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Parlamentarische Enquete
des Bundesrates

„Herausforderungen der Zukunft: Nachdenken über Pflege von morgen und gesundes Altern“


Stenographisches Protokoll

Mittwoch, 10. Mai 2023

 

 

 

Bundesratssaal

 


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 10. Mai 2023

(XXVII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Herausforderungen der Zukunft: Nachdenken
über Pflege von morgen und gesundes Altern“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 10. Mai 2023: 9.07 – 13.47 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung und Begrüßung

Vorsitzender Präsident des Bundesrates Günter Kovacs

II. Keynotes

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch

Landeshauptmann von Burgenland Mag. Hans Peter Doskozil

III. Panel 1 „Politische Herausforderungen in der Pflege“

Dr. Leonhard Schneemann (Mitglied der burgenländischen Landesregierung, SPÖ)

Mag. Susanne Rosenkranz (Mitglied der niederösterreichischen Landesregierung, FPÖ)

IV. Panel 2 „Zukunft der Pflege aus NGO-Perspektive“

Franz Schnabl (Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs)

Petra Schmidt, MSc (Österreichisches Rotes Kreuz)

V. Panel 3 „Pflege von morgen: Herausforderungen bis 2050 aus heutiger Sicht“

DGKP Dr. Christine Ecker, MBA MAS (Samariterbund Burgenland Rettung und Soziale Dienste GmbH)

SC Mag. Manfred Pallinger (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz)

DGKP MMag. Dr. Elisabeth Rappold (Gesundheit Österreich GmbH)

DGKP Sabine Pürer (Betreuungsnetz 24)

Birgit Meinhard-Schiebel (Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger)

Mag. Johannes Wallner (Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen)

Tamara Archan, MSc BScN (Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband)

VI. Panel 4 „Gesunde Jahre bis ins hohe Alter“

Mag. Ernst Minar (John Harris Fitness)

VII. Statements der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates

VIII. Allgemeine Diskussion

IX. Schlussworte des Präsidenten

Vorsitzender Präsident des Bundesrates Günter Kovacs

*****

Inhalt

I. Eröffnung und Begrüßung ........................................................................................ 5

Vorsitzender Präsident Günter Kovacs ......................................................................... 5

II. Keynotes .................................................................................................................... 8

Bundesminister Johannes Rauch ................................................................................... 9

Landeshauptmann Mag. Hans Peter Doskozil ............................................................ 14

III. Panel 1 „Politische Herausforderungen in der Pflege“ .................................... 24

Mag. Susanne Rosenkranz ........................................................................................... 24

IV. Panel 2 „Zukunft der Pflege aus NGO-Perspektive“ ....................................... 30

Franz Schnabl ................................................................................................................ 30

Petra Schmidt, MSc ...................................................................................................... 34

V. Panel 3 „Pflege von morgen: Herausforderungen bis 2050 aus heutiger Sicht“            ............................................................................................................................... 39

DGKP Dr. Christine Ecker, MBA MAS ......................................................................... 39

SC Mag. Manfred Pallinger .......................................................................................... 45

DGKP MMag. Dr. Elisabeth Rappold ........................................................................... 53

DGKP Sabine Pürer ...................................................................................................... 59

Birgit Meinhard-Schiebel ............................................................................................. 68

Mag. Johannes Wallner ................................................................................................ 73

Tamara Archan, MSc BScN .......................................................................................... 78

VI. Panel 4 „Gesunde Jahre bis ins hohe Alter“ ...................................................... 81

Mag. Ernst Minar .......................................................................................................... 81

VII. Statements der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates .............................. 89

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl ............................................................................. 89

Bundesrätin Korinna Schumann .................................................................................. 93

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel ...................................................................... 97

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger ......................................................... 102

VIII. Allgemeine Diskussion ..................................................................................... 105

Abg. Maximilian Köllner, MA ..................................................................................... 105

Mag. Silvia Rosoli ........................................................................................................ 108

Bundesrätin Klara Neurauter .................................................................................... 110

Mag. Walter Marschitz, BA ....................................................................................... 112

Abg. Dr. Josef Smolle .................................................................................................. 113

Elisabeth Anselm ........................................................................................................ 115

Bundesrätin Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA ........................................................ 116

Richard Punz, BA ........................................................................................................ 118

Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch ..................................................................... 120

Bundesrat Ernest Schwindsackl ................................................................................ 122

Ulrike Schwarz ............................................................................................................ 124

Abg. Mag. Ernst Gödl ................................................................................................. 126

Tim Joris Kaiser ........................................................................................................... 127

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel .................................................................... 129

Bundesrätin Mag. Claudia Arpa ................................................................................ 130

IX. Schlussworte des Präsidenten .......................................................................... 132

Vorsitzender Präsident Günter Kovacs ..................................................................... 132


 

09.07.03Beginn der Enquete: 9.07 Uhr

Vorsitzende: Präsident des Bundesrates Günter Kovacs, Vizepräsident des Bundes­rates Mag. Harald Himmer, Vizepräsidentin des Bundesrates Doris Hahn, MEd MA.

*****

09.07.04I. Eröffnung und Begrüßung


9.07.05

Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen. Es freut mich sehr, dass ich heute diese parlamentarische Enquete des Bundesrates eröffnen
darf. Das Thema der Enquete lautet: „Herausforderungen der Zukunft: Nachden­ken über Pflege von morgen und gesundes Altern“.

Pflege und Gesundheit sind die Schwerpunkte meiner Präsidentschaft, die ich auch bei Treffen mit Repräsentantinnen und Repräsentanten aus dem In-
und Ausland in den letzten Wochen und Monaten immer wieder zur Sprache gebracht habe. Sehr gefreut haben mich auch die Worte des Herrn Bun­despräsidenten bei meinem Antrittsbesuch vor wenigen Wochen, als er gemeint hat, dass er dieses Vorhaben Pflege und Gesundheit unterstützt und alle ermutigen möchte, hier politischen Gestaltungswillen zu zeigen.

Mit der heutigen Enquete soll der enormen Bedeutung dieses Themas für uns alle, für die Menschen im Land Rechnung getragen werden. Ich möchte Sie alle herzlich hier im Bundesratssaal willkommen heißen. (Beifall.)

Herzlich begrüßen bei uns darf ich Herrn Bundesminister Johannes Rauch und den Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, Herrn Landeshauptmann Mag. Hans Peter Doskozil. – Danke fürs Kommen! (Beifall.) Ich freue mich auf die Keynotes des Herrn Bundesministers und des Herrn Landeshauptmannes.

Zu Panel 1 „Politische Herausforderungen in der Pflege“ begrüße ich
sehr herzlich Frau Landesrätin Mag.a Susanne Rosenkranz aus Niederöster­reich. – Herzlich willkommen! (Beifall.)

Ich wünsche auf diesem Wege dem leider erkrankten Herrn Landesrat Dr. Leon­hard Schneemann aus dem Burgenland baldige Genesung und bedauere sehr,
dass sein Statement zu Panel 1 daher heute leider entfällt.

Zur „Zukunft der Pflege aus NGO-Perspektive“ freut es mich, vonseiten des ASB Herrn Präsidenten Franz Schnabl und vonseiten des Österreichischen Roten Kreuzes Frau Petra Schmidt, MSc als Leiterin des Bereichs Gesundheit und so­ziale Dienste des Roten Kreuzes begrüßen zu dürfen. Ich möchte betonen,
dass alle NGOs, die im Pflegesektor tätig sind, enorme Beiträge leisten. (Beifall.)

Mein besonderer Gruß gilt auch allen Referentinnen und Referenten, die
das Thema „Pflege von morgen: Herausforderungen bis 2050 aus heutiger Sicht“ beleuchten werden. Ich begrüße ganz herzlich Frau Dr.in Christine Ecker, Samariterbund Burgenland Rettung und Soziale Dienste GmbH, und Herrn Sek­tionschef Mag. Manfred Pallinger vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. – Herzlich willkommen! (Beifall.)

Weiters freut es mich sehr, Frau MMag.a Dr.in Elisabeth Rappold von Gesundheit Österreich als ausgewiesene Expertin begrüßen zu dürfen. Herzlich willkom­men heiße ich auch Frau Sabine Pürer vom Betreuungsnetz 24, Frau Birgit Mein­hard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehö­riger, Herrn Mag. Johannes Wallner, Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen sowie Frau Tamara Ar­chan, MSc BScN, Zweite Vizepräsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes. – Herzlich willkommen! (Beifall.)

Ihnen allen einen herzlichen Dank dafür, dass Sie der Einladung gefolgt sind und Ihr Expertenwissen in diese Enquete heute einfließen lassen.

Im Anschluss wird es ein weiteres Panel geben, das zwar kein Pflegethema
im engeren Sinn beinhaltet, bei einer ganzheitlichen Betrachtung aber auch sei­nen Platz finden wird. Zum Thema „Gesunde Jahre bis ins hohe Alter“ be­grüße ich ganz herzlich den CEO und Inhaber von John Harris Fitness, Herrn Mag. Ernst Minar, um zu erfahren, was wir tun können, um möglichst fit älter zu werden. – Herzlich willkommen, Herr Magister! (Beifall.)

Als Präsident des Bundesrates ist es mir ein ganz besonderes Anliegen, dass es auch unsere Aufgabe als Zukunftskammer des Parlaments sein soll, dazu beitragen zu können, dass der Bundesrat die Menschen zu einer gesünderen und fitteren Zukunft ermutigen kann.

Mein besonderer Willkommensgruß gilt weiters der Frau Vizepräsidentin des Bundesrates Doris Hahn, MEd MA, und dem Vizepräsidenten Mag. Harald Himmer, den Fraktionsvorsitzenden Dr. Karlheinz Kornhäusl, Korinna Schumann und Christoph Steiner, allen weiteren Mitgliedern des Bundesrates, den Mitgliedern des Nationalrates und der Landtage mit der Frau Landtagspräsiden­tin Verena Dunst, dem Zweiten Landtagspräsidenten Walter Temmel und der Zweiten Landtagspräsidentin Sabine Binder an der Spitze, der Frau Vizeprä­sidentin des Gemeindebundes Mag.a Bettina Lancaster, den Vertreterinnen und Vertretern der Landesregierungen und der Landtage, des Bundeskanzleram­tes und der Bundesministerien, der Sozialpartner und dem Vertreter der Europäischen Kommission sowie allen von jeweiligen Institutionen namhaft ge­machten Vertreterinnen und Vertretern, die als Expertinnen und Experten an der heutigen Enquete teilnehmen werden.

Abschließend möchte ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen heißen.

Es freut mich auch sehr, alle Zuseherinnen und Zuseher, die auf ORF III oder via Livestream im Internet dabei sind, herzlich begrüßen zu dürfen. In diesem Zusammenhang darf ich auch darauf hinweisen, dass neben dem Parlamentsfo­tografen noch ein anderes Film- und Fototeam im Saal anwesend sein wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Pflege ist eine sehr große und zentrale Herausforderung unserer Zeit. Sehr viele Menschen, viele Familien sind davon betroffen. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass pfle­gebedürftigen Menschen die beste Pflege und Betreuung zuteilwird. Um ein Altern in Würde zu ermöglichen, braucht es qualitative, wohnortnahe Ange­bote, die auch leistbar sind.

Wir dürfen niemanden zurücklassen – nicht in der Stadt und auch nicht in den ländlichen Regionen. Wir brauchen innovative Wege und Konzepte für die Zukunft. Unbestritten ist, dass wir diese großen Herausforderungen für den Staat, für Bund, Länder und Gemeinden, für die Gesellschaft und für die betroffenen Familien nur gemeinsam bewältigen können.

Es freut mich sehr, hiermit die heutige Enquete zur Pflege und zu den Herausfor­derungen dieses sehr wichtigen Bereiches eröffnen zu dürfen. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

*****

(Es folgen technische Mitteilunge in Bezug auf das Prozedere durch den Vorsitzenden sowie der Hinweis, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst
wird, das nach einiger Zeit im Internet unter www.parlament.gv.at abrufbar sein wird.)

*****

Im Salon des Bundesrates nebenan stehen während der Enquete Erfrischungen bereit. Nach Ende der Enquete, ab circa 13.15 Uhr, darf ich Sie alle, meine
sehr geehrten Damen und Herren, zu einem informellen Gedankenaustausch bei einem Buffetempfang in der Säulenhalle einladen.

9.14

09.14.23II. Keynotes


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Wir gelangen nun zu den Keynotes
des Herrn Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumenten­schutz Johannes Rauch und des Herrn Landeshauptmannes des Burgen­lands Mag. Hans Peter Doskozil.

Dazu ersuche ich die Herren, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Zeit von 10 Minuten pro Keynote bitte nicht zu überschreiten. Ich
darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 2 Minuten vor Ende der Rednerzeit zu blinken beginnt. – Bitte, Herr Bundesminister,
um Ihre Worte.


9.14.50

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch|: Schönen guten Morgen, Herr Präsident, Herr Landes­hauptmann, Mitglieder des Bundesrates – ich mache die Reigenfolge so, weil wir im Bundesrat sind – und des Nationalrates! Geschätzte Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner, der Verbände, der Pflegeberufe, seien Sie alle ganz herzlich willkommen!

Herr Präsident! Vielen herzlichen Dank für die Initiative, diese Enquete zu beantragen, ins Leben zu rufen, zu veranstalten und dieses wichtige Thema damit auf die Tagesordnung zu setzen.

Lassen Sie mich mit einem beginnen, das mir bei Veranstaltungen dieser Art besonders wichtig ist – auch gestern im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema Communitynurses mit 300 in der Pflege tätigen Menschen oder beim Pflegekongress oder wo auch immer –, nämlich Ihnen, die Sie in der Pflege tätig sind, zu sagen, welch unglaublich wichtigen Beitrag Sie leisten und in den letzten Jahren zur Bewältigung der Pandemie geleistet haben. Sie waren eine tragende Säule, wenn es darum gegangen ist, die Pandemie zu bewältigen.
Ohne Sie wäre das nicht gegangen. Sie sind eine tragende Säule in der Erhaltung der Qualität in der Pflege, in der Betreuung unserer alten Menschen. – Dafür
ein ganz, ganz herzliches Dankeschön! (Beifall.)

Jetzt wissen wir alle – und das wird auch Thema sein –, dass wir im Bereich der Pflege, der Gesundheitsversorgung vor großen Herausforderungen stehen.
Ich weiß das, weil ich täglich damit zu tun, manchmal auch zu kämpfen, habe. Ich bin aber der Überzeugung und der Auffassung, dass wir die Chance haben,
sie umzugestalten und die Herausforderungen anzunehmen, und zwar mit einem positiven Geist und der Zuversicht, dass wir das noch schaffen werden.

Warum glaube ich das? – Wir wissen, dass Österreich – und nicht nur Öster­reich, sondern ganz Europa – altert. Wir erleben eine demografische Ent­wicklung am ganzen Kontinent und damit auch in Österreich, durch die die He­rausforderungen im Sektor Gesundheit und Pflege alleine aufgrund der Alte­rung und der alternden Gesellschaft riesig werden – noch größer, als sie jetzt schon sind. Das heißt, wir müssen uns dessen bewusst sein, dass all jene Menschen, die in zehn, zwanzig, dreißig Jahren pflegebedürftig werden, schon da sind, schon geboren sind und ein Anrecht darauf haben, im Alter ange­messen gepflegt zu werden.

Damit bin ich schon bei einem wichtigen Wort: Was ist angemessene Pflege? – Angemessene Pflege ist mehr, als satt und sauber zu sein. Angemessene
Pflege ist Zuwendung. Angemessene Pflege bedeutet auch, sich um die Person zu kümmern – das Erfassen dieser Person, des Menschen als Ganzes. Angemessene Pflege bedeutet vor allem auch – und ich sage es jetzt vielleicht ein bisschen pathetisch – menschliche Zuwendung. Diese menschliche Zuwendung kann nicht ersetzt werden. Ich schaue da eher mit gemischten Ge­fühlen in den asiatischen Raum, wo Pflegeroboter, künstliche Intelligenz, Geräte aller Art Pflegeaufgaben übernehmen, und zwar zum Teil auch – ich nen­ne es einmal so – Bespaßungsaufgaben für alte Menschen, die zu Hause sind. All das kann menschliche Zuwendung nicht ersetzen und es soll und muss eine zentrale Säule von Pflege und Betreuung in Österreich bleiben, dass
von Mensch zu Mensch gepflegt wird. Das muss jedenfalls im Fokus stehen.

Das heißt aber auch – und damit bin ich bei einem Punkt der Herausfor­derungen –: Der Beruf wird sich ändern. Das ist klar. Es wird auch notwendig sein – und ich sage das auch als Gesundheitsminister –, die Grenzen zwi­schen Pflege und Gesundheit, Systemgrenzen, Finanzierungsgrenzen, Zustän­digkeitsgrenzen, die oft noch bestehen, aufzulösen und die Systeme als Ganzes zu denken.

Ich habe unlängst geschildert bekommen, wie Pilotprojekte zur Sturzprävention funktionieren. Ich denke daran, wir Communitynursing eine nachgehende, aufsuchende Arbeit ist, bei der man zu Menschen hinkommt, den gesamten Le­benszusammenhang betrachtet, um dann angemessen intervenieren zu kön­nen, und zwar mit der einen Zielsetzung, Menschen so lange wie möglich im ei­genen Umfeld zu belassen. Es ist wohl durchgängig der Wunsch aller, den Le­bensabend zu Hause verbringen zu dürfen und auch zu Hause gepflegt werden zu dürfen, solange es eben geht.

Diese Schnittstelle zwischen Gesundheit und Pflege drückt sich auch darin aus, dass wir jetzt Situationen haben, in denen aufgrund von Personalmangel in Alten- und Pflegeheimen Stationen geschlossen werden und Menschen dann, nur weil die Situation im Pflegeheim so ist, wie sie ist, auf internen Stationen
in Spitälern liegen – im teuersten aller Systeme. Das ist weder für die zu pflegen­de Person noch für das System gut.

Das heißt, Pflege auf der einen Seite und Spitalsambulanzen, Spitalsgesundheit auf der anderen Seite müssen zusammen gedacht werden. Das versuchen
wir aktuell, im Zuge des Finanzausgleichs sicherzustellen.

Bei meinem Amtsantritt vor einem Jahr – ich kann mich gut erinnern – war ich auf einem großen Pflegekongress von Pflegekräften und habe gesagt: Ich
stehe mit leeren Händen vor Ihnen, denn Sie haben eine Pflegereform verspro­chen bekommen – seit 15 Jahren oder so. Ich habe dann sehr rasch erkannt: Da muss jetzt ein erster Schritt gemacht werden – ich betone: erster Schritt – und das Pflegereformpaket, das wir dann präsentiert haben, hat einiges an Verbesserungen gebracht. Das wird jetzt auch über den Finanzausgleich dauer­haft abgesichert. Ich sage das dazu, weil eine zweijährige Anschubfinan­zierung – das war ja ein Teil der Kritik – nicht ausreicht, was die Erhöhung der Gehälter betrifft. Die Ausbildung wird attraktiver, es gibt das Stipendium – 1 400 Euro pro Monat –, einen Ausbildungszuschuss. Das sind alles Maßnah­men, um den Beruf, die Ausbildung attraktiv zu machen und die Menschen,
die wir jetzt im Job haben, auch im Job zu halten.

Was sind die nächsten Schritte, um nicht stehenzubleiben? – Jetzt laufen die Verhandlungen über die Mittelaufbringung. Ich sage Ihnen: Wir geben in Österreich gesamtstaatlich etwa 6,7 Milliarden Euro für den Pflegesektor aus. Für die Gesundheit ist es deutlich mehr, etwa 40 Milliarden Euro. Alleine aufgrund der Demografie, die ich geschildert habe, werden wir in diesem Bud­getposten bei den Gemeinden, den Ländern, dem Bund mit Kostensteige­rungen zwischen 7 und 10 Prozent jährlich – und die schlagen sich nieder – zu rechnen haben; alleine aufgrund der Demografie.

Ich versuche, jetzt auch deutlich zu machen, dass wir, wenn es um Aufwen­dungen im Bereich der Gesundheit und der Pflege geht, nicht immer nur von Kosten reden. Ich ringe darum, das als Investment zu sehen, denn baut man
eine Straße, baut man eine Brücke, wird immer von einer Investition gesprochen. Ich bestehe darauf, dass im Gesundheits- und Sozialbereich auch von Investitionen gesprochen wird. Wenn wir das nicht so betrachten, auch volks­wirtschaftlich, dann werden wir scheitern. (Beifall.)

Ich kann Ihnen auch erläutern, warum. Es ist deshalb jetzt und in den nächsten Jahren eine Investition, weil ansonsten die Kosten um ein Vielfaches steigen werden. Es ist schlicht eine ökonomische Rechnung. Deshalb ringe ich so sehr darum und gebe wirklich mein Bestes – das kann ich Ihnen versprechen –,
die Systemwelten Gesundheit und Pflege zusammen zu denken und vor allem auch die Finanzierung sicherzustellen und zu Reformen zu kommen, denn
das wird notwendig sein: Effizienzen zu heben und zu Reformen zu kommen.

Ich komme zum Thema Personal. Die Schlüsselfrage wird im gesamten Sektor Soziales, Gesundheit und Pflege sein: Wie bekommen wir ausreichend Personal und wo kommt es her? – Gestatten Sie mir ein offenes Wort dazu: Wir tun
alles, um die Ressourcen, die wir im eigenen Land haben, zu heben. Das wird aber nicht reichen, es geht sich nicht aus. Es ist mittlerweile in Europa – ich
weiß das, weil ich im intensiven Austausch mit den Ministerinnen und Ministern der EU-Mitgliedstaaten bin – ein fulminanter Wettlauf um die Anwerbung
von Pflegepersonal von außerhalb Europas im Gange. Wenn wir da nicht in die Gänge kommen – ich bin mit Bundesminister Kocher da in einem sehr guten Austausch –, wenn wir nicht aktiv die Rolle des Anwerbens voranbringen, dann werden wir verlieren. Wir werden das brauchen.

Ein zweiter Punkt, der dazugehört: Wir brauchen, um attraktiv zu sein, damit Pflegekräfte zu uns kommen, eine Willkommenskultur. Ich sage dieses
Wort ganz bewusst. Es ist verpönt und schlechtgemacht worden, aber wenn wir den Arbeitskräften, die wir brauchen, nicht den Eindruck vermitteln, dass
wir sie nicht nur brauchen im Sinne von benützen, sondern dass sie willkommen sind, dass wir ihnen eine Heimat geben, wenn wir ihnen nicht das Gefühl
geben, hier zu Hause sein zu können, dann werden wir scheitern. Wir werden den Wettlauf mit anderen europäischen Staaten verlieren. Wir sind jetzt
schon im Hintertreffen und wir müssen diese Kultur verändern. Ich appelliere in aller Eindringlichkeit, das auch gemeinschaftlich zu tun. (Beifall.)

Ich habe noch einen letzten Punkt, den ich betonen möchte: Wir haben – das sind dann die Welten von Gesundheit und Pflege in engem Zusammenhang – in Österreich eine etwas seltsame Situation, weil es halt kompliziert ist, dass wir, wenn wir über Gesundheit reden, im Prinzip nur zwei Aggregatzustände kennen: gesund oder krank. Vorsorge und Prävention kommen selten vor, Nach­sorge und Rehabilitation auch; mit dem Argument, das sei keine Heilbehand­lung – manche von Ihnen werden das kennen, wenn Sie mit Kostenersätzen zu tun haben – und deshalb könne man Prävention nicht finanzieren, oder
das sei Reha, das könne man nicht finanzieren. Da kommen die Welten nicht zusammen.

Wenn es nicht gelingt, die Durchlässigkeit, mehr Augenmerk auf Vorsorge,
auf Prävention, gerade auch in der Pflege, und mehr Augenmerk auf Rehabilitation und Mobilisierung zu legen, dann bleiben wir in diesen beiden Welten – gesund, krank – hängen und kommen dort auch nicht weiter.
Das ist ein Ansatz, den ich versuche, im Zuge des Finanzausgleichs voranzu­treiben.

Ich möchte betonen: Es gibt gute Gespräche mit den Bundesländern, es gibt gute Gespräche mit dem Finanzministerium. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen. Ich mache es auch aus folgender Überzeugung heraus: Wenn wir es jetzt nicht tun und jetzt nicht hinbekommen und den Finanzausgleich nicht
als Chance nützen, dann werden wir in fünf, sechs, sieben Jahren ein massives Problem haben. Es werden uns nicht nur die Kosten davonlaufen, sondern
wir werden die Herausforderungen schlicht nicht mehr bewältigen können.

Ich gehe da aber – und das wird mein letzter Satz – mit großer Entschlossenheit und mit einer ordentlichen Portion Kampfgeist heran, weil ich einfach davon überzeugt bin, dass es das braucht. Letztlich geht es um die Menschen, die pfle­gebedürftig sind oder pflegebedürftig werden. – Vielen herzlichen Dank.
(Beifall.)

9.26


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Bundesminister, für Ihre Ausführungen.

Bitte, Herr Landeshauptmann, um deine Ausführungen.


9.27.10

Landeshauptmann von Burgenland Mag. Hans Peter Doskozil|: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Frau Landesrätin!
Werte Mitglieder des Bundesrates! Werte Gäste! Sehr geehrte Damen und Herren, die sich intensiv mit dem Thema Pflege auseinandersetzen,
sei es im theoretischen oder im praktischen Bereich.

Zunächst recht herzlichen Dank dafür, dass der Bundesrat diese Enquete heute veranstaltet. Das Thema Pflege ist aus meiner Sicht ein wesentliches. Wir
in der Politik speziell bekunden das immer wieder, sagen immer wieder, wie wichtig Pflege ist. Ich möchte Ihnen heute in diesen 10 Minuten meine persönlichen Eindrücke vermitteln und vielleicht auch meinen persönlichen Be­fund, wo wir eigentlich ansetzen müssten und wohin wir uns entwickeln müssten, was alles zu tun wäre, um all diese Themen, die wir uns jetzt schon sehr lange und sehr oft vorgenommen haben, und bei denen wir auch gesagt haben, wie wichtig Pflege ist – insbesondere im Zusammenhang mit der demo­grafischen Entwicklung –, aufzuarbeiten.

Mein Befund ist: Wir haben in Wirklichkeit nicht sehr viel gemacht, wir reden sehr oft davon. Wir reden auch oft davon, dass wir einen Generationen­vertrag haben und dazu stehe ich. Es ist unsere Verpflichtung der älteren Gene­ration gegenüber. Sie war es, die es uns ermöglicht hat, in diesem Öster­reich, wie wir es heute erleben, zu wohnen. Es ist unsere Verpflichtung, auf un­sere ältere Generation entsprechend zu achten und zu schauen. Im histori­schen Kontext stelle ich mir schon die Frage, ob das auch tatsächlich so passiert ist.

Erinnern Sie sich: Ich glaube, es war Anfang der 2000er-Jahre, als wir aufgrund eines Vorfalles sehr intensiv darüber diskutiert haben: Was passiert denn eigentlich bei der Pflege zu Hause? – Das passierte alles im Verborgenen, da gab es Arbeitskräfte, die vielleicht nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Dann haben wir zu Beginn der 2000er-Jahre die 24-Stunden-Kräfte legalisiert. Wenn man sich heute – bald 20 Jahre danach – das Instrument der
24-Stunden-Kräfte anschaut, dann will man nicht genau hinschauen. Man will nicht genau wissen, wie die Arbeitsbedingungen in Wirklichkeit sind, was
das finanziell für die Betroffenen in weiterer Folge bedeutet, und was es dann tatsächlich bedeutet – das haben wir während der Coronaphase gesehen –,
wenn diese Arbeitskräfte ausbleiben, wie während der Pandemie, oder weil sie ausbleiben, weil sie zu Hause, von dort, woher sie kommen, benötigt werden. Auch das kann in Zukunft passieren, insbesondere dann, wenn sich das Lohnni­veau in diesen Ländern ändert.

Sind wir darauf vorbereitet und haben wir auch die richtigen Antworten darauf? – Ich bezweifle das. Wir haben zwar im Burgenland damit begonnen – und ich möchte hier auch diese Bezüge zu dem einen oder anderen Thema herstellen –, ein Anstellungsmodell für den pflegenden Angehörigen, vielleicht genauer gesagt für den betreuenden Angehörigen ins Leben zu rufen, das
ist durchaus ein probates Mittel, diese Pflegesituation, Betreuungssituation im engsten, teilweise verborgenen Familienbereich zu regeln, aber was wir momentan feststellen, ist, dass wir uns diesbezüglich auch weiterentwickeln müssen.

Dieses Modell wird nicht nur zur klassischen Pflege von älteren Menschen angenommen – wovon wir eigentlich geglaubt haben, das sei der Hauptanwendungsbereich –, sondern jetzt auch im Bereich der Betreuung
von behinderten Familienmitgliedern stark nachgefragt und angenom­men. Ein ganz wesentlicher Aspekt, den wir in dieser Intensität bei der Einfüh­rung des Projektes höchstwahrscheinlich nicht gesehen hatten und auch nicht am Radar hatten! Da muss – und das ist ganz wesentlich – eine gewisse Harmonisierung auch mit allen anderen Sozialleistungen greifen. Insbe­sondere dann, wenn es um Behelfe geht, wenn es um finanzielle Unterstützung darüber hinaus geht, darf ein Beschäftigungsverhältnis zu öffentlichen Trä­gern in weiterer Folge nicht hinderlich sein.

Das heißt, wir müssen unser Instrumentarium des pflegenden Angehörigen, des betreuenden Angehörigen weiterentwickeln, damit auf alle Lebensbereiche
und Lebenssituationen, die sich eben auftun, die wir von vornherein nicht beein­flussen können, die wir auch nicht steuern können, reagiert werden kann.

Ich war vor wenigen Wochen mit einer Delegation in Dänemark, um mir an und für sich das dänische Pflegemodell anzuschauen. Ich war jetzt nicht so sehr überrascht. Dort kämpft man mit ähnlichen Problemen im Personalbereich und ist vor allem auch sehr stark mit der Frage konfrontiert: Wie schafft man es,
dass die Menschen dort – das, was sie eigentlich wollen, nämlich zu Hause blei­ben – zu Hause betreut werden können, dass sie in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können? In Dänemark – das habe ich zumindest so mitgenommen –, und das ist recht interessant, unternimmt man finanziell alles, dass das, sei es jetzt
der klassische Treppenlift oder seien es sonstige Behelfe, die zu organisieren sind, von staatlicher Seite auch unterstützt und finanziert wird, weil es für
alle besser ist, auf der einen Seite für den Betroffenen und auf der anderen Sei­te – der Herr Minister wollte es nicht so ausdrücken, was die finanzielle Seite betrifft – auch für die Finanzen, wenn die Pflege entsprechend adäquat auch zu Hause stattfinden kann.

Ich glaube, in puncto Vorrang der Pflege zu Hause, auch verbunden mit dem Aspekt, dass man ihn dann auch ermöglichen muss, dass man beispielsweise das Instrumentarium der pflegenden Angehörigen mit den sonstigen öffentlichen Zuwendungen, Förderungen verbinden und kompatibel machen muss, diese in weiterer Folge höchstwahrscheinlich auch noch erweitern muss, dass Betreu­ung und Pflege auch tatsächlich zu Hause stattfinden kann, insbesondere was bauliche Vorkehrungen betrifft, haben wir sicherlich noch einigen Nachhol­bedarf, um das zu harmonisieren, um das möglicherweise nicht nur in einem, in einem zweiten, in einem dritten Bundesland, sondern in ganz Österreich anbieten zu können.

Dort liegt, glaube ich, der Schlüssel: im Angebot. Es soll nicht sein, dass irgendein Modell ein verpflichtendes Modell ist – das ist aus meiner Sicht ganz wesentlich –, sondern die Modelle sollen angeboten werden und die Betroffe­nen sollen entscheiden können, entsprechend ihrem privaten Umfeld, ihrer Situation und den Gegebenheiten, welches das adäquateste ist, welches für den zu Pflegenden passt, welches für die Familie und für die Fami­liensituation passt.

Was mir noch aufgefallen ist – und auch das ist ein leiser Kritikpunkt –: dass wir beispielsweise die Tätigkeiten der Agenturen bei der Vermittlung der
24-Stunden-Kräfte tolerieren. Ich sehe diese Tätigkeiten sehr, sehr skeptisch, muss ich ganz ehrlich sagen, weil ich dem Grunde nach davon überzeugt
bin, dass wir uns immer mehr und mehr daran annähern müssen – und ich kann das in weiterer Folge auch bei den Pflegeheimen und der Systematik der Pflegeheime erläutern –, dass Pflege auch tatsächlich gemeinnützig sein muss. Wir reden zwar immer von gemeinnütziger Pflege, von der Aufgabe im Gemeinwohl für die Bevölkerung und für unsere ältere Generation, aber sie ist nicht tatsächlich lückenlos gemeinnützig. Daher sehe ich es sehr, sehr
skeptisch, wenn hier umtriebige, geschäftsfindige Agenturen ganz einfach Geld machen – ich sage es ganz salopp so, wie es ist – auf dem Rücken der
Familien, die diese Pflege auch großteils finanzieren müssen; nicht die öffentli­che Hand finanziert großteils diese Pflege, sondern sie wird großteils von den Familien finanziert.

Daher starten wir im Burgenland beispielsweise ein Projekt, indem wir uns an das BFI und auch die Vida wenden, um im südosteuropäischen Raum Pflegekräfte anzusprechen, Pflegekräfte auszubilden, ein Mindestmaß an Aus­bildung auch im Bereich der 24-Stunden-Kräfte vorzusehen – vielfach gibt es diese Ausbildung in diesem Bereich nicht; es fehlen auch mitunter die sprachlichen Voraussetzungen, das ist ein ganz wesentlicher Aspekt –, dann auch selbst dafür zu sorgen, dass diese Menschen, die sich Gott sei Dank bereit erklären, in Österreich der Pflegetätigkeit nachzukommen, auch hierherkommen und entsprechend vermittelt werden. Das heißt: Schritt für Schritt die Tätigkeiten der Agenturen zu unterbinden und das bessere Angebot seitens der öffentlichen Hand zu legen.

Ich bin auch überzeugt davon – wir versuchen es und wir gehen jetzt diesen Schritt, natürlich mit viel Kritik und vielen Diskussionen, Sie haben das sicherlich in der öffentlichen Diskussion schon wahrgenommen –, dass wir auch
den Mittelbau der Pflege komplett umstrukturieren sollten.

In Beurteilung der Vergangenheit und wenn man sich das Heute ansieht – und das kann man möglicherweise nicht eins zu eins auf den städtischen Bereich umlegen, dort sind die Voraussetzungen durchaus anders; ich rede jetzt vom ländlichen Bereich, vom strukturierten Bereich, wie es im Burgenland
eben der Fall ist –, muss ich sagen, es ist für mich nicht akzeptabel, dass heute beispielsweise in kleinen Gemeinden die verschiedensten Pflegeanbieter
von mobiler Hauskrankenpflege tätig sind. Wir haben über diesen Bereich der Pflege einen Rechnungshofbericht bekommen, der ganz einfach aufzeigt,
dass 50 Prozent der Tätigkeiten nicht für den Patienten, sondern für administra­tive Tätigkeiten beziehungsweise natürlich für die Bewältigung der Fahrtstrecken in Anspruch genommen werden.

