klarmachen: Wandel bedeutet Chancen, Chancengerechtigkeit bieten wir in einem starken Staat für alle Menschen gleichermaßen an.
Diese gesellschaftlichen Wandelprozesse müssen von der Politik vorangetrieben werden. Die Gleichstellung zum Beispiel von Frauen kann nur funktionieren, wenn Strukturen geschaffen werden, um den Wandel zu ermöglichen – sei es der Ausbau der Kinderbetreuung, verbesserte Arbeitsbedingungen in den Berufen, die überwiegend von Frauen geführt werden, aber auch individuelle Förderung und Quotenregelungen ermöglichen so Schritt für Schritt eine Verbesserung im Alltag der Frauen.
Dieser Wandel kommt nicht von heute auf morgen, er fällt auch nicht vom Himmel. Der gesellschaftliche Fortschritt ist durch große gesellschaftliche Bewegungen auf diversesten Ebenen ermöglicht worden. Die sozialen Probleme haben dazu geführt, dass der Sozialstaat erkämpft wurde und immer noch erkämpft werden muss. Wir schauen auf die großen Errungenschaften wie Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen, Arbeitslosengeld, die Einführung der selbstverwalteten Krankenversicherung, bezahlte Karenz oder einen gebührenfreien Bildungszugang.
Die Idee des Sozialstaates ist eine besondere. Es geht um die Frage: Wer ist für mich da, wenn ich in einer Notsituation bin? Welches Sicherheitsnetz fängt mich auf? Kümmert sich jemand um mich, wenn es notwendig geworden ist? All das schafft Vertrauen bei den Menschen, das unabdingbar ist, um vor allem in Krisenzeiten für sozialen Frieden zu sorgen. Trotzdem ist der Sozialstaat nicht unumstritten. Wir hören noch die Worte: weniger Staat, mehr privat – aber sie sind seit dem Beginn der Pandemie verklungen, wohl auch wissend, welche bedeutende Rolle der Staat in diesen Krisenzeiten hatte und hat.
Die Wandelprozesse werden uns vor neue Herausforderungen stellen, angesichts derer ein krisenfester, ausfinanzierter Sozialstaat die notwendige Stabilität gibt, wir ihn aber auch für die zukünftigen Bedürfnisse erweitern werden müssen. Beispielsweise ist der Ausbau und eine Attraktivierung der Pflege enorm wichtig, um auf die demografischen Veränderungen in Österreich zu reagieren. Die Digitalisierung und der Klimawandel machen deutlich sichtbar, wie zentral das Thema der Aus- und Weiterbildung ist.
Ein gut ausgebautes Bildungssystem ist nicht nur imstande, die Menschen in Österreich auf die Wandelprozesse vorzubereiten, sondern hat vor allem einen zentralen Stellenwert in der gesamtgesellschaftlichen Dynamik. Von qualitativ hochwertiger Elementarpädagogik über flächendeckend ausgebaute Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung bis hin zum ausfinanzierten freien Hochschulzugang und – ganz wichtig – neuen Akzenten in der Erwachsenenbildung müssen alle Menschen in Österreich nachhaltig von der breiten Bildungspalette profitieren, denn Bildung hat neben dem offensichtlichen, ganz persönlichen, Effekt auch einen gesellschaftlichen und egalisierenden Charakter. Ungleichheiten können durch einen breitflächigen Zugang zu Bildungsebenen vermindert und Chancen geschaffen werden. Ein gut ausgebautes Bildungssystem ist nicht nur volkswirtschaftlich sinnvoll, sondern vor allem auch – und das liegt uns Bundesrätinnen und Bundesräten, Politikerinnen und Politikern wohl sehr am Herzen – für die Demokratie.
Kritisches, emanzipiertes Denken ist der Kern einer demokratischen Gesellschaft. Bildung und Ausbildung geben den Menschen Werkzeuge, um diese Gesellschaft weiter zu verändern und zu entwickeln und gleichzeitig den sozialen Frieden zu bewahren und das Vertrauen in den Staat zu garantieren.
Einen weiteren Fokus, den ich heute mit dieser Enquete setzen möchte, ist der Blick auf die Daseinsvorsorge. Dabei geht es um all die öffentlichen Leistungen, die unseren Alltag prägen und jeden Menschen in Österreich auf seinem Weg ganzheitlich begleiten – vom öffentlichen Verkehrsmittel, der Wasserversorgung, der Müllentsorgung, der Straßenbeleuchtung bis zur Infrastruktur, aber auch der Gesundheitsversorgung.
Grundlegend erwarten sich die Menschen, dass die Gemeinden, Länder und auch der Bund dafür sorgen, dass ihr Leben gut organisiert und sicher gelebt werden kann. Dazu gehört in Österreich die Aufrechterhaltung öffentlicher Leistungen. Hier sind die Krisen im Bereich der Energiesicherheit und die damit einhergehenden massiv gestiegenen Preise eines der größten Probleme für die öffentliche Hand. Gemeinden brauchen jetzt ganz dringend Unterstützung, damit sie die an sie gerichteten Anforderungen erfüllen können. Gleichzeitig muss die Daseinsvorsorge von allgemeiner Zugänglichkeit, Versorgungssicherheit, hoher Qualität und Zuverlässigkeit sowie Kontinuität geprägt sein.
Jetzt zur Frage des Zusammenlebens: Die Möglichkeit der Mitbestimmung auf allen Ebenen ist enorm wichtig, um das Vertrauen aller Menschen in die Strukturen zu erhalten, vor allem in Zeiten, in denen viele nicht wissen, wie es in der Zukunft aussehen wird und sehr viel Verunsicherung herrscht. Verlässliche Strukturen schaffen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt – und dieser ist so essenziell für unsere Demokratie; deshalb müssen wir ihn pflegen und daran arbeiten, ihn auszubauen und zu erweitern, wo immer wir können. Ein aktiver Staat kann auf so viele Fragestellungen Antworten bieten, aber es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, dafür zu sorgen, dass wir den Staat stark erhalten und darauf achten, ihn nicht zu schwächen, wenn wir uns in trügerischer Sicherheit wähnen, damit er in den Fällen, in denen es notwendig ist, all jene tragen kann, die ihn wirklich brauchen. – Vielen Dank. (Beifall.)
9.19
II. Impulsreferat „Krisen meistern und Transformation gestalten: Zur Rolle des Staates und der öffentlichen Finanzen“
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Ich darf nun Herrn Prof. Dr. Achim Truger um sein Impulsreferat zum Thema: „Krisen meistern und Transformation gestalten: Zur Rolle des Staates und der öffentlichen Finanzen“ bitten.
Dazu ersuche ich Sie, Ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Zeit von 25 Minuten nicht zu überschreiten. Ich darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 2 Minuten vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt. – Bitte, Herr Professor.
Prof. Dr. Achim Truger (Universität Duisburg-Essen, Institut für Sozioökonomie): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr über die Einladung, dass ich heute hier vor Ihnen sprechen darf. Es ist mir wirklich eine große Ehre, im österreichischen Bundesrat zu sprechen – zumal noch in dieser Atmosphäre, die doch extrem beeindruckend ist, hier in der Hofburg.
Ich will vielleicht kurz sagen, dass ich finde, dass ich einen besonderen Österreichbezug habe. Das startet schon im Privaten, weil ich mit meiner Frau und mit meiner Familie häufig in Österreich war, auch ohne berufliche Anlässe, aber es hat mich doch auch beruflich häufig zu Vorträgen, zu Veranstaltungen hierher gebracht. Ich habe einmal nachgeschaut und es ist eine lange Liste: Ich war im Bundeskanzleramt, bei der Oesterreichischen Nationalbank, im Wifo, bei der Arbeiterkammer, im Fiskalrat, beim Verband der kommunalen Unternehmen, und ich freue mich besonders – jetzt ist er auch hier –, dass Herr Stadtrat Hanke mich 2019 ins Vienna Economic Council berufen hat, wo ich eine ganze Menge mitbekomme, gerade auch über die österreichischen Verhältnisse und die Hauptstadt.
Trotzdem ist mir bewusst, dass ich hier als Ausländer, als Deutscher, spreche. Das heißt, ich möchte Sie nicht irgendwie belehren und Ihnen kluge Ratschläge darüber geben, was Sie jetzt tun sollen, sondern ich möchte versuchen, einiger-maßen allgemeingültige Dinge zu sagen, ich möchte dabei auch kein großes Grundsatzreferat halten, sondern auf aktuelle Krisen und Probleme eingehen. Dabei wird mir ein bisschen– jetzt habe ich es natürlich im Hotel liegen lassen – unser Sachverständigenratsgutachten des deutschen Sachverständigenrates, das wir vor drei Wochen der deutschen Bundesregierung übergeben haben, helfen. Ich hätte es jetzt hochgehalten, es ist ein 500-Seiten-Exemplar – das sind immer fast 500 Seiten, es steht ja sehr viel drin – und vielleicht ist der Titel ein bisschen programmatisch, der heißt nämlich „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten“. Das fand ich – zufälligerweise, ich kannte den Titel ja nicht, als ich hier zugesagt habe –auch für diese Enquete relativ passend.
Der Titel meines Vortrags ist „Krisen meistern und Transformation gestalten: Zur Rolle des Staates und der öffentlichen Finanzen“. Ich will Ihnen kurz sagen, worauf ich eingehen werde. Ich will über die besondere Krisensituation sprechen, kurz- wie mittel- und langfristig, und dann die kurzfristigen Maßnahmen gegen die Krise besprechen – einige Dinge, die wir zum Beispiel in Deutschland tun, und Kriterien, die wir dabei anwenden – vielleicht ist das für Sie interessant –, und dann vor allem die mittelfristigen Herausforderungen der Transformation darlegen.
Das, was an Bedarf da ist, was der Staat tun soll, was zu Ausgaben führt, muss am Ende immer finanziert werden. Da werde ich dann kurz auf die Finanzierungsfragen eingehen. Das ist auch gerade im Zusammenhang mit gesellschaftlichem Zusammenhalt nicht ganz unwichtig. Dann sage ich noch ein paar Worte zu Europa und dann tue ich etwas, was mir jetzt nicht unbedingt leichtfällt, was aber, glaube ich, als Mahnung nicht schlecht ist. Ich werde nämlich, wenn wir über die Bedeutung verlässlicher Strukturen sprechen, über Deutschland sprechen und Ihnen da ein oder zwei ziemlich unangenehme Negativbeispiele vorführen, bei denen das mit den Strukturen bei uns in der Vergangenheit falsch gemacht worden ist, weshalb wir im Moment bei manchen Dingen große Probleme haben. – So, das ist der Überblick.
Kurz zur Besonderheit der Situation und der Krisen: Man kann es ja eigentlich, wenn man sich mit Wirtschaft und Wirtschaftspolitik befasst, gar nicht glauben, aber Krisen hatten wir genug. Es begann mit der Riesenfinanzkrise 2009/2010, die dann mehr oder weniger fließend in die Eurokrise überging, und als alle dachten, jetzt sei der akute Krisenmodus vorbei – so 2019 –, jetzt stünden nur die langfristigen Herausforderungen, also die Klimatransformation und all diese Dinge, an, da schlug die Coronapandemie zu. Als alle gedacht hatten, jetzt sei das wenigstens einigermaßen behoben, kam dieser fürchterliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit der Energiekrise. Das ist natürlich eine ganz besondere Situation, die man irgendwie behandeln muss.
In Deutschland ist es so, dass sich die deutsche Wirtschaft noch nicht von der Coronakrise erholt hatte. Sie hat einmal in einem Quartal den 2019er-Vorjahreswert touchiert, um dann wieder hinunterzugehen. Das ist in Österreich etwas besser gelaufen, aber dennoch stehen unsere Länder wie auch die gesamten europäischen Länder vor einer starken Abkühlung und möglicherweise auch Rezession – Deutschland wahrscheinlich vor einer Rezession.
Das bringt große Belastungen für die privaten Haushalte und Unternehmen mit sich. Die Energiekrise, die hohe Inflation – es ist eine Rekordinflation wie noch nie zuvor im Euroraum mit Inflationsraten von an die 10 Prozent, vielleicht auch 11 Prozent – sind etwas, wovon wir eigentlich dachten, dass es nicht mehr auftreten würde. Das ist jetzt aber tatsächlich geschehen. Darauf muss man kurzfristig Antworten geben. Natürlich ist es auch so, dass die Energiekrise mittel- und langfristig die Transformation enorm beschleunigt, und dort noch einmal einen entsprechenden Handlungsbedarf erzeugt.
Damit komme ich jetzt zu den kurzfristigen Maßnahmen gegen die Energiekrise. Ich habe mir natürlich auch die Zahlen für Österreich angeschaut. Die sind, was die Belastung angeht, vielleicht etwas günstiger als für Deutschland – aber auch nur etwas günstiger –, weil Österreich etwas weniger vom Gas abhängig ist. Es verläuft trotzdem relativ parallel. Wir haben uns in unseren Ratsgutachten sehr ausführlich die Belastungen für die privaten Haushalte und für die Unternehmen angeschaut.
Ich möchte ein Beispiel nennen. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass aufgrund der starken Inflation die Nettoeinkommen der privaten Haushalte, wenn keine Maßnahmen getroffen werden, im Schnitt um 5 Prozent –sogar mehr – vermindert werden. Vor allen Dingen – und das ist ein soziales Problem – besteht eine große Schieflage dabei. Die untersten Einkommen werden mit über 8 Prozent belastet, während die obersten 10 Prozent, also die einkommensstarken, mit immerhin auch noch etwas unter 4 Prozent belastet werden. Das ist schon eine sehr starke Schieflage, und die Dramatik ist, dass die Haushalte in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung üblicherweise auch keine Reserven haben. Diese sind also besonders stark betroffen und haben wenig Reserven. Das heißt, es ist völlig klar, dass man da etwas tun muss, und ich glaube, das gilt europaweit und weltweit.
Der zweite Punkt betrifft die Unternehmen. Wir haben uns sehr ausführlich angeschaut – wir haben tatsächlich sogar eigene Datenauswertungen gemacht –, wie die Unternehmen betroffen sind. Insbesondere die energieintensiven und die gasintensiven Unternehmen sind sehr stark betroffen. Wir haben uns angeschaut, wie das die Ertragslage beeinflussen würde, und kamen zu dem Ergebnis, dass es beispielsweise in der metallverarbeitenden Industrie, aber auch in der chemischen Grundstoffindustrie, Belastungen gibt, die dazu führen, dass annähernd die Hälfte der Unternehmen, die vorher gute Bruttoerträge erzielt haben, in die Verlustzone rutschen, also akute ökonomische Probleme bekommen, Riesenverluste machen. Das ist etwas, wo natürlich Handlungsbedarf besteht. Man kann ja die Unternehmen nicht kurzfristig alleinelassen und riskieren, dass eine Deindustrialisierung einsetzt oder dass die Unternehmen dichtmachen müssen oder auswandern. Das ist klar.
Das sind also die Herausforderungen. Jetzt ist es so, dass eigentlich überall die Regierungen gehandelt haben, wenn auch zum Teil mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, mit sehr unterschiedlichen Maßnahmen. In Österreich, habe ich gesehen, gab es bisher drei Entlastungspakete, wir sind jetzt in Deutschland bei vier. Da ist sicherlich schon viel getan worden, wenn wir bei den privaten Haushalten und bei den Unternehmen schauen. In Deutschland war es so, dass wir langsamer waren, was die Strompreisbremse angeht. Das hat sich verzögert. Da waren Sie in Österreich schneller.
Bei der Gaspreisbremse waren wir etwas schneller und ich muss sagen, wir hätten noch viel schneller sein sollen, denn die Probleme haben sich abgezeichnet. Man hätte das eigentlich alles über den Sommer ausarbeiten sollen – haben wir nicht gemacht, aber immerhin ist es jetzt so weit. Tatsächlich haben wir jetzt eine Gaspreisbremse, von der ich weiß, dass sie auch in Österreich beachtet wird, mit der versucht wird, einerseits zu entlasten, aber andererseits auch die Einsparanreize nicht zu stark einzuschränken. Wir werden bei den Großunternehmen den Erdgaspreis für 70 Prozent des Grundbedarfs – also des vorherigen Bedarfs – auf 7 Cent pro Kilowattstunde deckeln, bei den privaten Haushalten und bei den kleinen Unternehmen – das hängt von den Gasanschlüssen ab – werden 80 Prozent des Grundbedarfs auf 12 Cent gedeckelt. Das ist also schon massiv, aber nicht so massiv, dass man auf das Vorkrisenniveau geht, um auch die mittelfristige Perspektive, also die Belastung, widerzuspiegeln und nicht dauerhaft Unternehmen zu subventionieren.
Das ist gut, weil die Einsparanreize erhalten bleiben, weil das, was den Sockelbedarf übersteigt, zum vollen Marktpreis gehandelt werden wird. Wir denken, das wird auch relativ wirksam sein, was die Preiseffekte angeht. Wir gehen davon aus, dass die Gaspreisbremse im kommenden Jahr in Deutschland die Inflationsrate um 2 Prozentpunkte dämpfen wird. Wir erwarten also, dass die Inflation dadurch dann etwas hinuntergehen wird.
Das alles soll sozusagen einfach als Information dienen. Klar ist, der Gasbereich und der Strombereich sind natürlich zentrale Bereiche, in denen sich die Probleme kumulieren. Das ist sowohl für die privaten Haushalte als auch für die Unternehmen etwas, wo aus meiner Sicht unmittelbar Entlastungsbedarf besteht und wo Regierungen jetzt unterschiedlich gehandelt haben. Bei der Gaspreisbremse sind wir jetzt vergleichsweise weit fortgeschritten. Das sind jetzt in aller Kürze die kurzfristigen Maßnahmen. Ich will natürlich auch auf die mittelfristigen Herausforderungen, die Beschleunigung der Transformation, eingehen. Es ist klar, dass diese ohnehin weg von der fossilen Energie hin in Richtung Klimaneutralität gehen sollte, und das Ganze möglichst schnell. Das war auch vorher schon eine Herausforderung für die Industrie, für die Bevölkerung, und dementsprechend bedurfte es da schon entschlossener Maßnahmen. Durch die Energiekrise wird das jetzt extrem beschleunigt.
Wenn ich jetzt davon spreche, dass der Staat da viel tun muss, dann soll das nicht heißen – das sind nämlich immer Debatten, die wir dann auch führen –, dass der Staat alles machen muss, also dass wir jetzt eine – ich weiß nicht – umfassende Planwirtschaft einführen und dass jede energie- oder klimapolitische Maßnahme vom Staat finanziert werden muss. Das ist nicht der Fall. Was der Staat aber tun muss: Er muss einen Rahmen setzen und er kann –wenn es über CO2-Preise geschieht, was ja europäisch zum Teil schon geschieht und vielleicht auch noch stärker geschehen könnte – beispielsweise auch Anreize setzen, dass gerade die Privaten investieren und ihr Verhalten ändern. Also das ist völlig klar.
Es ist auch klar, dass gerade private Investitionen stark gefordert sind, um die Transformation hinzubekommen – das sozusagen als Vorbemerkung –, aber es ist auch klar, dass für den Staat bei den öffentlichen Investitionen, und ich habe jetzt ein paar Maßnahmenbereiche als Liste hier, eine Menge an Handlungs- und auch an Ausgabenbedarf hängen bleibt, und das muss gemacht werden.
Ich erwähne: öffentliche Infrastruktur. Das betrifft die Leitungsnetze, das betrifft zum Beispiel die E-Ladesäulen, alles Mögliche, bei uns sehr stark auch Fernwärme, Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr, überhaupt in die klimagerechte Mobilität, öffentliche Gebäudesanierung, Forschungs-, Entwicklungsausgaben, Zuschüsse für Private für Gebäudesanierung, für andere Dinge. Das betrifft auch Investitionszuschüsse an die Industrie, die das im internationalen Wettbewerb nicht alleine machen kann, ohne ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Da es keine funktionierenden Grenzausgleichsmechanismen gibt, ist klar, dass man staatlich etwas tun muss. Und es wird natürlich letztendlich auch Struktur- und Regionalpolitik betreffen, weil es ein massiver Strukturwandel ist.
Damit habe ich jetzt in aller gebotenen Kürze kurzfristige Herausforderungen bei den Entlastungsmaßnahmen skizziert und Ihnen einige der mittel- und langfristigen Herausforderungen durch die Transformation, die sich jetzt beschleunigt, aufgezeigt.
Jetzt komme ich zu der spannenden Frage, wie man das finanzieren soll. Zunächst einmal geht es jetzt auf der einen Seite um kurzfristige Krisenbewältigung und auf der anderen Seite dann um den mittelfristigen Investitions- und Ausgabenbedarf.
Kurzfristig ist eigentlich klar – in guter Tradition, mittlerweile auch sehr weit verbreitet –: wieder als Vorstellung, dass man es kreditfinanziert macht. Das war in der Finanzkrise so, das war bei Corona so und das ist jetzt auch wieder so. Ich glaube, insgesamt, also ohne jetzt sozusagen einen Freibrief ausstellen zu wollen, ist es so, dass in vielen Staaten, darunter Deutschland und auch Österreich, weder der Schuldenstand noch die zu erwartende Zinsbelastung in irgendeiner Form sehr besorgniserregend sind, sodass das geht. Also die Spielräume, die Möglichkeiten sind da. Das ist das eine, was ja gut ist.
Man muss vielleicht ein bisschen vorsichtig sein. Das heißt natürlich nicht, dass man jetzt einfach alles macht und mit der Gießkanne durchs Land geht und überall alles kreditfinanziert macht, sondern die Entlastungspakete, insbesondere jetzt kurzfristig, sollten natürlich zielgenau sein. Das sind auch Kriterien, die ja die EU, die EU-Kommission, und viele andere anwenden. Das heißt einerseits, dass die Energieeinsparanreize nicht verringert werden sollten, also dass man jetzt nicht einfach die Preise runtersubventioniert und damit die Anreize rausnimmt. Das heißt aber auch, dass sich die Entlastungen auf die konzentrieren sollen, die wirklich Probleme haben, und nicht massiv einkommensstarke Haushalte entlastet werden, die die Krise eigentlich alleine bewältigen könnten.
Wenn man das macht, also versucht, das gezielt hinzubekommen, dann vermeidet man einfach, dass es unnötig teuer wird, dass die öffentlichen Haushalte zu stark strapaziert werden, und man verhindert auch – das ist eine besondere Situation, das ist jetzt ein Angebotsschock –, dass die Finanzpolitik zu expansiv wird und möglicherweise die Wirtschaft so stark ankurbelt, dass man die Inflation noch weiter befeuert. Es ist aber abgesehen davon – das sind jetzt sozusagen die stark makroökonomischen Argumente – auch eine Frage von Gerechtigkeit, wenn es um Lastenverteilung geht, dass man das Gefühl hat, dass jetzt diejenigen, die es am nötigsten brauchen, am meisten bekommen und nicht diejenigen, die oben sind, besonders stark entlastet werden.
Wir haben das als Sachverständigenrat in Deutschland analysiert und kommen zu dem Ergebnis – und das wird bei dem Blick auf alle möglichen Entlastungspakete auch von der EU-Kommission geteilt –, dass diese Pakete schon insgesamt in eine gute Richtung gehen, aber letztlich doch auch massiv einkommensstarke Haushalte stark entlasten. Wenn Sie zum Beispiel die Mineralölsteuer und Energiesteuern senken, das wird natürlich auch von reichen Haushalten konsumiert. Wenn Sie automatisch Transfers zahlen, die nicht einkommensgebunden sind, landen die auch dort. Und bei der Gaspreis- und auch Strompreisbremse ist es natürlich auch so, dass Sie die Entlastung breit streuen. Da geht also sehr viel an reiche Haushalte.
Aus diesem Grund, um da die Balance herzustellen und die Maßnahmen zielgenau zu machen, haben wir der deutschen Bundesregierung empfohlen, den Abbau der kalten Progression, der vorgesehen war, um ein oder zwei Jahre zu verschieben, weil das eine Maßnahme ist, die die öffentlichen Haushalte langfristig belastet und auch sehr stark die hohen Einkommen entlastet. Und wir haben auch vorgeschlagen, dass man einen Energiesolidaritätszuschlag auf die besonders einkommensstarken Haushalte erhebt, um die Maßnahmenpakete zielgenauer, balancierter hinzubekommen. Das hat relativ viel Aufsehen erregt, aber ich stehe tatsächlich noch zu der Forderung, weil ich glaube, dass es dafür sehr gute Gründe gibt. Wir haben insgesamt Entlastungspakete mit einem Volumen von 300 Milliarden Euro, und wenn man da 20, 30 vielleicht auch 40 Milliarden Euro über ein paar Jahre verteilt, über zwei Jahre befristet verteilt, bei denen sich wiederholt: die das nicht unbedingt brauchen, dann ist das, glaube ich, etwas, das man sehr gut rechtfertigen kann.
Dann komme ich jetzt zu den mittelfristigen Ausgabenbedarfen, und da ist es natürlich so, dass man zukunftsbezogene Ausgaben oder Investitionen eigentlich über Kredite finanzieren darf. Das ist die gute alte goldene Regel der öffentlichen Investitionen. Wenn man diese Kreditfinanzierung nicht erlaubt, dann setzt man zu geringe Anreize für Investitionsfinanzierungen. Insbesondere wenn die Haushalte in Konsolidierungsphasen unter Druck geraten, dann sind die öffentlichen Investitionen häufig das Erste, das den Einsparbemühungen zum Opfer fällt; das kann man in Krisen immer wieder beobachten. Insofern spricht sehr viel dafür, dass man eine goldene Regel hat, wonach öffentliche Nettoinvestitionen über Kreditaufnahme finanziert werden.
Ich erwähne in diesem Zusammenhang die Initiative von Herrn Stadtrat Hanke und den Bundesländern, die eine Reform der EU-Fiskalregeln genau in diese Richtung angeregt haben, was ich für sehr sinnvoll halte und auf europäischer Ebene auch immer wieder stark vertreten habe.
Es wird dennoch nicht alles in diesen Paketen investiv sein, und man wird sicherlich nicht alles über Kredite finanzieren können, was da an Ausgabenbedarfen läuft – sei es auch nur, weil es Bedenken gibt, dass es vielleicht nicht tragfähig ist, oder man überhaupt glaubt, es wird vielleicht zu stark in Anspruch genommen werden. Also sofern braucht man da auf jeden Fall Begrenzungen. Und letztlich gibt es auch konsumtive Ausgaben, die trotzdem notwendig sind.
Ich glaube deshalb, ein Teil der Bedarfe muss auch aus den laufenden Haushalten gedeckt werden. Da gibt es dann natürlich viele Möglichkeiten. Man kann sagen, es muss auf der Ausgabenseite gekürzt werden, man kann auch sagen, die Einnahmenseite muss verstärkt werden. Wenn wir uns hier im Kontext dieser Enquete unterhalten, wo es ja um gesellschaftlichen Zusammenhalt geht, spricht aus meiner Sicht viel dafür, dass man nicht die Investitionsbedarfe beispielsweise gegen den Sozialstaat ausspielt und dort dann Kürzungen riskiert, sondern dass man dann durchaus auch über höhere Steuern für Einkommensstarke und Vermögende zur Finanzierung nachdenkt. Das wäre dann eben auch eine dauerhafte Finanzierung. Aus meiner Sicht, glaube ich, gut angelegtes Geld und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt wohl sehr zuträglich.
Ganz kurz – bevor ich zum Negativbeispiel Deutschland komme, um Ihnen da vielleicht einfach eine Mahnung zukommen zu lassen – zu Europa: Das, was ich jetzt für Deutschland gesagt habe, und ich hoffe, dass es auch für Österreich anwendbar ist, gilt natürlich letztlich für alle Länder in Europa, also in der EU, und das bedeutet, dass man an die Fiskalregeln und möglicherweise auch an die EU-Ausgaben heran muss. Es ist so, dass die Fiskalregeln bisher ja weder in die eine noch in die andere Richtung funktionieren; also weder ist es gelungen, die Schuldenstände nachhaltig zu reduzieren, noch ist es gelungen, in Konjunkturkrisen richtig gegenzusteuern oder die öffentlichen Investitionen auszuweiten, so wie es eigentlich geboten wäre. Von da her spricht viel dafür, dass man diese Regeln so reformiert, dass man die Balance hinkriegt, dass sie einerseits verbindlicher werden, was mittelfristig den Schuldenabbau angeht, aber andererseits die Spielräume für öffentliche Investitionen und für die Konjunkturstabilisierung lassen.
