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parlamentarische Enquete
des Bundesrates

„Kindern Perspektiven geben – unbeschwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden“


Stenographisches Protokoll

 

Mittwoch, 4. Oktober 2023

 

 

 

Bundesratssaal

 


 

 

 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 4. Oktober 2023

(XXVII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Kindern Perspektiven geben – unbeschwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 4. Oktober 2023: 9.04 – 13.40 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung und Begrüßung

Vorsitzende Präsidentin des Bundesrates Mag.a Claudia Arpa

II. Keynotes

Landeshauptmann von Kärnten Dr. Peter Kaiser

Mag. Barbara Blaha (Momentum-Institut)

III. Panel 1 „Bildung als Basis für ein gutes Leben“

Werner Amon, MBA (Mitglied der steiermärkischen Landesregierung, ÖVP)

Univ.-Prof. Mag. DDr. Christiane Spiel (Universität Wien)

Elke Larcher (Arbeiterkammer Wien)

Mag. Michaela Hajszan (Charlotte-Bühler-Institut)

IV. Panel 2 „Armut bekämpfen – Zukunft möglich machen“

Mag. Stefan Hermann, MBL (Abgeordneter zum Steiermärkischen Landtag, FPÖ)

Mag. Dr. Stephan Schulmeister (Universität Wien)

Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA (Volkshilfe Österreich)

V. Panel 3 „Mit und für junge Menschen Zukunft bauen – Demokratie und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen“

Rihab Toumi (Bundesjugendvertretung)

Lena Schilling (Klimaaktivistin und Autorin)

Mag. Michaela Krömer, LL.M (Rechtsanwältin)

Dipl.-Päd. Leopold Lugmayr (Demokratiewerkstatt)

VI. Impulsreferat „Herausforderungen für Kinder und junge Menschen“

Ali Mahlodji (EU-Jugendbotschafter und Unternehmer)

VII. Statements der Fraktionsvorsitzenden und Diskussionsbeiträge

VIII. Schlussworte der Präsidentin

Vorsitzende Präsidentin des Bundesrates Mag.a Claudia Arpa

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Inhalt

I. Eröffnung und Begrüßung ........................................................................................ 5

Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa ................................................................ 5

II. Keynotes .................................................................................................................... 9

Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser ............................................................................... 9

Mag. Barbara Blaha ...................................................................................................... 15

III. Panel 1 „Bildung als Basis für ein gutes Leben“ ................................................ 21

Werner Amon, MBA ..................................................................................................... 22

Univ.-Prof. Mag. DDr. Christiane Spiel ....................................................................... 27

Elke Larcher ................................................................................................................... 33

Mag. Michaela Hajszan ................................................................................................ 37

IV. Panel 2 „Armut bekämpfen – Zukunft möglich machen“ ................................ 43

Mag. Stefan Hermann, MBL ........................................................................................ 44

Mag. Dr. Stephan Schulmeister ................................................................................... 48

Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA .................................................................................. 53

V. Panel 3 „Mit und für junge Menschen Zukunft bauen – Demokratie und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen“ ................................................................................ 57

Rihab Toumi .................................................................................................................. 58

Lena Schilling ................................................................................................................ 64

Mag. Michaela Krömer, LL.M ....................................................................................... 66

Dipl.-Päd. Leopold Lugmayr ......................................................................................... 70

VI. Impulsreferat „Herausforderungen für Kinder und junge Menschen“ .......... 75

Ali Mahlodji ................................................................................................................... 75

VII. Statements der Fraktionsvorsitzenden und Diskussionsbeiträge ................ 87

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl ............................................................................. 88

Bundesrätin Korinna Schumann .................................................................................. 91

Bundesrätin Marlies Doppler ....................................................................................... 94

Bundesrätin Simone Jagl .............................................................................................. 97

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA ............................................................................ 100

Bundesrätin Margit Göll ............................................................................................. 103

Abg. Petra Wimmer .................................................................................................... 105

Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs ............................................................. 107

Mag. Karin Zimmermann ........................................................................................... 109

Bundesrat Bernhard Hirczy ....................................................................................... 110

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner ................................................................ 112

Abg. Norbert Sieber .................................................................................................... 114

Mag. (FH) Ilkim Erdost, MSc ....................................................................................... 116

Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler .............................................................. 118

Bundesrat Günter Kovacs .......................................................................................... 120

Florian Krumböck, BA ................................................................................................ 121

Barbara Thöny, MBA .................................................................................................. 123

Bundesrat Ferdinand Tiefnig ..................................................................................... 125

Bundesrat Dr. Manfred Mertel .................................................................................. 127

Mag. Martin Netzer, MBA ......................................................................................... 129

Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster ........................................................................ 132

MEP Theresa Bielowski, BA MA ................................................................................ 133

VIII. Schlussworte der Präsidentin ......................................................................... 135

Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa ........................................................... 135


 

09.04.00Beginn der Enquete: 9.04 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin des Bundesrates Mag.a Claudia Arpa, Vizepräsidentin des Bundesrates Margit Göll, Vizepräsidentin des Bundesrates Doris Hahn, MEd MA.

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09.04.02I. Eröffnung und Begrüßung


9.04.03

Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen. Es freut mich, dass ich heute die parlamentarische Enquete des Bundesrates eröffnen darf. Das Thema dieser Enquete lautet: „Kindern Perspektiven geben – unbeschwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden.“

Ich möchte Sie alle recht herzlich hier im Bundesratssaal willkommen heißen. Herzlich begrüßen darf ich Herrn Landeshauptmann von Kärnten Dr. Peter Kaiser und die Leiterin des Momentum-Instituts und Herausgeberin von moment.at Mag.a Barbara Blaha. Ich freue mich auf Ihre Keynotes.

Zu Panel 1 „Bildung als Basis für ein gutes Leben“ begrüße ich sehr herzlich Herrn Landesrat Werner Amon, MBA aus der Steiermark, Frau Universi­täts­professorin für Bildungspsychologie und Evaluation am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung Mag.a DDr.in Christiane Spiel, Frau Elke Larcher, Referentin für Schulpolitik und Elementarpädagogik in der Abteilung Bildungs­politik der Arbeiterkammer Wien, sowie Frau Mag.a Michaela Hajszan, wissenschaftliche Leiterin im Charlotte-Bühler-Institut für praxisorientierte Kleinkindforschung.

Zu Panel 2 „Armut bekämpfen – Zukunft möglich machen“ freut es mich, Herrn Landtagsabgeordneten aus der Steiermark Mag. Stefan Hermann, MBL, Herrn Dr. Stephan Schulmeister, Ökonom und Jurist, und Herrn Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich begrüßen zu dürfen.

Mein besonderer Gruß gilt auch allen Referentinnen und Referenten, die das Thema „Mit und für junge Menschen Zukunft bauen – Demokratie und Mitbe­stimmung von Kindern und Jugendlichen“ beleuchten werden. Ich begrüße ganz herzlich Frau Rihab Toumi, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, Frau Lena Schilling, Klimaaktivistin und Autorin, Frau Rechtsanwältin Mag.a Michaela Krömer, LL.M und aus unserem Haus Herrn Dipl.-Päd. Leopold Lugmayr, Leiter der Demokratiewerkstatt im Parlament.

Weiters freut es mich sehr, Herrn Ali Mahlodji als EU-Jugendbotschafter und Unternehmer begrüßen zu dürfen – er kommt etwas später, weil er noch einen anderen Termin hat; also keine Sorge, falls Sie ihn noch nicht gesehen haben –, der ein Impulsreferat zum Thema „Herausforderungen für Kinder und junge Menschen“ halten wird.

Ihnen allen einen herzlichen Dank dafür, dass Sie der Einladung gefolgt sind und Ihr Expertenwissen in diese Enquete einfließen lassen.

Mein besonderer Willkommensgruß gilt außerdem den Vizepräsidentinnen des Bundesrates Margit Göll und Doris Hahn – ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen, dass wir das erste Mal in der Geschichte ein Präsidium haben, das rein weiblich besetzt ist (Beifall) – danke schön –, weiters den Fraktionsvor­sitzenden Dr. Karlheinz Kornhäusl und Korinna Schumann, allen weiteren Mit­glie­dern des Bundesrates, den Mitgliedern des Nationalrates und der Landtage mit den Landtagspräsidenten Robert Hergovich, Ing. Reinhart Rohr und Ernst Woller an der Spitze.

Dann möchte ich auch noch meine Landeshauptmannstellvertreterin Gaby Schaunig aus Kärnten begrüßen – herzlichen Dank fürs Kommen! –, weiters die Frau Vizepräsidentin des Gemeindebundes Mag.Bettina Lancaster, die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierungen und der Landtage, des Bundeskanzleramtes, der Bundesministerien, der Sozialpartner und den Ver­treter der Europäischen Kommission sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertreter, die als Expertinnen und Experten an der heutigen Enquete teilnehmen.

Abschließend möchte ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen heißen.

Es freut mich auch sehr, alle Zuseherinnen und Zuseher, die auf ORF III beziehungsweise via Livestream im Internet dabei sind, herzlich zu begrüßen.

*****

(Es folgen technische Mitteilungen in Bezug auf das Prozedere durch die Vorsitzende sowie der Hinweis, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst wird, das nach einiger Zeit im Internet unter www.parlament.gv.at abrufbar sein wird.)

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Wir möchten heute den Fokus bewusst auf die vielfältigen Aspekte und Lebens­bedingungen der jungen Generation legen und werden diese drei Themen­schwerpunkte mit Expert:innen aus dem Bereich der Wissenschaft, der Politik und der Zivilgesellschaft diskutieren.

Der Zugang zu Bildung ist nicht nur rechtlich verankert, sondern stellt auch eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der Menschen und der Gesellschaft dar. Bildung ist ja auch die Basis für ein gutes Leben. Wir haben es schon vorhin gehört: Viele Expert:innen werden uns in den heutigen Panels verschiedene Herangehensweisen, Aspekte und Perspektiven erläutern, die für eine in die Zukunft gerichtete Bildungspolitik wesentlich sind.

Bildung entscheidet ja ganz zentral über das berufliche und wirtschaftliche Fortkommen junger Menschen. Folglich müssen wir Benachteiligungen möglichst früh entgegenwirken und Entwicklungsfelder identifizieren, die wir dringend bearbeiten sollen. Neben einem chancengerechten Zugang zu Bildung ist ein wirtschaftlich stabiles Umfeld für Kinder und Jugendliche wesentlich. Armut und Armutsgefährdung von Kindern und Familien ist real und wurde nicht zuletzt durch die Teuerung und die drastische Inflation verschärft. Armut prägt Kinder ein Leben lang und betrifft nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen.

Schließlich berührt gerade die Teilhabe einen wesentlichen Grundpfeiler unserer Demokratie. Den Kinderrechten entsprechend haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf Meinung und ein Recht, in Entscheidungen eingebunden zu werden. Die Teilhabe am demokratischen Prozess muss daher gefördert, unterstützt und vermittelt werden.

Wir sehen im Anschluss gleich einen kurzen Film, der im Parlament gedreht worden ist und in dem auch junge Menschen zu Wort kommen.

Bevor wir die Diskussion eröffnen, möchte ich dann noch kurz etwas dazu sagen, zunächst starten wir aber einfach mit dem Film. – Vielen Dank.

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(Es folgt eine Videoeinspielung.)

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(Beifall.)

9.14


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank.

Es war mir wichtig, dass wir die Jugendlichen zu Wort kommen lassen, damit auch Sie einen Einblick bekommen, dass im Parlament Demokratiebildung für Jugendliche einen wichtigen Stellenwert hat. Wir werden das auch später in den Reden noch hören.

09.14.46II. Keynotes


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Jetzt gelangen wir zu den Keynotes von Herrn Landeshauptmann Peter Kaiser und von Mag. Barbara Blaha, Leiterin des Momentum-Instituts.

Dazu ersuche ich den Herrn Landeshauptmann und Frau Mag. Blaha, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Zeit von 15 Minuten pro Keynote nicht zu überschreiten. Ich darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 2 Minuten vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt. – Bitte, Herr Landeshauptmann.


9.15.12

Landeshauptmann von Kärnten Dr. Peter Kaiser|: Geschätzte Frau Präsidentin! Werte Mitglieder des Bundesrates! Geschätzte Repräsentantinnen, Reprä­sentanten aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft! Sie gestatten, dass ich meine Zeit sehr inhaltsorientiert nutze und daher vielleicht auf so manche Floskel verzichte, denn dieses Thema ist eines, das für die Zukunft Österreichs, für all seine Bundesländer, und darüber hinausgehend für Europa von immenser Bedeutung ist.

Ich habe gestern bei einem Empfang – danke allen, die daran teilgenom­men haben – das Motto des Bundeslandes Kärnten noch einmal ins Gedächtnis gerufen. Es lautet: Gemeinsam Krisen bewältigen und Zukunft schaffen.

Der Titel dieser heutigen Enquete auf Vorschlag unserer Präsidentin des Bundesrates und des Landes Kärnten lautet: „Kindern Perspektiven geben – unbeschwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden.“

Die inhaltliche Affinität, vielleicht nicht in der Verbalität erkennbar, ist, glaube ich, unbestritten. Kinder, als das wahrscheinlich wichtigste Gut einer Gesell­schaft, sind diejenigen, an denen sich die Politik, sich als vorwärtsblickend, zukunftsschaffend und Enkelverantwortlichkeit repräsentierend, zu orientieren hat.

Kinder sind das wichtigste Gut einer Gesellschaft. Das Gegenteil von Kindeswohl ist gegeben, wenn bereit zu Beginn viele, wenn sie auf die Welt kommen, in ein soziales Gefüge hineingeboren werden, in dem sie der Bedrohung durch Armut ausgesetzt sind. Armut hat in unserer Gesellschaft, die ja über viele Jahrzehnte vor allem quantitativ immer mehr bekam, die sich in Richtung Wohlstandsgesellschaft entwickelte, oftmals in der täglichen Berichterstattung, im Bewusstsein, auch im politischen, an Bedeutung verloren oder vielleicht auch im Sinne eines Verdrängungsprozesses nicht jenen Stellenwert bekommen, der ihr – mit den negativen Auswirkungen konnotiert – eigentlich gewidmet werden müsste. Daher, meine geschätzten Damen und Herren, ist eine meiner ersten Thesen, die entscheidend und wichtig ist: Kinderarmut führt zu Benachteiligung, zu einer vermehrten Verfestigung von Ungleichheit, und sie führt – und das ist ganz schwer aus Kinderseelen und aus ihrer Erfahrung zu verdrängen – zu Exklusion in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Als dreifaches Amalgam entstehen Auswirkungen, die ein Leben lang negative Begleiterscheinungen bewirken.

Gleichzeitig – und das ist die Dialektik dieser Problematik – entgeht damit einer Gesellschaft irrsinnig viel an Talenten und Potenzialen. Daher ist es aus meiner Sicht vornehmste Aufgabe der Politik, dort einzugreifen, wo Armut in den Wurzeln beginnt, nämlich bei den Kindern, und von wo aus sie sich dann ein ganzes biologisches Leben lang fortsetzt.

Gestatten Sie mir als Bildungssoziologe noch einen Satz eines sehr renom­mier­ten österreichischen Forschers: Er meinte, 1 Euro in Maßnahmen für Kinderbildung zu investieren, bringe zumindest zehnfachen – ja, bis zu sechzehn­fachen! – Nutzen. Geschätzte Damen und Herren! In einer Gesellschaft, in der wir auch sehr viel über Reichtum – mehr jedenfalls als über Armut – reden, ist das ein Zinssatz, den keine Aktie dieser Erde nur annähernd erreichen kann. (Beifall.)

Meine Damen und Herren! Fokussieren wir uns auf Österreich! Österreich ist eines der in Summe reichsten Länder dieser Erde, und in diesem Österreich mit rund neun Millionen Einwohnern gibt es 353 000 Kinder, die nach der Definition der Europa-2030-Strategie von Armut betroffen, respektive gefährdet, in die Armut abzufallen, sind. Das ist bei uns jedes fünfte Kind. Prozentmäßig berech­net: 22 Prozent der österreichischen Kinder leben laut der Europa-2030-Strategie an, um oder unter der Armutsgrenze.

Ich halte es gesamt gesehen für wichtig, das auch in den Gesamtbevölkerungs­status eingebettet zu sehen. In Österreich sind nach eben dieser von mir gewählten Definition insgesamt 1 555 000 Menschen armutsgefährdet. Bei Kindern war es mehr als jedes fünfte Kind – 22 Prozent –, in der Gesamtgesell­schaft sind es 17,5 Prozent. Beides sind Zahlen, die zeigen, dass wir gegen Armut jedenfalls viel mehr als bisher unternehmen müssen.

Gestatten Sie mir eine kleine gesellschaftspolitische Analyse dazu, welche Kriterien für Armutsgefährdung besonders ausschlaggebend sind! Auch hier gibt es mehrere Bereiche, die man ansprechen kann. Wenn eines von den drei Kriterien, die ich jetzt global nehme, eintritt, spricht man von Armutsgefährdung. Das erste geht nach dieser Definition: Einkommen unter der Armutsgefähr­dungsschwelle. Das heißt, wenn man alle Haushaltseinkommen Österreichs heranzieht und daraus den Median, also die exakte Mitte nimmt, so spricht man von Armutsgefährdung, wenn das Haushaltseinkommen unter 60 Prozent dieses Medians, also in der niedrigeren Hälfte, liegt. Bei diesem Wert liegt die Armutsgefährdungsschwelle. Meine geschätzten Damen und Herren, in Zahlen ausgedrückt und für das letzte Jahr berechnet bedeutet das: Bei einem Einpersonenhaushalt liegt die Armutsgefährdungsschwelle bei unter 1 392 Euro. Bei einer alleinerziehenden Person und einem Kind sind es 1 810 Euro, bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern 2 924 Euro.

Es gibt einen zweiten Bereich, der quasi eine Zuschreibung einer Armutsgefähr­dung ist. Das sind Personen, die arbeitslos sind oder nur eine temporäre Beschäftigung haben. Dort ist die Erwerbsintensität äußerst gering, ergo auch die Armutsgefährdung sehr groß.

Der dritte Bereich, der im Übrigen gestern auch in einer der Tageszeitungen behandelt wurde – und darüber habe ich mich gefreut, weil es auch einmal auf Seite 2 und 3 ganz klar dargestellt wurde –, sind die unterschiedlichen Merkmale für eine Ausgrenzungsgefährdung. Ich werde Sie jetzt nicht mit 13 Merkmalen konfrontieren, sondern nur einige davon nennen, damit Sie wissen, welche Kriterien in der Gesellschaft, in der wir täglich leben, in der wir politisch tätig sind, als armutsgefährdende Kriterien herangezogen werden. Da geht es beispielsweise darum, ob man sich in einer warmen Wohnung, in einem Zimmer, in dem es keinen Schimmel und damit auch keine Luftverunreinigung gibt, aufhält. Es geht darum, dass man sich einmal im Monat ein Treffen mit Freundinnen und Freunden zu einem Essen und zumindest Getränken leisten kann, oder ob man sich einmal im Jahr urlaubsähnliche Freizeit leisten kann.

Wir sehen, dass wir hier zwar aus der Perspektive einer Wohlfahrtsgesellschaft argumentieren und diskutieren, dass das – ich schaue in den Saal – für uns alle, die wir hier sitzen, völlig normale Dinge sind, die man sich leisten kann, für besagte Zahl an Österreicherinnen und Österreichern – 1 555 000 – ist es das aber nicht.

Jetzt weiß ich, dass in den Argumenten immer wieder gesagt wird, Österreich sei ein Sozialstaat. Ja, und ich bekenne mich uneingeschränkt dazu und ja, ich sage, dass für mich der österreichische Sozialstaat eine der größten Errungenschaften ist, die wir in unsere Geschichte erreichen konnten, und ja, es ist auch dieser Sozialstaat, der Armutsgefährdung mildert. Bleiben wir aber bei den konkreten Zahlen: Wenn wir keinen Sozialstaat mit seinen Umverteilungsbereichen hätten, dann wären in Österreich 2,3 Millionen Österreicherinnen und Österreicher unter oder an der Armutsschwelle. Durch die Maßnahmen eines Sozialstaates sind es deutlich weniger, aber aus meiner Sicht noch immer so viele, dass drin­gende politische Maßnahmen gesetzt werden sollten.

Armut ist auch eine Abbildung der eklatanten ökonomischen Ungleichheit, die es in einer Gesellschaft gibt. Ja, ich weiß, es gibt Gesellschaften, in denen die Ungleichheit noch größer ist. Wir leben aber in Österreich, wir handeln in Österreich und wir haben für die Menschen in diesem Land im Besonderen auch politisch tätig zu sein. Wenn ich mir nur anschaue, dass bei uns das reichste Prozent gleich viel besitzt wie die unteren 50 Prozent, geschätzte Damen und Herren, dann wird man das nicht nur allein mit Leistung oder Sonstigem erklären können. Hier hat die Politik aus meiner Sicht die Aufgabe und Verantwortung, einzugreifen und verteilungsgerechter tätig zu werden. (Beifall.)

Das Ganze – und ich spreche hier ein sehr heißes Thema an – verankert sich auch beim Thema Erbschaften. Ich bin der Letzte, der irgendjemandem Leistung abspricht oder etwas nicht gönnt: Wenn aber, geschätzte Damen und Herren, das oberste 1 Prozent im Durchschnitt im Leben 3,3 Millionen Euro vererbt, wenn die obersten 10 Prozent, geschätzte Damen und Herren, im Durchschnitt 828 000 Euro vererben und im Gegenzug die unteren 90 Prozent 124 000 Euro im Leben vererben, dann denke ich, muss man wertfrei herangehen und sagen: Darüber muss die österreichische Politik, müssen ihre Organe nachdenken. Wenn man dann zum Schluss kommt, dass das nicht unmittelbar mit Leistung und Gerechtigkeit zusammenhängt, muss man erste Schritte einleiten, um dem Abhilfe zu schaffen. Sollten Sie fragen, wofür dieses Geld verwendet wird, so sage ich jetzt: Am wirksamsten wäre es, es gegen Kinderarmut einzusetzen.

Ich möchte zum Abschluss noch auf die vier Dimensionen der Auswirkung von Armut, wie sie sich auch aus Sicht der Kinder darstellt, zu sprechen kommen: Wir haben die materielle Dimension von Armut, das heißt, dass Kinder bei Essen, Kleidung, Wohnung einen Mangel haben, im Vergleich dazu, was der österreichi­sche Durchschnitt an Kindern genießt, isst oder anzieht.

Dann gibt es die soziale Dimension. Man merkt das daran: weniger Freun­dinnen und Freunde; weniger Integration in Vereine oder in Bereiche, wo es gilt, ein bisschen Geld mitaufzubringen; Ausgrenzung aus gewissen gesellschaftlichen Bereichen. Das ist eine Benachteiligung, die man als Kind sehr, sehr spürt.

Dann gibt es die kulturelle Dimension von Kinderarmut: weniger Bildungs­chancen; fehlende Teilhabe an Musik, Theater; weniger Zugang zu Kulturtechniken, die, glaube ich, das Leben als sehr, sehr lebenswert erscheinen lassen.

Letztendlich – und auch das sollte uns zu denken geben – gibt es die gesundheitliche Dimension: häufigere Krankheiten, höheres Verletzungsrisiko und viele dieser Bereiche. Dass Gesundheit und Armut immer korrelieren, wissen wir in dem Fall in negativer Hinsicht.

Meine geschätzten Damen und Herren, ich erspare Ihnen, jetzt noch auf die Kosten des kostenfreien Schulzuganges, der bei den Eltern trotzdem Kosten verursacht, und den schwierigen Monat September – Schulbeginn – für viele österreichische Haushalte zu verweisen.

Ich möchte abschließend darauf verweisen, dass – und ich bin sehr froh, dass heute auch Erich Fenninger dazu sprechen wird – die Volkshilfe ein wissen­schaftliches Projekt aufgesetzt hat, das mich auch mitanimiert hat, politisch gemeinsam mit Kollegin Gaby Schaunig für Kärnten Überlegungen anzustellen, als eine unserer Hauptaufgaben in dieser Legislaturperiode gegen Kinderarmut tätig zu werden. Wir haben ein Modell, das im Experimentierstadium über mehrere Jahre bereits gezeigt hat, dass es zu Verbesserungen bei den betroffe­nen Personen kommt. Es ist ein Modell, das dem jeweilig betroffenen Haushalt je Kind Geldmittel in einer Bandbreite von 285 Euro bis 872 Euro zur Verfügung stellt. Es ist ein Modell, bei dem es für alle Kinder eine entsprechende Zuwen­dung gibt, sozial gestaffelt nach der Einkommensverfügbarkeit eines Haushaltes.

Es ist ein Modell, bei dem man wahrscheinlich noch an vielen Stellschrauben drehen kann. Wenn wir gemeinsam all unseren Esprit, unsere Kreativität, unser Wissen, vielleicht auch unsere Prognosefähigkeit zusammenlegen – ich sehe das rote Licht bereits blinken –, können wir dazu beitragen, eine der wahrscheinlich emotional am ehesten auf breite Mehrheit stoßende Maßnahme, nämlich gemeinsam gegen Kinderarmut tätig zu sein, entsprechend umzu­setzen.