Aus meiner Sicht sollte es und muss es hier eine Änderung geben. Wir werden es versuchen und werden diesen Schritt auch ganz intensiv gehen. Ich weiß,
das sehen einige kritisch, aber im Ergebnis bedeutet das, dass wir pro 4 000 Ein­wohner – das ist die Zielgröße – eine organisatorische und auch infrastruk­turelle Einheit errichten und bilden werden, die das Thema Tagesheimzentrum, Stützpunkt der mobilen Hauskrankenpflege und qualitatives betreutes Woh­nen an einem Stützpunkt administriert. Das bedeutet, insbesondere für die mo­bile Hauskrankenpflege gibt es einen Stützpunkt, der für eine Zielgrößen­ordnung von 4 000 Bewohnern verantwortlich ist.

Das ist aus meiner Sicht insofern sehr effektiv, weil Pflege damit auch kleinteilig wird. Sie geht raus in die Gemeinden, sie geht raus in die kleinen Ortschaften,
dort entsteht diese Infrastruktur. Pflege findet dann nicht nur mehr in den gro­ßen und größeren Städten, in den Bezirksstädten statt, sondern auch in
der ländlichen Struktur, im ländlichen Raum, und sie wird persönlicher. Sie wird persönlicher, weil im Umfeld dieser Stützpunkte – die natürlich für den
Betrieb auch entsprechend den Vergaberichtlinien an die Träger vergeben wer­den müssen –, dieser 4 000er-Einheit, die Bevölkerung und natürlich auch
die Bediensteten die Möglichkeiten vor Ort, die dann immer mehr und mehr erweitert werden können – beispielsweise kann ein Sozialplatz errichtet
werden, beispielsweise kann man vor Ort Essen auf Rädern konsumieren –, nut­zen können. Also es soll in den Tagesheimzentren nicht nur Pflege stattfin­den, sondern sie sollen wirklich auch ein sozialer Treffpunkt generationenüber­greifend werden.

Damit komme ich zum dritten Punkt: Pflegeheime. Ich möchte hier auch den Appell richten, dass wir uns das sehr genau anschauen müssen – in den Bundesländern ist es durchaus unterschiedlich –: Es darf nicht sein, dass mit dem Betrieb eines Pflegeheimes Unternehmen, Aktiengesellschaften, aber auch Privatpersonen – ich bringe es auf den Punkt und sage es, wie es ist – Gewinne machen, Gewinne erwirtschaften. Das darf nicht sein. (Beifall.)

Ich kann Ihnen anhand von zwei Beispielen schildern, in welche Richtung das
geht. Ein bekanntes, schon älteres Beispiel – das haben wir bereits gestoppt, das gibt es nicht mehr – ist, dass ein Privatunternehmer sein Pflegeheim einem deutschen Investmentfonds verkauft, kein Kapital rückführen muss, sondern über die Tagsätze, die im Wesentlichen von Steuergeldern und von den Einbehaltungen der Bewohner gespeist werden, 6 Prozent Rendite an diesen deutschen Fonds überweisen muss.

Es kann nicht sein, dass man mit Pflegegeld, mit öffentlichen Geldern, mit Geldern der Betroffenen die Rendite eines Investmentfonds bedient. Das wurde gestoppt, das gibt es nicht mehr.

Die Frage stellt sich aber schon: Warum betreiben in Österreich Aktiengesellschaften Pflegeheime? Warum gibt es auch beispielsweise – ich sage das sehr, sehr kritisch in unsere Richtung, generell in Richtung der Politik –
eine ehemalige Abgeordnete, die im Burgenland ein Pflegeheim über die Tag­sätze finanziert bekommen hat – nicht sie hat das finanziert, sondern das
wurde über die Tagsätze finanziert, und Tagsätze sind wie gesagt Steuergelder, Tagsätze sind die einbehaltenen Gelder der Bewohner, Pensionen, und Pflegegeld –, es wird also ein Pflegeheim finanziert, und dann sagt man irgend­wann: Na ja, jetzt will ich das Pflegeheim nicht mehr betreiben, aber jetzt
verkaufe ich es euch!? Und dann soll die öffentliche Hand, beispielsweise das Land, oder ein anderer privater Betreiber – das ist komplett egal – dieses Pflegeheim, das bereits über die Tagsätze finanziert wurde, noch einmal kaufen, in Millionenhöhe noch einmal kaufen.

Ist das Sinn der Pflege, dass man Pflegeheime betreibt, dort möglicherweise auch als Geschäftsführer beziehungsweise Geschäftsführerin ein gutes Gehalt bekommt und man am Ende des Tages, wenn das Pflegeheim über die Tagsätze finanziert ist und die Immobilie refinanziert ist, sagt: Gut, jetzt verkaufe
ich es und jetzt mache ich den zweiten Schnitt und jetzt will ich 1,7, 1,8, 2 Mil­lionen Euro!? – Das kann nicht sein! So kann Pflege bei uns in Österreich
nicht funktionieren und da muss man dringendst gesetzlich eingreifen.

Wir versuchen das im Burgenland, wir haben das gesetzlich auch so beschlossen, dass Pflege nur mehr gemeinnützig sein darf und dass mit Pflege keine Gewinne erzielt werden dürfen. Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt. (Beifall.)

Ich würde gerne noch einen weiteren Punkt ansprechen, weil wir sagen: Ja,
es ist richtig, die Analyse und die Bestandsaufnahme, insbesondere was das Per­sonal in der Pflege betrifft, ist ganz klar: Es gibt in Österreich in vielen Berei­chen und speziell auch in der Pflege einen Fachkräftemangel, der lässt sich nicht negieren, das ist evident. Wir werden nicht nur in der Pflege, wir werden in vielen Bereichen eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften brauchen. Aber die gezielte Zuwanderung von Fachkräften wird nicht nur einfach so funktionieren, dass man sich hinsetzt und sagt, man wachelt mit der Rot-Weiß-Rot-Karte und fragt: Bitte, wo sind denn die Fachkräfte?, sondern man wird sich schluss­endlich um die Fachkräfte auch bemühen müssen. Man wird vor Ort in jene Län­der gehen müssen, wo man auch glaubt, Fachkräfte zu bekommen, man wird sie ausbilden müssen, wie wir das im Kleinen mit dem BFI im Bereich der Haus­krankenpflege versuchen, und man wird in weiterer Folge auch entspre­chende Sprachkurse anbieten müssen.

Ich bringe Ihnen jetzt ein kurzes Beispiel dafür, was einem auf dem Weg
der Einladung von spezialisierten Kräften so passiert. Wir haben die Entschei­dung getroffen, insbesondere auch, weil wir nächstes Jahr im Burgenland das neue Krankenhaus Oberwart eröffnen werden und dort die Abläufe anders sein werden, mehr Personal benötigt werden wird, auch mehr pflegerisches Personal: Wir konnten zwar auf der einen Seite unsere Kurse in der Krankenpfle­geschule und auch sonst derzeit alle besetzen, dies aber deshalb, weil jeder, der mit der Ausbildung beginnt – sei es Pflegefachassistenz oder -assistenz oder diplomiert oder Bachelor auf der Fachhochschule –, bereits mit dem ersten Tag der Ausbildung ein Beschäftigungsverhältnis zu unserem Krankenhausträger angeboten bekommt und ein Gehalt von 1 200 Euro während der Ausbildung erhält. Deshalb ist es bis dato auch gelungen, die entsprechenden Plätze zu befül­len. Das heißt aber nicht, dass das auf Dauer so gelingt.

Ich bin daher sehr froh, dass ich da gehört habe, dass auch der Finanzausgleich dazu betragen wird, dass die zweijährige Anschubfinanzierung im Bereich
der Gehälter offensichtlich in die Regelfinanzierung übergeführt werden wird. Das Problem ist aber: Wir haben die Entscheidung getroffen, eben aufgrund dieser Situation, dass wir 40 Pflegekräfte von den Philippinen zu uns ins Burgen­land holen. Wenn man diese Entscheidung trifft, dann beginnt einmal der Hürdenlauf, da muss man sich überlegen: Welche Ausbildung sollen die denn ha­ben, welche brauchen wir beziehungsweise für welche Ausbildung be­kommt man denn eine Nostrifikation?

Jetzt haben wir uns überlegt: Da im diplomierten Bereich die Nostrifikation auf Bundesebene stattzufinden hat, lassen wir das lieber, gehen wir lieber in
den Pflegefachassistenzbereich, da ist es einfacher, denn da ist das Land zustän­dig. Das war schon einmal die erste Entscheidung, um schnell Pflegekräfte zu bekommen.

Dann kommt man in den Niederlassungs- und Aufenthaltsbereich: Wie schaffen wir es denn, Studenten rüberzubekommen, wenn sie schon ausgebildet sind
und möglicherweise nur noch Deutsch erlernen müssen? Na, das müssen Sie ein­mal versuchen, da einen Niederlassungs- und Aufenthaltstitel für einen Stu­denten zu bekommen, wenn die Ausbildung, insbesondere die Pflegeausbildung, schon vor Ort stattgefunden hat und in weiterer Folge nur noch der Deutsch­unterricht in Österreich stattzufinden hätte! – Das ist unmöglich. Jetzt müssen wir noch einmal in die inhaltliche Pflegeausbildung einsteigen, dass wir auch argumentieren können, es findet tatsächlich eine Ausbildung statt, nicht nur Deutsch, denn das ist zu wenig, dafür gibt es keinen Aufenthaltstitel, und
erst dann wird es gelingen, diese Pflegekräfte, die sich bereit erklärt haben, nach Österreich zu übersiedeln, auch tatsächlich hierherzubringen.

Dann ist es natürlich notwendig, sie in der Sprache entsprechend auszubilden.
Bei uns ist ein Jahr Sprachunterricht vorgesehen, und erst dann erfolgt der erste Schritt ins Spital, ins Krankenhaus.

Ich glaube, wir tun den Mitarbeiter:innen nichts Gutes und wir tun auch den Patient:innen nichts Gutes und der Politik schon gar nicht, wenn wir die Schritte so setzen, dass die Sprache während der Arbeit erlernt wird. Das ist aus
meiner Sicht ganz, ganz falsch. (Beifall.)

All diese Hürden sind dann auch zu überwinden, die Fragen: Wo werden diese Mitarbeiter:innen zukünftig dieses erste Jahr lang untergebracht? Wie bestreiten sie ihren Lebensalltag? Wer kann sie versichern und wie können sie versi­chert werden? Ab wann können sie öffentlich versichert werden, wenn sie von uns eine Aufwandsentschädigung, ein Gehalt bekommen, oder können sie nicht öffentlich versichert werden? – All diese Fragen haben wir in Wirklichkeit nicht beantwortet.

Wenn wir davon reden, dass wir Menschen einladen wollen, zu uns nach Österreich zu kommen und diesem Beruf nachzugehen, vor Ort nachzugehen und hier zu bleiben, dann müssen wir einmal die grundlegenden und grundsätzlichen Fragen beantworten, und darum würde ich Sie als Vertreter des Bundes alle ersuchen, nicht nur immer – ich sage das wirklich sehr offen – zu sagen, was notwendig ist, denn irgendwann müssen wir auch ins Tun kommen.

Ich hoffe, dass diese heutige Enquete ein klares und deutliches Signal ist, ins Tun zu kommen. Tun wir endlich das, was notwendig ist, um dieses Thema endlich einmal auch im Sinne unserer älteren Generation so zu erledigen, dass es dann – wie Sie gesagt haben: Anspruch auf adäquate Pflege – tatsächlich ein An­spruch auf adäquate Pflege sein wird.

In diesem Sinne herzlichen Dank und noch einen schönen Verlauf für diese Enquete. (Beifall.)

9.48


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Landes­hauptmann, für die Ausführungen.

09.49.00III. Panel 1 „Politische Herausforderungen in der Pflege“


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Wir gelangen nun zu Panel 1.

Ich darf Frau Landesrätin Mag.a Susanne Rosenkranz um ihren Beitrag dazu ersuchen. – Bitte.


9.49.09

Mag. Susanne Rosenkranz (Mitglied der niederösterreichischen Landesre­gierung, FPÖ)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Herr Landeshauptmann! Ich werde versuchen, meine Ausführungen jetzt ein bisschen kürzer zu halten, um die Zeit wieder ein bisschen hereinzubringen, aber ich verstehe, dass man länger spricht, denn beim Thema Pflege geht einem das Herz über, überhaupt uns, die wir aus den Ländern kommen, da wir alle se­hen, was alles zu tun ist.

Man muss kein großer Mathematiker sein, um draufzukommen, dass wir in den nächsten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung massive Probleme haben werden. Also: Wir haben auf der einen Seite viele zu Pflegende, ein Drittel unserer geburtenstarken Jahrgänge geht bald in Pension, in 20 Jahren sind
diese Personen dann 80, 85 Jahre und älter – ich wünsche ihnen eine gute Ge­sundheit, aber wir werden dann viele Menschen haben, die auch Betreuung brauchen –, und auf der anderen Seite haben wir wenig Personal.

Es ist natürlich eines unserer herausforderndsten Ziele, die wir haben, passendes Personal zu finden – und die Qualität eines gesellschaftlichen und eines politischen Systems zeigt sich daran, wie man mit Alten, Kranken und Kindern umgeht.

Das Ziel einer modernen Pflege muss es sein, selbstbestimmt und in Würde zu leben. Ein erfolgreiches Pflegesystem bedeutet eben, dass die optimale Leistung für alle garantiert ist, aber natürlich immer unter dem entscheidenden Grund­satz persönliche Selbstbestimmung und auch Selbstbestimmung über den Ort und den Umfang der Pflege. Ich erfahre das irgendwie als Grundkonsens
über alle Parteigrenzen und politischen Gegensätze, die wir sonst haben, hinweg.

Es ist uns allen bewusst, dass die Pflege in den nächsten Jahren eine große He­rausforderung sein wird. Entscheidend ist aber auch, wie man die Ziele erreicht. Es darf hier – und da gebe ich meinen Vorrednern völlig recht – keine Denk­verbote geben. Ich glaube, wir müssen versuchen, an dieses Problem aus allen Richtungen heranzugehen, um es zu lösen, aber auch taugliche Lösungen anzubieten, denn über 460 000 Pflegegeldbezieher sind ein Auftrag und auch eine große Verantwortung für alle Entscheidungsträger in der österreichi­schen Sozialpolitik.

Die Erreichung der oben genannten Ziele soll natürlich durch eine entspre­chende Finanzierung sichergestellt werden. Das ist es immer, nicht? Geld brau­chen wir alle, um all diese Dinge, die wir haben und andenken, gut umsetzen zu können, denn das optimale Angebot sollte doch gewährleistet werden.

Wenn man sich vorstellt, dass der Großteil der pflegebedürftigen Menschen von ihren Angehörigen zu Hause betreut wird, dann muss man diese Menschen
auch entsprechend entlasten. Die häusliche Pflege ist dort, wo sie mit dem ge­sundheitlichen Zustand des zu Pflegenden und den Wohn- und Betreuungs­verhältnissen in Einklang zu bringen ist, absolut zu priorisieren. Also bei uns ist immer das Motto: privat vor stationär, so viel wie möglich und so lange wie möglich zu Hause bleiben, denn alle Umfragen zeigen, dass dies für die meisten Betroffenen einen ganz hohen Stellenwert hat. Da geht es um die gewohn­te Umgebung, da geht es auch um soziale Kontakte, die für die Menschen wich­tig sind, und da geht es eigentlich um ein Stück höchstpersönliche Heimat; und das sollte man nicht unterschätzen, gerade bei den Menschen, die zu pfle­gen sind.

Dort, wo es die Umstände verlangen, müssen wir natürlich eine professionelle und adäquate stationäre Pflege sicherstellen.

Das ist anzugreifen, sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite und darf keine parteipolitische Frage sein. Aber soweit ich die aktuelle Diskussion überblicke und die hochkarätige Besetzung dieser Bundesratsenquete zeigt es auch, wissen wir wirklich über alle Parteigrenzen hinweg, dass wir da tätig werden müssen und dass wir diesbezüglich zusammenstehen müssen, damit wir in die richtige Richtung gehen können. (Beifall.)

Mit breiten Mehrheiten wurden im Jahr 2017 der Pflegeregress abgeschafft und 2019 die Valorisierung des Pflegegeldes vorangetrieben, in diesem Haus auch beschlossen und eingeführt. Dies ist in Zeiten anhaltender hoher Inflation und einer vielfältigen Verteuerung vor allen Dingen für die zu Pflegenden und
deren Angehörige, der Ausgaben für ihre Grundbedürfnisse Wohnen, Heizen, Essen und medizinische Versorgung, eine wichtige Errungenschaft, an der auch in Zukunft nicht gerüttelt werden darf. Der volle Inflationsausgleich für die Betroffenen – und das möglichst zeitnah, am besten vierteljährlich – ist eigentlich die Basis für eine nachhaltige soziale Absicherung unseres Pflege­systems.

Das Wichtigste aber, das wir brauchen, ist Personal. Es muss meines Erachtens ernsthaft damit begonnen werden, dass Image der Pflege wieder zu verbes­sern. Die Pflege hat leider immer wieder so einen Touch, da will man nicht hin. Und gerade die Jugendlichen haben irgendwie auch eine Scheu, in den Pflegebereich zu gehen. Ich glaube, wir sollten insbesondere bei den Jugendli­chen da ansetzen und schauen, dass wir Jugendliche vermehrt in den Pfle­gebereich bekommen. Der gesellschaftliche Stellenwert der Pflege muss wieder angehoben werden, damit es zu einer umfassenden Wertschätzung kommt.

In Niederösterreich gibt es zum Beispiel keinen Mangel an Stellen in der Pflegeausbildung, aber es gibt leider einen Mangel an Bewerbern. Und bei all jenen, die wir in die Ausbildung bringen, gibt es eine unglaublich hohe
Drop-out-Quote und sie hören relativ bald in diesem Berufsbild wieder auf.

Ich glaube daher, dass wir da schon Dinge, das Bild ändern müssen. Wir müssen es attraktiver machen von den Arbeitsbedingungen her, aber natürlich auch
von der finanziellen Abgeltung her. Uns ist bewusst, dass die Akademisierung, die vor Jahren in diesem Bereich stattgefunden hat, eher kontraproduktiv gewirkt hat (Beifall), denn es ist bei jenen, die die Pflege ausüben, fachspezifi­sches Wissen notwendig. Es ist vielleicht nicht so sehr wichtig, dass man die Matura hat, um dann erst die Ausbildung zu machen. Ich glaube, dass wir vielleicht ein bisschen zu viele Häuptlinge und zu wenige Indianer produ­zieren. Ich habe das Gefühl, wir sollten mehr aktiv Pflegende in den Pflegebe­reich bekommen. (Beifall.)

Wir müssen dringend die Pflegelehre weiterentwickeln; ich glaube, heute Nachmittag findet dazu hier im Hause ein Termin statt. Wir müssen die Jugend begeistern, wir müssen schauen, dass viele Jugendliche in die Pflege gehen,
damit wir auch unsere eigenen Leute in diesen Bereich bringen. Es darf kein Kästchendenken sein, sondern es muss eine gesamtheitliche Lösung kommen.

In einem kooperativen Bundesstaat müssen Bund, Länder und Gemeinden über alle Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten und Angebote schaffen, die von
den Betroffenen und ihren Angehörigen auch angenommen werden.

Die laufenden Finanzausgleichsverhandlungen und die Vorbereitungen für
das Budget 2024 sind ein Rahmen, wo der Bund gefordert ist, eine ge­samtheitliche und umfassende Lösung finanziell sicherzustellen. Vom Bund und von den Ländern werden erhebliche Geldmittel in die Pflege gesteckt, wenn man aber vergleicht, was an Mitteln für Coronamaßnahmen eingesetzt worden ist, dann steht das in keiner Verhältnismäßigkeit. Daher sollte auch im Be­reich des Pflegegeldes, der 24-Stunden-Betreuung, der Ausbildung der Pflege­kräfte noch mehr Geld in die Hand genommen werden. (Beifall.)

Die finanzielle Bedeckung dieser Angebote muss sichergestellt sein. Nehmen
Sie einen Teil jener Mittel, die bisher in die Coronamaßnahmen geflossen sind, und geben Sie sie in die Hand der Pflege!

Als niederösterreichische Landesrätin darf ich Ihnen berichten, dass wir bereits mit gutem Beispiel vorangegangen sind. Die neue Landesregierung in Nie­derösterreich hat hier im Sinne des kooperativen Bundesstaates schon in den ersten Wochen einen entscheidenden Impuls gesetzt. Wir haben den neuen Pflegescheck eingeführt, wir geben den pflegebedürftigen Landsleuten zusätzlich 47 Millionen Euro pro Jahr, nach dem Grundsatz: daheim vor stationär. So soll die Pflege in den eigenen vier Wänden gefördert werden und hierfür stellt das Land Niederösterreich diesen Betrag zur Verfügung. Das ist vor allen Dingen ein sozialer Beitrag des Landes im Kampf gegen die Teue­rung auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch eine Aufwertung jener, die pflegen, und ein Danke an sie. (Beifall.)

Der Grundsatz ist auch da: daheim vor stationär, und in diesem Zusammenhang will auch Niederösterreich eine Offensive starten, um in moderne Technik
und altersgerechte Assistenzsysteme zu investieren, für ein umgebungsunter­stütztes und gesundes und unabhängiges Leben.

Um das für die Versorgung nötige Personal zu bekommen, ist es notwendig, die Pflegeausbildung zu forcieren, durch eine Pflegelehre – wie gesagt, heute Nachmittag, glaube ich, ist es so weit und es wird in diesem Haus zumindest da­rüber diskutiert. Die Zahl der höheren Schulen für Pflege muss ausgebaut werden. Niederösterreich wird ein Modell zur Anstellung von Auszubildenden in der Pflege ausarbeiten, mit dem Ziel, die Ausbildung damit attraktiver zu machen. Und die Qualität der 24-Stunden-Pflege, und da unterstütze ich alle, die sagen, es - - (Rufe: Betreuung!) –Bitte? (Rufe: Betreuung!) – Die Qualität der
24-Stunden-Betreuung, ja, ist insofern wichtig, als es notwendig ist – darin gebe ich jedem recht –, dass all jene, die zu uns kommen, die deutsche Sprache können, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ich, wenn ich eine zu Pflegende bin, von jemanden betreut werde, der mich nicht versteht und den ich
nicht verstehe. Das halte ich für nicht besonders zielführend.

Wichtig ist absolut diese Integration, mit der fachlichen Qualifikation auch
die sprachlichen Kompetenzen zu haben, um gut zu pflegen und pflegen zu kön­nen. (Beifall.) Wir müssen auch schauen, dass die österreichischen Pflege­kräfte in ihrem Beruf bleiben, dass man ihnen eine tatsächlich leistungsgerechte Bezahlung und ideale Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt, Arbeits- und Ersatzzeitgestaltung einräumt und dass sie ihren Beruf, für den sie sich ent­schieden haben, auch über lange Zeit ausüben können, damit sie nicht im wahrsten Sinne des Wortes ausgebrannt werden.

Zum Schluss möchte ich noch auf ein Thema zu sprechen kommen, welches mir persönlich ein großes Anliegen ist. In Österreich gibt es zurzeit über 42 000 pflegende Kinder – Kinder und Jugendliche, die Angehörige pflegen, die Verantwortung übernehmen und dabei eigentlich auf ein ihrem Alter entsprechendes Leben völlig verzichten.

Das muss ein Thema für uns sein! Viele von diesen Kindern wissen das eigentlich gar nicht, weil es für sie völlig selbstverständlich ist. Sie machen es unbewusst,
dass sie für ihre kranken Angehörigen da sind, die Dunkelziffer ist daher enorm. Diese pflegenden Jugendlichen und Kinder, diese Young Carers oder auch Pflegelöwen, wie ich sie immer nenne, dürfen nicht zur Regel werden respektive muss man ihnen Hilfe zukommen lassen, wenn sie Unterstützung brauchen. (Beifall.)

Wichtig in diesem Zusammenhang ist vor allen Dingen, dass man in die Schulen geht, dass man Aufklärungsarbeit macht, dass man mit den Kindergärten und
den Eltern in Kontakt tritt, damit sie faktisch das Thema weitertragen, und Wer­bung macht, damit es auch wirklich zielgerichtete Entlastungs- und Unter­stützungsmodelle gibt.

Was wir zukünftig jedenfalls brauchen, ist eine weiterentwickelte, differenzierte Versorgungsplanung, eine Gesamtstrategie mit allen Angeboten, mit keinen Denkverboten und eine große, breite Aufstellung, in der wir alle unsere Ideen einbringen und schauen, dass wir diesem Problem Herr werden. – Danke. (Beifall.)

10.02


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Landesrätin, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Panel 1 ist somit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihren Beitrag.

Ich darf dem Herrn Bundesminister noch einmal Danke für das heutige Kommen sagen. – Toi, toi, toi für den Ministerrat, alles Gute! (Heiterkeit und Beifall.)

10.02.23IV. Panel 2 „Zukunft der Pflege aus NGO-Perspektive“


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Wir kommen nun zu Panel 2, den Refe­raten zum Thema „Zukunft der Pflege aus NGO-Perspektive“.

Ich darf zu Beginn den Präsidenten des Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs, Herrn Franz Schnabl, um seinen Beitrag bitten. – Bitte schön, Herr Präsident.


10.02.45

Franz Schnabl (Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Frau Landesrätin! Geschätzte Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Teilnehmerinnen und liebe Teilnehmer! Ich möchte mich zunächst einmal für die Initiative, für diese Schwer­punktsetzung und für die Einladung zu dieser heutigen Enquete recht herz­lich bedanken, denn es ist ein gesellschaftlich wichtiges Thema – ein Thema, das uns alle irgendwann einmal in naher oder fernerer Zukunft treffen und herausfordern wird, aber auch ein Thema, das natürlich insbesondere die Politik, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Menschen, die in der Pflege arbei­ten, sowie die pflegenden Angehörigen in den Familien jetzt schon extrem heraus­fordert. Daher ist es ein hochaktuelles Thema.

Manche werden sich wundern, warum der Samariterbund als Rettungsor­ganisation und warum ich als Präsident einer Blaulichtorganisation hier zum Thema Pflege und Betreuung spreche. Der Samariterbund ist aber nicht nur eine Rettungsorganisation, wir sind eine der größten österreichischen Gesundheits-
und Sozialorganisationen. Wir haben mehr als zehn oder fast 20 stationäre Pfle­geeinrichtungen. Wir bieten natürlich Tagesbetreuungszentren, betreubares Wohnen, auch Unterstützung bei der 24-Stunden-Betreuung, vor allem speziell in Wien mit einem interessanten Projekt, das sehr hohen Zulauf und
Interesse findet, Wohngemeinschaften für Seniorinnen und Senioren, soge­nannte Senioren-WGs, und vieles andere mehr.

Schwerpunktmäßig arbeiten wir aber auch mit Universitäten an der Erforschung neuer Technologien im Bereich der Pflege, beispielsweise mit der Fach­hochschule Sankt Pölten. Dort verfolgen wir gemeinsam das Ziel eines leicht zugänglichen, verständlichen und niederschwelligen Fortbildungsangebo­tes für pflegende Angehörige, für Pflegepersonal, für zu pflegende Personen, auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der häuslichen Pflege und zu­sätzlich natürlich der Anwendung und Umsetzung neuer Technologieformen im Bereich der Pflege, die das Leben im Pflegebereich, das Arbeiten im Pflege­bereich, die Betreuung unterstützen, auf keinen Fall aber – der Bundesminister hat es vorhin schon ausdrücklich betont – ersetzen.

An technischen Möglichkeiten wurde und wird viel geforscht, aber es ist sehr, sehr wichtig, dass wir ein Prinzip feststellen und dreimal unterstreichen: All das, was im Bedarfsfall zur Verfügung steht, was den Haushalten sozusagen zur Verfügung gestellt werden kann, kann derzeit natürlich auch nur zur Verfügung stehen, wenn die entsprechenden finanziellen Mittel vorhanden sind. Und
das kann es auch in diesem Bereich nicht sein!

Gleich wie im Bereich der Gesundheit ist es ganz, ganz wichtig, dass Pflege in der höchsten, besten Qualität und nach dem höchsten Standard allen Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen und ihrer sozialen Stellung, zur Verfügung steht. So wie Armut bedeutet, dass man ein höheres Gesundheitsrisiko hat,
ist es natürlich auch so, dass finanzielle Möglichkeiten die Qualität der Pflege verbessern, und das kann es, meine sehr geehrten Damen und Herren, im Bereich der Pflege und angesichts des Anspruchs der besten Qualität für alle Menschen, den wir in dieser Gesellschaft haben, natürlich nicht sein. Es ist
daher sicherzustellen, dass alle, die Pflege und Betreuung brauchen, egal ob es um Personal oder um technische Hilfsmaßnahmen geht, diese in bester und höchster Qualität im nötigen Ausmaß zur Verfügung haben.

Die Bundesregierung hat voriges Jahr ein Pflegepaket vorgelegt. Darauf möchte ich nicht eingehen, da gibt es viele Dinge, die unseren Zuspruch finden, da
gibt es natürlich auch viele Dinge, über die man diskutieren muss. Was ich aber betone und was mich freut und was ich sehr unterstütze, ist, dass es eines
klar benennt: So wie bisher kann es im Bereich der Pflege und Betreuung nicht weitergehen. Das ist ein wichtiger, richtiger Ansatz insbesondere vor dem Hintergrund, dass viele Bedarfserrechnungen feststellen, dass wir bis 2030 in diesem Land in etwa 75 000 zusätzliche Pflegekräfte brauchen werden.

Weniger Beachtung in diesem Pflegepaket, neben dem Schwerpunkt Aus-, Fortbildung, Personal, findet aber ein Punkt, der mir als Präsident einer Hilfsor­ganisation, einer Gesundheits- und Sozialorganisation auch ganz besonders wichtig ist, nämlich die Gesundheit der bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieses Thema ist vielschichtig, und ich kann heute daher nur ein paar Aspekte ansprechen.

Es gibt keine bundesweit einheitliche, verpflichtende, bedarfsorientierte Personalplanung samt Personalschlüssel. Das halte ich aber für zwingend erfor­derlich. Es gibt nur da und dort unterschiedliche Standards, vage, unkon­trollierbare Personalschlüssel. Das bedeutet da und dort das Fehlen von Stunden und Personal, lindert und mindert auf der einen Seite die Ergebnisqualität beziehungsweise die Indikatoren dazu, führt auf der anderen Seite aber zu ge­sundheitlichen Schäden bei Bewohnerinnen und Bewohnern sowie auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Warum? – Leider ist die Rationierung von Pflegetätigkeiten ja da und dort schon längst Normalität und Realität. Daher muss in vielen Fällen das Personal auch gegen die eigene Überzeugung, gegen das eigene Verständnis etwas weniger leisten, da und dort reduzieren, weil es sich von der Zeit her einfach nicht
ausgeht. Das nagt und zehrt an der Arbeitszufriedenheit und führt in vielen Fällen auch zur Absicht, aus dem Beruf auszusteigen.

Die Gesundheit Österreich hat festgestellt, dass die durchschnittliche Verweildauer im Beruf nur sechs bis zehn Jahre beträgt. Während der Corona­pandemie lieferte eine weitere Studie die alarmierende Zahl, dass fast die Hälfte des Pflegepersonals immer wieder an den Berufsausstieg denkt und viele das dann tatsächlich auch irgendwann, nämlich nach sechs bis zehn Jahren, realisieren. Das hat nicht nur mit der Überlastung zu tun, die während der Pande­mie besonders groß war, sondern es gibt viele, viele andere Hinweise und Warnungen des Pflegepersonals, die vielfach von der Politik und anderen Ver­antwortlichen lange Zeit ungehört blieben.

Dabei sind natürlich auch das Gehalt und die Anerkennung wichtig, und es ist notwendig, dass wir da Verbesserungen herbeiführen. Es ist aber genauso
wichtig, dass wir ganz deutlich auch die Arbeitsbedingungen verbessern. Das Personal fällt ja nicht vom Himmel, es wird also eine Zeit lang dauern,
bis wir die nötigen Ressourcen zur Verfügung haben, womit wir aber heute und sofort beginnen können, ist eine zeitnahe Verbesserung der Arbeitsbedin­gungen. Dazu gehören die Betriebliche Gesundheitsförderung und die Entwick­lung von berufsspezifischen Präventions- und Versorgungsangeboten.
Auch das kostet – das ist an die Adresse der Länder und der Gemeinden ge­richtet – Geld!

Geld kostet auch, was wir im Samariterbund mit unserem Kollektivvertrag schon vereinbart haben, nämlich die Reduzierung der Arbeitszeit und eine sechste Urlaubswoche, die sogenannte Entlastungswoche. Diese halte ich im Pflege- und Gesundheitsbereich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für entsprechend wichtig und auch für eine unmittelbare Möglichkeit, die Arbeitsrahmenbedingun­gen schon jetzt und nicht erst 2030 zu verbessern.

Wir müssen anerkennen, dass Pflege und Betreuung Schwerstarbeit ist, und es bedarf der Einsicht, dass die körperliche und geistige Gesundheit auch des
Pflege- und Betreuungspersonals mehr Beachtung braucht. Der Bundesminister hat es eingangs schon gesagt, ich als Präsident einer Gesundheits- und So­zialorganisation möchte das nochmals unterstreichen.

Die Zukunft der Pflege bleibt eine Pflege von Mensch zu Mensch, und das bedeutet, dass auf beiden Seiten des Arbeitsereignisses Menschen tätig sind, die ideale Arbeits-, die ideale Rahmenbedingungen, die entsprechende Aner­kennung, die Technologie als Ergänzung und die Prävention für ihre eigene Ge­sundheit in allen Altersgruppen und Berufsbereichen benötigen. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.12


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Präsident, für deine Ausführungen.

Ich darf nun Frau Petra Schmidt vom Österreichischen Roten Kreuz um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Schmidt.


10.12.59

Petra Schmidt, MSc (Österreichisches Rotes Kreuz)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Her­ren! Ich möchte mich zuallererst sehr herzlich dafür bedanken, dass auch wir als Rotes Kreuz, als Trägerorganisation, hier ein paar Worte sprechen dürfen. Auch wir sind ja bekannt als Blaulichtorganisation, wir haben aber ein breites
Maß an Expertise sowohl im stationären Langzeitpflegebereich, im teilstationä­ren Bereich, insbesondere aber in der mobilen Pflege und Betreuung.

Wie wichtig dieses Thema ist, denke ich, ist uns allen klar, wenn wir Medienbe­richterstattungen verfolgen. Ich darf wörtlich eine Pflegeperson zitieren, eine DGKP, die gesagt hat: Mit so wenig Personal geht es einfach nicht, dass man jeden – und damit meint sie pflegebedürftige Menschen – einmal in der Woche duscht. – Das sind Berichte aus der Praxis.

Aus diesem Statement, glaube ich, können wir ableiten, wie groß das Maß an Frustration und Verzweiflung bei diesen Menschen schon ist. Das sind Menschen, die mit einer großen Motivation in den Beruf gehen oder gegangen sind, die sehr, sehr viel Verantwortungsbewusstsein haben, sich im Moment
aber teilweise nicht mehr heraussehen. Dazu kommt, dass vor allem im mobilen Bereich, aber auch im stationären Bereich nahezu eine Stoppuhrpflege not­wendig ist, dass nur noch sehr, sehr wenig Zeit mit Klientinnen und Klienten ver­bracht werden kann. Pflege braucht aber viel Zeit und braucht gute Zuwen­dung, das haben wir heute schon gehört.