Ich habe den Eindruck, dass – von Details und von dem, wie es am Ende ausgestaltet wird, kann man ja noch nicht genau sprechen – einiges, das auf EU-Ebene jetzt diskutiert wird, da in die richtige Richtung geht, und das wäre ja, wenn es so käme, etwas, was auch Staaten wie Deutschland und Österreich zugutekäme, wenn nämlich eine öffentliche Investitionsfinanzierung stärker und sauber innerhalb der Regeln über Kredite laufen könnte.
Jetzt komme ich zum letzten Punkt, und zwar noch einmal zur Bedeutung der verlässlichen öffentlichen Strukturen – und da muss ich jetzt leider das Negativbeispiel Deutschland anführen. Es gibt natürlich ein paar Dinge, von denen ich weiß, dass sie auch bis nach Österreich, überhaupt in die Welt vorgedrungen sind.
Es gibt Negativbeispiele: den Flughafen Berlin Brandenburg, der in der Fertigstellung ewig gedauert hat, wo es aber auch jetzt, da er funktioniert, eben nicht funktioniert, wo man Angst haben muss – so auch ich jetzt wieder –, ob, wenn man einen Koffer aufgibt, dieser auch ankommt. Es ist mir schon zweimal passiert – bei wenigen Flügen, die ich hatte –, dass ich am Ende ohne Gepäck dastand. Also das funktioniert nicht.
Die Verspätungen bei der Deutschen Bahn sind mittlerweile legendär, das bekommen Sie auch mit, wenn die Züge aus Deutschland immer zu spät in Wien eintreffen.
Es gab in den Gesundheitsämtern die Probleme, dass die Coronaimpfzahlen gefaxt werden mussten. Es gab keinen digitalen Übertragungsweg. Da wurde gefaxt und die Daten von den Faxen wurden dann in der zuständigen Behörde von Hand in die Datenbank eingetragen. Das alles ist natürlich auf einem entsetzlichen Niveau, und da spielen Verwaltungsstrukturen und Bürokratie eine Rolle, das ist keine Frage.
Es gibt natürlich auch ein Positivbild: Es gibt im Augenblick doch viele Initiativen, gerade was das Energieangebot angeht, was Energieeinsparung angeht. Es gibt viel Pragmatismus.
Es gibt auch in dieser Ampelkoalition, die ja durchaus, wenn man so sagen will, divers zusammengesetzt ist, den Drang, da gemeinsam Probleme zu lösen. Jetzt haben sie sich manchmal etwas über die Finanzierung gestritten, aber letztlich ist es so, dass auch mit einem eigentlich strengen FDP-Finanzminister riesige Kredite aufgenommen werden, um die Bedarfe zu finanzieren. Die fließen dann halt in Sondervermögen und werden quasi neben der Schuldenbremse, die uns viel stärker bremst, als dies in Österreich der Fall ist, verausgabt. Das ist ein Pragmatismus, der auch notwendig ist. Das ist alles gut.
Es gibt aber auch etwas an Problemen und Krisen, das tiefer liegt und was dann tatsächlich mit verlässlichen Strukturen wenig zu tun hat, und das sind die starken Privatisierungen und die extreme Haushaltskonservierung und die Schrumpfkur im öffentlichen Sektor, insbesondere Ende der Neunzigerjahre und dann vor allen Dingen zu Beginn des neuen Jahrtausends, bis etwas 2005, 2006, 2007, als wirklich extrem gekürzt wurde und die Verwaltung richtig geschrumpft wurde. Das ist etwas, das uns in Diskussionen, wenn wir über Finanzierung sprechen, immer auf die Füße fällt. Es wird dann gesagt: Gut, das Geld ist jetzt da, aber könnt ihr das Geld ausgeben, also schafft die Verwaltung das, die Investitionen hinzubekommen?
Und vielleicht ist es im Bundesländerkontext und auch für den kommunalen Kontext interessant, zu sehen: Die Umsetzbarkeit von Investitionsvorhaben in Deutschland, also alles, was mit kommunaler Infrastruktur zu tun hat, ist extrem begrenzt, weil man in der Vergangenheit die Kommunen im Strukturwandel über viele Jahre – zehn, 15 Jahre – eigentlich alleingelassen hat, vor allem nach der Jahrtausendwende. Der Strukturwandel war an sich global. Also das Ruhrgebiet, wo ich meinen Lehrstuhl habe, in Duisburg, ist extrem geschrumpft, eine riesige Wirtschaftskrise. Da hat aber Duisburg als Stadt nicht viel damit zu tun, das ist ein globaler Strukturwandel. Gegen den muss man natürlich irgendetwas tun, aber man hat die Kommunen alleingelassen – mit schrumpfenden Einnahmen, explodierenden Sozialausgaben –, und das hat dazu geführt, dass Kassenkredite explosionsartig gestiegen sind und gleichzeitig die öffentlichen Investitionen zusammengebrochen sind. Vernachlässigung der Daseinsvorsorge war auch die Folge.
Wir haben in den Kommunen mittlerweile einen Investitionsrückstau von 160 Milliarden Euro, das sind 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, und das ist natürlich etwas, das uns jetzt behindert und wo wir erst wieder Strukturen aufbauen müssen.
Deshalb zum Abschluss noch einmal meine Mahnung oder Warnung: Machen Sie den Fehler nicht! Sie haben aus meiner Wahrnehmung von außen in vielen Fällen, vielen Bereichen noch sehr gut funktionierende öffentliche Strukturen, machen Sie die nicht kaputt! Da haben Sie für das, was kommt, eigentlich eine bessere Startposition, denn wir müssen sozusagen zuerst noch etwas reparieren, was in der Vergangenheit kaputtgegangen ist. Das ist etwas, das Sie nicht machen müssen.
Ganz kurz die letzten drei Sätze: Was es braucht: Akute Krisenbewältigung und Transformation erfordern massives staatliches Handeln; die Finanzierung muss gesichert werden – das geht bei Investitionen grundsätzlich über Kredite, und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn es im laufenden Haushalt passiert, sollte es über höhere Einnahmen, meines Erachtens auch von Einkommens- und Vermögensstarken, passieren –; und das, was ich soeben ausgeführt habe: verlässliche Strukturen bewahren, nicht wie in Deutschland sozusagen den Abstieg ganzer Regionen und öffentlicher Haushalte fördern. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
9.45
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
III. Panel 1 „Wirtschaft im Wandel – die Rolle des aktiven Staates“
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Wir gelangen nun zu Panel 1: „Wirtschaft im Wandel – die Rolle des aktiven Staates“.
Ich ersuche die Referent:innen, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.
Ich darf zunächst die Leiterin des Bereichs Volkswirtschaft im Österreichischen Gewerkschaftsbund, Frau Dr.in Helene Schuberth, um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Dr.in Schuberth.
Dr. Helene Schuberth (Österreichischer Gewerkschaftsbund)|: Schönen guten Morgen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Möglichkeit, zu diesem zentralen Thema „Wirtschaft im Wandel – die Rolle des aktiven Staates“ einige Überlegungen mit Ihnen teilen zu dürfen.
Blickt man auf die jüngere Wirtschaftsgeschichte, so galt ja bis zur Finanzkrise, dass sich der Staat auf wenige Bereiche zurückzuziehen habe. Das hat sich 2007, 2008 fundamental geändert: Ohne die massiven staatlichen Interventionen der letzten 15 Jahre würde unser Wirtschaftssystem so nicht mehr existieren.
Aber die mittlerweile drei großen Krisen den 21. Jahrhunderts wirken fort: Das globale Finanzsystem ist trotz fundamentaler Regulierungsform noch immer sehr verwundbar, das sieht man an den globalen Finanzmarktturbulenzen im Zuge der Zinsanhebungen der Notenbanken. Die Pandemie ist nicht zu Ende, die Lieferkettenproblematik wirkt fort. Und die kriegsbedingte Energiekrise stürzt breite Teile der Bevölkerung in Armut, insbesondere die Frauen, und bedroht Industrie und Beschäftigung.
Zu diesen systemischen Krisenkaskaden – so würde ich es nennen – gesellt sich die Klimakrise, die wahrscheinlich die größte Herausforderung überhaupt darstellt.
Das heißt, der Krisenmodus ist offensichtlich permanent, ist zum New Normal, zur neuen Normalität geworden. Und zu berücksichtigen sind hier auch die geopolitischen Rahmenbedingungen, weil die vorhin genannten Krisen in allen drei Fällen eine Debatte über die Notwendigkeit der teilweisen Deglobalisierung, die Notwendigkeit der Verkürzung oder Regionalisierung von Wertschöpfungsketten ausgelöst haben.
Ich möchte jetzt einmal ganz kurz ein paar Überlegungen anstellen, was das alles für die Rolle des Staates bedeutet. Der Staat muss nämlich viel mehr tun, als nur Krisenmanager zu sein. Ich möchte das für drei zentrale Politikbereiche anschauen, zunächst für die Standort- und Industriepolitik.
Ich glaube, die kraftvollen industriepolitischen Initiativen zunächst Chinas und zuletzt der USA – im Rahmen des Inflation Reduction Acts werden ja die USA bis 2030 an die 1 800 Milliarden US-Dollar mobilisieren, um die Wirtschaft umzubauen – haben schon auch dazu geführt, dass die Europäische Union ihre industriepolitischen Konzepte fundamental geändert hat. Das heißt, es geht hier einerseits um strategische Vorgaben, um Finanzierung von Investitionen und strategischen Bereichen, aber auch um staatliche Beteiligung an Unternehmen, weil damit letztlich standortpolitische Ziele am besten erfüllt werden können.
Österreichs Wohlstand basiert im Wesentlichen darauf, dass es in den letzten Jahrzehnten im Unterschied zu anderen Ländern gelungen ist, die Industrie zu halten und weiter auszubauen. Ich glaube, kurzfristig muss wirklich alles getan werden, damit diese industrielle Substanz Österreichs aufgrund der hohen und nicht mehr leistbaren Energiepreise nicht wegbricht. Ich finde, man bräuchte da stärker europäische Lösungen, weil die Nationalstaaten da de facto relativ alleingelassen werden.
Aber unabhängig davon, glaube ich, steht die österreichische Industrie vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten, zum einen wegen der Notwendigkeit der Dekarbonisierung – und das in atemberaubender Geschwindigkeit –, Digitalisierung, aber auch wegen der eskalierenden geopolitischen Konflikte in einer Situation, in der wir sehr hohe Importabhängigkeit haben.
Wir sprechen immer von Abhängigkeit von Energie, Öl und Gas, aber wir haben eine große Importabhängigkeit im Bereich von Gütern, die im Produktionsprozess essenziell sind, zum Beispiel Halbleiter, die wir kurzfristig nicht substituieren können. Wir haben aber darüber hinaus eine sehr hohe Importabhängigkeit bei den kritischen Rohstoffen, die wir aus autokratisch regierten Ländern importieren, die ganz wesentlich sind für die Dekarbonisierung, für die Elektrifizierung, Elektromobilität beispielsweise, seltene Erden, die werden fast ausschließlich aus China importiert. Auch im Bereich der systemischen Infrastruktur wären Abhängigkeiten vom Ausland zu reduzieren.
Ich komme jetzt zum Klimawandel: Industriepolitik und Klimawandel sind zwei Seiten derselben Medaille. In den kommenden Jahren stehen wir vor der Notwendigkeit eines massiven Umbaus der Energieversorgung, aber auch der Umstellung der Produktionsprozesse Richtung CO2-neutraler Energieträger. Ich glaube, Marktinstrumente allein, zum Beispiel steigende Energiepreise, werden nicht in der Lage sein, die Transformation im notwendigen Tempo zu bewältigen. Das würde eher zu sozialen Verwerfungen führen. Daher glauben wir, das Wichtige ist: Transformation by design and not by disaster.
Dass es in diesem Zusammenhang ordnungspolitischer Vorgaben bedarf, wie beispielsweise eines wirksamen Klimaschutzgesetzes, der Beseitigung bürokratischer Hürden beim Ausbau der Netze, beim Ausbau der Erneuerbaren, das ist hinlänglich bekannt. Ebenso bekannt ist, glaube ich, dass wir massive Mittel, private, aber auch staatliche, mobilisieren müssen, um diese Transformation zu bewältigen.
Das österreichische Bundesumweltamt spricht von 145 Milliarden Euro allein bis 2030. Und ich glaube, ein Marktmechanismus, selbst wenn er an klare Verbote und Gebote gekoppelt ist, ist nicht imstande, den raschen Ausbau der Wirtschaft in dieser atemberaubenden Geschwindigkeit, wie es notwendig sein wird, zu bewältigen. Das heißt, die öffentliche Hand muss hier die Transformation aktiv orchestrieren. Ich glaube, es lohnt sich. Ich habe mir auch Nachkriegsbeispiele angeschaut, angeschaut, wie die europäischen Länder den Aufbau in strategischen industriellen Bereichen geschafft haben.
Ich glaube, man müsste so etwas wie Transformationspfade für Sektoren, beispielsweise für Energie, Verkehr, Industrie, Gebäude und die Landwirtschaft, definieren. Aber das soll eben nicht hoheitlich-imperativ passieren, sondern unter Einbindung der Sozialpartner, so wie das in der Nachkriegszeit auch gemacht wurde, in Frankreich der Monnet-Plan beispielsweise, in Österreich, und auch unter aktiver Mitwirkung der Länder und Gemeinden.
Ich denke, die Unternehmen sollten dann auf Basis dieser Transformationspfade Dekarbonisierungspläne erstellen. Da geht es jetzt nicht nur darum, dass die Unternehmen genau darlegen, wie sie CO2-neutral werden sollen, sondern ganz zentral ist da auch, dass man darlegt, wie die Beschäftigten abgesichert werden.
Auch könnte ein staatlicher Energie- und Transformationsfonds aufgelegt werden, der eben nicht nur transformative Investitionen finanziert, sondern auch als Equity Fund, also das heißt, wo der Staat auch strategische Beteiligungen übernimmt.
Wichtig ist, glaube ich, dass die Transformation von allen gemeinsam getragen wird und garantiert ist, dass hochqualitative Arbeitsplätze entstehen und diejenigen, die eben negativ betroffen sind, abgesichert werden. Das heißt, Klimapolitik ist nicht nur Industriepolitik, sie ist auch Beschäftigungs-, Sozial- und Bildungspolitik.
Abschließend: soziale Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen. Die Leistungen in diesem Bereich – und da zähle ich wirklich auch die Energie dazu – müssen für jeden und jede zugänglich sein, und sie müssen ausgebaut werden, auch angesichts der demografischen Entwicklung.
Gerade die Liberalisierung und die Privatisierung im Energiesektor hat dem österreichischen Staat, wie die aktuelle Energiekrise zeigt, sehr viel an Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten genommen. Dazu muss man auch sagen: Infolge des Wettbewerbs wurden viel zu geringe Investitionen in die Energieinfrastruktur und in die Stromspeicherung vorgenommen – und das hängt heute noch nach.
Ich glaube auch, dass die Energieversorgung für Haushalte dem Markt entzogen werden muss, so wie dies für alle Bereiche der sozialen Infrastruktur und der sozialen Dienstleistungen gilt.
Meine Damen und Herren! Vielen ist mittlerweile bewusst, dass die Neugestaltung der globalen Wertschöpfung aufgrund des Klimawandels einer grundlegenden Transformation unserer Wirtschaft bedarf. Aber all das lässt sich nur bewältigen, wenn der Staat diese Prozesse aktiv orchestriert, durch strategische Planung. Das hat nichts mit Planwirtschaft zu tun. Ich glaube, strategische Planung hat zuletzt in zahlreichen europäischen Großstädten, wie Barcelona, London oder Wien, eine Renaissance erfahren, und da könnte man durchaus anknüpfen. – Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
9.55
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Ich darf nun den amtsführenden Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Internationales und Wiener Stadtwerke, Herrn Kommerzialrat Peter Hanke, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Stadtrat.
Kommerzialrat Peter Hanke (Amtsführender Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Internationales und Wiener Stadtwerke): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates und Abgeordnete! Es wurde in dieser Enquete ja schon viel gesagt. Und ich darf mich noch einmal sehr herzlich bei Ihnen allen bedanken, dass ich heute hier stehen darf – ein wunderbarer Saal –, das erste Mal, und ich habe die Möglichkeit, hier ein Stück weit die Rolle des Staates neu zu beleuchten.
Ich habe mir da viel vorgenommen, habe hier viele Kärtchen, viele Redekärtchen, immer mit dem Wien-Logo hinten drauf, weil ich schon glaube, dass wir in Wien in den letzten Jahren vieles richtig gemacht haben. Und eines ist mir wichtig, wenn wir im Rahmen dieser Enquete gemeinsam hier sitzen, so bunt zusammengewürfelt – im positiven Sinne bunt zusammengewürfelt, wenn es nämlich darum geht, die Stadt Wien zu spüren, hier meine Regierungspartnerinnen – in dem Fall – zu spüren, aber auch die WKO, mit dir als Präsidentin, und die Abgeordneten –: Das ist die Kraft, die uns in den letzten 50 Jahren so stark gemacht hat, diese Kraft der Sozialpartnerschaft, des gemeinsamen Dialogs und der Möglichkeit, gemeinsam aktiv zu werden. Und das ist etwas, was wir teilweise zwar als selbstverständlich ansehen, was es aber nicht ist, und was uns, glaube ich, in diesen Monaten und in diesen Jahren auch mehr Energie gibt als den europäischen Mitbewerbern, die um uns sind.
Am Ende ist es ein Wettbewerb der Städte, ist es ein Wettbewerb der Länder, und wir müssen beweisen, dass wir das mit Ernsthaftigkeit angehen.
Natürlich machen mich aber auch die Diskussionen der letzten Tage ein bisschen unsicher, ob wir diesen Pfad auch wirklich begehen werden. Aber auf der anderen Seite ist es gut, ist es gelebte Praxis, dass man sich miteinander auseinandersetzt und dass man dann hoffentlich einen guten Kompromiss findet. Man sollte es nie übertreiben. Und dieses Nie-Übertreiben ist halt leichter gesagt, getan ist es ein bissl schwieriger.
Damit habe ich auch schon viel gesagt, wenn ich über Wandel und den aktiven Staat rede, denn wir müssen ihn gestalten, genau wir, die wir hier sind. Und was passiert ist, haben wir heute schon gehört: Es ist nichts gleich geblieben. Der geopolitischen Veränderung sind Tür und Tor geöffnet, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Es ist über strategische Themen neu zu befinden. Es ist über neue Zielsetzungen zu befinden. Und es hat sich allein in den letzten 30 Jahren massiv viel verändert, so wie die Vorrednerin und der Vorredner schon gesagt haben.
Vor 30 Jahren war für mich spürbar, in meiner politischen Sozialisierung und Wirklichkeit, in meinem Tun, dass sich alles um Wachstum gedreht hat, Wachstum zum Quadrat. Jeder hat über Wachstum gesprochen, jeder hat über Wohlstandsaufbau gesprochen, und es war eine sehr, sehr aktive Zeit.
Vor 20 Jahren ist das ein bissl zurückgefallen. Da haben wir dann auf einmal eher über PPP-Modelle, über den schlanken Staat gesprochen, darüber, wo wir uns zurückziehen können, wo Achim Truger dann auch gesagt hat: Na ja, da sind dann in diesem Europa schon viele unterschiedliche Wege gegangen worden.
Vor zehn Jahren sind diese geopolitischen Veränderungen, die vorhin angesprochen wurden, und auch die neuen Märkte so richtig in das Bewusstsein gekommen, dass der asiatische Markt da ist, dass Indien kommt, dass auf einmal die Verknüpfung der Wirtschaftsthemen eine viel intensivere wird.
Heute, sage ich, ist es ganz klar, so wie die Vorrednerin auch gesagt hat: Die Klimaneutralität ist wohl unser oberstes Ziel. Wir haben doch wohl zu versuchen, all das als Staat in einen Rahmen zu stellen, wo wir Sicherheit generieren können, wo wir den Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit geben können, dass sie wissen, dass sie sich auf uns, die wir hier auf Bundes- und auf Landesebene arbeiten, verlassen können, dass sauber gewirtschaftet werden kann, dass sicher gelebt werden kann, dass Wohlstandsthemen, von unseren Vorgenerationen wohlerarbeitet, von uns ein Stück weit in die Zukunft getragen werden und dass wir – klar – eine Vision für das Morgen haben. Diese Vision für das Morgen, glaube ich, ist so wichtig, damit wir unseren Bürgerinnen und Bürgern auch dieses Ziel geben können. Wir haben eine Vision zu haben, und wir haben uns in der Stadt Wien jedenfalls vorgenommen, das ganz klar mit dem Thema Smart zu verbinden: Wir wollen eine moderne, smarte Entwicklung haben.
Auch dieses Wort smart ist so leicht ausgesprochen, aber man muss das ja erst einmal umsetzen, und wenn wir jetzt über die Covid-Krise und die Energiekrise laufend gefordert sind und gleichzeitig versuchen, auch unseren langfristigen Plan zu halten, dann ist das natürlich eine absolute Herausforderung. Wir alle kennen nämlich die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger – und das sind legitime Bedürfnisse –: Es geht, ich blicke da in Richtung Vizebürgermeisterin Gaál, um Wohnen, um leistbares Wohnen, es geht um Kultur, für die wir in dieser Stadt stehen, wo wir so viel erreicht haben, wo wir uns im Vergleich zu anderen Metropolen im Sinne des Positiven, im Sinne des Neuen, im Sinne des Gestaltens und des kreativen Tuns abnabeln können.
Wir müssen aber wirtschaftlich dafür Sorge tragen, dass das auch möglich ist, darum darf ich mich hier auch explizit bei Achim Truger sehr herzlich bedanken, einem großen Wienfreund, der dankenswerterweise das eine oder andere Mal bei uns vorbeischaut und mich unterstützt, wenn es darum geht, die richtigen Antworten zu finden. Wie ich schon gesagt habe: Wir haben gemeinsam – gemeinsam: 20 Österreicher und ein guter Beitrag aus dem benachbarten Ausland – versucht, eine Strategie, eine Wirtschafts- und Innovationsstrategie zu entwerfen, die aber nicht nur bis morgen blickt, sondern bis 2030. Damit wollen wir dieses Smarte, von dem ich vorhin gesprochen habe, als Rahmenstrategie in wirtschaftlich vertretbare Einheiten herunterbrechen, müssen das umsetzen und dann wirklich dafür Sorge tragen, dass wir in Zeiten der Krise, und Covid war natürlich eine solche, mit neuen Modellen antworten.
Ich bin dann immer sehr stolz: Beispielsweise ist es uns gelungen, dass wir innerhalb von zwei Monaten 10 000 Unternehmer in dieser Stadt mit unseren digitalen Optionen diesbezüglich zufriedenstellen konnten. Wir haben Förderungen auf die Welt gebracht, die es in der Form noch nicht gab, wir haben die digitale Entwicklung forciert, indem wir einfach großzügig unterstützt haben. Warum und wie konnten wir großzügig unterstützen? – Weil das Thema der Daseinsvorsorge für uns ein so wichtiges ist und weil wir, wie ich meine, in Wien alles getan haben, dafür Sorge zu tragen, dass diese Entwicklung eben über 40 Jahre und länger funktioniert hat.
Ich denke da heute an Wiener Wohnen, wo wir Zehntausende Wohnungen haben – Hunderttausende Wohnungen, würde die Frau Vizebürgermeisterin sagen, vollkommen richtig –, und denke zusätzlich daran, dass wir mit der Wirtschaftsagentur Wien eine Struktur haben, über die wir in Krisenzeiten eben schnell fördern können, so wie unter Covid. Oder: Wir haben uns gemeinsam mit „Stolz auf Wien“ etwas einfallen lassen, haben mittlerweile 40 Unternehmen gemein-sam zusammengeführt, die unter Covid Probleme bekommen haben, und haben gesagt: Wir gehen einen neuen Weg, wir geben Eigenkapital auf Zeit. Wir versuchen, einmal einen anderen Weg zu gehen. – Das fällt einem alleine wohl nicht ein, da braucht man gute Mitstreiter, und diese Mitstreiter zusammenzuführen und diese Verantwortung zu erfüllen ist uns mit dieser Wirtschafts- und Innovationsstrategie ganz, ganz, ganz wichtig.
Das ist aber nur ein Teil dieses Themas Smart, dem wir uns verpflichtet fühlen und bei dem wir einfach zeigen wollen, dass wir verstanden haben, wie es funktioniert. Ein moderner Staat muss schneller funktionieren, als er jetzt funktioniert. Wir müssen mehr Energien in die Veränderung investieren. Erst gestern – und es ist mir neuerlich eine Freude, und Sie werden verstehen: ein bisschen Eigenwerbung darf man ja machen –haben wir den Energiebonus 22 vorgestellt und haben damit auf Landesebene jetzt eine Unterstützung in Höhe von 130 Millionen Euro in die Gänge gebracht, durch die 650 000 Haushalte innerhalb von wenigen Wochen 200 Euro überwiesen bekommen. Da bin ich wieder dabei: Natürlich ist eine Einmalzahlung keine strukturierte Lösung, aber sie ist kurzfristig notwendig, um den Leuten das Leben zu ermöglichen, um diesen sozialen Zusammenhalt zu generieren.
Gleichzeitig müssen wir aber mit dem Smarten – um darauf zurückzukommen – natürlich eine Antwort finden, wie Raus aus Gas funktioniert. Da tun wir uns in der Daseinsvorsorge ein Stück weit leichter, weil wir mit einem Konzern wie den Wiener Stadtwerken die Möglichkeit haben, Investitionen schnell und klar zu setzen. Wir gehen in Geothermie, wir gehen in Tiefengeothermie, wir gehen aber auch in Großwärmepumpen, und wir werden alles tun, um diese nächsten 18 Jahre so zu nutzen, dass wir 2040 klimaneutral sind.
Das sind wir der nächsten Generation schuldig, und deshalb mein Aufruf zum Schluss: Lassen Sie uns, lasst uns das bitte gemeinsam ein Stück weit schneller machen! Wir müssen hier einfach auf die Herausforderungen der Zeit Antworten finden, die uns gemeinsam beflügeln, das zu schaffen, woran wir zu arbeiten haben, nämlich den Wettbewerbsvorteil Österreichs nicht zu reduzieren, sondern zu stärken, und damit Sorge zu tragen, dass wir in Europa weiter den Fokus haben, den wir verdienen, nämlich als ein guter, moderner Wohlstaat, der in der Form gut funktioniert.
Das wünsche ich uns allen für die Aufgaben der nächsten Monate: dass diese Herausforderung gelingen möge! – Vielen Dank. (Beifall.)
10.06
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Zuletzt darf ich den Vizepräsidenten der Wirtschaftskammer Österreich, Herrn Nationalratsabgeordneten Dr. Christoph Matznetter, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte.
Dr. Christoph Matznetter (Wirtschaftskammer Österreich): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Frau Präsidentin hat in ihrem Beitrag schon darauf hingewiesen, dass der Spruch: Mehr privat, weniger Staat, ziemlich aus der Mode gekommen ist. Frau Dr.in Schuberth hat auch genau die Zeitenwende angeführt – das war die Finanzkrise ab den Jahren 2007, 2008 –, die dazu geführt hat, dass die noch vehement nach dem auf die Nachtwächtereigenschaft reduzierten Staat Schreienden ziemlich still geworden sind. (Vizepräsident Hirczy übernimmt den Vorsitz.)
Ich möchte das aber dennoch nützen, um Sie sozusagen ein bisschen auf das Grundsätzliche zurückzuführen, bevor wir zum Konkreten kommen: Was kann die öffentliche Hand, der starke Staat für diese Wandelprozesse beitragen?
Seien wir uns im Klaren über Folgendes – sagen wir einmal so –: Der Meteor, der vor 65 Millionen Jahren eingeschlagen hat, war wahrscheinlich der entscheidende Faktor, dass nicht die Saurier über diesen Planeten herrschen, aber es ist doch immerhin erstaunlich, dass eine Gruppe von Primaten mit wenig Körperbehaarung, die sich bei Vorhandensein von vier Extremitäten auf zwei beschränkt haben, plötzlich die Führung über diesen wunderschönen blauen Planeten übernommen hat. Der Grund dafür ist, dass sie in der Lage waren – jetzt bin ich schon bei der Wirtschaft –, obwohl sie nicht über besondere Reißzähne, keine besonderen Krallen und andere Mordwerkzeuge verfügt haben, ihre ersten Wirtschaftsformen gemeinschaftlich zu organisieren und auch Tiere bis zur Größe von Mammuts – die waren bitte doppelt so groß wie heutige afrikanischen Elefanten – erlegen, zerlegen, sie arbeitsteilig verwenden und daraus von Fellen bis Behausungen, Essen und Ernährung für den Winter herzustellen konnten. Das war bereits öffentliche Hand.