Mein letzter Gedanke gilt meinem Bundesland. Ich freue mich sehr – ich war selbst ein Kind, dessen Eltern sich einen Kindergartenplatz nicht leisten konnten –, dass wir in Kärnten seit 1. September kostenfreien Zugang zu Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen haben. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

9.30


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für die Ausführungen und für das Einhalten der Zeit, sensationell.

Ich bitte jetzt Frau Mag. Blaha um die Keynote. – Danke schön.


9.30.42

Mag. Barbara Blaha (Momentum-Institut)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! Über Kinderarmut weiß ich viel mehr, als ich wissen möchte. Ich bin in sie hineingeboren worden, und ich habe lange gebraucht, bis ich darüber frei reden konnte. Es hat mich Überwindung gekostet, gar nicht so sehr aus Scham – nein, ich schäme mich nicht dafür, wo ich herkomme –, sondern weil ich gelernt habe, dass es meinem Gegenüber so schwerfällt. Wenn ich erzähle, wie es ist, da, wo ich herkomme, wie weit weg das von dem ist, was mein Gegenüber kennt, von dem, wo er herkommt, wo er aufgewachsen ist, dann schauen wir beide uns an irgendeinem Punkt so an und sehen den Graben, der sich zwischen uns auftut, und dann schweigen wir uns an. Dann muss ich mich anstrengen, dann muss ich mein Gegenüber für meine Herkunftsgeschichte ein bisschen trösten: Nein, nein, schau, schau, arbeiten mussten wir ja beide während des Studiums, so schlimm war das ja gar nicht! – Deshalb habe ich oft geschwiegen, so ein bisschen nach der Logik: Dann muss ich zumindest nicht die Arbeit leisten, jemand anderen wegen meiner Herkunft zu trösten.

Je älter ich werde, desto leichter fällt es mir aber, zu erzählen – vielleicht, weil ich gelernt habe, auch das Unbehagen auszuhalten, das Unbehagen meines Gegenübers, aber auch das Unbehagen, das in der Frage steckt: Hattest du eine schöne Kindheit? Da steckt eine unfassbare Ambivalenz für mich drin: Ja, ich hatte eine schöne Kindheit, ich wurde geliebt und umsorgt, aber meine Kindheit war auch nicht schön, weil Armut eine Familie an die Belastungsgrenze und darüber hinaus schickt.

Wer als armes Kind geboren wird, der weiß um die Last, die die Eltern tragen. Die Last ist völlig unsichtbar, die Eltern versuchen, das Kind davor zu schützen, aber man merkt es ja doch. Die Last wird nicht besprochen, sie wird nicht erklärt, es wird nicht dazugesagt, und trotzdem hört man sie. Man weiß um sie, wie man weiß, dass der Himmel blau ist und das Wasser nass.

Dabei ist meine Kindheit gar nichts Besonderes. Hunderttausende Kinder – Peter Kaiser hat es gerade ausgeführt – wachsen genau so und schlimmer auch heutzutage noch auf. Doch „die im Dunkeln sieht man nicht“, Armut macht unsichtbar.

Österreich – das hat uns auch die letzte Woche ein bisschen gezeigt – geht mit Armut ein bisschen so um, wie ich es lange mit meiner eigenen Herkunft getan habe: Wir reden nicht so gern darüber, damit niemand sieht, wie verdammt breit dieser Graben in Österreich eigentlich ist, denn Österreich ist eine Klassen­gesellschaft, die so tut, als wäre sie keine. Das reichste Prozent hockt auf bis zu 50 Prozent des privaten Vermögens in diesem Land. Das ist mehr als das, was die ärmeren 90 Prozent zusammen haben. Einkommen haben heute eine Kaufkraft wie zuletzt vor elf Jahren; die kleinsten Einkommen haben eine Kauf­kraft wie zuletzt vor 20 Jahren. In einem der reichsten Länder dieser Welt gelingt es uns nicht, Kinderarmut abzuschaffen. Jedes fünfte Kind wächst in Österreich in Armut oder in akuter Gefahr, in sie abzurutschen, auf. Sie fahren nie auf Urlaub, sie leben in Wohnungen, die nicht ausreichend geheizt werden, sie fürchten sich, auf eine Geburtstagsparty eingeladen zu werden, weil sie kein Geschenk bezahlen können, sie kennen Toastbrot-, Kartoffel- und Reistage am Ende des Monats.

Eigentlich sollten diese Zahlen ja reichen, um zu sagen: Okay, genug, tun wir etwas dagegen, das darf so nicht sein! Aber selbst wenn es jemandem an dieser Herzensbildung fehlt, dann gibt es genug Argumente, um ihn vielleicht doch noch zu überzeugen: Je früher man die Hebel ansetzt, desto besser wirken sie. Wer in eine arme Familie geboren wird, profitiert überdurchschnittlich von den Bildungseinrichtungen am Beginn des Lebens. Was eine arme Familie selbst nicht schaffen kann, weil ihr die Mittel fehlen, kann der Kindergarten zumindest teilweise auffangen, aber nur, wenn wir ihn ausreichend finanzieren.

In der Sprache der Wirtschaft: Der Return on Investment ist beim Invest­ment in Kindergärten am höchsten. Wenn wir für mehr Kindergärten, für längere Öffnungszeiten und bessere Betreuung sorgen, dann geht es auch den Eltern besser. Wenn eine Frau weniger arbeitet, weil meist sie und selten er auf die Kinder aufpasst und sie betreuen muss, verdient sie weniger, hat weniger Aufstiegs­chancen und am Ende eine mickrige, kleine Pension. Anders gesagt: Wer keine Kindergärten baut, schadet Familien mehrfach, und das generationenüber­greifend. Diesen Familien ist es völlig egal, ob das aus rein – sagen wir einmal – egoistischen Karrieremotiven passiert wie bei Sebastian Kurz, denn für sie greift diese Politik direkt in ihr Leben in Österreich ein.

Das können wir uns anhand der Zahlen anschauen: Österreich verpasst jedes Jahr das EU-weite Ziel hinsichtlich der Betreuung von Kleinkindern. Das Ergebnis: Jede dritte Teilzeitanstellung in diesem Land wird durch Betreuungs­pflichten ausgelöst. In Dänemark, einem Land mit hoher Kindergarten­dichte, ist es gerade einmal jede fünfzigste.

Bildung ist aber auch der größte Hebel im Sozialen: Wer besser ausgebildet ist, verdient besser und wird weniger oft krank und lebt bis zu zehn Jahre länger – seine Kinder natürlich ebenfalls. In Wohnungen mit schwerem Schimmelbefall lebt halt wirklich nur, wer sich absolut nichts anderes leisten kann. Zimmer­temperaturen von 40 Grad im Sommer muss nur aushalten, wer sich keinen Zweitwohnsitz leisten kann, ja nicht einmal die Klimaanlage. Die Bioprodukte aus dem Supermarkt sind für viele unerschwinglich und Geräte oder Gebühren für den Sport ebenfalls.

Da reden wir jetzt nur von der körperlichen Gesundheit. Da rede ich noch nicht von den psychischen Belastungen, davon, was es bedeutet, arbeitslos zu sein, was es bedeutet, arm zu sein. Es ist eine immense psychische Belastung, es ist ein Stressor, der das Immunsystem richtig hinunterdrückt, was nicht nur blöd ist, wenn eine Pandemie vor der Haustür steht. Wer arm aufwächst, ist kränker und fühlt sich auch kränker. Das ist ein Startnachteil von der ersten Minute des Lebens an. Das sehen wir auch in aktuellen Umfragen: Die Hälfte der Ärzte und Ärztinnen, die befragt wurden, sagen, sie wissen, dass armutsgefährdete Kinder häufiger krank sind. Eine deutliche Mehrheit sagt, sie sehen, dass sie auch weniger leistungsfähig sind, und sechs von zehn Ärztinnen und Ärzten beant­worten die Frage, ob diese Kinder häufiger an chronischen Krankheiten leiden, auch eindeutig mit Ja.

Kurz gesagt: Was wir in die Bildung stecken, kriegen wir vielfach zurück. Gute Bildung macht gesünder, sie schützt vor Arbeitslosigkeit und spart uns allen auf diese Weise Sozialausgaben. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bekommt die Gesellschaft – Peter Kaiser hat es schon gesagt – jeden Euro, den wir in Kinder­gärten investieren, in Bildung investieren, um ein Vielfaches zurück. Die Schätzungen gehen auseinander, aber zwischen 8 und 16 Euro holen wir uns da wieder zurück. Das ist ein verdammt gutes Investment. Zum Vergleich: Das wirkt auch deutlich besser als das, was wir in Unis stecken. Wir sehen sehr schön, dass der Hebel umso stärker wirkt, je weiter unten wir ihn ansetzen. Für jeden Euro, den wir in Studierende stecken, kriegen wir laut OECD ungefähr 2 Euro zurück. Geld, das wir in Unis stecken, kommt auch nicht nur denen zugute, die es am dringendsten brauchen. Von 100 Studierenden haben ja nur drei Eltern, die nicht einmal die Pflichtschule abgeschlossen haben. Je später der Staat 1 Euro in die Bildung steckt, desto eher ist es auch ein bisschen Umverteilung nach oben und kommt den Kindern aus besserem Hause mehr zugute.

Okay, wir wissen also: Gute Kindergärten, exzellente Pädagog:innen und ein toller Betreuungsschlüssel – das sind die Werkzeuge, die dabei helfen, den Armutskreislauf zu durchbrechen. Wo steht Österreich hierbei? – Salopp gesagt: Ganz hinten, wieder einmal. Die Ausgaben für Kinderbetreuung haben sich seit 1980 – das war noch vor meiner Geburt – verdoppelt; immerhin, das hört sich so gut an, aber in anderen Ländern sind sie wesentlich stärker gestiegen. Deutsch­land hat das Budget in derselben Zeit um das Vierfache gesteigert, Frankreich um das Fünffache, Italien und Belgien um das Siebenfache. Wir geben 0,7 Pro­zent unserer Wirtschaftsleistung für Kindergärten aus und liegen damit weit unter dem OECD-Durchschnitt von 1 Prozent. Diese Knausrigkeit lässt sich in Zahlen messen, aber sie zeigt sich noch viel härter in der Realität der Men­schen – lies: der Mütter – in diesem Land durch fehlende Betreuungsplätze, zu kurze Öffnungszeiten und einen beschämend schlechten Betreuungsschlüssel. In Finnland ist eine Fachkraft im Kindergarten für sieben Kinder zuständig, in Dänemark für zehn Kinder. In Österreich kümmert sich eine Fachkraft im Schnitt um 24 Kinder. Die Daten des europäischen statistischen Amtes zeigen uns, dass EU-weit in den letzten zehn Jahren die Ganztagsbetreuungsquote, die gerade für Kinder aus ärmeren Haushalten so wichtig wäre, bei den Drei- bis Fünfjährigen um bis zu 38 Prozent gestiegen ist. In Österreich waren es im selben Zeitraum 3 Prozentpunkte.

Was wir im Kindergarten verbocken, setzen wir dann in der Schule auch fort, wir machen es sogar noch schlimmer. Nirgends in Europa wird Bildung so stark vererbt wie in Österreich und mit der Bildung ja auch der soziale Status. Kinder aus armen Familien verdienen später kaum mehr als ihre Eltern. Auch das hat sich die OECD einmal angesehen: Wie lange dauert es, um sich von ganz unten zumindest in die untere Mittelschicht hochzukämpfen? – Das dauert zum Beispiel in Dänemark zwei Generationen, bei uns dauert es fünf, das sind 125 Jahre.

Dabei wollen alle Eltern das Beste für ihr Kind. Für die einen bedeutet das: Babyschwimmen, musikalische Früherziehung buchen und Lebkuchenhaus basteln. Die anderen hängen noch eine Schicht an, machen noch ein paar Stunden mehr, fahren die Nachtschicht, gehen am Wochenende rein. Die Zulage ist wichtig, die Kinder brauchen Winterschuhe. Die Schultasche muss gekauft werden. Das ist jetzt dringender als die Hilfe bei der Hausübung. Unser Schul­system ist auch dafür gebaut, dass alle bleiben, wo sie sind. Mit nur zehn Jahren entscheidet sich, wer später mit aller Wahrscheinlichkeit eine Universität besucht und wer nicht. Das ist kein Unfall, das ist kein Hoppala. Armut in reichen Gesellschaften ist Politikversagen. Das ist die Konsequenz einer Bildungs-, Arbeitsmarkt-, aber auch Wirtschaftspolitik, der Armutsbe­kämp­fung und die Bekämpfung von Kinderarmut kein Anliegen ist. Wirksame Armutsbe­kämp­fung ist institutionell, nicht individuell. (Beifall.)

Der Hamburger vom Mäcki hebt niemanden aus der Armut, aber die Hebel, um Kinder und Familien aus der Armut zu holen, die sind alle da. Wir drücken diese Hebel politisch nicht, und die Regierung hat es offensichtlich auch in Zukunft weiterhin nicht vor. Wir haben auf europäischer Ebene bereits die Europäische Garantie für Kinder erarbeitet. Bis 2030 sollen alle EU-Staaten ihren Kindern kostenlosen Zugang zu frühkindlicher Betreuung, inklusiven Bildungsangeboten, mindestens einer gesunden Mahlzeit am Tag, Gesundheitsversorgung, einer angemessenen Ernährung und einem angemessenen Wohnraum ermöglichen. Alle EU-Staaten sind aufgefordert, Pläne dafür vorzulegen, um das umzusetzen, einen Nationalen Aktionsplan gegen Kinderarmut zu erarbeiten. Das haben viele getan, Österreich nicht. Seit Jahren ist da nichts passiert.

Wo die offizielle Politik auslässt, da springen Hilfsorganisationen ein, zum Beispiel die Volkshilfe, die schon vor Jahren ausgerechnet hat, was es kosten würde, Kinderarmut in Österreich abzuschaffen. 4,6 Milliarden Euro würde eine Kindergrundsicherung ungefähr kosten. Das hört sich viel an, aber zum Ver­gleich: Allein die klimaschädlichen Subventionen, die wir uns als Republik jedes Jahr gönnen, um zum Beispiel Dienstwägen zu fördern, lassen wir uns 6 Mil­liarden Euro kosten.

Wie kann es sein, dass Kinderarmut in einem reichen Land wie Österreich bewusst in Kauf genommen wird, dass es Österreich in Jahren nicht einmal geschafft hat, einen Plan vorzulegen, um das Problem gelöst zu bekommen? Das ist kein Versehen, das ist Absicht, und ich finde, das zwingt uns, den Blick ein wenig zu weiten.

Arme Kinder haben immer arme Eltern. Während wir zumindest den Kindern heute keine Schuld mehr geben – armen Kindern müssen wir helfen –, gilt das für ihre Eltern nicht. Im Gegenteil: Eine Gesellschaft, die sich darin gefällt, alles einem vermeintlichen Leistungsprinzip unterzuordnen, die Wettbewerbs­fähigkeit als Tugend vor sich herträgt, schiebt Armen die Schuld für ihre Lage doch selbst zu. Selbst schuld, hast dich am Markt nicht durchgesetzt! Mehr noch: Vollbeschäftigung und Abschaffung von Armut werden als Gefahr für den Wirtschaftsstandort gesehen. Gott bewahre, dann könnten die am Ende ja auch noch Forderungen stellen! Mit anderen Worten: Armut ist ein Disziplinie­rungsinstrument; eben weil unsere Sozialsysteme nicht armutsfest sind, ist Angst vor Armut bis weit in die Mittelschicht verbreitet.

Bis zu einem gewissen Grad funktioniert die Disziplinierung ja auch. Stellen wir uns vor, Menschen würden  sich bei richtig schlechten Arbeitsbedingungen und richtig miesen Löhnen ganz einfach hinstellen und sagen: Zu diesen Bedingungen mache ich das nicht!, weil sie keine Angst vor dem Abrutschen in die Armut haben. Das würde im jetzigen System nicht funktionieren.

Also wenn wir Kinderarmut bekämpfen wollen, dann dürfen wir von der Armut und ihrer Funktion im Kapitalismus nicht schweigen; und wenn wir dafür sorgen wollen, dass es keine armen Kinder mehr gibt, dann müssen wir Armut insgesamt besiegen – die Mittel dazu hätten wir. (Beifall.)

9.43


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank für die Ausführungen.

09.44.06III. Panel 1 „Bildung als Basis für ein gutes Leben“


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Wir gelangen nun zu Panel 1 und zum Thema „Bildung als Basis für ein gutes Leben“.

Ich ersuche den Referenten und die Referentinnen, ihren Beitrag dazu vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Zeit von 10 Minuten nicht zu überschreiten. Ich darf neuerlich darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 2 Minuten vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt.

Ich darf zu Beginn Herrn Landesrat Werner Amon, MBA um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Landesrat.


9.44.35

Werner Amon, MBA (Mitglied der steiermärkischen Landesregierung, ÖVP)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates, Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einen herzlichen Dank für die Einladung und die Möglichkeit, heute bei dieser wichtigen Enquete mitzumachen.

Einleitend muss ich sagen, dass 10 Minuten für dieses Thema natürlich eine kurze Zeit sind, denn letztlich ist es tatsächlich ein außerordentlich wichtiges Thema.  Ich bin jetzt seit etwas mehr als einem Jahr Landesrat für Europa, internationale Angelegenheiten, Bildung und Personal in der Steiermark, und die Ausführungen, die ich vornehmen werde, und die Punkte, die ich im Zusam­menhang mit unserer Bildungspolitik im Land Steiermark darbringen möchte, zeigen, dass das ein koalitionärer Erfolg ist, ein Erfolg einer Koalition, die meiner und unserer Meinung nach, sehr, sehr gut zusammenarbeitet, einer Koalition aus Steirischer Volkspartei und Sozialdemokratie. Wir legen auch Wert darauf, dass wir innerhalb des Landtages ein – ja, wir nennen es so – steirisches Klima haben, wo wir konstruktiv zusammenarbeiten, und bei uns im Landtag kommt es durchaus auch immer wieder vor, dass Anträge etwa von der Oppo­sition, Abänderungsanträge zu Regierungsvorlagen, von der Mehrheit angenommen und beschlossen werden.

Ich möchte vorausschicken, dass es gerade in der Bildungspolitik – ich habe lange Bildungspolitik gemacht, die meisten wissen das; ich war 25 Jahre im Haus, zwölf Jahre Bildungssprecher, sieben Jahre Vorsitzender des Unterrichts­ausschusses, und das ist meine Lehre aus dieser Zeit –, um erfolgreich für unsere jungen Menschen Bildungspolitik zu machen, ein bisserl weniger Ideologie und ein bisserl mehr Pragmatismus braucht, meine Damen und Herren. (Beifall.)

Bildung ist ein Menschenrecht, vielfach in Dokumenten verankert – in der Charta der Vereinten Nationen, in vielen Beschlüssen des Europarates –, und sie reicht eben von der Elementarpädagogik bis zur Erwachsenenbildung, die im hohen Alter wahrgenommen wird und die uns Menschen hoffentlich auch lange, lange begleitet. Eine Wissensgesellschaft verlangt nach umfassender Bildung, sie verlangt nach einer guten Basis an Allgemeinbildung, um eben auch entsprechend differenzieren zu können. Gerade in einer Gesellschaft, die förmlich getrieben ist von den neuen Technologien, von Fakenews und Ähnlichem mehr, ist es wichtig, auf eine gute Allgemeinbildung aufzubauen, um eben differenzieren zu können, um beurteilen zu können, ob eine Information stimmen kann oder nicht. Dazu zählt selbstverständlich auch – und das ist ganz wichtig – eine gute demokrati­sche Bildung in unserer Wertegemeinschaft, wo wir uns als Demokraten verstehen, als Menschen, die die Menschenrechte achten, und wo wir letztlich auch das rechtsstaatliche Prinzip hochhalten wollen.

Ich möchte mit der Elementarpädagogik beginnen. Ich habe vor einem Jahr große Demonstrationen bei uns im Landhaus erlebt – es gab Schließungen von Gruppen in den elementarpädagogischen Einrichtungen –, und es war einfach festzustellen, dass 70 Prozent der Absolventinnen und ein paar Absolventen der Bildungsanstalten für Elementarpädagogik diesen Beruf nicht mehr ausüben wollen; 70 Prozent üben einen anderen Beruf aus oder bilden sich anderswo weiter. Wir mussten daher als Notmaßnahme eine Maßnahme setzen, die zunächst für viel Diskussion gesorgt hat. Wir haben eine Prämie eingeführt: 15 000 Euro für jene, die bereit sind, in den Beruf zu gehen, und sich verpflich­ten, drei Jahre lang im Beruf zu bleiben. Das ist heftig kritisiert worden, natürlich vor allem von jenen, die schon länger im System waren und das System getragen haben.

Ich darf aber sagen, dass es gelungen ist, netto einen gesamten Jahrgang an Absolventinnen und Absolventen – es waren aber nur Absolventinnen – von Bildungsanstalten für Elementarpädagogik ins System zu bringen, 444 an der Zahl – heuer haben wir genau 440 in den Maturajahrgängen der Bafeps –; im ersten Jahr hat eine Einzige das System verlassen, ist in ein anderes Bundesland gegangen und arbeitet dort als Elementarpädagogin.

Wir haben aber eine Fülle an Maßnahmen gesetzt: Wir haben ein neues Kinder-bildungs- und -betreuungsgesetz gemacht, mit dem wir versucht haben, in einer Phase, in der es schwer ist, Personal zu finden, trotzdem die Qualität zu verbessern. Wir verkleinern die Gruppengröße stufenweise von 25 auf 20. Wir zahlen dafür, dass in den Übergangszeiten, zur Mittagszeit, am Nachmittag und dergleichen, doppelt Personal zum Einsatz kommt. Wir haben die Bürokratie zurückgedrängt, weil halt auch die Fachaufsicht gewisse fröhliche Urständ gefeiert hat – was weiß ich, die Temperatur des Kühlschranks dreimal täglich gemessen und das auch dokumentiert hat. Ich weiß nicht, wer daheim dreimal täglich die Temperatur des Kühlschranks misst, und dennoch essen wir nicht ständig Verdorbenes. Also man kann auch da pragmatische Ansätze wählen.

Darüber hinaus haben wir die Öffnungszeiten selbstverständlich ausgeweitet.

Was ganz wichtig ist: Wir haben den Kinderschutz verankert und bei der Fortbildung auch größten Wert darauf gelegt, dass es eine verpflichtende Fortbildung in diesem Bereich gibt.

Wir mussten – das möchte ich sagen – im heurigen Herbst keine einzige Gruppe schließen, alle Gruppen haben aufgesperrt. Es gibt ein Mehr an elementar­pädagogischen Einrichtungen – 21 zusätzliche Einrichtungen, 65 zusätzliche Gruppen. Wir haben vom vorletzten Jahr auf das letzte Jahr zusätzlich 1 772 Plätze geschaffen – allerdings nur 607 Kinder mehr in den elemen­tarpädagogischen Einrichtungen, und das ist zugleich ein Problem. Wir bieten mehr Plätze an, als wir Kinder in dieser Altersgruppe haben, aber die Plätze sind offenbar nicht dort, wo die Kinder sind, und das ist natürlich ein Problem. Das hängt auch mit den Trägerstrukturen zusammen, weil wir als Land Steiermark abgesehen von einem Landeskindergarten ja keine elementarpädagogischen Einrichtungen betreiben. Es gibt da ganz viele unterschiedliche Einrich­tungen.

Das führt uns auch zum nächsten Punkt, weil wir ja auch in der Gehaltsstruktur eine Anpassung vornehmen. Wir sind da sozusagen im Finale der Gespräche und werden mit 1.1. die Gehälter der Elementarpädagoginnen und Elementar­päda­gogen deutlich anheben. Das ist schwierig genug, weil wir auch da auf unterschied­liche Vorgaben stoßen – wir haben Gemeindebedienstete, wir haben den Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft, bei den konfessionellen Einrichtungen ist es wieder anders –, und wir arbeiten da sehr eng mit den Trägern bei uns zusammen – mit Wiki, mit der Volkshilfe, mit der GIP, mit den konfessionellen Einrichtungen –, um ein System zu entwickeln, das einen höheren Mindestlohn festlegt und mit dem wir die künftigen Förderungen eben auch an diesen koppeln wollen, denn natürlich muss sich diese wichtige Arbeit auch in Geld ausdrücken, das ist unzweifelhaft so. Es wäre aber schon einmal sinnvoll, eine bundesweit einheitliche Regelung in diesem Bereich zu finden, weil wir irgendwann aufhören müssen mit der Lizitation, wie wir sie ja jetzt etwa bei den Krankenanstalten erleben, wo wir uns in den Bundesländern dann wech­selseitig das Pflegepersonal abwerben. Das wird ein zunehmendes Problem für uns alle werden, meine Damen und Herren.