Nun, wer pflegt in Österreich? – Über 165 000 Personen arbeiten in Pflegeberufen. Allerdings sind 85 Prozent davon Frauen, und – ich denke, das wissen wir alle, es ist aber immer wieder alarmierend – 47 Prozent dieser Personen sind älter als 45 Jahre. 2021 haben nahezu 470 000 Personen in Ös­terreich Pflegegeld bezogen. Davon werden 80 Prozent zu Hause gepflegt und betreut und 40 Prozent dieser Menschen ausschließlich von pflegenden und betreuenden An- und Zugehörigen.

Auch das Rote Kreuz unterstützt natürlich massiv in dieser mobilen Pflege, unter anderem mit Rufhilfegeräten, ich denke, das ist Ihnen bekannt. Aber auch diese Zahl steigt eigentlich jährlich massiv an, was zeigt, dass der Bedarf an Unterstüt­zung vor allem auch daheim laufend zunimmt.

Über diese Menschen, also über die zu pflegenden Personen, aber auch über deren An- und Zugehörige möchte ich jetzt ein paar Worte sprechen.

Was wünschen sie sich? – Die meisten Menschen möchten zu Hause leben, solange es irgendwie möglich ist; sie möchten selbstbestimmt zu Hause leben; sie möchten informell gepflegt werden – ohne das geht es nicht –, und wenn
es nötig ist, möchten sie das Maß an Unterstützung durch professionelle Pflege- und Betreuungsangebote bekommen, das sie brauchen und das sie sich wünschen; und sie möchten auch, dass ihre An- und Zugehörigen ein lebenswer­tes und schönes Leben haben, wenn sie pflegen und betreuen.

Pflegebedürftige Menschen möchten finanziell ausreichend abgesichert sein;
sie möchten die Wahlfreiheit haben – das haben wir auch schon gehört –,
welches Maß an Unterstützung sie bekommen, sie möchten sich aber auch aussuchen können, von welcher Organisation oder von welchen Personen das erbracht wird. Das heißt, Umstrukturierungen ohne die Beteiligung von pflegebedürftigen Menschen und deren An- und Zugehörigen verursachen Verunsicherung und na­hezu auch Angst.

Dazu braucht es eine ausreichende Zahl sowohl stationärer als auch teilsta­tionärer und mobiler Angebote mit Pflege- und Betreuungspersonen, die ausreichend qualifiziert sind – und zwar in den Pflegeassistenzberufen genauso wie im gehobenen Dienst bis hin zu Masterabsolvent:innen. (Beifall.)

Schwerstkranke und sterbende Menschen möchten sich aussuchen können,
ob sie zu Hause leben und sterben oder ob sie das in einer stationären Einrichtung tun. Sie möchten sich darauf verlassen können, dass sie verlässlich in allen vier Dimensionen von Palliative Care, nämlich physisch, psychisch,
sozial und spirituell, gut unterstützt sind.

Einige sehr wichtige Schritte wurden in den letzten Jahren gesetzt, um pfle­gebedürftige Menschen und An- und Zugehörige zu unterstützen, aber
das brennendste Thema – ich denke, wir haben es heute schon gehört – ist die Personalfrage. In nur sieben Jahren – wir haben 2023 – werden uns vielleicht an die 100 000 Personen in Pflege- und Betreuungsberufen fehlen.

Es gibt da schon viele Förderungen, die umgesetzt worden sind, und viele Anreizmodelle, um Personen in diese Berufsausbildungen zu bringen, allerdings gerade für Berufsumsteiger:innen oder Quereinsteiger:innen, also für Perso­nen, die vielleicht nicht mehr am Beginn ihrer beruflichen Karriere stehen, ist es oft sehr verwirrend. Sie bekommen sehr unterschiedliche Antworten, auch wenn sie sich ans Arbeitsmarktservice wenden, worauf sie nun genau Anspruch haben, wenn sie zum Beispiel schon in Bildungskarenz sind, wenn sie viel­leicht schon ein Selbsterhalterstipendium kassieren. Das verunsichert diese Men­schen, daher verlieren wir auf diesem Weg einige interessierte und vielleicht
auch sehr geeignete Personen. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Lebenshaltungskosten, ihre Fixkosten verlässlich abgesichert sind,
bevor sie sich für einen Umstieg entscheiden.

Eine klare Linie, wie nun die Ausbildungsverordnungen für die Pflegeassistenz und für die Fachassistenz in diesem Setting umgesetzt werden können, braucht es auch in der Umsetzung der Lehre für die Assistenzberufe in der Pflege. Es braucht definierte Rahmenbedingungen für die Unterstützung und Begleitung der Lehrlinge, die ja erst ab dem 17. Geburtstag patientennahe arbeiten dürfen. Wir sprechen da von Jugendlichen, von jungen Menschen, die einen sehr heraus­fordernden und, ja, doch auch unter Umständen belastenden Berufsweg einschlagen. Ein flächendeckendes Schulsystem sowohl im dreijährigen Modell als auch im fünfjährigen, mit Matura, ist aus unserer Sicht sehr zu begrüßen, es braucht nur die räumliche Nähe. Im Moment ist diese noch lange nicht gege­ben, denn wenn man sich mit 15 überlegen muss, wo man in die Schule geht,
und dann einen Schulweg von 2 Stunden in Kauf nehmen muss, dann entscheidet man sich unter Umständen aus diesem Grund für einen anderen Berufsweg.

Ein großes Feld sind auch noch die Masterlehrgänge im tertiären Bereich. Diese sind derzeit überwiegend eigenfinanziert, das heißt, die Personen, die sie absolvieren, müssen sie aus eigener Tasche zahlen. Wir brauchen aber diese Spe­zialist:innen! Um jetzt nur einige Bereiche zu nennen: Wir brauchen Spe­zialist:innen im Wund- und Stomamanagement, wir brauchen Spezialist:innen für Diabetes oder zum Beispiel auch für Personen mit Demenz, deren Anzahl, wie wir ja alle wissen, laufend steigt. Derzeit ist es so, dass DGKPs, also Absol­vent:innen des gehobenen Dienstes, noch einmal 90 ECTS-Punkte, das sind eineinhalb Jahre, brauchen, um überhaupt einen Masterlehrgang absolvieren zu können. Das ist eine Riesenhürde.

Genauso wichtig ist es, dass es für diese – teilweise – jungen Menschen, aber natürlich auch für alle Personen, die in einen Pflegeberuf wechseln oder
sich begeben möchten, ein ausreichendes Maß an Praxisanleitung gibt. Das ist im Moment für uns Trägerorganisationen nicht finanziert. Das heißt, das ist eine Leistung, die wir zusätzlich erbringen. Allerdings: Wenn wir möchten, dass diese Menschen gut durch die Ausbildung kommen, qualifiziert begleitet werden
und mit einer hohen Qualität aus den Ausbildungen herausgehen, braucht es da ausreichend Ressourcen, um sie dabei zu unterstützen.

Vieles ist schon auf den Weg gebracht worden, um auch die Attraktivierung des Berufs zu erhöhen. Da ist die Entlastungswoche zu nennen. Ein bisschen ein Wermutstropfen ist, dass es nicht möglich war, diese für die Sozialbetreuungsbe­rufe einzuführen. Das ist in gemischten Teams, in denen Heimhelfer:innen genauso wie Personen aus Pflegeberufen arbeiten, ein Problem.

Die vorhandenen Rahmenbedingungen, die wir momentan vorfinden, müssen
auch ermöglichen, dass es eine Wahlfreiheit gibt, was den Arbeitsplatz betrifft. Wir haben vorhin schon von Arbeitszufriedenheit gehört und davon, wie
sehr wir einfach auch darauf achten müssen, dass es unseren Kolleginnen und Kollegen im beruflichen Umfeld gut geht.

Auf ein Thema möchte ich jetzt noch zu sprechen kommen: Pflegende Ange­hörige stehen ohnehin schon vor sehr, sehr vielen Herausforderungen, aber im Moment ganz besonders vor finanziellen Herausforderungen. Steigende
Mieten, hohe Energiekosten und die Teuerungen im Allgemeinen belasten sie sehr stark. Leider haben allerdings nicht alle pflegenden An- und Zugehörigen zu Hause Anspruch auf den Pflegebonus. Dieser kann ja erst, wenn man ein Jahr ge­pflegt oder betreut hat, und ab der Pflegestufe 4 bezogen werden. Da fallen
sehr, sehr viele Personen aus diesem Raster, die die finanzielle Unterstützung aber auf der anderen Seite sehr dringend brauchen können. Ab 1. Juli wird
es umgesetzt – also vielleicht gibt es da noch die Möglichkeit einer Anpassung, um wirklich auch alle Personen, die zu Hause pflegen und die das benötigen, unterstützen zu können. (Beifall.)

Über die 24-Stunden-Betreuung haben wir schon gesprochen. Da gab es jetzt eine Valorisierung der Förderung von 550 auf 640 Euro pro Monat. Wir wissen allerdings, dass das nicht ausreicht, wenn man sich für so ein Modell entschei­det – und um die Wahlfreiheit geht es uns ja –, um die Kosten zu decken.

Zusammengefasst möchte ich sagen: Neue Modelle sind gut, innovative Wege
in der Pflege sind sehr zu begrüßen. Es ist nur bitte darauf zu achten, dass das
auch praxistauglich ist, dass das wissenschaftlich gut begleitet und evaluiert ist. Wir als Rotes Kreuz stehen, so wie andere Trägerorganisationen sicher
auch, da selbstverständlich auch gerne mit unserer Praxiserfahrung zur Verfü­gung. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

10.23


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Schmidt, für Ihre wertvollen Ausführungen.

Panel 2 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Beiträge.

10.23.26V. Panel 3 „Pflege von morgen: Herausforderungen bis 2050
aus heutiger Sicht“


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Wir kommen nun zu Panel 3, den Referaten zum Thema „Pflege von morgen: Herausforderungen bis 2050 aus heutiger Sicht“.

Ich darf zu Beginn Frau DGKP Dr.in Christine Ecker vom Samariterbund Burgen­land Rettung und Soziale Dienste GmbH um ihren Beitrag bitten. – Bitte, Frau Doktor.


10.23.48

DGKP Dr. Christine Ecker, MBA MAS (Samariterbund Burgenland Rettung und Soziale Dienste GmbH)|: Was muss ein Pflegeberuf bieten, damit ich meinen liebsten Menschen empfehlen würde, diesen Beruf zu ergreifen?

Sehr geschätzte Damen und Herren hier im Saal! Sehr geschätzte Damen
und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Mein Name ist Christine Ecker und ich bin seit 40 Jahren Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Das
heißt, ich schaue auf einen langen Weg zurück, auf Erfahrungswerte, aber auch auf viele Pflegereformen, und ich möchte noch einmal fragen – dieser Satz
wird sich heute mehrfach in meinem Referat wiederfinden –: Was muss ein Pfle­geberuf bieten, damit ich meinen liebsten Menschen empfehlen würde, ihn zu ergreifen? (Vizepräsidentin Hahn übernimmt den Vorsitz.)

Nachdenken über Pflege von morgen: Was brauchen wir dazu? Ich möchte meinen Fokus wirklich auf die Ebene legen, dass wir fragen: Was sind Bedingungen, um gut in die Pflege, in den Pflegeberuf hineinwechseln zu können?

Es gibt drei große Ansprechpartner für uns aus den Pflegeberufen: Das ist zum einen die Politik, zum anderen ist das das Management der Pflege – und ich
meine damit alle, von den Rechtsträgern, den Organisationen, den Pflegeorgani­sationen, die Pflege anbieten, bis hin zu den Pflegedienstleitungen – und:
Was sind die Anforderungen der Pflege an die Gesellschaft?

Noch einmal, denken Sie an den Satz: Was muss der Pflegeberuf bieten, damit ich meinen liebsten Menschen diesen Beruf empfehlen würde?

Nehmen wir die Politik: Meine Vorredner haben schon sehr viel zu den Anforderungen, zu den Bekenntnissen, dazu gesagt, was wir von der Politik zu erwarten haben. Ich möchte jetzt, da schon sehr viel gesagt wurde, noch
einmal kurz zusammenfassen: Eine Attraktivierung des Berufes, eine Imagestei­gerung wurde schon angesprochen und gefordert. Das hat auch etwas mit Bezahlung zu tun. Sie müssen sich jetzt überlegen: Wenn ein junger Mensch sich überlegt, in welches Berufsfeld er geht, dann ist für ihn ganz klar, dass er
bereits am Anfang seiner Karriere, wenn ja eigentlich seine Lebensplanung rich­tig beginnt – man fängt an, Familie zu gründen, und so weiter und so fort –, Geld braucht. Sie müssen sich überlegen, ob junge Pflegende nicht ein höheres Einstiegsgehalt bekommen sollen. Die Bezahlung ist nicht alles, aber es ist ein großer Teil davon.

Das Zweite, was ich ansprechen möchte – Sie haben es heute schon von meiner Kollegin vom Roten Kreuz gehört –: Es sind nach wie vor über 80 Prozent
der in Pflegeberufen Tätigen Frauen. Für uns ist Kinderbetreuung essenziell. (Bei­fall.) Wo sollen wir unsere Kinder zur Versorgung hingeben, wenn wir gute Arbeit leisten wollen? Da müssen Sie darauf achten, dass die Kinderbetreuung gesichert ist. Was wir in den letzten 30 Jahren – und da ist es gut, dass ich
schon so weit zurückblicken kann – immer erlebt haben: Es gab zum Beispiel bei Krankenhäusern Betriebskindergärten; die sind alle aus Kostengründen
gestrichen worden. – Ich sage Ihnen, das sollten Sie wieder andenken: dass
man Kinderbetreuung anbietet, speziell ausgerichtet für Menschen, die 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag arbeiten; denn so ist es im Pflegeberuf. (Beifall.)

Um konkrete Zahlen zu nennen: Wir haben ja eine Registrierung unserer Berufe und wir wissen nach Berechnungen, dass wir bis 2030 75 000 Leute mehr in Pflege- und Betreuungsberufen brauchen. Wir wissen auch, dass in den nächs­ten sieben Jahren 34 000 Menschen in den Pflegeberufen in Pension gehen werden. Jetzt meine große Aufforderung an die Politik: Machen Sie diesen gut ausgebildeten Menschen, diesen 34 000 Menschen ein Angebot, dass sie
nach der Pensionierung noch eine Teilzeitarbeit in der Pflege annehmen, um die­se massive Lücke schließen zu können! Es waren schon Lippenbekenntnisse
da, aber es ist jetzt an der Zeit. Die 1963 Geborenen gehen jetzt – heuer, nächs­tes Jahr – in Pension; das war der geburtenstärkste Jahrgang in Österreich seit Beginn der Aufzeichnungen. 2002 hat es nur noch 68 000 Geburten gege­ben. Sie sehen, wir brauchen die jungen, gut ausgebildeten Pensionisten, und ich kann Ihnen sagen, es würden viele übernehmen.

Die Pflegelehre ist das nächste Thema. Wir haben jetzt die Pflegelehre, in vier Bundesländern werden Versuche gestartet: Es ist wirklich essenziell, diese
jungen Menschen gut zu begleiten.

Wir wissen aus der Schweiz, wo es dieses System schon lange gibt, dass 60 Prozent nach Beendigung der Ausbildung, also nach der Beendigung der Pfle­gelehre, aus dem Beruf wieder aussteigen. Wir müssen uns überlegen – ich habe mir das als Replik jetzt so gedacht –: Was ist, wenn diese Pensionisten, die­se jungen Pensionisten mit einer hohen Fachexpertise, die Praxisbegleitung und die Begleitung unserer jungen Menschen übernehmen würden? – Da wäre wirklich ganz viel zu machen. (Beifall.)

Bei Pflegethemen, bei allem, was über die Pflege – und ich sage es jetzt be­wusst – diskutiert wird, ist es meist so: Man redet über die Pflege; wir sind die Experten. – Wenn Sie ein Problem medizinischer Art haben, dann fragen
Sie auch nicht irgendwen, sondern gehen zu einem Arzt. Wenn Sie Pflegefragen haben, gehen Sie zu kompetenten Pflegemenschen! (Beifall.)

Die neuen Konzepte haben wir bereits öfter gehört. Ja, da müssen wir andenken: Wir haben sehr viele Probeprojekte, sage ich einmal, die sehr gut anlaufen, meistens nach der Finanzierung wieder geschlossen werden, und da müssen wir wirklich zu einer Art Aufzeichnung kommen: Wo laufen welche Projekte,
und was ist der Response? Was ist das Ergebnis dieses Projekts? – Machen wir Projektebewertungen, um zu sagen: Das in die Praxis umzusetzen zahlt
sich aus! Das wäre auch hoch an der Zeit und vor allem keine Ressourcenver­schwendung.

Karriere in der Pflege – wir sagen jetzt: von der Pflegelehre bis zum Doktorat – muss möglich sein. Es ist ein Frauenberuf, und zu sagen, dass die Akademi­sierung nicht notwendig ist oder dass sie ein Fehler war, würde heißen, dass man Frauen Karrieren vorenthält. (Beifall.) Meine Damen und Herren, lassen Sie das nicht zu! Die Akademisierung in Österreich ist viel zu spät begonnen worden, und die Akademisierung hat auch mit dem Pflegepersonalmangel, den wir jetzt haben, nichts zu tun. (Beifall. – Bundesrat Steiner: So ein Schwachsinn!)

Management und Pflegeleitungen: In den 1980er-Jahren ist in Amerika das System der Magnet Hospitals kreiert worden, und zwar wurden speziell in Kran­kenhäusern, in denen es einen massiven Pflegepersonalmangel gab, Wege entwickelt, wie man Pflegepersonal halten kann, wie man es ganz attraktiv ma­chen kann, dass die Leute in diesem Spital arbeiten. Wir haben dieses Konzept ins Deutsche übernommen, und sehr viele arbeiten auch danach.

Ich darf Ihnen wirklich wärmstens empfehlen, sich diese Managementregeln ein­mal anzuschauen, und zwar – es sind 14 Punkte, ich nenne jetzt nur die wichtigsten –: In der Pflegeführung muss jemand, der eine Führungsposition übernimmt, wirklich ein empathischer Mensch sein, der nichts von den Mitarbeitern verlangen würde, was er nicht auch selber zu leisten bereit ist. Da sieht man dann die Empathie für den Menschen. Jede Leitende muss hinterfragen: Mag ich Menschen wirklich?, denn nur dann kann sie in der Pfle­ge – das ist ein hochempathischer Beruf – wirklich auch gut führen. (Beifall.)

Es kommt auf den Managementstil an, es kommt auf die Karrieremöglichkeiten an, es kommt auch darauf an, eine Qualität einzubringen und einzufordern
und vor allem auch zu schauen: Wo stehe ich hinsichtlich meiner Qualität? Die Karrieren sind auch so etwas Wichtiges. Machen Sie es opportun! Sorgen
Sie dafür, dass in der Pflege jede Karriere möglich ist! Wir brauchen so viele Spe­zialisten. Die Medizin spezialisiert sich in allen Bereichen, und das ist auch in der Pflege so. Es braucht Spezialist:innen für Diabetes, Wundmanagement, und so weiter und so fort – da gibt es so vieles –, es braucht die Schoolnurse, die Schulschwester, die mit der Gesundheitserziehung bereits von klein auf, in der Volksschule beginnt. Das wären richtige Ansätze, auch im Sinne der Präven­tion, damit wir viel gesünder alt werden können.

Ja, was wollen wir von der Gesellschaft haben? – Etwas ganz, ganz Wichtiges: Wir brauchen sie, wir brauchen sie und ihren Zuspruch. Wir brauchen sie
als Partner – im Umgang mit Patienten, im Umgang mit Klienten, in der häusli­chen Versorgung und im Umgang mit Bewohnern in Langzeitpflegeein­richtungen. Wir brauchen sie als Partner. Sprechen Sie mit uns! Wenn Ihnen irgendetwas unklar ist, sprechen Sie mit uns! Wir wollen gute Partner sein, um für die Bevölkerung wirklich den Pflegestandard halten zu können und heben zu können.

Die Qualitätssicherung ist uns etwas ganz, ganz Wichtiges. Die Wertschätzung von der Bevölkerung geht auch über die Medien. Wir hören immer nur
vom Pflegeskandal. Wenn irgendwo etwas vorfällt, dann gibt es einen Pflege­skandal. Wo sind die vielen positiven Berichte? Wo sind die Berichte, in denen die vielen Menschen hervorgehoben werden, die tagtäglich super Arbeit leisten?

Jetzt sage ich noch einmal meinen Wahlspruch: Was muss ein Pflegeberuf bieten, damit ich meinen liebsten Menschen empfehlen würde, ihn zu ergreifen und auszuüben?

Wir haben momentan ein Reglement; wir werden auf verschiedensten Ebenen kontrolliert: Volksanwaltschaft, Behörden, und so weiter und so fort. Ich sage Ihnen, ich bin dafür, dass man seine Tätigkeit immer offenlegt. Es soll Kontrollen geben, nur: Wir wünschen uns, dass diese Kontrollen auch immer von Pfle­gepersonen begleitet werden. Wir werden momentan von anderen Berufsgrup­pen kontrolliert, und das ist nicht im Sinne einer Wertschätzung dem Pflege­beruf gegenüber.

Wissen Sie, nur jammern ist auch zu wenig. Jetzt müssen wir einmal in die Gänge kommen und etwas tun! Die politischen Bekenntnisse sind ja jetzt lange genug
da, und ich sage Ihnen: Wir aus der Pflege brauchen keine Bonbonniere und wir brauchen aber auch kein Rohrstaberl. Wir brauchen Anerkennung und Wert­schätzung!

Was muss ein Pflegeberuf bieten, damit ich meinen liebsten Menschen in diesen Beruf schicken würde? – Danke. (Beifall.)

10.38


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Dr.in Ecker.

Ich darf nun den Sektionschef des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Herrn Mag. Manfred Pallinger, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Sektionschef.


10.38.40

SC Mag. Manfred Pallinger (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte
Frau Landesrätin! Sehr geehrte Abgeordnete und Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren, Expertinnen und Experten, alle, die hier
sind und die zuhören! Ich darf mich zu Beginn ganz herzlich dafür bedanken, dass auch die Verwaltung ein paar Worte sagen darf. Als Vertreter des Sozial­ministeriums, der für die Langzeitpflege zuständig ist, tue ich das sehr gerne und ich tue das gleich einleitend auch damit, dass ich sage: Der Herr Bundesmi­nister ist ja jetzt zuständig für Pflege und Gesundheit. Die Gesundheit ist bei uns in einer anderen Sektion, es gibt sehr viele Anknüpfungspunkte, aber ich konzentriere mich auf die Punkte, bei denen ich mich ein bisschen besser aus­kenne, und das sage ich auch gleich zu Beginn dazu.

Das Thema ist die Zukunft der Pflege, aber gestatten Sie mir ein paar Worte zur Gegenwart mit ein bisschen Vergangenheitsrückblick dazu, denn die Grundla­ge für die Pflegevorsorge in Österreich ist eine sogenannte Artikel-15a-Verein­barung, also eine „Vereinbarung zwischen dem Bund und den Län­dern [...] über“ – und da haben wir das Wort schon drinnen – „gemeinsa­me Maßnahmen [...] für pflegebedürftige Menschen“ in Österreich. Diese Ver­einbarung aus dem Jahr 1993 ist also 30 Jahre alt. Ich werde am Schluss vielleicht noch einmal dazu kommen: Es wäre Zeit, sie sich aufgrund der geän­derten Rahmenbedingungen, die in der Zwischenzeit eingetreten sind, ge­nauer anzuschauen und vielleicht auf einen neueren Stand zu bringen.

Trotzdem noch einmal ein paar Zahlen – ganz grob gesprochen, ist der Bund zuständig für die Geldleistungen: fürs Pflegegeld, aber auch für die so­zialversicherungsrechtliche Absicherung von pflegenden Angehörigen, von pflegenden Personen, und noch einmal: Wir haben derzeit einen Auf­wand im Pflegegeld von 2,8 Milliarden Euro pro Jahr für 472 000 Personen, das sind die, die aktuell Pflegegeld beziehen.

Ich darf die Gelegenheit noch einmal nutzen, um in diesem Zusammenhang auf den Zweck des Pflegegeldes hinzuweisen. Das Pflegegeld ist nämlich ein Beitrag – ein Beitrag für die Kosten, die im Zusammenhang mit der Pflege auf­laufen, und es soll dazu beitragen, selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen. Das Wort Selbstbestimmung, das heute schon gefallen ist, bezeichnet die Mög­lichkeit der Teilhabe auch im Zusammenhang mit Menschen mit Behinde­rungen, der Herr Landeshauptmann hat es heute schon erwähnt. Das ist ganz wichtig, das darf man nicht vergessen. Das ist der Zweck des Pflegegeldes.

Das Pflegegeld soll auch die Möglichkeit bieten, selbst auszuwählen, was man damit tut.

Für Unterstützungsmaßnahmen für Angehörige ist ebenfalls der Bund zuständig. Ich darf in diesem Zusammenhang unter anderem das Pflegekarenzgeld erwähnen. Ich darf außerdem die Ersatzpflege erwähnen. Summa summarum sind wir derzeit fast bei 100 Millionen Euro, die für die An- und Zugehörigen aufgewendet werden. Das ist eine wichtige Säule im System, ganz ohne Frage.

Wir haben einer Studie zufolge 950 000 An- und Zugehörige, und davon – die Frau Landesrätin hat es schon erwähnt – 42 000 junge Menschen, die da
tätig sind. Bei dieser Gelegenheit bringe ich an: Für diese jungen Menschen ha-ben wir eine App entwickelt. Auf unserer Homepage können Sie nachschau­en, wie diese funktioniert. Für alle kritischen Anmerkungen sind wir im Zuge der Entwicklung dieser App sehr dankbar.

Es geht aber nicht nur um Pflegegeld. Ich darf auch erwähnen, dass zusätzliche Mittel natürlich über den Pflegefonds flüssig gemacht werden. Der Pflege­fonds wurde 2011 eingeführt, als die Entwicklung aufgrund der Demografie und der damaligen Lage die Länder und die Gemeinden in eine schwierige Lage gebracht hat – wenn ich von Ländern spreche, dann denken Sie Gemeinde- und Städtebund bitte auch immer mit, ich schaue in Richtung Kollegen –, weil
das ja auf der regionalen Ebene ganz wichtige Träger der Umsetzung der Pflege und Betreuung sind. Derzeit ist dieser Pflegefonds mit knapp 436 Millionen
Euro dotiert und, das muss man ehrlicherweise sagen, ein Drittel davon kommt durch die Finanzierung der Länder selbst.

Von einer weiteren wesentlichen Säule, der 24-Stunden-Betreuung, haben wir heute schon mehrfach gehört. Derzeit, also im letzten Jahr, betrug der Aufwand noch 160 Millionen Euro. Das wird mehr werden. Wir haben 22 500 Fälle,
also Förderfälle. Ich spreche nur von den Förderfällen, die über das Sozialminis­teriumsservice abgewickelt werden. Weil es auch angesprochen worden ist, bringe ich das Stichwort gleich jetzt an: Qualitätssicherung.

Diplomierte Pflegefachkräfte machen im Jahr bei allen diesen 24-Stunden-Betreuungsförderfällen Hausbesuche zur Begleitung, zur Unterstützung, zur Information, und die Ergebnisse – das können Sie auch auf unserer Home­page nachschauen – sind durchaus positiv; was nicht heißt, dass es keinen Ver­besserungsbedarf gibt und in diese Richtung nicht auch weiterentwickelt werden soll.

Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist, ist die Hospiz- und Palliativversorgung. Da ist es gelungen, die Unterstützung massiv auszuweiten. Wir hatten früher 6 Millionen Euro pro Jahr. Jetzt geht es von Bundesseite um 21 Millionen Euro pro Jahr, plus Sozialversicherung, plus Länder. (Beifall.)

Ich werde noch darauf zu sprechen kommen: Das könnte ein gutes Beispiel sein, wie man in Zukunft die Zusammenarbeit zwischen den diversen Playern strukturell gestaltet. In dem Zusammenhang geht es darum, dass wir auf der re­gionalen Ebene Vereinbarungen schließen: zwischen Sozialversicherung, Län­dern und dem Bund. Diese Vereinbarungen werden dann umgesetzt, beinhalten die Planung und die Vorsorge. Diese Themen sind ja von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und natürlich regional zu beachten.

Das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Die Frau Landesrätin hat es vorhin schon gesagt, ich möchte es trotzdem auch noch einmal sagen: Es hat auch schon früher eine Valorisierung des Pflegegeldes gegeben, aber seit Inkrafttreten am 1. Jänner 2020 gibt es die laufende Valorisierung des Pflegegeldes. (Beifall.)

In Vorbereitung auf die heutige Sitzung habe ich mir die Stenographischen Protokolle der letzten Enquete des Bundesrates durchgeschaut, und eine der Hauptforderungen damals war die laufende Valorisierung des Pflegegel­des, und ein zweites Hauptthema war eben die Hospiz- und Palliativversorgung. Deswegen ist es mir jetzt eingefallen, wieder auf das Pflegegeld zurückzu­kommen.

Ein weiteres Thema, das wir haben, das war das dritte bei der letzten Enquete, ist der Entfall des Pflegeregresses, also der Zugriff auf Vermögen bei einer stationären Unterbringung, also einer Pflegeheimunterbringung. Das sind auch 300 Millionen Euro, die vom Bund allerdings an die Länder fließen und letztendlich zur Entlastung der Personen wesentlich beitragen. Auch das war Thema bei dieser letzten Enquete.

Auf der anderen Seite haben wir die Länder. Ganz grob gesprochen, Sie haben es heute schon gehört: stationär, teilstationär, mobile Dienste. Der Herr Lan­desrat hat es schon gesagt: Es gibt die Beiträge der Betroffenen durch das Pfle­gegeld und durch die Pensionen mit einem Nettoaufwand von knapp 2,7 Mil­liarden Euro, laut der letzten Pflegedienstleistungsstatistik, die wir haben.

Bei all diesen Grundsatzthemen zur Entwicklung, zur Weiterentwicklung, der Frage, in welche Richtung der Pflegefonds gehen soll, ist der Grundsatz ambulant vor stationär noch ein wesentliches Element. Man kann aber auch innovative Projekte lostreten. Man kann einmal etwas probieren. Eine persönliche Anmerkung: Ein bisschen eine Fehlerkultur fehlt bei uns schon, sodass man sich häufig nicht traut, etwas Neues zu probieren. (Beifall.)

Also diese Pflegegeschichte beinhaltet, dass man auch Innovationen fördern kann und darf. Gleich auch hier angemerkt: Wir versuchen, unsere Projekte zu evaluieren, ein Beispiel ist Communitynursing, dazu komme ich dann noch, und dann auch die Ergebnisse zu veröffentlichen und daraus zu lernen, dass man etwas besser machen kann.

Ich komme zum Pflegereformpaket. Der Herr Bundesminister hat es nur an­geschnitten, aber was war denn letztendlich das Ziel im Pflegereformpa­ket 1.0? Der Herr Minister hat es gesagt, und schon „1.0“ beinhaltet: Es sollen weitere Schritte folgen.

Das Ziel war, die Säulen, die ich erwähnt habe – Personal, Angehörige,
24-Stunden-Betreuung – zu stärken, zu stützen.

Entgelterhöhungs-Zweckzuschussgesetz ist ein bisschen ein sperriger Titel, aber was soll man machen, es ist technisch nicht anders gegangen. Ich komme
ja aus der Technik, aus der Legistik. Es ist ein Zweckzuschuss an die Länder mit dem Hintergedanken, dass dieser Betrag letztendlich lohnerhöhend, auf
Dauer lohnerhöhend wirkt, und daher ist das auch Thema im Finanzausgleich, das haben wir ja heute schon gehört.

Pflegeausbildung – wieder Zweckzuschussgesetz –: Die Ausbildungsbeiträge sollen zumindest 600 Euro betragen. Wir sind im Föderalismus. Das heißt, jedes Bundesland, wir haben es heute schon gehört, kann eigene Maßnahmen
setzen, aber der Bund sagt, wenigstens eine Mindesthöhe soll gewährleistet sein. Das sind auch 88 Millionen Euro, die da pro Jahr als Zweckzuschuss an die Länder gehen.

Wir haben das Stichwort Entlastungswoche gehört. Ich sage jetzt in dem Zusammenhang noch: Unterstützung für pflegende Angehörige, weil Herr Prä­sident Schnabl die Kurse genannt hat, die für pflegende Angehörige ange­boten werden. Die können in Zukunft auch unterstützt werden. Wir unterstüt­zen die Angehörigen auch im Rahmen von Angehörigengesprächen et cetera.

Sie sehen an dem, was ich hier schildere: Es gibt schon viel, es gibt wirklich viel. Es ist viel da. Die Frage ist nur: Kommt es an die Menschen heran? Wie
kommt es an sie heran? Wie können wir das besser machen? Das ist ein wesent­liches Element, mit dem wir uns auch beschäftigen.

Ein weiterer Punkt soll nicht unter den Tisch fallen. Wir haben in diesem Zusammenhang eine Novelle zum Bundespflegegeldgesetz gemacht – Stichwort Demenz, Erschwerniszuschlag, Erhöhung des Erschwerniszuschlags. Das ist immerhin eine Maßnahme, die über 8 000 Personen betrifft, die dann schließlich mehr bekommen, und sie hat einen Umfang – so, jetzt muss ich nach­schauen – von 25 Millionen Euro pro Jahr.

Wir haben – und das ist mir wichtig, denn im Fall der Anrechnung der erhöhten Familienbeihilfe, das betrifft vor allem Familien mit Kindern, sind es 46 000 Personen, die davon profitieren, mit einem Aufwand von wieder 33 Mil­lionen Euro pro Jahr – den Angehörigenbonus, der in Kraft treten wird. Heuer sind es nur 750 Euro, weil es nur ein halbes Jahr betrifft, und nächstes Jahr dann 1 500 Euro. Ob sich da noch etwas bewegt, ist eben eine politi­sche Frage. Das ist aber ein Element zur Stärkung der Betreuung der Angehö­rigen. Davon werden im Endausbau circa 50 000 Personen profitieren – wiederum mit 88 Millionen Euro. Also da geht schon was, da summiert sich schon was über die Jahre hinweg. (Beifall.)

Zur Säule 24-Stunden-Betreuung: Jetzt kann man sagen, das ist zu wenig; auch da, glaube ich, wird noch nachgedacht, wenn ich das so formulieren darf, aber immerhin sind es in Summe 26 Millionen Euro, die zu den 160 Millionen Euro dazukommen werden. Unser Anteil war ja 16 Millionen Euro, also die 10 Prozent des Bundes. Da gibt es auch eine Vereinbarung mit den Ländern, wiederum technisch eine 15a-Vereinbarung, aber lassen wir diese Begrifflich­keiten weg – also eine Vereinbarung mit den Bundesländern, wobei die Kosten im Verhältnis 40 : 60 geteilt werden, nämlich: 60 Prozent der Bund, 40 Pro­zent die Länder.