Arbeitsteilung plus öffentliche Hand war ein Erfolgsrezept, das dazu geführt hat, dass es diese sonderbare Säugetierart doch übernommen hat, diesen Planeten zu führen, es aber auch übernommen hat, ihn möglicherweise in den nächsten Jahrzehnten in den Untergang zu führen.
Ich komme zurück zum Erfolgskonzept: Ein solches Erfolgskonzept erfordert fürs weitere Wirtschaften natürlich auch, sich zu überlegen: Wie viel ist notwendig und wie viel ist nicht notwendig? – Ich bin da für einen sehr pragmatischen Zugang. Sagen wir einmal so: Als junger linker Student musste man sich zum Beispiel Fachliteratur kaufen, und dann hat man schon gesehen: Das mit dem Markträumungsmechanismus funktioniert nicht immer. Selbst wenn man in den Siebzigerjahren „Das Kapital“ von Karl Marx kaufen wollte, war man hier in Wien – diesseits des Eisernen Vorhangs – mit sehr hohen Preisen konfrontiert, obwohl es zu diesem Zeitpunkt urheberrechtsfrei war. Als österreichischer Student ist man nach Ungarn gefahren, ist in die deutsche Buchhandlung der VEB Leipzig in Budapest gegangen und hat das Buch sehr gut gebunden und in guter Qualität viel billiger gekauft und hat begriffen: Ja, aber selbst die linken Kommilitonen, die es in Wien verkaufen, gehen nicht an die Grenzkosten, sondern schauen, möglichst viel Profit zu machen.
Das führt zur Erkenntnis, dass es offensichtlich auch Marktstörungen geben kann, und mit der beschäftigen wir uns schon, seit der schottische Aufklärungsliberale Adam Smith von der Moralphilosophie kommend uns die Gemeinsamkeiten aufgezeigt hat. Der Homo oeconomicus handelt im Eigennutzen und stellt erstaunlicherweise ein Gemeinwohl her, indem nämlich alle zum Eigennutz arbeiten, und dann kommt es zu einem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage und zu einer effizienten Produktion. Das haben wir alle in den Einführungsvorlesungen gelernt.
Diejenigen, die das Glück hatten, noch vor 30, 40 Jahren die Einführungsvorlesung bei Prof. Streissler zu hören, haben noch einen besonderen Witz dazu gehört, der dazu beigetragen hat, den Studenten die Augen zu öffnen. Der Witz geht so – er ist ganz kurz, und entschuldigen Sie den russischen Inhalt trotz Angriffskrieg –: Einem russischem Bauer erscheint eine Fee auf dem Feld, und die Fee sagt zum Bauern: Bauer, du hast einen Wunsch frei! Du kannst dir wünschen, was du willst, aber bedenke, dein Nachbar bekommt immer das Doppelte. Was wünscht du dir? Der Bauer denkt nach und sagt: Bitte, Fee, nimm mir ein Auge! – Das Geheimnis davon ist, dass bei allem Eigennutz auch die menschlichen Charakteristika zu berücksichtigen sind und daher mit Gier und anderem Störungen eintreten. – So, Full Stop.
Zu uns: Was muss jetzt die Affenbande in der Energiekrise machen? Was muss sie machen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie in Wahrheit, wenn sie weitermacht wie bisher, diesen Planeten zerstört, auf dass eine neue Spezies ihn übernehmen kann – möglicherweise Insekten, die da anpassungsfähiger sind? – Wenn sie das vermeiden will, dann wird es notwendig sein, ihr gesamtes Wirtschaftssystem unter kooperativer, gemeinschaftlicher Organisation so umzustellen, dass es funktioniert, und dann ist es kein Zufall, dass sich mitten hinein in die Energiekrise, in der wir jetzt stecken, eine sonderbare Kampfallianz bildet aus Industriellenvereinigung – letzte Woche im Wirtschaftsparlament der Wirtschaftskammer, wo wir beschlossen haben, dass wir die deutsche Regelung äquivalent auch bei uns brauchen und die Erhöhung der CO2-Steuer zum 1. Jänner vielleicht ein bisserl verschoben werden soll –, gemeinsam mit der Opposition und den Sozis.
Wieso kommt das zustande? – Weil diese nackte Primatenart immer spürt, wenn es ein Problem gibt: Jetzt müssen wir zusammenhalten! Die Energiefrage und der Klimawandel sind aber dermaßen komplex, dass die Wirtschaft allein es mit ihren Regulatorien nicht zusammenbringen kann – und ich belästige Sie jetzt nicht damit, dass der Erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass der unermüdliche Drang zur Entropie dazu führt, dass wir nur mit erhöhtem Energieeinsatz komplexere geordnete Strukturen aufrechterhalten können und wir hier blöderweise so circa auf der geografischen Höhe der Hudson Bay zu Hause sind.
Ich meine, die Kanadier bauen auch Fotovoltaikanlagen, aber logischerweise weiter im Süden – New York liegt übrigens auf der Höhe von Palermo. Das alles kann man auf dieser Kugel, Globus genannt, nachschauen. Das heißt, eine sehr weit im Norden liegende Zivilisation wie die europäische muss diesen harten Kampf gegen die Entropie führen zu einem Zeitpunkt und von einer geografischen Lage aus, die mit einer schrägen Sonneneinstrahlung und einem relativen langen Winter einhergehen, und muss nur aufgeheizt durch den Golfstrom überleben. Das heißt, wir haben eine ganz besondere Herausforderung, diesen Wandel auch in der Wirtschaft durchzuführen, und das geht nur mit Regulatorien, das geht nur durch die Organisation des Staates und ist nicht marktwirtschaftlich zu regeln.
Ich komme noch einmal zu diesem Adam Smith zurück – oft missverstanden –: Logischerweise war ja das Gedankenexperiment völlig richtig, dass es Gleichgewichtszustände gibt, wenn der rational denkende Verbraucher, also Käufer, so lange kauft, solange es ihm zumutbar ist und er Bedarf hat, und der anbietende Produzent unter Umständen mehr produziert, bis er letztlich – Grenzkostentheorie des 19. Jahrhunderts – in der Lage ist, zu Grenzkosten zu produzieren.
Logischerweise geht das nicht, wenn der Nachfragende keine Alternative hat. Wenn man Trinkwasser marktwirtschaftlich organisiert, kann das nicht funktionieren, weil man Trinkwasser immer braucht. Man hat nicht die Möglichkeit, einfach darauf zu verzichten – ich lasse jetzt einmal die Substitution durch red-bull-ähnliche Getränke weg; im Film „Idiocracy“ wurde beschrieben, wie sich das auswirkt, aber jetzt real betrachtet –, und das gilt für viele Bereiche: Jedes Leitungsnetz, das es gibt, kann man nicht marktwirtschaftlich betreiben, man wird auch Schwierigkeiten bei einem Pipelinenetz oder bei Hochspannungsleitungen bekommen, weil man ja nicht für jeden Anbieter eine neue Leitung bauen kann. Daher muss man es in diesem Bereich anders regeln, und es ist unsere Aufgabe, diesen aktiven Staat herzustellen, er ist die Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft.
Stellt euch bitte vor, wir hätten keine gemeinsame Straße, keinen gemeinsamen öffentlichen Verkehr, kein Sozialsystem, kein Gesundheitssystem: Stellt euch vor, welche Kosten die Unternehmen hätten! Schaut in Länder, in denen sie vom Werksverkehr, damit sie ihre Arbeiterinnen und Arbeiter überhaupt zur Produktionsstätte bekommen, über die Ausbildung alles selber zahlen müssen! Die Externalisierung dieser Kosten mit gleichzeitiger optimaler gemeinschaftlicher Organisation ist die Basis für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft.
Nur wenn man einfach neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufnimmt, die hervorragend gebildet sind – und diese auch gebildet zur Verfügung hat –, wenn sichergestellt ist, dass man sich nicht darum kümmern muss, dass sie nicht mit 60 in Altersarmut versinken und daher vorher auswandern und die Unternehmer:innen alleinelassen, nur wenn sichergestellt ist, dass sie im Krankheitsfall versorgt sind und man das nicht im Betrieb organisieren muss, nur dann kann man heute unter globalisierten Bedingungen eine wettbewerbsfähige Wirtschaft haben – und das ist ein aktiver Staat.
Daher muss mit diesem Unsinn aufgehört werden, sich sozusagen dauernd feindschaftlich gegenüberzustehen, weil es halt, wie Prof. Truger gemeint hat, manchmal nicht funktioniert, sondern man sollte eher daran arbeiten, dass der Staat funktioniert, dass er eine aktive und proaktive Rolle übernimmt, um eine gute Basis für die Wirtschaft darzustellen.
Am Ende des Tages bleibt unser Problem das gleiche wie beim Erlegen der Mammuts: Wir dürfen nicht so lange jagen, bis es keine mehr gibt.
Damit zum letzten Teil: Denken wir doch bitte an die Edges, an die Grenzen! Leider neigt der Mensch im Herdenverhalten dazu, nicht klar zu sehen, dass gemeinschaftliches Handeln manchmal anders ist als das individuelle Handeln. Es war, glaube ich, Prof. Kramer, der spätere Wifo-Chef, der das seinen Studenten immer so erklärt hat: Stellen Sie sich vor, Sie sind im Kino und es sitzt ein großer Mensch vor Ihnen. Sie stehen auf, um den Film besser zu sehen. Sie sehen kurzfristig besser, aber am Ende stehen alle, womit alle gleich schlecht sehen, nur auf unbequemeren Niveau. – Das heißt, das Verhalten aller führt nicht immer zum besten Ergebnis – ich habe jetzt den Ringtheaterbrand des 19. Jahrhundert weggelassen, bei dem alle überlebt hätten, wenn sie in Ruhe hinausgegangen wären.
All das beweist uns, dass wir beim Gemeinschaftlichen ein bisschen andere Regeln beachten müssen, und das gilt halt auch für unsere Krise. Meritorder mag einmal eine vernünftige Idee gewesen sein – sie ist in Wirklichkeit ein staatlicher Eingriff und eine Marktstörung. Und wer Inflationsraten senken will, darf wirklich auch in die Schweiz schauen: Die haben eine rein öffentliche Energieversorgung mit geregelten Preisen – Ergebnis: Die Inflationsrate ist ein Drittel von jener bei uns.
Lernen wir davon, so wie unsere Vorfahren – die mit dem Fell und den langen Elfenbeinzähnen – auch gelernt haben, dann könnten wir vielleicht auch noch in hundert Jahren den Planeten weiter bewohnen! Ich wünsche es mir für uns und für unsere Kinder und Kindeskinder. – Danke. (Beifall.)
10.17
Vorsitzender Vizepräsident Bernhard Hirczy: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Panel 1 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Redebeiträge.
IV. Panel 2 „Die Rolle öffentlicher Strukturen als Stabilisator in Zeiten der Krisen und großen Veränderungen“
Vorsitzender Vizepräsident Bernhard Hirczy: Wir kommen nun zu Panel 2, den Referaten zum Thema: „Die Rolle öffentlicher Strukturen als Stabilisator in Zeiten der Krisen und großen Veränderungen“.
Ich ersuche die Referentinnen und Referenten wieder, ihre Beiträge vom Redner:innenpult aus abzugeben, wobei die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht überschritten werden soll.
Ich darf zu Beginn die Präsidentin der Arbeiterkammer Wien und der Bundesarbeitskammer, Frau Renate Anderl, um ihren Beitrag bitten. – Bitte, Frau Präsidentin.
Renate Anderl (Arbeiterkammer Wien, Bundesarbeitskammer): Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Liebe Abgeordnete! Liebe Bundesrät:innen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Präsidentin! Auch von mir einen schönen Vormittag und ein herzliches Dankeschön für die Möglichkeit, heute hier auch seitens der Arbeiterkammer einen Input liefern zu können.
Es ist, glaube ich, schon mehrmals angesprochen worden: Wir erleben derzeit sehr herausfordernde Zeiten. Wir haben seit fast zweieinhalb Jahren eine Pandemie – eine Pandemie, die die Welt, so wie wir sie gekannt haben, sehr stark verändert hat. Wir haben seit Februar 2022 einen Krieg in Europa – ich würde sagen, fast vor der Haustür –, der unermessliches Leid und unglaublichen Schrecken bringt. Wir haben – es wurde auch schon angesprochen – eine Energiekrise, wir haben eine Teuerungskrise, und viele Menschen in Österreich fragen sich am Ende des Monats: Soll ich heizen oder soll ich essen?
Zu diesen Herausforderungen kommen aber noch viele weitere Baustellen. Wir haben ein Bildungssystem, das nicht allen Kindern die gleiche Chancen gibt, wir haben ein Gesundheitssystem, in dem nicht alle Menschen den gleichen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, und im Bereich der Pflege, der für unsere Gesellschaft so essenziell ist, steht das Personal derzeit unter einem sehr hohen Druck – unter einem so hohen Druck, dass viele diesen Bereich verlassen, was natürlich im Endeffekt noch mehr Druck verursacht. Das heißt in Wirklichkeit, es ist ein Teufelskreis.
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, ich möchte mich aber jetzt nicht nur auf die Dinge fokussieren, die nicht so gut laufen. Wir haben in Österreich eine öffentliche soziale Infrastruktur, um die uns wirklich viele beneiden. Wir haben in Österreich einen guten, starken Sozialstaat, der gerade in Krisenzeiten bewiesen hat, was er kann. Das haben wir in der Pandemie gesehen, das sehen wir jetzt auch in der Energiekrise und in der Teuerungskrise.
Das Stichwort Sozialstaat ist heute schon gefallen: Unser Sozialstaat ist essenziell für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Österreich, ist essenziell für den sozialen Frieden in Österreich. Der Sozialstaat ist das Vermögen der vielen in unserem Land, und er bringt allen etwas, egal ob man arm oder reich ist. Unser Sozialstaat – das sind nicht nur wichtige Geldleistungen, sondern das ist vor allem auch die öffentliche Infrastruktur. Unser Sozialstaat – das sind auch unsere Kinderbildungseinrichtungen, unsere Schulen, Universitäten, unsere Krankenhäuser, unsere Pflegeheime, unser öffentliches Verkehrsnetz genauso wie unsere öffentliche Strom- und Wasserversorgung. All diese Infrastruktur wird der Gesellschaft einfach zur Verfügung gestellt, egal ob man arm oder reich ist. Alle, die in Österreich leben, profitieren davon. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass auch heute niemand hier sitzt, der noch nie von unserem Sozialstaat profitiert hat.
Sie sehen, sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren, unser Sozialstaat ist viel mehr, als man oft auf den ersten Blick sieht; dass unser Sozialstaat gerade in Krisenzeiten zeigt, was er kann, habe ich ja vorhin gerade erwähnt. Das ist gerade mit Blick in die Zukunft von großer Bedeutung, denn mit der voranschreitenden Digitalisierung, dem Strukturwandel und der Klimakatastrophe werden die Krisen nicht weniger, im Gegenteil. Multiple Krisen sind eine Herausforderung für alle, umso wichtiger ist es deshalb, dass wir unsere öffentliche Infrastruktur, die allen Menschen, die hier leben, zugutekommt, weiter stärken, ausbauen und vor allem auch krisenfest machen.
Ich möchte das auch deshalb so betonen, weil viele internationale Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, dass öffentliche Strukturen auch in öffentlicher Hand bleiben – das wurde von meinem Vorredner auch angesprochen. Privatisierungen im Gesundheitswesen und im Bahnwesen haben in Großbritannien grobe Sicherheitsmängel, massive Einbußen bei der Dienstleistungsqualität und enorme Personalbelastungen gebracht. Privatisierungen von Wasserversorgungsunternehmen haben zu dramatischen Verschlechterungen der Qualität geführt. Sie sehen: Es sind überall Verschlechterungen und keine Verbesserungen passiert.
Die Coronapandemie hat uns ganz deutlich vor Augen geführt, dass nur ein öffentliches Gesundheitswesen in der Lage ist, alle Menschen gut zu versorgen. Nur ein öffentliches Gesundheitswesen schafft es, ausreichend für die Menschen da zu sein und dafür zu sorgen, dass sie alle einen Zugang dazu haben. Auch die aktuelle Energiekrise und vor allem die Folgen für die Menschen zeigen: Es gibt Bereiche, die absolut nicht in die Hände von profitorientierten Unternehmen gehören, denn wenn das der Fall ist, dann kann man sich gerade in Krisen nicht mehr darauf verlassen, dass sie ihre Aufgabe, nämlich die Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, auch wirklich wahrnehmen.
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, ein starker Sozialstaat ist nach wie vor das beste Instrument für stabile Verhältnisse in Krisenzeiten und auch in den sogenannten normalen Zeiten. Das ist nur dann gesichert, wenn alle einen fairen Beitrag leisten, und es ist an der Zeit, dass auch die Superreichen und Vermögenden einen gerechten Anteil in Form von Vermögen- und Erbschaftssteuer leisten. (Beifall.)
Es geht uns darum, dass alle dazu beitragen – auch das hat der Herr Professor heute schon erwähnt –, dass wir gemeinsam durch diese Krise kommen. Nur damit können wir es schaffen, dass der soziale Frieden – ich sage es noch einmal, dieser ist enorm wichtig für unser Land; ich gehe davon aus, den wollen wir alle – auch in Zukunft sichergestellt ist. Man muss auch festhalten, dass ein gesellschaftlicher Zusammenhalt auch für jene, die mehr haben, nämlich für die sogenannten Reichen, essenziell ist.
Nur mit dem besten Sozialstaat und mit der besten öffentlichen Infrastruktur können wir gemeinsam die kommenden Herausforderungen gut bewältigen, den sozialen Frieden in Österreich sichern und Wohlstand garantieren und müssen nicht zuschauen, wie wir in die Armut kommen.
Wenn ich vom Wohlstand spreche, meine ich damit ganz konkret, dass wir dann das beste Bildungssystem – das beste Bildungssystem, das allen Kindern gleiche Chancen gibt – und das beste Gesundheitssystem vorfinden, mit hochwertigen Leistungen für die Nutzerinnen und Nutzer und vor allem auch guten Arbeitsbedingungen für jene, die dort beschäftigt sind. Ein finanziell und personell gut ausgestattetes Arbeitsmarktservice ist auch essenziell wichtig, nämlich ein gut ausgestattetes Arbeitsmarktservice, das Arbeitsuchende finanziell unterstützt und optimal vermittelt.
Wenn diese und weitere tragende Säulen unseres Sozialstaates stabil sind, nachhaltig finanziert sind und laufend verbessert werden, dann werden sie auch in Zeiten von Krisen und Veränderungen ihrer Rolle als Stabilisatoren gerecht werden. Ich glaube, darum geht es uns im Ganzen, dass wir auch dieser Rolle gerecht werden. – Ein herzliches Danke. (Beifall.)
10.26
Vorsitzender Vizepräsident Bernhard Hirczy: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Ich darf nun die Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich, Frau Mag.a Amelie Groß, um ihren Beitrag bitten. – Bitte, Frau Präsidentin.
Mag. Amelie Groß (Wirtschaftskammer Österreich): Vergangenen Samstagnachmittag ging ich durch die Salzburger Altstadt, vorbei am Christkindlmarkt, an kleinen Geschäften, an Touristengruppen und an Menschen, die die ersten Weihnachtseinkäufe erledigten, und alles fühlte sich an, als ob nichts gewesen wäre, als ob es keine Lockdowns und kein Herunterfahren der Wirtschaft gegeben hätte. Ich denke zurück an den März 2020 und an diesen Freitag, den 13., als der erste Lockdown verkündet wurde: Damals hat kaum jemand gedacht, dass sich die Wirtschaft so schnell erholt, und selbst die Wirtschaftsforscher haben uns prognostiziert, dass uns die Arbeitslosigkeit noch viele, viele Jahre beschäftigen wird.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir das jetzt vergleichen: Was hat dazu geführt, dass wir die Krise so viel besser bewältigen konnten, als das vorhergesagt war? Was hat dazu geführt, dass wir so schnell wieder auf die Beine kamen? – Ganz sicher das schnelle Handeln. Innerhalb von Stunden gab es in allen Institutionen in Österreich Krisenstäbe, und es gab Menschen, die Tag und Nacht und hinter den Kulissen gearbeitet haben dafür, dass es Lösungen gibt, dass es Unterstützung für Betriebe, für Familien gibt und dass es die Kurzarbeit gibt; und niemand sollte zurückgelassen werden.
Ist uns das gelungen? – Ich denke, ja, denn gerade in dieser besonderen Zeit hat sich gezeigt, wozu die Sozialpartnerschaft auch wirklich fähig ist, nämlich unprätentiös zusammenzuarbeiten, wenn es darauf ankommt. Diese Zusammenarbeit hat dazu geführt, dass Menschen ihren Arbeitsplatz behalten konnten und dass die Unternehmen wieder durchstarten konnten, sobald die Lockdowns vorüber waren.
Wenn wir jetzt in die Geschichte der Sozialpartnerschaft zurückschauen, was fällt uns dann auf? – Wir sehen, dass die Zusammenarbeit immer funktioniert hat – natürlich nicht reibungsfrei, aber das ist in jeder Partnerschaft so –, vor allem dann, wenn es wirklich darauf ankommt, und dann, wenn die Politik keine Antworten mehr hat, und dann, wenn alle anderen in Panik verfallen, genau dann hat sie funktioniert. – Liebe Kollegin Anderl, lieber Kollege Katzian, dafür gebührt Ihnen unser aller Dank.
Was bedeutet das jetzt für die Zukunft? Wir haben schon von den Herausforderungen, die nicht gerade gering sind, gehört: Wir haben immer noch eine Coronapandemie, Inflation, einen Krieg mitten in Europa. Für uns in der Wirtschaft stellen sich vor allem zwei Fragen; erstens: Wie gelingt es unseren Unternehmen, genügend Arbeitskräfte zu finden?
Die Wirtschaft hat nach den Lockdowns in einem Ausmaß angezogen, wie wir alle uns das nicht erwartet hätten. Die Menschen hatten das Bedürfnis, wieder auf Urlaub zu fahren, ins Gasthaus zu gehen, einzukaufen. Die Geschäfte sind gut gelaufen, aber es gab zu wenige Mitarbeiter:innen. Da gibt es natürlich viele Lösungsansätze: der Ausbau der Rot-Weiß-Rot-Karte zum Beispiel, um Talente aus dem Ausland nach Österreich zu holen, oder der Ausbau der Kinderbetreuung, die so wichtig ist, damit auch Eltern in Vollzeit erwerbstätig sein können. Ganz klar ist aber: Dieses Problem wird nicht weggehen, im Gegenteil, in den nächsten Jahren werden viele Babyboomer in Pension gehen und zurückbleiben wird eine große Lücke.
Die zweite Frage ist: Wie gehen wir mit der Energiesituation um? Die Preise sind in den letzten zwölf Monaten geradezu explodiert. In Österreich haben wir viele Industriebetriebe, viele Hidden Champions, und sie alle haben eines gemeinsam: Sie stehen im internationalen Wettbewerb mit Unternehmen auf allen Kontinenten. Unser Präsident Harald Mahrer führt gerne das Beispiel der Voest an, die am Standort in Oberösterreich für die Kilowattstunde Energie einen x-fachen Preis von dem im Werk in Texas zahlt. Das ist katastrophal für Österreich, nicht nur für die Industrie, sondern letzten Endes für alle Betriebe.
Wir sehen, die Herausforderungen sind da, und die Vorhersehbarkeit ist gering. Aber, ist das alles neu? – Nein, weder Inflation noch Energiekrise noch Kriege sind neu, wir kennen das als Menschen und auch als Institutionen. Die Frage ist: Werden wir auch in fünf Jahren durch die Salzburger oder durch die Wiener Innenstadt gehen und das unbekümmerte, geschäftige, vorweihnachtliche Treiben beobachten können? – Ich denke, ja, denn genauso wie in der Vergangenheit werden wir auch in Zukunft alle Krisen gemeinsam bewältigen, nämlich Schritt für Schritt und in Verbundenheit mit allen Institutionen. (Beifall.)
10.31
Vorsitzender Vizepräsident Bernhard Hirczy: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Zuletzt darf ich den Präsidenten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Herrn Wolfgang Katzian, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Präsident.
Wolfgang Katzian (Österreichischer Gewerkschaftsbund): Herr Präsident! Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich möchte zuerst dich, Frau Präsidentin, und den Bundesrat beglückwünschen, dass Sie diese Enquete heute hier durchführen, weil ich mir denke – und Peter Hanke hat in seinen Ausführungen schon darauf hingewiesen –, dass die Rolle des Staates und auch das Bedürfnis, den Staat zu gestalten, ein bisschen etwas Zyklisches hat. Ich habe ja die Ehre gehabt, diesem Hohen Haus viele Jahre anzugehören, und ich kann mich gut erinnern, als mir hier von diesem Rednerpult – oder vorher drüben im Parlament noch, nachher hier – gesagt wurde: Na ja, der Staat muss sich zurückziehen, der Markt ist eigentlich der Hero und dieser wird alles erledigen, und wir sollten den Staat wirklich nur mehr auf die minimalste Ebene zurückführen!
Übrigens: Auch zur Sozialpartnerschaft – weil Sie, Frau Kollegin, das vorhin angesprochen haben – wurde mir von gar nicht so Niederrangigen gesagt: Das ist etwas für den Müllhaufen der Geschichte, aber nicht dazu da, um irgendwelche aktuellen Probleme zu lösen!
Dann kam Corona, und bei Corona war es dann so, dass der Erste, der sich verabschiedet hat, der Markt gewesen ist, und der Sozialstaat, den Frau Präsidentin Anderl, wie ich glaube, sehr gut skizziert hat, der Hero gewesen ist, weil er da war und weil er nicht nur versucht hat, zu wirken, sondern effektiv sehr, sehr gut gewirkt hat, und weil all jene, die zuerst gesagt haben: Wir brauchen einen schlanken Staat, und überhaupt, wir brauchen das alles nicht!, dann plötzlich auch gesehen haben: Ups, es wäre halt nicht schlecht, wenn dieser Staat auch mir in dieser besonderen Krisensituation helfen würde! – In der Tat ist es uns gelungen, auf vielen Ebenen sehr, sehr gute Rahmenbedingungen zu schaffen, um durch diese Krise zu kommen.
Und weil meine Vorrednerin auch die Sozialpartnerschaft angesprochen hat: Ja, das waren sehr – wie soll ich sagen? – erlebnisreiche und ereignisreiche Tage am Beginn dieser Pandemie, das waren auch lange Nächte. Was wir aber schon gesehen haben, ist, dass teilweise jene, die vorher gesagt haben: Eine Sozialpartnerschaft brauchen wir nicht mehr!, dieselben gewesen sind, die draufgekommen sind: Na ja, wenn es darum geht, in einer schwierigen Phase der Gesellschaft einen ordnungspolitischen Rahmen zu schaffen, dann wäre es nicht schlecht, wenn man die Sozialpartner mit an Bord hätte. – Diese Aufgabe haben wir wieder erfüllt.
Was mich in meinem Herzen als Gewerkschafter natürlich ein wenig trifft, ist, dass das immer nur dann der Fall ist, wenn es darum geht, ordnungspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen. Wenn es darum geht, Schritte zu setzen, um die Zukunft zu gestalten oder auch viele dieser heute schon x-fach angesprochenen Krisen zu bewältigen, dann ist es manches Mal mit der sogenannten Einbindung der Sozialpartner nicht so weit her, dann beschränkt es sich manchmal auf einen Telefonanruf 10 Minuten vor der Verkündigung irgendeiner Maßnahme. Das hat ehrlich gesagt mit Partnerschaft im Sinne einer Partnerschaft nichts zu tun. Aber, und das haben wir auch in der Vergangenheit gesehen, wenn man will, funktioniert es, und wenn man zusammenarbeitet, kann am Ende des Tages sehr wohl etwas Gescheites herauskommen.