Ich möchte auch sagen, dass wir im Schulbereich versuchen, die steirischen Schulen immer mehr zu internationalisieren. Das bedeutet, wir wollen das, was im Pflichtschulgesetz jetzt möglich ist – etwa englischsprachigen Unterricht in der Pflichtschule für alle Unterrichtsfächer vorzusehen –, deutlich ausweiten. Wir haben auch ein Welcomeprogramm für Pädagoginnen und Pädago­gen aus dem Ausland in Arbeit, um verstärkt fremdsprachigen Unterricht anzubieten – also ich kann Überlegungen, das hintanzustellen, nicht nähertreten. Ich glaube, dass gerade die Sprache ein Tor zur Welt ist. Wie sagt Wittgenstein? – „Die Grenzen meiner Sprache“ sind „die Grenzen meiner Welt“, und das gilt wahr­scheinlich nirgends so sehr wie in diesem Bereich.

Wir haben darüber hinaus – und das, möchte ich sagen, ist auch ein Zeichen dafür, dass wir die Dinge nicht ideologisch angehen – ein neues Schul­assis­tenzgesetz auf den Weg gebracht. Bisher war die Schulassistenz im Ressort der Kollegin Kampus, die für Soziales zuständig ist, beheimatet, aber umständlich für die Eltern mit betroffenen Kindern, nämlich bei der Bezirkshauptmannschaft einen Antrag zu stellen, zu hoffen, dass der Sozialrechtsreferent dort diesen Antrag positiv bescheidet, mit der Schwierigkeit, dass dann nicht Rücksicht genommen wurde auf die unterschiedlichen Anforderungen, etwa bei chroni­schen Erkrankungen – beispielsweise war Diabetes nicht vorgesehen. Bei den Schulassistenzen mussten wir in der Regierung für jedes Kind extra ein Förder­programm beschließen. Das wird künftig berücksichtigt werden – One-Stop-Shop –, also wir wollen, und das ist ein großes Ziel der steirischen Landesregie­rung, niemanden zurücklassen. – Ich glaube, jetzt habe ich noch 2 Minuten Redezeit.

Was ich auch noch ansprechen möchte, ist, dass wir die duale Ausbildung als ganz wichtiges Element betrachten. Wir haben einen sehr guten Prozentsatz – bei uns in der Steiermark gehen über 42 Prozent eines Jahrganges in die duale Ausbildung –, und was vor Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist: Wir haben Kooperationen etwa der Berufsschule in Graz mit der Technischen Universität. Universitätslehrer gehen an die Berufsschule in Graz und unterrichten dort sowohl die Lehrer als auch die Schülerinnen und Schüler. Das wäre vor Jahren aus Standesdünkeln heraus undenkbar gewesen, und wir halten gerade diese Verbindung für ausgesprochen spannend, wichtig und für richtig.

Last, not least darf ich noch ganz kurz auf die Erwachsenenbildung verweisen: Wir haben da ein Diskussionsprogramm aufgesetzt. Wir wollen im nächsten Jahr eine steirische Erklärung zur Erwachsenenbildung vorlegen, die alle Bereiche der Erwachsenenbildung umfassen soll, weil wir auch das für ein ganz wesentliches Element in einer Wissensgesellschaft halten, dass die Fort- und Weiterbildung ein wesentlicher Bestandteil davon ist. Wir werden das gemeinsam mit allen Erwachsenenbildungseinrichtungen im Mai präsentieren, und das soll dann auch in ein neues Regierungsprogramm einfließen. – Herz­lichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

9.55


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für die Ausführungen.

Ich darf nun Frau Universitätsprofessorin für Bildungspsychologie und Evalu­ation am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung Mag.a Dr.in Christiane Spiel um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte.


9.55.42

Univ.-Prof. Mag. DDr. Christiane Spiel (Universität Wien)|: Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass ich bei dieser wichtigen Veranstaltung ein Statement abgeben kann, und zwar über den Bildungsbereich, mit dem ich mich wirklich seit sehr vielen Jahren beschäftige und der mir sehr am Herzen liegt.

Ich möchte über drei Themen sprechen. Das erste ist: Welche Bildung brauchen junge Menschen in der Welt von morgen? Zweites Thema: Wie kommen wir von Visionen zu realisierbaren Innovationen? Drittes Thema: Wie können wir solche Innovationen flächendeckend erfolgreich implementieren?

Bevor ich damit beginne, möchte ich einen kleinen Kommentar abgeben, und zwar habe ich den letzten Tagen – insbesondere auch heute in der Früh – im Radio immer wieder gehört – was ich auch sehr wichtig finde –, dass der Elementarbereich ausgebaut werden soll – wunderbar! – Es wurde aber immer über Kinderbetreuung gesprochen, und man hat völlig vergessen, was für ein wichtiger Bildungsbereich das ist. (Beifall.) Herr Peter Kaiser, Sie haben das gesagt. – So, jetzt komme ich zu meinen Themen.

Das erste ist: Welches Wissen, welche Kompetenzen, welche Haltungen brauchen junge Menschen, um mit so einer komplexen Welt, mit so vielen Problemen, Herausforderungen – Sie kennen sie alle, ich brauche darauf nicht einzugehen, und wir können nicht davon ausgehen, dass es in der Welt von morgen weniger sein werden – umzugehen? Vor allem wäre mir wichtig, dass sie auf diese Probleme und Herausforderungen nicht nur reagieren, sondern dass sie sich zutrauen und dazu auch in der Lage sind, sie aktiv zu gestalten, mit ihnen umzugehen und sie zu verändern. Das wäre ein ganz wichtiger Punkt.

Was müssen sie daher können? – Sie müssen Veränderungen aktiv annehmen – wichtig! –, Selbstvertrauen und Mut haben. Meinem Eindruck nach schaut man in den Schulen doch noch mehr auf die Fehler, als dass man sagt: Was können sie eigentlich? – Wie machen sie damit Mut? Sie müssen natürlich mit den digitalen Medien souverän umgehen können, sie müssen Bildung wertschätzen, sie müssen in der Lage sein, selbstreguliert zu lernen; wir haben in der Pandemie gesehen, wie wichtig das ist. Sie müssen Ergebnisverantwortlichkeit realisieren, in Teams arbeiten können und dort auch mit Konflikten umgehen, Solidarität und Inklusion leben; darüber haben wir heute schon geredet. Sie brauchen daher Bewertungskompetenz, Verantwortungskompetenz, Ent­scheidungskompetenz und so weiter.

Wir werden das nicht bei allen erreichen, aber wir sollten es bei möglichst vielen erreichen. Ja, aber wie können wir das erreichen? Wie können wir das umsetzen? – Aus Zeitgründen will ich hier nur auf zwei Aspekte eingehen, das heißt, aus meiner Sicht wäre das eine die ganz wichtige Differenzierung zwischen Basiskompetenzen – also was sollte jeder, jede können; ich meine, ein Beispiel ist das sinnverstehende Lesen, was wir noch immer bei sehr vielen nicht erreichen –, und das Zweite ist die Förderung der individuellen Begabungen, der individuellen Interessen.

Warum ist das wichtig? – Jeder Mensch lernt, auch wir als Erwachsene lernen viel lieber, wenn es etwas ist, das uns interessiert, wofür wir Begabungen haben, und daher werden wir auch erfolgreich sein. Was heißt das? – Es fördert Selbstvertrauen, es fördert Lernmotivation und es fördert noch etwas, nämlich dass wir viel mehr Wissen, viel mehr Kompetenzen in der gesamten Gesellschaft haben, weil ja jeder sozusagen auf seiner Ebene mehr Wissen erwirbt.

Das Zweite, das ich für sehr wichtig halte, ist die Vorgabe sehr komplexer Auf­ga­ben, also solche, bei denen es nicht eine einzige richtige Lösung gibt, die die Lehrperson kennt, sondern wo wirklich das Ergebnis offen ist, und die sollten in heterogenen Gruppen bearbeitet werden, also mit solchen Kindern, bei denen schon ihre Begabungen, ihre Interessen gefördert wurden und die in diesen Bereichen mehr wissen. Dort lernen sie – dort sollten sie lernen –: Wie entwickeln wir Strategien? Wie erkennen wir auch, dass die Strategie, die wir gewählt haben, vielleicht nicht zum Ziel führen kann? – Das heißt, aus Fehlern zu lernen ist etwas ganz, ganz Wichtiges.

Was braucht es dafür? – Es braucht qualifizierte Lehrpersonen, es braucht dafür Lehrpersonen, die im Idealfall diese Kompetenzen, die ich vorhin angeführt habe, auch haben, aber es braucht für sie natürlich eine entsprechende Unter­stützung, und wir wissen, dass wir da nach wie vor Probleme haben: Es fehlt an der Schulpsychologie – an Schulpsychologinnen und Schulpsychologen –, an der Schulsozialarbeit, an der administrativen Unterstützung.

Derzeit, auch das wissen Sie alle, unterrichten Studierende ab dem 3. Semester, und da oft Fächer, die sie nicht einmal studieren. Ich brauche nicht auszuführen, was es bedeutet, zu sagen: Ich habe in der Schule Mathematik gehasst, und jetzt muss ich es unterrichten! – Außerdem gibt es Quereinsteigerinnen und Quer­einsteiger, die das Fach, das sie vorher erworben haben, natürlich studiert haben, das sehr gut können, bei denen es aber hinsichtlich Didaktik vielleicht doch nicht so weit her ist, die auf keinen Fall eine psychologisch-pädagogische Ausbildung haben.

Was heißt das also? – Darüber diskutieren wir oft und sagen immer: Das hätten wir so gerne!, aber das sind Visionen. Ich komme jetzt zu meinem zweiten Thema: Wie kommen wir von Visionen zu realisierbaren Innovationen? – Darüber reden wir aus meiner Sicht viel zu wenig.

Im Idealfall – das habe ich ja angesprochen – sollten alle Lehrpersonen das leisten können. Das wird aber nicht gehen, das können wir nicht erwarten. Es gibt schon jetzt viel zu viele Anforderungen an sie, die sie nicht alle bewältigen können. Was würde das also heißen? – Ich glaube, wir müssten die Verant­wortlichkeit von den einzelnen Lehrpersonen wegnehmen und auf die Schulebene legen, das heißt also, dass die Schule als Gesamtes diese Kompe­tenzen hat, zum Beispiel die digitale Kompetenz, die Förderung der individuellen Begabungen und Interessen und so weiter.

Jetzt könnte man aber fragen: Können alle Schulen das leisten? – Wahrschein­lich nicht. Es gibt viele kleine Schulen, und es gibt ganz differenzierte Interessen und Begabungen, die wir aber auch fördern sollten, denn das werden junge Menschen oder wir als Gesamtheit brauchen.

Was heißt das also? – Das heißt eigentlich, dass wir Netzwerke brauchen, wir brauchen einen Aufbau von Unterstützungsstrukturen. Mir schwebt so eine Brückeninstitution vor, die auf der einen Seite die Schulpraxis, die Schuladminis­tration, die Schulpolitik und auf der anderen Seite die Wissenschaft, die sich damit beschäftigt und sozusagen hilft, verbindet. Niemand soll seinen Bereich verlassen, aber man soll ein Verständnis füreinander haben.

Wie schaffen wir das? – Das ist vielleicht wieder eine Vision, aber mir schwebt vor, Folgendes könnte ein Start sein: Es gibt doch die Schulqualitätsmanager und -managerinnen, und wenn die mit dem IQS, dem Institut für Qualitätssicherung im Schulwesen – das natürlich entsprechend ausgebaut werden müsste –, zu kooperieren anfangen, wäre das vielleicht ein Startpunkt.

Was es aus meiner Sicht noch braucht, ist mehr Fairness in diesem Bereich. Was heißt das? – Es gibt sehr viele Schulleiter:innen, es gibt viele Lehrpersonen, die sich unheimlich anstrengen und die sehr viel erreichen. Wie schätzen wir das wert? – Wir sagen halt vielleicht: Nett! Gleichzeitig gibt es aber auch welche, die – sagen wir einmal – recht wenig tun. Was würde das heißen? Was brauchen wir? – Wir brauchen für die einen mehr Wertschätzung – das kann sich in vielerlei Weise ausdrücken –, für die anderen – jetzt bin ich dabei, eine heilige Kuh zu schlachten – brauchen wir eine Verabschiedungskultur, die wir etablieren. Die haben wir nicht, diese heilige Kuh ist bisher nicht geschlachtet. (Beifall.)

Ich komme jetzt zu Thema 3 – ich habe bisher versucht, das ein bisschen von den Visionen herunterzubrechen zu etwas, das vielleicht leichter realisier­bar ist –: Wie können wir solche Innovationen flächendeckend erfolgreich umsetzen?

Im ersten Schritt muss das natürlich in Gesetze gegossen werden, also im Par­lament beschlossen werden – Sie sind sozusagen gefordert. Ich weiß mittlerweile anhand der Prozesse, die ich beobachtet habe – Sie werden das natürlich viel besser wissen –: Politik ist das Bohren harter Bretter. Wenn man sich dann geeinigt hat und es beschlossen wird – mit allen Diskussio­nen und so weiter –, lehnen sich alle ermattet zurück, aber dann beginnt eigentlich der zweite Teil der Arbeit, denn dann müssen die Vorgaben eines solchen Gesetzes, diese Maßnahmen, sozusagen möglichst flächendeckend implementiert werden.

Was macht man aber meistens? – Ich kenne das zumindest aus dem Bildungs­bereich: Man stellt diese Informationen auf die Webseiten, man schickt Leitfäden – meistens sehr dick: 80 bis 100 Seiten – an die Schulen. Wer geht jetzt her – welche Schulleiterin, welcher Schulleiter, welche Lehrpersonen – und sagt: Ach, ich surfe jetzt auf den Webseiten des Ministeriums, vielleicht finde ich etwas, was ich tun sollte!? – Oder man freut sich über diese dicken Wälzer mit Leitfäden und sagt: Ach, ich arbeite sie durch! Manches ist vielleicht nicht so leicht verständlich oder realisierbar. – Nein, das wird man wahrscheinlich nicht tun. Was hat das zur Konsequenz? – Das beobachte ich schon seit sehr vielen Jahren: dass durchaus auch sehr kluge Maßnahmen, gute Gesetze nicht umgesetzt werden, weil die Implementierung nicht mitgedacht wird.

Was müsste daher geschehen? – Ich kann es leider nicht ausführen, aber ich beschäftige mich seit sehr vielen Jahren damit: Wir müssen wirklich implemen­tieren!

Was heißt das? – Man muss schon von Beginn an die relevanten Stakeholder einbeziehen. Das sind natürlich Schulleitungen und Lehrpersonen, aber das ist viel breiter: Man braucht auch die Schuladministration, man muss die Länder, die Bildungsdirektionen – ich schaue jetzt zu Ihnen, Herr Amon – und so weiter einbeziehen und damit auch den Prozess gestalten. Man kann nicht vom Minis­te­rium oder einer anderen Institution weggehen und da Dissemination machen, sondern das bedeutet, man muss den Weg von den Betroffenen zurück gestalten: Wo stehen sie jetzt? Welche Unterstützung brauchen sie? Wie kann man das alles gestalten? – Dann käme man von einer Ankündigungspolitik zu einer Wirkungspolitik, und ich glaube, wir alle brauchen diese Wirkungs­politik.

Aus meiner Sicht – ich hoffe, Sie alle teilen sie – ist Bildung das wichtigste Politikfeld, denn Investitionen in Bildung sind gleichzeitig Investitionen in andere Politikfelder – Frau Blaha hat das auch schon angesprochen – wie Gesundheit, Soziales, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Justiz, Finanzen; auch der Finanzminister freut sich, wenn er mehr Steuern bekommt. Bitte sagen Sie das weiter, ich glaube, das wissen noch nicht alle!

Zum Abschluss möchte ich noch eines sagen: Das alles sind viele Heraus­forderungen, so richtig in die Realität bin ich, glaube ich, auch nicht gekommen, aber ich habe es ein bisschen versucht. Wir sollten aber trotzdem optimistisch sein oder optimistisch bleiben, denn der Optimist irrt sich genauso oft wie der Pessimist, aber er hat sehr viel mehr Spaß dabei. – Vielen Dank. (Heiterkeit und Beifall.)

10.07


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank für die Ausführungen.

Ich darf weiters Frau Elke Larcher, Referentin für Schulpolitik und Elemen­tar­pädagogik in der Abteilung Bildungspolitik der Arbeiterkammer Wien, um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Larcher.


10.07.31

Elke Larcher (Arbeiterkammer Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich sehr gefreut über die Einladung, bei dieser Enquete sprechen zu dürfen, und noch mehr habe ich mich über den Titel dieser Enquete gefreut: „Kindern Perspek­ti­ven geben – unbe­schwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden“. Besonders ins Auge gestochen ist mir dabei das Adjektiv unbeschwert. (Vizepräsidentin Göll übernimmt den Vorsitz.)

Wenn wir sozusagen überlegen, was man mit unbeschwert assoziiert, dann denkt man an Kinder und Jugendliche, die mit Spaß und freudvoll lernen können. Was heißt es aber, wenn wir das Adjektiv unbeschwert als Auftrag für Bil­dungspolitik verstehen? – Das bedeutet eine völlig andere Schulkultur als das, was wir im Alltag in unseren Schulen und Kindergärten vorfinden, denn jetzt ist Realität, dass viel zu oft viel zu viele Kinder und Jugendliche Angst vor schlechten Noten haben, einem immensen Druck ausgesetzt sind, in den Lern­gegenständen die gleiche Leistung wie die Kinder rechts und links von ihnen erbringen zu müssen, und die Angst groß ist, diesem Druck nicht stand­zuhalten.

Mit stark zugedrückten Augen kann man das vielleicht als externe Motivation verstehen, nachhaltiges Lernen braucht aber intrinsische Motivation, die eben durch unbeschwertes Lernen, durch unbeschwerte Entwicklung ermöglicht werden kann – und das ist dieser Leistungsdruck und dieser Notendruck in den Schulen ganz sicher nicht.

Vier von fünf Kindern lernen mit ihren Eltern im Alltag; ein Viertel der Kinder und Jugendlichen lernt fast täglich mit den Eltern zu Hause. 120 Millionen Euro haben Familien im vergangenen Schuljahr in die privat finanzierte Nachhilfe ihrer Kinder investiert, um diesem Leistungsdruck standzuhalten, um den Leistungs­anforderungen der Schule zu entsprechen. – Das ist alles andere als unbeschwert, weder für die Kinder und Jugendlichen noch für ihre Familien. Das ist nicht nur nicht unbeschwert und nicht effizient, sondern es funktioniert auch nicht. Wir sehen nämlich, dass viel zu viele Kinder und Jugendliche die Lernziele nicht erreichen. Viel zu viele Kinder und Jugendliche haben niemanden, der dieses immense Ausmaß an privat organisierter Lernhilfe, durch bezahlte Nachhilfe oder aufgrund von viel Freizeit zu Hause, leisten kann. Die Eltern und Familien haben nicht das Geld, um es dafür investieren zu können. Es fehlt ihnen an der Zeit, um nach langen Arbeitstagen, oft auch einer zweiten, dritten Beschäftigung, mit den Kindern noch zu lernen, und sie waren oft selbst nicht lange genug in der Schule, um ihre Kinder dabei zu unterstützen.

Und was passiert dann? – Was dann passiert, ist, dass wir wahnsinnig viele Kinder auf diesem Weg verlieren. Sie verzweifeln an ihren schlechten Noten, sie haben Konflikte in ihren Familien, zweifeln an sich selbst und können alles andere als ihre Stärken und Potenziale entwickeln.

Diese Schul- und Lernkultur ist nicht unbeschwert. Und wenn wir uns in der Bildungspolitik vornehmen, Kindern und Jugendlichen eine unbeschwerte Perspektive geben zu wollen, dann müssen wir nicht nur an der Schul- und Lernkultur in unseren Bildungseinrichtungen dringend schrauben, sondern wir müssen – und da gehe ich jetzt in die gleiche Richtung wie Frau Prof. Spiel – über die Zukunftsperspektive unserer Kinder und Jugendlichen diskutieren, denn: Unbeschwert lernen zu können heißt auch, als Kind und Jugendlicher darauf vertrauen zu können, dass man die Kompetenzen und die Erlebnisse in den Schul- und Bildungseinrichtungen bekommt, die einen für die großen Herausforderungen, die da vor uns liegen, wappnen, wappnen für das zukünftige Leben, und – auch das haben die vergangenen Jahre nachdrücklich gezeigt – das machen die Bildungseinrichtungen nicht.

Die Kinder und Jugendlichen, die heute elementare Bildungseinrichtungen und Schulen besuchen, haben in den vergangenen Jahren eine Dichte an Krisen erlebt, dass einem manchmal schlecht wird: Sie haben eine Pandemie erlebt. Die Wiener Kinder und Jugendlichen haben einen Terroranschlag erlebt. Sie haben eine Teuerung in einem massiven Ausmaß erlebt. Und die Bildungseinrichtungen waren nicht in der Lage, die Kinder da unbeschwert durchzubegleiten.

Dass Schule heute so ist, wie sie ist, hat einen Grund, denn Schule wurde damals, als sie für die breite Bevölkerung ausgerollt wurde, aufgrund von Anforderungen des Militärs und einer beginnenden Industrialisierung so geschaffen. Damals war es das Ziel, Kindern und Jugendlichen Kompetenzen zu vermitteln und eine Normierung von Kompetenzen in der breiten Bevölkerung auszurollen, damit es eben möglich war, dass vom Bodensee bis zum Neusiedler See die Tätigkeiten industriell in der gleichen Art und Weise ausgeführt werden.

Wenn wir aber über die großen Zukunftsherausforderungen, die jetzt vor uns liegen, nachdenken, dann wird uns klar, diese Kompetenzen werden uns nicht weiterhelfen. Es sind schlichtweg nicht mehr Kompetenzen, die wir brauchen, um Digitalisierung und künstliche Intelligenz zu gestalten, um die Frage des Klimawandels und die großen Probleme, die damit auf uns zukommen, und auch den soziodemografischen Wandel zu bewältigen.

Wenn wir also heute die Bildung für morgen auf den Weg bringen wollen, heute die Kompetenzen für die Zukunft von morgen auf den Weg bringen wollen, dann brauchen wir aus meiner Sicht und aus Sicht der Arbeiterkammer eine starke Priorisierung der Grundkompetenzen, die jeder und jede lernen muss, und dann im wesentlichen drei Kompetenzen, die jedes Kind und jeder Jugendliche brauchen wird.

Wir müssen den Selbstwert von Kindern und Jugendlichen stärken. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche einen positiven Lernzugang haben und Lernstrategien vermittelt bekommen, und wir brauchen ein ganz hohes Ausmaß an Problemlösungskompetenzen, denn: Wir wissen nicht, wie sich der technologische Wandel im Alltag auswirken wird. Wir wissen nicht, wie sich der Klimawandel im Alltag auswirken wird und welche Klimaanpassungsmaßnahmen wir im Alltag brauchen werden. Wir wissen, die Herausforderungen werden enorm sein, viel größer und viel schneller auf uns zukommen als das, was wir bisher kennen – mehr aber auch nicht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in den Selbstwert der Kinder investieren und das gelingt durch Noten- und Leistungs­druck sicher nicht. (Beifall.)

Was bedeutet es, den Selbstwert in Bildungseinrichtungen zu stärken? – Viel zu viel Zeit investieren Kinder und Jugendliche in Bildungseinrichtungen damit, dass sie mit der Arbeit an ihren Defiziten drangsaliert werden. Wir brauchen viel, viel, viel mehr Zeit in Bildungseinrichtungen für die Förderung der Stärken und Potenziale der Kinder. Wir tun so, als wäre jedes Kind gleich. Wir wissen, kein Kind ist gleich. Wir wissen, es macht einen enormen Unterschied, ob man in der Stadt oder am Land aufwächst, ob man mit zwei Elternteilen oder mit einem alleinerziehenden Elternteil aufwächst, ob die Erstsprache Deutsch ist oder ob man eine andere Erstsprache spricht.

Wir müssen individuell auf die Potenziale der Kinder eingehen und ihnen individuelle Lernstrategien zur Verfügung stellen. Wir brauchen eine Atmosphäre des Zutrauens und des Beteiligens. Wir müssen Kinder in den Bildungsein­richtungen in einem enormen Ausmaß mehr beteiligen. Wir müssen ihnen die Fähigkeit vermitteln, Probleme zu lösen, und zwar gemeinschaftlich. Es wird in der Zukunft nicht mehr möglich sein, dass man als Einzelgänger die großen Probleme lösen wird. Wir brauchen Teamfähigkeit anstatt Konkur­renzorientierung in unseren Bildungseinrichtungen, und wir werden in Zukunft schlichtweg keine Jobs mehr für Schulabbrecher:innen haben. Wir können es uns nicht leisten, Kinder vielfach an jeder Schnittstelle auszuselektieren. Wir müssen in die Förderung und Forderung unserer Kinder investieren und in die Interaktion treten.