In diesem Zusammenhang haben wir auch – weil die Agenturen angesprochen worden sind – vor einiger Zeit versucht, über Qualitätssicherungsmaßnah­men, das sogenannte ÖQZ-24, einen Anreiz zu schaffen, sich bestimmten Qua­litätskriterien zu unterwerfen, wenn Sie mir dieses Wort in diesem Zusam­menhang gestatten.

Wichtiger Punkt, weil wir das als Kritik mitgenommen haben: Diese Gelder kommen bei den Menschen an. Das Pflegegeld, aber auch die Erhöhung für das Personal. Jetzt kann man wieder sagen, das ist zu wenig, aber es sind zusätzli­che Mittel, die direkt bei den Menschen ankommen. (Beifall.)

Ein Aspekt noch: Die Pflege ist weiblich, das ist ja schon mehrfach gesagt wor­den – ich schaue die Kollegin an, weil wir kurz davor über das Wort Investitionen gesprochen haben. Investitionen in die Pflege kommen natürlich vorwiegend Frauen zugute, im Beruf, zu Hause et cetera.

Die rote Lampe blinkt –auf meinem Zettel steht als Letztes: Wo geht die Reise hin? Ich möchte zwei Dinge voneinander unterscheiden. Das eine ist das In­haltliche, und das andere ist das Strukturelle.

Das Inhaltliche – wir haben schon darüber gesprochen –: die Demografie, da wird man mehr Personal brauchen. Ziel Nummer 1 haben wir heute schon
gehört, werden wir sicher noch hören: Personal. Geld allein pflegt nicht! Sie brauchen Personen, Menschen, die Zuwendung geben. Mit Geld allein
geht es nicht, und daher wird man sich die Frage stellen, eine politische Frage: Wo und in welcher Form kommt dieses Personal letztendlich her?

Der zweite Aspekt, den ich aufgreife, ist der präventive Aspekt. Der Herr Bundesminister hat es ja eh gesagt, ich glaube, ich kann es nicht besser sagen, daher bringe ich es dahin gehend auf den Punkt: Für uns ist es wichtig,
über die Grenzen zu blicken. Die Frau Landesrätin nannte das Wort, ich habe mir nur überlegt, ich sage es so, wie es ist: Dieses Kastldenken muss man auf­brechen. Da muss man schauen, dass man darüber hinwegkommt. In diese Rich­tung muss es letztendlich gehen: weg von den Finanzierungstöpfen, dazu übergehen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und um ihn herum das System aufzubauen – und nicht den Menschen nach dem System richten. (Beifall.)

Ein Ansatz ist das Communitynursing. Da geht es darum, zu Hause ältere Personen zu besuchen, aber nicht nur; je nach Setting, wo man halt gerade ist. Wichtig ist es, zwischen den Systemen Brücken zu bauen, diese Brücken­baufunktion wahrzunehmen, eine Vernetzung herzustellen und letztendlich da­für zu sorgen, dass man sich dort, wo man ist, wohlfühlen kann und dass die gesamte Familie miteinbezogen werden kann, und das kann ein Community­nursing gewährleisten. Das Ganze wird evaluiert, 111 derartige Projekte lau­fen, habe ich gestern gelernt, also so viele Gemeinden sind da dabei. Wir werden das alles transparent gestalten, das ist der wichtigste Punkt.

Personal habe ich gesagt, Communitynursing habe ich gesagt, und jetzt komme ich zum letzten Punkt: zu den strukturellen Vorgaben. Der Rechnungshof hat schon mehrfach empfohlen, auf der bestehenden Verfassungslage – das ist wichtig – gemeinsame Steuerungsinstrumente, gemeinsame Entwicklungen vorzunehmen. Im Regierungsprogramm heißt das Zielsteuerung, das hat ein biss­chen so einen Touch, denn in der Gesundheit ist das nicht so einfach.

Wir sprechen von Pflegeentwicklungskommission, und einen solchen Prozess hat der Herr Bundesminister begonnen, der steht auch im Zusammenhang mit
den Finanzausgleichsverhandlungen, und wir laden die Länder, auch Städte- und Gemeindebund zu den diversen Besprechungen ein. Was soll das politische
Ziel sein, oder was könnte es sein? – Es geht um gemeinsame Zielfestlegungen, es geht um gemeinsame Abstimmungen, es geht um gemeinsamen Daten­austausch, es geht darum, dass das, was heute gesagt worden ist, von der Politik in einer gemeinsamen Kommission oder einer gemeinsamen Gruppe zusam­mengetragen wird, unter Einbeziehung von Expertinnen und Experten, die das aufbereiten, damit die Grundlage für politische Entscheidungen getroffen werden kann.

Diese sollen letztendlich dazu führen, dass wir – also ich sicher, möglicherweise bald –, wenn wir in die Lage kommen, Betreuung und Unterstützung zu be­nötigen, die bekommen, die wir brauchen, die wir möchten, dass wir sie uns leis­ten können und dass sie qualitätsvoll erbracht wird.

Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. – Danke schön. (Beifall.)

10.57


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für Ihre Aus­führungen.

Ich darf an dieser Stelle noch einmal freundlich an unser relativ strenges Zeitkorsett erinnern und jetzt als Nächste Frau Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin MMag.a Dr.in Elisabeth Rappold von Gesundheit Öster­reich um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte schön.


10.58.06

DGKP MMag. Dr. Elisabeth Rappold (Gesundheit Österreich GmbH)|: Sehr geehrte Damen und Herren im Saal! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Ich freue mich sehr, dass ich eingeladen wurde, hier
bei dieser Enquete ein paar Gedanken mit Ihnen auszutauschen. Ich leite bei der Gesundheit Österreich die Abteilung für Langzeitpflege und Gesundheits­berufe, und wir beschäftigen uns schon sehr lange mit dem Thema Pflege und Be­treuung und führen auch Pflegepersonalbedarfsprognosen durch.

Vieles ist heute schon gesagt worden, ich werde die Dinge aufgreifen, manches vielleicht in ein bisschen ein anderes Licht rücken und den einen oder ande­ren neuen Aspekt jedenfalls dazu bringen.

Was mir persönlich am Anfang einer Diskussion um Pflege und Betreuung ganz wichtig ist, ist, sichtbar zu machen, dass Pflegepersonen, also die Men­schen, die in einem Pflegeberuf arbeiten, unter Pflege in der Regel etwas ande­res verstehen als die Politik und die Verwaltung. Pflegepersonen verstehen
unter Pflege ihre Dienstleistung, egal ob im Krankenhaus, im Pflegeheim, bei den mobilen Diensten oder freiberuflich. Daher ist die Erwartung an eine Pfle­gereform aus beruflicher Sicht auch eine, die all diese Bereiche umfasst. Wenn wir heute hier über Pflege reden, geht es hingegen ganz viel um Pflegegeld, es geht um 24-Stunden-Betreuung, es geht um die Frage, wie wir sicherstellen können, dass Menschen in einem Pflegheim auch 2050 gut betreut werden. Deshalb ist die Diskussion manchmal ein bisschen verschoben, und nicht not­wendigerweise sprechen wir immer vom Gleichen.

Wir haben heute auch schon Zahlen gehört, ich werde auch da wahrscheinlich nicht viel Neues sagen, möchte sie aber trotzdem gerne erwähnen.

Die Altersstruktur der Bevölkerung in Österreich kennen wir: Die Zahl
der Menschen, die in Pension gehen, wächst, die Zahl von Personen unter dem Pensionsantrittsalter stagniert. Die Zahl jener, die im Erwerbsleben stehen,
wird bis 2050 um 4,3 Prozent abnehmen.

Ein anderer wesentlicher Aspekt ist, dass wir nicht gesünder werden. Die gesunde Lebenserwartung ist in Österreich in den letzten fünf Jahren
um 1,6 Jahre zurückgegangen.

Dann gibt es noch einen wesentlichen demografischen Aspekt, der auch nicht unberücksichtigt bleiben darf: Das ist die Bildungsentwicklung. Wir werden
2035 bei der Gruppe von Personen, die 18 Jahre alt sind, bei den Mädchen 60 Prozent haben, die eine Matura absolvieren werden, und bei den Knaben werden es 47 Prozent sein. Das heißt, auch diese Bildungsentwicklung ist
mit zu berücksichtigen, wenn wir über Berufsentwicklungen und über Ausbildun­gen im Pflegebereich sprechen.

Gepflegt und betreut werden wir heute von rund 140 000 Personen in Kran­kenanstalten, in Pflegeheimen, in Behinderteneinrichtungen und in mobilen Diensten. Wenn alles so bleibt, wie es heute ist, gehen davon bis 2050 90 000 Personen in Pension. Wenn alles so bleibt, wie es ist, brauchen wir aufgrund der demografischen Entwicklung 88 000 zusätzliche Pflegepersonen. Wenn alles so bleibt, wie es ist, bedeutet das, dass wir jährlich 7 000 Personen in unser System bringen müssen. Nun gilt es hier nachzudenken: Was tun wir heute, damit wir 2050 Pflege und Betreuung qualitätsvoll sicherstellen können? Es wird ein Zusammenspiel aus Investitionen ins Personal, in die Bevölkerung, aber auch in das Pflege- und Gesundheitssystem brauchen.

Die demografische Entwicklung und der damit verbundene Pflegebedarf können analog dem Klimawandel gesehen werden: Es ist absehbar, es kommt langsam auf uns zu, und wir können heute etwas dafür oder dagegen tun. Das Er­folgsrezept dort wie da heißt investieren und nicht sparen: investieren in Pflege­personal. Eine ganz wichtige Maßnahme ist nämlich, Menschen für Pflege begeistern zu können.

Dazu braucht es aber auch attraktive und konkurrenzfähige Bezahlung. Wir brauchen ein Aus-, Fort- und Weiterbildungssystem, das einerseits auf die Bildungsrealitäten der Menschen Rücksicht nimmt, aber auch eines, das Bildung für erwachsene Menschen ermöglicht. Auch das ist heute schon mehrfach gefallen. Wir brauchen – das halte ich für ganz wesentlich – ein realistisches Bild von Pflege und Betreuung in der Öffentlichkeit. Menschen müssen wissen, worauf sie sich in diesen Berufen einlassen, damit die heute schon erwähnte Drop-out-Rate aus Ausbildungen gesenkt wird. Es ist auch wichtig, Menschen
in den Berufen zu halten, weil sie ein realistisches Bild von Pflege haben.

Wir brauchen aber auch Maßnahmen, jene Menschen, die sich einmal für diese Berufe entschieden und sie ergriffen haben, dort zu halten. Dazu gibt es
auch sehr viele Ansätze, wie zum Beispiel durchgängige Karrieremodelle, begon­nen bei Heimhelferinnen über alle Berufsgruppen hinweg. Diese Karriere­modelle beinhalten aber auch Kompetenzerweiterungen für Berufe.

Mit Kompetenzerweiterungen verbunden sind selbstverständlich auch der Handlungsspielraum und die Anerkennung des Handlungsspielraums.
Wir müssen darauf vertrauen können, dass jene Personen, die diesen Beruf erlernt haben und sich weitergebildet haben, wissen, was sie tun, und
dass sie das Richtige tun. Betreuungs- und Pflegepersonen kämpfen sehr viel damit, dass es Aufsicht gibt und dass die Dokumentation aus der Notwen­digkeit einer Aufsicht heraus entsteht und nicht aus einer beruflichen Notwen­digkeit. Darauf zu vertrauen, dass Menschen in Pflege- und Betreuungsbe­rufen nicht in böser Absicht handeln, sondern wissen, was sie tun, weil sie es ge­lernt haben, ist eine ganz wesentliche wertschätzende Maßnahme diesen Berufen gegenüber. (Beifall.)

Neben dieser Wertschätzung braucht es natürlich auch Arbeitsbedingungen, die ein Miteinander sowohl von beruflichem als auch privatem Leben ermögli­chen. Da geht es in Wirklichkeit um ganz simple Maßnahmen, zum Beispiel um Dienstplansicherheit. Man muss als Berufsangehörige darauf vertrauen können, dass man, wenn man am nächsten Tag freihat, tatsächlich freihat. Man muss darauf vertrauen können, dass man, wenn man einen Urlaub einge­tragen hat, auf Urlaub fahren kann und dass nicht das Handy läutet und man zum Dienst kommen soll. Das wird nämlich als die größte Belastungsdi­mension beschrieben.

Ich glaube aber auch, dass es Maßnahmen braucht, damit die Berufsgruppen
selbst wieder über die Arbeit reflektieren und erkennen, wie wirksam sie sind, und wieder das Positive in der Arbeit in den Mittelpunkt stellen, damit
Menschen in Pflege- und Betreuungsberufen sowie Angehörige Markenbot­schafter:innen für den Beruf und für die Einrichtung werden, in der sie arbeiten. Das muss uns gelingen. Dann ist auch der Arbeitgeber als solcher wieder attraktiv.

Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass diese Investitionen in Pflegeberufe und in die Verbesserung der Situation alleine noch nicht ausreichen. Wir brauchen auch dort Investitionen, wo gesellschaftliche und politische Verant­wortung liegt, damit eine gesundheitsfördernde Lebenswelt gestaltet werden kann und wir es schaffen, Gesundheits- und Lebenskompetenzen bei allen Personen zu stärken.

Das heißt nämlich, dass Sie hier im Saal, ich hier am Podium und die Leute zu Hause gefordert sind, aktiv mitzuwirken, denn eine Pille gegen Pflegebe­dürftigkeit ist nicht erfunden. Das heißt, wir müssen so früh wie möglich, am Beginn des Lebens, anfangen. Das heißt, durch die Ausrollung der Frühen Hilfen zu investieren, zum Beispiel mit Frühinterventionen bei Schwangeren und in den ersten drei Lebensjahren von Kindern, damit die Entwicklungsförde­rung und die Entwicklungsmöglichkeiten gewährleistet sind und gesundheitliche Chancengerechtigkeit von Anfang an möglich ist.

Das bedeutet aber auch, dort zu investieren, wo wir arbeiten und leben. Das sind bei Kindern und Jugendlichen der Kindergarten und die Schulen. Dort besteht
die große Chance, zum Beispiel den Sportunterricht zu nutzen, um Freude an Be­wegung zu vermitteln. Derzeit wird Sportunterricht oft als soziale Druckkam­mer erlebt. Der Slogan muss sein: Breitensport statt Leistungssport. (Beifall.)

Sozialen Druck erleben Kinder und Jugendliche aber auch im Mathematikunter­richt oder in den sprachlichen Gegenständen, wenn sie dort nicht sehr fix sind. Das heißt, auch dort geht es darum, soziales Miteinander zu ermöglichen und Talente zu fördern, um den Druck herauszunehmen, immer nur Leis­tung zu erbringen.

Eine wesentliche Maßnahme in diesem Kontext ist die Einführung einer Schoolnurse, einer Schulgesundheitspflege. Das ermöglicht nämlich die Teilhabe von chronisch kranken Kindern am Unterricht und verhindert so Bildungs­benachteiligungen, die ja auch zu Benachteiligungen in der Gesundheit führen. Es ermöglicht die Unterstützung der Gesundheitserziehung durch die ge­samte schulische Laufbahn.

Es braucht die Zusammenarbeit mit Psychologen und Psychologinnen in der Schule auch zur Resilienzförderung und zur Persönlichkeitsentwicklung.
Denn das, was wir in der Arbeit oft als Druck erleben, erleben Kinder auch in der Schule. Diesbezüglich brauchen sie auch in der Schule Unterstützung.

Damit Gesundheit frühzeitig gefestigt und Pflegebedarf möglichst hintangestellt werden kann, müssen Gesundheit und Pflege tatsächlich in alle Politikbereiche Einzug halten. Sie wissen, Health in All Policies gibt es als Schlagwort schon sehr lange. Das kann man leicht umsetzen. Schauen wir , wie die pädagogisch-didaktischen Konzepte in unseren Lehrplänen sind! Fördern sie die Gesundheit oder erhöhen sie den sozialen Druck?

Das heißt, wir sollen Lebenswelten schaffen, damit sich auch sozial benachteilig­te Gruppen für Gesundheit entscheiden können. Das heißt, wir brauchen Gesundheitsinformationen, die von allen verstanden werden: von allen Sprach­niveaus und von allen Bildungsschichten.

Das bedeutet das Umsetzen wohnortnaher Konzepte. Wir haben es schon gehört: Community Health Nursing ist jedenfalls eine gute Möglichkeit, die Selbstpflege sehr gut zu unterstützen und das Leben zu Hause zu ermög­lichen.

Wir brauchen auch einen Aufgabenkatalog für die Gesundheits- und Krankenpflege in der Sozialversicherung, damit in jedem Dorf eine Pflegepraxis etabliert werden kann und lange Transportwege in Ambulanzen oder andere Einrichtungen verhindert werden. Einen Katheterwechsel kann man dort sehr gut durchführen.

Das bringt mich dann auch schon zur dritten Säule, in die zu investieren ist, nämlich in das Gesundheits- und Pflegesystem. Da brauchen wir eine integrierte Versorgung, die tatsächlich – angefangen von der Primärversorgung über
die akut stationäre Versorgung und den Bereich der Rehabilitation bis hin zur langzeitstationären und mobilen Versorgung – gewährleistet ist: verzahnt, miteinander angeboten und unterstützt durch digitale Angebote, beginnend beim Ausbau einer Primärversorgung mit einem multiprofessionellem
Team – das kann in einer Primärversorgungseinheit sein, das kann aber auch anders organisiert sein –, wo tatsächlich die Menschen im Mittelpunkt
stehen und die Gesundheitsprofessionen mit jenen Menschen arbeiten, bei denen gerade der größte Handlungsbedarf ist.

Das heißt aber auch, ein Versorgungssystem zu gestalten, durch das die Men­schen dort betreut werden, wo sie wohnen. Das ist bei Menschen im Pflegeheim das Pflegeheim, bei Menschen in Behinderteneinrichtungen in der Regel die Behinderteneinrichtung oder bei Menschen, die zu Hause leben, der niedergelas­sene Bereich. Da gilt es, die zahnärztliche, ärztliche und fachärztliche genauso
wie die pflegerische und therapeutische Versorgung sicherzustellen. Durch die Nutzung digitaler und anderer technischer Assistenzsysteme kann das gut unterstützt werden.

Damit nicht alles so bleibt, wie es ist, und wir Pflege 2050 und auch schon
auf dem Weg dorthin qualitätsvoll sicherstellen können, investieren wir doch heute in ein Pflege- und Betreuungssystem, das die Bedarfe der Bevölke­rung berücksichtigt und es ermöglicht, dass Menschen selbstbestimmt und in Würde altern! Investieren wir in eine integrierte Versorgung, die diesen Namen auch verdient! Investieren wir in einen abgestuften und niederschwelli­gen Ausbau gesundheitsfördernder und präventiver Angebote im wahrsten
Sinne des Wortes von der Wiege bis zur Bahre, um so Selbstpflegefähigkeiten zu erhalten und zu fördern und auch die gesundheitliche Chancengerechtigkeit
zu ermöglichen!

Investieren wir in den Ausbau tragfähiger sozialer Netzwerke zur Unterstützung der familiären Hilfeleistung und zur Stärkung der Solidarität zwischen Gene­rationen und zwischen den verschiedenen Gruppen! Investieren wir heute in Pflege- und Betreuungsberufe, damit Menschen sich für diese Berufe ent­scheiden und Menschen in diesen Berufen bleiben! Investieren wir heute in un­sere Zukunft! – Herzlichen Dank. (Beifall.)

11.14


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächste darf ich Frau DGKP Sabine Pürer vom Betreuungsnetz 24, die anstelle der erkrankten Daniela Steinbrugger referieren wird, um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte schön.


11.14.09

DGKP Sabine Pürer (Betreuungsnetz 24)|: Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren! Wie gesagt, ich bin heute nur durch puren Zufall hier und freue mich
sehr, denn auch ich bin schon sehr, sehr lange im Bereich Betreuung und Pflege tätig.

Ursprünglich bin auch ich ganz von der Basis. Ich bin seit 35 Jahren Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, habe aber das getan, was viele junge Menschen wählen: Ich bin gleich nach der Ausbildung ins Ausland und wollte ein Jahr Erfahrung sammeln und bin dann nach 15 Jahren wieder nach Österreich zurückgekommen.

Ich habe die Agentur Betreuungsnetz 24 jetzt bereits seit genau zehn Jahren. Sie wurde von einer Kollegin übernommen, die eine der ersten Agenturen in Österreich war. Sie hat sie gleich nach der Legalisierung 2008 gegründet, mit dem Schwerpunkt, Menschen zu Hause in Würde zu betreuen. Damals
war es noch so, dass wirklich Zeit war. Es gab auch noch nicht so viele Betreu­er:innen, meistens aus der Slowakei. Es war wirklich sehr einfach, gutes Betreuungs- oder damals Pflegepersonal zu finden. – Die Trennung zwischen 24-Stunden-Betreuung und 24-Stunden-Pflege besteht erst seit Kurzem, deswegen sage auch ich immer wieder fälschlicherweise Pflege. – Auf jeden Fall war es damals sehr einfach. Jetzt stehen wir vor einem wirklichen und sehr großen Problem.

Es wurde heute schon sehr viel gesagt. Ich glaube, ich muss mein Konzept ein bisschen ändern, sonst schaffe ich es in einer Viertelstunde nicht. Ich möchte Ihnen aber so authentisch wie möglich ein paar Schwerpunkte dazu sagen, was in der Basis im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung funktio­niert und was nicht funktioniert und wo wir es vielleicht gemeinsam – ich sehe das auch gemeinsam – schaffen können. Eine Partei alleine wird es nicht schaffen, es geht immer nur gemeinsam.

Ich stehe jetzt hier für Menschen, die zu Hause betreut werden wollen. Ich stehe hier für Menschen, die betreuen und pflegen. Ich stehe hier für alle Menschen,
die sich in Zukunft damit auseinandersetzen müssen, denn ich glaube
jeder Mensch kennt jemanden, wo betreut und gepflegt werden muss. (Beifall.)

Mein sogenannter roter Faden ist wie gesagt, dass immer der Mensch und die pflegenden Angehörigen im Mittelpunkt stehen. Das heißt, es sind ja immer die pflegenden Angehörigen, die auf uns zukommen und dann von Betreuer:in­nen Unterstützung benötigen. Eben dieser ganzheitliche Schwerpunkt wurde heute auch schon ganz zu Beginn erwähnt. Das heißt, einmal zu schauen:
Was ist zu Hause überhaupt los?

Damit komme ich jetzt – es käme später, aber ich kann es jetzt schon sagen –, zum ersten Mangel, den die Agenturen haben. Denn wo spart man aufgrund der geringen Kostendeckung? – Man spart eigentlich im Fachpersonal. Das heißt, die erste Begutachtung zu Hause, das erste Hallo-Sagen zu der zu betreuenden Person, muss durch eine Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin passie­ren. Das ist mein Ansatz.

Ich komme aus der Pflege, und ich könnte es gar nicht anders machen, bevor ich nicht geschaut habe, was vor Ort zu Hause wirklich los ist. Wie leben diese Menschen? Was brauchen sie? Auch zu schauen: Gibt es überhaupt ein geeigne­tes Zimmer für die Betreuerin? Oft findet man da Abstellkammern, wo ir­gendwelche Sofas sind.

Also das ist auch etwas ganz Wichtiges: zu schauen und dann auch darauf hinzuweisen: Bitte besorgen Sie für die Betreuerin ein richtiges Bett! Ohne diese Voraussetzungen organisiere ich keine 24-Stunden-Betreuung. Es muss
also zu Hause wirklich alles passen. (Beifall.)

Ich will niemandem zu nahetreten, aber das kann ich auch sagen: Es gibt wirklich schreckliche Agenturen. Wir wissen das. Es passieren schlimme Sachen, und
ich schäme mich wirklich für meine Branche.

Dazu muss ich auch sagen: Ich bin eine kleine Struktur – und das bewusst. Ich hätte auch eine große Agentur sein können und so wie viele andere mit möglichst vielen Klienten und möglichst vielen Betreuern in ganz Österreich auftreten können, aber genau das ist das Thema. Ich setze auch auf die Regionalität.

Ich habe diese Agentur. Der Sitz ist in Neusiedl am See, doch ich bin im Umkreis von ungefähr einer Stunde tätig. Das ist auch mit Kolleg:innen machbar. Wir
sind dann eigentlich auch vor Ort. Das ist – darauf komme ich auch nachher noch zu sprechen – auch eines der wichtigen Themen in der 24-Stunden-Betreu­ung, was aufgrund der geringen Leistbarkeit leider einfach gecancelt wird.

Wie eben schon gesagt: Legalisierung 2008. Auch die Förderungen wurden heute schon angesprochen. Die Förderung wurde jetzt nach 15 Jahren erhöht.
Mich hat es ein Lächeln gekostet. Ich denke: in 15 Jahren 90 Euro – super. Ich meine, das ist immerhin fast ein Wocheneinkauf. Ja, es ist ein kleiner Schritt. Ich will eigentlich keine Zahlen nennen, aber ich habe mir das ausrechnen lassen: Die Förderung müsste für zwei Personenbetreuer:innen vor Ort heute 800 Euro betragen.
Insgesamt werden jetzt 640 Euro für zwei bezahlt; wir sind immer noch quasi in der Coronaorganisation, dass auch schon die erste Betreuungskraft noch immer diese 640 Euro bekommt.

Genau, das ist jetzt das, was ich sehe: Wenn man in der 24-Stunden-Betreuung etwas angehen und verändern möchte, kann man es auf dieser Ebene leider
nur mit Geld machen. Wie gesagt, ich komme nachher noch auf eine andere Ebene zu sprechen. Geld ist nicht das Allerwichtigste, aber in diesem Punkt schon, weil da so viel dranhängt, denn: Gibt es zu wenige Förderungen, kön­nen wir die Betreuungskräfte, die jetzt aufstehen – und das kommt auch nachher; die Betreuungskräfte stehen auf, sie lassen sich diese Bedingungen nicht mehr gefallen und sie fordern mehr Geld –, nicht gut bezahlen. Ich war jetzt auch gezwungen: Meine Agentur ist im Burgenland sowieso vielleicht eine, die preislich ein bisschen höher ansetzt, und zwar aus bestimmtem Grund, nämlich weil ich die Betreuungskräfte gut bezahlen möchte. Das ist mir sehr wichtig. (Beifall.)

Natürlich können aber, weil die Leistbarkeit oft nicht gegeben ist, Agenturen, die so arbeiten wie ich – da gibt es ein paar –, wirklich nur einen geringen Teil der Bevölkerung abdecken, weil sich das ja nicht jeder leisten kann. Ich finde, das ist auch etwas, von dem ich denke, dass es doch unser Grundrecht ist, eine gute Betreuung und Pflege zu haben und so lange wie möglich zu Hause bleiben zu dürfen. Wenn wir jetzt von einer Mindestpension ausgehen, so können die zu betreuenden Personen unmöglich zu Hause bleiben, sie sind gezwungen, in eine Pflegeeinrichtung zu gehen.

Da gibt es jetzt ein paar Fragen, die Sie sich stellen können, wenn Sie möchten. Ich habe das sehr interessant gefunden, ich habe mir eine Liste gemacht, dass man sich das wirklich einmal aufschreibt: Wie möchte ich betreut und ge­pflegt werden? Das ist eine ganz wichtige Frage, man kann sich das einfach
einmal aufschreiben, unzensuriert. Wie möchte ich überhaupt behandelt wer­den? Ist es wirklich so, dass es gut ist? Ich meine, Pflegedienste sind sehr
wichtig, aber da gibt es noch ein anderes Level, denn das Problem bei den Pfle­gediensten oder bei – so wie es angesprochen wurde – solchen Zentralisie­rungspflegestellen, oder dabei, dass die 24-Stunden-Betreuung überhaupt ge­meinnützig wird – ich glaube, das wird so nicht gehen –, ist: Das ist ja dann nicht mehr individuell, es kommen dann verschiedene Betreuungskräfte zu einer Familie, so wie wir es jetzt auch im Pflegedienst haben. Das heißt: Wie möchte ich behandelt werden? Wer soll also zu mir kommen? Man soll eben,
wie Sie schon gesagt haben, auch diese Freiheit behalten dürfen, auszuwählen.

Das Allerwichtigste ist: Was brauche ich als Mensch? Wir sind Menschen, wir haben Grundbedürfnisse. Was brauchen wir denn? Wir brauchen alle das Gefühl, anerkannt und geliebt zu werden, und Vertrauen, Geborgenheit, die Sicherheit, dass jemand da ist, wenn ich alt bin, auch wenn ich keine Familie habe, denn dann, in dem Moment ist quasi mein Pflegedienst oder mein:e Betreuer:in meine Ersatzfamilie. Das muss man sich vorstellen, das ist ein total wichtiger Gedanke: Wenn ein alter Mensch niemanden mehr hat, wer bleibt dann übrig? Und natürlich brauchen wir Wärme, Respekt und Akzeptanz der Bedürfnisse, der Grundbedürfnisse, was ja oft einfach dann aufgrund vieler Aspekte nicht
mehr möglich ist.

Ist es nicht so, dass wir oft ein ganzes Leben für unsere Familie und unser Zuhause gelebt haben? Wir alle arbeiten also für ein gutes Zuhause
und für unsere Familie. Müssen wir das dann aufgeben, wenn wir alt und
krank sind? Eben, ich sehe das als mein Grundrecht an.

Die Vorteile der Betreuung und Pflege zu Hause wurden heute schon ein
paar Mal erwähnt: Die zu betreuende Person bleibt in ihrer gewohnten Umgebung, kann natürlich ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten und ihre Freund:innen treffen und zum Pensionistentreffen gehen. Es können na­türlich durch eine Person im Haushalt – mit einer Person, Schlüs­sel 1:1 oder 1:2 – alle Bedürfnisse beachtet werden, man kann einen indivi­duellen Rhythmus machen, man muss es nicht wie im Pflegeheim machen: um 6 Uhr gibt es Frühstück, um 8 Uhr wird man gewaschen und einmal in
der Woche wird man geduscht.

Ich habe in allen Einrichtungen gearbeitet, ich war überall tätig, angefangen von der Psychiatrie bis zu mobilen Pflegediensten, ich habe in diesen 35 Jahren wirklich alles kennengelernt. Das ist es aber: Dieses System – und ich glaube, da müssen wir ansetzen – ist grundlegend reformierbar. (Beifall.)

Es bräuchte eine Art Reset, ein Reset des ganzen Systems, so wie es jetzt mo­mentan vor Ort läuft.

Ein Vorteil von Betreuung und Pflege ist die Entlastung der Angehörigen, da­rüber wird nachher noch gesprochen. Natürlich ist es aber auch kosten­günstiger als eine Pflegeeinrichtung, es ist auf jeden Fall kostengünstiger. Ich habe es persönlich nicht ausgerechnet, aber es wurde mir ausgerechnet.

Jetzt kommen wir zur 24-Stunden-Betreuung: Was sind denn da wirklich die Mängel? Da gibt es eine große Liste und es gibt immer viele Filme über Dinge, die schlecht laufen. Aber es will heute auch gesagt werden, und ich darf es
nach zehn Jahren sagen: Es funktioniert super. Ich habe alles erlebt, was andere auch erleben: schlechtes Personal, nicht gekommen, Unzuverlässigkeit; alles,
was man so hört, habe ich auch erlebt. (Präsident Kovacs übernimmt den Vorsitz.)

Dann habe ich für mich mein eigenes System gefunden, und zwar: Der erste Punkt ist schon einmal die Rekrutierung, das wurde heute auch schon ein paar Mal angesprochen: Wie kommen wir zum Betreuungspersonal, wie komme ich zum Betreuungspersonal? Mir wurden im Laufe von zehn Jahren immer wieder Angebote gemacht, eine Zusammenarbeit mit Agenturen im Heimatland, ob das die Slowakei, Ungarn oder Rumänien ist – ich arbeite mit diesen drei
Ländern –, anzustreben. Ich habe es drei Mal versucht, habe es dann aber ab­gelehnt, denn das Problem ist: Die guten Personenbetreuer:innen, die jetzt schon seit ungefähr zehn Jahren oder länger hier in Österreich arbeiten, sprechen eigentlich alle gut Deutsch, sind alle erfahren. Aber wo gehen sie nicht hin? Natürlich gehen sie nicht zu diesen Agenturen im Heimatland, denn dort müssen sie dafür bezahlen, dass sie nach Österreich vermittelt werden,
und in Österreich müssen sie auch wieder bezahlen, damit sie von uns vermittelt werden. Das heißt: Die wirklich guten Betreuer:innen gehen nicht mehr zu diesen Agenturen.

Leider müssen die ganz großen Agenturen aber genau auf diese Agenturen zurückgreifen, weil man es einfach nicht mehr schafft, zu rekrutieren. Vielleicht können auch die größeren Agenturen wieder ein bisschen schauen: Wie
sind denn diese Agenturen vor Ort, im Heimatland überhaupt strukturiert? Denn da gibt es keine Kontrolle, die kann man nicht kontrollieren, die sind im
Ausland.

Ich sage Ihnen etwas, ich weiß das aus Erfahrung: Da wird man angerufen und es wird gesagt, es kommt dann und dann diese Frau, ich kann auch mit ihr tele­fonieren. Ja, danke, gut, ich telefoniere mit ihr, ich führe ein Videogespräch mit der Personenbetreuerin, denke: Okay, das könnte passen. Und dann be­kommt man in der Früh um 6 Uhr eine Nachricht: Es tut ihnen so leid, aber leider konnte diese Betreuerin doch nicht kommen, sie müssen einen Ersatz schicken. Und dann kommt ein Ersatz. Und diesen Ersatz habe ich schon, kaum reingekom­men, nach Hause geschickt: kein Wort Deutsch, schmuddelig und von Pflege
oder Betreuung keine Ahnung. Wie gesagt, ich habe diese Dame damals
gar nicht angenommen. Das, glaube ich, kann man aber auch nur sehen, wenn man dann, nach Ankunft der Betreuungskraft, zeitnah am Ort ist.

Da sind wir beim nächsten Thema: Die meisten Agenturen schaffen es aufgrund von Personaleinsparungen, weil es ja nicht leistbar ist, nicht, die können nicht jedes Mal gleich eine Diplomierte hinschicken, wenn eine Betreuerin kommt. Da kommt vielleicht irgendwann in diesem Zyklus eine Diplomierte schauen, vielleicht einmal im Monat, aber da ist die Betreuungskraft schon zwei oder drei Wochen da, oder vielleicht hat die schon zehn Mal angerufen und gesagt, es funktioniert vor Ort nicht. Da liegt der große Mangel. Ich habe es geschafft, dass ich zumindest innerhalb von 48 Stunden hinkomme.

Jetzt leuchtet schon das Licht, das habe ich mir wie gesagt eh gedacht. Jetzt habe ich zwei wichtige Sachen gesagt: Die Rekrutierung ist ein Problem. Zweiter Mangel: Es sind keine Diplomierten vor Ort. Das möchte ich jetzt noch einmal sagen, zu den Diplomierten, die vor Ort sind: Ich arbeite vernetzt mit frei­beruflichen diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegekräften, und das ist meiner Meinung nach der Schlüssel. Ich weiß, die Freiberuflichkeit in der Pflege ist politisch nicht so erwünscht, aber genau da liegt der Schlüssel.