Ich werde Sie jetzt nicht belästigen und all die Krisen, die von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern schon angesprochen wurden, noch einmal aufzählen. Ich möchte gerne ein wenig auf das Individuum eingehen, weil ich in den letzten Tagen und Wochen sehr, sehr viele Briefe und E-Mails von Arbeitnehmer:innen, von Pensionistinnen und Pensionisten bekommen habe, die einfach ihre Sorgen zum Ausdruck bringen, die uns teilweise auch ihre persönlichen Abrechnungen mitschicken: Was ist mein Einkommen? Was kostet jetzt meine Miete? – Es gibt Leute, denen die Miete schon zum dritten Mal in diesem Jahr erhöht wurde. – Was macht meine Strom- oder Gasrechnung aus? Wie ist die neue Vorschreibung ? – Es ist atemberaubend, wenn man solche Dinge liest oder dann auch mit Menschen telefoniert und wenn diese sagen: Ich weiß wirklich nicht, ob ich mir am Ende des Monats noch Lebensmittel kaufen kann oder nicht! – Da gibt es also die größte Spannung in der Gesellschaft und auch die größte Herausforderung.
Ich kann Ihnen Beispiele liefern: Eine Wohngemeinschaft im 4. Bezirk hat geschrieben, dass sie statt 57 Euro monatlich nun 377 Euro monatlich für Gas bezahlt und nicht weiß, ob sie weiterhin die Wohnung betreiben kann. Wir haben einen Familienvater, der auf der verzweifelten Suche nach einem Gasvertrag ist. Ihm wurde angeboten, von einem Fixpreis von 66 Euro, den er hatte, auf einen variablen Preis von 530 Euro zu wechseln, also mit einem Schlag um 400 Euro mehr. – Ich könnte Ihnen viele solcher Beispiele bringen.
Ich bringe die Beispiele, um einerseits zu zeigen, was das mit einzelnen Menschen macht, aber andererseits auch, um deutlich zu machen, welche Verantwortung diesbezüglich alle politisch Verantwortlichen haben, denn die Folge davon sind bei vielen Menschen natürlich Frust und Zorn, und die Auswirkungen auf die Gesellschaft und am Ende des Tages auf die Demokratie sind enorm. Wir brauchen dazu nicht die Geschichtsbücher zurate zu ziehen, das können und sollen wir natürlich tun, aber wir sehen ja in vielen Teilen der Welt, was sich tut, wenn sich der Zorn entsprechend entlädt. Mir ist es ehrlich gesagt sehr, sehr wichtig, an den demokratischen Strukturen dieses Landes nicht nur festzuhalten, sondern um sie auch zu kämpfen.
Daher sprechen wir über Stabilisatoren, und einer der Stabilisatoren für eine Gesellschaft und auch in Krisensituationen sind natürlich die Lohnverhandlungen und die Lohnpolitik, weil die Inflation insgesamt die Kaufkraft und den materiellen Wohlstand gefährdet. Wenn Gehälter, Löhne und Sozialabgaben da nicht mithalten, gerät nicht nur das Individuum unter Druck, sondern die Kaufkraft insgesamt sinkt, und ein Sinken der Kaufkraft insgesamt führt letztlich zu einer weiteren ökonomischen Bewegung nach unten.
Wenn wir sagen, dass die wesentlichen Säulen der Volkswirtschaft neben dem Export auch die Kaufkraft und die individuelle Kaufkraft sind, dann sind Lohnpolitik und damit verbunden die Inlandsnachfrage ein ganz wichtiger Faktor und aus unserer Sicht auch ein entsprechender Stabilisator.
Wir brauchen das ja nicht zu erfinden oder irgendwie im Kaffeesud herbeizulesen, sondern wir haben ja Beispiele aus der Vergangenheit: In der Finanzkrise 2009 haben die Gewerkschaften in Österreich hohe Reallohnzuwächse durchgesetzt, und mit dieser Stabilisierung der Kaufkraft sind wir besser als viele andere Mitgliedstaaten in der EU durch die Krise gekommen und konnten schnell wieder rausstarten.
Ich sage auch gleich dazu: Es tut mir persönlich leid, falls Sie gestern vom Eisenbahnerstreik betroffen waren, aber ich sage Ihnen: Auch diese Auseinandersetzungen sind Teil einer Partnerschaft, sie gehören mit dazu. Es geht nicht immer nur friedlich, aber entscheidend ist, dass es am Ende des Tages eine gute Lösung gibt, und zwar sowohl für die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner als auch für die Beschäftigten im Handel, die mit einem Angebot konfrontiert sind, das man wirklich nur als einen Schlag ins Gesicht bezeichnen kann, denn die Systemerhalter:innen während der Pandemie zu beklatschen und sich zu bedanken, dass sie gearbeitet haben, während andere zu Hause waren, und ihnen dann 4 Prozent anzubieten, ist wahrlich kein ordentlicher Umgang. (Beifall.)
Ich hoffe sehr, dass wir da auch in den nächsten Tagen einen wichtigen Schritt weiterkommen.
Ein anderer automatischer Stabilisator ist die Arbeitslosenversicherung. Ein automatischer Stabilisator ist nicht etwas, was ich erfunden habe, das ist eher etwas, das aus der Sprache der Ökonominnen und Ökonomen kommt, und ich denke, dass es wichtig ist, dass es diese automatischen Stabilisatoren gibt. Die Arbeitslosenversicherung hat eine antizyklische Wirkung: Wenn es wirtschaftlich schlecht geht, wenn mehr Leute arbeitslos sind, gibt es trotzdem eine Grundlage, kann man trotzdem weiterhin einkaufen, seine Bedürfnisse des täglichen Bedarfes decken.
Die Frage ist halt immer bei diesen automatischen Stabilisatoren: Wie gut können sie wirken und wie hoch sind sie tatsächlich? Daher ist es besonders wichtig, dass bei der Arbeitslosenversicherung, die in Österreich im europäischen Vergleich mit 55 Prozent Nettoersatzrate relativ niedrig ist, etwas passiert. Im letzten Jahr wurde ja eine Reform angekündigt – ob die tatsächlich kommt, das weiß man bis heute nicht. Ich hoffe sehr, dass wir hier einen wichtigen Schritt weiterkommen und am Ende des Tages die Arbeitslosenversicherung entsprechend angehoben wird.
Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie einladen, dass wir uns gemeinsam diesen großen Herausforderungen der Zukunft, die heute schon angesprochen wurden, den Krisen, diesen großen Veränderungen stellen, dass wir unseren Sozialstaat und die Mindeststandards in diesem Land krisenfest machen. Es geht darum, mit vereinten Kräften Konzepte und Ideen zu entwickeln, mit denen wir den zukünftigen Aufgaben gewachsen sind, ohne dabei die soziale Dimension aus den Augen zu verlieren.
Just transition, der gerechte Übergang, das ist das, was uns leiten sollte, auch bei der Bekämpfung der Klimakrise, und ich kann Ihnen versichern, dass die Gewerkschaftsbewegung, so wie in der Vergangenheit, heute und in der Zukunft ein verlässlicher Partner sein wird. – Vielen Dank. (Beifall.)
10.41
Vorsitzender Vizepräsident Bernhard Hirczy: Danke für Ihre Ausführungen.
Panel 2 ist somit abgeschlossen. Ich bedanke mich bei den Rednerinnen und Rednern für ihre Beiträge.
V. Panel 3 „Die Bedeutung der Daseinsvorsorge als verlässlicher Partner in unserem Alltag“
Vorsitzender Vizepräsident Bernhard Hirczy: Wir kommen nunmehr zu Panel 3, zu den Referaten zum Thema „Die Bedeutung der Daseinsvorsorge als verlässlicher Partner in unserem Alltag“.
Ich ersuche wieder die Referentinnen und Referenten, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben, wobei die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht überschritten werden soll.
Ich darf zu Beginn den Vorsitzenden der Younion – Die Daseinsgewerkschaft, Herrn Ing. Christian Meidlinger, um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Vorsitzender.
Ing. Christian Meidlinger (Younion – Die Daseinsgewerkschaft)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei uns geht es jeden Tag ums Ganze – ein Slogan der Gewerkschaft Younion, der zum Ausdruck bringt, was Daseinsvorsorge und was Kommunalbeschäftigte leisten.
Das Panel heißt: verlässlicher Partner im täglichen Leben. Das heißt, wir nehmen Leistungen der Daseinsvorsorge unbewusst von in der Früh bis am Abend in Anspruch und denken nicht darüber nach, weil sie einfach toll funktioniert, weil die Kolleginnen und Kollegen der Daseinsvorsorge Großartiges leisten. Wir stehen auf in der Früh, geweckt von einem Wecker, der mit Strom betrieben wird, wir gehen zur Kaffeemaschine, das Wasser fließt, wir gehen ins Badezimmer, wir haben Licht, wir haben Wasser, wir haben Strom, wir bringen unsere Kinder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Kindergärten und die Betreuungseinrichtungen. Das lässt sich den ganzen Tag so fortsetzen, und wenn man hintennach im Geiste eine Checkliste abhaken würde, wo überall die kommunale Daseinsvorsorge oder die Daseinsvorsorge wirkt, dann würde man sich wundern, wie lange diese Liste am Ende des Tages ist. Die Daseinsvorsorge fällt einem immer nur dann auf, wenn etwas nicht funktioniert, sei es ein Bahnstreik, oder wenn irgendetwas kurzzeitig nicht in Anspruch genommen werden kann, und da, glaube ich, gilt es, den Beschäftigten, den Abertausend Beschäftigten, den 150 000 Beschäftigten in den Kommunen, in der kommunalen Daseinsvorsorge einmal Danke schön zu sagen. Sie leisten hier wirklich Großartiges. (Beifall.)
Das zeigt sich auch in den Zufriedenheitswerten; wahrscheinlich wird mein Nachredner noch auf die guten Umfrageergebnisse und die Zufriedenheitswerte eingehen, die wir in den Kommunen haben. Das ist natürlich einerseits auf die Leistung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die ich gar nicht schmälern möchte, zurückzuführen, aber andererseits natürlich auch auf die Leistung der Beschäftigten, die diese Daseinsvorsorge erbringen.
Drehen wir das Rad der Zeit ein Stück zurück: Zu Beginn der Pandemie, als viele noch am Fenster gestanden sind und geklatscht haben, waren die Kolleginnen und Kollegen der Daseinsvorsorge für uns da. Das war nicht selbstverständlich. Erinnern wir uns: Wir haben Schlagzeilen gehabt, die Bilder aus Oberitalien mit den Zelten, mit den überfüllten Lazaretten auf der Straße gesehen, und wir haben uns Sorgen gemacht, ob denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Daseinsvorsorge, die für die Bürgerinnen und Bürger da sind, die im täglichen Kontakt mit ihnen sind, auch am nächsten Tag tatsächlich zur Arbeit kommen, ob sie erscheinen – und das Großartige war: Sie waren alle da. Sie waren alle da, haben gearbeitet, haben ihre Leistungen erbracht, die Bevölkerung hat geklatscht. Dieses Klatschen ist leider rasch verstummt, viel zu rasch verstummt, denn wir hätten uns eigentlich da etwas mehr erwartet, auch in der Frage: Wie betrachtet man die betroffenen Kolleginnen und Kollegen in der Daseinsvorsorge?
Ich möchte ein paar Beispiele erwähnen und aufzählen; ein paar sind heute ja schon gefallen. Auf der einen Seite waren wir aufgrund der Digitalisierung sehr stolz, wie rasch wir Homeoffice und all diese Dinge einrichten konnten, Terminvergaben und so weiter und so fort. Auf der anderen Seite hatten wir Beschäftigte, die nicht die notwendige Ausrüstung durch die Arbeitgeber in die Hand bekommen haben, die mit ihren privaten Laptops gearbeitet haben, die mit ihren privaten PCs gearbeitet haben, die mit ihren privaten Handys gearbeitet haben. Also hier hapert es noch ein bisschen, da haben wir beim Thema Ausstattung durchaus noch Nachholbedarf; ich werde dann beim Thema Personalrecruiting noch dazu kommen.
Wir haben auf der zweiten Seite das Pflegepersonal, das wurde heute ja schon mehrfach erwähnt, und ich möchte hier nicht nur das Pflegepersonal ansprechen, sondern das gesamte im Gesundheitsbereich beschäftigte Personal, das Großartiges geleistet hat. Und wenn man sieht, dass wir zu wenig Personal haben, dass wir in Wirklichkeit Arbeitsabläufe haben, die nicht optimal sind, die verbessert werden müssen, dass wir in der Gesundheitsstruktur tatsächlich noch vieles nachhaltig verbessern müssen, dann tut eines weh: Man beschließt im Parlament ein Entgeltfortzahlungsgesetz, ein Zweckzuschussgesetz und erklärt, es wird sozusagen ein 15. Monatsgehalt in der Höhe von 2 000 Euro für das Pflegepersonal geben – und dann ist die Enttäuschung der Beschäftigten sehr groß, weil von diesen 2 000 Euro auch noch die Arbeitgeberbeiträge abgezogen werden müssen und dann wahrscheinlich von den 2 000 Euro nur die Hälfte übrig bleiben wird. Das ist kein wertschätzender Umgang, wie ihn sich die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen verdient haben, und diese sind auch ziemlich sauer wegen dieser Lösung und deren Umsetzung.
Wir haben des Weiteren den Bereich der Kindergärten, einen Bereich, der auch während der Pandemie immer vorhanden war. Es gab für das Personal keine Schutzmöglichkeiten, keine Schutzausrüstung, denn es ist einfach notwendig, dass man sich in der Interaktion mit Kleinkindern nicht mit Masken verhüllt, dass diese auch die Mimik sehen, die Sprache hören und gleichzeitig auch die Lippenbewegungen sehen können. Da hat es keine bundesweiten Schutzmaßnahmen, Regelungen und Vorschriften gegeben, wie das Personal in Kindergärten entsprechend vorgehen soll. Das Personal schreit dort auch um Hilfe, deshalb brauchen wir auch da andere Vorgehensweisen.
Wir brauchen einen besseren Betreuungsschlüssel, wir reden da von kleineren Gruppen. Das wird nicht 1 : 1 umzusetzen sein, weil wir viele bauliche Voraussetzungen nicht haben, aber was wir tun könnten, ist, a) in die Ausbildung zu investieren – das ist Angelegenheit des Bundes, das ist nicht Angelegenheit der Länder und der Gemeinden – und b) zu einem verbesserten Betreuungsschlüssel zu kommen. Als Gewerkschaften schwebt uns da mindestens eine schrittweise Erreichung eines Schlüssels von 1 : 10 vor. Das brauchen wir unbedingt und das sind wir auch den Kindern in diesem Land schuldig, sehr geehrte Damen und Herren.
Wenn wir uns anschauen, wie sich die Arbeitsbedingungen derzeit gestalten, in welche Richtung wir derzeit gehen, dann sehen wir, dass wir einen Personalmangel haben, weil die Aufgaben dichter und mehr werden und weil da auch die demografische Entwicklung eine Rolle spielt. Wir wissen ja, dass in den nächsten Jahren bis 2030, 2032 rund 40 Prozent aller öffentlich Beschäftigten in den Ruhestand oder in Pension gehen werden.
Da ist Wissenstransfer ein großes Thema. Da brauchen wir nicht sozusagen das Nacheinanderbesetzen, sondern wir brauchen durchaus parallel auch die neuen Kolleginnen und Kollegen in den Ämtern, auf den Dienststellen, damit dieser Wissenstransfer auch geleistet werden kann.
Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die heute einsteigen wollen – und hier schließt sich der Kreis zum Thema Digitalisierung –, deren Anforderungen sind: Ja, ich komme, am liebsten vier Tage in der Woche, zwei Tage davon hätte ich gern Homeoffice. Laptop, PC, Telefon hat die Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Darauf müssen wir uns einstellen, weil demgegenüber in der Daseinsvorsorge ein Job steht, der von 0 bis 24 Uhr, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr laufen und funktionieren soll.
Da ist natürlich auch die Bezahlung ein Thema. Wir haben es auch jetzt wieder hautnah erlebt: Wir haben vorige Woche einen sehr guten Gehaltsabschluss im öffentlichen Bereich zustande gebracht, und das Erste war: Die Kolleginnen und Kollegen wurden als Kostenfaktor betrachtet und die Erhöhung nicht als Investition für die Gemeinden und für die Zukunft. Es ist halt ein Unterschied, ob ich sage, der Beamte hat eine Gehaltserhöhung bekommen, oder ob ich sage, es war der Kollege, der die Müllabfuhr erledigt. Es ist ein Unterschied, ob ich sage, der Beamte bekommt sie, oder ob ich sage, das Pflegepersonal bekommt sie. Es ist ein Unterschied, ob ich sage, der Beamte bekommt sie, oder ob ich sage, der Kollege in der Wasserversorgung, die Kolleg:innen in den Kindergärten, bei der Kanalisation – und so weiter und so fort – bekommt sie.
Ich glaube, da müssen wir uns auch in den Gebietskörperschaften und müssen sich alle Verantwortlichen in der Sprache ein bisschen zurückhalten und auch eine entsprechende Wertschätzung zum Ausdruck bringen, sodass diese Kolle-ginnen und Kollegen nicht nur als Kostenfaktor betrachtet werden, sondern gezeigt wird, dass sie sich diese Gehaltserhöhung auch entsprechend verdient haben. (Beifall.)
Ich möchte jetzt zum Abschluss noch auf die Klimakrise und deren Auswirkungen hinweisen. Es wurde heute schon viel dazu gesagt. Es ist auch in der Bevölkerung mittlerweile so, dass Privatisierungen eigentlich abgelehnt werden, dass der Staat, die öffentliche Hand, die Daseinsvorsorge einen hohen Stellenwert haben, auch wenn sie von der öffentlichen Hand erbracht wird.
Wir werden die Dekarbonisierung, wir werden die Transformation nur dann schaffen, wenn wir in der Klimakrise und bei deren Bekämpfung auch den Gemeinden, der öffentlichen Hand, dem Staat eine starke Rolle zukommen lassen, denn das wird von privater Seite nicht erledigt werden, hier braucht es eine starke öffentliche Hand. Damit wir diesen Planeten – Kollege Matznetter hat es ja vorhin gesagt – nicht in den nächsten 30 Jahren ruiniert haben werden, sondern wir ihn noch länger haben, brauchen wir in Zukunft auch eine starke öffentliche Daseinsvorsorge. – Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall.)
10.52
Vorsitzender Vizepräsident Bernhard Hirczy: Danke für Ihre Ausführungen.
Ich darf nun den Bundesvorsitzenden des Sozialdemokratischen Gemeindevertreter:innenverbandes, Herrn Nationalratsabgeordneten und Bürgermeister Andreas Kollross, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Vorsitzender.
Andreas Kollross (Sozialdemokratischer Gemeindevertreter:innenverband Österreich): Herr Präsident! Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates, Nationalrates, der Landtage! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Mitdiskutantinnen und Mitdiskutanten! Ich möchte in der Frage der Daseinsvorsorge mit der Begrifflichkeit beginnen: Daseinsvorsorge umfasst die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Dienstleistungen, also die Grundversorgung.
Wenn man in die wissenschaftliche Literatur in dieser Frage schaut, dann stößt man unweigerlich auf Ernst Forsthoff, der mehr oder weniger der Vater der Daseinsvorsorge ist, der es, glaube ich, auch sehr treffend dargestellt hat, deshalb möchte ich das auch hier darbringen:
„Mit der Schrumpfung des individuell beherrschten Lebensraumes hat der Mensch die Verfügung über wesentliche Mittel der Daseinsstabilisierung verloren. Er schöpft das Wasser nicht mehr aus dem eigenen Brunnen, er verzehrt nicht mehr die selbstgezogenen Nahrungsmittel, er schlägt kein Holz mehr im eigenen Wald für Wärme und Feuerung. Im Ablauf der Dinge ist hier eine eindeutige Entscheidung gefallen [...]: dem Staat [...] ist die Aufgabe und die Verantwortung zugefallen, alles das vorzukehren, was für die Daseinsermöglichung des modernen Menschen erforderlich ist. ‚Was in Erfüllung dieser Aufgabe notwendig ist, nenne ich Daseinsvorsorge‘ [...]“
Der Ursprung dieser Daseinsvorsorgedebatte hat natürlich auch unmittelbar mit der Industrialisierung zu tun. Auch wenn die Frau Vizebürgermeisterin gerade nicht da ist, möchte ich es trotzdem erwähnen: Ein epochales Meisterwerk dieser Daseinsvorsorge ist ohne Zweifel die Wiener Wasserleitung. Ich erwähne sie deshalb, weil sie nächstes Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert und weil ich zufällig vor ein paar Wochen ein wunderbares Buch gelesen habe (ein Exemplar in die Höhe haltend), das ich nur jedem ans Herz legen kann, nämlich mit dem Titel „Walzer in Zeiten der Cholera“. In diesem wird eben beschrieben, wie im Wiener Gemeinderat vor weit mehr als 150 Jahren mit dem Kaiser gemeinsam um die Entscheidung gerungen wurde, ob man eine Wasserleitung baut oder ob man eine Wasserleitung nicht baut, wo man alle möglichen Debatten geführt hat, auch darüber, was der Ursprung der Cholera ist. Nur über das Wasser hat man in diesem Zusammenhang nicht diskutiert, sondern man war der Meinung, das ist ein Virus oder sonst irgendetwas, und hat darüber diskutiert, dass man das Militär an die Grenzen stellt und niemand mehr hereingelassen wird, weil das böse Virus vom Ausland kommt – bis man eben dann wirklich die Wiener Wasserleitung gebaut hat und somit auch letztendlich die Cholera bezwungen hat.
Natürlich geht es dabei nicht nur um die Wiener Wasserleitung, sondern auch in den Regionen und in anderen europäischen Städten sind das natürlich epochale Errungenschaften der Daseinsvorsorge.
Daseinsvorsorge bedeutet aber vor allen Dingen auch, dass sie immer auf der Höhe der Zeit diskutiert werden muss und dass jede technologische Veränderung, jede technologische Entwicklung auch neue Fragen in der Daseinsvorsorge für uns darstellt. Für uns alle ist die Daseinsvorsorge eine Selbstverständlichkeit, und wir sind logischerweise der Meinung, Wasserversorgung, Abwasser-, Müllentsorgung, Energieversorgung und so weiter und so fort, das alles ist Teil der Daseinsvorsorge. In Wirklichkeit aber müssen wir den Begriff der Daseinsvorsorge breiter sehen, und auch die Definition des Erfinders der Daseinsvorsorge, wenn man ihn so nennen will, zeigt ja, wie breit in Wirklichkeit die Debatte in diesem Bereich ist und was man alles unter Daseinsvorsorge subsumieren kann und auch soll und muss. (Vizepräsident Novak übernimmt den Vorsitz.)
Wenn man jetzt den technologischen Fortschritt sieht und wie wir heute im Vergleich zu vor 20 Jahren, 30 Jahren, 40 Jahren oder länger leben, dann wird einem klar, dass man in der Daseinsvorsorge natürlich auch immer auf die neuen Herausforderungen entsprechend einzugehen hat. Da ist zum Beispiel die Frage des Glasfaserausbaus eine klassische Frage der Daseinsvorsorge, und da hat der Staat eben dafür zu sorgen, dass Glasfaser bis in den letzten Winkel des Landes kommt. Auch die Frage der Energiewende, die heute schon mehrmals angesprochen worden ist, ist natürlich eine klassische Frage der Daseinsvorsorge, ebenso auch – und ich erwähne das ganz bewusst – die Frage der Kinderbetreuung. Und wenn man der Meinung ist, dass Kinderbetreuung eine klassische Frage der Daseinsvorsorge ist, dann ist es nur recht und billig, auch den letzten Schritt zu tun und dafür zu sorgen, dass es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung gibt, damit diese Daseinsvorsorge für alle auch dementsprechend gewährleistet ist. (Beifall.)
In der ganzen Debatte der Daseinsvorsorge geht es natürlich auch darum, sich die Republik im Gesamten anzusehen und zu erkennen, dass es hier auch Unterschiedlichkeiten gibt: Unterschiedlichkeiten zwischen Stadt und ländlichem Raum. Der ländliche Raum ist einer – das wissen wir seit Jahren und Jahrzehnten; und ich meine das gar nicht parteipolitisch, nur damit mir das niemand unterstellt –, der eine Ausdünnung der Daseinsvorsorge erfährt, worauf wir als Politiker schlicht und einfach zu reagieren haben. Wir müssen eine Debatte darüber führen, was an Grundinfrastruktur es hinkünftig in den Gemeinden und Städten noch geben soll.
Es kann nämlich nicht das Ergebnis der Daseinsvorsorge sein, dass wir Regionen in unserer Republik vorfinden, in denen Menschen leben, die sich nicht einmal mehr vor Ort Lebensmittel kaufen können, weil es keine Einkaufsmöglichkeiten mehr gibt; in denen Menschen leben, die nicht einmal mehr Zugang zu ihrem eigenen Bargeld haben, weil es keine Bank mehr und nicht einmal mehr einen Bankomaten gibt; in denen Menschen leben, die vor Ort keine ärztliche Versorgung mehr vorfinden; in denen Menschen leben, die keine Möglichkeit mehr haben, sich vor Ort Medikamente zu organisieren, weil die Apotheke schlicht und einfach nicht mehr vorhanden ist. Ich glaube, dass wir als Politik letztendlich dafür zu sorgen haben, diese Debatten zu führen, nämlich auf Basis unserer Meinung dahin gehend, was Daseinsvorsorge der Zukunft, der Gegenwart zu bedeuten hat.
Daseinsvorsorge, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedeutet letztendlich Teilhabe. Um nicht zu lange zu sprechen: Was bedeutet die Zukunft der Daseinsvorsorge? – Dass man es sich leisten können muss. Deshalb sei hier ganz bewusst auch noch angemerkt: Es stehen ja – wann auch immer sie letztendlich kommen werden – Finanzausgleichsverhandlungen im Raum, wobei es klar um die Daseinsvorsorge gehen wird, weil die Aufteilung der Finanzmittel, die Aufteilung der Steuergelder letztendlich auch dafür sorgt, ob man Daseinsvorsorge gewährleisten kann oder nicht gewährleisten kann.
Als Bürgermeister möchte ich hinzufügen, dass zwar die Aufgaben der Gemeinden und Städte in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr werden – Stichwort Gesundheit, Stichwort Pflege, Stichwort Kinderbetreuung, und wir können das unendlich lange fortsetzen –, was aber leider nicht damit einhergeht, dass auch die notwendigen Finanzmittel mehr werden, um diese Aufgaben auch dementsprechend zu bewältigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Präsidentin! Ich glaube, dass die Frage der Daseinsvorsorge eine der wichtigsten Fragen der Politik ist, weil wir alle in Gemeinden, in Städten leben, weil wir alle tagtäglich – wie es mein Vorredner auch schon gesagt hat – die Daseinsvorsorge nutzen. Deshalb, so glaube ich, war die heutige Enquete der richtige Beitrag dafür, einen Diskurs in dieser Frage einzuleiten, in dem wir wirklich ehrlich und offen über Daseinsvorsorge und darüber, was Daseinsvorsorge auf Höhe der Zeit zu bedeuten hat, diskutieren. – Danke schön. (Beifall.)
11.02
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter, für Ihre Ausführungen.
Weiters zu Wort gemeldet ist Herr Nationalratsabgeordneter Bürgermeister Erwin Angerer. – Bitte.
Abgeordneter Erwin Angerer (FPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Damen und Herren! Als Redner fast am Ende einer langen Debatte und Vortragsreihe habe ich mir überlegt, wie man das Ganze etwas aufgelockerter machen und ein bisschen einen Abriss über Daseinsvorsorge – wozu mein Kollege und Bürgermeisterkollege Kollross ja schon sehr vieles gesagt hat – geben könnte. Ich habe so, wie es halt ein Bürgermeister oft macht, auf die Ressourcen zurückgegriffen, die man in der Gemeinde hat, und die Schüler in unserer Gemeinde gebeten, einen Aufsatz über die Daseinsvorsorge zu schreiben. Einleitend möchte ich Ihnen also einen dieser Aufsätze vortragen:
Ein ganz normaler Tag im Leben vom Seppl
Der Wecker geht ab, Seppl reibt sich die Augen und springt aus seinem Bett, und nach dem ersten Weg betätigt er die WC-Spülung. Um den Rest – und das im wahrsten Sinne des Wortes – kümmert sich dann sein verlässlicher Partner, die Gemeinde. Über den von der Gemeinde neu errichteten Abwasserkanal wird alles in die Gemeindeverbandskläranlage verbracht und dort umweltgerecht gereinigt.
Nach dem Frühstück gehtʼs zum Schülerbus, der von der Gemeinde organisiert wird, und als der Seppl vors Haus geht, kommt ihm schon der Gemeindetraktor mit der orangen Rundumleuchte entgegen, der die Straße vom Schnee befreit, damit der Seppl nicht durch den hohen Schnee stapfen muss. Gott sei Dank ist die Gemeindestraßenbeleuchtung auch schon an, denkt sich Seppl, denn es ist noch ziemlich dunkel, und macht sich auf den Weg zur Haltestelle.