Wenn wir heute darüber nachdenken, wie Bildungspolitik sein muss, damit sie unbeschwertes Lernen ermöglicht, damit sich Kinder unbeschwert und für die zukünftigen Herausforderungen gewappnet fühlen, dann wird eines sehr schnell klar: Wir können uns die Bildungspolitik von heute, die Bildungspolitik, die auf Militär und eine beginnende Industrialisierung abgezielt hat, schlichtweg nicht mehr leisten. Wir müssen jetzt beginnen, in die Kinder und Jugendlichen zu investieren, ihnen helfen, ihre Potenziale und Stärken entfalten zu können, ihnen manchmal auch eine zweite, dritte, vierte Chance einräumen und ihre Lern­motivation steigern.

Zum Schluss kommend: Wenn es uns gelingt, eine unbeschwerte Lern- und Schulkultur zu etablieren, wenn es uns gelingt, Kindern und Jugendlichen eine unbeschwerte Zukunftsperspektive zu vermitteln, dann können nicht nur die einzelnen Kinder und Jugendlichen unbeschwert in ihre Zukunft blicken, sondern auch wir als Expert:innen, Sie als Politiker und Politikerinnen und wir als Gesellschaft, weil wir gut vorbereitet sein werden auf das, was da kommt. – Danke. (Beifall.)

10.17


Vorsitzende Vizepräsidentin Margit Göll: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich darf nunmehr Frau Mag. Michaela Hajszan, wissenschaftliche Leiterin im Charlotte-Bühler-Institut für praxisorientierte Kleinkindforschung, um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Mag. Hajszan.


10.18.15

Mag. Michaela Hajszan (Charlotte-Bühler-Institut)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich sehr gefreut, dass ich heute die Gelegenheit erhalten habe, hier vor Ihnen zu diesem Thema zu sprechen, das ich für ein ganz, ganz wichtiges Thema halte und das momentan auch – das werden Sie dann in meinen Ausführungen bemerken – tagtäglich in den Medien präsent ist, weil es gesellschaftlich höchst brisant ist.

Bildung beginnt mit der Geburt. Die ersten Lebensjahre sind die Jahre im Leben eines Menschen, in denen in kurzer Zeit besonders rasch, besonders intensiv, besonders viel Neues gelernt und erworben wird. Bei ganz jungen Kindern ist Spielen dabei die wichtigste Lernform. Es ist für uns Erwachsene übrigens auch eine sehr feine Lernform, uns im Spiel weiterzuentwickeln, aber bei ganz jungen Kindern ist es die vorherrschende Lernform. Wenn Sie junge Kinder beim Spielen beobachten, dann können Sie die Synapsen im Gehirn mehr oder weniger beim Wachsen und beim Vernetzen beobachten.

Wenn wir diese Zeit, diese frühen Jahre, diese ersten Jahre, als Bildungszeit, als Lernzeit ernst und wichtig nehmen und als Gesellschaft auch die ent­sprechen­den Ressourcen dafür zur Verfügung stellen, dann werden die investierten Kosten – und das wurde heute schon mehrfach angesprochen – langfristig in die Gesellschaft zurückfließen, zehn- bis 16-fach, haben wir heute gehört, und das gilt umso mehr, je jünger die Kinder sind, in die wir sozusagen investieren beziehungsweise in deren Bildungseinrichtungen wir investieren. Die Kurve von James Heckman hat das recht eindrücklich dargestellt, dass der Return on Invest, der heute auch schon genannt wurde, in den ersten Lebensjahren extrem hoch ist.

Deswegen ist es auch so sehr wichtig – Danke, Frau Prof. Spiel, die jetzt gerade nicht mehr hier sitzt –, elementare Bildungseinrichtungen, Einrichtungen, in denen Bildung und Lernen von jungen Kindern stattfindet, Krippen und Kinder­gärten, tatsächlich als Bildungseinrichtungen zu betrachten und zu bezeichnen (Beifall), und zwar auch im öffentlichen Diskurs. Da möchte ich an Sie alle appellieren, an uns alle hier: Wir sind die Menschen, die sich auch in der Öffent­lichkeit dazu äußern, und viel zu oft ist das Wort Betreuung, das natürlich auch ein wichtiges Wort ist, momentan in der öffentlichen Diskussion wahrzu­nehmen. Wir sollten alle versuchen – und Danke, es ist heute schon sehr gut gelungen –, auch von früher Bildung und elementarer Bildung zu sprechen.

Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung. Bildung ist ein Menschenrecht, wurde heute schon genannt, und Bildung ist natürlich auch ein Kinderrecht. Das ist als ein Recht jedes Kindes in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verankert.

Was heißt Bildung in der frühen Kindheit oder was bedeutet dieses Recht von Kindern auf frühe Bildung? – Bildung ist hier eigentlich in einem ganz umfas­senden, ganzheitlichen Sinn gemeint, und wir haben heute auch schon über Kompetenzen gehört, die Kinder brauchen, um die Zukunft zu gestalten. Bei der frühen Bildung in elementaren Bildungseinrichtungen, Krippen und Kinder­gärten, geht es in erster Linie um soziales und emotionales Lernen. Es geht um den Spracherwerb. Es geht um die Auseinandersetzung mit Werten und Demokratie; also Demokratiebildung beginnt definitiv schon in elementaren Bildungseinrichtungen. Es geht aber zum Beispiel auch um frühe Medienbildung, naturwissenschaftliche Kompetenzen und digitale Kompetenzen. Also all das ist schon im Kindergarten verankert und ist im Bildungsauftrag elemen­ta­rer Bildung­seinrichtungen integriert, im Bildungsrahmenplan festgehalten.

Wir wissen aber auch, aus der Forschung vor allem, dass Bildung als Voraus­set­zung Beziehung und Bindung braucht. Das heißt, Lernen ist ein sozialer Prozess, Lernen findet immer – und je jünger die Kinder sind, umso mehr – im Austausch und im Dialog mit anderen statt. Und da sind wir bei den Päda­goginnen und Pädagogen in elementaren Bildungseinrichtungen. Denen kommt eine Schlüsselrolle für Bildung und Lernen junger Kinder zu. Sie haben nämlich die höchst anspruchsvolle Aufgabe, ein Umfeld zu gestalten, ein Lern­umfeld zu gestalten, in dem Kinder lernen und sich entwickeln können, in dem also ihre Bildungsbiografie vorangetrieben wird und in dem sie sich zugleich geborgen und sicher fühlen, sich wertgeschätzt fühlen, in ihrem Selbst­wert gestärkt werden, Selbstwirksamkeitserfahrungen machen.

Das müssen Pädagoginnen und Pädagogen schaffen, denn erst dann, wenn Kinder Zuwendung und Sicherheit durch vertraute Bezugspersonen haben, sind sie überhaupt im jungen Alter dazu fähig, sich auf Lernanregungen, Impulse, Inputs aus ihrer Umgebung, aus den Bildungseinrichtungen einzulassen. Dann ist Lernen eigentlich überhaupt erst möglich. Also zuerst brauchen wir Bindung und Beziehung.

Wenn das gelingt, dann spricht man von einer hohen Interaktionsqualität, und dazu braucht es viel Empathie von Fachpersonen, aber es braucht auch sehr, sehr viel Fachwissen über Entwicklungspsychologie, über die Bedürfnisse von jungen Kindern, über das Deuten ihrer Signale, auch wenn sie noch keine Sprachkompetenz haben zum Beispiel, was ja bei ganz jungen Kindern sehr oft der Fall ist. Das brauchen diese Pädagog:innen. Sie müssen verlässliche Bezugspersonen sein, sie müssen Beziehung gestalten und sie müssen eben Kinder auch fördern und fordern, ohne sie zu überfordern. Sie müssen individuell passende Bildungsangebote erstellen und die Kinder in den Bildungs­prozessen begleiten. Sie müssen ihr Selbstvertrauen stärken und Mitbe­stimmung ermöglichen – beides haben wir heute auch schon gehört.

Sie brauchen natürlich dafür Zeit, jedes einzelne Kind individuell zu begleiten, und es liegt auf der Hand, dass das nur gelingt, wenn eine Pädagogin, ein Pädagoge nicht für zu viele Kinder zugleich zuständig ist. Danke, Frau Blaha, Sie haben die Zahlen schon genannt: Gruppengrößen von 25 Kindern sind in österreichischen Kindergärten selbstverständlich, und es gibt auch die Möglich­keit, diese Gruppengröße noch zu überschreiten, wenn es notwendig ist; manchmal sind es auch mehr als diese 25.

Hohe Interaktionsqualität, wie ich sie gerade beschrieben habe, ist ein Teil von pädagogischer Qualität, und pädagogische Qualität – das ist mir ganz wichtig – wird immer aus der Perspektive von Kindern und ihren Familien beschrieben. Eine hohe pädagogische Qualität ist dann vorhanden, wenn Kinder diese bestmöglichen Bedingungen für ihre individuelle Bildung und Ent­wicklung vorfinden.

Wir wissen aus Längsschnittstudien, dass gute Qualität die Bildungsbiografie von Kindern weit über den Kindergarten hinaus positiv beeinflussen kann. Dann ist elementare Bildung wirklich Basis für ein gutes Leben, worüber wir heute sprechen – wenn die Qualität passt. Es geht nicht nur darum, dass sie einen Kindergarten besuchen, sondern auch darum, dass die Qualität gut ist. Das gilt ganz besonders für Kinder mit Benachteiligungen.

Auch darüber wurde heute schon gesprochen: Kinder, die aus armen Familien kommen, aus bildungsfernen Familien, vielleicht mit mehreren Erstsprachen aufwachsen, diese Kinder brauchen eine ganz besonders gute pädagogische Qualität in elementaren Bildungseinrichtungen, um in puncto Chancengerech­tig­keit, unbeschwertes Aufwachsen profitieren zu können.

Wir wissen aber auch, dass das in österreichischen Kindergärten nicht so ist. Wir wissen, dass Kinder aus benachteiligten Familien von den Bildungsangeboten in den Kindergärten wesentlich weniger gut profitieren können als Kinder aus einem bildungsnahen, sehr bildungsnahen Umfeld. Und das ist dramatisch, weil eigentlich genau das Gegenteil notwendig wäre – genau das Gegenteil. Dem können wir entgegenwirken, wenn wir in frühe Bildung investieren und wenn wir in Qualität der frühen Bildung investieren.

Für gute pädagogische Qualität sind nicht nur kompetente Fachkräfte notwen­dig, sondern, ganz wichtig, auch passende Rahmenbedingungen in ele­men­taren Bildungseinrichtungen. Das wurde heute auch schon angesprochen. Wir brauchen kleinere Gruppengrößen. Die Gruppen in österreichischen Kindergärten sind meistens zu groß. Wir brauchen einen verbesserten Fachkraft-Kind-Schlüssel. Fachkraft-Kind-Schlüssel bedeutet die Anzahl der Kinder, für die eine einzelne pädagogische Fachkraft zuständig ist. Dieser ist in österreichi­schen Kindergärten auch zu hoch. Wir brauchen mehr Zeit für Pädagog:innen, damit sie all das erledigen können, was außerhalb der Tätigkeit in den Gruppen notwendig ist, und das wird immer mehr. Das ist aber auch wichtig, dass sie sich mit Eltern austauschen, dass sie mit der Schule zusammenarbeiten, dass sie sich weiterbilden. All das ist wirklich notwendig, und dafür müssen Päda­gog:innen auch Zeit haben.

Dass diese Rahmenbedingungen in österreichischen Kindergärten nicht den Empfehlungen entsprechen und auch nicht den hohen Anforderungen, die wir zu Recht an pädagogische Qualität in elementaren Bildungseinrichtungen stellen, ist nichts Neues. Wir haben 1996 als Charlotte-Bühler-Institut in unserem ersten Buch Qualitätsstandards für den Kindergarten erarbeitet, die in relevanten Bereichen teilweise bis heute noch nicht umgesetzt sind. Also wir reden schon sehr, sehr lange über dieses Thema.

Das hat zur Folge, dass immer mehr Pädagog:innen trotz guter Ausbildung, trotz hoher Motivation eigentlich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen oder bereits darüber hinausgegangen sind. Sie sind in einem ständigen Dilemma zwi­schen dem, was sie umsetzen wollen – weil sie wissen, dass es wichtig und gut ist für die Bildung der Kinder, für das unbeschwerte Aufwachsen, weil es im Bildungsrahmenplan verankert ist, weil sie dafür ausgebildet wurden –, und dem, was sie jeden Tag, im Alltag einer elementaren Bildungseinrichtung umsetzen können oder eben nicht umsetzen können.

Wir sehen heute mehr denn je, dass jeden Tag eigentlich wichtige Bildungs­chancen verloren gehen. Das ist übrigens auch einer der wichtigsten Gründe, wenn nicht sogar der wichtigste, dass die Hälfte oder in manchen Bundesländern auch mehr als die Hälfte der Absolvent:innen der Ausbildung nicht in den Beruf gehen wollen oder ihn nach kurzer Zeit wieder verlassen, weil sie merken, das ist nicht das, wofür sie ausgebildet wurden, was sie eigentlich umsetzen wollen.

Also wenn wir Perspektiven für Kinder schaffen wollen – Thema des Tages, wunderschönes Thema –, müssen wir zuerst Perspektiven für Pädagog:innen, für Fachkräfte in elementaren Bildungseinrichtungen schaffen, damit sie ihren verantwortungsvollen Job, den viele als den schönsten Job der Welt bezeich­nen – den machen sie ja sehr gerne, den haben sie ganz bewusst gewählt –, auch weiter ausüben können und wollen. Wir müssen Qualität vor Quantität stellen – das ist ein ganz wichtiger Satz, denke ich.

Wir brauchen ganz konkrete Daten. Wir brauchen verbindliche Stufenpläne, mutige Stufenpläne zu einer schrittweisen Senkung der Gruppengrößen in den elementaren Bildungseinrichtungen, zu einem besseren Verhältnis zwischen Fachkraft und Kindern und zu einer viel besseren und viel umfassenderen Finan­zierung des elementaren Bildungsbereichs, im besten Fall sogar mit Sozialindex; das wäre sozusagen überhaupt das Schlagobershauberl oben drüber. Diese Maßnahmen sind eigentlich ohne Alternative und müssen jetzt vereinbart und umgesetzt werden.

Das würde auch dazu beitragen, denke ich, dass die Pädagog:innen die Wert­schätzung und die Anerkennung von Gesellschaft und Politik erfahren, die sie momentan nicht erleben. Nicht einmal 10 Prozent der Pädagog:innen haben in einer Umfrage letztes Jahr gesagt, dass sie den Eindruck haben, dass andere Menschen ihren Beitrag für die Gesellschaft anerkennen, und das finde ich dramatisch – nicht einmal 10 Prozent!

Wir als Gesellschaft entscheiden heute darüber, wie ernst wir den Bildungsauf­trag in elementaren Bildungseinrichtungen nehmen und wie die Zukunft und die Chancen der Kinder auf ein chancenreiches, demokratisches und unbeschwertes Leben in nächster Zeit aussehen werden. Und jetzt zitiere ich noch Frau Blaha, vielen Dank: „Die Mittel dazu hätten wir.“ – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

10.29


Vorsitzende Vizepräsidentin Margit Göll|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Panel 1 ist somit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Beiträge.

10.29.30IV. Panel 2 „Armut bekämpfen – Zukunft möglich machen“


Vorsitzende Vizepräsidentin Margit Göll|: Wir kommen nun zu Panel 2, den Referaten zum Thema „Armut bekämpfen – Zukunft möglich machen“.

Ich ersuche wieder die Referenten, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben, wobei die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht überschritten werden soll. Wie bereits erwähnt, beginnt das rote Lämpchen am Redner:in­nenpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken.

Ich darf zu Beginn Herrn Abgeordneten zum Steiermärkischen Landtag Mag. Stefan Hermann um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Landtagsabge­ordneter.


10.30.05

Mag. Stefan Hermann, MBL (Abgeordneter zum Steiermärkischen Landtag, FPÖ)|: Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Landeshauptmann! Herr Landesrat! Werte Abgeordnetenkollegen, aber insbesondere auch werte Experten! Ein paar persönliche Worte seien mir vorweg gestattet: Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, heute Teil dieser Enquete zu diesem wichtigen Thema zu sein und gemeinsam mit namhaften Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen zu diskutieren.

Wir haben es heute schon gehört: Das Thema der Kinderarmut ist ein Problem, das viele Facetten hat. Wir sprechen nicht nur von der materiellen Armut – das haben wir heute schon gehört, ich glaube, der Herr Landeshauptmann hat es gesagt –, wir sprechen von sozialer Armut, von geistiger Armut, aber auch von Armut, wenn es darum geht, Zugang zum Gesundheitssystem zu haben und Ähnliches. Ich glaube, alle, die hier im Saal sitzen, sind sich darin einig, dass die bestmögliche Erziehung, die Bildung und die Gesundheitsversorgung der Jüngs­ten in unserer Gesellschaft die Basis für den Wohlstand unseres Landes sind. Wenn man sich ein Video anschaut, das in den letzten Tagen durch die Medien gegeistert ist, das in weinseliger Stimmung in einem Weinkeller aufgenommen wurde, das auch die Kinderarmut thematisiert hat, dann wird, glaube ich, deutlich, wie wichtig diese Enquete heute ist, dass es auch wieder zu so etwas wie einer Bewusstseinsbildung hinsichtlich dieses Problems kommt – und neben der Bewusstseinsbildung wird es auch konkrete Maßnahmen brauchen.

Wir haben von Experten heute schon im Vorfeld gehört und werden es auch im Nachhinein hören, wo denn die Wurzel des Problems liegt – und ja, es wird an vielen Rädern gedreht werden müssen, um des Problems Herr zu werden. Ich sehe es heute als meine Aufgabe oder als kleinen Beitrag, Ihnen als kleiner Landtagsabgeordneter, der ich sein darf, Maßnahmen vorzustellen, die in einigen Bundesländern – von unterschiedlichen Parteien, in unterschiedlichsten Regierungskonstellationen – umgesetzt wurden und einen kleinen Beitrag leis­ten, um dieses Problem entsprechend zu lösen.

Wir alle wissen und es ist tragisch, dass ein Viertel aller Armuts- und Ausgren­zungs­gefährdeten in Österreich Kinder im Alter zwischen null und 17 Jahren sind. Das entspricht einer Zahl von rund 386 000 Kindern in Österreich, und die Teuerungswelle, die wir alle spüren, trifft natürlich Familien enorm. Die Arbei­terkammer hat erhoben, dass sich jede zehnte Familie in Österreich nicht mehr in der Lage sieht, die nötigsten Materialien für die Schule zu bezahlen, und jede vierte Familie meint, sich Bildungsausgaben in Bezug auf EDV, kulturelle Beteili­gung, Nachhilfe, Musikschule nicht mehr leisten zu können.

Es gibt in Oberösterreich ein Paket, ein Initiativenpaket, mit dem versucht wird, dieser Probleme Herr zu werden. Das Land Oberösterreich hat im letzten Jahr zusätzlich noch einmal 5 Millionen Euro in die Förderung der Familien investiert, und das Land Oberösterreich ist auch hergegangen und hat sich angeschaut: Wer ist denn nun alles von Armut betroffen? Es ist nämlich nicht so, dass es nur mehr die Ärmsten der Armen sind, sondern aufgrund der massiven Teuerung hat Kinderarmut auch den Mittelstand erreicht. Das heißt, bei allen Maßnahmen, die Bundesländer setzen, die die Politik setzt, muss man den Bezieherkreis möglichst treffsicher ausgestalten. So gibt es in Oberösterreich, in Niederösterreich, in Kärnten und in Tirol eine sogenannte Schulkostenbeihilfe, die für Pflichtschul­kinder ausbezahlt wird, und das ist eine Maßnahme, die auch in anderen Bun­desländern entsprechend greifen sollte.

Wir haben heute vom Bildungssystem gehört, haben im vorherigen Panel über unser Bildungssystem gesprochen: Ich bin der festen Überzeugung, dass Österreich ein Bildungssystem braucht, das schwache Kinder fördert, aber auch Kinder, die Leistung erbringen, entsprechend fordert. (Beifall.) Ich glaube, das ist wahnsinnig wichtig. Wir haben erlebt, dass es insbesondere durch die Restriktionen, die die Coronapandemie mit sich gebracht hat, bei einem Großteil der Schüler zu Lernverlusten gekommen ist, und es ist logisch, dass sich nicht jeder Nachhilfeinstitute leisten kann. Im Land Oberösterreich wurde auch ein Fördertopf für Nachhilfe eingeführt; man erhält entsprechende Gelder, wenn man bei etablierten, professionellen Instituten Nachhilfe in Anspruch nimmt.

Viele Familien und viele Kinder sind aber nicht nur damit konfrontiert, keine Nachhilfe in Anspruch nehmen zu können, sondern aufgrund der finanziellen Situation, die in den Familien vorherrscht, auch damit, von Schulveranstaltungen ausgeschlossen zu werden. Es wird für Familien immer schwieriger, sich Projektwochen, Projekttage, den Schulskikurs leisten zu können. Auch da ist die öffentliche Hand gefordert, entsprechend einzugreifen, Maßnahmen zu setzen und die Familien finanziell zu unterstützen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wir leben zum Glück in einer Zeit, in der Jugendliche und Kinder gesundheitlich so gut versorgt sind, wie es noch nie zuvor der Fall war. Die Kindersterb­lichkeit hat abgenommen, die Säuglingssterblichkeit hat abgenommen, die Behand­lung von übertragbaren Krankheiten ist hervorragend. Trotzdem hat die Zahl der chronischen Krankheiten und der Erkrankungen des Bewegungs­apparates, von psychischen Störungen und von Adipositas bei Kindern kontinuierlich zugenommen, und auch die Zahngesundheit nimmt – wenn man Studien glaubt –, so traurig es ist, mehr und mehr ab. Um diesen Trend zu stoppen, wurde in Oberösterreich ein sogenannter Eltern-Kind-Zuschuss zur Gesundheitsförderung eingeführt, mit dem das Land Oberösterreich jene Eltern belohnt, die entsprechende Prävention und Gesundheitsvorsorge betreiben. Auch das ist ein Modell, das zur Nachahmung empfohlen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im ersten Panel haben wir sehr viel über Kinderbildungs- und –betreuungseinrichtungen gehört. Wir haben über den Zugang zu Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen gesprochen und über viele Impulse gehört. Ich bin der festen Überzeugung, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass es in Österreich so etwas wie eine echte Wahlfreiheit geben muss. Das heißt, Eltern, die sich dazu entscheiden, ihr Kind in eine Kinderkrippe zu geben, müssen flächendeckend ein entsprechendes Angebot vorfinden. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kindergärten über kurz oder lang in ganz Österreich gratis sein sollen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ich habe aber auch eine spezielle Meinung, wenn es darum geht, Familien wertzuschätzen, Eltern wertzuschätzen, die sich freiwillig, ohne Zwang dazu entscheiden, ihr Kind nicht in eine Kinderkrippe zu geben, sondern dieses Kind zu Hause zu betreuen. Ich habe das Glück, eine Frau und zwei Kinder zu haben. Meine Frau ist besser ausgebildet als ich, ist erfolgreicher als ich, ist auch hübscher als ich – ich bin echt gesegnet mit meiner Gattin (Heiterkeit) –, und wir haben uns, wie man es als Familie macht, zusammengesetzt und darüber diskutiert, wie wir unsere Kinder betreuen. Sie hat sich dann dazu entschieden, die Zeit der ersten drei Lebensjahre unserer Kinder zu Hause zu verbringen, und ist jetzt wieder in den Beruf eingestiegen. Wir sind jetzt in einer gesellschaft­lichen Situation, in der erfolgreichen Frauen, die sich freiwillig dazu entscheiden, zu Hause zu bleiben, ihre Kinder zu betreuen, von der Gesellschaft eingeredet wird, sie sind dann nicht erfolgreich, sie sind weniger wert – und das ist meiner Meinung nach der völlig falsche Weg. (Beifall.)

Es muss beides geben: ein flächendeckendes Angebot an Betreuungsplätzen, aber auch finanzielle Unterstützung für Familien, die sich dazu entscheiden, ihr Kind in den ersten Lebensjahren zu Hause zu betreuen, denn ich bin der festen Überzeugung, dass die frühkindliche Bindung – und da geht es um die ersten zwei, drei Lebensjahre eines Kindes und nicht mehr – zwischen Mutter, Vater und Kind keine Einrichtung substituieren kann, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall.)

Ich werde schön langsam zum Schluss kommen: Sie alle sehen, es ist eine große Aufgabe, wir haben alle noch sehr viel zu tun, meine sehr geehrten Damen und Herren. Jeder von uns hat Kinder in seinem Umfeld – entweder sind es die eigenen Kinder, Enkelkinder, Neffen, Nichten oder Kinder von Bekannten –, und das Glück bei kleineren Kindern ist – das erlebe ich jeden Tag –, dass sie viele Probleme der Welt nicht mitbekommen. Kinder wachsen wohlbehütet auf und kriegen viele Probleme nicht mit, eines aber weiß jedes Kind, egal wie alt es ist: Kinder vertrauen den Erwachsenen, sie vertrauen darauf, dass die Erwachsenen die richtigen Entscheidungen treffen – und diesem Vertrauen, das uns die Kinder entgegenbringen, müssen wir auch gerecht werden. – Danke für die Auf­merksamkeit. (Beifall.)