Ich glaube, auch das Sozialministerium greift schon in der Qualitätssicherung der häuslichen Pflege darauf zurück – da war ich selbst auch vier Jahre lang tätig, freiberuflich habe ich mitgearbeitet und Pflegeberatungen vor Ort gemacht. Das finde ich ganz toll.

Momentan engagieren die Agenturen von den Pflegediensten die Diplomierten, die Pflegedienste werden also engagiert, damit sie quasi die Qualitätskontrol­len bei den Agenturen, bei den 24-Stunden-Betreuungskräften machen. Das ist aber zu wenig Zeit. Wissen Sie, wie lange ich bei einem Hausbesuch bin? – Eineinhalb Stunden, manchmal 2 und bei Aufnahmen oft 3 Stunden. Wenn man sich alles anschaut, wenn man sich den Zustand der Haut anschaut, wenn
man alles dokumentiert, wenn man die Betreuer:innen vor Ort einschult und ih­nen auch alles zeigt und schaut, was sie wirklich können, dann braucht man einfach Zeit. Ja, das ist meines Erachtens der Schlüssel.

Die Personenbetreuer, die schlecht sind, können eigentlich gar nichts dafür, denn das wurde ja so akzeptiert. Das heißt – es wurde heute auch schon gesagt –: Deutschkurse und Ausbildungen in Österreich für Personenbetreuer fände
ich sehr, sehr, sehr wichtig. Es werden Diplome gebracht, die teilweise
nicht authentisch, nicht gut sind, und man kann das nicht überprüfen. Man kann es wirklich nur vor Ort überprüfen.

Das Wichtigste wären eigentlich die Förderungen – ich habe da noch eine Liste, ich darf das noch schnell sagen, da sind auch meine Kolleg:innen an mich herangetreten –, die freiberuflichen diplomierten Gesundheits- und Krankenpfle­gekräfte, die immer mehr werden, weil sie das System nicht mehr wollen, sollten gefördert werden. Werden sie gefördert, dann kann man die Qualitäts­kontrollen auch bei jeder Agentur einbringen und auch die Qualität würde
immens verbessert. Das ist also meiner Meinung so ein Schlüssel: die freiberuf­lichen Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, die sich jetzt auf den Weg machen.

Noch ein Grund sind junge Mütter, und da bin ich auch selbst Betroffene. Ich war alleinerziehend mit drei Kindern und habe dann nach Lösungen gesucht.
Das ist jetzt schon wieder eine Weile her, aber ich habe damals keinen Job für mich gefunden. Ich musste 12 Stunden auf der Station sein, ich hätte
um 6 Uhr in der Früh weg müssen und wäre um 8 Uhr abends heimgekommen. Wie hätte ich das schaffen sollen?

Die jungen Menschen heute wollen frei sein. Die haben ein anderes Werte­system, das ihnen wichtig ist. Sie wollen die Freiheit und wir können sie nicht ins alte System zwängen – auch nicht in eine Pflegelehre, denn auch die Pflege­lehre ist für eine 16-Jährige, die sich entscheiden muss, schon zu eng. Ich denke, man kann eine Pflegelehre anbieten, aber vielleicht in Stufen, dass die Jugendliche selber entscheiden kann, wann sie die zweite Stufe macht: Jetzt mache ich die erste Stufe und arbeite vielleicht einmal ein bisschen damit und dann mache ich, wenn ich so weit bin, die zweite Stufe. – Das ist nur so ein Gedanke.

Ich denke, das Zurückholen aus dem Mutterschutz würde funktionieren, wenn man ihnen eine gewisse Freiheit anbietet, ihre Dienste anders einteilen zu dürfen. Das könnte mit Freiberuflichkeit auch in einem Krankenhaus funktionie­ren. Ich war selber auch in einem Pooldienst tätig. Ich habe selber gesagt, dann, dann und dann kann ich arbeiten, und so wurden meine Dienste eingeteilt und so habe ich nach der Babypause wieder begonnen, in den Pflegeberuf zurückzukehren.

Vielleicht braucht es da wirklich mehr Offenheit von allen. Ich glaube, wir haben schon – vielleicht nicht ausreichend für die nächsten 25 Jahre mit dem stei­genden Pflegebedarf – genug Betreuungs- und Pflegepersonal, wenn man das vielleicht freier gestaltet.

Auch die Personenbetreuer:innen kann man nicht anstellen, unmöglich. Personenbetreuer:innen, zum Beispiel aus Rumänien, haben so einen eigenen Lebensstil, wenn sie zu Weihnachten nicht arbeiten wollen, dann been­den sie ihren Dienst – das dürfen sie ja – und kommen nach zwei Monaten wieder.


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Entschuldigung, Frau Pürer, ich möchte auf die Redezeit hinweisen.


DGKP Sabine Pürer| (fortsetzend): Ich bedanke mich für das Zuhören und hoffe, ich konnte einen ganz kleinen Stein ins Rollen bringen. – Danke. (Beifall.)

11.33


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Pürer, für Ihre Expertise, das war sehr authentisch. Vielen Dank für die Ausführungen.

Nunmehr darf ich die Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger Frau Birgit Meinhard-Schiebel um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Präsidentin.


11.34.07

Birgit Meinhard-Schiebel (Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger)|: Herzlichen Dank an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass Sie noch da sind! Es ist ja immer ein bisschen schwierig, so lange so konzentriert zuzuhören.

Ich mache jetzt da hinten die Türe auf (auf die Tür gegenüber dem Redner:innen­pult weisend), nachdem ich diese dort geschlossen habe (auf die Tür links des Redner:innenpults weisend), da es mir dort draußen zu laut war. Bei dieser Türe kommen jetzt fast eine Million Menschen herein, die pflegende Angehörige sind, und zwar aus allen Altersgruppen. Ich muss sagen, das sind Kinder, das sind Jugendliche, das sind Erwachsene, das sind Erwerbstätige, das sind alte Men­schen, es sind fast eine Million Menschen in Österreich.

Ich habe die Ehre, seit 13 Jahren ehrenamtlich für sie arbeiten zu dürfen. Das ist eine besondere Ehre, denn ich darf ihnen die Stimme geben, die sie selbst
ganz einfach nicht haben. Sie haben sie nicht nicht, weil sie nicht reden können, sondern sie haben sie nicht, weil sie keine Zeit haben, weil sie sich mit Hunderttausenden Dingen beschäftigen müssen und weil sie keine politische Vertretung haben. Das war der Grund dafür, weshalb wir vor 13 Jahren unseren winzig kleinen Verein gegründet haben. In Wirklichkeit arbeiten wir zu zweit, aber ich glaube, wir arbeiten sehr gut miteinander. Ich habe in diesen 13 Jahren die Ehre gehabt, einigen Ministerinnen und Ministern auf die Zehen zu steigen und dort herumzutrampeln und zu sagen: Das, das, das ist ganz drin­gend notwendig.

Wir haben mittlerweile eine Forderungskatalog mit 14 Forderungen und diese Forderungen werden immer mehr. Nein, sie werden nicht weniger, denn es kommen neue Probleme dazu. Zum Beispiel – weil wir es gerade durch die Pan­demie erlebt haben – haben Menschen, die von Long Covid und Post-Covid betroffen sind, und ihre pflegenden Angehörigen keine Möglichkeit, auf Unter­stützungsangebote zuzugreifen, weil diese Erkrankung in der Pflegebegut­achtung nicht vorkommt. Es wird noch lange dauern, bis wir zur Stufe 3 kom­men, und dort gibt es dann erst die Unterstützungsangebote. Wir haben das also gleich wieder in eine Forderung gepackt und gesagt: Wenn wir eine Pflegere­form machen, dann müssen auch neue Erkrankungen, die Auswirkungen haben, mit aufgenommen werden, und daran sind natürlich auch die pflegenden An­gehörigen beteiligt.

Ein bisschen wundere ich mich immer wieder über diese Aussage: Ja, die Demografie, und das konnte man doch nicht ahnen und so. – Also Entschuldi­gung, wir wissen seit 100 Jahren, dass wir älter werden, und jetzt tun wir so, als wäre das etwas Neues. Nein, es ist nichts Neues! Es ist bekannt und wir sollten endlich der Wissenschaft die Chance geben, zu sagen: Okay, wir wissen heute bereits, wie sich das entwickeln wird, welche Prognosen es gibt. Das ist wirklich wichtig, denn die Generationen, die jetzt kommen, müssen das ja weitertragen, was die anderen jetzt tragen.

Die ganz großen Herausforderungen sind natürlich jetzt da, denn wir merken so unendlich, wie verunsichert die Menschen sind. Sie wissen eigentlich hinten
und vorne nicht: Wie geht es weiter? Wie schaut für sie die wirtschaftliche Situation aus? Wie können sie damit rechnen, dass sie das kriegen, was sie wirk­lich dringend brauchen? Das betrifft natürlich immer die Gruppe besonders
stark, die vulnerabel ist. Und vulnerabel sind natürlich auch die pflegenden An­gehörigen an Körper, an Seele und an Geist. Sie kommen irgendwie aus die­ser Situation nicht alleine heraus. Ich komme dann noch darauf zurück, was wir da ganz besonders verlangen.

Ich möchte gleich eines vorausschicken: Ich glaube, es ist so wichtig zu wissen, dass pflegende Angehörige keine Freiwilligen sind. Das ist ein gravierender Unterschied. Solche Aufgaben werden übernommen, weil es notwendig ist und weil niemand anderer da ist. Und: Wie wir wissen, sind das natürlich die
Frauen. Das war ja schon immer so, und das wird hoffentlich nicht so bleiben. (Beifall.)

Ich war in Dänemark, ich war auch in Schweden, ich habe dort mit den Leuten gesprochen, ich habe mir das angehört. Die waren sehr erstaunt über das
Bild, das wir in Österreich haben, dass die Familie das allein Seligmachende ist und für alles zuständig ist – natürlich die Frauen in den Familien. Es war
sehr spannend, denn sie haben mir erklärt, sie wollen nicht, dass es pflegende Angehörige gibt. Sie wollen das als gesamtgesellschaftliche Verantwortung tragen, mit höheren Steuersätzen, und am Schluss ist klar: Wenn man Pflege und Betreuung braucht, dann bekommt man professionelle Pflege und Betreuung. Wenn die Angehörigen das unbedingt wollen, dann können sie natürlich etwas dazu tun, aber sie sind nicht die Hauptpflegepersonen. (Beifall.) – Möge das
helfen. Na, ich bin sehr zuversichtlich: Es wird helfen, man muss nur stur sein.

Ich glaube, es ist halt so wichtig, hinzuschauen. Was machen wir denn mit
den erwerbstätigen Menschen, die aus dem Beruf ausscheiden? Was machen wir mit denen, die Hauptpflegepersonen werden und dann dastehen und nicht wissen, wie es weitergehen soll? Da fehlt ein Einkommen. Bei der Pflegekarenz gibt es das nächste Problem: Der Rechtsanspruch auf Pflegekarenz gilt jetzt
zwar für drei Monate – wenn er im Kollektivvertrag oder in der Betriebsverein­barung steht. Fragen Sie mich nicht, wie lange es dauert, bis das in allen Kollektivverträgen steht! Ich glaube, es sind über 300.

Das ist zwar ein schönes Versprechen, aber die Erfüllung ist es nicht. Wir wollten die drei Monate Rechtsanspruch natürlich ohne diesen Zusatz haben. Wir als kleine Organisation setzen uns mit den Beteiligten, mit den Gewerkschaften et cetera zusammen und sagen: Freunde, wir müssen etwas tun, so geht das
nicht! Jetzt haben wir noch immer diese vier Wochen, für die wir einen legitimen Rechtsanspruch haben. Dann muss ich wieder zu meinem Arbeitgeber gehen, herumverhandeln und fragen: Vielleicht geht das?, Kann ich?, und der Arbeitge­ber kann Ja oder Nein sagen. Das sind gravierende Einschränkungen, die die Menschen in der Situation haben. Man kommt nicht mit vier Wochen aus. Man kommt nicht aus!

Um das Ganze auf die Reihe zu bringen – ich denke jetzt an die 24-Stunden-Betreuung, ich denke an alle Dienste rundherum –, bis das organisiert ist: Diesen Hürdenlauf können Sie sich wahrscheinlich nicht vorstellen. Die Bürokratie
ist dabei eine ganz schreckliche Barriere. Ich sage immer: Wenn Bürokratie zur Waffe wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn sich Menschen zu
wehren beginnen. Wenn man für alles und jedes einen Antrag stellen muss: Fra­gen Sie mich nicht, was die Leute dann sagen, wenn sie bei uns anrufen und sagen: Ich habe da jetzt einen Antrag, ich kenne mich nicht aus. Was muss ich da ankreuzen? Was passiert, wenn ich etwas Falsches ankreuze?

Wir würden Menschen brauchen, die durch die Bürokratie führen, die die Men­schen an der Hand nehmen und mit ihnen die Papierl ausfüllen. Das kann es
nicht sein, das ist ganz schrecklich! Entschuldigung, aber wenn man bei den Wie­ner Linien anruft und etwas will, geht das schneller. (Ruf: Nicht immer!) –
Nicht immer, ganz richtig, aber es kann sein. Es kommt darauf an, wen man dort erwischt.

Man muss für fast alles einen Antrag stellen. Dann kommt bei vielen als Voraussetzung der gemeinsame Haushalt dazu. Das ist nicht mehr zeitadäquat. Die Menschen leben nicht alle in einem gemeinsamen Haushalt und trotz­dem pflegen und betreuen sie. No na, sie wohnen vielleicht daneben. Wenn der Hauptwohnsitz daneben ist, funktioniert es nicht. Das sind lauter Hürden
und Barrieren, mit denen sie permanent konfrontiert sind. Wir dürfen nicht ein­fach wegschauen und sagen: Ja, es gibt eh etwas, die kriegen eh etwas.
Nein, es gibt zwar etwas, aber bis es soweit ist, ist vielleicht schon alles vorbei.

Nein, es ist nicht vorbei, denn die nächste Generation überlegt sich zu Recht, ob sie diese Aufgabe übernimmt. Die nächste Generation hat so viel mit ihrem eigenen Leben zu tun, dass sie sich jetzt nicht unentwegt den Kopf darüber zer­bricht – wir haben es uns mit 25 auch nicht überlegt –: Was passiert, wenn meine Mutter krank wird? Was passiert in meiner gesamten Familie?
Dann kommt zu der sowieso vorhandenen Entwicklung dieser unendlichen Verunsicherung, mit der wir leben, noch einmal alles ins Wanken.

Ich muss noch etwas sagen: Ich bin heute sehr, sehr froh, dass die Pflege hier doch vertreten ist, denn sonst hätte ich noch eine Brandrede halten müs­sen, dass die Pflege hier an den Tisch und nicht draußen vor die Tür gehört. (Bei­fall.) – Danke. Ich halte gerne Brandreden. Ich weiß, ich bin da ein bisschen anders, aber die Million Menschen draußen zwingt mich dazu. – Danke. (Beifall.)

11.43


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Brandrede. (Heiterkeit.)

Als Nächsten darf ich den Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen Mag. Johannes Wallner um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Geschäftsführer.


11.44.06

Mag. Johannes Wallner (Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Abgeordnete und Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beide
sollten zwei Referate auf eines aufteilen, deswegen erlauben Sie mir, ein wenig schneller zu sprechen.

Wir danken herzlich für die Einladung, heute bei dieser hoffentlich rich­tungsweisenden Enquete einen Beitrag aus Sicht unseres Vereins leisten zu können. Der Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen wurde 2012 vom Sozialministerium, den Bundesländern Wien, Bur­genland, Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg sowie einigen NGOs, beispielsweise dem Bundesverband der Alten- und Pflegeheime Öster­reichs, Pro Senectute, IBG, sowie Expert:innen aus dem Qualitätsmanage­ment gegründet. Später sind auch der Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs mit Christine Ecker und die Caritas Graz-Seckau beigetreten.

Der Verein hat sich aus dem EU-Projekt E-Qalin zur Entwicklung von Qualitäts­managementsystemen in der Langzeitpflege und der sozialen Arbeit in Österreich und in vier weiteren EU-Ländern heraus entwickelt. 2013 wurde das NQZ, das Nationale Qualitätszertifikat für Alten- und Pflegeheime Österreichs, umgesetzt und 2019 dann das heute bereits erwähnte ÖQZ-24, das Österreichische Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen in der
24-Stunden-Betreuung; beide entstanden im Auftrag des Sozialministeriums, das NQZ unter Beteiligung der Bundesländer, das ÖQZ-24 mit Unterstützung
der Wirtschaftskammer.

Unser zentrales Anliegen: Qualitätsmanagement ist eine notwendige Bedingung für eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Langzeitpflege. Unsere beiden Zertifizierungsverfahren berücksichtigen die Erkenntnisse von Wissenschaft und Praxis. Qualitätsmanagement orientiert sich an der Lebensqualität der Leistungsempfänger:innen. So verstanden und ausgestaltet entspricht es den 1993 zwischen Bund und Ländern in der Pflegevereinbarung verankerten Mindeststandards.

Heute kursieren Verfahren, die über das Niveau von Checklisten nicht hinausgehen. Diesen fehlt die evidenzbasierte Grundlage. Zunehmend finden sich auch rein grafische Darstellungen von Gütesiegeln. Beide fördern nicht
die Information der Hilfesuchenden, sondern nur deren Irreführung. Sie
sind auch abzulehnen, weil sie nationalen und internationalen Standards für QM nicht entsprechen. Wer die Wahl hat, soll nicht die Qual haben, sondern
die Qualität.

Der Bund verfügt mit NQZ und ÖQZ-24 über zwei langjährige und auf valider Basis weiterentwickelte Verfahren, und es wäre Aufgabe, diese langfristig
über den Pflegefonds oder die heute mehrmals zitierten Finanzausgleichsver­handlungen abzusichern.

Die Situation für die rund 30 000 betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen, die von Personenbetreuer:innen teils rund um die Uhr zu Hause versorgt werden, hat sich angesichts der Teuerungswelle massiv verschärft. Ich spreche von 30 000 und nicht von 22 500, wie vom Herrn Sektionschef genannt,
denn das sind alle, auch jene, die keine Förderung bekommen. Es werden immer mehr, weil derzeit noch die Fördergrenze bei 2 500 Euro Einkommen pro
Monat liegt.

Was hat sich aber massiv verschärft? – Erstens: Die Honorare für die Betreu­er:innen hinken im internationalen Vergleich hinterher. Weit mehr als 3 000 Betreuer:innen haben mit der Pandemie Österreich verlassen und sind nach Deutschland oder in die Schweiz gegangen.

Zweitens: Die Betroffenen können sich – die Vorrednerin hat es gesagt –
die Qualitätssicherung durch die diplomierten Pflegefachkräfte nicht
mehr leisten.

Drittens: Es kommt zu massiven Überforderungen im gesamten System. Wir sprechen von 30 000 unmittelbar betroffenen Menschen. Das ist in die­sem Gesamtsystem kein gesundes Altern mehr.

Daher fordern wir nichts weniger als die Umsetzung der im aktuellen Regie­rungsprogramm vereinbarten Maßnahmen zur flächendeckenden Absicherung der Qualität in der Personenbetreuung.

Ganz konkret: erstens eine weitere Erhöhung dieser – wir nennen es – Basisförderung nach dem ersten Schritt von 550 auf 640 Euro, und zwar auf inflationsbedingte und bereits vom Seniorenrat massiv geforderte
1 100 Euro monatlich;

zweitens einen Fairnessbonus für die Betreuer:innen als einen Zuschuss für die Bezahlung von Mindesthonoraren, die sich an den Pflegegeldeinstufungen orientieren;

und drittens einen Qualitätsbonus für jene Agenturen, die sich den Richtlinien des Sozialministeriums freiwillig unterziehen oder ähnlich hohe Qualitäts­standards anlegen, damit vor allem die Qualitätssicherung durch den gehobenen Pflegefachdienst finanziert werden kann.

Wir müssen hier einen Lückenschluss zwischen den Systemen erreichen, und diese Qualitätssicherung durch den Pflegefachdienst für die Menschen
in der Personenbetreuung ist ein zentraler Faktor dafür; für heute und morgen.

Für die stationäre Langzeitpflege brauchen wir dringend Fachpersonal. Die von der Bundesregierung im Herbst beschlossenen Maßnahmen sind eine wich­tige und richtige Basis dafür, aber wenn wir selbst als die Expert:innen des Sys­tems unsere Pflege- und Betreuungsarbeit nur schlechtreden, werden wir nicht die Menschen für die Ausbildung anlocken, die den Beruf gerne ergreifen wollen, sondern sie durch uns selbst verunsichern. Das ist die eine Maß­nahme, für die wir selbst sorgen können.

Das andere sind die nackten Zahlen. Wir brauchen in Österreich aktuell jährlich entweder 7 000 – ich glaube, es sind 10 000, weil sehr viele mittlerweile das System verlassen haben – oder rund 10 000 Absolvent:innen aller Pflege- und Sozialbetreuungsberufe und erreichen aktuell gerade einmal 5 500.

Bei noch so perfekten PR-Maßnahmen werden wir die Lücke im Inland nicht schließen können. Wir brauchen Menschen aus Drittstaaten, aber dafür müssen wir nicht nur eine Willkommenskultur etablieren, sondern auch unsere Be­hörden ein Stück weit zur Räson bringen.

Ich arbeite nun seit Jahren für die Senecura-Gruppe in der Rekrutierung und Integration von Pflegefachkräften aus Kolumbien und Indien. Sie glauben nicht, was man zwischen den einzelnen Behörden in Österreich erlebt. Das ist unglaublich! Da sind nicht nur eine Behörde oder die Wiener Linien, sondern ein Rattenschwanz von Themen, die erledigt werden müssen. Hier brauchen
wir dringend Unterstützung.

Wir brauchen dringend ein geordnetes Zuwanderungssystem und eine Finanzierung für diese Integrationsmaßnahmen, denn da drückt sich die öffent­liche Hand seit Jahren und erspart sich zum Beispiel mit einem Studienplatz
für die Pflege an einer Fachhochschule 44 000 Euro. So viel kostet der Platz.

Ich sage Ihnen nur ein Beispiel: Die Steiermark hatte in der Zeit vor der Tertiärisierung 350 Ausbildungsplätze an der Krankenpflegeschule; dann waren es 175. Jetzt rechnen sie 175 fehlende hoch, dann wissen Sie, wo das
Dilemma heute ist, und Sie wissen, wie viel sich die öffentliche Hand gespart hat.

Die Anwerbung im Drittstaat kostet nur ein Drittel davon. Da braucht es dringend Unterstützung, denn diese Kosten sind nirgendwo in einem Tarif abge­bildet. Die Menschen fehlen uns jetzt schon in der Langzeitpflege und im Krankenhaus. Wir brauchen aber Rekrutierung mit Qualität, wie sie das deutsche Siegel Faire Anwerbung beispielhaft vorgibt. Das ist der eine Teil für heute.

Der zweite Teil ist die Pflege 2050. Wir müssen die Finanzierungsstrukturen neu denken, Gesundheit, Soziales und Kommunales zusammen denken. Wie wir
im Jahre 2000 gewusst haben, wie sich die Personalsituation 2020 entwickelt haben wird, so wissen wir heute, wie die Bevölkerungsstruktur 2040 und
2050 aussehen wird.

Die Raumplanung zeigt uns ein völlig klares Bild. Wir werden Dörfer haben,
in denen die Alten überwiegen – ich werde selbst dazu gehören –, und es werden kaum mehr Junge dort sein. Ich kann Ihnen angesichts der knappen Zeit
heute nur dieses Bild der alternden Dörfer und der jungen Großstädte mitgeben, aber daran werden wir arbeiten müssen. Sie kennen den afrikanischen Spruch:
Für die Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf. Für Westeuropa um­gemünzt: Für die Pflege und Betreuung der Alten braucht es auch das ganze Dorf.

Schade, dass Herr Landeshauptmann Doskozil jetzt nicht mehr hier ist. Wir
sind hier – das ist an Ihre Adresse gerichtet – im Haus des demokratischen Dis­kurses und nicht eines ideologiegetriebenen Diktats. Lassen Sie uns den Diskurs über Qualität und nicht über Gewinn führen! Lassen Sie uns zum Bei­spiel über die mangelnde Personalausstattung in Burgenlands Pflegeheimen sprechen! Und lassen wir den Menschen die Wahl, wo und von wem sie gepflegt werden wollen, egal von welcher Trägerschaft! Die Menschen haben sich
Vielfalt und nicht Monokultur verdient.

Geschätzte Damen und Herren hier im Hohen Haus, geben Sie uns die
für die Erfüllung unserer gesetzlichen Aufträge notwendigen Ressourcen zur Hand, damit wir die gute Qualität in der Langzeitpflege und -betreuung
halten können. Machen wir heute und hier einen großen Schritt für ein selbstbe­stimmtes, selbstgewähltes Altern in Würde in einem gesunden Versor­gungssystem – auch 2050. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.53


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Geschäftsführer.

Zuletzt darf ich die Zweite Vizepräsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, Frau Tamara Archan, um ihren Beitrag ersuchen. –
Bitte, Frau Vizepräsidentin.


11.54.03

Tamara Archan, MSc BScN (Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband)|: Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident! Sehr
geehrter Bundesrat! Liebe Gäste hier im Saal! Liebe Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Im Namen der professionell Pflegenden und mit besonderem Gruß unserer Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes Elisabeth Potzmann darf ich mich für die Sprech­zeit hier im Hohen Haus bedanken.

Eine Enquete zum Thema Pflege ist hoch an der Zeit. Hier sollten die Bedeutung und die Leistungen der Pflegenden Platz haben. Hier sollten jene sprechen
und zu Wort kommen, die nicht in Kurzarbeit oder im Homeoffice waren, son­dern diejenigen, die im Lockdown ihre Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gebracht haben, um selbst in die Arbeit gehen zu können; die in den Kliniken, Heimen und zu Hause anfangs ohne angemessenen Schutz ihre Gesundheit und ihr Leben riskierten und manche leider auch verloren haben; jene, die eigentlich noch in der Ausbildung waren und sind, aber in Wahrheit den Betrieb aufrechterhalten mussten und noch immer müssen, die in den letzten
drei Jahren mehr Menschen sterben sahen als andere in ihrem ganzen Leben. Es sind die, die für ihren Beruf brennen, nicht weil er Berufung ist, sondern weil
er so viel Sinn macht, so viel Freude und Hoffnung birgt, so viel Wachstum beschert, voller Emotionen, Lachen und Weinen ist, voller Herausforderungen und voller Spannung, und kein Tag ist wie der andere.

Es ist ein gutes Gefühl, in einem Team verhaftet zu sein, weil wir Leben retten und Sterben begleiten dürfen, weil wir Wächter der bedeutsamsten Kraft
sind, wenn Körper und Geist beginnen, zu versagen. Wir sind die Hüterinnen und die Hüter der Würde des Menschen. (Beifall.)

Wir haben schon einiges über die Probleme gehört. Die rationalisierte Pflege ist allgegenwärtig. Das Halten von professionellen Pflegenden in der Praxis,
im System ist auch ein großes Problem und wird immer, immer schwieriger. Wir haben eine zunehmende Arbeitsverdichtung und auch keine lebenspha­senorientierten Arbeitsbedingungen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Wir haben heute vor dem Parlament eine außerparlamentarische Pflegeenquete gestartet, und diese Menschen warten auf Sie, warten darauf, mit Ihnen zu sprechen. Also bitte: Sprechen sie mit uns und nicht über uns. Das ist ein we­sentlicher Punkt in dieser Diskussion. (Beifall.)

Wir müssen schneller in die Umsetzung kommen, deswegen fordern wir auch die Politik auf, dass wir jetzt sofort ins Handeln kommen. Deshalb starten wir
am 12.5., das ist der Internationale Tag der Pflegenden, die Petition „Recht auf Pflege“, denn Sie alle hier in Österreich haben genau das: das Recht auf professionelle Pflege. Fordern Sie es ein, bitte unterschreiben Sie! Bitte helfen Sie dieses Mal uns, damit wir da sein können, wenn die Menschen in
Österreich, wenn Sie alle uns brauchen.

Überlegen wir also gut, was wir mit der professionellen Pflege in Österreich
in Zukunft machen wollen, denn ich kann Ihnen versichern, dass jeder Einzelne von uns hier irgendwann auf eine Pflegeleistung angewiesen ist. Ich hoffe
für Sie, dass es eine professionelle Pflegeleistung ist.

Handeln wir klug und vorausschauend und nicht kurzsichtig. Deshalb mein Appell an Sie alle hier: Denken wir Pflege neu! Die Zeit läuft, und wir müssen end­lich die Probleme in Österreich anpacken.

Eines ist aber auch klar: Wenn wir den Beruf weiter deprofessionalisieren, ma­chen wir ihn völlig beliebig und unattraktiv. Am Ende haben wir wieder irgendwelche ungelernten Wärter, und das will, glaube ich, niemand mehr. Wir brauchen eine Akademisierung. Wir müssen hier weiter entwickeln. Wir
brauchen die Durchgängigkeit von allen Ausbildungsformen. Wir brauchen Fachkarrieremodelle, um die Attraktivität weiter zu fördern. Das ist
ganz wesentlich.

In Richtung Finanzausgleich muss gesagt werden: Ohne Geld wird es nicht gehen. Es ist natürlich schön zu hören, wenn der derzeitige Bonus in die Regel­finanzierung übergeführt wird, aber wir brauchen zum Beispiel auch, dass man die Schoolnurses weiter fördert und ausbaut, weg vom Projektstatus, gleich wie die Communitynurses.

Letztendlich brauchen wir höhere Gehälter in der Langzeitpflege, in der mobilen Pflege, was ganz essenziell ist. Wir brauchen auch den Ausbau der ambulanten Pflegeleistungen, seien es spezifische Pflegeambulanzen oder auch Pflegepra­xen – ganz niederschwellig. Auch freiberufliche Pflege muss weiter ausge­baut werden. In den stationären Einrichtungen muss man die Fachkarriere för­dern und auch zum Beispiel Advanced-Nursing-Practice-Planstellen schaffen, die den Spezialisten wirklich Zeitressourcen geben, dass sie ihre Spezialtätigkeiten auch ausführen können, besonders in der Ausbildung. Unsere Praxisanleiter haben keine Zeit für die Praxisanleitung unserer Auszubildenden, obwohl 50 Prozent der Ausbildung in der Praxis stattfindet. Wir müssen auch den Fokus auf präventive Gesundheitsförderung setzen, aber auch auf die rehabilitative und remobilisierende Pflege.

Was sind uns die Würde und die Lebensqualität der Menschen in Österreich
wert? Das ist die Diskussion, die wir führen müssen. Es wird ein gemeinsamer Kraftakt werden, die Pflege in Österreich auf die Zukunft vorzubereiten –
und daher lade ich Sie noch einmal ein, heute bei unserer außerparlamentari­schen Pflegeenquete mit der professionellen Pflege vorbeizuschauen. Sprechen wir gemeinsam über die zukunftsfähigen Lösungen! Wir haben Gesicht,
wir haben Meinung, Rechte – und vor allem haben wir eine Stimme. Hört sie, solange noch jemand da ist, der die Sprache der Pflege spricht!

Wir müssen die essenziellen Fragen der Pflege bezüglich Personal, Image und Finanzierung klären, sonst werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern können. Wir sind bereit, das Recht auf Pflege für die Gesellschaft umzusetzen und haben auch Lösungen dazu. Ich hoffe, auch Sie sind bereit, die­se Herausforderungen mit uns gemeinsam anzupacken. – Vielen herzlichen
Dank. (Beifall.)

12.01


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Vielen Dank für die Ausführungen.

Panel 3 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Beiträge.

12.02.00VI. Panel 4 „Gesunde Jahre bis ins hohe Alter“


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Wir kommen nunmehr zu Panel 4, dem Referat zum Thema „Gesunde Jahre bis ins hohe Alter“.

Ich darf nun den CEO und Inhaber von John Harris Fitness, Herrn Mag. Ernst Minar, um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Magister.


12.02.15

Mag. Ernst Minar (John Harris Fitness)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich war ein 22-jähriger Student und habe
meinen Großvater im Spital besucht. Er hatte Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Probleme und Lungenprobleme – er hat viel geraucht. Er hat sein ganzes
Leben viel gearbeitet, war beruflich erfolgreich, hat sich aber zu wenig bewegt. Es war einer der letzten Tage seines Lebens und wir haben über sein
Leben gesprochen und darüber, was er heute anders tun würde. Er hat mir immer wieder gesagt: Wenn ich eines in meinem Leben anders tun
könnte, würde ich früher anfangen, mich zu bewegen und Fitness zu machen. Für ihn war es dann schon zu spät, aber dieser Satz – ich würde es anders
tun, ich würde früher Bewegung, Fitness machen – hat mich persönlich das ganze Leben begleitet.

Ich habe dann 25 Jahre in der amerikanischen Pharmaindustrie verbracht und mich haben immer wieder die neuesten Studien interessiert. Was kann der Mensch tun, um möglichst lange fit und gesund zu bleiben? Wenn man sich die neuen Studien anschaut, wird ersichtlich, dass man mit Bewegung Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern oder das diesbezügliche Risiko reduzieren kann. Man kann Krebserkrankungen wie Brustkrebs, Prostatakrebs oder Darmkrebs, wenn man sich genug bewegt, um 40 Prozent reduzieren. Man kann so viele Krankheiten reduzieren, es geht nur darum, dass man sich rechtzeitig bewegt.

Ich habe letztes Jahr ein Buch über den „Lebensmotor Bewegung“ geschrieben, weil das so ein wichtiges Thema ist. Mich hat der international anerkannte Molekularbiologe und Altersforscher Stekovic kontaktiert. Die Forschung hat immer gesagt, Ernährung ist sehr wichtig, aber noch wichtiger, sagen die letzten Studien, sind Bewegung und Fitness, und darum haben wir das Buch geschrieben. Mir haben alle gesagt, es ist ein gutes Motivationsbuch, es erklärt grob den Körper des Menschen und es erklärt vor allem, warum wir trainie­ren müssen. Es erklärt, welche Botenstoffe ausgeschüttet werden, damit wir ge­sund bleiben. Nur, wenn man versteht, wie die Organe untereinander kom­munizieren, dann werden wir uns auch bewegen und gesund bleiben.

Wir geben heute immer mehr Geld für die Pflege aus; und es war sehr interes­sant, dass der Gesundheitsminister vorhin gesagt hat, wir werden in den nächsten Jahren 7 bis 9 Prozent mehr Geld pro Jahr dafür brauchen. Ich kann heute schon sagen: Das wird nicht reichen. Ich kann auch sagen, warum. Wir geben derzeit schon circa 3 Milliarden Euro für Diabetes aus. Es gibt in Ös­terreich zwischen 600 000 und 700 000 Diabetes-Typ-2-Kranke – und man
weiß, durch Corona haben die Menschen im Schnitt drei bis fünf Kilogramm zu­genommen. Das heißt, heute weiß man schon, in den nächsten Jahren wird es viel mehr Diabetes-Typ-2-Patienten geben. Das heißt, die Kosten für
Diabetes werden sich relativ schnell vervielfachen.

International weiß man das: Beim größten Pharmakonzern für Diabetes sind die Umsätze letztes Jahr um 30 Prozent gestiegen, und das wird demnächst so weitergehen. Eines muss uns allerdings auch klar sein: Wenn wir rechtzeitig an­fangen, Bewegung und Fitness zu machen, könnte Diabetes Typ 2 signifikant reduziert werden, sagen alle Studien. Wir könnten es fast schaffen, dass das nicht mehr auftritt – und darum geht es.