Der Bus kommt, und die Schulkinder steigen ein und wundern sich, warum die Oma von Anna nicht einsteigt, die auch auf den Bus wartet, weil sie zum Arzt ins Nachbardorf muss. Dass es der Gesetzgeber bis heute nicht geschafft hat, dass das Gelegenheitsverkehrsgesetz so abgeändert wird, sodass Annas Oma auch mit dem Schülertransport, den übrigens auch die Gemeinde organisiert, mitfahren darf, kann keines der Kinder verstehen, ist aber leider so.
Da es bitterkalt ist, freuen sich schon alle auf die wohlig warme Schule, die im letzten Jahr von der Gemeinde renoviert und an die Fernwärme angeschlossen wurde. In der ersten Stunde gibtʼs dann überraschenden Besuch. Der Herr Bürgermeister kommt vorbei und erkundigt sich, wie das neu angeschaffte digitale Whiteboard funktioniert und ob die Tablets für die Kinder auch schon da sind – alles perfekt. Da die Schule mittlerweile auch einen Glasfaserbreitbandanschluss hat, läuft alles wie am Schnürchen. – Das hat auch der Kollege schon angesprochen, das ist natürlich auch etwas, was wir in unseren Gemeinden heute schon umsetzen.
Nach der Schule geht der Seppl dann zum Mittagessen in den Hort, der im Kindergarten eingerichtet wurde. Die Gemeinde betreibt seit mehreren Jahren einen altersübergreifenden Kindergarten und eben am Nachmittag einen Hort. Das ist ein perfektes Angebot für die Eltern, die zur Arbeit müssen und für die Kleinkinder oder Schüler eine Betreuung brauchen.
Am späten Nachmittag kommt dann Seppls Mutter vorbei, und die beiden machen noch einen kurzen Besuch bei der Oma im Pflegeheim, das von der Gemeinde über den Sozialhilfeverband betrieben wird. Am Weg nach Hause gehen sie noch zum örtlichen Nahversorger einkaufen, den es schon lange nicht mehr geben würde, wenn nicht die Gemeinde ein neues Gebäude errichtet hätte und den Kaufmann beim Betrieb unterstützen würde.
Zu Hause angekommen leuchtet auf Mamas Handy das Gemeindeapp auf – eine Erinnerung, denn morgen ist Müllabfuhr und die Mülltonne muss noch vor das Haus gestellt werden.
Seppls Papa kommt auch nach Hause, und beide bereiten sich nun auf den Vereinsabend vor. Der Seppl hat noch Fußballtraining im Turnsaal der Volksschule. Das passt gut, denn der Papa hat gleich daneben im Vereinslokal die Chorprobe, und so haben sie einen gemeinsamen Weg. Beide Vereine werden natürlich von der Gemeinde in allen Belangen unterstützt und bestmöglich gefördert, denn sie sind ein ganz wesentlicher Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben in unserem Ort.
Nachdem die beiden nach Hause gekommen sind und das gemeinsame Abendessen genossen haben, ist es wieder einmal so weit, und wie es sich gehört, dreht der Seppl am Ende des Tages das Wasser zum Zähneputzen auf, das ihm sein verlässlicher Partner, die Gemeinde, als Trinkwasser ins Haus liefert.
Beim Einschlafen sieht er durch den Vorhang noch die orange Rundumleuchte und hört die Schneeketten des Gemeindetraktors, der noch eine Runde dreht, um Splitt zu streuen, damit morgen wieder alle sicher zur Arbeit und in die Schule kommen.
Das war ein ganz normaler Tag im Leben vom Seppl.
Ich glaube, so können viele von uns nachvollziehen, welche Leistungen – sie sind heute alle schon angesprochen worden – in der Daseinsvorsorge vor allem von den Gemeinden erbracht werden. Jetzt habe ich noch nicht – obwohl es heute auch schon angesprochen worden ist – vom sozialen Wohnbau, von der Wildbach- und Lawinenverbauung, von unseren Park- und Grünanlagen, von Sportanlagen, Wanderwegen, Skiliften, Eislaufplätzen, Schwimmbädern, Kulturhäusern, Tourismusverbänden gesprochen, von all dem, was Gemeinden erledigen, abarbeiten und gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern und Helfern an täglicher Daseinsvorsorge leisten.
Noch nicht angesprochen ist der gesamte Verwaltungsapparat, angefangen von Anträgen für die Sozialhilfe, Pflegegeldanträge, Heizkostenzuschüsse – das sind alles Leistungen, die von Gemeindemitarbeitern und den Gemeinden erbracht werden – bis hin zu Verwaltungsaufgaben, wie natürlich Bauverhandlungen oder Widmungen.
Zusätzlich sind Gemeinden noch Mitfinanzierer – und jetzt kommen wir zum finanziellen Teil – im Bereich der gesamten Sozialhilfe, wo wir die Kosten mit dem Land teilen, also 50 Prozent der gesamten Kosten übernehmen. Auch da sind wir eben über die Umlagen belastet, die natürlich auch entsprechend steigen, aber auch bei der Finanzierung der Krankenanstalten müssen wir unsere Beiträge leisten.
Der Finanzausgleich ist heute auch schon angesprochen worden. Viele hier herinnen sind ja auch in Kommunen oder im Bundesrat oder im Nationalrat tätig. Man muss sich einfach vor Augen führen, dass der Bund von den Steuereinnahmen 53 Prozent erhält, die Länder 22 Prozent erhalten, Wien 10 Prozent bekommt und die restlichen Gemeinden Österreichs – das sind rund 2 000 Gemeinden – rund 12 Prozent erhalten. Mit diesen 12 Prozent kommen die Gemeinden in der Regel auch aus, sie erwirtschaften sogar Überschüsse. Der EU-Beitrag beträgt rund 3 Prozent. Das bedeutet, die Gemeinden können mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, auch umgehen.
Wenn wir uns jetzt anschauen, dass natürlich die Herausforderungen und vor allem auch die Ausgaben steigen, brauche ich Ihnen auch nicht näher zu erläutern – es ist ja heute schon mehrfach angesprochen worden –, dass wir einnahmenseitig natürlich das Problem haben, dass die wirtschaftlichen Entwicklungen, die Wirtschaftskrise, die wir leider schon seit einigen Jahren haben und die nicht schwächer werden wird, sowie die Änderungen im Steuersystem, wie zum Beispiel die Abschaffung der kalten Progression, zu geringeren Einnahmen, zu Mindereinnahmen für die Gemeinden führen werden.
Man geht jetzt davon aus, dass unsere Einnahmen im nächsten Jahr um rund 1 Prozent steigen werden, wobei ausgabenseitig – das ist auch schon mehrfach angesprochen worden – vor allem im Energiebereich oder bei der Wartung, Instandhaltung unserer Gebäude oder unserer Anlagen die Preissteigerungen in wesentlich höherem Ausmaß ausfallen werden, nämlich zwischen 5 und 10 Prozent.
Das sind natürlich Herausforderungen, denen man sich stellen muss. Deshalb ist es aus meiner Sicht – und das hat Kollege Kollross gesagt, und da sind wir sehr oft einer Meinung – gut und recht und einfach auch notwendig, dass den Gebietskörperschaften, die diese Aufgaben erbringen müssen – und ich glaube, es ist jedem bewusst, dass das sehr wichtig Aufgaben für unsere Gesellschaft sind –, auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen.
Ich möchte auch ein Beispiel herausnehmen: Die Kinderbetreuung, mit der (in Richtung Abg. Kollross:) du eigentlich geschlossen hast und wozu Frau Kollegin Köppl-Turyna von Eco Austria auch schon mehrere Studien geschrieben hat, ist etwas ganz Wichtiges und Wesentliches für die Daseinsvorsorge und muss aus meiner Sicht auch entsprechend neu aufgestellt werden. Wenn man heute Kinderbetreuung als Rechtsanspruch zur Verfügung stellen will, dann muss man auch demjenigen, der die Kinderbetreuung zur Verfügung stellt und organisiert – und das sind in der Regel die Gemeinden –, die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen. Man muss die Dinge einfach zu Ende denken und umsetzen.
Da ist es meines Erachtens wichtig, dass wir gewisse ideologische und parteipolitische Überlegungen hintanstellen und da einfach im Sinne der Betroffenen, der Bevölkerung und vor allem der Familien pragmatische Lösungen suchen und finden.
Es ist gut und recht, wenn wir heute in Kärnten darüber diskutieren, dass wir die Anzahl der Kinder in den Kindergartengruppen von 25 auf 20 reduzieren wollen. Das ist in Ordnung, bedeutet aber wiederum, man muss mehr Infrastruktur aufbauen, man muss weitere oder größere Kindergärten bauen. Dazu braucht man entsprechende Mittel. Es ist auch gut, wenn man den Betreuungsschlüssel heruntersetzt und mehr Betreuung für die Kinder zur Verfügung stellt – aber auch das muss finanziert werden. Deshalb muss man die Dinge einfach zu Ende denken und da auch entsprechende Lösungen anstreben, sodass die Daseinsvorsorge – und ich glaube, dazu tragen die Gemeinden einen sehr wesentlichen Teil bei – auch gewährleistet werden kann. – Danke schön. (Beifall.)
11.12
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Vielen Dank für deine Ausführungen, Herr Nachbarbürgermeister.
Nun darf ich die Leiterin der Caritas Sozialberatung Wien, Frau Mag.a Doris Anzengruber, um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Magistra.
Mag. Doris Anzengruber (Caritas Sozialberatung Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich sehr herzlich für die Möglichkeit, heute hier meine Beobachtungen mit Ihnen teilen zu dürfen.
Ich arbeite seit zehn Jahren bei der Caritas. Seit fünf Jahren darf ich die Sozialberatungsstelle der Caritas Wien leiten. Es ist eine Beratungsstelle, an die sich Menschen wenden können, die sich in finanzieller und sozialer Not befinden. Eines erlebe ich aktuell jeden Tag: Die Not nimmt zu.
Die Beobachtungen, die ich Ihnen heute schildere, beziehen sich vorrangig auf meine persönlichen Erfahrungen in der Beratung mit meinem Beratungsteam. Natürlich weiß ich aber aus engem Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen auch, dass sich diese Erfahrungen durch die verschiedensten Bereiche innerhalb der Caritas ziehen. Wir bemerken das ganz besonders drastisch in unseren Lebensmittelausgabestellen, in unseren Mutter-Kind-Häusern, in unseren Lerncafés, in unseren Jugendnotschlafstellen, in unseren Wärmestuben. Eigentlich gibt es kaum Bereiche, in denen wir die Auswirkungen der massiven Teuerungen aktuell nicht spüren. Ich sage es noch einmal: Die Not nimmt zu. Rekordinflation und Teuerungswelle treffen zu viele Menschen in Österreich sehr hart, zu viele Menschen stehen derzeit vor der Frage – und das fragen sie mich auch in den Beratungen –: Soll ich die Heizung bezahlen, soll ich das Essen bezahlen? Gebe ich das Geld für eine vernünftige Mahlzeit oder für ein halbwegs warmes Zimmer aus?
Erst letzte Woche hat mich eine Pensionistin gefragt: Wissen Sie eigentlich, wie es ist, wenn man nicht einmal mehr einen Cent in der Tasche hat, um sich ein Brot kaufen zu können? – Sie hat ihre letzten Ersparnisse für die Reparatur und die Ersetzung der Therme ausgegeben und hat kein Geld mehr, um sich Essen kaufen zu können.
Viele wissen derzeit nicht – viele, denn das ist nicht nur ein Beispiel, sondern es ist eines von vielen –, wie sie über den Winter kommen sollen. Und das Fatale ist, die Teuerungswelle nimmt nicht ab. Mehr als jeder dritte Haushalt kann seine durchschnittlichen Konsumausgaben nicht decken. Die Menschen, die zu uns kommen, sind extrem verunsichert. Allein in Wien haben von Jänner bis jetzt um 56 Prozent mehr Menschen um Hilfe und Unterstützung bei uns angefragt als noch im letzten Jahr. Es sind natürlich viele Menschen, die auch vor den Krisen schon kaum oder schwer über die Runden kamen, aber es werden immer mehr Menschen, die sich das erste Mal an uns wenden, an uns wenden müssen.
Das ist ein Negativtrend, der nicht nur auf Wien beschränkt ist, sondern das ist in vielen Bundesländern genauso. Ein extremes Beispiel ist das Burgenland. Dort wurden bis Juli bereits so viele Klienten betreut wie im gesamten Jahr 2021.
Ein Blick in unsere pfarrlichen Lebensmittelausgabestellen reicht hier in Wien aus, um es ganz drastisch zu sagen: Wir haben nicht genug Lebensmittel für die Menschen, die zu uns kommen und welche brauchen. Letztes Jahr haben wir in unseren pfarrlichen Lebensmittelausgabestellen pro Woche 17 Tonnen Lebensmittel an Menschen ausgegeben, jetzt sind es 26 Tonnen. Auch in unseren Lerncafés, ein drastisches Beispiel, haben unsere Betreuer:innen jetzt damit begonnen, die Jause vor der Hausübung auszugeben, weil immer mehr Kinder hungrig kommen. Und: In unseren Wärmestuben richten wir Kinderspielecken ein, weil immer mehr Familien in diese Wärmestuben kommen, was vor Jahren kein Thema war.
Es sind viele Frauen, es sind viele Alleinerziehende, es sind viele Pensionisten, Pensionistinnen mit geringer Pension, es sind Familien mit Kindern, die zu uns kommen – Gruppen, die auch in der EU-Silc als besonders armutsgefährdet aufgelistet werden.
Ich denke an Frau S., die letzte Woche bei mir war. Sie ist Pensionistin mit einer geringen Pension, kommt monatlich auf 1 031 Euro. Nach Abzug von Miete und Energie bleiben ihr 14 Euro täglich. Jetzt ist die Miete heuer schon zweimal gestiegen, die Energiekosten, wie wir heute auch schon mehrmals gehört haben, natürlich auch. Dazu kommt eine hohe Energienachzahlung. Frau S. sagt, sie hat Einmalzahlungen bekommen, das hat geholfen – zum Glück gibt es sie –, aber das ist in ihrem Fall nicht genug.
Der Armutsbegriff hat durch die Krise der vergangenen Jahre eine neue Dimension erreicht. Armut und Armutsgefährdung sind keine Themen mehr von einigen wenigen, sondern das Thema drängt immer mehr in die Mittelschicht vor. Die allermeisten Menschen kommen zu uns, weil es wirklich um existenzielle Dinge geht. Sie wenden sich an uns, weil sie Sorge haben und einfach schlichtweg nicht wissen, was sie als Erstes zahlen sollen. Mit dem Einkommen, das sie haben, kommen sie de facto nicht aus. Da trifft schon eine geringe Mieterhöhung im zweistelligen Bereich – was ich vorhin von Frau S. erzählt habe – sehr hart, ganz zu schweigen von den steigenden Energiekosten und den Jahresabrechnungen, die jetzt immer mehr und mehr in die Haushalte flattern.
Ja, die steigenden Energiekosten spüren wir alle. Besonders hart ist es aber für jene, die sich schon vor der Energiekrise in einer schwierigen finanziellen Lage befanden, denn je weniger Einkommen zur Verfügung steht, desto höher ist der Anteil, der für Energie ausgegeben werden muss. Laut der Österreichischen Energieagentur zahlten Haushalte im Juli 2022 fast 50 Prozent mehr für ihre Energiekosten als im Vorjahr. Das schlägt in der Sozialberatung aktuell total auf.
In etwa zwei Drittel der Anfragen – und die Tendenz ist wirklich steigend – geht es um die Frage der Energiekosten. Was aber wirklich frustrierend ist, ist, dass es viele Menschen betrifft, die an ihrer Situation nichts verändern können. Frau W. ist ein drastisches Beispiel, aber auch nur ein Beispiel von vielen. Sie ist allein-stehend, wohnt in einer sehr schwer heizbaren Dachgeschoßwohnung. Der Vermieter ist nicht bereit, irgendetwas zu verändern, sei es, Dämmungen oder eine bauliche Veränderung vorzunehmen. Wir haben einen Energieberater in ihren Haushalt geschickt. Der hat mich angerufen und hat gesagt: Die Frau kann nichts machen, sie heizt ihr Geld beim Fenster raus oder in den Dachboden rauf. – Jetzt hat sie eine Nachzahlung für die Jahresabrechnung von 614,16 Euro zu stemmen und muss nun monatlich 382 Euro bezahlen.
Wir haben sie unterstützt, indem wir ihr Styropor-Platten gegeben haben, die sie jetzt notdürftig ins Dachgeschoß legt, um zumindest nicht zu viel da rauf zu heizen. Ein Umzug ist ausgeschlossen. Sie steht nicht vor der Obdachlosigkeit. Sie bekommt keine andere Wohnung. Sie kann sich auch keine andere leisten, weil sie keine Ersparnisse hat.
Gemeinsam mit dem renommierten Meinungsforschungsinstitut Sora hat die Caritas Wien eine Umfrage zum Thema Teuerungen unter 1 000 Österreichern und Österreicherinnen gemacht. Auch da haben sich unsere Wahrnehmungen bestätigt, die ich Ihnen gerade erzählt habe. Eines der Ergebnisse war: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist sehr beziehungsweise ziemlich besorgt, dass sie ihre Wohnung im Winter nicht ausreichend warmhalten kann. Auch die Sorge, bei einem weiteren Anstieg der Preise fürs Heizen und Wohnen auf finanzielle Hilfe angewiesen zu sein oder sich verschulden zu müssen, teilen 41 Prozent der Befragten.
Ja, und noch eine Zahl, die wir durch die EU-Silc 2021 kennen: Schon jetzt sind es 148 000 Menschen, die ihre Räume im Winter nicht angemessen warmhalten können. Das war aber noch im Zeitraum vor der enormen Teuerungswelle.
Ja, ich habe viele Zahlen genannt, aber: Was bedeutet es denn eigentlich konkret, wenn das Grundbedürfnis Energie nicht gedeckt werden kann? – Die Auswirkungen sind weitreichend. Für energiearme Haushalte wird die Bewältigung eines gelingenden Alltags zur täglichen Herausforderung. Eine nicht beheizbare Wohnung im Winter, hohe Energiekostenrückstände, Schimmel, feuchte Wohnräume, kein Schutz vor Hitze oder schlichtweg kein Zugang zu Strom in den eigenen vier Wänden führen zu gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Notlagen; da sind Kinder, die sich nicht trauen, ihre Freundinnen zu sich nach Hause einzuladen, weil die Wohnung kalt ist, da sind Pensionisten, die Radiatoren von Zimmer zu Zimmer tragen, und erst letzte Woche stand ein Familienvater vor unserer Tür, drei kleine Kinder, eines davon ein ganz kleines Baby, dem die Heizung abgedreht wurde, der uns fragte, was er jetzt tun soll.
Ja, die Bereiche, in denen die Menschen Hilfe benötigen, sind Wohnen, Energie und Lebensmittel. Alle drei Bereiche sind Grundbedürfnisse, die jeder Mensch hat und die in einem Land wie Österreich immer leistbar sein sollten. Die Bundesregierung hat Etliches gegen die Teuerungen auf den Weg gebracht, wie Einmalzahlungen, Teuerungsausgleich und die Valorisierung der Sozialleistungen ab 2023. Diese Maßnahmen waren gut und effektiv, wenn auch nicht sozial treffsicher, und leider ist auch klar: Sie reichen nicht aus. Kurzfristig muss auf jeden Fall etwas getan werden, damit die Menschen gut durch den Winter kommen. Die Strompreisbremse ist dafür ein wichtiger Schritt, aber wenn ich mir die Beratungen der letzten Tage und Wochen anschaue, dann muss ich sagen: Es muss auch etwas für die Wärme getan werden. Es braucht hier eine Lösung. (Beifall.)
Weiters braucht es einen Abschaltestopp für die aktuelle Heizperiode, denn niemand sollte in diesem Winter frieren müssen. Es muss alles dazu unternommen werden, dass die Menschen ihre aktuellen Verträge nicht verlieren, denn einen neuen zu finden, ist desaströs schwierig. Möglich wäre die Einrichtung von Sozialtarifen für von Energiearmut betroffene Haushalte oder die Reduktion von bestehenden Tarifen, um Abschaltungen zu vermeiden und Haushalte in Notlagen zu unterstützen. Klient:innen werden dadurch nicht verleitet, von Vertrag zu Vertrag zu springen und in eine Schuldenfalle zu geraten. Wichtig ist hier die Koppelung des Sozialtarifs an unterstützende Energieeffizienzmaßnahmen. Ein günstiger Stromtarif sollte nicht durch einen erhöhten Stromverbrauch kompensiert werden.
Weiters, und das ist mir noch ganz wichtig, müssen weitere, langfristige Reformen auf den Weg gebracht werden. Es braucht eine Erhöhung der Sozialhilfe auf ein armutsfestes Niveau und die versprochene Reform des Arbeitslosengeldes. In der Finanzkrise hieß es, die Banken wären too big to fail, in der Coronakrise lautete das Motto für Unternehmen: whatever it takes!, wenn ich in der Sozialberatungsstelle stehe, denke ich mir oft: In dieser Krise muss es zuallererst um die Menschen gehen, um jene Menschen, die jetzt unsere Hilfe brauchen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
11.23
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Mag.a Anzengruber.
Zuletzt darf ich die Direktorin von Eco Austria, Frau Priv.-Doz.in Dr.in Monika Köppl-Turyna, um ihren Beitrag bitten. – Bitte, Frau Direktorin.
Priv.-Doz. Dr. Monika Köppl-Turyna (Eco Austria): Vielen herzlichen Dank. – Ich werde auf der Kommunalebene bleiben und mich heute in meinen Ausführungen vor allem auf die Elementarpädagogik und die Frage der Finanzierung fokussieren. Ich möchte aber spontan noch dazu sagen: Unter Ökonomen ist es natürlich unbestritten, dass so etwas wie ein Marktversagen existiert. Ich glaube, wir sehen diese Tatsachen etwas differenzierter als Herr Matznetter. Ich glaube dennoch, die Frage, wo die richtige Linie der Abgrenzung zwischen Staat und Markt verläuft, ist eine deutlich kompliziertere als eine, die man in 10 Minuten beantworten will. Deswegen will ich das gar nicht probieren.
Ich fokussiere mich auf zwei konkrete Vorschläge, die ich für die Verbesserung der Daseinsvorsorge auf kommunaler Ebene machen möchte.
Insbesondere ist dies als erster Punkt die Elementarpädagogik. Wenn ich an eine Aufgabe des Staates denke, die mit hoher Sicherheit – und ich glaube, darüber sind sich die meisten Ökonomen einig, unmittelbar beim Staat liegt, dann ist das die Frage der Bildung, weil eben die Auswirkung des Spillovers besonders positiv sind. Da spielt die Elementarpädagogik eine zentrale Rolle im Bildungssystem. Ich denke, da gibt es wenig Zweifel, dass das zur Grundversorgung und zur Daseinsvorsage gehört.
Wir haben in Österreich trotz der Erfolge der letzten Jahre eine nach wie vor leider nicht zufriedenstellende Situation, etwa bei der Betreuung von Kindern im Alter von bis zwei Jahren, denn da liegt die Zahl bei 28 Prozent der Kinder und damit unter dem Barcelonaziel von 33 Prozent und signifikant unter jener der Vergleichsländer in Europa, wie etwa Dänemark mit 69 Prozent, Schweden mit 56 Prozent oder die Niederlande mit 74 Prozent. Auch der Durchschnitt der EU-Länder mit 37 Prozent ist signifikant höher als der Wert für Österreich.
Ein besonderes Problem ist tatsächlich, dass das Ausmaß der Betreuung in Vollzeit auch besonders niedrig ist. Da belegt Österreich eine der letzten Ränge mit einer Quote von 9,6 Prozent der Kinder, die im Ausmaß von 30 Stunden oder länger betreut werden können. Der EU-Schnitt liegt da bei 21 Prozent. Das hängt natürlich unmittelbar mit der Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen zusammen. Die Partizipation ist zwar hoch, aber die Teilzeitbeschäftigung ist die zweithöchste in Europa und ist vorwiegend auf die Mütter zurückzuführen. Wenn man sich Umfragen anschaut, etwa die Erhebung der Europäischen Kommission, dann sieht man, dass 57 Prozent der Frauen als Grund für ihre Teilzeitbeschäftigung die Betreuungsverpflichtungen angeben, dass die fehlende Verfügbarkeit eines entsprechenden Platzes sie daran hindert, in einem höheren Ausmaß am Arbeitsmarkt zu partizipieren. – Da würde ich vielleicht zu Ihrer (in Richtung Abg. Angerer) Geschichte vom Seppl hinzufügen, dass die Mama das Kind schon zu Mittag abholen muss; sie sehen sich vielleicht als Familie beim Abendessen, aber die Mama muss spätestens um 14 Uhr das kleine Kind vom Kindergarten abholen.
Warum ist das wichtig? Warum ist das wirklich eine Aufgabe des Staates? – Weil eben eine überwiegende Mehrheit der Literatur dazu findet, dass das sowohl auf die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen als auch auf die Bildungserfolge der Kinder positive Effekte hat. Wir haben wirklich gute Belege dafür, dass der Ausbau der Elementarpädagogik die Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter verbessert. Das ist insbesondere im ländlichen Raum und bei ethnischen Gruppen, die traditionell eine niedrigere Arbeitsbeteiligung von Frauen haben, der Fall. Wir haben dazu gute Studien. Es gibt auch Belege dafür, dass das vorwiegend Frauen mit niedrigeren und mittleren Qualifikationen zugutekommt und dementsprechend auch deren Kindern, und bei den Alleinerziehenden muss man, glaube ich, gar nicht erst dazusagen, wie besonders wichtig das ist.
Der zweite Punkt, und das ist vielleicht noch wichtiger als die Arbeitsplatzpartizipation der Mütter, ist die Frage, welche Auswirkungen das auf die Bildungserfolge hat. Ich glaube, es ist uns allen ein Anliegen, ein gutes Bildungssystem zu haben, und ein wesentlicher Baustein dieses System ist eine gute Elementarpädagogik. Wir haben Literatur – ich zitiere auch unsere Studien, die Herr Angerer angesprochen hat –, durch die wir sehen, dass in der kurzen Frist Kinder, die an der Elementarpädagogik teilnehmen, bessere Bildungserfolge haben, dadurch, dass die Eltern ihnen einmal vorlesen, sie sind auch gesünder und oft besser ernährt.
Auch in der langen Frist haben wir Studien – leider nicht aus Österreich, aber aus skandinavischen Ländern, in denen man sehr lange, über Jahrzehnte, Menschen beobachten kann –, anhand derer man sehen kann, dass die Menschen, die an der Elementarpädagogik teilgenommen haben, später, im erwachsenen Leben, eine höhere Bildung, höhere Einkommen, ein gesünderes Leben haben, es gibt eine niedrigere Ungleichheit und auch eine bessere soziale Mobilität.
Inzwischen gibt es schon Studien von James Heckman – das ist ein Nobelpreisträger in Volkswirtschaft, der sich mit dem Thema beschäftigt –, dass auch noch bei Kindern von betreuten Kindern positive Effekte festzustellen sind, das heißt, über die zweite Generation hinaus verbessern sich grundsätzlich die wirtschaftlichen Erfolge, denn Bildung ist natürlich eine Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes.
Wir müssen daran natürlich weiterhin arbeiten. Die wichtigsten Kriterien für den Erfolg sind: Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Erschwinglichkeit, Qualität und Flexibilität. Gerade beim letzten Punkt, jenen der Flexibilität, besteht eben beim Thema der Öffnungsstunden nach wie vor Aufholbedarf. Es ist festzustellen, dass, trotz der Erfolge der letzten Jahre – es ist tatsächlich schon sehr viel gemacht worden –, nach wie vor in diesen Bereich investiert werden muss.
Mit dem zweiten Punkt unmittelbar verbunden ist natürlich auch die Frage der Finanzierung. Wir stehen vor den Verhandlungen zum Finanzausgleich nächstes Jahr. Ich kann vielleicht ein paar Worte dazu sagen, was die ökonomische Literatur, was auch Studien für Österreich, die meine Kolleginnen oder Kollegen von anderen Forschungsinstituten verfasst haben, feststellen zu: Wie können wir die kommunale Daseinsvorsorge auf sichere Beine stellen? – Das passiert natürlich nicht durch vereinzelte Investitionspakete, die natürlich auch helfen, sondern es muss vor allem eine grundlegendere Form bedacht werden, die die kommunalen Finanzen wirklich auf Dauer auf festere Beine stellt.