10.38


Vorsitzende Vizepräsidentin Margit Göll|: Vielen Dank für die Ausführungen.

Ich darf nun Herrn Dr. Stephan Schulmeister um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Dr. Schulmeister.


10.39.13

Mag. Dr. Stephan Schulmeister (Universität Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer! Besonders liebe Anteilnehmerinnen und Anteilnehmer! Als ich die Einladung bekam, wollte ich spontan ablehnen, denn außer dass ich vier Töchter habe, empfinde ich mich nicht als Experte für Kinder. Ich habe mich dann aber umentschieden, aus einem einfachen Grund: Die tieferen, die systemischen Ursachen für Kinderarmut und generell für soziale Probleme hängen direkt mit der jeweils dominanten ökonomischen Weltanschau­ung zusammen, und mit dieser Problematik habe ich mich schon sehr lange beschäftigt.

Ein ganz konkretes Beispiel: Als ich vor 70 Jahren als Kind aufgewachsen bin, dominierte quer über alle Parteien eine Weltanschauung, die versuchte, Polaritäten in der Gesellschaft auszubalancieren: Ökonomie und Politik, Staat und Markt, Unternehmertum und Gewerkschaften, individueller Eigen­nutz auf Märkten, aber Ausgleich durch den Sozialstaat als eine institu­tionalisierte Solidarität. Tatsächlich ging in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Ungleichheit zurück, einerseits durch die Umverteilung zugunsten der Löhne bei dauernder Vollbeschäftigung, durch stabiles Wachstum der Realwirtschaft, durch die Steuerpolitik – es war eine Zeit, in der alle staatstra­genden Parteien, besonders auch die christlich-sozialen Parteien, selbstver­ständlich für Erbschaftssteuer und Vermögensteuer eingetreten sind und das mitgetragen haben –, und das System, in dem wir lebten, wurde durch einen sehr aktiven Sozialstaat geprägt.

In Bezug auf Kinder hat das bedeutet, dass man versuchte, die Ungleichheit in den Startbedingungen, in den Lebenschancen auszugleichen. Gleichheit ist nicht herstellbar, denn die Unterschiede in den Familien, in die man hineingeboren wird, sind einfach zu groß. Sehr wohl kann aber der Sozialstaat gezielt und systematisch versuchen, die Ungleichheit zu mildern. Die große Wende trat dann in den 1970er-Jahren ein, mit dem, was ich die ökonomische Weltanschauung nenne, ausgehend von Großbritannien und den USA.

Was waren, sehr einfach gesagt, die Leitlinien? – Mehr privat, weniger Staat; der Eigennutz soll die Triebkraft ökonomischer Dynamik sein; was es auszubilden gilt, ist die Leistungsstärke, die Wettbewerbsfähigkeit, die Begabtenförderung, die Eigenverantwortung. Und ganz nebenbei schlich sich der Grundsatz: Lassen wir unser Geld arbeiten!, ein – durch eine geradezu unglaubliche Dominanz der Finanzmärkte. In der Praxis hat das bedeutet, dass das Unternehmertum geschwächt wurde, die Realwirtschaft geschwächt wurde, ebenso die Sozial­part­nerschaft, aber insbesondere natürlich auch der Sozialstaat, der zunehmend sozusagen als ein System unterschiedlicher sozialer Hängematten interpretiert wurde.

Ein paar konkrete Beispiele, die auch zeigen, wie das dann indirekt, sys­te­misch mit der Problematik der Kinderarmut zusammenhängt: Der soziale Wohnbau wurde in ganz Europa – in Wien oder generell in Österreich etwas weniger – zurückgefahren. Das bedeutet aber, dass die soziale Durchmischung in den Großstädten markant zurückgegangen ist. Ein Beispiel aus meiner Kindheit: Ich bin in der Döblinger Hauptstraße aufgewachsen. Das ist sozial eine ziemlich faszinierende Demarkationslinie, denn das Gebiet nach Nordwesten hin – Grinzing, Sievering, Neuwaldegg et cetera – war schon damals die Gegend der Bessergestellten; wenn man nach unten, nach Heiligenstadt gegangen ist, Richtung Karl-Marx-Hof, da war das noch sehr durchmischt. Meine Bubenfreunde waren alles Kinder aus eher einfachen, wenn ich so sagen darf, normalen Familien. Dort leben heute keine Leute dieser Art mehr – außer in den Gemein­de­bauten –, weil man sich die Wohnungen dort nicht mehr leisten kann.

Wenn man sich genauer anschaut, wie sehr die Segregation, also das Auseinan­derdividieren der Menschen im großstädtischen Bereich, in Wien sich vertieft hat, dann erkennt man auch, dass das natürlich unmittelbar mit der Frage der Lebenschancen von Kindern zusammenhängt, denn es bilden sich dann sozusagen schlechte und gute Cluster. Es haben eben in bestimmten Gegenden – in Ottakring, in Simmering, in Favoriten, in Penzing – dann auch die Schulen als sogenannte Brennpunktschulen eine andere Qualität als insbesondere die Privat­schulen. In den Fünfziger-, Sechzigerjahren spielten Privatschulen keine nennenswerte Rolle; heute schicken natürlich die bessergestellten Leute in vielen Fällen ihre Kinder dorthin.

Das sind also nur kleine Beispiele dafür, wie das Problem Kinderarmut mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängt.

Was im Bereich der Bildung doch auch eine Rolle spielt, ist, dass im Vergleich zum systematischen Versuch, die ungleichen Startchancen auszugleichen, die Begabtenförderung relativ zugenommen hat. Schon der Begriff der Begabung, der begabten Kinder ist aber extrem problematisch. Warum? – Man schließt aus guten Noten auf die Begabung, auf das Talent, was ein völliger Unsinn ist, denn bei einem fünf-, sechs-, siebenjährigen Kind, das leistungsfähiger ist, steckt dahin­ter natürlich die Förderung durch seine Eltern, die in unterschiedlichem Ausmaß möglich ist und eben in Familien, in denen beide Eltern arbeiten müssen, weil es sich einkommensmäßig gar nicht anders ausgeht, natürlich zu kurz kommt.

Der Begriff der Begabten ist übrigens bei Kindern ein bisschen das Analoge zum Begriff des Leistungsträgers bei Erwachsenen. Die Leistungsträger sind die, bei denen man rückschließt: Wenn jemand als Manager 500 000 Euro im Monat verdient, dann muss er sozusagen einfach super sein. Eine 24-Stunden-Pflegerin, die 1 000 Euro im Monat verdient, ist dann eben leider keine Leistungsträ­gerin. – Das sind alles Aspekte, mit denen ich nur andeuten kann, wie sehr ein ganz konkretes Problem wie die Kinderarmut in den Kontext der gesamtge­sellschaftlichen Entwicklung gestellt werden muss.

Etwas, das mir in der Frage des Heranwachsens von Kindern schon auch extrem wichtig erscheint, ist die Förderung des sozialen Lernens. Das soziale Lernen gelingt natürlich dann am besten, wenn Kinder mit unterschiedlichen anderen Kindern zusammenkommen. Ein fünfjähriges Kind wird nie von sich aus ras­sistische Gefühle gegenüber einem Kind mit einer anderen Hautfarbe haben. Es wird neugierig sein, es wird dieses Kind vielleicht angreifen und alles Mögliche machen. Die Frage zum Beispiel der Gesamtschule der Zehn- bis 14-Jährigen ist auch eine Frage des sozialen Lernens, denn wenn man sozusagen selektiert, wenn man die sogenannten etwas Begabteren trennt von den weniger Begab­ten, dann kommt auch dieser Aspekt zu kurz. Empirisch – ich bin ja mit Leib und Seele ein Empiriker – zeigen etwa die skandinavischen Länder mit einer solchen Präzision, dass die Gesamtschule effizienter ist – also bessere Ergebnisse, bes­sere Leistung bringt – und auch sozial adäquater. (Beifall.)

Um das vielleicht umgekehrt fast ad absurdum zu führen: Wenn das solch ein hoher Eigenwert wäre, schon relativ früh die Gescheiteren, die Begabteren in Elitegruppen zu organisieren, warum macht man das dann nicht schon mit sechs Jahren? In den USA ist es selbstverständlich, dass ein Kind mit drei Jahren in einem Elitekindergarten einen Intelligenztest, einen Aufnahmetest machen muss, damit sozusagen die allergescheitesten Dreijährigen zusammenkommen. Nach dieser Logik, die natürlich dem von mir skizzierten System entspricht, wäre das dann auch schon mit sechs Jahren möglich. Oder, um es wieder anders zu sagen: Ein zehnjähriger Bub, ein zehnjähriges Mädchen, das sind Kinder, das sind noch nicht sozusagen Jugendliche, die man separieren kann. (Auf das rot blinkende Lämpchen auf dem Redner:innenpult blickend:) Gut, es blinkt schon; das wird sich gerade gut ausgehen.

Besonders die Leistungslogik, die sozusagen der neoliberalen Gesellschafts­philosophie zugrunde liegt, lehne ich gar nicht ab. Natürlich gibt es die individuelle Komponente dessen, dass jemand, der sich mehr anstrengt, der intensiver lernt, was auch immer – der auch begabter sein kann, da gibt es natürlich Unterschiede –, mehr erreichen kann, aber die Leistungslogik anzuwenden auf Kinder – ich habe es schon ausgeführt – ist einfach falsch! Oder, anders ausgedrückt: Je kleiner ein Menschlein ist, desto größer ist der Reichtum seiner Entwicklungsmöglichkeiten. Damit diese aber auch ent­sprechend gefördert werden, unabhängig von den Familien, in die die Kinder hineingeboren werden, würde es aus meiner Sicht verpflichtende und verbes­serte öffentliche Gratiskindergärten ab drei Jahren brauchen. Es braucht in den Kindergärten viel mehr Betreuer:innen mit Migrationshintergrund, weil dadurch auch die Barrieren bei Familien, in denen sozusagen die türkischstäm­mige Mama die Kinder lieber bei sich behalten möchte, überwunden werden können. Es braucht natürlich die Ganztagsschule, damit das Nachhilfeproblem, das ja auch ein soziales Problem ist, radikal bewältigt werden kann. Es braucht die gemein­same Schule der Zehn- bis 14-Jährigen. Es braucht mehr psycholo­gische Betreuung. Die Pädagog:innen sind natürlich wahnsinnig überfordert, weil so viele psychologische Probleme, die die Kinder in die Schule mitbringen – durch die Doppelbelastung der Eltern zu Hause und auch aus vielen anderen Gründen –, nicht hinreichend behandelt werden können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.50


Vorsitzende Vizepräsidentin Margit Göll|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Zuletzt darf ich Herrn Mag. Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Mag. Fenninger.


10.50.46

Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA (Volkshilfe Österreich)|: Danke vielmals für die Einladung. Danke an die Präsidentin, an die Präsidentinnen, an den Landes­hauptmann, an den Landesrat, an Sie, Abgeordnete! Ich habe großen Respekt vor Ihrer politischen Tätigkeit, aber auch vor jener der Expert:innen.

Ich glaube, dass es uns bisher gelungen ist, auch die jungen Erwachsenen im Saal anzusprechen. Die Kinder werden uns mit größter Wahrscheinlichkeit jetzt nicht am Fernsehschirm zusehen, wahrscheinlich auch berechtigterweise – aber ich glaube, wir bemühen uns auch schon im Titel, die Kinder und Jugendlichen hereinzunehmen, insofern möchte ich sie auch ansprechen: liebe Kinder! Unsere Aufgabe ist es nicht nur, als Mütter und Väter individuell unsere eigenen Kinder zu lieben und zu schätzen, sondern es ist, wie ich glaube, auch die Aufgabe von uns Erwachsenen, Kindern Perspektiven zu geben, ihnen aber auch ihre zu lassen und ihnen eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen. Das ist, glaube ich, unser aller Ziel, und es ist mir wichtig, das am Anfang zu sagen. Das ist also nicht nur eine individuelle Aufgabe für uns Erwachsene, sondern eine gesellschaft­liche.

Der Titel drückt ja aus, dass wir Armut bekämpfen und Zukunft möglich machen. Ich finde das sensationell. Trotzdem müssen wir sagen, dass das noch nicht Realität ist. Das ist ein Ziel, das hier formuliert wird. An dem Ziel arbeiten etliche von uns in Österreich – die Armut abzuschaffen und tatsächlich etwas zu ermöglichen –, aber die Realität ist doch noch eher die Negation. Deshalb muss man auch ganz klar sagen: Wer Armut zulässt, verhindert das individuelle Kindeswohl und das gemeinsame Kindeswohl und gefährdet eine positive Zukunft der Kinder, wenn sie erwachsen sind.

Wichtig ist, denke ich, die Quantität in unser Bewusstsein zu rücken – der Herr Landeshauptmann hat das am Beginn schon getan, und es ist immer wieder vorgekommen –: Jedes fünfte Kind ist betroffen, das ist eine große Anzahl für ein reiches Land. Es muss unser aller gemeinsame Anstrengung sein, das abzuschaffen, wovon 360 000 Kinder betroffen sind.

Entscheidend ist für mich heute, die Kinder hereinzuholen und ein wenig die Innenansicht zu präsentieren. Barbara Blaha hat uns ja heute Einblick in ihre Innenansicht gegeben. Ich möchte versuchen, andere Kinder sprechen zu lassen, zu zeigen, wie sie es erleben, um daraus die richtigen politischen Schlüsse ziehen zu können. Es erscheint mir wichtig, dass wir nicht Mythen erschaffen, sondern darauf aufbauen, wie es ihnen geht.

Was wir alle erfassen, ist: Wenn Kinder arm sind, haben sie arme Eltern, dann haben ihre Eltern wenig Geld. Das ist klar. Wenn sie wenig Geld haben, dann können sie ihre Kinder nicht so unterstützen wie andere, das ist auch klar. Das heißt, die Wohnungen sind klein, überbelegt, im Winter nicht temperiert. Das können wir uns alle relativ schnell vorstellen. Was ich mir bis vor Kurzem noch nicht vorstellen konnte, obwohl ich schon ewig in der Sozialarbeit bin, ist, dass am Ende des Monats in Österreich tatsächlich so etwas wie eine absolute Armut herrscht und nicht nur eine relative. Ich hätte das nicht geglaubt. Die Kinder erzählen uns, dass die Toastbrotzeit beginnt, die letzten drei, vier Tage des Monats, dass sie unzureichend ernährt sind – jene, die wirklich von Armut betrof­fen sind. Natürlich können wir uns auch alle vorstellen, dass die Kinder – insbeson­dere im Winter – nicht ausreichend mit Bekleidung ausgestattet sind. Das ist etwas, was wir alle wahrscheinlich erfassen können.

Die Innenansicht: Was bedeutet das? – Geld ist omnipräsent in diesen Haushal­ten, obwohl sie kein Geld haben. Die Kinder wissen sehr früh, dass dieser Mangel an Geld letztlich bedeutet, dass sie nicht so gut gefördert werden. Sie bilden Schlüsselphänomene ab, von denen ich einige skizzieren will: Die Kinder sagen, sie sind hochgradig belastet. Sie haben massive Sorgen. Sie haben Existenzängste, sie haben Angst, ob die Wohnung nächsten Monat noch gehalten werden kann, sie fühlen sich unter Angst stehend. Sie vermeiden vieles, weil sie es sich nicht zutrauen, weil sie das Gefühl haben, dass sie selbst nicht so gut sind wie andere Kinder, weil sie sich vergleichen. Sie sagen, dass sie mono­ton sind, das sie eine gewisse Glücklosigkeit verspüren, dass sie nach der Schule, wenn sie nach Hause kommen, meistens erschöpft sind. Sie sagen auch – dramatischerweise –, dass sie ihre gesundheitlichen Probleme, die schon sehr früh entstehen, zu einem hohen Grad akzeptieren: Akzeptanz von Schmer­zen und Beeinträchtigungen.

Wenn man sich vorstellt, dass all das einem Kind im Prozess des Aufwachsens so präsent ist, dann wird es relativ klar, dass diese Kinder eingeengter sind und sich nicht so selbstwirksam entwickeln können wie andere Kinder und Jugendliche. Deshalb müssen wir da radikal ansetzen, um allen Kindern und Jugendlichen ein anderes Kindeswohl und eine andere Selbstwirksamkeit zu ermöglichen.

Wir sollten aber nicht nur über die Negation des Lebens sprechen. Ilse Arlt, eine Sozialarbeitswissenschafterin der ersten Stunde, hat gesagt, dass Armut de facto alle Dimensionen des Lebens erfasst. Ich möchte aber zeigen, was passiert, wenn wir intervenieren.

Wir haben Kindergrundsicherungsmodelle entwickelt und, wie schon erwähnt wurde, zwei Jahre lang Kinder ausgestattet. Ich möchte zeigen, was für ein Gamechanger das sein kann. Die Kinder sagen: Wir sind sorgenfreier, wir lachen wieder mehr, wir können mit unseren Eltern gemeinsam etwas unternehmen. Es entfaltet sich eine innerfamiliäre Wirkung, weil plötzlich Gemeinschaft entsteht und nicht jeden Tag gestruggelt wird, wie man den nächsten Tag finanzieren kann. Das erscheint klein, ist aber groß. Das ist letztlich der Beginn der Selbst­wirk­samkeit. Der Rückzugsort, der früher ein Isolationsort war, wird tatsächlich ein wenig zu einem Wohlfühlort – das heißt, die Wohnung ist besser einge­rich­tet, sie haben ein besseres Kinderbett et cetera. Diese Merkmale sind vor­handen. Die Toastbrotzeit, von der ich gesprochen habe, ist nach einem halben Jahr schon eine blasse Erinnerung, sagen die Kinder. Das heißt, diese finanzielle Intervention in den Haushalt ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sie sich sicher fühlen, weniger krank sind und die chronischen Krankheiten sich nicht so stark manifestieren.

Dann natürlich der Bildungsweg: Wenn die Kinder plötzlich in der Schule sorgenfreier sind, dann schreiben sie auch bessere Noten, kommen im Unterricht besser mit. Sie haben nicht nur eine verengte Kapazität für die Schule, weil sie an zu Hause denken, sondern sie sind gelöster.

Ein zweiter Aspekt, den ich mir so eigentlich nicht gedacht hätte, betrifft die chronischen Erkrankungen. Die Ärztekammer wurde schon erwähnt, auch unsere Studien zeigen: Es ist messbar, dass armutsbetroffene Kinder früh erkranken. Wir haben gesehen, dass sich diese chronischen Erkrankungen – meistens Kopf­schmerzen, Bronchitis, Übelkeit, Bauchschmerzen –nach einem Jahr definitiv reduzieren, weil die Kinder weniger Belastungsdruck haben. Das fällt ab, weil sie zu Hause weniger sorgenbelastet sind. Sie sind stabiler, das bedeutet natürlich weniger Fehlzeiten in der Schule, was wichtig ist: Dadurch kommen sie leichter mit, erleben sich plötzlich als selbstwirksamer und haben die ersten positiven Erfahrungen. Plötzlich ist die Schule nicht nur ein Abwertungsort, sondern ein wenig Schutzort, weil sie jetzt auch besser mitkommen und vielleicht auch Förder­unterricht in Mathematik oder Ähnlichem finanziert werden kann.

Das Entscheidende ist, das sagen die Kinder auch: Ich bin dabei! Einmal in der Woche kann ich vis-à-vis von der Schule ein Kipferl kaufen wie alle anderen Kinder auch! Ich bin dabei: Ich kann jetzt auch ins Bad gehen, wie alle anderen Kinder auch! Dieses Dabeisein führt zu einer höheren Selbstwirksamkeit. (Vizepräsidentin Hahn übernimmt den Vorsitz.)

Damit versuche ich, diesen Punkt abzurunden: zuerst die Negation eines gelingenden Lebens, die Gefährdung des Kindeswohls. Letztlich sehen wir in der Langzeitforschung aber auch – und das ist ebenfalls dramatisch –: Wenn man die soziale Brille absetzt und eine ökonomische, volkswirtschaftliche und gleichzeitig sogar betriebswirtschaftliche Brille aufsetzt: Es ist absurd, dass wir durch das Zulassen von Kinderarmut die Arbeitslosen von morgen produzieren – das in einer Zeit, in der überall Menschen gesucht werden. (Beifall.) Deshalb unterstüt­zen das auch sehr viele CEOs und Unternehmer, Unternehmerinnen, weil die sehr schnell verstehen, dass es absurd ist, dass man damit eigentlich den langen Bildungsweg konterkariert.

Letzter Punkt, Kindergrundsicherung: Der Universalbetrag ist entscheidend. Jedes Kind, das in Österreich lebt, sollte mit einem monatlichen Betrag, der höher als die jetzige Familienbeihilfe ist, unterstützt werden, beispielsweise mit 285 Euro. Zweitens: Kinder, die arme Eltern haben – das haben sie sich ja nicht ausgesucht –, sollen eine einkommensbezogene Tangente bekommen. Dann haben sie zu Hause Sicherheit, sind nicht so sorgenbelastet und die soziale Infrastruktur greift. Das heißt: Kein Gegeneinanderausspielen von Geldleistun­gen, sozialer Infrastruktur oder Sachleistungen – wir brauchen alles.

Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, allen Kindern und Jugendlichen Kindeswohl zu garantieren. Wir hätten dann in den nächsten Jahren ein vollkommen anderes Österreich. Alle Kinder könnten jetzt teilnehmen und würden in Zukunft selbstwirksamer werden. Wir hätten viel weniger Erwerbslosigkeit und Men­schen, die Sozialhilfe brauchen. Sie wären selbst tätiger. Ich würde mich freuen, wenn die heutige Enquete einen Riesenbeitrag leistet, Österreich sozial und gerecht zu machen. – Danke. (Beifall.)

11.01


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Panel 2 ist somit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Beiträge.

11.01.21V. Panel 3 „Mit und für junge Menschen Zukunft bauen – Demokratie und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen“


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Wir kommen nun zu Panel 3, den Referaten zum Thema „Mit und für junge Menschen Zukunft bauen – Demo­kratie und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen“.

Ich ersuche die Referentinnen und den Referenten wieder, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben, wobei die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht überschritten werden soll. Wir bereits erwähnt, beginnt das rote Lämpchen am Redner:innenpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken.

Ich darf zu Beginn Frau Rihab Toumi, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, um ihren Beitrag bitten. – Bitte, Frau Toumi.


11.02.00

Rihab Toumi (Bundesjugendvertretung)|: Vielen Dank für die Einladung! Als Bundesjugendvertretung setzen wir uns als gesetzlich verankerte Interes­sen­ver­tretung für alle Kinder und Jugendlichen bis 30 Jahre ein. Das sind rund 3 Millionen junge Menschen in Österreich. Weltweit ist fast die Hälfte der Bevölkerung unter 30. Wir machen also einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung aus, dennoch ist die Perspektive von jungen Menschen leider immer noch unterrepräsentiert. Es gibt zwar positive Beispiele und lokale Initiativen, aber für ausreichende politische Repräsentation reicht das eigentlich nicht aus.

Unsere Erfahrung zeigt: Jugendliche haben viel einzubringen und wollen mitgestalten. Sie sind ehrenamtlich aktiv und gehen für ihre Anliegen und Sorgen auf die Straße. Sie schließen sich auch Initiativen an und diskutieren mit anderen Jugendlichen, mit ihren Freunden, aber auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik. Dafür braucht es endlich die entsprechenden Mög­lichkeiten. Deshalb ist es auch wichtig, dass junge Menschen dort sind, wo es um ihre Themen und ihre Herausforderungen geht, und selbst repräsentiert sind. Ein Teil davon ist sicher auch diese Enquete heute.

Auch als Bundesjugendvertretung schaffen wir Möglichkeiten zum Dialog zwischen Jugendlichen und Vertreter:innen aus der Politik: bei Veranstaltungen wie der Jungendkonferenz oder dem Klimajugendrat, der immer hier im Parlament stattfinden kann. Was sich dabei immer zeigt: Die Jugend mit der Politik an einen Tisch zu bringen ist für beide Seiten lohnend. Politische Entscheidungsträger:innen gewinnen dadurch Einblicke in unsere Lebenswelten und in unsere Bedürfnisse. Sie sind immer wieder davon beeindruckt, wie stark unser Wissen ist und über welche Themen wir uns unterhalten. Ich finde, das alleine zeigt den bestehenden Aufholbedarf, weil es einfach zeigt, wie normal es ist, dass wir tagtäglich unterschätzt werden.