Ich bin dem Präsidenten sehr dankbar dafür, dass diese hochgradig besetzte Enquete stattfindet, weil es nicht nur darum geht, dass wir immer mehr Geld in das System stecken, was heute wichtig ist. Es ist wichtig, dass wir die Pfle­gebedürftigen richtig betreuen, aber es ist genauso wichtig, dass wir in die Zu­kunft schauen, was wir tun können, damit unsere Generation länger gesund
bleibt. Das würde langfristig auch viele Kosten sparen.

Was mich gefreut hat, war, dass der Landeshauptmann und der Gesundheits­minister heute die Wichtigkeit von Prävention erwähnt haben. Österreich hat heute, glaube ich, ein gutes Gesundheitssystem, aber ein Reparatursystem. Wenn wir heutzutage krank sind, kommen wir ins Spital und werden mög­lichst gut betreut, aber Österreich ist eher ein Schlusslicht, wenn es um Präven­tion geht. Ich nenne ein Beispiel: In Österreich sind wir im Schnitt bis zu ei­nem Alter von 57 Jahren gesund. Wir leben genauso gut wie Menschen in ande­ren Ländern in Europa, aber der europäische Schnitt liegt bei 64 Jahren und
jener der nordischen Länder bei 74 Jahren. Man schaut sich natürlich genauer an, was der Grund dafür ist. Einer der Gründe ist sicherlich, dass die nordi­schen Länder viel früher mit der Prävention angefangen haben.

Ich nenne ein Beispiel, weil ich aus der Fitnessbranche komme. In Österreich gehen 12 Prozent ins Fitnesscenter, in den nordischen Ländern sind es 24 Prozent. Das hat natürlich auch damit zu tun, wie attraktiv es die Politik macht, dass man ins Fitnesscenter geht. Wenn man in Norwegen ins Fit­nesscenter geht, zahlt man 0 Prozent Mehrwertsteuer; in Österreich sind es 20 Prozent.

Mittelfristig sollte man sich wahrscheinlich, wenn man präventiv denkt, überlegen, etwas zu tun. Im Endeffekt wollen wir eigentlich wie die Menschen in den nordischen Ländern möglichst lange gesund bleiben. Darum geht es, da
geht es um Lebensqualität, dass wir glücklicher und zufriedener sind. Sie kennen vielleicht den Ausdruck blaue Zonen, der immer wieder verwendet wird.
Dort werden die Menschen 100 Jahre alt und sind bis an ihr Lebensende gesund; und viele Forscher fahren jedes Jahr dorthin und schauen sich an, warum die Menschen gesund sind.

Das ist bis heute nicht ganz erforscht, aber man hat ein paar Dinge herausgefun­den: Das sind Länder, in denen viel Sonne scheint – Vitamin D hat wahr­scheinlich einen wichtigen Effekt darauf –, es sind vor allem die Länder, in denen die Menschen nicht mit dem Auto fahren, sondern sich viel bewegen und viel im Freien sind. In diesen blauen Zonen – zum Beispiel Costa Rica, eine Ge­gend in Japan und eine in Griechenland – sind die Menschen länger gesund; und darum geht es: dass wir älter werden und dabei gesund bleiben.

Österreich hat leider aus meiner Sicht, wenn ich es historisch betrachte, immer wieder nicht ganz richtige – ich möchte nicht sagen, falsche – Entschei­dungen getroffen. Österreich hat immer geschaut, dass der Mensch, wenn er ins Spital kommt, gut betreut wird. Wenn ein neues Spital gebaut wird, dann wird gegenwärtig darauf geschaut, dass es möglichst viele Zimmer mit Einzel­betten gibt und dass man bei jedem Spitalsbett auf Knopfdruck alles ma­chen kann, jedes Spitalsbett hat möglichst seinen eigenen Fernseher.

Die nordischen Länder gehen seit Jahren einen anderen Weg. Was die nordischen Länder tun: weg davon, nur Einzelbetten mit Fernseher zur Verfü­gung zu stellen. Da gibt es Gemeinschaftsräume, der Mensch soll relativ früh nach einer Operation aufstehen. In Österreich wird, wenn jemand krank ist, geschaut, dass er möglichst lange im Bett liegen bleibt und gepflegt wird, weil das System so ist. In den nordischen Ländern achtet man darauf, dass er schnell wieder Muskeln aufbaut, umso schneller wird er wieder gesund und das ist gut für das Immunsystem.

Ich habe noch einige Punkte, die ich erwähnen will: Einer davon ist, dass 2008 – vielleicht können sich viele hier erinnern – knapp vor einer Wahl die Mehr­wertsteuer auf Medikamente gesenkt wurde. Das ist natürlich irgendwie nett und gut, aber ich kann mich erinnern, dass in der Pharmabranche an dem
Tag die Champagnerkorken geknallt haben, weil es natürlich mittel- und langfris­tig zusätzliche Gewinne für die Pharmabranche bringt.

Umgekehrt hat in Österreich 2016 eine kleine Steuerreform stattgefunden, über die viele tieftraurig waren, vor allem Pensionisten. Erinnern wir uns, was Ös­terreich gemacht hat: Die Mehrwertsteuer auf Hotelnächtigungen wurde von 10 auf 13 Prozent erhöht; allerdings wurde auch die Mehrwertsteuer auf Ver­gnügen, Kino, Theater, und auch auf den Schwimmbadbesuch erhöht. Die ganze Welt sagt, Schwimmen ist eine der gesündesten Sportarten, und vor allem gelenkschonend für die älteren Menschen.

Was hat Österreich gemacht? – Man hat die Mehrwertsteuer auf Schwimmbad­besuche von 10 auf 13 Prozent erhöht, mit der Konsequenz, dass mittler­weile viele Kinder ertrunken sind, weil sie nicht schwimmen gelernt haben. Ich bin mit mehreren Geschwistern aufgewachsen. Unsere Eltern haben uns, als wir sechs, sieben Jahre alt waren, ins Amalienbad mitgenommen und wir haben schwimmen gelernt. Heute ist das für Familien mit zwei, drei Kindern
schwierig, weil einfach alles teurer geworden ist. Viele von uns haben es viel­leicht in den letzten ein, zwei Wochen gelesen: Auch die Eintrittspreise der städtischen Bäder werden wieder um 13 Prozent erhöht. Schwimmbäder zu betreiben ist kompliziert und kostenintensiv.

Gerade für Mindestpensionisten ist das ein Problem. Man muss sich vorstellen, ich kenne viele ältere Leute, die gerne in Gruppen vormittags schwimmen gegangen sind. Die können sich das nicht mehr leisten. Man sollte sich also mög­lichst schnell überlegen, diese Mehrwertsteuererhöhung rückgängig zu ma­chen oder sogar auf null zu setzen.

Ich habe auch einige Punkte, die die Schulen betreffen. Es geht ja auch um die zukünftigen Generationen. Wir hören immer wieder, dass für die Turnstunden in den Schulen zu wenig getan wird. Ich weiß aber selbst, dass es natürlich schwierig ist. Es ist schwierig, auf Kinder aufzupassen, mit der ganzen Verant­wortung und dem Verletzungsrisiko umzugehen. Was allerdings heute oft passiert: Man gibt halt den Kindern einen Ball und die spielen – das höre ich von den Eltern. Dann haben sie ein, zwei Stunden, in denen sie Ballspiele machen. Früher, zu meiner Zeit, haben wir engagierte Lehrer gehabt. Da haben wir Kondi­tionstraining, Seilklettern und Zirkeltraining gemacht.

Ich weiß, es ist schwierig, aber ich glaube, man sollte einfach wieder versuchen, schon bei den Jugendlichen anzufangen, auch mit Aufklärung. Wenn man
heute Jugendliche zu gesunder Ernährung und Bewegung fragt, wissen sie ei­gentlich nichts. Das sagen alle Umfragen.

Ich nenne oft gerne Beispiele, wenn ich danach gefragt werde. Ein Beispiel ist: Wenn ich Kinder frage, was sie gerne in der Früh essen und sie sagen: ein Croissant, frage ich: Weißt du, wie viele Kalorien das hat? Natürlich haben sie keine Ahnung, es ist schwierig. Ich hoffe, Sie wissen es alle: 500 Kalorien.
Was aber noch wichtiger ist: Es hat 35 Gramm Fett. Ein Kipferl hat vergleichs­weise 125 Kalorien, aber nur 1 Gramm Fett. Es ist also wichtig, zu wissen: Es ist gesünder, drei, vier Kipferl zu essen, als ein Croissant zu essen.

Ich bringe auch immer das Beispiel Salami. Natürlich ist Salami gut. 100 Gramm Salami haben 480 Kalorien, aber 44 Gramm Fett. 100 Gramm Putenschinken
haben nur 4 Gramm Fett. Man könnte von den gesunden Nahrungsmitteln ein Vielfaches essen. Es geht darum, dass man das den Kindern, aber auch
Älteren, beibringt. Wenn Kinder mit den Eltern einkaufen gehen, sagen sie ihnen, was sie kaufen sollen. Es geht darum, dass wir da verstärkt etwas tun. In
der Betrieblichen Gesundheitsförderung passiert heute schon viel, aber ich würde auch anregen, es für Firmen noch einfacher zu machen, dass sie
das steuerlich absetzen können.

Es ist nie zu spät. Ich möchte auch dafür ein Beispiel bringen. Meine Tante – gertenschlank, sie ist immer sehr viel gegangen, hat auf gesunde Ernäh­rung geachtet – hatte mit 64 Jahren einen Bandscheibenvorfall. Davor war sie eigentlich außer Rückenschmerzen kaum krank gewesen. Als sie sich dann ärztlich untersuchen ließ, hat man festgestellt, dass sie an beginnender Osteopo­rose leidet. Ärzte haben ihr gesagt: mehr Ruhe in Zukunft, und es gibt zwei bekannte Medikamente. Es gab eine Verschreibung und den Hinweis, dass sie das Medikament eigentlich ab sofort bis ans Lebensende nehmen muss. Das ist 
das Medikament, das man in der Früh einnimmt, und man soll dann eigentlich 10 Minuten sitzen, damit es absorbiert wird. Meine Tante war natürlich tod­unglücklich. Ich habe mit ihr gesprochen und ich habe ihr dann einen anderen Arzt empfohlen, der ganzheitlich denkt. Sie ist zu ihm gegangen, und er
hat gesagt, sie soll es vielleicht mit Training probieren. Es wurden viele Erfolge damit erreicht. Natürlich habe ich ihr einen guten Trainer vermittelt.

Nun muss ich eines sagen: Meine Tante ist 93 Jahre alt geworden. Sie ist vor drei Jahren gestorben. Sie war gesund bis zum Ende. Sie ist bis zwei, drei Wochen, bevor sie gestorben ist, zu mir ins Fitnessstudio gekommen – kein Pflegefall, allei­ne gelebt. Sie war sehr diszipliniert. Eines muss ich auch sagen: Sie hat zwei-, dreimal die Woche trainiert, weil ihr das wichtig war. Sie wollte keine Medika­mente nehmen. Einmal war es weniger Krafttraining, und besonders wichtig
war ihr Schwimmen und Aquafitness, das war gelenkschonend und sie ist bis zum Ende eigentlich gesund geblieben. Ich erwähne das, weil das ein Ziel
für uns alle sein sollte, damit wir möglichst lange gesund bleiben.

Die Weltgesundheitsorganisation sagt ja: idealerweise 150 Minuten Bewegung pro Woche. Wenn man intensiver trainiert, können es auch 75 Minuten sein.
Alles, was man tut, ist besser als nichts. In meinem Buch, das ich geschrieben ha­be, ist natürlich nachzulesen: Das Beste, was ich im Leben tun kann, um Mus­keln aufzubauen, ist, in ein gutes Fitnessstudio zu gehen. Sie alle kennen ein gu­tes Fitnessstudio: John Harris. Ich habe allerdings auch geschrieben: Die letz­ten Studien sagen eindeutig, selbst wenn ich dreimal die Woche zügig spazieren gehe, kann ich die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, redu­zieren. Selbst für leicht depressive Menschen hat ein bisschen Bewegung fast den gleichen Effekt wie Antidepressiva. Man bräuchte diese also nicht zu nehmen. Es geht einfach darum, dieses Wissen zu haben, was der Mensch tun kann, um möglichst lange gesund zu bleiben.

Vielleicht noch ganz kurz: Die Leute fragen mich immer, was ich eigentlich tue. Ich war die letzten 33 Jahre nicht einen Tag krank. Im Pharmakonzern haben sich schon alle gewundert, jetzt wundern sich meine Mitarbeiter. Ich bin kein Über­trainierer, aber ich sage ganz kurz, was ich mache: Ich trainiere dreimal die Woche, kurz Aufwärmen am Crosstrainer, Training am Rad – und dann gibt es oft so Zirkel, bei denen ich in 16 Minuten alle Muskeln trainiert habe. Einmal
pro Woche trainiere ich ausgiebiger für die Muskeln, das dauert dann eine Drei­viertelstunde.

Wie verwöhne ich mich? Ich muss mich auch teilweise überreden. Ich habe auch, obwohl es im selben Haus ist, nicht jeden Tag Lust, zu trainieren. Ich freue
mich auf die Sauna und auf eine Massage danach – und wenn ich das buche, dann gehe ich auch vorher trainieren. Was mir persönlich ganz wichtig ist: Einmal pro Woche gehe ich natürlich gerne schwimmen, eine der gesündesten Sportarten. Es gibt ja das Margaretenbad mit dem 25-Meter-Pool, das ich
damals übernommen habe. Einmal pro Woche Schwimmen gehört für mich dazu. Das sagen viele Studien, es ist eines der gesündesten Dinge – speziell, wenn
man älter wird, weil es gelenkschonend ist.

Ein Letztes, was ich noch sagen will: Viele schauen, wenn sie gesund bleiben wollen, auf ihr Gewicht. Wie viel man wiegt, ist ganz wichtig, aber nur auf
die Kilos zu schauen ist nicht alles. Es gibt Menschen, die bleiben zwar stabil mit dem Gewicht, aber ab 30 verliert man Muskelmasse und der Fettanteil steigt. Speziell bei Männern befindet sich um den Bauch oft das viszerale, das ungesun­de Fett. Wenn jemand immer genauso viele Kilos hat, wäre es möglich, dass das Verhältnis nicht das gleiche ist. International war ich damals einer der Ersten, die dieses System nach Österreich, in unsere Studios, gebracht haben, weil ich auch viel mit der Harvard Medical School und der Deutschen Hochschule für Fitness und Prävention kooperiere. Dort hat man schon relativ früh erkannt: Kilogramm und Body-Mass-Index sind wichtig, aber noch wichtiger ist die Zu­sammensetzung des Körpers, wie viel Körperfett und wie viel Muskelmasse
man hat. Das gilt es immer wieder einmal zu messen. Ich messe das alle drei bis sechs Monate und schaue, dass dieses Verhältnis gesund ist. Ich muss sagen,
ich bin dankbar und werde alles dafür tun, so wie in den blauen Zonen, dass ich 100 Jahre alt werde und – noch wichtiger – dass ich dabei gesund bleibe.
Das Gleiche wünsche ich Ihnen allen: dass Sie 100 Jahre alt werden und dabei gesund bleiben. – Danke schön. (Beifall.)

12.20


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Mag. Minar, für Ihre Ausführungen.

Das Panel 4 ist damit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihren Beitrag.

12.20.43VII. Statements der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Wir gelangen nunmehr zu den Stel­lungnahmen der Fraktionsvorsitzenden beziehungsweise ihrer Stellver­treter:innen. Ich darf diese ersuchen, ihre Redezeit von 5 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.

Ich darf zunächst den Fraktionsvorsitzenden der ÖVP, Herrn Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Fraktions­vorsitzender.


12.21.02

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark)|: Danke für den Ausflug in die Welt der Fitness. Da möchte man am liebsten gleich die Ärmel hoch­krempeln und eine Runde ums Haus laufen. Ich kann aufgrund meines Brotbe­rufs als Internist vieles unterstreichen, was Ernst Minar gesagt hat, weil eines klar ist – und auch das ist heute schon angesprochen worden –: Wir wer­den immer älter, aber gesünder werden wir deswegen nicht. (Vizepräsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Es ist auch der Begriff der gesunden Lebensjahre gefallen. Da kann ich zu­sammenfassend oder einleitend sagen: Wir sind in Österreich sehr gut im Heulen und Heilen, sprich wir haben eine top Reparaturmedizin. Schwach sind wir
aber in der Prävention, doch das ist ja bereits ausführlichst dargelegt worden.

Sehr geehrte Damen und Herren hier im Raum, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber auch sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Ich bin
sehr froh und dankbar, dass wir heute die Möglichkeit haben, in diesen Räum­lichkeiten über das Thema der Pflege zu sprechen – ein Thema, das un­heimlich unter den Nägeln brennt, ein Thema, das wir gemeinsam anpacken müssen, ein Thema, das uns alle etwas angeht, bei dem sich auch niemand weg­ducken darf, bei dem es keinen Sinn macht, mit dem Finger auf die oder den zu zeigen und zu sagen: Der war schuld, weil wir vor 20 Jahren das hätten machen sollen!, und die Dinge immer nur im Rückspiegel zu betrachten.

Ich bin der festen Überzeugung: Es gibt die eine Lösung nicht, sondern es ist ein Mosaik an vielen Möglichkeiten und Lösungen. Es ist heute schon so viel Richtiges und Wichtiges gesagt worden, und Sie werden sich nicht wundern, dass ich mich doppelt freue, dass wir heute diese Enquete abhalten: einer­seits natürlich als Politiker, der sich besonders mit den Themen Gesund­heitspolitik und Pflege beschäftigt, und andererseits eben auch aus meinem Brotberuf als Arzt heraus.

Ich bin ja nach wie vor zu 75 Prozent in einer gastroenterologischen Abteilung in Graz als Oberarzt für innere Medizin tätig, und deshalb erlebe ich ja auch
nahezu jeden Tag die Probleme, die wir in den Spitälern haben. Ich sage be­wusst: Probleme!, weil es Probleme sind. Es sind aber gleichzeitig auch Herausforderungen. Das wäre dann der Fall, wenn wir es euphemistisch be­trachten würden, und das sollen wir ja bitte auch tun.

Das heißt, ich sehe auf der einen Seite die Herausforderungen, die wir im Spitalsalltag haben. Ich sehe aber auch die Herausforderungen, die pflegende Angehörige haben. Ich bin im regelmäßigen Austausch mit Pflegekräften zu
Hause, in der 24-Stunden-Betreuung, in der mobilen Betreuung, aber natürlich auch in unseren Pflegeheimen. All die Genannten – Spital, Pflegeheime,
mobile Betreuung – haben vor allem in den letzten Jahren – und ich denke da an die Coronapandemie, und ich bin fast froh und dankbar, dass dieses Wort
heute nur noch so am Rande gefallen ist – Übermenschliches geleistet, wofür ihnen mehr als nur unser aller Dank gebührt.

Ich glaube aber auch, es wäre zu einfach, wenn wir uns heute hier herstellen und sagen: Na ja, Corona war schuld an all den Problemen, vor denen wir jetzt stehen, an all den Baustellen, vor denen wir auch stehen! Das wäre zu kurz ge­griffen, meine Damen und Herren.

Diese Baustellen – nennen wir sie jetzt einmal so – gibt es seit Jahren und Jahrzehnten. Da hinken wir tatsächlich in einigen Bereichen hinterher. Vielleicht war da so eine kleine Staubschicht oben drüber, und Corona war dann ein Katalysator, Corona war wie ein Sturm, der diese Staubschicht weggefegt und viele Dinge ans Tageslicht gebracht hat.

Die Zahlen sind teilweise alarmierend. Die Gesundheit Österreich GmbH spricht von zumindest 75 000 Pflegekräften, die wir bis 2030 brauchen.

Da hat diese Regierung schon einiges auf den Weg gebracht. Ich glaube, das darf und muss man nämlich auch sagen: dass diese Regierung wirklich Maßnahmen setzt, um kurzfristig abzufedern, um aber auch mittel- und langfristig Akzente zu setzen – wenn ich allein an das große Pflegepaket denke, eine der größten Reformen der letzten Jahrzehnte in diesem Bereich, das 20 Maßnahmen beinhal­tet, von denen einige schon auf den Weg gebracht wurden, die man jetzt schon spürt. Ich denke da besonders an die Gehaltszuzahlung, über 520 Millio­nen Euro – die Regelfinanzierung, in die das übergeführt werden soll, ist schon angesprochen worden –, oder an den Ausbildungszuschuss von 600 Euro, das Pflegestipendium von 1 400 Euro, um nur Maßnahmen zu nennen,
die man teilweise jetzt schon spürt, die aber möglicherweise auch erst in einigen Jahren Auswirkungen haben werden, weil eines klar ist: Jemand, der heute
in die Ausbildung geht, der ist morgen nicht fertig.

Da sind wir wieder beim Thema Prävention. Wir müssen heute anfangen und wir müssen am besten gestern anfangen, diese Dinge zu tun.

Ein weiterer wesentlicher Baustein dieser Pflegereform – ich möchte ihn nicht unerwähnt lassen –ist die Pflegelehre, denn die Situation war schon die, dass wir viele junge und motivierte Menschen im Alter zwischen 15 und 17 bis
18 Jahren verloren haben, die sich dann für andere Berufe entschieden haben, wobei man natürlich niemandem böse sein kann.

Diese Pflegelehre ist jetzt ein möglicher Hebel, um 15-jährige junge Damen und Herren – ich nenne sie bewusst so – wieder für diese Arbeit am Menschen
und mit den Menschen zu begeistern. Es ist nicht aller Weisheit letzter Schluss – wir haben da auch die Schweizer Zahlen gehört –, aber es ist wieder ein Baustein, um möglicherweise diesen großen Herausforderungen entgegenzu­treten.

Weiters werden wir auf Fachkräfte aus dem Ausland setzen müssen. Auch da ist durch die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte bereits einiges zuwege gebracht worden.

Das sind alles Dinge, die der Bund machen kann – und ich will auch schon zum Ende kommen; wir haben leider nur 5 Minuten Redezeit –, aber auch die Länder können einiges tun. Ich möchte nur beispielhaft das Land Niederösterreich
mit dem Pflegebonus von 1 000 Euro, der mit Oktober schlagend wird und von dem nur in Niederösterreich 47 000 betroffene Menschen profitieren wer­den, erwähnen, aber auch mein Heimatbundesland, die Steiermark, wo jetzt der neue Gesundheitscampus an der FH in Karpfenberg eröffnet wird und wir
in Zukunft Gesundheits- und Krankenpflegemitarbeiterinnen und -mitarbeiter ausbilden werden. Das ist ein wichtiger Schritt und ein Zeichen für die
Zukunft und für die Region.

Sehr geehrte Damen und Herren! Als Mitglied des Bundesrates sind mir dieses Zusammenstehen und dieser Zusammenhalt zwischen Bund, Ländern und Kommunen so wichtig. Ich glaube, der Bundesrat verkörpert auch wie kaum eine andere Einrichtung dieses Zusammenstehen.

Daraus versuche ich auch, die politischen Prinzipien in dieser Thematik abzuleiten. Eines der wichtigsten: Bleiben wir abgestimmt und seien wir uns bewusst, dass wir diese großen Herausforderungen nur gemeinsam
bewältigen können, über alle Interessen, über alle Fraktionen hinweg!

Vergessen wir nie, es geht um jeden einzelnen Menschen, der Pflege braucht, und es geht um jeden einzelnen Menschen, der hilft, diese Pflege anzubieten!

Achten wir – und auch das ist schon gesagt worden – auf die Durchlässigkeit in der Karriere. Es ist ein wesentlicher Motivator, einen Beruf zu ergreifen, wenn
man weiß, man hat die Möglichkeit, auch eine Karriere dahin gehend zu machen.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Lamperl leuchtet jetzt schon zu lange dauerhaft rot, ich bedanke mich, dass Sie alle hier sind. Ich freue mich
auch schon auf angeregte Diskussionen im Anschluss und bedanke mich für Ihr Engagement. – Alles Gute! (Beifall.)

12.29


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächste zu Wort gelangt die Fraktionsvorsitzende der SPÖ, Frau Bundesrätin Korinna Schumann. –
Bitte, Frau Kollegin.


12.29.37

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien)|: Zuerst darf ich mit einem Dank an unseren Bundesratspräsidenten beginnen, der diese Enquete mit seiner Themensetzung ermöglicht hat, weil es, glaube ich, die Gelegenheit ist, ganz ein­fach einmal den Heldinnen – und es sind hauptsächlich Heldinnen – und Helden, die in der Pflege, in der Betreuung in der Coronazeit gearbeitet haben, davor gearbeitet haben, jetzt arbeiten, Danke zu sagen.

Fakt ist: Das gesamte System der Pflege und Betreuung würde zusammenbre­chen, würden sie nicht mit derartigem Herzblut, mit derartig viel Engage­ment, mit derartig viel Empathie ihre Arbeit machen. Dafür ist, glaube ich, von uns allen einmal ganz gewaltig Danke zu sagen (Beifall), aber Danke allein wird nicht reichen.

Wir wollen, dass kranke Menschen, dass alte Menschen, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf die bestmögliche Versorgung haben. Das
heißt aber, wir brauchen einfach mehr Personal im Bereich der Betreuung und der Pflege. Anders wird es nicht gehen. Das System der Krankenversorgung,
das System der Pflegeversorgung war schon vor Corona am Limit, die Beschäf­tigten dort waren am Limit. Corona kam noch dazu, und jetzt ist es wirklich sehr lange schon nach zwölf.

Die Zahlen wurden ja heute schon oft genannt: 30 Prozent des gesamten Personals sind bereits über 50 Jahre alt. Wir haben die Ergebnisse aus dem Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer, dass 65 Prozent aller Befragten
im Pflegesektor es für unwahrscheinlich halten, dass sie bis zum Ende ihrer Be­rufslaufbahn in der Pflege bleiben werden. 15 Prozent aller Befragten haben gesagt, sie werden über kurz oder lang das Feld der Pflege und der Betreuung verlassen. – Das ist ein Hilfeschrei!

Die Grundlage dafür, dass man Personen hält, sind bessere Arbeitsbedingungen. Es geht um die psychische Belastung, um die körperliche Belastung, um die Belastung aufgrund der Dienstzeiten, um die Frage der Planbarkeit der Dienste. Dieses: Ich weiß gar nicht, wie ich mein Privatleben auf die Reihe kriegen
soll, weil es zu wenig Personal gibt und ich immer wieder einspringen muss und immer wieder angerufen werde und ich an der Familienfeier am Wochen­ende nicht teilnehmen kann!, macht dieses Berufsbild eindeutig nicht attraktiv. An diesen Schrauben muss ganz dringend gedreht werden. (Beifall.)

Wir brauchen eine bundesweit einheitliche bedarfsorientierte Personalberech­nungsmethode, um die Versorgungsqualität zu garantieren.

Weiters ist bei der Ausbildung hinzuschauen. Ja, das Pflegestipendium ist eine gute Sache, der Ausbildungsbeitrag, das ist alles gut. Wenn aber nicht existenzsicherndes Einkommen besteht, dann werden sich die Menschen nicht überlegen, aus anderen Bereichen in die Pflege zu gehen, weil sie sagen:
Ich kann mir das nicht leisten, schon gar nicht in Zeiten dieser unglaublichen Teuerung!

Die Ausbildung in der Praxis ist ein wesentlicher Punkt: Wenn man den Praxisan­leiter:innen in all den Bereichen – sei es Spital, seien es Pflegeeinrichtungen,
seien es Behinderteneinrichtungen – nicht die Möglichkeit gibt, dass sie diese Zeit der Anleitung angerechnet bekommen, sondern ihnen sagt: Na, ihr
macht euren vollen Dienst, und außerdem bildet ihr noch aus!, wird sich das nicht ausgehen. Da muss man absolut hinschauen.

Wir haben natürlich gesehen: Es gibt eine Pflegereform, von der gesagt wurde, dass sie eine Jahrhundertreform ist. – Na, gar so arg ist es wirklich nicht.
Es ist etwas passiert, aber zu wenig. Aus unserer Sicht ist es so, als ob man auf eine große, klaffende Wunde halt ein Pflaster pickt. Ich glaube, wir können
uns das nicht leisten, schon gar nicht aufgrund der demografischen Entwicklung und aufgrund der Frage: Wie gehen wir mit den Beschäftigten in der Pflege
und in der Betreuung um?

Wir haben in Österreich ein sehr arztzentriertes System. Auch das gilt es zu überdenken. Es braucht multidisziplinäres Arbeiten, multidisziplinäre Teams in der Pflege und in der Betreuung. Da ist hinzuschauen und umzudenken.

Die Pflege – das sei noch einmal gesagt – ist weiblich. Wir müssen auch Männer für diesen Beruf finden und ihnen diesen Beruf attraktiv machen. Ich darf
Ihnen nur ein paar Zahlen sagen: Beim nicht ärztlichen Gesundheitspersonal in Krankenanstalten sind 82 Prozent der Beschäftigten Frauen, davon in der Gesundheits- und Krankenpflege 85 Prozent Frauen, in stationären Einrichtun­gen für Betreuung und Pflege beträgt der Frauenanteil 84 Prozent, bei den mobilen Diensten 90 Prozent. Im Bereich der pflegenden Angehörigen ist es ja nicht viel anders. Da ist der Prozentsatz etwas geringer, aber es sind wieder
die Frauen, die pflegen. Ich glaube, da muss man schon hinschauen und kann man nicht sagen, die Familie pflegt. In Wahrheit sind es immer die Frauen,
die dazu herangezogen werden.

Wenn man sagt, die Menschen möchten, dass sie länger zu Hause gepflegt werden, dass sie nicht in stationäre Pflege kommen, und sich die Modelle in anderen Ländern anschaut, dann sieht man: Es gilt, in die mobilen Dienste
zu investieren. Das ist eine wesentliche Frage, weil es nicht so sein kann, dass zu Hause einfach ohne Unterstützung gepflegt wird. Da muss es einen wirklich großflächigen Ausbau auch bei den mobilen Diensten geben, und auch da muss an den Arbeitsbedingungen geschraubt werden.

Ich kann ganz ehrlich sagen: Wenn wir bei den mobilen Diensten jetzt eine Si­tuation haben, dass eine Frau, die bei den mobilen Diensten in Salzburg arbeitet, die sehr viele Kilometer mit dem Auto fährt, derzeit aufgrund der Lage mit
dem Kilometergeld selber im Jahr 500 Euro dazuzahlt, damit sie arbeiten kann, weil einfach die Kosten für die Autofahrt so hoch sind und das Kilometergeld
nicht auf den Satz von 60 Cent erhöht wurde, was es dringend gebraucht hätte, dann ist das nicht die richtige Botschaft und dann wird es schwierig, Men­schen für diesen Beruf zu finden.

Lassen Sie mich zum Thema Prävention noch etwas sagen! Natürlich wollen wir alle, dass alle gesund älter werden und es allen gut geht. Da ist hinzuschauen. Bewegung ist wichtig, all das ist gut. Es muss aber schon klar sein: Um sich ge­sund ernähren zu können, um ein Fitnessstudio besuchen zu können, was
auch immer, braucht man Geld im Geldbörsel. (Beifall.)

Gesunde Ernährung – das sei klar gesagt – ist teuer. Wenn wir die Preise
nicht hinunterbekommen, dann wird es schwieriger werden, gesund älter zu werden. Das ist ganz klar: Es hängt zusammen. Armut und Krankheit und
damit auch frühere Pflegebedürftigkeit hängen eindeutig zusammen. Das ist halt ein Kreislauf, bei dem eines mit dem anderen zusammenhängt.

Dort überall muss hingeschaut werden. Ich glaube, es ist jetzt im Bereich der Pflege und der Betreuung schon mehr als fünf nach zwölf.

Trotzdem muss man für das ganz, ganz große Engagement Danke sagen. Ich darf auch allen Betriebsrätinnen, Betriebsräten, allen Personalvertreterinnen und Personalvertretern in diesen Bereichen, die sich wirklich für die Beschäftigten mit aller, aller Kraft hineinhauen, Danke sagen.

Wenn wir es jetzt nicht bald angehen und auch die Frage der Finanzierung klären – und Pflege und Betreuung kosten Geld; wenn man eine gute Betreuung haben will, kostet das einfach Geld; das ist ganz klar –, wenn wir da nicht weitertun, dann fahren wir sehenden Auges an die Wand. Ich glaube, wir alle, die wir hier heute bei dieser Enquete sind, wollen das nicht, sondern wir wollen
die beste Betreuung, die beste Pflege für unsere Menschen. – Vielen Dank.
(Beifall.)

12.37


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächste zu Wort gelangt für die FPÖ in Vertretung des Fraktionsvorsitzenden Frau Bundesrätin
Andrea Michaela Schartel. – Bitte, Frau Kollegin.


12.37.25

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark)|: Herr Vorsitzender! Liebe Kollegen! Ich werde jetzt in meinem Redebeitrag vor allem auf
die Erfahrungen eingehen, die jemandem zuteilwerden, wenn er selbst in die Situation kommt, dass ein sehr lieber Mensch auf einmal seiner Hilfe und
Pflege bedarf. In diesem Bereich bin ich auf einige Mängel und sehr viele Dinge, an denen es fehlt, draufgekommen. Wir haben heute schon von sehr vielen Experten, auch von der Beamtenschaft, vom Herrn Minister selber gehört, dass die größte Stütze für Menschen, die Betreuung brauchen, die eigenen Familienmitglieder sind.

Fangen wir zum Beispiel da an: Es gibt tolle Behelfsmittel in der sogenannten geriatrischen Medizin. Die kosten aber Geld. Das, was unter Umständen
eine Kasse zur Verfügung stellt – und da kommt es schon darauf an, bei welcher Kasse man versichert ist: bei der ÖGK, bei der SVS, bei der BVAEB –, ent­spricht zwar dem Grundbedürfnis, das zum Beispiel bei Inkontinenz ent­steht, nimmt aber auf die Würde des Betroffenen überhaupt keine Rücksicht und hilft auch nicht demjenigen, der bei einem zu pflegenden Angehörigen diese Inkontinenzprodukte in irgendeiner Art und Weise anwenden muss.

Deswegen wäre ein Vorschlag von mir: Warum kann man in diesem Bereich nicht hergehen und sagen: Jedem pflegenden Angehörigen oder betroffenen Pa­tienten steht eine gewisse Summe zur Verfügung, und man darf sich das aussu­chen, was für beide, nämlich für den, der betreut, und für den, der betroffen ist, das Beste und vor allem menschenwürdig ist!? (Beifall.)

Ich glaube, es kann jeder nachfühlen, dass es, wenn man aufgrund einer Krank­heit auf einmal gerade in diesem sensiblen Bereich der Körperhygiene auf menschliche Hilfe angewiesen ist, eine sehr emotionale, große Herausforderung für beide Personen ist.

Deswegen möchte ich appellieren, dass bitte wesentlich mehr Männer Pflege­berufe ergreifen, denn das ist ein Bereich, in dem die gleichgeschlechtliche Betreuung, davon bin ich überzeugt, viel, viel leichter ist, weil bei gleichge­schlechtlicher Betreuung die Scham, die man nun einmal empfindet, für
beide Teile viel leichter erlebbar ist.