Zahlreiche Forschungsberichte betonen folgenden Reformbedarf; erstens: Reform der Kompetenz- und Aufgabenverteilung auf die Gebietskörperschaften, insbesondere auf die Gemeinden. Natürlich muss man das unter expliziter Einbeziehung des technischen und wirtschaftlichen Wandels und geänderter internationaler Verpflichtungen beziehungsweise des Klimawandels denken, das heißt, es gibt viele Aufgaben, bei denen man sich vielleicht noch einmal die Frage stellen muss, auf welcher Ebene sie am besten zu erfüllen sind.
Zweitens: Eine verstärkte Zusammenführung von Aufgaben, der Ausgaben- und Einnahmenverantwortung, insbesondere auf Gemeindeebene, würde die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des föderalen Systems verbessern.
Der dritte Punkt ist die Stärkung der sogenannten fiskalischen Äquivalenz. Das heißt, Zusammenführung von Einnahmen- und Ausgabenverantwortung, was im Klartext bedeutet: Ausbau der Abgabenautonomie der subnationalen Gebietskörperschaften. Das wurde heute bereits angesprochen. Die Gemeinden haben einen relativ geringeren Anteil an der Finanzierung, die vom Bund bereitgestellt wird, und natürlich deutlich höheren Anteil an Ausgaben, besonders in der Frage der Daseinsvorsorge. Da mehr Äquivalenz zu schaffen würde wirklich viel Sinn machen.
Vierter Punkt: Flexibilisierung und Zielorientierung im Finanzausgleich, insbesondere bei der Festlegung politischer Ziele wie etwa Klimaschutz oder Raumentwicklung. Da ist das Wort Aufgabenorientierung natürlich zentral. Wir brauchen einen Finanzausgleich, der so weit geht, dass eben die Daseinsvorsorge wirklich gezielt und treffsicher unterstützt werden kann. Das hat es in dieser Hinsicht bisher nicht wirklich gegeben, denn wir haben sehr viele unterschiedliche Transfers, die oft nicht wirklich auf deren Wirkung überprüft werden, manchmal sogar widersprüchliche Wirkungen erzielen. Es ist überhaupt sehr wenig Aufgabenorientierung in der Daseinsvorsorge in diesem Transfersystem vorgesehen.
Dann zum letzten Punkt: laufende Kontrolle und Entflechtung der Transfers, um wirklich noch einmal die Verantwortlichkeiten zu klären und Widersprüchlichkeiten im Transfersystem aus dem Weg zu schaffen.
Beispiele für solche Reformen wären: Erster Punkt: Eine Zusammenführung der Aus-und Aufgabenkompetenz würde dazu führen, dass Investitionen der Gemeinden diesen auch unmittelbar zugutekommen würden. Wenn eine Gemeinde einen besseren Kindergartenplatz hat, dann hat sie vielleicht bessere Arbeitsmarkterfolge bei den Müttern und somit höhere Steuerrückflüsse zu verzeichnen. Diese Steuerrückflüsse sollen in der Gemeinde bleiben, sodass die Anreize zum Weiterausbau bestehen, etwa zum Beispiel durch mehr Abgabenautonomie im Bereich der Einkommensteuer.
Zur Aufgabenorientierung: Ein Lastenausgleich wäre sinnvoll, demografische Indikatoren, sozioökonomische Indikatoren in den Finanzausgleich einzubauen, sodass man wirklich treffsicher unterstützen kann, etwa dass Gemeinden, in denen es einen höheren Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund oder an Kindern aus benachteiligten Verhältnissen gibt, mehr Mittel als Daseinsvorsorge bekommen als andere Gemeinden, um die Treffsicherheit zu verbessern.
Und der letzte Punkt, den ich noch spontan als Reaktion auf meine Vorredner hinzugefügt habe: Ich glaube, es geht viel weniger um die Frage, ob wir irgendetwas privatisieren sollen oder nicht. Ich glaube, viele hier in diesem Saal sind sich in der Frage, welche Aufgaben dem Staat tatsächlich gehören, einig. Nun ist es oft so, dass diese in diesem Sinn vom Staat leider nicht sehr effizient durchgeführt werden. Wir haben es heute schon gehört: Wir wollen jedenfalls ein gutes Bildungssystem für alle Kinder. Leider ist es so, dass wir zwar die dritthöchsten Ausgaben für Schüler im OECD-Raum haben, aber die Ergebnisse der standardisierten Tests unterdurchschnittlich sind. Es ist also oft so, dass es gar nicht an der mangelnden Finanzierung liegt, sondern vielmehr an der Tatsache, dass wir mit vorhandenem Geld besser, treffsicherer umgehen müssen. Die Voraussetzungen dafür sind eben strukturelle Reformen im Finanzausgleich, in der Finanzierung der Gemeinden und Länder und in den vorhandenen Strukturen. Das betrifft viele Bereiche, auch auf Landesebene.
Ich glaube, dass damit auch die Frage der Finanzierung viel besser gesichert ist, wenn wir uns einfach einen Schritt zurückziehen und uns die Frage stellen, wie wir die bestehenden Systeme verbessern können, sodass wir mit bestehenden Mitteln bestmögliche Erfolge erzielen. – Vielen Dank. (Beifall.)
11.33
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Direktorin.
Panel 3 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Beiträge.
VI. Statements der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates und Beiträge der Teilnehmer:innen
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Wir gelangen nunmehr zu den Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden beziehungsweise deren Stellvertreter:innen. Ich darf diese ersuchen, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Zeit von 5 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.
Ich darf zunächst in Vertretung des Herrn Fraktionsvorsitzenden der ÖVP Herrn Bundesrat Mag. Harald Himmer um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Bundesrat.
Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen und hier im Saal! Eine Enquete unterscheidet sich von den anderen Debatten, die wir sonst hier haben, in drei Punkten: erstens: es sind andere Personen dabei; zweitens: es ist ein bisschen unaufgeregter als die normale politische Agitation; drittens: es ist auch etwas strukturierter. – Das sind sehr angenehme drei Punkte.
Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass man auch im Rahmen einer solchen Fachtagung seine ideologische Einstellung nicht aufgeben muss. Das klingt natürlich auch in den Beiträgen durch, und da möchte ich ein bisschen auf das reflektieren, was mir hier in der Debatte besonders aufgefallen ist.
Zunächst einmal glaube ich, dass eine stabilisierende Institution in diesem Land auch die Bundesregierung ist, die sehr viel dazu beigetragen hat, dass dieses Land durch diese Krise gekommen ist. Da ist mir schon aufgefallen – also wenn Stadtrat Hanke sich sehr darüber freut, 200 Euro ausgezahlt zu haben, dann ist das auch sehr ordentlich, aber wenn man bedenkt, was vonseiten der Bundesregierung da gemacht worden ist, womit wirklich den Menschen geholfen worden ist, womit auch Arbeitslosigkeit verhindert worden ist –, dass dazu, glaube ich, auch eine Institution einen sehr, sehr wesentlichen Beitrag geleistet hat. Natürlich hat auch jede einzelne Gemeinde, von den 2 000 Gemeinden, die Österreich hat, einen ganz, ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet.
Die Institutionen in Österreich sind enorm wichtig – jetzt ist mein Freund, Wolfgang Katzian, schon gegangen –, so hat natürlich auch der Gewerkschaftsbund eine ganz elementare, zentrale Rolle. Ich teile auch die Meinung des Gewerkschaftsbundpräsidenten, dass Streiks eine legitime Sache sind, die bei Verhandlungen auch dazugehören. Ich glaube aber nicht, dass alle Berufsgruppen die gleiche Möglichkeit haben, einen Streik so effektiv durchzuführen, wie das halt die Bahnbediensteten machen können, und das kann man natürlich auch entsprechend ausnutzen.
Was hier angesprochen worden ist, auch vom Gewerkschaftsbundpräsidenten, in Richtung mehr privat, weniger Staat, oder umgekehrt: In der Frage, dass der Ruf nach dem Staat immer nur dann kommt, wenn etwas passiert ist, sollte man, glaube ich, nicht die übermäßigen ideologischen Scheuklappen haben. Es gibt Dinge, bei denen es sehr gut ist, dass wir den Staat haben, und es gibt Dinge, bei denen die private Aktivität mehr bewirken kann. Ich glaube nicht, dass das klassische Gegenpole sind.
Ich darf als Beispiel die Wien Energie nennen. Da wurde auch sehr mutig gesagt, dass aufgrund des Umstandes, dass dieser Bereich immer der Gemeinde Wien gehört, nie etwas passieren kann, man hat dann sozusagen auch die Kontrolle über die Preise. In der Energiekrise hat man dann gesehen, dass diese Kontrolle über die Preise natürlich nicht nur durch den Eigentümer sichergestellt werden kann, sondern dass da halt Dynamiken bestehen, die weit über das hinausgehen. Da ist also nicht alles schwarz-weiß.
Es sind viele Umverteilungsfragen angesprochen worden. – Ich glaube, jeder Politiker mit sozialer Verantwortung bekennt sich zu einer notwendigen Umverteilung. Es ist immer wichtig, den Ärmsten zu helfen, und das wird auch immer zentral sein, egal von welcher ideologischen Seite man kommt. Wichtig dabei ist, immer zu bedenken, dass man sagt: Ich mache mir weniger Sorgen um die Reichen und die Superreichen, sondern darum, wie es in der Gesellschaft mit jenen bestellt ist, die geringe Einkommen haben und die für dieses geringe Einkommen eine volle Arbeitsleistung erbringen. Das sind diejenigen, die nicht die Dummen sein sollen, und das sind diejenigen, die auch mehr haben sollen als jene, die durch ein vernünftiges Sozialsystem auch in schwierigen Phasen überleben können. Trotzdem muss es aber so sein, dass ein Unterschied zwischen Erwerbseinkommen und Nichterwerbseinkommen ist. Da mache ich mir im unteren Einkommensbereich doch oft Sorgen, dass wir da die richtigen Maßnahmen gesetzt haben.
Das Thema mit dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ist angesprochen worden, das möchte ich noch kurz reflektieren. Auch dazu vielleicht ein etwas anderer ideologischer Zugang: Ich finde, es ist eine unbestritten wichtige, elementare gesellschaftliche Aufgabe, für unseren Nachwuchs das Beste an Leistung zu erbringen - -
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Bitte, Herr Kollege, Ihre Redezeit!
Bundesrat Mag. Harald Himmer (fortsetzend): Ich würde mir halt in diesem Bereich wünschen, dass wir das Geld nicht für die Gerichte, für die Rechtsanwälte und so weiter ausgeben. Das mit dem Rechtsanspruch können wir uns schon wieder sparen und das Geld stattdessen direkt für die Kinder investieren. Da hätte ich gerne eine Lösung, mit der wir die Euros dafür verwenden, dass sie zu den Kindern gelangen und nicht zu den Gerichten und zu den Anwaltskanzleien. (Beifall.)
11.40
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Ich erteile nunmehr dem Fraktionsvorsitzenden der SPÖ, Herrn Bundesrat Stefan Schennach, das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Bevor ich zu meinen Ausführungen komme, möchte ich mich bei der Frau Präsidentin für diese wirklich hervorragende Initiative und für die Debatte auf diesem Niveau herzlichst bedanken. (Beifall.)
Nachdem ich meinem Vorredner Himmer zugehört habe: Ja, Sichtweisen können sehr unterschiedlich sein. Ich kann mich daran erinnern, dass wir hier in Zeiten der Pandemie und in Zeiten der Energiekrise Stunden verbracht haben, um Kanzler und Finanzminister daran zu erinnern, dass es Städte und Gemeinden gibt, die dringend finanziert werden müssen. Es gab in der Pandemie 1 Milliarde Euro zu wenig an Finanzierung. Es gibt auch jetzt all diese Zögerlichkeiten, und tut mir leid, lieber Kollege Himmer, aber den Grundstock und die Basis der Daseinsvorsorge und der kommunalen Dienstleistungen leisten die Städte und Gemeinden, und nicht der Bund und die Regierung. (Beifall.)
Wenn wir hören, dass in manchen Gemeinden die Kinderbetreuung, die Nachmittagsbetreuung von den Menschen nicht mehr in Anspruch genommen werden können und die Kinder wieder zu Hause sind, weil die Eltern es sich nicht mehr leisten können, dann ist das ein Rückfall in Zeiten, die wir nicht wieder erleben wollen. Das ist ein riesiger Rückschritt in Frauenpolitik und Gleichstellungspolitik, der schrecklich ist. Leider Gottes, muss man sagen, hat die Regierung da auf voller Länge versagt. (Beifall.)
Wenn wir uns die letzten zehn Jahre in Europa anschauen, so sind diese davon gekennzeichnet, dass es in über 100 Städten und Gemeinden eine Rekommunalisierung von zuvor verkauften Betrieben der Daseinsvorsorge gab. So hat zum Beispiel Mister Brexit, Michel Barnier, als Bürgermeister von Grenoble die Wasserversorgung verkauft – das hat aber nicht funktioniert, daher musste die Gemeinde sie um den vierfachen Preis zurückkaufen!
Berlin hat – unter einer anderen Regierung – ebenfalls das Wasser verkauft, und jetzt muss Berlin das Stück für Stück – denn in einer Großstadt wie Berlin geht das nicht so einfach –, bezirksweise und grätzelweise, wie wir in Wien sagen würden, zurückkaufen. In Frankreich hat der Medienkonzern Vivendi die gesamte Abwasserversorgung gekauft – aber nicht, weil er Abwasserversorgung anbieten will, sondern weil er Abschreibungsposten brauchte, und jetzt sind alle Systeme kaputt!
Die Daseinsvorsorge ist eines der ganz, ganz großen Dinge, die die Städte und Gemeinden leisten. Sie schaffen dadurch Nachfrage – lokale Nachfrage –, und sie sind die, die wirklich auch Arbeitsplätze schaffen, das sollte man nie vergessen.
Zu diesem gesamten Bereich gehören der Verkehr, die Müllentsorgung, der Gesundheitsbereich, die Wasserversorgung, die Bildung auf allen Ebenen, die Kultur – wir wollen ja nicht mehr, dass der Adel und die Kirche für die Kultur zuständig sind, sondern diese von den Gemeinden und Städten mitinitiiert und getragen wird –, und natürlich die Infrastruktur. Dazu kommen – und da braucht man die Bundesebene – auch all die Netze, ob das jetzt Telekommunikation ist, ob das Verkehr ist, ob das Rundfunk, IT oder Energie sind und so weiter.
Einer der ganz, ganz wesentlichen Bereiche ist aber der soziale Wohnbau, der gerade in Wien ein europäisches Signal ist. Die EU versteht das jedoch bis heute nicht: Es gibt da dermaßen viele Debatten, was den sozialen Wohnbau betrifft, in denen dieser aber immer nur als eine Armenversorgung gesehen wird – oder irgendwelche Container –, die Beteiligten aber nicht verstehen, dass der soziale Wohnbau ein Gut und ein Wert an sich ist. Auf europäischer Ebene sind wir in der Daseinsvorsorge bei diesen Dingen immer in Konflikt mit der sogenannten Wettbewerbsrichtlinie.
Ich kann mich noch daran erinnern, als wir im Bundesrat Alarm geschlagen haben, was die Privatisierung des Trinkwassers betrifft, das ist genau der Punkt der Wettbewerbsrichtlinie und der Konzessionsrichtlinie gewesen. Wir müssen diese Dinge außer Streit stellen, müssen sie europäisch außer Streit stellen. Nur mit halbwegs soliden Gemeinde- und Städtefinanzen schaffen wir auch das Erreichen der Klimaziele sowie die Bewältigung von Energiekrise, Lieferkettenproblematik und Inflation, deshalb sind die Daseinsvorsorge und die kommunalen Dienstleistungen für unser Land und für unsere Menschen so immens wichtig. – Danke. (Beifall.)
11.46
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Danke, Herr Fraktionsvorsitzender.
Als Nächster gelangt der Vertreter des Herrn Fraktionsvorsitzenden der FPÖ, Herr Bundesrat Bürgermeister Josef Ofner, zu Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.
Bundesrat Josef Ofner (FPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Werte Referenten! Werte Kollegen Abgeordnete! Geschätzte Zuhörer und Zuschauer vor den Bildschirmen! Enqueten haben ja grundsätzlich den Zweck, aktuelle Herausforderungen über Fachbeiträge und Lösungsansätze zu bearbeiten. Heute ist man von diesen Gepflogenheiten ein bisschen abgewichen und hat bis auf wenige Ausnahmen anstatt der unabhängigen Fachreferenten eher parteinahe Institutionenvertreter und Vorfeldorganisationen herangezogen. Das hat so ein bisschen den Anschein parteilicher SPÖ-Festspiele gehabt, aber war wohl als solches gedacht – wir nehmen das zur Kenntnis, weil Erfahrungsaustausch im Gesamten einfach auch wichtig ist.
Was man aber in diesem Zusammenhang natürlich auch kritisch festhalten muss, ist, dass viele dieser Institutionen, vor allem aber auch viele der Parteienvertreter zu genau diesen heute hier beleuchteten Krisen beigetragen haben. Das ist dann doch anders, als hier vielfach skizziert wurde: Es war nicht so, dass die staatlichen Strukturen zu diesem Zusammenhalt beigetragen haben – Kollege Himmer wird das naturgemäß anders sehen –, und es war auch nicht die Regierung. Wenn ich hier nur auf Corona verweisen darf, wurde da genau das Gegenteil gemacht: Es wurde gespalten und dadurch die Krisen verschärft!
Die Maßnahmen wurden auch von allen widerspruchslos mitgetragen, und wenn heute hier der Staat in seiner Gesamtheit mit huldvollen Lobesworten überschüttet wird, so können das viele Menschen in unserem Land nicht verstehen. Die Menschen erwarten sich nämlich auch jetzt Maßnahmen gegen die Teuerung, die ihnen in allen Lebensbereichen zusetzt. Sie kämpfen mit horrenden Lebensmittelkosten, exorbitanten Energiepreisen, explodierenden Mietkosten und steigenden Kreditzinsen. Dazu kommen auch noch neue Steuern, wenn wir etwa an die CO2-Bepreisung denken.
Diese heutige Enquete ist daher auch deswegen notwendig, weil es in unserem Land Krisen gibt, die die Regierenden teilweise mitverschuldet haben, außerdem haben auch politische Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen zu diesen Situationen geführt.
Das hat ja bei Corona begonnen, und wir wissen, dass das letztendlich zu fatalen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen geführt hat.
Wenn wir uns die Statements des deutschen Gesundheitsministers ansehen, der bei der Pandemie der Ungeimpften von einem Versehen spricht, dann darf man auch gespannt sein, was sich da in Österreich noch herausstellen wird. Es wird aber ein ähnliches Ergebnis sein, dass eben viele der staatlichen Strukturen nicht die verlässliche Basis der Gesellschaft bilden und als solche wahrgenommen werden.
Mit Krisen zu kämpfen haben wir nicht nur bei der Teuerung aufgrund der Coronapolitik, sondern auch aufgrund der Sanktionspolitik im Ukraine-Russland-Konflikt, und auch –und es hat mich gewundert, dass dieses Thema heute überhaupt noch nicht beleuchtet worden ist, denn es ist derzeit das brennendste – bei einer verfehlten Migrations- und Asylpolitik in unserem Land. Auch da stehen wir mit einem völlig falschen Lösungsansatz vor einer Situation, die das soziale Gefüge ebenso wie unseren Wohlstand, aber vor allem die Sicherheit unserer Bürger gefährdet. Man muss daher auch da die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen sehen und in diesem Zusammenhang einen Kollaps des Sozialsystems zur Kenntnis nehmen, wenn man diesen Weg weiter beschreitet.
Was aber heute zum Ausdruck gekommen ist, und ich glaube, das ist ganz wichtig, ist die positive Ausnahme: die kommunale Ebene. Wenn heute hier die Daseinsvorsorge dargestellt wurde, gerade von den Bürgermeisterkollegen, dann muss man auch festhalten, dass genau in diesen Krisenzeiten die Gemeinden als kleinste Zelle in unserer staatlichen Struktur von Beginn an funktioniert haben. Denken wir an Corona: Da hat es noch keine Verordnungen gegeben, keine Vorschriften gegeben, aber die Versorgungssicherheit wurde sichergestellt. Die Gemeinden und die Städte haben dafür Sorge getragen, dass die Menschen versorgt und informiert werden, und haben ihre Agenden entsprechend wahrgenommen.
Ich darf daher abschließend vor diesem positiven Hintergrund der Gemeinden die kommunale Ebene vielleicht auch als Vorzeigeprojekt sehen, das sollten vor allem alle politischen Vertreter auch von dieser Enquete heute mitnehmen, damit sie nicht zu einer Pflichtveranstaltung im Rahmen der Bundesratspräsidentschaft verkommt. Man sollte mitnehmen, dass man die Interessen der Bevölkerung wahrnimmt, die Interessen der Jugend und unserer Heimat wahrnimmt, und dass man diese in den Mittelpunkt der politischen Handlungen stellt.
Lassen wir den Worten Taten folgen, dann wird auch das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Strukturen wieder größer sein! (Beifall.)
11.53
Vorsitzender Vizepräsident Günther Novak: Danke für Ihren Beitrag, Herr Bundesrat.
Abschließend darf ich als Vertretung des Herrn Fraktionsvorsitzenden der Grünen Herrn Bundesrat Dr. Adi Gross das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.
Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bleibe ganz unkonventionell bei einer Auseinandersetzung mit dem Thema der Enquete. Die wahrscheinlich größte Herausforderung, vor der wir stehen – wir haben es mehrfach gehört –, ist die Klimakrise, was allerdings mehr als eine rhetorische Feststellung sein sollte.
Es geht dabei auch nicht – unter Anführungszeichen – „nur“ darum, da und dort ein paar Kilowattstunden einzusparen oder neue Energieträger aufzubauen – es geht um einen viel grundlegenderen, fundamentalen Umbau der Strukturen und Rahmenbedingungen. Das betrifft unser Verständnis von Mobilität, unser Verständnis von Wohnen und den Umgang mit den Böden. Es geht um unser Verständnis von Ernährung, um die Art und Weise des Wirtschaftens, und es geht natürlich um die Frage der sozialen Gerechtigkeit, und damit gelangen wir nahtlos zum Thema der verlässlichen öffentlichen Strukturen.
Gerade in Zeiten großer Veränderungen sind verlässliche Strukturen nämlich ein ganz entscheidender Stabilisator in den Stromschnellen des notwendigen Umbaus. Die vorhandenen Ängste und auch die ganz realen Grenzen der Teilhabe und der Teilnahme am Umbau verlangen natürlich eine Absicherung und eine Perspektive für die Betroffenen: Es braucht Gewissheit, dass bei diesem Umbau niemand zurückgelassen wird.
Die momentane Energiepreis-Hausse projiziert viele dieser Aspekte noch einmal schärfer auf die Leinwand des Umbaus, und gerade einkommensschwache Gruppen befinden sich leider in einem doppelten Dilemma: Einerseits geraten sie an die Grenzen der Bezahlbarkeit der Energierechnungen, andererseits sitzen sie dadurch gewissermaßen in der Falle, da sie sich Investitionen in die Reduktion des Energieverbrauchs – und damit der Energiekosten – nicht von sich aus leisten können. Auf diese Gruppe ist also besonderes Augenmerk zu legen, und das ist im Übrigen auch insofern angebracht, als diese eben weit weniger Klimaschadstoffe in die Luft blasen und Ressourcen verbrauchen als die einkommensstarken Gruppen. Auch das ist also eine Frage der Gerechtigkeit.
Das Schöne bei diesen Dingen ist – darauf möchte ich ein bisschen zu sprechen kommen –, dass wirksamer Klimaschutz mit einer hohen Qualität der Grundversorgung einhergeht. Längst ist zum Beispiel erwiesen, dass die effizientesten Häuser, also Häuser in Passivhausqualität, nicht nur wirtschaftlich sind, sondern extrem niedrige Heizkosten ermöglichen. Da können Sie ein ganzes Haus – nicht nur eine Wohnung, sondern ein ganzes Haus – um 200 Euro beheizen – im Jahr, wohlgemerkt, nicht im Monat, das sind somit energiekrisensichere Häuser! Das wäre gerade im sozialen Wohnbau mit den leistbaren Mieten als Standard zu definieren, selbstverständlich auch bei den Sanierungen.
Ein großer Emissionssektor und Kostenfaktor ist der Verkehr, und da geht es zunächst darum, eine hohe Qualität der Nahversorgung zu sichern. Fußläufig erreichbare Geschäfte des täglichen Bedarfs – da sind natürlich auch die Gemeinden gefordert – bewirken nebenbei eine hohe soziale Qualität, dazu gehört auch eine entsprechende Gestaltung der Verkehrsräume mit hoher Aufenthaltsqualität. Es braucht eine Herangehensweise, die die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt – das ist ja bis jetzt nicht überall der Fall gewesen, man stellt eher Maschinen in den Mittelpunkt. Solche Beispiele lassen sich für alle Bereiche fortführen. (Präsidentin Schumann übernimmt den Vorsitz.)
Die eigentliche Herausforderung ist in der Tat der Übergang: Wie lässt es sich zum Beispiel lösen, dass Mietwohnungen thermisch top saniert werden, sodass die Mieter:innen mit geringem Einkommen sich das leisten können und nicht aus ihren Wohnungen vertrieben werden? – Auch dafür gibt es Modelle und Lösungen: Ich nenne als Beispiel das Programm „Sauber heizen für alle“, das einkommensschwache Haushalte mit einer Förderung von bis zu 100 Prozent bei der Umstellung des Heizsystems unterstützt. Das lässt sich mit ein bisschen gutem politischen Willen von allen Seiten natürlich auf andere Themen ausdehnen, etwa auf thermische Sanierungen und so weiter.
Ich nenne die Strompreisbremse, die einen Grundbedarf an elektrischer Energie in Höhe von 80 Prozent des Durchschnittsbedarfs zu geringen Kosten sichert. Das ist aus meiner Sicht ein gutes Modell, das es natürlich zu verbessern und treffsicherer zuzuschneiden gilt – aber warum das nicht auch à la longue fortführen? Es gibt außerdem die Heizkostenzuschüsse der Länder und so weiter.
Klimaschutz und Sozialpolitik sind kein Widerspruch, und ich finde das eine wichtige Botschaft: Es ist genau das Gegenteil der Fall, es handelt sich vielmehr um eine Chance für mehr soziale Gerechtigkeit, das in einem anzugehen. Klare und verbindliche Rahmenbedingungen sowie verlässliche öffentliche Strukturen und die Sicherstellung einer ökologischen und leistbaren Grundversorgung sind dafür allerdings die Bedingungen. – Danke. (Beifall.)
11.58
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für diesen Beitrag.
Wir gelangen nun zu den Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ich darf auch an dieser Stelle nochmals daran erinnern, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche darum, diese Vorgabe einzuhalten. Ich darf außerdem darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt.
Bitte geben Sie Ihre Wortmeldung vom Redner:innenpult unter Nennung Ihres Namens und Ihrer Institution ab!
Zu Wort gemeldet ist Frau Stadträtin Kaup-Hasler aus Wien. Ich erteile ihr dieses.
Mag. Veronica Kaup-Hasler (Amtsführende Stadträtin für Kultur und Wissenschaft): Einen schönen guten Tag! Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Frauen Abgeordnete! Ich danke für diese Enquete, denn ich glaube, sie berührt wirklich etwas, das wir dringend in einem übergeordneten Rahmen zu besprechen haben: das multiple Ineinandergreifen von Krisen. In diesem Zusammenhang glaube ich, dass es dringend notwendig ist, dass wir auch eine andere Form des Sprechens – auf parlamentarischer Ebene, aber auch auf städtischer und kommunaler Ebene – miteinander pflegen müssen.
Das war heute schon einmal nicht so schlecht, würde ich sagen, aber es geht auch noch besser: wenn wir wirklich nur das Thema in den Vordergrund stellen und diese Krisen, die uns im Moment treiben und auch nächste Generationen treiben werden.
Neben den Grundvoraussetzungen von Dasein – Wohnen, Bildung, Soziales, das alles wurde angesprochen – geht es auch um ein Wiederherstellen des Vertrauens in demokratische Strukturen überhaupt, und das ist etwas, was – egal welcher Partei wir angehören oder auch nicht angehören – uns alle beschäftigen und uns auch wirklich Sorge machen muss, denn diese Herausforderung werden wir nur schaffen, wenn wir zeigen und auch vorleben, dass wir rein an der Sache orientiert arbeiten und nicht politisches Kleingeld wechseln, nicht schon wieder mit den alten Feindbildern operieren.