Junge Menschen lernen wiederum über die Langfristigkeit von politischen Prozessen. Beteiligungsformate sorgen also auch für beiderseitiges Verständnis und gegenseitiges Lernen über die jeweiligen Lebensrealitäten, sie ermöglichen aber insbesondere, dass wir ganz direkt unsere Anliegen einbringen können. Auf unseren Veranstaltungen haben wir immer breites positives Feedback bekom­men – zum einen von den Jugendlichen selbst, die die Möglichkeit schätzen, zum anderen aber auch von den Politiker:innen, die ihre Bedürfnisse ganz nah mitbekommen. Dialog ist also wichtig, dabei darf es aber nicht bei Einzelinitia­tiven bleiben.

Das Wichtigste bleibt: Unsere Anregungen müssen ernst genommen werden. Wenn wir nach mehreren Dialogen merken, dass sich eigentlich nichts verändert, wird auch unser Vertrauen in die Politik immer schwächer. Folgender Punkt ist für uns ganz essenziell und entscheidend: Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung. Das haben sie laut der UN-Kinderrechtskonvention und laut unserem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern. Sie sollen also nicht nur gelegentlich miteinbezogen werden, sondern ihre Meinung ist in allen sie betreffenden Angelegenheiten angemessen zu berücksichtigen. Was das genau heißt: Es ist wichtig, dass junge Menschen dorthin kommen, wo Ent­scheidungen getroffen werden.

Die Tatsache, dass der Klimajugendrat im nächsten Frühjahr schon zum dritten Mal in den Räumlichkeiten des Parlaments stattfinden kann, ist ein sehr notwendiges Zeichen dafür, dass den jungen Menschen mehr Gehör geschenkt wird, aber es braucht natürlich mehr, denn auf junge Menschen wird immer noch zu wenig geachtet.

Generell wird immer noch eher über uns als mit uns geredet, und das ist schade, denn so bleiben wichtige Erfahrungen und Inputs außen vor. Wir müssen auf allen Ebenen als junge Personen repräsentiert sein. Unsere Lebenswelten müssen wir auch mitgestalten können: ob in der Gemeinde, an den Schulen, im Lehrbetrieb oder auch hier, in der Politik. Demokratie und Mitbestimmung sollten dabei selbstverständlicher Teil der Bildung sein und schon im Kinder­gar­ten anfangen – darüber haben wir heute schon öfter geredet –, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern auch in Form von Schulparlamenten oder verschie­denen anderen Beteiligungsmöglichkeiten.

Was dabei nicht ausreicht, ist Scheinpartizipation, die nicht ernst gemeint ist – zum Beispiel junge Menschen um ihre Meinung zu fragen und ihre Ideen dann in der Schublade verschwinden zu lassen oder uns als Fotomotiv für eine Park­eröffnung oder für eine Kampagne einzuladen. Für ernst gemeinte Partizipation braucht es mehr. (Beifall.)

Es gibt eigentlich kein Thema, das für uns nicht relevant ist, ob jetzt oder in der Zukunft. Wir haben heute schon etwas zu den verschiedensten Themen gehört, zu Bildung und zu Armut. Der Blick von Kindern und Jugendlichen wird auch dabei enorm vernachlässigt, denn Armut bedeutet, dass Chancen von Beginn an verbaut werden. Im Leben von Kindern geht es dabei um viele Einschnitte, die sich auf ihr gesamtes restliches Leben auswirken. Das haben wir heute schon öfters gehört, aber ich glaube, es ist wichtig, das oft genug zu betonen.

Es braucht deswegen eine langfristige Strategie gegen Kinderarmut. Auch wenn viele Politiker das nicht glauben wollen: Es braucht kein Fastfood und keine abfälligen Kommentare von der Politik, in denen man die Lebensrealität der über 350 000 Kinder, die in Österreich armutsbetroffen sind, nicht ernst nimmt. Es braucht eine Kindergrundsicherung, und es braucht auch endlich einen nationalen Aktionsplan gegen Kinderarmut, der in Österreich schon seit einein­halb Jahren hätte vorliegen sollen. Wir sind da eines der letzten drei Länder, die nichts gemacht haben. Damit sind wir leider immer noch Schlusslicht. Das sollte man sich, glaube ich, tagtäglich vor Augen halten. Kinder haben noch immer ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard. Da gilt es schon von Beginn an anzusetzen.

Genauso bei der Bildung: Leider sind da nur negative Meldungen zu hören. Dabei werden oft Perspektiven von Eltern, Lehrer:innen und der Politik abge­bildet, meistens ist die Meinung von Kindern und Jugendlichen selbst in der Schule eher eine Nebensache – und das, obwohl Bildung einer der wichtigsten Grundpfeiler für gutes Aufwachsen und Zukunftschancen ist. Ich glaube – weil wir es vorhin schon gehört haben –, bevor wir uns die Frage stellen, was Jugendliche eigentlich lernen sollten, sollten wir vielleicht die Jugendlichen selbst fragen. Ich bin mir sicher, sie wissen es am besten.

Ganz besonders die Klimathematik verdeutlicht aber, dass sich junge Menschen weiterhin zu wenig ernst genommen fühlen und bei wichtigen Entscheidungen immer noch ausgeklammert werden. Das darf einfach nicht mehr länger so sein. Der gerade neu erarbeitete General Comment des UN-Kinderrechtsausschusses zeigt deutlich auf, wie sehr Kinderrechte und Klima zusammenhängen und dass die Staaten da eine Verantwortung gegenüber der jungen Generation haben.

Die Klimakrise ist eine der größten Zukunftssorgen der jungen Generation. Das sagen wir nicht zum ersten Mal, das wissen Sie auch schon. Das ist verständ­licherweise so, denn es sind unsere Lebensgrundlagen, die dadurch unverhältnis­mäßig gefährdet sind. In einer österreichweiten Umfrage, die wir als Bundesjugendvertretung durchgeführt haben, geben drei Viertel der unter 30-Jährigen an, das Gefühl zu haben, dass ihre Anliegen zu dem Thema von der Politik nicht ernst genommen werden. Rund 60 Prozent, das heißt, mehr als die Hälfte der Jugendlichen, sind sich dessen bewusst und glauben, dass sich das auch in Zukunft nicht ändern wird. Für die Politik, für Sie hier, sollte das ein Alarmsignal sein. Es ist höchste Zeit, wirksame Maßnahmen umzusetzen und endlich gegenzusteuern.

Es darf auch nicht länger sein, dass unsere Zukunft einfach so aufs Spiel gesetzt wird, denn die Entscheidungen, die heute getroffen werden, betreffen Kinder und Jugendliche am längsten. Daher brauchen wir auch einen Fokus auf und oberste Priorität für die Bekämpfung der Klimakrise, um Kindern und Jugend­lichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen und eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.

Die Zahlen zeigen eigentlich schon deutlich, dass das Vertrauen junger Men­schen in die Politik stark gesunken ist, obwohl sie politisch interessiert sind. Für uns ist das nicht überraschend, denn uns wird meistens viel versprochen – wie zum Beispiel ein Klimaschutzgesetz, auf das wir schon seit über 1000 Tagen warten –, aber es wurde zu wenig umgesetzt. Unser Demokratie-Monitor 2022 zeigt auch, dass nur noch weniger als die Hälfte der Jugendlichen dem Parlament oder der Bundesregierung vertrauen. Der jüngsten Jugendumfrage zufolge fühlen sich 6 Prozent der Jugendlichen von der Politik gut vertreten. Das bedeutet: 94 Prozent der Jugendlichen fühlen sich nicht gut vertreten. Ich glaube, das ist ein massiver tagtäglicher Handlungsauftrag für jede Person hier! Das ist einfach demokratiepolitisch fatal und könnte sich auch negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken.

Für uns ist es wichtig, dass wir mitbestimmen können, auch bei Wahlen, des­wegen haben wir uns auch dafür eingesetzt und starkgemacht, dass die Wahlaltersenkung auf 16 Jahre endlich umgesetzt wird, wobei wir auch Vor­rei­ter:innen in ganz Europa sind. Das war 2007 und ein wichtiger Schritt – aber reicht das? Wenn wir uns die Wahlberechtigung und Wahlen prinzipiell anschauen, sehen wir, dass eigentlich nicht jeder mitbestimmen darf. Teilweise ist nur ein Drittel der Bevölkerung wahlberechtigt, weil die anderen angeblich die falsche Staatsbürger:innenschaft haben; je jünger, desto höher dieser Anteil. Das heißt, je jünger die Personen sind, desto eher dürfen sie nicht wählen. Junge Menschen, die hier in die Schule gehen, die hier ihre Lehre machen, hier geboren sind, die jeden Tag in dieser Gesellschaft leben und etwas dazu beitragen, sehen, dass ein Stück Papier mehr wert ist als ihr Dasein hier bei uns.

Das, glaube ich, schafft einfach eine Kluft und ein gesamtgesellschaftliches Demokratiedefizit. Als Interessenvertretung ist es uns auch wichtig, dass junge Menschen, die hier leben, mitbestimmen können und sich vertreten fühlen. Deswegen brauchen wir auch endlich einmal Änderungen im Staatsbürger­schaftsrecht, denn so kann es nicht weitergehen! (Beifall.)

Das Staatsbürgerschaftsrecht ist natürlich eine Voraussetzung. Eine andere Voraussetzung ist die Bildung, über die wir heute schon viel gehört haben. Es muss auch endlich die politische Bildung ausgebaut werden. Alle Schüler:innen, egal in welcher Schulform, sollten in der Schule politische Bildung als eigenes Fach haben und dort nicht nur Zahlen und Daten lernen, sondern auch Beteili­gung erfahren und erleben. Da besteht noch großer Aufholbedarf.

Abschließend möchte ich festhalten – weil das rote Licht schon blinkt –: Junge Menschen haben das Recht auf Mitbestimmung. Bis jetzt wird das einfach noch viel zu wenig umgesetzt, ich habe das schon in verschiedenen Ausführungen gesagt. Wir wissen, dass wir auch viel zu sagen haben, wir wollen unsere Lebens­welt und unsere Zukunft mitgestalten, und es ist einfach wichtig, dass wir bei jedem Thema auch mit am Tisch sitzen, weil klar ist: Jedes Thema, das wir hier andiskutieren, betrifft unsere Zukunft und wird uns weiterhin begleiten.

Ich habe das Gefühl: Vieles, was wir hier diskutiert haben, und auch vieles, was die Expertinnen und Experten dankenswerterweise gesagt haben, hören wir nicht zum ersten Mal. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir wissen, dass es solche Veranstaltungen gibt und schon öfter gegeben hat, und es ist wichtig, auch diese Dinge mitzunehmen. Wir sehen eigentlich, dass die Fakten am Tisch sind. Solche Veranstaltungen wurden von Ihnen wahrscheinlich auch schon öfter besucht. Der Ball liegt jetzt bei Ihnen. Die Fakten sind am Tisch. Wir freuen uns, wenn die Dinge so bald wie möglich umgesetzt werden. – Danke schön. (Beifall.)

11.13


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich darf nun die Klimaaktivistin und Autorin Lena Schilling um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Schilling, Sie sind am Wort.


11.13.18

Lena Schilling (Klimaaktivistin und Autorin)|: Vielen Dank erst einmal für die Einladung! Ich habe mit sehr gemischten Gefühlen diesen Titel gelesen: „Kindern Perspektiven geben“. – Über welche Perspektiven reden wir denn? Reden wir über die Perspektiven von heute, oder über die, über die wir heute entscheiden, die morgen eintreten? Wir haben über Kinderarmut geredet, darüber, dass jedes fünfte Kind armuts- und ausgrenzungsgefährdet ist. Das ist nichts, was ich einfach so sagen kann, sondern das betrifft mich, so wie ganz viele andere. Wir reden über eine Perspektive nach einer Pandemie, in der bis zum Ende 40 000 Laptops an Schulen gefehlt haben; wir reden über eine Situation in der Klima­krise, wo klar ist: Das, was bis jetzt passiert, reicht nicht.

Hier steht „unbeschwert“ auf der Leinwand. Ich bin nicht unbeschwert, so wie viele andere junge Menschen nicht unbeschwert sind und es auch nicht sein können. Die Lage, in der wir sind, ist eine, in der wir handeln müssen und die drastisch ist. Ich möchte Optimistin sein, wir haben das heute schon gehört; aber das kann ich nur, wenn wir das, was notwendig ist, auch endlich tun.

Unbeschwert ist niemand, der die Last von Armut trägt; unbeschwert ist nie­mand, der in den globalen Süden schaut, wo jetzt schon Gebiete überschwemmt werden und Menschen absiedeln; unbeschwert ist niemand, der in der heutigen Situation merkt, dass die Menschen immer weniger teilnehmen wollen, sich immer weniger vertreten fühlen von den Menschen, die auch hier sitzen.

Das betrifft eine Frage, die wir gemeinsam beschließen müssen. Es ist die Frage, welche Perspektive wir den Kindern geben wollen. Wenn hier steht, „Kindern Perspektiven geben“, dann geht es um die Frage: welche Perspektiven?

Wenn wir über die Klimakrise reden, dann reden wir über essenzielle Ängste von jungen Menschen – Ängste, die so berechtigt sind, die so nachvollziehbar sind. Es geht darum, dass Regierungen seit 30 Jahren versagt haben zu tun, was notwendig ist. Bei einer der letzten Klimakonferenzen hat sich der Vorsitzende danach bei den nächsten Generationen für das Versagen entschuldigt: weil klar ist, dass es nicht reicht, und klar ist, dass wir nirgendwo hinkommen, wenn wir so weitermachen. Es wird gerade mutwillig die Lebensgrundlage der nächsten Generationen verscherbelt. Das ist in Fragen der Kinderarmut so, das ist in Fragen der Klimakrise so, und das ist in Fragen der Gerechtigkeit so. Es ist unzu­reichend.

Jetzt kommt noch dazu: Die Klimakrise ist ja keine Frage, die ich mir ausgesucht habe, weil ich es so lustig finde, über Bäume zu reden. Nein, es geht um eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn wir über Armut oder über soziale Verteilung reden, dann verschärft die Klimakrise all das doch nur.

Wir haben heute schon ein Beispiel gehört: Die Menschen, die am meisten unter der Klimakrise leiden, sind die Menschen, die am wenigsten dafür können. Es sind die Menschen, die in Städten in dicht bebauten Gebieten leben, die Menschen, die in kleinen Wohnungen wohnen, die schlecht gedämmt sind, in denen es im Sommer zu heiß ist, um es auszuhalten, und im Winter zu kalt. Wenn wir über die Klimakrise reden, dann reden wir direkt über Armutsgefährdung, dann reden wir über die Menschen, die das heute schon betrifft. Es ist eine in ihrem Kern soziale Frage, und als solche müssen wir sie behandeln.

Viele junge Menschen rund um die Welt haben das verstanden. In über 150 Ländern, in fast 3 000 Städten dieser Welt sind Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Sie sind auf die Straße gegangen, weil sie gesagt haben: So geht es nicht weiter. Wir haben gestreikt, wir haben geklagt, wir haben demons­triert – und jetzt stehe ich hier vor Ihnen und soll Ihnen etwas erzählen, was Sie alle wissen. Ich soll Ihnen die Fakten, die wir gerade von ganz vielen Seiten gehört haben, noch einmal aufbereiten und Ihnen die Dringlichkeit klarmachen. Aber das wissen wir doch alle. Das wissen Sie doch alle!

Wenn wir darüber reden, was wir müssen, was wir brauchen und was wir sollen, dann ist meine erste Frage: Wer ist wir? Und meine zweite: Wer tut es? Wenn wir heute über Perspektiven reden, dann muss ich Sie alle darum bitten, diese Perspektiven auch ernst zu nehmen.

Oft stehe ich mit Freundinnen und Freunden auf der Straße, und wir appellieren an Sie, die Sie hier im Saal sitzen, an Sie, denen wir an den Kopf werfen: Wir nehmen die Zukunft jetzt in die Hand, weil Sie es nicht tun.

Ich glaube, wenn ich heute hier stehe, dann ist uns klar, worum es geht: Es ist klar, dass es um die fundamentalen Fragen der Gesellschaft und der Gerech­tigkeit geht. Wenn wir in den nächsten Wochen, in den nächsten Monaten auf die Straße gehen und demonstrieren und streiken und blockieren und laut sind, dann um Sie hier im Saal zu beeinflussen, weil wir sagen: Ja, es geht um unsere Zukunft. Und wenn die Hälfte der jungen Menschen in diesem Land das Vertrauen in die Politik, ins Parlament, in die Regierung verloren hat, dann ist das ein fundamentales Problem. Es ist fatal, aber wenn wir als Gesellschaft wirklich eine Perspektive für Kinder wollen, dann müssen wir den politischen Willen dafür aufbringen. Um diesen politischen Willen geht es.

Ich kann Ihnen gerne erklären, was das Problem an der Klimakrise ist; ich kann Ihnen den IPCC-Bericht vorlesen; Barbara Blaha kann noch drei Keynotes halten, und dann wissen wir noch genauer, worum es geht. Ich glaube, der Grund, warum ich heute hier stehe, ist, dass Sie alle am Zug sind – und mehr als das: Es ist ein Appell einer Generation. Es ist nicht umkehrbar, was Sie heute beschließen. Sie sind in einer historischen Verantwortung, alle von Ihnen; und die möchte ich, dass Sie wahrnehmen. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.18


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für diesen Beitrag.

Weiters darf ich Frau Rechtsanwältin Mag.a Michaela Krömer um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte, Frau Rechtsanwältin.


11.19.00

Mag. Michaela Krömer, LL.M (Rechtsanwältin)|: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Anwesende! Meine Kinder haben das Privileg, nicht in Armut aufzuwachsen; aber meine Kinder haben nicht das Privileg, eine unbeschwerte Kindheit zu erleben, unbeschwert Perspektiven zu entwickeln und eine Zukunft bauen zu können. Ich sage das nicht besonders gerne. Besonders wenn man ein Kind in seinem Bauch trägt, trifft einen das wirklich noch einmal mit voller Härte; aber es ist so.

Sie haben es gestern, Sie haben es den ganzen September erlebt: Es war viel, viel zu warm. Das ist vielleicht ganz nett für uns, aber es ist katastrophal für die Landwirtschaft, für unsere Lebensgrundlage. Wir werden in circa zwei bis drei Jahren das 1,5-Grad-Ziel überschritten haben, und das bedeutet, dass wir uns aus einer Klimazone herausbewegen, die all das, in dem Sie aufgewachsen sind, in dem ich zum Teil aufgewachsen bin, ermöglicht hat.

Ein stabiles Klima ist wichtig für ein stabiles Wirtschaftssystem, für einen Sozialstaat, für eine funktionierende Gesellschaft, für eine Demokratie; da sage ich Ihnen nichts Neues. Das ist die Realität, und ich habe oft das Gefühl, dass alle gerne wie Kinder wegschauen und die Augen zumachen und hoffen, es passiert dann doch nicht so, und dass die Realität, von der wir reden, erst irgendwann einmal eintreten wird.

Ich habe damals in der Schule noch mitbekommen, die Klimakrise wird irgend­wann einmal in 1 000 Jahren eintreffen, so ungefähr. Es fühlt sich so an, als hätten wir uns da noch nicht ganz herausbewegt. Die Klimakrise ist jetzt da. Die Biodiversitätskrise ist da. Die Landwirte schreien, die Hagelversicherung meint, dass Versicherungen aussteigen werden. Also das ist die Realität! 2040 werden viele von uns vielleicht noch leben, aber viele von uns nicht mehr in der ersten Lebenshälfte sein.

Die Klimakrise ist eine Kinderkrise, und das ist nicht nur ein faktisches Problem, sondern auch ein rechtliches. Die Kinder in Österreich haben tatsächlich Rechte, Verfassungsrechte, so richtig schöne österreichische Rechte. Das sind keine UN-Konventionen, das sind keine völkerrechtlichen Vereinbarungen, das gibt es alles; aber sie haben tatsächlich Verfassungsrechte. Ich habe manchmal das Gefühl, man hat nicht ganz verstanden, was man 2011 beschlossen hat: Weil wir der Meinung waren, dass alle Menschen gleich an Rechten und Würde sind und somit auch die Kinder, haben diese ganz besondere Schutzrechte bekommen. Es gibt eine aktive Pflicht, die Kinder, das Kindeswohl, die Entwick­lung und die Entfaltung der Kinder aktiv zu schützen. Das ist etwas anderes als die Grundrechte, das ist noch einmal viel, viel stärker.

Kinder haben auch Beteiligungsrechte. Das bedeutet, dass wir nicht den Prozess fördern müssen, sondern dass wir diesen Prozess der Teilhabe institutionell sicherstellen müssen. Das ist etwas ganz anderes, und da stellt sich auch ein bisschen die Frage: Wie ernst nehmen wir den Rechtsstaat, und wie ernst nehmen wir die Verfassungsrechte? Das sind keine netten Goodwill-Aktionen oder etwas, wo man sagt, das hält man moralisch für sehr sinnvoll, sondern das ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag.

Wie so oft bei Rechtsverletzungen ist es halt so, dass die so lange existieren und ignoriert werden können, bis die betroffenen Personen anfangen, sich zu wehren, bis die betroffenen Personen anfangen, ihre Rechte einzuklagen. Das kennen wir. Diese Entwicklung kennen wir, und diese Entwicklung passiert jetzt gerade bei den Kindern, weil die Kinder erkannt haben, dass sie in Österreich tatsächlich ein subjektives Recht auf Generationengerechtigkeit haben. Lesen Sie Artikel 1 BVG Kinderrechte. Es steht tatsächlich drinnen.

Wir sehen das Ganze international. Vor Kurzem wurde berichtet, sechs portu­giesische Kinder haben 32 Mitgliedstaaten verklagt, darunter auch Österreich. Der UN-Kinderrechtsausschuss hat auch noch einmal bestätigt: Dass es Kinderrechte gibt, bedeutet natürlich auch, dass die Kinder diese einklagen können. Also das sind tatsächlich Rechte, Rechte wie alle anderen. Da haben wir auch ein rechtsstaatliches Thema, denn wenn sich herumspricht, dass wir Verfassungsrechte vollkommen ignorieren, dann verlieren die Menschen das Vertrauen in den Rechtsstaat, und davon lebt dieser natürlich. Das wissen Sie viel, viel besser als ich.

Die Kinder haben – ich hatte das Privileg, diese zwölf Kinder und Jugendlichen zu vertreten – im Februar einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Das war ein sehr schnelles Verfahren – also die Verfahren gehen durchaus auch schnell –, in dem dieser im Juli aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist. Die Kinder werden in den nächsten Wochen einen neuen Antrag einbringen.

Damit komme ich zu einem weiteren Problem, auf das ich Sie aufmerksam machen möchte, weil Sie da am Zug sind. Man hat den Kindern jetzt starke Verfassungsrechte gegeben. Das haben Sie beschlossen, doch da haben Sie etwas ausgelassen. Man hat den Kindern keine adäquaten Beschwerde­möglichkeiten gegeben. Ein Recht, das man nicht einfordern kann, kann zur Farce werden. Es kann zu einem Stück Papier werden, und auch das ist ein rechtsstaatliches und ein grundrechtliches Problem, denn wenn man einfach Verfassungsrechte oder andere Rechte hergibt, die nicht einforderbar sind, dann wird sich herumsprechen, dass der Rechtsstaat einfach nicht funk­tioniert.

Das ist ein ganz logisches, auch verfassungsrechtlich gewährleistetes Puzzlesteinchen, und darum geht es auch bei diesem Verfahren. Es geht darum, dass die Kinder jetzt juristisch sehr gefinkelt versuchen, ihre Beschwerde­möglichkeiten einzufordern, weil sie diese subjektiven Rechte tatsächlich haben. Das hat sogar der Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zugegeben. Niemand bestreitet, dass in diesem Fall Schutzpflichtverletzungen vorliegen, dass viel zu wenig getan wird.

Das, was passieren muss, ist, dass man Beschwerdemöglichkeiten gewährleistet, und das wird auch passieren, früher oder später. Es ist im Moment ein Marathon und kein Sprint, aber das Ganze könnte abgekürzt werden, denn man könnte das gesetzlich einfach verankern. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, den Kindern Beschwerdemöglichkeiten einzuräumen, und das ist auch mein Appell an Sie: dass Sie das ernst nehmen und nicht darauf warten, dass Ihnen ein Höchstgericht aufträgt, dass das zu tun ist.

Die Kinder haben Rechte, und diese Rechte müssen sie einfordern können. Das ist mein Appell an Sie – und mehr Zeit brauche ich nicht dafür. – Danke. (Beifall.)

11.25


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Zuletzt darf ich nun Dipl.-Päd. Leopold Lugmayr, den Leiter der Demokratie­werkstatt im Parlament, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte schön.


11.25.38

Dipl.-Päd. Leopold Lugmayr (Demokratiewerkstatt)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Vizepräsidentinnen! Sehr geehrte Damen und Herren Pastpräsidenten! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Ich bin jetzt in der Situation alle diese Bälle, die in den letzten 13 Statements in die Luft geworfen wurden, aufzunehmen und Ihnen das Angebot der Demokratiebildung des Parlaments darzustellen.