Da ist man ja in einer sehr emotionalen Belastungsszene. Und das ist, wie Sie vorhin erwähnt haben, ein Bereich, den man sich nicht freiwillig aussuchen kann. Da gibt es auf einmal eine Diagnose und zack, wumm ist man in dieser Situa­tion drinnen. Und gerade wenn es um einen nahen Angehörigen geht, so wie es bei mir um meinen Mann gegangen ist, denkt man nicht darüber nach, ob
man das machen muss oder nicht. Man will helfen und man sieht, was plötzlich auf einen zukommt.

Nehmen wir das Beispiel Krankenbetten! Wir wissen alle, dass ein adäquates, richtiges Krankenbett vor allem demjenigen, der pflegt, wahnsinnig viel Erleichterung bringt, den Körper schont, das Kreuz schont; aber es ist ein Pro­dukt, das man in Österreich nur unter ganz, ganz schwierigen Bedin­gungen kassenärztlich bewilligt bekommt.

Wir hatten das Glück, dass mein Mann und ich – ich aufgrund meiner politischen Tätigkeit, er weil er ein paar Reserven gehabt hat – aufgrund unserer finan­ziellen Ressourcen uns das eine oder andere Hilfsmittel, das vor allem mir gehol­fen hat, leisten konnten. Aber wie viele Menschen gibt es da draußen, die das nicht können, wie viele Familien?! Daher wäre es ganz, ganz wichtig, dass man gerade in diesem Bereich endlich Geld in die Hand nimmt! (Beifall.)

Da gibt es so Kleinigkeiten, zum Beispiel eine Drehscheibe, die kostet 120 Euro. Mein Mann hat am Anfang noch circa 86 Kilo gewogen, konnte aber aufgrund seiner Krankheit keine Bewegung mehr machen. Ich konnte ihn nicht selber vom Bett so bewegen, dass er in den Rollstuhl kommt. Wissen Sie, was diese Drehscheibe um 120 Euro für eine Lebensqualität für beide bringt? Denn wenn mein Mann im Rollstuhl saß, konnte ich mit ihm hinausgehen und ihn noch immer in sein Café bringen, das er so sehr geliebt hat.

Und weil Sie vom Roten Kreuz da sind: Ich weiß, ihr könnt nicht wirklich etwas dafür, aber die Geschichte mit den Krankentransporten ist etwas, das Betroffene und Betreuende wirklich an den Rande der Verzweiflung bringt, das muss ich wirklich sagen.

Erstens: Ich weiß nicht, ob das überall so ist, aber bei uns in Graz hat man die Möglichkeit eines Krankentransportes nur dann, wenn man definitiv gehunfähig ist. Solange diese definitive Gehunfähigkeit nicht bestätigt ist, gibt es
keinen Krankentransport.

Mein Mann hat aber enorme Gehbeeinträchtigungen gehabt. Ins Auto ein­zusteigen und aus dem Auto auszusteigen, das war alles sehr schwierig für ihn. Dann habe ich ihm selber einen Rollstuhl organisiert, denn es dauert ja wie­der, bis die Kasse der Meinung ist, dass der Rollstuhl nicht aus Gaudi bestellt wird, sondern weil man ihn wirklich braucht.

Das Schlimmste für mich war Folgendes: Als er auf der Palliativstation auf­genommen wurde, hat es geheißen, am Mittwoch, also nach dem Feiertag vom 1. November, um 11 Uhr – wir haben uns alle schon gefreut – darf mein Mann nach Hause. Um 13 Uhr habe ich angerufen, und mir wurde gesagt, geht nicht, die Rettung ist noch immer nicht da. Dann habe ich um 15 Uhr ange­rufen, aber es war noch immer nicht so weit. Um 19.30 Uhr haben dann die Kran­kenschwestern und ich entschieden, dass man es meinem Mann nicht mehr zumuten kann, ihn einfach plötzlich in der Nacht nach Hause zu transportieren, es wurde auf den nächsten Tag verschoben. Aber wissen Sie, was? Ich
mache mir (um Fassung ringend) heute noch Vorwürfe, weil an diesem Mittwoch kein Mensch bei meinem Mann im Spital war, weil wir gedacht haben, er
kommt ja eh nach Hause.

Auch das sind wichtige Dinge, für die Ressourcen in die Hand genommen werden müssen, damit diese Betroffenen nicht so leiden müssen, nur weil die Res­sourcen für einen Krankentransport nicht da sind. Das gehört bei einer Pflegere­form mitverhandelt! Das gehört unbedingt dazu! Wissen Sie, wie wichtig das ist und wie das einen belastet? Haben Sie schon einmal jemanden gesehen (neu­erlich um Fassung ringend), der sich einer Strahlen- oder einer Chemotherapie unterzieht? Die Körper, die Menschen sind wirklich ganz, ganz ausgelaugt, und die müssen dann wirklich 4, 5 Stunden warten, bis sie jemand nach Hause
führt.

Ich würde Sie daher wirklich bitten: Probieren wir doch mit der Politik, mit allen zusammen, eine wirklich wesentliche Verbesserung gerade auch in diesem Bereich zu erreichen! Das wäre ganz, ganz, ganz wichtig.

Heute ist auch vieles bezüglich ärztlicher Betreuung erwähnt worden. Ich finde, in eine Pflegereform gehört es auch hinein, dass wir endlich wieder unsere Hausärzte stärken; denn wenn man zu Hause jemanden betreut, ist der Hausarzt einer der wichtigsten Partner.

Nur ein Beispiel: Da mein Mann sich nicht mehr gut bewegen konnte, hat sich bedauerlicherweise beim Fuß, weil er doch so starke Metasthasen gehabt
hat, eine Druckstelle entwickelt. Was macht man da? Natürlich muss man schau­en, dass das in Ordnung kommt, dass sich das nicht öffnet, dass das nicht womöglich in den Knochen hineingeht. Ein Hausarzt kommt zu einem nicht mehr nach Hause, sei es aus finanziellen Gründen oder weil ein Hausbesuch aus Kassensicht ja keine wertvolle Tätigkeit mehr ist. Was muss man also machen? Geld in die Hand nehmen und sich einen Wundmanager besorgen, denn ich
bin ja keine ausgebildete Krankenschwester. Wundmanager gibt es aber nicht genug, wie Sie erwähnt haben.

Da steht man dann oft vor der Entscheidung: 24-Stunden-Betreuung oder ex­terne Betreuung in einem Heim? Was ich gebraucht habe, war eine stun­denweise Unterstützung, aber die ist kaum zu bekommen. Und wenn, dann kos­tet das ein Schweinegeld; das ist etwas, das sich die Mehrheit der Menschen bei uns wirklich nicht leisten kann. Da gibt es nämlich eine Einschreibgebühr von 500 Euro – das ist das, was Sie erwähnt haben. So kommt oft die diplomierte Krankenpflegefachkraft nicht zur Abklärung, weil man dafür 500 Euro zahlen muss. Ich habe mir zum Beispiel im Oktober in Summe 10 Stunden externe Betreuung geholt, und das hat 1 300 Euro gekostet. Bitte, wer hat bei uns in Ös­terreich so viel Geld? Ich habe das Glück, dass ich gut verdiene, und mein Mann hat Ressourcen gehabt; aber was machen die vielen, vielen Menschen, die das alles nicht haben, für die diese monatlichen Pflegekosten ihrem gesamten Monatsgehalt entsprechen?

Und da gibt es so viele Rädchen, die noch wichtiger sind! Die finanzielle Absi­cherung der betreuenden Angehörigen finde ich ganz, ganz wichtig, vor allem dann, wenn der Kranke in ein Stadium kommt, in dem er eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung braucht, sodass der pflegende Angehörige das nicht mehr teilzeitmäßig machen kann.

Die anderen Dinge, die ich Ihnen hier heute geschildert habe, sind aber genauso wichtig, sonst funktioniert das nicht. Denn was haben wir davon, wenn Menschen zwar bereit sind, da eine Arbeit oder eine Leistung dem Staat abzu­nehmen, aber dann vielleicht selbst zu Pflegefällen werden, weil sie sich körperlich, gesundheitlich ruinieren?

Deswegen appelliere ich eindringlich an alle: Bitte, bitte, greifen wir alle in vielen Bereichen zusammen! Lasst uns nicht nur in die eine Richtung denken, sondern auch mehr mit jenen sprechen, die tatsächlich in der Pflege zu Hause tätig sind! – Danke. (Beifall.)

12.47


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Vielen Dank für diesen en­gagierten und authentischen Beitrag.

Als Nächste zu Wort gelangt für die Grünen – in Vertretung des Fraktions­vorsitzenden – Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte, Frau Kollegin.


12.48.03

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren im Saal und auch zu Hause! Nachdenken über die Pflege von morgen – das versuchen wir heute gemeinsam in dieser Enquete, um gute und akzeptierte Lösungen für eine sehr große gesellschaftliche Aufgabe unserer Zeit zu finden.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, herzlichen Dank aussprechen für ihren aspektreichen und fundierten Input, den wir heute bekommen haben und mit dem wir als Politiker:innen uns
auch beschäftigen werden.

Lassen Sie mich zu einem etwas anderen Thema kommen, zu einem, das heute bisher nicht im Fokus gestanden ist. Wenn ich an das Thema Pflege denke,
habe ich spontan ein paar Bilder im Kopf. Das ist zum Beispiel die Frau, deren arbeitsreicher Tag ein Leben lang um 5 Uhr morgens begonnen hat, die
jetzt aber bis 8 Uhr morgens im Bett liegen muss, damit das Personal im Heim nicht gestört wird. In ihrem neuen Zuhause ist es um 5 Uhr am Morgen
noch Nacht, um 5 Uhr am Nachmittag allerdings schon fast wieder Schlafenszeit.

Ich denke da auch an die Frau, die gerne zum Friedhof gehen würde, aber immer wieder zurückbegleitet wird, sobald sie einen Fuß vor die Türe setzt, weil es einfach sicherer ist, wenn sie sich im Heim, in ihrem Wohnbereich aufhält. Diese Frau reagiert zunächst mit Beharrlichkeit und später mit Wut und Verzweiflung, weshalb sie für die nächste Visite aufgeschrieben wird, weil sie, wie es heißt, we­gen ihrer Unruhe unbedingt Bedarfsmedikamente braucht.

Da ist auch der Mann, der täglich sein Packerl Zigaretten geraucht hat, der es gewohnt ist, im ganzen Haus zu rauchen, aber nun in seinem neuen Zuhause damit konfrontiert ist, dass man ihm das Feuerzeug wegnimmt und dass er nach einer Zigarette fragen muss und immer begleitet wird, wenn er zum Rauchen
vor die Türe oder auf den Balkon geht.

Das sind drei kleine Geschichten, es sind aber auch authentische Berichte von Betroffenen, und sie stehen für mich stellvertretend für die Aufgabe, die
wir als Gesellschaft im Bereich der Pflege haben. Sie schildern das tägliche Schicksal der Menschen mit Pflegebedarf. Ich möchte daher etwas näher
auf das Themenfeld der Selbstbestimmung eingehen.

Der Grundwert der Eigenständigkeit, der Selbstbestimmung im Alltag bröckelt und wird derzeit von innen ausgehöhlt. Der aktuelle Zustand, insbesondere
in Alten- und Pflegeheimen, lässt mich an den von Erving Goffman geprägten Begriff der totalen Institution denken.

Jahrzehntelang gab es das Bestreben, es war unser gesellschaftlicher Anspruch, Autonomie und Sicherheit von Menschen mit Unterstützungsbedarf zu
stärken. Leider bewegen wir uns im Bereich der stationären Pflege derzeit in ei­ne komplett andere Richtung. Es ist zurzeit so, dass sich die Menschen in ihrem neuen Zuhause an die Erfordernisse der Institution anpassen, sei es bei den Essenszeiten, sei es bei den Schlafenszeiten oder im Zusammenhang mit den heute schon mehrfach erwähnten Waschtagen.

So kommt es, dass erwachsene Menschen plötzlich nicht mehr gehen können, wohin sie wollen, dass sie nicht mehr rauchen oder trinken dürfen, wie sie es ein Leben lang gewohnt waren, weil plötzlich die Bevormundung – das Gutmeinen,
das Schützenwollen – mehr Gewicht bekommt als die individuelle Entscheidung, mag sie im Pflege- und Betreuungsalltag aus fachlicher Sicht noch so unvernünftig und falsch sein.

Wenn wir also über die Pflege von morgen nachdenken, dann sollten wir uns ganz intensiv mit den Menschen auseinandersetzen, die diese Pflege und Unterstützung brauchen.

Jemand hat heute schon erwähnt, dass es ganz wichtig und wesentlich ist,
den Pflegenden in den Mittelpunkt zu stellen und das System der Pflege um ihn beziehungsweise sie rundherum aufzubauen. In diese Richtung sollten wir denken.

Wenn wir über Pflege von morgen nachdenken, müssen wir uns mit den Themen Selbstbestimmung und Sicherheit tatsächlich beschäftigen. Dafür gibt es eine Vielzahl von erprobten Vorgehensweisen aus der Pflege selbst, die genau diese alltägliche Selbstbestimmtheit sicherzustellen versuchen, auch unter schwie­rigen Rahmenbedingungen. Ihr Ziel ist es, dass Menschen trotz Krankheit und Gebrechen weiterhin eben ein lebenswertes Leben führen, was immer
das auch für jeden Einzelnen beinhaltet.

Zusätzlich gibt es natürlich den gesetzlichen Rahmen, der den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit Unterstützungsbedarf, die Achtung ihrer Menschenwürde garantiert, indem er eindeutige Regeln formuliert
und Kontrollmechanismen geschaffen hat.

Der gesellschaftliche Anspruch ist nach wie vor, auch in Institutionen ein individuell gestaltetes, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Das erfordert eine ständige und kritische Auseinandersetzung der Kontrollorgane nicht nur mit dem Pflegepersonal und dessen Arbeit, sondern auch mit den Menschen mit Pflegebedarf und deren persönlichen Bedürfnissen. Nur so kann ein System von Checks and Balances im Pflegealltag funktionieren, das den Zynismus, dass die Aufgaben der Institutionen in der bloßen Verwahrung bestehen, im Zaum hält.

Dazu braucht es alle im Prozess Beteiligten: das Pflegepersonal, die Gepflegten, aber auch die Kontrollorgane. Ein System der Pflege von morgen muss sie
alle stärken, nämlich durch flexible Arbeitszeitmodelle, durch flächendeckende Verankerung von – heute auch schon mehrfach erwähnt – Community­nurses, durch Alternativen zu Zwängen, durch mehr – und das ist ganz wichtig! – Begegnung auf Augenhöhe.

In der Pflege von morgen sollte unser Leitmotiv das lebenswerte Leben von Menschen mit Unterstützungsbedarf sein, denn ein lebenswertes Leben ist ein selbstbestimmtes, mit allen Freiheiten und Konsequenzen, die individuelle Entscheidungen mit sich bringen. (Beifall.)

12.54


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Vielen Dank.

12.54.26VIII. Allgemeine Diskussion


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Wir gelangen nun zu den Beiträgen der Teilnehmer:innen.

Ich darf auch an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ich ersuche gleichzeitig, diese Vorgabe einzuhalten. Ich darf darauf hinweisen, dass 1 Minute vor Ende der Redezeit ein rotes Lämpchen leuchten wird. Das ist
die dezente Bitte, zum Landeanflug anzusetzen.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Maximilian Köllner. – Bitte.


12.55.01

Abgeordneter Maximilian Köllner, MA (SPÖ)|: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Bundesratspräsidenten Günter Kovacs für die heutige Initiative zur Enquete danken. Es sind sehr,
sehr wichtige Zukunftsthemen, die hier angesprochen werden, beziehungsweise eigentlich sogar gegenwärtige Themen. Ich möchte aber, auch weil die Re­dezeit kurz ist, von Herrn Mag. Minar, dem CEO von John Harris Fitness, gleich sozusagen den Ball volley aufnehmen.

Für mich persönlich ist das Thema Sport und Bewegung im Kontext der Politik ehrlich gesagt ein sehr emotionales. Vielleicht bin ich da befangen durch meine Rolle als Sportsprecher der SPÖ im Nationalrat. Aber nicht nur in meiner
Rolle als Sportsprecher, auch in meiner Freizeit bin ich stets sportaktiv und sportbegeistert gewesen. Für die große Fußballkarriere hat es zwar nicht gereicht, aber für den Amateurfußball sehr wohl, und das 20 Jahre lang. Auch heute gehe ich gerne ins Fitnessstudio oder nach draußen in die Natur
laufen.

Ich sehe ganz einfach, wie viel Potenzial wir in unserer Gesellschaft noch haben, wie wir noch besser werden können und müssen. So wie sich die Sportlerin­nen und Sportler ehrgeizige Ziele stecken, müssen wir, glaube ich, auch in der Politik erfolgreicher werden, wenn es darum geht, das Volk in Bewegung zu bringen und damit zur Prävention von Krankheiten und zur Gesundheits­förderung aktiv beizutragen.

Bewegung und Sport wirken sich unbestritten positiv auf das persönliche Wohlbefinden und auf die Gesundheit aus. Ich würde fast sagen, Fitness ist die beste Medizin. Aber nicht nur das: Bewegung und Sport haben auch enor­men volkswirtschaftlichen Nutzen und positive ökonomische Effekte. Das möch­te ich anhand einiger weniger Zahlen, die ich einer Studie der Bundes-Sportorganisation Sport Austria entnehme, belegen.

Die Hälfte der österreichischen Bevölkerung macht rund 150 Minuten pro Wo­che moderate oder intensive Bewegung. Das ist das, was auch die WHO empfiehlt und was man in der Fachsprache als Health-Enhancing Physical Activ­ity bezeichnet. Dazu gehört zum Beispiel zügiges Gehen, Laufen, Aerobic oder Radfahren.

Auf der anderen Seite haben wir durch Inaktivität aktuelle Kosten von 1,6 Milliarden Euro. Das entspricht 3,6 Prozent der Gesundheitskosten bezie­hungsweise 0,5 Prozent des BIP.

Umgekehrt wiederum beträgt der aktuelle Nutzen durch Aktivität 955 Millionen Euro. Davon muss man aber wiederum Sportunfallkosten abziehen, sodass 530 Millionen Euro positiv verbleiben.

Würde die Anzahl der Menschen, die diese Empfehlung der WHO erfüllen,
um 10 Prozent gesteigert werden, dann hätten wir ein Einsparungspotenzial von 117 Millionen Euro. Da rede ich noch gar nicht von der großen Vision, dass
jeder in Österreich diese Quote erfüllt, dann hätten wir nämlich ein Einsparungs­potenzial von 1,15 Milliarden Euro.

Ich wollte Sie jetzt mit den Zahlen nicht verwirren, aber ich glaube, man sieht, dass wir hier noch sehr, sehr viel bewegen können, was das Einsparungs­potenzial bei den Gesundheitskosten betrifft.

Was wir am Ende des Tages daraus herauslesen können, ist: Je mehr sich eine Gesellschaft bewegt, umso gesünder ist sie. Damit bin ich eigentlich schon
beim heutigen Thema: Zukunft der Gesundheits- und Sozialpolitik: Wie können wir die Pflege der Zukunft finanzieren? Wie können wir das Altern in
Würde gewährleisten?

Ich bin persönlich der felsenfesten Überzeugung, dass die Basis für eine gesunde Gesellschaft und für ein langes, erfülltes Leben der Menschen Bewegung
und Sport ist. Sport ist sozusagen die beste Altersvorsorge.

Daher möchte ich abschließend noch einmal einen parteiübergreifenden Appell an uns alle in der österreichischen Politik richten, denn erfolgreich können
wir wie bei einem Teamwettbewerb nur gemeinsam sein: Wir müssen unsere Kin­der möglichst früh in Bewegung bringen, und das am besten im Rahmen einer täglichen Bewegungseinheit in den Schulen. Dieses Thema ist schon sehr, sehr lange auf der politischen Tagesordnung in Österreich, aber hier müssen wir
noch viel, viel besser werden.

Der heute anwesende Landeshauptmann und frühere Sportminister Hans Peter Doskozil hat diesbezüglich Pionierarbeit geleistet, aber ich möchte auch
noch einmal den Aspekt des Herrn Minar aufgreifen.

Auch Schwimmen kann man im Rahmen des Unterrichts durchführen, und das sollte man auch; aber was fehlt, ist die Schwimminfrastruktur. Es gibt das Angebot nicht. Da müssen wir dringend ansetzen. Wir müssen wieder in die Schwimm­infrastruktur investieren, denn natürlich darf Schwimmen nicht von der Geldbör­se abhängen, und es darf nicht sein, wir dürfen nicht dulden, dass diese erschreckende Zahl von 160 000 Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahre in Österreich, die nicht schwimmen können, in Zukunft so bestehen bleibt.

Ich glaube auch, je früher und je öfter die Kinder Sport betreiben, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Leben lang – in welcher Form auch immer –
mit dem Sport in Verbindung bleiben, weil sie den Sportspirit irgendwann im Be­wusstsein, im Blut haben; aber dazu braucht es die politische Zusammenar­beit zwischen dem Bildungsministerium, dem Sportministerium, dem Gesund­heitsministerium und natürlich dem Ort, wo das Geld zu Hause ist: dem Finanzministerium. Diese Ministerien müssen zusammenarbeiten, damit die tägliche Bewegungseinheit endlich flächendeckend in Österreich umge­setzt wird. – Danke schön. (Beifall.)

13.01


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Vielen Dank, Herr Kollege, auch wenn das mit der Redezeit nicht ganz gelungen ist.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Mag. Silvia Rosoli von der Bundesarbeits­kammer. – Bitte.


13.01.34

Mag. Silvia Rosoli (Bundesarbeitskammer)|: Herr Vorsitzender, danke für die Worterteilung! Liebes Publikum hier im Saal! Liebes Publikum vor den Bildschirmen! Wir haben heute wirklich sehr umfassende Vorträge gehört, sehr viele Inputs, sehr viele Forderungen, die es schon lange gibt, über die wir
schon sehr lange diskutieren, die Hoffnung wecken, so wie jene von Herrn Sek­tionschef Pallinger, der andeutet, welche Lösungsansätze es im Rahmen
des Finanzausgleichs geben kann; die Hoffnungen, die uns Herr Gesundheits- und Pflegeminister Rauch gibt, indem er unermüdlich dranbleiben möchte
und sagt, dass an ihm keine Pflege- oder Gesundheitsreform im Rahmen des Fi­nanzausgleichs scheitern sollte. Für dieses Bemühen möchte ich mich be­danken. (Beifall.)

Wir haben aber die Ausgangssituation, dass wir jetzt schon seit Jahren über
die Maßnahmen, die notwendig sind, diskutieren. Es sind schon so viele Prozesse gelaufen, wir haben kiloweise Papier mit Vorschlägen und Forderungen produziert. Die sind aber bei den Menschen, die sie brauchen, noch nicht wirk­lich angekommen. Die ersten Schritte wurden gesetzt, die Pflegereform 1.0 im Hinblick auf die Ausbildung, da wurde wirklich etwas weitergebracht; aber bei denjenigen, die es tatsächlich brauchen, den Pflegenden und denen, die Pflege
und Betreuung brauchen, ist, glaube ich, noch nicht viel angekommen. Wir sehen es tagtäglich, wir lesen es tagtäglich in den Zeitungen: Vor allem in der Lang­zeitpflege stehen österreichweit Tausende Betten leer, weil das Personal fehlt.

Ich will jetzt nicht wiederholen, was es alles braucht, um mehr Personal zu ge­winnen, und das Personal, das noch arbeitet, zu halten. Da braucht es natür­lich ganz viele Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen, und die scheinen noch zu fehlen. Frau Bundesrätin Korinna Schumann hat eindrücklich darge­legt, was nötig ist, damit wir in der Langzeitpflege mehr Personal bekommen und auch bestehendes Personal halten können. Bis jetzt spüren wir davon eben viel zu wenig.

Mein Appell betrifft deshalb etwas, was heute vielleicht noch zu wenig hervorgehoben worden ist. Die größte Pflegeberufsgruppe ist die diplomierte, der gehobene Dienst, der ungefähr 100 000 Menschen angehören. Von
denen werden wir auch am allermeisten brauchen, weil das Personal eben auf­grund der demografischen Entwicklung immer weniger wird. Wir müssen schauen, dass wir diese größte Gruppe der Pflegeberufe weiter fördern. Diese Förderungen fehlen in den Reformmaßnahmen auch jetzt noch. Wenn wir aufgrund der demografischen Entwicklung wenige Menschen zur Verfügung haben, müssen wir schauen, dass wir diese bestmöglich ausbilden, denn
wir werden sie brauchen.

Deshalb jetzt abschließend mein Appell an uns, die wir hier alle stehen und sitzen und schon vor Jahren gestanden und gesessen sind: Wir müssen endlich in die Gänge kommen. Es haben schon einige Redner:innen vor mir bemerkt: Es
ist eigentlich schon fünf nach zwölf. Wir müssen ins Handeln kommen.

Der Finanzausgleich bietet jetzt dieses Fenster an Verhandlungen, und ich hoffe, dass alle über ihren Schatten springen können, dass Partikularinteressen hintangestellt werden, um endlich Verbesserungen für die Menschen zu bringen, und zwar für die Menschen, die Pflege und Betreuung brauchen, und für die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

13.05


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Klara Neurauter. – Bitte, Frau Kollegin.


13.05.30

Bundesrätin Klara Neurauter (ÖVP, Tirol)|: Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zuerst allen für ihre Rede­beiträge danken. Es waren so viele wertvolle Inputs, wenn ich es so formulieren darf. Es waren persönliche Erfahrungen dabei, und für alle kann man nur danken, weil man aus allem etwas lernt.

Daraus ersehen wir und lernen wir auch, dass es in der Pflege nur gut gehen kann, wenn wir in einem gemeinsamen Schulterschluss unsere Kräfte
bündeln, um mit einem Maximum an Sachpolitik und einem Blick auf das Ganze, auf den ganzen Menschen, handeln.

Die eingetretenen demografischen Veränderungen verlangen rasche Entschei­dungen. Ich erinnere nur daran, dass bereits am 5. April 2017 die damali­ge Tiroler Bundesratspräsidentin Sonja Ledl-Rossmann hier eine viel beachtete Enquete mit dem Titel „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ veranstaltet hat. Heute, sechs Jahre später, sind wir wieder hier und haben Ähn­liches zu sagen. (Heiterkeit.)

Ich möchte nur wiederholen: Gemeinsam, das ist, glaube ich, das Wahre. Wir wissen ja, dass Senioren, wenn sie pflegebedürftig werden, am liebsten zu Hause bleiben. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir neue Wohnformen schaffen: betreubares Wohnen, Seniorenwohngemeinschaften, vor allem aber Demenz­wohngemeinschaften.

Was es braucht, das haben wir heute vielfach gehört: eine Personaloffensive,
in die alle eingebunden sind, die Pflegebedürftigen und jene, die die Pflege
leisten, egal in welcher Funktion; gerechte Bezahlung; lebbare Arbeitsbedingungen; Verdoppelung der Förderung der 24-Stunden-Betreuung zu Hause, wobei auch das Gütesiegel hilfreich ist. Suchen und nützen wir auch die Vorteile der Digitalisierung!

Gott sei Dank startet die Pflegelehre nun auch in Tirol. Wir haben in Tirol auch einen Strukturplan Pflege Neu herausgebracht: Strukturplan Pflege 2023–2033. Er soll zusätzliche Plätze in der Tagespflege und beim betreuten Wohnen bringen und alternative Versorgungsmöglichkeiten vorsehen. In Innsbruck ver­suchen wir auch, mit der Bereitstellung von Wohnungen für die Mitarbei­ter in den Altenwohn- und Pflegeheimen zu helfen.

Ich kann nur darum bitten, dass alle Akteure gemeinsam handeln. Was auf den ersten Blick oft bestechend klingt – ich denke an die Anstellung pflegender Angehöriger im Burgenland –, scheitert dann oft an den Bedingungen im Detail.

Darum sage ich erstens Danke für jedes Engagement und äußere zweitens die Bitte, gemeinsam zu handeln. (Beifall.)

13.08


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Mag. Walter Marschitz. – Bitte.


13.09.04

Mag. Walter Marschitz, BA (Sozialwirtschaft Österreich)|: Mein Name ist Walter Marschitz, ich bin Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich und Ver­handlungsführer für den SWÖ-Kollektivvertrag auf Arbeitgeberseite.

Ich möchte drei Punkte kurz ansprechen. Erstens, was mir wichtig ist: Der oft erzählte Mythos, dass niemand mehr in der Pflege arbeiten möchte, stimmt einfach nicht. In den letzten 15 Jahren sind alleine im Bereich Heime über 20 000 Pflegekräfte zusätzlich tätig geworden. Das sind um 78 Prozent
mehr als im Jahr 2008. Es gibt außer der Kommunikationstechnologie keinen Wirtschaftsbereich, der ein höheres Wachstum an Beschäftigten hat als
der Pflegebereich. Unser Problem ist ausschließlich nachfrageinduziert. Das verschärft sich noch.

Vielleicht nur eine Zahl: Wenn man nur den Status quo weiterschreibt – keine zusätzlichen längeren Krankheiten und so weiter –, werden wir 2060 statt 470 000 930 000 Pflegegeldbezieher haben, also eine Verdoppelung. Wir wer­den dann auch doppelt so viele Pflegekräfte brauchen, wie wir jetzt haben.
Nur um das zu sagen: 2060 ist die Zeit, in der die Babyboomer pflegebedürftig sein werden, also ich und einige andere im Saal, die in einer ähnlichen Altersgruppe sind.

Wir werden das – ich unterstreiche das – nicht im Inland schaffen. Daher glaube ich, dass die Rekrutierung von ausländischem Pflegepersonal in Form einer nationalen Kraftanstrengung das nächste notwendige Projekt bei der Pflegere­form sein muss.

Zweiter Punkt: Eine Monopolisierung der mobilen Pflege halte ich für einen Irrweg. Ich halte es für ein wesentliches Qualitätsmerkmerkmal für die Betroffenen, dass sie bei Unzufriedenheit die Möglichkeit haben, den Anbieter zu wechseln. Auch das angesprochene dänische Modell sieht sogar zwin­gend vor, dass es mindestens zwei Anbieter geben soll. Auch als Arbeitgeber halte ich es für richtig – obwohl es uns als Betriebe vielleicht nicht freut –,
dass die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, den Arbeitgeber zu wechseln. Aus verschiedensten Gründen will jemand vielleicht nicht unbedingt bei einer christlichen, einer sozialdemokratischen oder einer bürgerlichen Organisation arbeiten.

Wäre das monopolistische System kostengünstiger, müsste sich das schon heute zeigen, denn wir haben solche Dinge schon im System. Das Gegenteil ist der Fall. Die Systeme, die kompetitiv sind, sind wesentlich kostengünstiger – leider nur kurze Zeit. Warum, kann ich jetzt nicht ausführen.

Drittens noch ein Spezialthema: Wir brauchen dringend eine Novellierung der gesetzlichen Regelungen zur Entlastungswoche. Das Gesetz ist leider ein Murks, muss ich sagen – nicht zuletzt deswegen, weil man die Stakeholder nicht eingebunden hat –, und ist ohne gesetzliche Klarstellung eigentlich nicht zu voll­ziehen. Daher also die Bitte an die Vertreter des Parlaments – es sind ja
auch Nationalratsabgeordnete da –: Bitte sanieren wir das, damit die Leute da Rechtssicherheit haben! – Danke. (Beifall.)

13.12


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Vielen Dank, insbesondere für die exakte Einhaltung des zeitlichen Rahmens.

Als Nächster gelangt Herr Nationalratsabgeordneter Josef Smolle zu Wort. – Bitte, Herr Kollege.


13.12.47

Abgeordneter Dr. Josef Smolle (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Geschätzte Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Enquete! Meine sehr ge­ehrten Damen und Herren! Zuerst möchte auch ich ein ganz großes Danke
sagen, nämlich an alle, die sich hier an dieser Enquete beteiligt haben, weil wirk­lich sehr, sehr viele und ganz entscheidende Punkte von verschiedenen
Seiten beleuchtet worden sind und das Ganze auch durchaus in einem sehr über­greifenden Verständnis dargebracht worden ist. (Präsident Kovacs über­nimmt den Vorsitz.)

Ich möchte mich jetzt auf zwei kurze Punkte beschränken. Einer ist am Rande schon angesprochen worden: Für ein gutes Pflegesystem, in dem die Menschen auch, solange es vertretbar ist und sie es wünschen, zu Hause bleiben können, braucht es eine gute allgemeinmedizinische Versorgung. Wir bauen ja vonseiten der Bundesregierung in Richtung Erleichterung der Gründung von Primär­versorgungseinheiten aus. Wir fördern die Allgemeinmedizin.

So wie die Primärversorgungszentren und -netzwerke wichtig sind, wird in Zu­kunft auch der:die niedergelassene Allgemeinmediziner:in eine ganz wesentliche Rolle spielen. Auch diese Fachärztebetitelung, die jetzt kommt – nämlich Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin –, zeigt schon, dass wir die­ses Generationsübergreifende und auch das Präventive da wirklich im Fokus haben.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, ist heute noch nicht gekommen: Ich glaube, wir müssen allen Gesundheitsberufen wieder mehr Freiraum für ihre Kernaufgaben im Arbeitsalltag einräumen. In vielen Berufen stellen sich Men­schen die Frage nach dem Sinn. Die Gesundheitsberufe sind in einer privi­legierten Situation, denn der Sinn deren Tätigkeit – gerade in der Pflege – ist selbstevident und liegt auf der Hand. Den erlebt man aber nicht in Verwaltungstätigkeiten, nicht in Dokumentation und nicht in Kontrollen. Den erlebt man in den Kernaufgaben, in der unmittelbaren Zuwendung zu
den Patientinnen und Patienten.

Ich glaube, es wird ein wesentliches gesellschaftliches Anliegen sein, dass wir die Menschen in den Gesundheitsberufen – und da besonders die Pflege – von diesem sehr einengenden – ich sage – Kontroll- und Dokumentationssystem wie­der freispielen und ihnen die Möglichkeit einräumen, das zu machen, wofür
sie den Beruf ergriffen haben: sich nämlich den anderen Menschen zuzuwenden. Sie tun das, und dafür sage ich Danke. (Beifall.)

13.15


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Doktor.

Zu Wort gemeldet ist Frau Elisabeth Anselm vom Hilfswerk Österreich. – Bitte sehr.


13.15.49

Elisabeth Anselm (Hilfswerk Österreich)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Auf den letzten Metern schaffe ich es noch an dieses Pult und bedanke mich,
dass das auch noch möglich ist. Es gibt ganz viel zu sagen. Es ist heute viel Rich­tiges gesagt worden, es ist vieles gesagt worden, worüber man sicher noch in der Tiefe diskutieren müsste.

Mein Anliegen ist Folgendes – ich mache das jetzt ganz kurz, ich hätte sonst
gerne mehrere Punkte genannt, aber ich beziehe mich jetzt auf einen Punkt, der mir besonders wichtig erscheint –: Heute haben sehr viele Rednerinnen und Redner sehr zu Recht auf den Grundsatz Bezug genommen, die Pflege zu Hause zu stärken. Die Stichworte waren also: mobil vor stationär, ambulant vor stationär. Das ist ein Bekenntnis, das meines Erachtens im Sinne der Wünsche der Betroffenen richtig ist. Ich denke, es ist ein Bekenntnis, das auch,
wenn man in Ressourcen denkt, ein richtiges Bekenntnis ist.