Wir erleben eine große soziale Herausforderung, und wir müssen uns dem stellen, ganz sachlich, wissenschaftlich. Die Wissenschaft, die Soziologie gibt uns die Daten, die Analysen: Wo steht die Gesellschaft? Hat sich der Gap zwischen Arm und Reich erweitert, ja oder nein? – Das ist etwas, was faktisch ist, und wenn es der Fall ist, dann haben wir an den jeweiligen Stellen, in denen wir in der Politik zu tun haben, zu wenig getan, um diesen Gap zu schließen. Als Kunst- und Wissenschaftsstadträtin kann ich sagen: Es geht nicht nur um das Gefühl, sondern um das Bauen an Teilhabe, Teilhabe an jedem Bereich des Lebens, und dazu gehört eben auch Kultur. Es ist ganz wichtig, dass auch die Kinder, von denen Sie gesprochen haben, einen Access haben, dass es auch freie Kunst- und Kultureinrichtungen gibt, die jedermann und jeder Frau zugänglich sind.
Das ist ein ganz entscheidender Punkt, und das bedeutet für die Verwaltung – denn das war das erste Thema – ein Heraustreten aus den Parametern der Bewertung, wie wir sie noch vor Corona kannten. Das heißt, wir müssen vielleicht den sozialen Mehrwert, ökologische und weiche Faktoren in unsere Bewertung mehr einbeziehen als die rein monetären, die wir gewohnt waren, weil das Monetäre nicht mehr etwas abbildet, was in der Gesellschaft wichtig ist.
Also: Investment in Kultur und Kunst, Investment in soziale Räume und ganz starkes Investment in Wissenschaft. Wir werden das brauchen. Hier ist vielleicht nicht der richtige Ort dafür, aber tragen Sie das weiter in Ihre jeweiligen Gremien oder ins Parlament!
Eine Generation, die zwei Jahre Covid-19 erlebt hat und wirklich abgeschnitten war, eine Generation von jungen Studierenden braucht wieder eine funktionierende Plattform in der Universität, einen freien Zugang, und deswegen müssen wir mehr in Wissenschaft investieren; auch weil die Wissenschaftsungläubigkeit zugenommen hat und wir sehen, was das mit den Menschen macht.
Wir können die Menschen auf diesem schwierigen Weg der Transformation nur mitnehmen, wenn wir in dieses Vertrauen in grundlegende Säulen des demokratischen gesellschaftlichen Handelns investieren und ihnen Hoffnung und Mut machen, und mein Motto ist da immer: auch eine gewisse Portion Fröhlichkeit und Optimismus auszustreuen. Rainald Goetz sagt das so schön: „Don’t cry – work!“ (Beifall.)
12.03
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Elisabeth Wolff. – Bitte, Frau Bundesrätin.
Bundesrätin Elisabeth Wolff, BA (ÖVP, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Ehrengäste! Werte Gäste! Wir haben heute schon viele spannende Inputs zu Themen bekommen, die uns alle in Zukunft sehr stark betreffen werden.
Gerade die letzten Jahre haben uns gezeigt, wie wichtig öffentliche Strukturen für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind. Die letzten Jahre waren extrem durch die Krise geprägt. Wir reden sogar schon von einer eigenen Krisengeneration, die gar nichts anderes kennt. Da muss also auch der Staat oftmals eingreifen, und wir haben auch heute gehört, dass der Staat das tun muss. Es geht darum, die Kaufkraft der Menschen zu sichern und das Abrutschen in die Armut zu verhindern, und das für jeden Einzelnen.
Dafür wurden seitens der Bundesregierung auch schon die unterschiedlichsten Maßnahmen gesetzt. Es gibt eine zusätzliche Familienbeihilfe, die Teuerungsabsetzbeträge, den Klimabonus, den Antiteuerungsbonus und die Abschaffung der kalten Progression und somit die Beseitigung der Einkommensentwertung, zusätzlich die Umsetzung der Steuerreform, wodurch vor allem kleine Einkommen entlastet werden.
Heute haben wir gehört: Es ist aber auch Aufgabe der Städte und Gemeinden, da einzugreifen. In Wien – das wurde zum Beispiel hochgelobt – werden jetzt 200 Euro überwiesen, aber auf der anderen Seite frage ich mich: Warum kommt es zu gewissen Gebührenerhöhungen, zum Beispiel bei Wasser, Müll, Parken, Kanal, Energiepreiserhöhungen, gerade jetzt, da den Menschen immer weniger bleibt? Die Umstände bei der Wien Energie bilden die Spitze dessen, was der Gesellschaft eigentlich zugemutet wird. Das verwundert mich schon ein bisschen. (Zwischenruf des Abg. Schroll.)
Vor allem beim Stichwort Energie möchte ich darauf zurückkommen: Es geht nicht nur darum, jedem Einzelnen unter die Arme zu greifen, es geht auch darum, unsere Wirtschaft zu fördern, denn haben wir wettbewerbsfähige Betriebe, so haben wir auch sichere Arbeitsplätze, die jeder von uns braucht.
Der Staat muss in Krisensituationen also hineininvestieren, und das tun wir auch. Die Bundesregierung hat das Wirtschaftsbudget 2023 um 45 Prozent erhöht, und es umfasst somit 3,5 Milliarden Euro.
Gleichzeitig ist es in wirtschaftlich herausfordernden Situationen entscheidend, Forschung und Entwicklung sowie Investitionen anzukurbeln und die Transformation des Wirtschaftsstandorts somit zu unterstützen. Wir müssen als Staat nicht nur auf die aktuellen Geschehnisse reagieren, sondern es geht auch darum, in die Zukunft zu blicken und die richtigen Grundpfeiler zu setzen.
Ziel ist es, und ich glaube, da sind wir uns alle einig, dass wir den Strukturwandel in Österreich so begleiten und gestalten, dass der Wohlstand selbst in Zeiten der Krise sichergestellt ist. (Heiterkeit bei der SPÖ.)
Ein Wirtschaftsbereich, der heute eher weniger angesprochen wurde, der mir aber besonders wichtig ist, ist auch die Land- und Forstwirtschaft. Das Thema Klima wurde zwar ein bisschen vom Kollegen der Grünen angesprochen, aber gerade in der Land- und Forstwirtschaft gibt es ein extrem breites Themenspektrum, das uns auch betreffen wird.
Das betrifft den Naturschutz, die Biodiversität, den Klimaschutz. All das sind Themen, die wir hier bedienen müssen, und wir haben auch extreme Herausforderungen in der Land- und Forstwirtschaft. So haben wir zum Beispiel mit Wetterextremen zu tun: Es kommt zu Dürren, es kommt zu Starkregenereignissen, zu Hagel, zu Spätfrösten. Das alles betrifft uns, und auf der anderen Seite sollen wir in Österreich Ernährungssouveränität haben, das haben wir auch schon gehört. Es geht darum, dass die Leute nicht hungern müssen, dass wir etwas zu essen haben, und darum müssen wir uns hier weiter darum kümmern.
Wir müssen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimaverschlechterung mit allen Wetterextremen, wie ich sie schon genannt habe, setzen, und das ist unerlässlich, dringend und notwendig. Nur so können wir die Ernährungssouveränität Österreichs und die Versorgung mit nachwachsenden Rohstoffen durch die heimische Land- und Forstwirtschaft gewährleisten.
Klar ist auch, dass man da die Bäuerinnen und Bauern mitnehmen muss, dass sie ein Teil der Lösung sind und nicht das Gegenteil der Lösung. Wenn man alle Themen von heute auflistet, sieht man, wie facettenreich das Netz öffentlicher Strukturen ist und wie weit sie uns in unser aller Leben beeinflussen. Umso wichtiger ist es, dass der Staat mit aller Sorgfalt die richtigen Anreize setzt, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch in Zukunft zu sichern. Ich bin überzeugt: Wir sind mit all unseren Maßnahmen auch international gesehen auf dem richtigen Weg. – Danke schön. (Beifall.)
12.08
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ingo Appé. – Bitte.
Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts“: Als Bürgermeister komme ich nicht umhin, zu vermelden, dass die Gemeinden ein verlässlicher Partner für die Bevölkerung vor Ort sind, und dass das Leben in den Gemeinden stattfindet. Ob es die Grundversorgung ist, ob es das Krisenmanagement ist, ob es die Verbände sind, in denen die Gemeinden für das Wohl ihrer Bevölkerung sorgen, oder ob es die Vereine sind: Dieses Spektrum hat bereits in den Ausführungen der Experten Platz gefunden – ob es Kollege Kollross war oder der Vorsitzende der Younion oder wie Kollege Angerer im Schulaufsatz von Seppl treffend alle Aufgabenfelder vermerkt hat, wie die Aufgaben in der Gemeinde auch von der Bevölkerung wahrgenommen werden. Bildung, Trinkwasser, Abwasser, das Feuerwehrwesen, die Bauhöfe mit der Schneeräumung jetzt im Winter sind Faktoren, die aus dem täglichen Leben und für den Zusammenhalt vor Ort eigentlich nicht wegzudenken sind.
Auch die Krisen wurden angesprochen, aber es geht nicht nur um die Krisen, die den Staat oder die ganze Welt betreffen, sondern auch um Umweltkatastrophen vor Ort. Blackout-Vorbereitungen und die Umsetzung von Aufgaben des Bundes oder der Länder werden dann schlussendlich von den Gemeinden vollzogen und vor Ort abgearbeitet, und ich glaube, da haben die Gemeinden in der Vergangenheit hervorragende Arbeit geleistet.
Auch bei den Vereinen ist die Unterstützung der Gemeinden notwendig, denn das soziale Zusammenleben ist zu fördern und auch zu ermöglichen. Ohne die Unterstützungen aus öffentlicher Hand sind die Vereine nicht in der Lage, das umzusetzen.
Das klingt alles sehr schön, aber es gibt sehr viele Dinge, die da nicht mehr im Lot sind. Es ist nicht alles eitel Wonne. Auch die letzten Enqueten hier im Bundesrat standen unter der Prämisse Stärkung der Regionen und des ländlichen Raums, und auch da fügt sich diese Enquete, glaube ich, sehr gut ein; aber die Probleme, die für uns als Gemeinden anstehen, sind mannigfaltig.
Es ist einmal an erster Stelle die finanzielle Lage der Gemeinden, die prekär ist. Tagtäglich überlegen wir, wie wir diese Situation vor Ort meistern können, um unsere Aufgaben wahrnehmen zu können. Die ärztliche Versorgung ist schon angesprochen worden. Es ist kein Geheimnis: Ärzte, praktische Ärzte in den ländlichen Bereich, in die Gemeinden zu bekommen, ist schwierig. Bei der Pflege, in den Pflegeheimen und in den pädagogischen Einrichtungen kämpfen wir vor allem mit dem Arbeitskräftemangel.
Wir haben in den Bereichen, die ich jetzt angeführt habe, aber auch im öffentlichen Bereich massive Probleme, Bedienstete zu finden, Personen zu finden, die in diesem Bereich arbeiten möchten, und da werden wir zukünftig das Problem haben, unsere Aufgaben so wahrnehmen zu können, wie es die Bevölkerung von uns erwartet.
Eine positive Botschaft können wir aussenden: Die Gemeinden sind auch in Krisenzeiten verlässliche Partner. Das soll so bleiben, und dafür werden wir uns als Gemeinden einsetzen. – Herzlichen Dank. (Beifall.)
12.12
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist nun Frau Nationalrätin Petra Oberrauner. – Bitte, Frau Nationalrätin.
Abgeordnete Mag. Dr. Petra Oberrauner (SPÖ): Frau Präsidentin! Geschätzte Anwesende! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher von zu Hause! Als Digitalisierungssprecherin möchte ich mich ein bisschen der Digitalisierung als kritischer Infrastruktur widmen und sagen: Gerade in diesem Bereich wird es zunehmend wichtiger, dass wir verlässliche Infrastrukturen haben, denn was Breitband oder Funktürme betrifft, haben wir immer wieder eine Verteilung, die eigentlich nicht gerecht ist.
Wenn es um Breitband geht, können wir natürlich auch den sozialen Wohnbau heranziehen und uns fragen: Wäre es nicht intelligent – und viele machen das ja schon –, aus Gründen der Chancengleichheit und der Verteilungsgerechtigkeit diese Dinge, die vorgesehen werden müssen, zum Beispiel Breitband, gleich in den sozialen Wohnbau mitzunehmen und in die Kosten zu integrieren, um einfach die Partizipation der Bevölkerung sicherstellen zu können? Wir haben ja in der Coronakrise gesehen, wie viel von zu Hause aus geschaffen werden muss.
Dazu gehört natürlich auch die entsprechende Bildung, und ich bin nicht der Meinung, dass die Kinder, die in die Volksschule kommen, schon mit einem Computer und einem Tablet konfrontiert werden müssen, denn ich stelle mir immer vor – wir reden ja so oft vom Blackout –: Haben wir keinen Strom, dann haben wir Analphabeten, wenn sie nicht schreiben und nicht rechnen können. Lesen kann man vielleicht vom Computer auch, aber zumindest beim Rechnen und Schreiben wäre es gut, wenn man das auch handschriftlich könnte, und auch das ist eine Form von Chancengleichheit. Die Eltern waren überfordert, auch da ist die Bildung noch immer sehr dürftig, weil einfach auch die Zeit für viele Menschen gar nicht da ist, um sich diesem Thema zu widmen.
Was die Funktürme, die ja ein essenzieller Bestandteil der Telekommunikation sind, betrifft, halte ich es für ganz wichtig, dass die Öbag beteiligt ist, weil es nur wenige Funktürme gibt, die diese Übertragungen sicherstellen, und da ist es schon wichtig, dass der Staat darauf schaut, dass diese nicht verkauft werden, dass wir in Krisenfällen auch eine Infrastruktur haben. Das Thema Gas hat uns das gezeigt, und das ist ein sehr wichtiger Punkt, wo Bewusstsein geschaffen wurde.
Ich glaube auch, dass der Zugang zu den Netzen öffentlich sein soll. Das gibt es ja schon, es gibt das Open-Access-Netz. Das haben Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol und die Steiermark durch die öffentliche Hand als kritische Infrastruktur gesichert, und auch da sollten Förderungen hineinfließen.
Ich möchte zu den Jubelschreien, wie viel Förderung passiert, schon etwas sagen: Förderung korrespondiert auch direkt mit der zeitlichen Achse, und es hilft den Menschen nicht, wenn sie hinterher irgendwo eine Förderung kriegen und warten müssen, bis die Anträge erledigt sind. Die Liquidität brauchen sie jetzt! Die soziale Gerechtigkeit muss an erster Stelle stehen, bevor man überlegt, ob man toll war, weil man irgendjemandem eine Förderung gegeben hat. Ich verweise auf die 500 Euro Klimabonus, im Zuge dessen eine Firma 28 Millionen bis 2 Milliarden Euro gekriegt hat, damit sie das verteilt. Ich weiß nicht, ob das den Armen nicht mehr helfen würde, die zur Caritas gehen müssen, weil sie sich das Leben nicht mehr leisten können. Also Verteilungsgerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit sind auch in dieser Frage entscheidend.
Ich möchte noch sagen, dass es in der Digitalisierung besonders darauf ankommt, Abhängigkeiten zu vermeiden. Da brauchen wir eine Open-Source-Strategie, die natürlich europäisch geregelt werden muss, aber durchaus auch von Europa sozusagen in einem Upgrade von guten österreichischen Ideen übernommen werden könnte. Ich bin auch der Meinung, dass gerade beim E-Government – so angenehm das auch für viele Menschen ist – der analoge Faktor gleichberechtigt existieren muss, weil wir sonst große Teile der Bevölkerung ausschließen, die sich vielleicht gar nicht mit Digitalisierung beschäftigen wollen, wie ältere Menschen oder solche, die einfach nicht die Mittel dafür haben, sich diese Dinge anzuschaffen. Also da muss man eine Ausgewogenheit schaffen. Und es ist mittlerweile auch wichtig, sich im humanistischen und im ethischen Sinne zu überlegen: Wo ist Digitalisierung gut für die Menschen, wo bringt sie etwas – zum Beispiel in einer Umweltfrage – und wo ist es besser, das auch zu kontrollieren? Dazu gibt es ja gute Gesetze aus der EU, die wir gerade umsetzen. – Vielen Dank. (Beifall.)
12.17
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Nationalrat Alois Schroll. – Bitte.
Abgeordneter Alois Schroll (SPÖ): Geschätzte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich hätte mir eine kurze Rede zusammengeschrieben, aber ich werde sie jetzt nicht vortragen, weil ich auf die Vorrednerinnen und Vorredner und auch auf die für mich sehr deprimierenden Ausführungen von Frau Mag. Anzengruber eingehen möchte.
Vielleicht darf ich zusammenführend eingangs sagen: Wir haben von Herrn Prof. Dr. Truger und vom GVV-Bundesvorsitzenden vieles über die Daseinsvorsorge gehört. Die Daseinsvorsorge besteht nicht nur aus Wasserver- und -entsorgung, Kinderbetreuung, Schulbussen und vielem, vielem mehr, sondern es gehört für mich auch die Energieversorgung dazu. Die Energieversorgung ist für mich als Energiesprecher der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion natürlich ein ganz wesentlicher Teil, weil unsere rund 2 100 Gemeinden und Städte in Österreich damit auch ganz, ganz große Probleme haben, vor allem mit der finanziellen Situation.
Wenn Herr Bundesrat Himmer gesagt hat, diese Bundesregierung hat alles richtig gemacht – ja dann hat sie alles richtig gemacht. (Bundesrat Himmer: Das hab’ ich aber nicht gesagt, will ich nur sagen! Falsches Zitat! Aber vieles richtig gemacht!) Herr Bundesrat Ofner hat gesagt, diese Enquete sei ein Festspiel der sozialdemokratischen Fraktion. Es tut mir wirklich leid, aber wenn Sie außerhalb dieses Hauses sehen, wie viele Österreicherinnen und Österreicher massive Probleme mit der Teuerung, mit den Energiepreisen haben, dann sind das keine Festspiele – und ich hoffe, dass Sie von den Redebeiträgen etwas mitnehmen, da waren nämlich sehr viele gute Ansätze dabei. Herr Bundesrat Gross hat gesagt, dass Klimaschutz und Energiewende und Transformation so wichtig sind. Ja, das ist alles wichtig.
Jetzt aber zu Punkt 1, der die Regierung betrifft: Die Regierung hat in den letzten Monaten eine Gutschein- und Einmalpolitik betrieben. Frau Mag. Anzengruber hat ganz eindrucksvoll – leider Gottes negativ eindrucksvoll – berichtet, was da draußen wirklich mit den Leuten passiert (Zwischenruf des Bundesrates Himmer): Dieser 150-Euro-Energiegutschein ist sofort weggewesen, das war für die Leute weg! Diese 500-Euro-Klimabonus/Antiteuerungsbonus waren weg! Das haben die Leute einmal bekommen!
Das ist eine Einmalgutscheinpolitik, die nichts bringt (Beifall – Zwischenruf des Bundesrates Himmer), weil die Regierungsfraktionen hier im Haus einfach nicht verstehen wollen, dass das Problem nur dann gelöst werden kann, wenn es an der Wurzel gepackt wird.
Der Herr Professor aus Deutschland hat es ganz eindeutig angesprochen: Wenn nicht endlich zu dieser Strompreisbremse auch der Gaspreisdeckel und das befristete Aussetzen des Meritorderprinzips kommen, dann haben wir in Österreich ein massives Problem. (Bundesrat Gross: Ihr habt die Sozialpolitik verbockt, 20 Jahre lang, ja! Jetzt zahlen wir den Preis dafür! ...!) – Herr Bundesrat, ich erinnere Sie: In einigen Wochen – mit Schwarz-Grün geht es schon wieder so los wie im Nationalrat; noch seid ihr euch einig – werdet ihr verantwortlich sein, wenn nämlich die Industrie und die Wirtschaft in Österreich genau diese Probleme haben. Gleichzeitig bedeutet das auch viele Arbeitslose. (Bundesrat Gross: Wo wart ihr denn die letzten 20 Jahre?) Der Herr Professor, viele Expertinnen und Experten sagen es die ganze Zeit: Diese Strompreisbremse kann nur im Zusammenhang mit der Gaspreisdeckelregelung, der Aussetzung des Meritorderprinzips stehen.
Herr Bundesrat, weil Sie sagen: Das ist alles wichtig, die Energiewende und die Transformation! – Dazu stehen wir zu 100 Prozent (Bundesrat Gross: Ja, komm, komm, komm, ohne rot zu werden! Ihr habt Klimaschutz schon lang ...! ... kannst ihn nicht einmal buchstabieren, ja! Das ist ja wahr!), aber mit dem heutigem Tag hat Ihre Frau Energieministerin seit 697 Tagen kein nationales Klimaschutzgesetz, kein Energieeffizienzgesetz auf die Reihe gebracht (Beifall), genau die Gesetze, die wir jetzt ganz notwendig bräuchten, damit wir unabhängig vom Gas werden.
Da könnte ich jetzt noch lange reden, leider ist die Redezeit schon zu Ende. Ich kann heute nur sagen: Frau Präsidentin, es ist eine sehr gute Enquete zu diesem Thema, leider Gottes zum Thema Teuerung und Preissteigerung im Bereich Energie und Heizen.
Ich kann nur an Sie appellieren – Frau Mag. Anzengruber hat uns hier heute einen Livebericht gegeben; die Menschen haben Probleme –: Machen Sie endlich etwas! Machen Sie endlich die Gaspreisbremse, sonst wird es in Österreich zu keiner Entschärfung dieser Situation kommen. – Danke. (Beifall.)
12.22
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist das Mitglied des Europäischen Parlaments Andreas Schieder. – Bitte.
Mitglied des Europäischen Parlaments Mag. Andreas Schieder (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder des österreichischen Parlaments, des Bundesrates, des Nationalrates, aber auch sehr geehrte Damen und Herren Expertinnen und Experten! Ich möchte mich insofern dafür bedanken, dass das Thema Daseinsvorsorge Thema einer Enquete des Bundesrates geworden ist, als die Frage: Welche öffentlichen Dienstleistungen mit welchen Rahmenbedingungen haben wir?, nicht nur für uns in Österreich, sondern in ganz Europa eine entscheidende Frage ist.
Ich bin zweitens dankbar für die hier in der Diskussion dargestellte breite Definition von Daseinsvorsorge. Es sind nicht nur die klassischen Bereiche – Verkehr, Abwasserentsorgung, Müllentsorgung –, sondern natürlich auch Bildung, Kultur, soziale Dienstleistungen, die ganz entscheidend dazugehören und zu betrachten sind.
Warum spielt das gerade jetzt eine besondere Rolle? – Weil uns ja auch die Coronakrise in den letzten zwei, drei Jahren gezeigt hat, wie wichtig, wie stark die öffentliche Infrastruktur im Gesundheits- und Sozialbereich ist. Sie bietet die einzige Möglichkeit, in dieser Krise zu bestehen. Corona war dort eine noch stärkere Belastung, nämlich auch gesundheitspolitisch eine noch stärkere Belastung, wo das öffentliche Gesundheitssystem kaputt war, etwa in Spanien, wo es infolge der Finanzkrise unter Auflagen Europas zur Liberalisierung, zum Verkauf, zur Privatisierung gekommen ist und dann, als man sie gebraucht hat, auf einmal die Kapazitäten und die Qualität nicht zur Verfügung gestanden sind. Das Gleiche gab es auch im Elsass und in Norditalien, wo sich diese Probleme ebenfalls gezeigt haben.
Auch die Klimakrise zeigt uns, wie dringend wir die öffentliche Infrastruktur, öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge brauchen, um nämlich zumindest ansatzweise den Herausforderungen dieser Klimakrise begegnen zu können. Da geht es um die Qualität von Dienstleistungen, um die Verfügbarkeit von Dienstleistungen und natürlich auch um die Kosten und um die soziale Frage, nämlich um die Erreichbarkeit für alle Bevölkerungsschichten. Das ist, glaube ich, eines der Schlüsselargumente, warum es so dringend notwendig ist, Daseinsvorsorge in den öffentlichen Händen zu haben, in den Händen der Gemeinden, in den Händen der Länder, der Mitgliedstaaten oder eben auch auf europäischer Ebene.
Wenn wir von europäischer Ebene reden, dann geht es um zwei Rahmenbedingungsfaktoren. Das eine ist, die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass es für den Bürgermeister, die Bürgermeisterin, den Landtag oder wer auch immer damit beschäftigt und befasst ist, auch die Möglichkeit gibt, die Infrastruktur so einzurichten, wie es in der Region, dort, wo die Menschen leben, notwendig ist.
Da war Europa, die Europäische Kommission richtigerweise, mit den Liberalisierungsschritten in den letzten 20 Jahren oft nicht sehr hilfreich. Bei diesem Denken: Der Wettbewerb schafft mehr Qualität!, hat sich ja oft herausgestellt, dass es auf die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge nicht zutrifft, denn da führt Wettbewerb oft dazu, dass es für gewisse Bevölkerungsschichten keine Erreichbarkeit oder auch keine Verfügbarkeit von guter Qualität gibt.
Daher ist auch ein Umdenken notwendig, das heißt: Finanzierung, so wie jetzt auch im Next Generation EU, öffentliche europäische Finanzierungen für Infrastruktur, für Daseinsvorsorge, aber auch weg von diesem Liberalisierungswahn.
Dazu nur ein letzter Punkt, weil das Lamperl schon leuchtet: Ich bin im Europäischen Parlament auch Mitglied im Verkehrsausschuss. Da geht es darum – mir zumindest –, wie wir schauen können, dass die Schiene, die Eisenbahn, in Europa gestärkt wird. Da geht es um viele technische Fragen, aber auch darum, dass die Rahmenbedingungen ermöglichen müssen, dass die Direktvergabe von Eisenbahndienstleistungen notwendig ist (Beifall), denn wenn wir das europaweit in einem Ausschreibungswettbewerb tun, dann wird diese Infrastruktur so nicht mehr bestehen können. Das heißt, starker öffentlicher Verkehr heißt letztlich auch, ihn in einer starken öffentlichen Hand zu haben und nicht in einer liberalisierten Welt.
In diesem Sinne danke ich Ihnen für die vielen Beiträge. Ich glaube, Sie haben sehr viel Richtiges aufgezeigt. Ich danke Ihnen allen auch für die spannende, wenn auch manchmal kontroversielle – aber Demokratie lebt ja auch von der Kontroverse – Diskussion. – Gratulation, Frau Präsidentin! (Beifall.)
12.26
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Landtagsabgeordnete Elvira Schmidt. – Bitte.
Elvira Schmidt (Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag, SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Teilnehmer:innen der Enquete und Zuhörer:innen! Wir haben heute im Eingangsstatement der Präsidentin des Bundesrates Korinna Schumann von der Wichtigkeit der Bildung für die Stabilität des Staates gehört.
Wir alle wissen, dass Bildung nicht mit dem Ende der Schulpflicht endet, sondern dass man ein Leben lang lernt. In den letzten Jahrzehnten hat sich nicht nur die Gesellschaft verändert, sondern es hat sich auch die Schule als Ort verändert. Vom Ort der Wissensvermittlung ist sie zu einem Ort des Wohlfühlens, aber auch zu einem Ort, wo soziale Kontakte geknüpft und gepflegt werden, geworden.
Bildung beginnt aber bereits im Kindergarten. Die Elementarpädagog:innen setzen dabei den Grundstein für die Bildungsaufgaben der einzelnen Kinder. Deshalb ist es mir immer wieder sehr, sehr wichtig, zu betonen, dass der Kindergarten die erste Bildungseinrichtung für jedes Kind darstellt.
Mir ist natürlich bewusst, dass es in den neun Bundesländern unterschiedliche Kindergartengesetze gibt und jeder Kindergarten in jedem Bundesland anders gehandhabt wird. Wenn man an der Grenze zu einem Nachbarbundesland wohnt, zum Beispiel in der Nähe von Wien oder dem Burgenland, dann sehnt man vielleicht oft herbei, das Kind dort in den Kindergarten geben zu können. Mir als niederösterreichischer Abgeordneter ist es wichtig, dass in Zukunft im Land Niederösterreich die Kindergärten ganztägig, ganzjährig und gratis von jedem Kind zu besuchen sind. (Beifall.)