Alle diese Themen sind Themen in unserer Demokratiebildung, und wir bieten die Plattform dafür, auch wenn wir, Frau Schilling, keine Lösungen dafür haben. Sie haben am Beginn dieser Enquete einen Film gesehen, der Ihnen den Kosmos der Demokratiebildung des österreichischen Parlaments dargestellt hat. Sie haben damit einen Streifzug durch das Angebot der Demokratiebildung unternommen und auch in abschließenden Statements der jungen Menschen zu Politik, Demokratie und Gesetzgebung Interessantes gehört.

Seitens der Demokratiebildung des Parlaments versuchen wir wahrzunehmen, was wir auf Augenhöhe mit den Besucher:innen unserer Bildungsformate und in Resonanz mit den Bildungsinstituten an Angeboten schärfen und stets weiter­entwickeln können. Lassen Sie mich die Arbeitsfelder der Demokratiebildung in drei Sektoren einteilen, um in der Folge in einem vierten Schritt darüber nachzudenken, wie Gesellschaft, Politik und Bildung gemeinsam einen Strauß von wirkmächtiger politischer Bildung bündeln können.

Diese drei Sektoren stellen sich folgendermaßen dar: Demokratiebildung als Ermächtigung für Kinder und Jugendliche, das österreichische Parlament im Fokus der Menschen in unserem Land und drittens: Wir gehen hinaus in die Bundesländer, ganz im Sinne eines föderalen Bildungsbegriffs.

Das erste Arbeitsfeld im Sektor Demokratiebildung als Ermächtigung für Kinder und Jugendliche ist die Demokratiewerkstatt. Sie haben die Bilder im Film gesehen: Dieses Format ist prominent hier im Hohen Haus angesiedelt. Rund 1 000 Schulklassen und damit 20 000 bis 25 000 Schülerinnen und Schüler pro Jahr besuchen die Demokratiewerkstatt im Plenarium dieses Hauses. Der Ort mit seinem Einblick in den Plenarsaal des Nationalrates ist gut gewählt, bringt er doch den Umstand zum Ausdruck, dass die Jugend den Abgeordneten im wahrsten Sinne des Wortes bei ihrer Arbeit auf die Finger schaut, und die Abgeordneten, wenn sie aufstehen und ihre Stimme abgeben, jene Generation vor Augen haben, für die sie den Großteil ihrer Beschlüsse nun einmal fassen.

In 16 verschiedenen Formaten beschäftigen sich Jugendliche mit Gesetzgebung, Teilhabe, Partizipation, Medien, künstlicher Intelligenz und Demokratiegeschichte und treffen auf Zeitzeugen der Schoah und der autochthonen Volksgruppen. Sie treffen dort Abgeordnete, Mitglieder des Bundesrates und des Europäischen Parlaments. Der Herr EU-Kommissar persönlich erwies uns kürzlich die Ehre, und der Herr Bundespräsident wird uns demnächst besuchen, und wie Sie im Film gesehen haben, war auch die Frau Präsidentin bereits Gast in unserer Demo­kratiewerkstatt.

Das zweite und das dritte Format in diesem Sektor sind das Jugendparlament und das Lehrlingsparlament. Demokratiebildung mit Gesetzgebung wird dort in Planspielen von 15-Jährigen beziehungsweise Lehrlingen an einem authen­tischen Ort mit Lebenslust, Leistungsfreude, Freude an Partizipation, Selbstermäch­tigung und dem Prozess, Lernenergie zu generieren, umgesetzt.

Der zweite Sektor beschäftigt sich mit dem österreichischen Parlamentarismus im Fokus der Menschen in unserem Lande. Da stellen wir das Führungsangebot auf und vermitteln damit über alle Alters- und Gesellschaftsschranken hinweg demokratisches Wissen und Identifikation mit dem österreichischen Parlament und der österreichischen Demokratie.

Live dabei zu sein, wenn Gesetzesentscheidungen getroffen werden: Das stellt der von uns administrierte Galeriezugang im Bundesrat hier und im Nationalrat in Aussicht. Die originale Begegnung mit den Personen der Gesetzgebung reflektiert demokratisches Bewusstsein.

Mit dem Demokratikum – Erlebnis Parlament, das Sie beim Eintritt durch­schrit­ten haben, lädt das Parlament in eine hypermoderne Besuchergegend ein, die offensiv auf Gäste und Interessierte zugeht. Dort begegnen Sie 60 Stunden in der Woche auch unserer Frau Präsidentin, wenn schon nicht persönlich, so doch auf einem Screen, lebensgroß, und Sie können ihr Fragen stellen.

Der dritte Sektor ist ein Katapult, mit dem wir Demokratiebildung in alle neun Bundesländer transferieren, ganz im Sinne eines föderalen Zugangs. Die Demo­kratiewebstatt ist ein Teil davon. Wir laden ein in eine Welt von Onlineange­boten, interaktiven Tools, Spielen, Wissensspeichern und Chatmöglichkeiten mit Akteurinnen und Akteuren des politischen Lebens. Es ist ein virtuelles Arbeits­feld, das sich täglich erweitert.

Das zweite Angebot in diesem Sektor ist das Format Parlament kommt zu dir. In diesem Rahmen besuchen unsere Tutor:innen Schulklassen und Kindergärten in allen neun Bundesländern vor Ort und bieten drei Workshoparten an: Gesetzgebung & Demokratie, das Format, das Parlamentarismus in die Schule bringt, Demokratie & Verantwortung –das Format gegen Antisemitismus, und, beginnend mit dem gestrigen Tag, Polli, Hans und Theo – Demokratie von Kindesbeinen an, das Format für die Elementarpädagogik, die Kindergärten und die Primärschulen.

Last, but not least reisen wir mit Parlament on Tour durch das Land und durch die Bundesländer. Wir waren heuer schon in acht Bundesländern zu Gast, und ab nächster Woche werden wir im Ländle, in Bregenz, Parlament on Tour als wandelndes Informationszentrum des Parlaments und seiner Akteure vorstellen.

Das Ziel ist es, die Bürgerinnen und Bürger und vor allem die Jugendlichen, die Schulen, in allen neun Bundesländern über die Grundwerte unserer Demokratie, über Parlamentarismus, die Geschichte unserer Demokratie und das Haus am Ring zu informieren.

Die Wanderausstellung heißt Menschen willkommen, sowohl Jung als auch Alt, ganz besonders aber die Schulen und die Jugendlichen. Der Weg der Gesetz­gebung, Kinderrechte, Möglichkeiten der Partizipation, die Rolle des Parlaments im politischen System, das Zweikammersystem und viele andere Themen mehr werden dort zur Sprache gebracht.

Das Ziel ist es, auf die Menschen in allen Bundesländern aktiv zuzugehen, zu einem Besuch im Parlament zu motivieren und für die Arbeit der Abgeordneten sowie der Mitglieder des Bundesrates zu interessieren.

Parlament on Tour lädt Schulen, Passanten, Vereine genauso ein wie Manda­tarinnen und Mandatare in den Gemeinden und Ländern, im Parlament, in diesem Tool, sich zu treffen und zu diskutieren. Alle unsere Angebote sind kostenfrei, und – danke, Herr Landeshauptmann – ich werde diesen Return on Investment in die Bildung gerne in die nächsten Budgetverhandlungen mitnehmen.

Längst sind aber unsere Angebote Exportartikel geworden. Die Parlamente auf dem Westbalkan, in Albanien, Nordmazedonien, Montenegro und dem Kosovo, haben Demokratiewerkstätten nach unserem Vorbild und mit unserer Hilfe bereits eingerichtet, die Slowakei und Georgien befinden sich im Wartebereich. Ein Democracyworkshopforum vergangene Woche hat klargestellt, dass Gastdelegationen aus allen diesen sechs Ländern zu uns gekommen sind und dieses Format erneut diskutiert haben.

Die Intention all unserer Formate ist folgende: Hier im Parlament schlägt das Herz der Demokratie. Mit diesen neuen Instrumenten pumpen wir das Herzblut der Demokratie in alle neun Bundesländer und in alle Bildungseinrich­tungen. Wir stehen dort nicht mit leeren Händen, sondern wir laden die Menschen ein, in das Parlament in Wien zu kommen.

Wie gut uns das gelingt, beschreiben ein paar Zahlen, wenn 400 000 Menschen im heurigen Jahr bereits das Parlament besucht haben, wenn allein jetzt, im laufenden Oktober, an 1 580 Führungen 33 000 Besucher:innen des Parlaments teilnehmen, wenn in 1 000 Demokratiewerkstätten pro Jahr 25 000 junge Menschen am Demokratiebewusstsein arbeiten, wenn in 1,5 Millionen Zugriffen auf die Webstatt Schüler:innen und Lehrer:innen unsere Inhalte abfragen, wenn 80 000 Jugendliche pro Jahr in Schülerführungen ins Parlament kommen, wenn unsere Leute in 1 500 Workshops Demokratiebildung hinaus in die Klassen tragen und wenn junge Menschen Ja zur Demokratie, zum Parlamentarismus, zu Teilhabe und Partizipation und Nein zu Populismus, zu autoritären Strukturen, zu Hassrede, zu Antisemitismus, Rassismus und Extremismus sagen.

Dieser ganz bewusst breit aufgespannte Fächer an Angeboten soll klarmachen, dass das Parlament alle Menschen in diesem Land erreichen möchte, ganz besonders die Jugend. Das alles zeigt aber nur dann Wirkung, wenn Sie uns unterstützen. Ich lade Sie als Abgeordnete, als Mitglieder des Bundesrates oder als Fachexpert:innen ganz förmlich dazu ein, sich in diese Arbeit einzubringen und Gast mit Fachexpertise in unseren Werkstätten zu sein. Die drei Präsiden­tinnen des österreichischen Bundesrates gehen mit ihrem Beispiel voran. – Ich danke für Ihre Mithilfe und für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.36


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für Ihren Beitrag und Ihre Einladung, in die Demokratiewerkstatt zu kommen.

Panel 3 ist somit abgeschlossen. Ich bedanke mich für Ihre Beiträge und Ausführungen.

11.36.52VI. Impulsreferat „Herausforderungen für Kinder und junge Menschen“


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Wir kommen nunmehr zum Impulsreferat „Herausforderungen für Kinder und junge Menschen“. Ich ersuche den Referenten, seinen alleinigen Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben, wobei die Zeit von 20 Minuten nicht überschritten werden soll.

Ich darf somit nun Herrn EU-Jugendbotschafter und Unternehmer Ali Mahlodji, um seinen Beitrag bitten. – Bitte schön. (Beifall.)


11.37.15

Ali Mahlodji (EU-Jugendbotschafter und Unternehmer)|: Vielen Dank für diesen ersten Applaus. Der war noch gar nicht notwendig, ich habe noch gar nichts gemacht. Also wenn der Vortrag gut war, können Sie gerne applaudieren – wenn er schlecht war, auch, sonst ist es im Fernsehen peinlich.

Ich habe mein Handy mitgenommen, damit ich auf die Uhr schauen kann.

Zur Begrüßung muss ich ganz ehrlich sagen, ich kenne das Parlament, weil ich Fan davon bin, aber ich kenne hier nicht die genauen Abläufe, deshalb weiß ich auch nicht, wen ich jetzt aller grüßen sollte. Deshalb grüße ich einmal alle hier, auch zu Hause. Wirklich: Ich habe da absolut keine Ahnung.

Folgendes: Wir erleben heute eine Welt, in der die Menschen immer sagen: Keiner kümmert sich mehr um die Kinder! – Das stimmt nicht. Ich glaube, dass wir alle in diesem Saal hier der lebende Beweis dafür sind, dass uns die Kinder nicht komplett egal sind. Ich glaube, dass das heute vielleicht auch die Mög­lichkeit ist, eine Art neuen Abschnitt anzugehen und sich die Frage zu stellen: Wo hat jeder von uns selbst die Verantwortung für Kinder?

Mein Thema heute ist: „Herausforderungen für Kinder und junge Menschen“. Ich glaube, bevor wir über Herausforderungen sprechen, sollten wir uns die Frage stellen: Was wollen Kinder eigentlich?, weil wir erst, wenn wir das verstehen, die Herausforderungen gut deuten und die Lösungswege finden können.

Eines gleich vorweg: Es sind nicht die Kinder, die repariert werden müssen. Die sind schon gut genug. (Beifall.) Also das vielleicht dazu.

Wer bin ich, dass ich darüber reden kann, was Kinder oder Jugendliche benö­tigen? – Das Ding ist: Ich wurde vor zehn Jahren, 2013, von der EU-Kommission zum EU-Jugendbotschafter ernannt. Ich war damals in Brüssel bei der Kommis­sarin und habe sie gefragt: Warum machen Sie mich zum Jugendbotschafter? Ich bin ein bisschen älter! Darauf hat sie gesagt: Das Problem ist: Alle reden über die Jugendlichen, keiner mit ihnen! Es braucht aber wirklich jemanden, der der Übersetzer in die Welt der Jugend ist!

Nur eines zur Info: In der Hälfte meiner Zeit arbeite ich mit Führungskräften, mit Menschen in Entscheidungspositionen. Ich bin der Leiter und der Initiator eines Instituts. Sein Name ist FutureOne. Das ist ein Institut zum Thema: Wie gehen wir es an, Menschen zu entwickeln? Die Hälfte unserer Zeit arbeiten wir mit Unternehmen aus dem DAX, also in Deutschland, und, und, und. Die andere Hälfte unserer Zeit verbringen wir mit Kindern.

In den letzten zehn Jahren habe ich über 500 000 Kinder in ihrer Entwicklung begleiten dürfen. Da sprechen wir wirklich vom Kindergartenalter bis zum Alter 19 plus.

Wenn man so zwischen diesen Generationen arbeitet und sich die Kinder ansieht, dann sieht man: Die Kinder wollen genau dasselbe, was Erwachsene wollen, nämlich ein gelungenes Leben. Die wollen das Gefühl haben: So wie ich bin, bin ich gut genug!, und sie wollen das Gefühl haben, dass sie auch Kind sein dürfen.

Die Realität ist, dass Kinder ihre Kindheit immer dann verlieren, wenn ihre Eltern überfordert sind. Das ist nicht die Schuld der Eltern, sondern das Leben spielt uns ab zu in einer Art und Weise mit, dass die Eltern überfordert sind und die Jugendlichen dann viel zu früh die Verantwortung übernehmen müssen.

Wir wissen aus der Forschung, dass Jugendliche wollen, dass es den Eltern gut geht. Wenn wir aber nicht für eine Umgebung sorgen, in der Kinder wachsen können, haben wir echt das große Problem, dass Jugendliche dann in einer Welt anstehen, in der sie sich nicht entwickeln können.

Das Thema ist: Wir reden zwar heute über Jugendliche und Kinder, aber eigentlich reden wir über die Erwachsenen in 20 Jahren. Wenn ich mit Kindern oder mit Jugendlichen arbeite – und ich war gestern erst im schönen Niederösterreich, in Sankt Pölten, bei 700 Jugendlichen –, stehe ich nicht vor den Jugendlichen und denke, ich rede jetzt mit Jugendlichen, sondern ich sehe die Erwachsenen der Zukunft. Das muss uns bewusst sein.

Wenn wir uns die Frage stellen: Was ist aktuell die größte Herausforderung?, dann müssen wir uns die Frage stellen: Wo kommt die Herausforderung überhaupt ins Spiel?

Es gibt für das menschliche Gehirn zwei Fähigkeiten, das sind die zwei am schwierigsten zu erwerbenden Fähigkeiten, die wir uns jemals aneignen können, aber wenn wir diese zwei Fähigkeiten einmal gemeistert haben, können wir uns sicher sein, dass wir bis zum Rest unseres Lebens nie wieder etwas Kom­plexeres zu lernen haben.

Die am schwierigsten zu erwerbende Fähigkeit für das menschliche Gehirn ist die Sprache, also die Muttersprache oder die erste zu erlernende Sprache. Das Lustige bei einem Kind, das geboren wird, ist: Das Kind weiß nicht: Bin ich in Österreich, in Wien, geboren, und sollte ich lernen, so etwas wie Oida zu sagen, oder bin ich Syrien oder in den USA geboren und sollte Englisch können? Trotzdem lernt dieses Gehirn ohne Förderunterricht, ohne Druck von außen die Muttersprache in Rekordzeit. Da steht niemand daneben und sagt: Du brauchst bessere Schulnoten, weil deine Babyfreunde schon die Muttersprache können! Das sagt niemand. Das Kind lernt diese schwierigsten Dinge nur aus Neugierde, weil es ein Umfeld hat, das an das Kind glaubt, spielerisch dafür sorgt, dass das Kind wachsen kann. Einem Kind sagt niemand: Du hast einen Fehler gemacht! Das nennt sich nämlich Lernen, und dann lernt dieses Kind die Sprache. Das wissen wir.

Das Zweitschwierigste für das menschliche Gehirn ist der aufrechte Gang. Der aufrechte Gang ist nicht angeboren, sondern ihn lernt das Kind durch Beobachtung von den Vorbildern. Dann versucht das Kind aufzustehen, fällt hin, macht einen Fehler. Niemand sagt dem Kind: Das ist ein Fehler!, sondern die Leute sagen: Super! Toll! Heutzutage holt man sogar das Handy heraus und versucht, ein Video für die Großeltern zu machen. Das Kind lernt: Aha, toll! Ich mache es richtig!, und dann rennt dieses Kind im Alter von ein bis zwei Jahren durch die Gegend und hat die zwei schwierigsten Dinge für das menschliche Gehirn aus dem Nichts heraus gelernt, weil das Umfeld dafür gesorgt und daran geglaubt hat.

Später beginnt dann das Thema Noten. Aus der Gehirnforschung wissen wir, das ist eine Katastrophe für Kinder, gerade vor dem zehnten Lebensjahr, weil Kinder nicht unterscheiden können, ob die Schulnote, die sie bekommen, etwas mit ihrem Selbstwert und ihrer Würde oder halt mit dem Fach zu tun hat.

Deswegen haben wir unfassbar viele Jugendliche – und jetzt kommen wir zum Punkt, den wir wahrnehmen –, die keinen Selbstwert mehr haben. Sie laufen durch die Welt und glauben allen Ernstes, sie sind nicht gut genug und müssen repariert werden. Wir haben leider wirklich auch eine Medienwelt und ein Kommunikationsverhalten, die den Kindern ständig einreden, sie müssten erst dieses und jenes tun, um jemand zu sein.

Wir stellen den Kindern auch oft die falschen Fragen. Wir fragen die Kinder ja allen Ernstes: Was willst du später einmal werden? Diese Frage suggeriert: Du bist noch nichts! Du musst erst dieses und jenes tun, um etwas zu werden!

Deswegen gibt es auch in den Schulen leider Gottes, auch in den Oberstufen, aktuell die Thematik, dass die Depressionsrate bei den Kindern ganz hoch ist – nicht erst seit Corona, bitte. Es ist ganz wichtig, das zu verstehen: Corona hat auf etwas hingewiesen, aber wir hatten vorher schon das Problem, dass die Kinder den Druck ihrer Eltern ganz stark ausleben, die eine gelungene Zukunft für ihre Kinder wollen.

Glaubenssätze in einer Gesellschaft, in einer Familie, in einer Organisation werden sechs bis acht Generationen lang weitergegeben. Wir haben in der Nach­kriegszeit, vor über 70 Jahren, in Europa eine Art Wunderwerk hingestellt. In der Nachkriegszeit war Österreich, ganz Europa komplett zerbombt. Da gab es keinen Wohlstand, keine Supermärkte, bei denen wir uns, wenn eine Pandemie kommt, denken: Die Regale sind voll, das einzige Problem ist Klopapier!, sondern in der Nachkriegszeit damals ist man zum Bauern aufs Land gefahren, hat Milch gekauft, hat sich vielleicht irgendein Fleisch geholt, und dann hat man geschaut: Wie kommt man damit klar? Damals sind Glaubenssätze entstanden, wie: Die Dinge, die auf den Teller kommen, werden gegessen! Meinem Kind soll es einmal besser gehen als mir!

Heute werden diese Glaubensätze in der Gesellschaft leider immer noch gelebt, aber durch Helikoptereltern. Es ist der Fall, dass Eltern diese Glaubensätze von damals nicht abgelegt haben und die Kinder noch mehr unter Druck setzen und alles Ernstes versuchen, in der heutigen Welt, in der wir alle mehr gestresst sind, diesen Druck an den Kindern abzuladen. Wir haben aktuell wirklich eine Gesellschaft, in der die Kinder leider Gottes diesem Druck ausgeliefert sind, weil ihnen die Vorbilder fehlen.

Ich war gestern in Sankt Pölten und redete mit über 700 Jugendlichen – in Kärnten war ich auch schon oft in den Schulen eingeladen –, und dann schauen mich die Jugendlichen an und fragen: Na ja, von wem soll ich denn lernen?

Wenn ich den Fernseher einschalte – entschuldigen Sie, dass ich das jetzt sage –, sehe ich, unsere gewählten Vertreter und Vertreterinnen sind auch nicht wirklich kollaborativ. Wenn wir uns anschauen, wie die Erwachsenen mit der Krise umgehen: Die hauen sich alle die Köpfe ein. Wir haben eine Trennung in der Gesellschaft, die nicht die Kinder verursacht haben, sondern wir, die anderen und wir sorgen dafür.

Die Kinder sitzen in einer Welt, in der ihnen jeder sagt: Du kannst ja eh alles machen, was du willst, aber übrigens haben wir dir einige Probleme überlassen: das Klima, die Spaltung der Gesellschaft, Chancenungerechtigkeit, Chancen­ungleichheit!, und die sitzen da und fragen: Von wem soll ich lernen? Die, die da oben das Ganze machen, auch die Eltern, sind nämlich komplett gestresst. Wir müssen dafür sorgen, dass wir in eine Vorbildfunktion kommen und die Men­schen entlasten, die mit den Kindern zu tun haben.

Ich habe vor zehn Jahren in Österreich das Glück gehabt, eine Berufsorientie­rungs­plattform aufzubauen, die ich damals als Lehrer gemacht habe. Ich war vor über zehn Jahren Lehrer in einem Gymnasium. Davor habe ich in der Konzern­welt gearbeitet und bin dann Lehrer geworden, weil ich selber als Kind in einem Flüchtlingsheim, in Traiskirchen, aufgewachsen bin.

Ich war dann Schulabbrecher. Das war so das Klassische: Ich bin als Flüchtling gekommen, meine Eltern waren beide Akademiker im Iran, in Österreich ist ihnen davon nichts anerkannt worden, deswegen hat meine Mama begonnen, als Putzfrau zu arbeiten, mein Vater hat im Metro Flaschen eingeschlichtet, aber ich komme aus einem sehr bildungsnahen Haushalt, weil sie beide im Iran Akade­miker waren – sie haben beide in Topmanagementpositionen gearbeitet –, und deshalb haben meine Eltern immer darauf geachtet: Auch wenn wir kein Geld haben, muss für Bildung Geld da sein! Ich bin in Simmering aufgewachsen. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Schau darauf, dass du besser Deutsch sprichst als jeder Österreicher! Sonst bleibst du immer der Ausländer! Ich habe versucht, das irgendwie zu lösen. (Heiterkeit.)

Dann wächst man als Kind so heran und stellt sich die Frage: Warum habe ich es irgendwie hinbekommen? Ich habe zwar die Schule hingeschmissen, weil sich meine Eltern scheiden ließen. Ich habe zu stottern begonnen, ich habe gestot­tert, bis ich 25 war, hatte in der Schule vor allem Angst, habe sehr viel Schule geschwänzt und deshalb die Schule hingeschmissen. Ich hatte aber dieses Wissen über Bildung: Wenn ich einmal etwas gelernt habe, kann mir niemand mehr diese Bildung wegnehmen. Das war in mir verankert, weil ich das Glück hatte, von Menschen umgeben zu sein, die das Thema auf dem Schirm hatten. Deshalb habe ich dann die Schule nachgeholt, habe auch fertigstudiert.

Dann bin ich in die Konzernwelt gegangen. Dann habe ich gedacht, ich muss in die Bildungswelt gehen, weil sich sonst niemand um die Kinder kümmert. Deshalb wurde ich Lehrer. Da habe ich gemerkt, dass die Jugendlichen nicht wissen, was sie aus ihrem Leben machen sollen.

Alle von euch waren einmal Jugendliche, zu denen jeder einmal gesagt hat: Du musst ja wissen, was du in zehn Jahren machst! Ihr seid mit 14 Jahren dageses­sen und habt euch gedacht: Was tue ich da in der Schule?

Da habe ich diese Berufsorientierungsplattform gegründet, die mittlerweile von mehreren Millionen Jugendlichen in ganz Europa verwendet wird. Sie hat den Hauptsitz in Wien. Das habe ich in den ersten drei, vier Jahren aufgebaut, bis es irgendwie funktioniert hat, und danach habe ich das Institut gegründet.

Ich habe auch das Glück, dass ich von der Unicef zu einer Art Ehrenbeauftragtem zum Thema Kinderschutz ernannt worden bin.