Österreich steuert aktuell aber in die andere Richtung. Die Daten der Statistik Austria und des Pflegevorsorgeberichts sprechen da eine klare Sprache:
Wir steuern seit der Abschaffung des Pflegeregresses in den stationären Einrich­tungen, wo wir es auf der anderen Seite versäumt haben, die Pflege und Betreuung zu Hause ähnlich zu attraktivieren und zu unterstützen – es ist heute schon vieles genannt worden, was zu Hause große Probleme macht –, in
die andere Richtung. Das muss uns einfach klar sein, da sind die Zahlen völlig eindeutig. Daher helfen uns allen miteinander keine Lippenbekenntnisse
zu diesem Grundsatz, sondern wir müssen in Österreich in ein besseres Steuern kommen.

Der letzte Rechnungshofbericht zum Bereich Pflege ist zu Beginn der Pandemie veröffentlicht worden. Dementsprechend hat er nicht besonders viel Auf­merksamkeit genossen. Auch er spricht aber eine klare Sprache. Da ist ganz deut­lich erkennbar, dass in Österreich ein Steuerungsdefizit da ist. Da arbeiten
sich Bund, Länder und auch Gemeinden ein Stück weit aneinander ab, und wir werden schauen müssen, dass wir in dieses Geschehen mehr Steuerung hineinbekommen.

Der Herr Sektionschef hat es ja heute schon gesagt – ich habe es mir jetzt aufgeschrieben –: Es heißt Pflegeentwicklungskommission. Das habe ich heute zum ersten Mal gehört. Ich unterstütze das sehr, weil das meines Erachtens
die einzige Chance ist, diese Materie der Pflege, die so stark von den un­terschiedlichen Gebietskörperschaften bestimmt wird, strategisch in eine gute Zukunft zu steuern, anstatt die Dinge sozusagen laufenzulassen und sich da quasi mit weiterem Stückwerk voranzuhanteln. Es helfen uns also keine Lip­penbekenntnisse, es hilft uns nur eine wirksame Steuerung.

Da das Licht schon blinkt, beende ich hiermit meinen Redebeitrag. Es gäbe noch ganz viel zu sagen. Ich hoffe, wir bleiben im Gespräch und im Diskurs. Ich
fand das einen tollen Anfang, heute auch in die Tiefe des Systems zu schauen, denn ohne Systemverständnis wird die Steuerung nicht gelingen. – Vielen
Dank. (Beifall.)

13.18


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Anselm.

Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesrätin Mag.a Marlene Zeidler-Beck. – Bitte, Frau Magistra.


13.18.49

Bundesrätin Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA (ÖVP, Niederösterreich)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Wer die Welt bewegen will,
sollte erst sich selbst bewegen“ soll Sokrates einmal gesagt haben. Ich glaube, mit der heutigen Enquete – ich sage wirklich ein herzliches Dankeschön
an alle Teilnehmer:innen für alle Beiträge – ist viel in Bewegung gebracht wor­den. Ich glaube, Sie haben viele von uns auch emotional sehr bewegt und –
wie im Beispiel von Mag. Minar – auch körperlich bewegt oder zumindest dazu motiviert, heute am Abend wieder die Laufschuhe zu schnüren.

Als eine der jüngeren Teilnehmerinnen ist es mir ein ganz wichtiges Anliegen, noch einmal das Augenmerk auf ein Thema zu richten, in dem aus meiner Sicht ein großer Hebel für die Zukunft drinnen steckt und durch das wir, wie ich
auch glaube, einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierbarkeit der Pflege, aber auch zur Leistungsfähigkeit der Pflege insgesamt leisten können.

Das ist der Bereich der Prävention, bei dem es so wichtig ist, aufzuklären, zu begleiten und zu informieren und bei dem es, glaube ich, in Österreich sehr, sehr viele Initiativen gibt, die gesetzt werden.

Ich denke an die Gesunde Gemeinde, wo Gesundheitsvorsorge, wo Prävention direkt vor die Haustüre der Menschen gebracht wird und auch genau dort ankommt, wo sie hingehört und wo es ganz, ganz wichtig ist. Wir müssen unsere Anstrengungen im Bereich der Bewusstseinsbildung weiter intensivieren
und darauf aufmerksam machen, dass mit dem Alter Defizite kommen werden, aber auch den Leuten ganz gezielt und wirksam Instrumente mitgeben, was
man dagegen tun kann, wie man aktiv gegensteuern kann, wie man helfen kann.

Es ist vielleicht symbolisch, dass wir heute drei Panels zum Thema Pflege
erlebt haben und zum Abschluss eines zum Thema Prävention. In diesem Bereich haben wir sozusagen einen Mosaikstein beleuchtet, nämlich jenen der Be­wegung. Ich möchte aber im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung wirklich auch noch einmal einen Appell richten, auch die anderen Bereiche genau zu be­trachten, auch die Bereiche der Ernährung und der psychischen Gesundheit.

Dieses Thema ist aus meiner Sicht heute viel zu kurz gekommen. Auch der Bereich der Soziologie ist, wenn es um das Thema der Einsamkeit im Alter geht, ein ganz wesentlicher Punkt.

In diesem Zusammenhang darf ich mit einer Formel von Franz Kolland schließen, der diese Fünf-L-Formel für gesundes Altern mitgibt: lernen, laufen, lieben,
leben und lachen. – Vielen Dank. (Beifall.)

13.21


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.

Zu Wort gemeldet ist nun Herr Landtagsabgeordneter Richard Punz. – Bitte, Herr Abgeordneter.


13.21.35

Richard Punz, BA (Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag, FPÖ)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute
vieles, viele Zahlen gehört. Pflege und Betreuung sind eines der brennendsten Zukunftsthemen unserer Zeit. Wir haben es gehört, bis 2030 werden mindestens 70 000 weitere Pflegekräfte benötigt, viele davon alleine schon deshalb, damit wir das System überhaupt aufrechterhalten können.
Bis 2050 werden voraussichtlich 650 000 Menschen professionelle Hilfe brauchen.

Jene Menschen, die jeden Tag Großartiges leisten und im Pflegebereich arbeiten, stoßen aber immer häufiger und immer mehr an die Grenzen ihrer Belastbar­keit. Dem Sog aus überfüllten Pflegeheimen, immer länger werdenden Wartelis­ten, dem Leerstand von Betten, weil eben schon das Personal fehlt, und auch dem Abgang von Stammpersonal müssen wir ernsthaft und nachhaltig entgegenwirken.

Ein wesentlicher Punkt – das wurde schon angesprochen – ist die Ausbildung von qualifizierten Fachkräften im eigenen Land. Die langjährige Forderung nach Pflegelehre wurde leider viel zu lange verschleppt. Wir hätten schon lange aus­bilden können. Andere Länder, beispielsweise die Schweiz, wie ja schon an­gesprochen wurde, hat davon profitieren können, auch wenn die Kollegin das hinterfragt. Auch wenn nicht alle in diesem Beruf bleiben, wurde ausgebil­det. Jeder, der in einer Notsituation im Pflegebereich die Ausbildung abschließt, ist schon eine Bereicherung für die Schweiz an sich. Den Jobwechsel über die Bereiche hinweg erleben wir in allen Branchen.

Mein Appell ist: Nutzen wir wirklich die Chance, unseren Jugendlichen einen zukunftssicheren Beruf mit Arbeitsplatzgarantie zu ermöglichen! Dazu braucht es aber auch die entsprechende Bezahlung, um diese dann auch zu halten,
und – das ist mir auch wichtig – die Wertschätzung für die geleistete Arbeit.

Ein weiterer wesentlicher Punkt für die Zukunft ist die Pflege zu Hause. Ge­schätzte Damen und Herren, der sehnlichste Wunsch vieler Senioren ist es, zu Hause alt werden zu können. Darum haben wir auch in Niederösterreich
in unserem Arbeitsübereinkommen den Grundsatz Daheim vor stationär unter Berücksichtigung der digitalen Innovation, weil die Pflege in den eigenen
vier Wänden im gewohnten Umfeld, im Kreise der Liebsten meiner Meinung nach einfach leistbar sein muss. Das sollte für uns alle ein Ziel sein.

So haben wir in Niederösterreich auch den schon erwähnten Pflegescheck auf den Weg gebracht. Ab Herbst – der Kollege hat es angesprochen – werden
47 000 Landsleute davon profitieren, damit sie sich über das Pflegegeld hinaus Leistungen finanzieren können. Das ist ein wesentlicher Beitrag.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss mich auch kurz fassen. Ich wünsche mir ein Pflegenetz, das wirklich niemanden zurücklässt. Ich glaube, das ist
möglich, aber das heißt für uns als Politik, nicht reden, sondern für die Lands­leute anpacken und handeln. – Danke schön. (Beifall.)

13.24


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter.

Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesrätin Mag.a Sandra Gerdenitsch. –
Bitte sehr.


13.25.09

Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch (SPÖ, Burgenland)|: Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Auch von mir an dieser Stelle ein Dankeschön
für die Abhaltung der heutigen Enquete. Das Thema Pflege ist heutzutage eines der wichtigsten Themen überhaupt. Viele Herausforderungen warten auf
uns, es sind viele Fragen und Herausforderungen offen. Wir müssen Antworten darauf finden.

Als Burgenländerin traue ich mich, zu behaupten, das Burgenland wird einmal mehr seiner Rolle als Vorreiter in der Sozialpolitik gerecht. Dort gibt es
keine Lippenbekenntnisse, es werden konkrete Taten gesetzt. Seit Jahren wird von einer umfassenden Pflegereform geredet, wir im Burgenland haben
sie eingeleitet. Unser Ziel sind eine sozialrechtliche Absicherung von betreu­enden Angehörigen durch ein Anstellungsmodell, eine verpflichtende Ge­meinnützigkeit für öffentlich finanzierte Pflegeheime und die Schließung von Versorgungslücken in ländlichen Regionen durch wohnortnahe Pflege­stützpunkte.

Zu den Pflegekräften: Der Mangel an Pflegekräften ist eine große Heraus­forderung; wir haben es heute schon mehrfach gehört. Dabei ist auch die Politik gefordert. Das Land Burgenland hat daher einen konkreten Fahrplan erarbei­tet und ein Bündel an Maßnahmen geschnürt. Eine davon ist, die Ausbildung im Pflegebereich zu attraktiveren. Mit der Anstellung von angehenden Pfle­gekräften bieten wir ein Modell an, mit dem wir uns als attraktiver Ausbildungs­standort und Arbeitgeber präsentieren können.

Das Pflegestützpunktmodell ist ein wirklicher Meilenstein für die Pflege im Burgenland. Das Modell sieht die Gliederung des Burgenlandes in 28 Regionen und Standorte in 71 Gemeinden vor. Die Betreuungsmöglichkeiten sind
dabei vielfältig und beinhalten die Hauskrankenpflege, betreutes Wohnen sowie die Seniorentagesbetreuung und die Pflege- und Sozialeinrichtungen. Wohn­ortnahe, effizient, serviceorientiert und vor allem niederschwellig – so wird die Versorgung der Bevölkerung mit Pflege- und Betreuungsangeboten an den 71 Standorten aussehen.

Nicht zuletzt gibt es die Anstellung pflegender Angehöriger. Kollegin Neurauter, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, welche Details Sie meinen, die noch offen
sind. Ich lade Sie sehr gerne ein, vom heiligen Land Tirol ins Burgenland zu reisen und sich vor Ort ein Bild zu machen.

Frau Kollegin Schumann, Sie haben es heute schon gesagt: Die Pflege ist weib­lich und die Pflege darf auch männlich werden. Das ist etwas, was sich viele Menschen auch wünschen. (Beifall.)

Es müssen nicht nur die Frauen in der Pflege tätig sein, wiewohl das historisch natürlich gewachsen ist. Pflege ist weiblich. Mehr als 75 Prozent der angestellten pflegenden Angehörigen im Burgenland sind Frauen. Lassen Sie mich sagen:
Von den 273 derzeit angestellten pflegenden Angehörigen betreuen 25 Prozent Menschen mit Behinderung, da sind auch Kinder und Jugendliche dabei. Bitte vergessen wir auch diesen Umstand nicht! Auch auf diese Gruppe müssen wir besonders Bedacht nehmen.

Das Modell kommt vor allem Frauen zugute. Sie befinden sich in einem Dienst­verhältnis, verlieren durch die Betreuung keine Pensionsjahre und müssen nicht auf ihre Entlohnung verzichten. Das wirkt gegen Überlastung und vor allem auch gegen drohende Altersarmut.

Wir stehen vor einem massiven Wandel, vor einem gewaltigen Wandel, den wir aktiv gestalten müssen. Wir müssen Pflege neu und in vielfältige Richtungen denken. Schauen Sie dabei ins Burgenland! – Vielen Dank. (Beifall.)

13.28


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.

Zu Wort gemeldet ist nun Bundesrat Ernest Schwindsackl. – Bitte, Herr Bundesrat.


13.28.49

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark)|: Geschätzter Herr Präsident! Werte Expertinnen und Experten! Sie haben diesen Vormittag und jetzt
schon beinahe Mittag mit Ihren Expertisen nicht nur bereichert, sondern wun­derbar ausgestattet. – Herzlichen Dank dafür! Das wurde auch schon einige
Male gesagt.

Geschätzte Damen und Herren! „Wir sind nicht auf der Erde, um ein Museum zu hüten, sondern“ unseren Lebensraum zu verbessern, auszubauen und vor
allem zu pflegen. Papst Johannes XXIII. hat dieses Zitat von sich gegeben, und es umfasst den Begriff pflegen, tun, sorgsam mit den Ressourcen, die wir ha­ben, umgehen, sorgsam mit den anvertrauten Menschen umgehen. Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Punkt.

Als Seniorenvertreter freut es mich ganz besonders, dass der Herr Präsident dieses ganz wichtige Thema Pflege in seinen Fokus gestellt hat. Sie haben es ja auch schon gehört und gemerkt: Auch vor einigen Jahren, konkret vor sechs Jahren, hat es eine Enquete zu diesem Thema gegeben.

Es dauert halt alles ein bisschen, aber es ist wichtig, dass man auch immer wieder an diesen Zahnrädern dreht. Daher können wir auch Gott sei Dank heute
diese Enquete mit den Expertinnen und Experten durchführen.

Ich möchte zwei Punkte herausnehmen: Ein wesentlicher Punkt ist natürlich die entsprechende Ausbildung der Persönlichkeiten – ich nenne sie wirklich Persönlichkeiten, weil ich großen Respekt vor diesen Leuten habe, die im Pfle­gebereich tätig sind. Das ist kein Job, den man macht; das ist eine Berufung,
wie es der Name ja schon sagt, für die man mit viel Herzblut dabei sein muss, weil es sonst nicht funktioniert. Da zitiere ich gerne auch Paul Watzlawick,
der ganz wunderbar und auch treffend sagt: Wer sich selber nicht mag, kann andere nicht ausstehen.

Ja, bitte schön, wenn sich gerade in diesem großartigen sozialen Beruf die Leute selbst nicht mögen würden, was ja Gott sei Dank nicht der Fall ist, würde es
nicht funktionieren. Daher ist das eine besondere Berufung, die es auch ent­
sprechend zu pflegen und auszubauen gilt.

Da gibt es ja viele Aspekte. Die jetzige Bundesregierung hat schon sehr viel beigetragen. Die Bundesregierung geht wirklich mit Hirn, Herz und Hand an die Sache, damit eben auch etwas weitergeht und schrittweise umgesetzt wird.
Wir alle wissen: Wir haben ein wunderbar ausgebautes System, das sich sehen lassen kann. Wir brauchen nur über die Grenzen zu schauen und zu verglei­chen, wenn immer wieder erwähnt wird: Ja, das eine oder andere funktioniert nicht. Natürlich ist Verbesserung angesagt, natürlich braucht es stetigen Ausbau, aber wir können auf das bisher Geleistete und auf das, was sozusagen auf dem Radar ist, auch entsprechend stolz sein.

Ganz kurz: Daheim statt Heim ist ein wesentlicher Punkt, der angesprochen wurde. Nicht jeder und jede kann sich das leisten, nämlich in Bezug auf die bauliche Ausstattung im Wohnhaus oder in der Wohnung. Da braucht man ja etwas, da sind auch oft Fremdmittel notwendig. Dies ist ein Punkt, bei dem
die Altersdiskriminierung voll und ganz zugeschlagen hat, und wir konnten dank aller – über die Parteigrenzen hinweg, von den Seniorenverbänden ausgehend – zustande bringen, dass die sogenannte Kreditsperre für Personen, die sich schon in der Pension befinden, aufgehoben wird, dass nicht das Alter, sondern die Bonität ausschlaggebend ist. Natürlich hat jede Kreditvergabe auch mit Bonität zu tun. Da können dann aber auch entsprechende Einrichtungen ge­schaffen und finanziert werden, die dann ein Zuhause statt Heim ermöglichen.

Gerade bei der Altersdiskriminierung muss man sehr aufpassen. Da sind wir entsprechend auch immer mit dem Finger an der möglichen Wunde, dass sich nicht weiter fortsetzen kann, dass möglicherweise Operationen von älteren Menschen verschoben werden, dass es gewisse Medikamente, die verschrieben werden, nicht gibt, und, und, und. Sie sollen wissen, dass da entsprechend aufgepasst wird. Die Senioren brauchen, so wie alle anderen Gruppierungen, na­türlich auch eine entsprechend gute und starke Vertretung.

Es gibt in der Steiermark eine Persönlichkeit, die sich Ermi-Oma nennt. Das ist
ein Pfleger, Herr Hirtler, der in Form dieser Ermi-Oma eine Figur geschaffen hat, die sich im Pflegeheim befindet und die nicht kabarettistisch, nicht lächerlich erzählt, was sich im Altersheim bei ihr so tut und wie sie dorthin gekommen ist. Das geschieht wirklich mit sehr viel Leidenschaft, manchmal ist es auch lustig,
es gibt die eine oder andere Pointe, aber der Hintergrund ist ein sehr, sehr erns­ter: und zwar, dass Pflege etwas ganz, ganz Wichtiges und Großartiges ist und hoffentlich in weiterer Folge auch wirklich zu den Erfolgen führt, die wir uns alle wünschen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

13.33


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Bundesrat.

Zu Wort gemeldet ist nun Frau Landtagsabgeordnete aus Oberösterreich Ulrike Schwarz. – Bitte, Frau Abgeordnete.


13.33.56

Ulrike Schwarz (Abgeordnete zum Oberösterreichischen Landtag, Grüne)|: Meine sehr geehrten Damen und Herren, danke für die wertvollen Beiträge! Ich
mache es ja nicht ganz uneigennützig, dass ich bei der zweiten Pflegeenquete dabei bin. Ich möchte ein klares Statement für die Akademisierung der
Pflege abgeben. Es ist mir ganz wichtig, dass wir das noch einmal festhalten. – Danke. (Beifall.)

Wir haben schon gehört: Wir stehen im europäischen Wettbewerb um die Pflegekräfte, und überall – außer in Deutschland – wurde der Beruf aka­demisiert. Dort, wo wir hinblicken, wo die Gesundheits- und Pflegesysteme passen, sind sie akademisiert. Das gilt auch für die Pflegekräfte von den Philippinen, die zu uns nach Oberösterreich kommen. Da bleiben wir dran, das muss passieren. Warum? – Weil die Herausforderungen für die Pflegekräfte unendlich steigen; und ich glaube, da muss man hinschauen. Was kann eine Communitynurse oder eine Schoolnurse wirklich an Kompetenz einbringen,
damit man mit chronisch kranken und mit multimorbiden Menschen gut arbeiten kann?

Die Ausbildungswege sind auch sehr vielfältig. Wir haben damit angefangen. Die Lehre ist nicht unbedingt meine favorisierte Ausbildung, aber gerade die
drei- und fünfjährigen berufsbildenden Schulen zeigen: Auch wenn Absolvent:in-nen nicht in die Pflege gehen, haben sie dennoch Gesundheitskompetenz erworben – und das brauchen wir ganz dringend, weil wir sonst alle diesbezüg­lich nicht kompetent sind.

Ein anderer Aspekt ist die Durchlässigkeit dieser Ausbildungswege. In Ober­österreich zeigen wir es vor, man kommt auch von der Pflegefachassistenz sehr einfach in die Bachelorausbildung. Genau das muss der Weg sein: die Mög­lichkeit für viele Frauen, einzusteigen und später dann vielleicht wei­terzumachen.

Was mir auch ganz wichtig ist: Wir müssen auch die Kompetenzen erweitern, verändern, an die Notwendigkeiten anpassen und in vielen Bereichen den Ärztevorbehalt streichen. Es kann nicht sein, dass wir bei allem immer den Ärz­tevorbehalt brauchen. Da existiert nämlich genau das gleiche Problem, und zwar, dass es zu wenige gibt. Es gilt hinzuschauen, welche Tätigkeiten die Pfle­geassistenz und die Pflegefachassistenz ausführen können, was für diese akademisierte Pflege bleibt und was es denn da an Kompetenzerweiterung braucht.

Ich weiß, wie schwierig das ist. Der Sektionschef kennt mich schon sehr, sehr lange. Ich war lange als Ordinationsgehilfin tätig. Das Zusammenspiel der Gesundheitsberufe – und vor allem das gesamte Zusammenspiel von multipro­fessionellen Teams – ist ganz, ganz wichtig. Meine Bitte ist: Reden wir mit
der Pflege und nicht über die Pflege – und reden wir von allen Gesundheitsbe­rufen miteinander, um ein bestmögliches Versorgungssystem für unsere älteren Menschen, aber auch für behinderte Menschen oder für chronisch Kran­ke sicherzustellen. Das ist mein Aufruf und mein Dank an die Vortragenden. (Beifall.)

13.36


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Abgeordnete.

Zu Wort ist nun Herr Nationalrat Mag. Ernst Gödl gemeldet. – Bitte, Herr Magister.


13.36.45

Abgeordneter Mag. Ernst Gödl (ÖVP)|: Ich habe meinen Zettel gar nicht mitgenommen. Ich glaube, wir können das verkürzen – bin ich schon der letzte Redner auf der Liste? (Vorsitzender Präsident Kovacs verneint) –, weil ja
vieles sehr richtig schon gesagt worden ist.

Ich möchte nur ein großes Dankeschön aussprechen. Ich befasse mich auch fraktionsintern, gemeinsam mit Herrn Prof. Smolle, im Nationalrat mit
dem Thema Pflege. Ich komme aus einer breiteren Betroffenheit. Ich bin selbst ehrenamtlicher Obmann einer Einrichtung im Bereich der mobilen Dienste,
die 300 Beschäftigte hat, und ich weiß über die Sorgen, die wir jetzt haben, wenn wir Personal halten wollen oder neues Personal anstellen müssen. Man
muss allerdings auch sagen: Als ich vor zehn Jahren begonnen habe, haben wir 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehabt, inzwischen sind es 300. Es hat
sich auch sehr vieles ins Positive geändert.

Das wäre nur meine Bitte und meine kurze Botschaft: Vieles funktioniert
dank Ihrer Hilfe, dank Ihrer Aktivitäten auch sehr gut. Vergessen wir bitte nicht, auch zu sagen, was sehr gut funktioniert. Wir tun der Pflege gar nichts
Gutes, wenn wir ausschließlich negativ reden. Mir hat, weil ich erwähnt habe, dass heute eine Pflegeenquete stattfindet, erst gestern eine Mitarbeiterin gesagt: Bitte sag zum Beispiel, dass ich gerne in der Pflege arbeite! Bitte ver­gessen wir diese Botschaft nicht, dass es viele gibt, die gerne arbeiten, die den Beruf mit Freude machen, und dass es auch viele gibt, die gerne in den Be­ruf einsteigen werden. Bitte – über die Parteigrenzen hinweg – nehmen wir es nicht zum politischen Spielball, alles nur negativ zu sehen.

Danke, Herr Sektionschef, dass Sie auch aufgezählt haben – und das soll auch ein bisschen eine Werbeeinschaltung für die Regierung sein –, dass wir
doch in den letzten Monaten einiges versucht haben. Voriges Jahr wurde am Tag der Pflege die Pflegereform angekündigt. Wir haben einiges an finanziellen Mitteln in die Hand genommen. Das ist alles nicht selbstverständlich. Das bitte ich, in der entsprechenden Sachlichkeit zumindest auch zu würdigen.

Ich will jetzt fachlich auf keine Punkte eingehen. Danke für die vielen Anre­gungen. Ich nehme vieles mit, auch in Bezug auf die Entlastungswoche habe ich gehört, dass es da aus Ihrer Sicht einen Änderungsbedarf gibt, Herr Marschitz.
Das werden wir besprechen. Wendet euch an uns! Alle, die im Parlament sitzen und die das Thema bearbeiten, wie Bedrana Ribo von den Grünen und auch
alle von den Oppositionsparteien, darf ich auch gleich mit ins Boot holen. Es gibt auch da wirklich sehr viele innovative, gute Kräfte – auch in der Gesetzgebung.

Wir alle versuchen, das Beste zu machen, aber meine Botschaft – auch nach außen – lautet: Vieles in unserem Land funktioniert wirklich gut und das
soll auch gesagt sein. – Danke schön. (Beifall.)

13.39


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Nationalrat.

Nun freue ich mich besonders, auch einen Vertreter der Europäischen Kommis­sion an das Rednerpult bitten zu dürfen: Herrn Tim Joris Kaiser. – Bitte sehr.


13.39.19

Tim Joris Kaiser (Europäische Kommission)|: Hoffentlich wirklich in aller Kürze: Ich schließe mich zunächst natürlich der Danksagung für die Initiative für
diese Enquete und für die ganz vielen ganz wichtigen Beiträge an.

Nur ganz kurz aus der europäischen Perspektive: Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern und der EU ist ja – im Positiven wie im Negativen – schon in vielen Wortbeiträgen gefallen. Natürlich beschäftigt sich auch die EU mit diesem Thema. In der Vertretung der Kommission hier in Wien bin ich insbeson­dere verantwortlich für das Europäische Semester.

In diesem Zusammenhang werden länderspezifische Empfehlungen ausgespro­chen, und seit langen Jahren beinhalten diese auch einen Hinweis auf die finanzielle Tragfähigkeit des Langzeitpflegesystems, seit etwas Kürzerem aber auch auf die Angemessenheit, die natürlich vor allen Dingen besprochen wurde. Das ist also auch im Augenmerk der Europäischen Kommission.

Ich darf nur kurz eine Diskussion wiedergeben, die wir unter den Fachminis­terien der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten heuer schon hatten und mit
der der Herr Sektionschef natürlich dementsprechend sehr gut vertraut ist. Ganz kurz zusammengefasst begrüßen wir sehr ausdrücklich die Maßnahmen, die schon gesetzt wurden, inklusive des Pflegereformpakets 2022, inklusive aber auch der genannten Zuschüsse zum Beispiel zum Palliativfonds und ganz insbesondere auch der Communitynurses.

Ich war gestern auch bei der Jahreskonferenz und habe mich sehr gefreut.

Das ist natürlich gemessen am Umfang der Herausforderungen ein relativ kleines, aber trotzdem ein sehr wichtiges Projekt, das für beide Dinge, denke ich, für die Angemessenheit wie auch für die finanzielle Tragfähigkeit des Systems, wichtig sein kann und das im Übrigen natürlich aus dem Aufbaufonds, aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU, gefördert wird.

Darüber hinaus ist aber die länderspezifische Empfehlung 2022 wie sehr wahrscheinlich – darauf darf ich schon vorgreifen – auch heuer wieder, dass weitere Maßnahmen, nämlich vor allen Dingen strukturelle, gesetzt werden.

Ich will inhaltlich dieser Diskussion heute nichts mehr hinzufügen, aber ich darf allen Beteiligten in diesem Sinne sehr gutes Gelingen wünschen. Auf Basis
der Diskussion heute bin ich insofern etwas besserer Hoffnung. – Vielen Dank. (Beifall.)

13.41


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Herr Kaiser, für Ihre Ausführungen.

Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesrätin Andrea Schartel. – Bitte, Andrea.


13.41.31

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark)|: Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass ich noch einmal das Wort ergreifen darf. Da geht es noch um einen mir sehr wichtigen Baustein, den ich in meinem vorangegangenen Rede­beitrag nicht mehr unterbringen konnte, und zwar: Bei jeder Pflege, die zu
Hause stattfindet, gibt es nun einmal einen Zeitpunkt, zu dem bedauerlicherwei­se die Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass man ein Ende des Leidens­weges sieht.

Da gibt es diese mobilen Palliativteams. Dass wir diese Einrichtungen in Österreich haben, ist ein riesen-, riesengroßer Segen, aber bedauerlicherweise sind diese Teams, die aus professionellen Ärzten, aus einer professionellen diplomierten Krankenpflege bestehen, in Österreich auf Spenden angewiesen. Es ist, finde ich, für ein Land wie Österreich, wenn ich das jetzt so sagen darf,
eine große Schande, dass wir es nicht zusammenbringen, dass auch diese Teams eine finanzielle Absicherung haben. Das sind Menschen, zum Großteil ehrenamtlich tätig, die 365 Tage im Jahr 24 Stunden zur Verfügung stehen.

Ich möchte jetzt all jenen, die in diesen Institutionen arbeiten, recht, recht herzlich danken, weil sie mich und meinen Mann in seinen letzten Stunden ganz, ganz toll begleitet haben. (Beifall.)

13.42


Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Andrea Schartel.

Ich darf nun Frau Mag.a Claudia Arpa, Bundesrätin aus Kärnten, ans Rednerpult bitten. – Bitte schön.


13.43.15

Bundesrätin Mag. Claudia Arpa (SPÖ, Kärnten)|: Vielen Dank noch einmal für die Abhaltung der Enquete. Das ist natürlich ein ganz besonderer Moment,
weil es für mich heute das erste Mal ist, dass ich im Bundesrat sprechen darf. Wie ich bereits angekündigt worden bin, bin ich ja Kärntner Bundesrätin
und ich sage herzlichen Dank dafür, dass ihr mir zuhört.

Statistisch gesehen gewinnen wir ja jedes Jahr drei Monate an Lebenszeit dazu. Der dritten Lebensphase, dem Alter, begegnen die Menschen höchst unter­schiedlich, teilweise voller Sehnsucht, Lebensträume zu verwirklichen, endlich Zeit für die Enkel zu haben oder auch neue Bildungswege zu beschreiten, teilweise mit Sorge um den finanziellen Spielraum, den sozialen Anschluss, die Gesundheit und die Abhängigkeit in den späteren Jahren.

Eines ist aber gewiss, und das ist sicher: Je früher wir uns mit dem Älterwerden auseinandersetzen, desto besser sind wir vorbereitet. Wer sich ein langes
Leben wünscht, der kommt am Älterwerden natürlich nicht vorbei.

Es ist aus meiner Sicht auch sinnvoll, ein Mosaik, bestehend aus verschiedenen Bausteinen, anzubieten, denn ein gutes Leben im Alter zu ermöglichen ist ja
ein Wunsch – das wurde heute schon sehr oft genannt –, und zu Hause älter zu werden – das wissen wir – ist ebenfalls ein besonderer Wunsch. Manchmal besteht ja das Unterstützungsarrangement darin, dass zum Beispiel einmal pro Woche Menschen in die Wohnung der Hilfsbedürftigen kommen und mit
ihnen sprechen. Für die einen ist das das betreute Wohnen, für andere sind es die mobilen Dienste, und wiederum für andere sind es Tagesstätten.

Ich als Kärntner Bundesrätin kann Ihnen mitteilen: Wir haben in Kärnten versucht, Tagesstätten für Seniorinnen und Senioren einzuführen. Wir haben auch versucht, die Preise, das heißt, die Selbstbehalte, zu reduzieren, da­mit das auch gut angenommen werden kann. Das ist wirklich eine total tolle Sa­che. Vielleicht möchten Sie sich das einfach einmal anschauen, das kann ich nur empfehlen. (Beifall.) – Danke.

Wir haben auch schon sehr früh den Weg der Pflegenahversorgung gestartet. Wir haben uns nämlich überlegt: Wie schaffen wir es im ländlichen Raum
gut, Menschen zu erreichen? – Mit der Pflegenahversorgung haben wir das um­gesetzt, und wir können die Menschen gut erreichen. Die ist nämlich aufsu­chend. Es sind mittlerweile 100 Gemeinden von 132, die das machen. Auch das ist eine tolle Sache.

Was wir auch immer andenken, sind Maßnahmen gegen die Alterseinsamkeit.

Wir in Kärnten setzen uns auch mit den Themen der Zukunft des Alterns auseinander, wie zum Beispiel mit altersgerechtem Wohnen, unterstützen beim Umgang mit Demenz, wir arbeiten daran, dass die Menschen an der Gesell­schaft teilhaben können, egal, wie alt sie sind, wir unterstützen Projekte gegen Einsamkeit und kümmern uns auch – das ist vorher schon genannt worden – um die Digitalisierung und wir arbeiten daran, dass ältere Menschen im Bedarfs­fall gut versorgt sind. Da danke ich auch noch einmal allen für die Redebeiträ­ge und wertvollen Inhalte, die es vorher schon gegeben hat.

Ein Aspekt, den ich unbedingt noch einbringen möchte, ist: Ich finde, es ist an der Zeit, dass man über jene Tätigkeiten, wie Pflege, die lange unentgeltlich erbracht und als Aufgabe den Frauen zugeschoben worden sind, nachdenkt, es ist an der Zeit, dass der Dienst am Menschen nicht länger eine Herzenssache
ist und zu einem Liebesdienst erklärt wird, es ist an der Zeit, die Ausbildung zu attraktivieren und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich zu machen.

Es geht nicht allein um gutes Altern, sondern auch um ein gutes Leben, denn Altern ist Leben. Es geht darum, ein System zu schaffen, das dem Anspruch der Pflegebedürftigen auf Pflege und dem Anspruch der Pflegenden auf eine
faire Entlohnung entspricht. Dafür brauchen wir alle Fraktionen, eine gemein­same Kraftanstrengung. Gemeinsam ist immer das Verbindende. In Zeiten wie diesen sind das Gemeinsame und das Verbindende wichtiger denn je. – Herzlichen Dank dafür, dass ich die Redezeit überschreiten durfte. (Beifall.)

13.47

13.47.07IX. Schlussworte des Präsidenten


13.47.08

Vorsitzender Präsident Günter Kovacs|: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.

Ja, das war sie, meine Damen und Herren, die Enquete zum Thema „Heraus­forderungen der Zukunft: Nachdenken über Pflege von morgen und ge­sundes Altern“.

Ich bedanke mich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für das sehr große Interesse, das Sie an der Themenstellung der heutigen Enquete gezeigt haben, und für ihre sehr wertvollen Diskussionsbeiträge.

Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen und wünsche Ihnen noch einen sehr angenehmen Tag. Ich lade Sie nun – wie bereits zu Beginn erwähnt – zu einem informellen Ausklang in der Säulenhalle ein. – Vielen Dank für die Auf­merksamkeit. Danke schön. (Beifall.)

13.47

*****

Die Enquete ist geschlossen.

13.47.42Schluss der Enquete: 13.47 Uhr

 

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