Lieber Herr Nationalrat Kollross, es muss auch selbstverständlich werden, dass es einen Rechtsanspruch auf Kindergarten für jedes Kind gibt.
Um noch einmal auf das gratis auch am Nachmittag zurückzukommen: Warum ist mir das so wichtig? – Weil alle Kinder dieselben Chancen erhalten und die Eltern finanziell entlastet werden sollen, denn es kann nicht sein, dass Bildung von der Geldbörse der Eltern abhängig ist.
Sehr geehrter Frau Präsidentin, danke für die Organisation dieser Enquete. Sie zeigt mir, dass unsere Ideen im Bereich Elementarpädagogik die richtigen sind, denn die Kinder und deren Bildung und Ausbildung sind die Zukunft für den Sozialstaat Österreich. Damit kann der soziale Frieden sichergestellt werden. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
12.29
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Eva Prischl. – Bitte.
Bundesrätin Eva Prischl (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Enqueteteilnehmer! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher!
Ich wechsle jetzt von der Bildung zu den Senioren. Ich bin Bereichssprecherin für die Senior:innen. In dieser Funktion stehe ich heute hier und möchte die wertvollen Ressourcen des Alters in den Vordergrund stellen. Die älteren Menschen können zum Aufbau und zur Sicherung zukunftsträchtiger Gemeinschaften beitragen, und sie stärken auch den Wirtschaftsbereich.
Die Zahl der Menschen in der älteren Generation steigt stetig, und das verändert unser aller Alltag. Das Alltagsleben der Menschen wird anders.
Die Daseinsvorsorge soll neben der Erbringung von Gütern und Dienstleistungen dieser Generation ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben sowie eine Selbst- und Mitverantwortung für das gesellschaftliche Leben ermöglichen. Allerdings: Bei einer Durchschnittspension von 1 400 Euro bei Männern und 1 130 Euro bei Frauen sind viele von dieser gesellschaftlichen Teilhabe ausge-schlossen. Die von der Bundesregierung medienwirksam angekündigte Erhöhung der Pensionen im Ausmaß von 10,2 Prozent gab vielen Hoffnung auf Besserung. Herausgekommen sind gerade einmal 5,8 Prozent, und das bei einer Inflationsrate von über 11 Prozent.
Wie bereits von Herrn Präsidenten Katzian und auch von Frau Mag. Anzengruber ausgeführt betrifft die Teuerungswelle viele Pensionist:innen intensiv. Laut Statistik Austria waren 2021 nahezu 232 000 Menschen über 65 Jahre von Armut und Ausgrenzung betroffen. Das ist keine Einbildung, sondern bittere Realität. Ausgrenzung und Alterseinsamkeit belasten viele Menschen enorm.
Die Lebensqualität und die Teilhabe bestimmen allerdings im großen Maße auch die lokale Infrastruktur und die sozialen Netzwerke am eigenen Wohnort. Die Gestaltung und die Organisation der sozialräumlichen Bedingungen spielen dabei eine sehr wesentliche Rolle – für die Kommunen wieder eine zusätzliche Aufgabe, denn damit sind neue Herausforderungen verknüpft. Eine kommunale Steuerung der Daseinsvorsorge muss auf das Koordinieren, auf das Aktivieren und Befähigen ausgerichtet werden, damit auch die ältere Generation am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann.
Bund und Länder sind gefordert, dafür finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. So trägt zum Beispiel die Förderung von Bewegung und sozialer Teilhabe dazu bei, dass immer mehr ältere Menschen länger zu Hause bleiben können. Der Wunsch älterer Menschen, auch wenn sie bereits nicht mehr ganz gesund sind, zu Hause zu bleiben, wenn ein Pflegebedarf gegeben ist, sollte auch in der Politik und im Gesundheitswesen sehr ernst genommen werden, und es sollte dafür Vorsorge getroffen werden. Eine wichtige Hilfestellung ist zum Beispiel die Aktion Essen auf Rädern, die jedoch auch nicht in allen Gemeinden flächendeckend angeboten werden kann.
Altersdiskriminierung bei Kreditvergaben ist zum Beispiel ein Thema, das vermehrt den Pensionistenverband Österreichs beschäftigt. Die Kredithürde für Senior:innen wird immer höher, und das, obwohl sie ausreichend Bonität beziehungsweise Sicherheiten besitzen. Es kann doch nicht sein, dass die ältere Generation, wenn sie einen Heizungsaustausch oder einen Umbau für Barrierefreiheit vornehmen will, diskriminiert wird.
Aus gesellschaftlicher Sicht muss es eine Selbstverständlichkeit sein, die Älteren unter uns nicht zu vergessen und sie nicht abzuschieben, sondern sie in der Mitte der Gesellschaft zu halten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
12.33
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Bettina Lancaster. – Bitte.
Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster (SPÖ, Oberösterreich): Das ist eine wichtige Enquete zur rechten Zeit. Als Bürgermeisterin ist es für mich ganz wichtig, über die Verlässlichkeit öffentlicher Strukturen zu sprechen. Sie bedeuten für mich in der Gemeinde Sicherheit und Wohlbefinden für Bürgerinnen und Bürger, das beruhigende Gefühl von erwerbstätigen Eltern, die ihre Kinder optimal gefördert im örtlichen Kindergarten oder in der Krabbelstube aufgehoben sehen, eine Pflichtschule, die gut ausgestattet für Schüler:innen sowie Pädagog:innen optimale Bedingungen für ein gelingendes Lernen, aber auch Lehren schafft, eine ältere Generation, die bis ins hohe Alter selbstständig im dörflichen Verbund lebt, weil mobile Dienste, ärztliche Versorgung und Essen auf Rädern leistbar angeboten werden, flächendeckende bedarfsgerechte Mobilitätsangebote – egal, ob zur Ausbildung, zum Arbeitsplatz, zum Facharzt oder ins nächste Krankenhaus – für ein freies, selbstbestimmtes Leben, qualitativ hochwertige Freiflächen, Wanderwege, Sportplätze, Frei- und Hallenbäder zur Erholung und Freizeitgestaltung, eine immer einsatzbereite, gut ausgebildete und gut ausgestattete freiwillige Feuerwehr für die Sicherheit im Notfall. Die Liste der öffentlichen Leistungen in den Gemeinden und Städten ließe sich noch ziemlich lang erweitern.
Die bereitgestellte öffentliche technische und soziale Infrastruktur in den Gemeinden und Städten schafft gesellschaftlichen Ausgleich und fördert die Teilhabe der finanziell Schwächeren. Für den sozialen Frieden sollte daher der Staat immer bestrebt sein, die Rahmenbedingungen für öffentliche Infrastruktur in den Gemeinden zu optimieren und deren Betrieb in Krisenzeiten, wenn nötig, zu stützen. Die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und die Förderung von benachteiligten Regionen sind ein Muss.
Spärlich ausgebaute Elementarpädagogik, Überhang von sanierungsbedürftigen Pflichtschulen, mangelhafte ärztliche Versorgung, nicht finanzierbares Essen auf Rädern, fehlende Anbindung ans öffentliche Verkehrsnetz, gesperrte Spielgeräte, Wanderwege und Hallenbäder dürfen für ein chancengerechtes Österreich im Wandel weder Gegenwart noch Zukunft haben. – Danke. (Beifall.)
12.37
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Daniela Gruber-Pruner. – Bitte.
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Sehr geehrte Expertinnen und Experten! Vielen Dank für diesen sehr interessanten Vormittag an alle, die sich bisher beteiligt haben. Ich möchte als Kinder- und Jugendsprecherin den Fokus noch auf die Bedeutung öffentlicher Infrastruktur für junge Menschen lenken, denn die Rahmenbedingungen und die Gegebenheiten, die Kinder und Jugendliche heute vorfinden, sind enorm entscheidend dafür, wie sich ihr weiteres Leben und auch die Zukunft unserer Gesellschaft gestalten werden.
Je nachdem, wie wir diese Gegebenheiten gestalten, sind diese Strukturen und öffentlichen Einrichtungen inklusiv für alle Kinder und Jugendlichen oder aber exklusiv nur für manche. Meine Vision wäre natürlich, dass alle Kinder und alle Jugendlichen von dieser öffentlichen Infrastruktur profitieren, denn wir wissen nach zwei Jahren Pandemie, welche gravierenden Spuren diese Pandemie gerade bei jungen Menschen hinterlassen hat.
Ich schicke nun wieder – die, die mich kennen, werden es schon ahnen – ein Instrument ins Rennen, das uns hilft, genau diese öffentliche Versorgung objektiv zu bewerten, und zwar ist das die Kinderrechtskonvention, die festschreibt, was alle jungen Menschen brauchen, bis sie 18 Jahre alt werden, und darüber hinaus, welche Strukturen sie für heute und für die Zukunft brauchen.
Das ist in einem ersten Bereich alles, was junge Menschen brauchen, um geschützt vor Gewalt, vor Armut, vor den Auswirkungen der Klimakrise zu sein. Da braucht es umfassende Schutzstrukturen. Nur als Beispiel: Es braucht niedrigschwellige Beratungsstellen zu verschiedensten Themenbereichen, eine professionell aufgestellte Polizei, wenn es um den Schutz vor Gewalt geht, eine kindgerechte Justiz, kindgerechte Gerichte und so weiter.
Ein zweiter Bereich, der die öffentliche Struktur betrifft und die Kinderrechtskonvention abdeckt, schreibt vor, dass alle jungen Menschen eine bestmögliche Versorgung für eine gute Entwicklung brauchen.
Da geht es um Bereiche wie beispielsweise kostenlose, qualitativ hochwertige Bildungseinrichtungen. Ich freue mich enorm – das hat die heutige Debatte gezeigt –, wie einig wir uns sind, welchen Stellenwert bereits elementare Bildung braucht und dass sie weiterhin ausgebaut werden soll.
Es braucht Gesundheitsversorgung – ich denke an die Kinder- und Jugendpsychiatrie auf Kasse, genügend Kinder- und Jugendärzt:innen –, es braucht öffentlichen Verkehr für die Mobilität junger Menschen, egal wo sie wohnen. Es braucht materielle Absicherung, um nämlich die Armut dauerhaft zu bekämpfen. Es braucht konsumfreie Räume. Es braucht Kultur, Kunst und Sport. – All das fällt unter den Bereich der Versorgung.
Es gibt noch eine dritte Säule, die die Kinderrechtskonvention benennt, und zwar, dass junge Menschen beteiligt werden sollen, weil die Versorgung, die wir heute schaffen, ihre Zukunft betrifft. Fast keine Entscheidung, die wir in der Politik jetzt treffen, betrifft nicht die Zukunft dieser jungen Menschen. Darum müssen junge Menschen auch beteiligt werden.
Wir haben in Wien mit der Werkstadt Junges Wien ein wunderbares Projekt auf die Beine gestellt, das weit über Österreich hinaus beispielgebend sein kann, weil junge Menschen dabei tatsächlich beteiligt wurden und mit 1 Million Euro auch ein eigenes Budget haben, um Projekte umzusetzen.
In diesem Sinne – die Lampe leuchtet schon rot –: Öffentliche Strukturen legen die Weichen für die Zukunft der nächsten Generation. Deshalb können sie nicht gut genug ausgestattet werden. – Danke schön. (Beifall.)
12.42
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für diesen Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Klara Neurauter. – Bitte, Frau Bundesrätin.
Bundesrätin Klara Neurauter (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, Experten hier und Zuseher:innen zu Hause! Ich melde mich als Tiroler Bundesrätin noch vor meiner Angelobung, weil ich dieses Thema Daseinsvorsorge für sehr wichtig halte. Ich danke der Frau Präsidentin, dass sie dieses Thema ausgewählt hat.
Ich habe heute sehr viel über Wien gehört – natürlich positive Informationen –, aber ich möchte auch aus Tirol berichten, dass wir ganz tolle funktionierende Lösungen in der Daseinsvorsorge haben.
Gerade in den Gemeindestrukturen funktioniert vieles, wenn nicht sogar fast alles: vom Wasser über den öffentlichen Verkehr, über die gemeinnützige Wohnungswirtschaft, aber auch die freiwillige Feuerwehr, die freiwillige Rettung, Essen auf Rädern bis hin zur Kinder- und Seniorenbetreuung.
Das funktioniert sehr gut, obwohl nicht nur öffentliche Stellen handeln, sondern da auch viele Private uneigennützig oder gemeinnützig verlässlich tätig sind. Gerade auch in Katastrophenfällen haben sich Private als äußerst tüchtig und vor allem verlässlich erwiesen, wie wir es in letzter Zeit einige Male gesehen haben.
Mein Gedanke für die Daseinsvorsorge ist, die Strukturen nicht gegeneinander auszurichten, sondern gemeinsam zu handeln. Es geht bei der Armutsbekämpfung auch um Gerechtigkeit.
Darum möchte ich ganz zum Schluss noch auf eine Vorrednerin eingehen: Wir haben bei der Pensionserhöhung nicht nur eine Erhöhung von 5,8 Prozent, sondern durch die vielfältigen Hilfen für die unteren Einkommen und für die kleineren Pensionen in vielen Fällen eine größere Erhöhung und dadurch auch eine Armutsbekämpfung vorgenommen. (Beifall.)
12.44
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Herr Nationalrat Robert Laimer. – Bitte.
Abgeordneter Robert Laimer (SPÖ): Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Als Sprecher für Landesverteidigung der SPÖ möchte ich hier auch sicherheitspolitische Perspektiven beleuchten und mit der umfassenden Landesverteidigung beginnen, deren Konzeption aus der Kreisky-Ära herrührt, als noch wirklich umfassend gesamtstaatlich gedacht wurde.
Diese umfassende Landesverteidigung gliedert sich in die militärische, die wirtschaftliche, die zivile, die geistige und in die ökologische Landesverteidigung, die sich gleichberechtigt gliedern müssen. Nur eine vitale umfassende Landesverteidigung bietet besseren Schutz vor Krisen und steigert die Resilienz in unserer Gesellschaft. Eine zeitgemäße Adaptierung ist daher notwendig, um die umfassende Landesverteidigung auch nachhaltig zu implementieren.
Der nächste Punkt wäre die österreichische Sicherheitsstrategie. Die ist beinahe zehn Jahre alt. Sie ist überholt. Warum ist sie überholt? – Weil sich das Risikobild und das strategische Umfeld wesentlich verändert haben, die alte österreichische Sicherheitsstrategie auch keinerlei verbindliche Ressourcenaussagen trifft, das nationale Sicherheitsmanagement und die sicherheitspolitischen Strukturen in Österreich seit Ende des Kalten Krieges nie an die neuen Herausforderungen angepasst wurden – ich nenne hier als Beispiel ein gesamtstaatliches Lagezentrum –, der Begriff der militärischen Landesverteidigung nunmehr auch zeitgemäß zu interpretieren ist, um die Aufgaben des österreichischen Bundesheers vor dem Hintergrund der realistisch verfügbaren Ressourcen zu priorisieren, und es im Sinne eines möglichst breiten politischen Konsenses für das zukünftige Bundesheerprofil auch Vorgaben des Parlaments an die Bundesregierung braucht und das Ziel sein muss.
Die Prioritäten im Bereich der Reform des Sicherheitssektors: die umfassende Landesverteidigung gesellschaftlich umsetzen; die Stärkung der Koordinationsstrukturen im Bundeskanzleramt nachhaltig verwirklichen; die Einrichtung eines gesamtstaatlichen Krisen- und Lagezentrums endlich umsetzen; einen sicherheitspolitischen Koordinator bestellen; die dringend notwendige Reform des Nationalen Sicherheitsrates; die Stärkung der sicherheitspolitisch wissenschaftlichen Beratungen des Parlaments.
Meine Damen und Herren! Aktuell gibt es vier Risikokategorien, die größte Bedeutung für unsere Sicherheit in Österreich haben. Es sind dies Resilienz gefährdende Extremereignisse wie Pandemien, Blackouts und allgemeine Großschadensereignisse, Cyber- und Terrorangriffe sowie Drohnenbedrohungen, die Eskalation regionaler Konflikte rund um Österreich beziehungsweise in Europa oder darüber hinaus mit negativen Auswirkungen sowie hybride Einflussnahmen und Bedrohungen bis hin zu partiellen Herausforderungen des staatlichen Gewaltmonopols – eine höchst sensible Materie.
Geschätzte Damen und Herren! Zur Mitwirkung an einer langfristigen EU-Verteidigung hat auch Österreich im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beizutragen und europäische Solidarität zu üben, aber gleichzeitig so viel eigenständige nationale Handlungsfähigkeit und Krisenfestigkeit wie notwendig anzuwenden, um auch unsere verfassungsmäßigen Neutralitätsverpflichtungen zu schützen.
Die Zeit der Friedensdividende ist spätestens mit dem Krieg in der Ukraine leider aufgebraucht und die damit verbundene Sorglosigkeit ebenfalls. – Vielen Dank. (Beifall.)
12.48
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Sascha Obrecht. – Bitte.
Bundesrat Mag. Sascha Obrecht (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich noch ganz kurz zu Wort melden. Ich werde es heute ein wenig anders anlegen als sonst und vielleicht ein bisschen weniger launig sprechen. Ich mag vor allem auf das replizieren, was heute vorgetragen wurde.
Um mich vorzustellen: Ich komme aus Wien. Ich bin in einem Gemeindebau in Favoriten aufgewachsen. Deswegen ist mir das Thema des sozialen Wohnbaus auch so wichtig.
Es war in einer Rede vorhin schon das Thema, dass man da nicht mit ideologischen Scheuklappen vorgehen darf, sondern das alles ein bisschen freier zu sehen. Privat und Staat ist nicht wirklich so ein Widerspruch, da muss man mit der Frage ein bisschen lockerer umgehen.
Das Problem ist: Das wird politisch nicht so gelebt. Ich habe ganz konkret zwei Beispiele dafür: Wenn Sie schauen würden, welches Land in Europa 1979 die meisten Wohnungen im Gemeindeeigentum hatte, dann würden Sie auf Großbritannien stoßen. Dann kam Margaret Thatcher – Neoliberalismus – und hat diese privatisiert. Die hat das staatliche Eigentum als Angriff verstanden. Die wollten das staatliche Eigentum beseitigen.
Wozu hat das geführt? – Zu Hunderttausenden Obdachlosen in Großbritannien heute, zu in astronomische Höhen steigenden Mieten und zum Überbelag in Wohnungen als Normalzustand. Das ist das Ergebnis dieser Politik gewesen.
Das zweite Beispiel: Auch in Österreich haben wir erlebt, wie Wohnungen privatisiert wurden. Es gab die Buwog-Privatisierung. Ich hoffe sehr, dass wir aus diesen Missschritten in der österreichischen Geschichte gelernt haben – Fehler, die zum Glück nicht unter Beteiligung der Sozialdemokratie passiert sind, weil wir wissen, dass der soziale Wohnbau etwas ist, das das Rückgrat, das das Vermögen der breiten Masse ist, auf das man nicht zugreifen soll und das man den Leuten nicht wegnehmen soll.
Das sind Dinge, die ich in den Raum stellen will, über die ich diskutieren wollte. Ich wollte aber auch noch auf zwei Dinge aus der Diskussion replizieren, die heute gekommen sind: Ich war der Präsidentin sehr, sehr dankbar dafür, dass sie heute jemanden von der Caritas Sozialberatung hergebracht hat, Mag. Anzengruber. – Vielen Dank auch für Ihre Ausführungen.
Warum war ich so dankbar? – Weil einem Oppositionspolitiker normalerweise ja unterstellt wird, dass er hier herauskommt und einfach immer alles von der Bundesregierung schlechtmacht. Ja, in einem politischen Wettbewerb ist das auch so. Da greift man die Regierung schon einmal an. Sie haben es aber heute von der Caritas gehört. Das ist keine Vorfeldorganisation der SPÖ, ganz im Gegenteil.
Die Caritas hat gesagt: Es gibt haufenweise Menschen – und sie werden mehr –, die diesen Winter Probleme haben, zu heizen. Die Wohnungen sind kalt. Das habe nicht ich gesagt, das kommt von der Caritas. Insofern braucht es da Maßnahmen.
Vielleicht als Appell an die Regierungsparteien, diesen Monat noch zu nutzen und hier die Hand zu nehmen – nicht nur von der SPÖ, es gibt auch andere Oppositionsparteien, die sagen, es braucht einen Gaspreisdeckel. Den können wir gemeinsam machen. Es gibt die Industriellenvereinigung, die das sagt – auch keine SPÖ-Organisation. Da gibt es einen breiten Konsens. Das soll auch in der Regierung ankommen, weil es da Maßnahmen braucht. (Beifall.)
Weil das Lamperl schon blinkt und ich nicht zu lang werden will: Einen kleinen Kommentar zum Kollegen Himmer kann ich mir trotzdem nicht verkneifen, der heute hier gemeint hat – wie war das? –, er würde auch die Bundesregierung als stabilisierenden Faktor in dieser Krise nennen.
Mir fallen ganz, ganz viele Wörter zur Bundesregierung ein. Stabilität ist es im Grunde nicht. (Heiterkeit und Beifall.) Was meine ich damit konkret? – Ich habe im Stenographischen Protokoll nachgeschaut: Am 2. Juni bin ich hier gestanden, da war ich sechs Monate lang Bundesrat. Zu diesem Zeitpunkt gab es neun Wechsel in der Regierung. Das heißt pro Monat sind bis zu diesem Zeitpunkt 1,5 Personen gewechselt. Das ist eine Statistik, die ich jetzt nicht als stabil bezeichnen würde. (Heiterkeit und Beifall.)
12.52
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Danke für Ihren Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Günther Novak. – Bitte.
Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren Experten! Ich wollte eigentlich nicht mehr herauskommen, aber es hat mich insofern schon provoziert, wenn Kollege Schroll heraußen steht und zum Thema Gas gesprochen wird und die Emotionen hier bei uns im Sitzungssaal – vor allem von Herrn Groß – überbordend sind. Wenn das nicht zur Daseinsvorsorge dazugehört, dann frage ich mich, was dann. Kollege Obrecht hat es gerade ausgeführt. (Beifall.)
Ich bin auch kein Mensch, der jetzt sagt, es ist alles schlecht, was diese Regierung gemacht hat. Das Thema Strompreisdeckel – die 2 900 kWh für je 10 Cent – ist völlig in Ordnung, perfekt, aber wie wir beim Thema Gas herumschustern, wie man bei uns in Kärnten so schön sagen würde, ist eine Katastrophe.
Ich fange jetzt wirklich an, das von jenen Leuten noch einmal auf den Punkt zu bringen, die zu Hause sitzen und heizen müssen oder wollen und bei uns in Österreich im Gegensatz zu Deutschland, wo – das muss man schon dazusagen – gerade vor einer Woche diese Gaspreisbremse beschlossen wurde, das Drei-, Vier- und Fünffache bezahlen.
Ich habe die Zahlen hier: Private, kleine und mittlere Unternehmen, die unter 1,5 Millionen kWh verbrauchen, werden ab März und rückwirkend bis Jänner – also noch einmal rückwirkend – 12 Cent bezahlen.
Die Fernwärme wird 9,5 Cent ausmachen – der Verbrauch wird da zu 80 Prozent gedeckelt –, und die Industrie – Herr Obrecht hat das zu dem Thema schon ausgeführt, die Industrie darf man im Grunde genommen ja auch nicht vergessen – wird 7 Cent zahlen. 7 Cent, bitte! In Österreich ist es das Fünf- und Sechsfache.
Natürlich gibt es auch dort Pakete, die in dieser Hinsicht greifen sollen, aber was wird denn passieren? – Diese Betriebe in Österreich werden unter Umständen am Ende des Jahres zusperren müssen. Sie haben das Problem, dass sie in Konkurrenz mit Deutschland stehen. Das sollte man einmal bedenken.
Es ist ja in Deutschland – wir waren letzte Woche dort und haben mit maßgeblichen Leuten, Ministerpräsidenten, gesprochen – jetzt schon zu spät, um zu handeln. Wann werden wir in Österreich handeln? Wenn der erste Betrieb pleitegeht? – Ich weiß es nicht.
Als Ausrede und Hauptargument gegen eine Gaspreisbremse nach deutschem Vorbild gilt – ich habe mir diesen Artikel von der „Kleinen Zeitung“ herausgenommen –: In Österreich würden nicht annähernd so viele Menschen profitieren wie in Deutschland.
Um Gottes willen, allein in Wien haben circa 500 000 Wohnungen Gasheizungen, ganz zu schweigen von den Bundesländern und der Industrie, den Klein- und Mittelbetrieben, von denen wir in Österreich über 90 Prozent haben.
Für viele Haushalte und Betriebe, die auf Gas angewiesen sind, sind die derzeitigen Gasrechnungen nicht zu bezahlen. Das schmälert nicht nur die Kaufkraft, es führt – wie ich schon festgestellt habe – zu Energiearmut und schadet der Wettbewerbsfähigkeit. Für die ärmere Bevölkerung bis weit in die Mittelschicht hinein und bis zu Wirtschaftsbetrieben bedeutet das in Zukunft Ruin.
Wenn die Regierung jetzt nicht handelt, was das anbelangt, dann gute Nacht, Österreich! (Beifall.)
12.56
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank für Ihren Beitrag.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Debatte. (Zwischenruf des Bundesrates Bader.) – Es war vor Kurzem schon Wortmeldungsschluss. Also machen wir es so: Ich lasse meine Schlussworte kürzer ausfallen, und Sie, Herr Bundesrat Bader, geben noch Ihren Beitrag ab. – Bitte.
Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Es tut mir leid, sollte ich den Wortmeldungsschluss übersehen haben, aber ich danke für Ihre Großzügigkeit.
Ich wollte mich hier nur kurz zu Wort melden, weil es ja jetzt bei den letzten Redebeiträgen so ausgesehen hat, als hätten wir heute keine Bundesratsenquete, sondern eine parlamentarische Diskussion zu diversen Tagesordnungspunkten im Zuge eines Plenums.
Ich möchte schon klarstellen, dass die Bundesregierung, was die Teuerung betrifft, sehr, sehr viel an Verantwortung trägt und auch wahrnimmt. Wir haben hier herinnen mehrere Unterstützungspakete beschlossen.
Weil Kollege Novak unsere Reise vorige Woche nach Hamburg und Berlin angesprochen hat: Was haben wir dort gehört? – Bis jetzt haben die Menschen in Deutschland 200 Euro bekommen, sonst nichts. Jetzt wurde etwas beschlossen.
Ich möchte ganz einfach die Kirche im Dorf lassen und auch klarmachen, dass diese Bundesregierung bereits ein Antiteuerungspaket von rund über 35 Milliarden Euro beschlossen hat und wir da auch entsprechend Unterstützung geben. Diese Diskussion gehört nicht in die Enquete, sondern in das Plenum. Morgen können wir weiterreden. – Vielen Dank. (Beifall.)
12.58
Vorsitzende Präsidentin Korinna Schumann: Vielen Dank.
Damit ist die Debatte geschlossen. Ich darf abschließend noch ganz herzlichen Dank sagen.
Ich glaube, das Thema der heutigen Bundesratsenquete „Verlässliche öffentliche Strukturen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ ist in großer und umfassender Weise diskutiert worden.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Expertinnen und Experten, die uns ihr Wissen zur Verfügung gestellt haben. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Diskutantinnen und Diskutanten.
Das Thema ist weitest und breitest diskutiert worden. Es ist Konsens darüber erzielt worden, wie bedeutend die Leistungen des Sozialstaates sind und wie bedeutend die Leistungen der Daseinsvorsorge sind, die erhalten werden müssen – auch für die Zukunft.
Es besteht Konsens darüber, dass die großen Transformationsprozesse, die stattfinden, gestaltet werden müssen, und dass niemand zurückgelassen werden kann.
Ich glaube, wir können als Bundesrätinnen und Bundesräte mit großem Stolz sagen, dass es nur im Rahmen der Bundesratsarbeit möglich ist, dass wir abseits des alltäglichen politischen Handelns solche Enqueten im Bundesrat ausrichten können.
Ich danke abschließend allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parlamentsdirektion, der Reinigung, des Expedits und allen, die hier sind, um diese Enquete auch organisatorisch möglich zu machen. Vielen, vielen Dank!
Ich darf abschließend noch erwähnen, dass ich Sie im Anschluss zu einem informellen Ausklang im Kleinen Redoutensaal und im Gardesalon einladen darf. Bitte kommen Sie, tauschen wir uns weiter aus – Diskurs ist die Qualität der Politik und die Qualität der Zukunft! – Vielen Dank. (Beifall.)
13.00
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