Wir schauen uns Österreich oft an und sagen: Na ja, den Leuten geht es da ja eh so super! – Die Realität ist: Ich bin jede Woche in Schulen – morgen eröffne ich, glaube ich, im Burgenland, in Eisenstadt, eine Bildungskonferenz für Jugendliche, eine Berufsorientierungsmesse –, und ich frage dann oft: Warum holt ihr mich?, und die sagen – und das ist jetzt bitte keine Selbstbeweih­räucherung –: Wir haben keine Leute dafür!

Es gibt in den Schulen das Fach Berufsorientierung, aber die Lehrer und Lehre­rinnen werden komplett alleingelassen. Das meine ich ernst, weil ich in die pädagogischen Hochschulen gehe und sie dort schule.

Ich war jetzt gerade am Vormittag bei allen Führungskräften von den Kinder­gärten in Wien. Die Stadt Wien ist der größte Betreiber von Kindergärten in ganz Österreich, hat 400 Führungskräfte. Ich habe heute dort die Konferenz der Führungskräfte eröffnet, deswegen bin ich auch so knapp gekommen.

Dann redet man mit denen dort, und sie sagen: Die Thematik ist: Da ist so viel Administration. Die kommen nicht mehr hinterher. Wenn irgendetwas passiert, hat niemand mehr eine Elastizität in den Gedanken, sondern da wird sofort draufgehaut. Das erlebe ich bitte nicht nur in den Kindergärten in Wien. In Wien geht es uns eh gut. Wenn man auf dem Land, in Salzburg, wohnt: Viel Spaß mit der Kinderbetreuung als Familie! Das wird komplett auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. In Wien haben wir da eh noch Glück, das muss man ganz ehrlich sagen.

Dann geht man in die Schulen, und die Lehrer und Lehrerinnen schauen einen an. Man geht in ein Lehrerzimmer hinein, und in manchen Schulen gibt es so einen Tisch (die geringe Größe gestisch andeutend), und den müssen sich drei Lehrer teilen. Man denkt sich, an jedem anderen Arbeitsplatz dieser Welt würde man das nie machen.

Wir wissen aus der Gehirnforschung, dass man als Führungskraft maximal sieben Leute direkt leiten kann. Ich habe mir heute erklären lassen: Wie ist denn der Schlüssel in Wien in den Kindergärten? – Ich habe es vor mir (in die Unterlagen blickend): Derzeit kommen auf zwei Mitarbeiter 25 Kinder. Da reden wir aber über die Kleinen, die viel Betreuung benötigen.

Die Thematik ist: Das setzt sich in den Schulen fort. Ich rede deshalb darüber, weil ich das nicht aus meinem Bauchgefühl heraus sage – ganz ehrlich: Meiner Familie und mir geht es super –, sondern ich bin seit zehn Jahren jede Woche in den Schulen. Ich komme in die Schulen, und jeder sagt: Uns geht es toll!, und ich sage: Nein, da gibt es ja Schulklassen, in denen die Kinder nicht an sich glauben! Die Lehrerinnen sind überfordert!

Da geht es gar nicht darum, zu fragen: Wer ist schuld? Mir geht es nur darum, dass wir aufhören, zu sagen, es wäre so schön, wenn es besser wird, und dass wir die Verantwortung übernehmen.

Wir alle haben uns heute hier zusammengetan, weil wir einfach an eine bessere Zukunft glauben. Und ja, wir wissen, dass die Jugendlichen von heute die Erwachsenen von morgen sind.

Was können wir tun? – Ich habe das Glück, dass ich die Hälfte meiner Zeit in der Wirtschaftswelt bin, und in der Wirtschaftswelt weiß man, man muss dort Entscheidungen treffen, Dinge und Strukturen umsetzen. Wir alle können uns in der heutigen Welt fragen – bitte, nagelt mich jetzt nicht fest! Okay? –: Lernt man wirklich in den ersten 18 Jahren die Dinge, die man für die echte Arbeitswelt braucht?

Ich habe letzte Woche eine Konferenz in Deutschland zum Thema Zukunft der Arbeit besuchen dürfen. Dort war das Wichtigste: Wir Menschen müssen eine Fehlerkultur entwickeln, um mit Fehlern umzugehen. Wir müssen für das, was auf uns zukommt, verstehen: Fehler sind Lernen.

Nun ja, jeder, der einen Einser im Zeugnis hat, hat die wenigsten Fehler gemacht. Als ich damals Lehrer war, habe ich zu den Schülern gesagt: Ganz ehrlich, vergiss die Schulnoten! Schau, dass du durchkommst! Ich habe zu ihnen gesagt: Wenn du jetzt null Fehler machst, lernst du für dein Leben, du bist nur dann etwas wert, wenn du keine Fehler machst. Erwachsene Menschen, die in der heutigen Welt keine Fehler machen, sind die, die ihren Mut verloren haben, die darauf warten, dass jemand anderer in die Pionierleistung geht.

Österreich war in vielen Bereichen ein Pionier Europas. Wenn ich heute die Welt bereise – ich arbeite international –, schauen die Menschen und sagen dann: Wow, das ist ein Land der Vielfalt! Bist du wahnsinnig! Das ist das Land, in dem es ein Flüchtlingskind, wenn es die Chancen bekommt und es eine Person hat, die bedingungslos an das Kind glaubt – das haben leider nicht viele –, irgendwie hinbekommen kann. Dieser Weg gelingt aber eben nur, wenn wir auch wirklich für diesen Rahmen sorgen. Strukturen zu schaffen, um die Lehrer und Lehrerinnen zu entlasten, in den Kindergärten dafür zu sorgen, dass dort ein System ist, sodass die Familien entlastet werden, sorgt zu Hause für eine Familie, wo die Familie Familie sein kann und sich nicht alle zerreißen.

Entschuldigen Sie vielmals, dass ich das sage, ich wollte es eigentlich gar nicht sagen: Ich höre mir heute sehr oft politische Reden an und ich interessiere mich wirklich für alle Parteien. Ich höre immer: Wir müssen den Wohlstand erhalten. Welchen Wohlstand? Haben wir Lebensqualität? Wir reden über Wohlstand, aber niemand hat mehr Lebensqualität. Wir sind alle gestresst, wir hetzen durch die Gegend. Wir haben digitale Tools. Haben wir sie genutzt, damit wir endlich für das Wahre Zeit haben, für die Familien?

Ganz ehrlich: Als ich als Unternehmensberater bei Siemens vor 15 Jahren begonnen habe, Unternehmen zu beraten, war ich entspannter. Dann kamen die Laptops, die Handys. Jeder hat gesagt: Jetzt hast du endlich mehr Zeit für das Wahre! Nein, wir laufen dem Ganzen hinterher. Jeder beantwortet seine E-Mails nicht rechtzeitig. Die Eltern, die ich treffe und frage: Wie geht’s euch?, sagen: Ach, jetzt gerade ist es stressig. Dann frage ich: Wann wird es weniger? – Na, wenn das Kind 18 und außer Haus ist. (Heiterkeit des Redners.) Da denkst du dir: Cool, das Kind ist drei Jahre alt. Viel Spaß die nächsten Jahre!

Sich das Ganze strukturell anzusehen ist wichtig. Wir müssen lernen, dort zu entlasten, wo es notwendig ist. Wir müssen uns die Fragen stellen: Warum gestalten wir Systeme, wie sie sind? Wenn wir immer ganz viel über Schulnoten reden – Schulnoten, so muss das sein –, dann reden wir vielleicht von einer Welt, als wir noch Kinder waren und man uns eingeredet hat: Das ist notwendig und so muss es sein. Wenn ich mit Entscheidungsträgern in diesem Bereich spreche, sagen die oft: Na ja, in meiner Kindheit war es auch nicht anders. Dann sage ich: Ja, aber die Welt damals hat nichts mehr mit der heutigen Welt zu tun.

Man konnte vor 20 Jahren in der Wirtschaft planen. Man konnte vor 25 Jahren einem Unternehmen sagen, die nächsten vier Jahre schaut unser Geschäft so aus. Ich bin so dankbar, dass uns Corona gezeigt hat, dass wir alles können, nur nicht die Zukunft planen. Die Welt kommt, und wir haben gemerkt, plötzlich kommt die Gefahr von außen, und wir arbeiten zusammen. Als wir dann gemerkt haben, na ja, irgendwie werden wir es schon alle überleben, sind wir wieder zu den alten Mustern zurückgekehrt.

Es geht darum, diese Zukunftskompetenz zu entwickeln, dass Kinder wieder sagen: Ach so, von dem kann ich lernen. Aha, meine Lehrerinnen und Lehrer haben wieder Zeit für mich; im Kindergarten zu sagen: Ja, wir können uns als Familie entwickeln, weil wir auch wirklich österreichweit ausgerollt haben, dass eine Kinderbetreuung für alle da ist. Das sage ich als Mann, bitte! Warum sage ich das als Mann? – Ich habe eine Umfrage gemacht – das mache ich ziemlich oft in den Schulen –, und zwar bei den Kindern unter zehn. Ich frage sie, was sie sich wünschen. Es ist so lustig, die sagen dann so Dinge wie: Ich möchte, dass Men­schen, die Fremde in Österreich sind, nicht das Gefühl haben, sie sind falsch. Ich möchte, dass Frauen besser behandelt werden. Das sagen dir kleine Burschen im Alter von neun Jahren in der Schule, wenn du mit ihnen redest. Da denkst du dir: Aha, die machen sich Gedanken.

Ich komme jetzt zu einem Punkt, den man eigentlich gar nicht am Schirm hätte, aber das ist der Punkt Feminismus. Wir reden gerade beim Thema Feminismus darüber, dass es ein Frauenthema ist. Realität ist, dass uns die Arbeitswelt zeigt, dass die zwei Dinge, die wir die letzten Dekaden mit Füßen getreten haben, nämlich die Mutter Erde und die Frau, die das Leben schenkt, gerade eine Renaissance erleben. Warum erleben sie eine Renaissance? – Man muss ganz ehrlich sagen, Feminismus ist eigentlich ein Männerthema, weil es in erster Linie wirklich den Männern etwas bringt. Das ist kein Frauenproblem, das ist ein Männerproblem. (Beifall.)

Lassen Sie mich aber auch erklären, warum, sonst sagt dann jeder nur zu mir: Boah, der schreit irgendwelche populistischen Parolen! Das hat man total schnell, vor allem wenn das gerade im Fernsehen übertragen wird und man vor allem auch so ausschaut wie ich und auch so heißt. – Nein, das meine ich ganz ernst.

Das Thema ist Folgendes: Ich erlebe gerade in Österreich und auch in Deutsch­land in der Wirtschaft, dass unfassbar viele Männer, die in hohen Positionen ganz weit oben sitzen – wir beschimpfen sie leider als die alten weißen Männer –, so wurden, weil damals, als sie vor vielen Jahren 18, 19 Jahre alt waren, wenn sie sogar den Wunsch gehabt hätten, für die Familie da zu sein, jeder in ihrer Gemeinde zu ihnen gesagt hätte: Du bist kein echter Mann, denn ein echter Mann geht hackeln. Die Frau ist zu Hause am Herd, und wenn du quasi jetzt die Megakarriere machst und dann oben sitzt und einen großen SUV hast, auch wenn du körperlich komplett draufbezahlt hast, auch wenn du deine Kinder quasi nicht erzogen hast, dann bist du jemand.

Es gibt heute in der Arbeitswelt – die Einblicke habe ich aus erster Hand – ganz viele Männer, die sagen: Ich möchte für die Familie da sein, ich möchte eine Führungsverantwortung, aber ich will Teilzeit arbeiten. Das wäre ein unfassbar gute Lösung, aber die müssen sich vom alten Rollenbild lösen. Das heißt, wenn wir den Feminismus unterstützen, erlösen wir eigentlich die Männer von alten Rollenbildern, und sie können die Väter sein, die sie sein wollen, sie können die Rollen übernehmen. Dann sitzt man nicht mehr zu Hause und sagt, wer was macht, sondern eine Familie kann dann individuell entscheiden: Wie wollen wir unser Leben gestalten?

Ich bin Vater von zwei Töchtern. Meine Älteste ist jetzt viereinhalb Jahre alt und meine Jüngste ist genau vier Monate, also 16 Wochen alt. Meine Frau und ich haben bewusst die Entscheidung getroffen, dass sie das erste Jahr zu Hause in Karenz bleibt. Das ist eine bewusste Entscheidung. Wir haben gesagt, es ist gut, dass wir darüber diskutieren können und wir zumindest bei uns auch finanziell jetzt nicht den Druck haben, um zu sagen: Oh Gott, nein, du musst arbeiten gehen; nein, du musst dies und jenes machen! Wir können aus freien Stücken entscheiden und wir können dafür sorgen, dass Gott sei Dank meine Kinder vielleicht eine Kindheit haben, die ich nicht erleben durfte, nämlich Eltern, die nicht unter Druck waren.

Für uns ist das Wichtigste – und das möchte ich Ihnen auch mitgeben –: Wie bereitet man Kinder auf die Zukunft vor, wenn man nicht weiß, wie die Zukunft aussieht? Du kannst Kinder auf eine Schotterstraße vorbereiten und sagen: Das ist eine Schotterstraße, so musst du darauf fahren. Nur was ist, wenn die in 20 Jahren keine Schotterstraße haben, sondern andere Wege haben, die sie gehen müssen? Es ist besser, den Kindern beizubringen, sich selbst die Straßen zu bauen. Es ist tausendmal besser, den Kindern beizubringen: Wie gehe ich mit Stress in der Welt um? Wie bin ich resilient? Wie schaffe ich es, mit Stress umzugehen, andere Meinungen zuzulassen? Wir müssen Kindern eher die Tools mitgeben, anstatt ihnen die Vorgaben ständig einzubläuen.

Ich glaube, hier ist ein guter Ort, um genau das herauszubringen. Laut meiner Uhr habe ich noch 40 Sekunden, laut dieser roten Lampe nicht. Deshalb sage ich Ihnen allen vielen, vielen Dank und danke, dass Sie die Verantwortung für ein Österreich von morgen übernehmen, in dem ich leben möchte, in dem meine Kinder Gott sei Dank auch aufwachsen dürfen. – Danke. (Beifall.)

11.56


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Vielen Dank für diesen Beitrag.

11.57.13VII. Statements der Fraktionsvorsitzenden und Diskussionsbeiträge


Vorsitzende Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA|: Wir gelangen nunmehr zu den Statements der Fraktionsvorsitzenden beziehungsweise deren Stellvertreter:innen.

Ich darf diese ersuchen, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Zeit von 5 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.

Ich darf zunächst den Fraktionsvorsitzenden der ÖVP, Herrn Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte schön.


11.57.33

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark)|: Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Expertinnen und Experten! Zuerst möchte ich mich wirklich für die Abhaltung dieser Enquete und auch für dieses Thema bedanken, Frau Präsidentin Arpa. Ich stehe tatsächlich noch unter dem Eindruck vieler toller Ideen und Statements. So unterschiedlich die Zugänge teilweise auch sein mögen – und das sind sie –, sehe ich darin a priori aber nichts Schlechtes, denn das belebt natürlich auch die Diskussionsfreudigkeit. So unterschiedlich sie sein mögen, so sehr eint uns das gemeinsame Ziel, und das steht da oben: „Kindern Perspek­tiven geben – unbeschwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden“. (Präsidentin Arpa übernimmt den Vorsitz.)

Ich habe vorhin bei der Wortwahl von Herrn Mahlodji schmunzeln müssen, weil ich an meine ältere Tochter gedacht habe. Ich bin auch Papa von zwei Töchtern, 13 und sieben Jahre alt. Herr Mahlodji – alle anderen Rednerinnen und Redner sind mir jetzt hoffentlich nicht böse –, Sie wären im Rahmen der heutigen Enquete der Superstar meiner Tochter gewesen, natürlich auch mit Ihrer Aussage: Vergiss die Noten! Sie kommt auch immer wieder einmal zu mir – sie ist sehr, sehr brav, aber wenn hin und wieder etwas nicht funktioniert, dann sagt sie: Du Papa, ich mache schon meinen Weg! Das ist immer ihre Aussage, und dann muss ich wiederum schmunzeln, weil ich weiß, dass sie recht hat. Sie wird natürlich ihren Weg gehen, sie wird ihn aber auch deshalb gehen – so ehrlich muss man sein –, weil sie die Möglichkeit dazu hat und weil sie die Chancen dazu hat, dass ihre Mama ihre Mama ist und ihr Papa ihr Papa. Ich glaube aber, es muss das Ziel sein, dass jedes Kind in Österreich – es muss unser gemeinsames Ziel sein – diesen Weg gehen kann.

Es gibt ein Zitat, das ich sicherlich hier auch schon einmal verwendet habe, aber es passt einfach so gut hierher, nämlich dass man den Wert einer Gesellschaft daran erkennt, wie sie mit ihren ältesten Menschen und wie sie mit ihren Jungen umgeht. Ich finde das Zitat auch deshalb so treffend, weil es einen Bogen zu einer außerordentlich spannenden und guten Enquete spannt, die wir letztes Halbjahr unter dem damaligen Präsident Kovacs hatten, das Thema der Pflege: Wie gehen wir mit den Ältesten in unserer Gesellschaft um? Heute haben wir das Thema der Kinder und Jugend: Wie gehen wir mit ihnen um? Was bieten wir ihnen?

Sie werden mich verstehen, dass ich nicht ganz ohne Stolz sage, in diesem Jahr ist schon einiges gelungen. Ich schicke gleich vorweg, das Ende der Fahnen­stange ist nicht erreicht. Das ist wahrscheinlich nie erreicht. Vielleicht soll es auch gar nicht erreicht werden, weil man dann aufhört, besser werden zu wollen und unseren Kindern und Jugendlichen noch mehr zu bieten, aber es ist in diesen Jahren schon einiges passiert.

Ich denke ganz konkret an zwei Dinge. Es war ja heute der Fokus, einerseits soziale Sicherheit und andererseits Bildungschancen zu geben, wobei das natürlich in meinen Augen verschwimmt, denn Bildung ist eine Leiter aus der Armut. Darum ist es so wichtig, alles zu tun, damit unsere Kinder und Jugendlichen bessere Bildungschancen bekommen. Dafür ist es auch wichtig – ich bin Ihnen so dankbar, Frau Professor, dass Sie das angesprochen haben –, Betreuungseinrichtungen nicht nur als Betreuungseinrichtungen, sondern als potenzielle Bildungseinrichtungen zu sehen.

Nehmen wir kurz den Sozialbereich: Es ist ein großes Paket gegen Kinderarmut geschnürt worden. Die Bezieher von Ausgleichszulage, Sozialhilfe werden bis Ende 2024 60 Euro mehr bekommen. Das gilt übrigens auch für Alleinverdiener unter 2 000 Euro brutto. Der Familienbonus wurde auf 2 000 Euro, der Kin­dermehrbetrag, eine wesentliche Sozialleistung, eine steuerliche Leistung wurde von 550 Euro auf 700 Euro aufgestockt. Worauf ich persönlich stolz bin, ist die Valorisierung von Familien- und Sozialleistungen. Kinderbetreuungsgeld, Studienbeihilfe, Schulstartgeld et cetera – alles das ist schon passiert. Natürlich muss man sagen, da müssen wir weitermachen, aber das ist jetzt schon passiert und in Umsetzung, auch die Ausweitung des Schulstartgeldes.

Wenn ich zu den Bildungseinrichtungen komme, denke ich an die Kindergarten­milliarde, die auf Schiene ist, und an die 4,5 Milliarden Euro, die angekündigt sind, bis 2030 in die Hand zu nehmen, um vor allem die Lücke der Betreuung von Ein- bis Dreijährigen zu schließen. Der Finanzausgleich ist heute schon angesprochen worden. Das ist schon historisch: Da hat man sich in der Verhand­lungsgruppe zwischen Bund und Ländern geeinigt, 1,1 Milliarden Euro in den Zukunftsfonds zu stecken, womit vor allem Kinderbetreuungseinrichtungen forciert werden sollen.

Ich glaube, eines ist wichtig – das ist mir vorhin auch bei der Rede von Herrn Mahlodji eingefallen –: Wir reden viel über Kinder- und Jugendpolitik und versuchen auch alle gemeinsam– das eint uns natürlich –, das Beste herauszu­holen, aber ich glaube, dass man Kinder- und Jugendpolitik nicht per se als eigene Spezies betrachten sollte, sondern dass die Frage nach der Zukunftstaug­lichkeit in jeden politischen Bereich hineinwirken sollte. In Wahrheit müsste man alles, was wir im Nationalrat, im Bundesrat, in unseren Landtagen beschließen, auf Zukunftstauglichkeit abklopfen und schauen: Ist das nachhaltig? Bringt das den Jüngsten in unserer Gesellschaft etwas?

Die rote Lampe leuchtet. 5 Minuten sind ungewohnt bei uns im Bundesrat, da wir mit unserer Redezeit etwas großzügiger sind. Deswegen darf ich zum Schluss kommen.

Ich habe vorhin gesagt – damit schließe ich jetzt auch den Kreis –, dass die Zugänge teilweise sehr, sehr unterschiedlich sind. Ich habe da und dort den Eindruck gehabt, es ist eine ziemlich schreckliche Welt, in der wir leben. Ja, wir haben Baustellen, ich möchte das gar nicht beschönigen. Ich hatte unlängst erst die Möglichkeit, mit einem Experten aus dem Bildungsministerium zu sprechen. Es sagen uns eigentlich alle Indikatoren, dass wir im Bildungsbereich nicht so schlecht dastehen. Da gibt es auch Marker, volkswirtschaftliche Zahlen, das BIP pro Kopf. Natürlich geht mehr im Bildungsbereich, natürlich muss sich dort etwas ändern, aber der Wohlstand, den wir in Österreich genießen, kann zumin­dest schon auch als Indikator hergenommen werden, dass nicht alles ganz schlecht ist.

Ich habe mit einem Zitat begonnen, ich will mit einem Zitat von Ernst Ferstl enden, von dem ich auch glaube, dass es hier sehr gut passt. Werner Amon hat gesagt, dass man vielleicht „ein bisserl weniger Ideologie und ein bisserl mehr Pragmatismus“ braucht. Ernst Ferstl hat einmal gesagt: Ich muss dich dich sein lassen, und du musst mich mich sein lassen, aber das Miteinander, das dürfen wir nie sein lassen. – Zitatende.

Ich glaube, um dieses Miteinander sollte es in der Politik gehen. Es sind alle – gleich welcher Couleur – herzlich eingeladen, dass wir miteinander an einem Strang ziehen und versuchen, unseren Kindern Perspektiven zu geben, unbe­schwert, chancenreich und demokratisch erwachsen zu werden. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall.)

12.05


Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für die Ausführungen, Herr Fraktionsvorsitzender.

Ich erteile nunmehr der Fraktionsvorsitzenden der SPÖ, Frau Bundesrätin Korinna Schumann, das Wort. – Bitte, Frau Fraktionsvorsitzende.


12.05.40

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Landeshauptmann! Der Bundesrat kann schon was! Ich glaube, diese großartige Enquete ist heute wirklich wieder ein starkes Zeichen dafür, was der Bundesrat leisten kann. Vielen Dank an unsere Präsidentin! Auch die letzte Enquete des Burgenlandes zum Thema Pflege war großartig. Nehmen Sie auch mit, dass der Bundesrat nicht nur in der Kritik steht, sondern vieles leisten kann! Heute zeigt sich das.

Ich kann nur sagen, dieses Thema ist so wichtig, weil es darum geht, Kindern die Chance auf Teilhabe zu geben, Kindern, egal in welche Familie sie geboren sind, egal wie viel Geld die Eltern haben, die Chance zu geben, dass sie gut aufwach-sen, dass sie positiv aufwachsen, dass sie eine schöne Kindheit haben. Dafür gilt es zu kämpfen.

Da muss man auch den Mut haben, zu sagen, wir haben ein Problem, wir haben ein Problem in Österreich, wir haben ein Problem in unserem reichen Land. Es gibt noch immer zu viele Kinder, die armutsgefährdet sind oder bereits in Armut leben. Das können wir nicht schönreden, auch wenn man das besonders auf Regierungsseite gerne täte.

Die Lasten für die Familien und damit in Folge die Lasten für die Kinder sind in den letzten Jahren besonders durch die Teuerung größer und größer geworden. Die Teuerung belastet die Familien, und jene, die wenig haben, noch einmal mehr. Auch da gilt es, nicht die Augen zu verschließen, sondern Maßnahmen zu setzen und die Teuerung zu dämpfen, denn das hilft wirklich. Es geht jetzt nicht um Einzelmaßnahmen, sondern es im System zu machen, um die Teuerung und die Preise zu dämpfen.

Heute ist es oft gesagt worden: Die Kinderbildung ist der Schlüssel für eine gute Entwicklung und für Chancen für die Zukunft. Es geht darum, endlich die Elementarpädagogik auszubauen, hin zum Rechtsanspruch auf einen Kinderbil­dungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr, mit Vollzeitarbeit vereinbar und leistbar, möglichst kostenfrei, denn Kinderbildung darf kein Kos­ten­faktor für die Eltern sein, sonst teilt man wieder auseinander. (Beifall.)

Ganz ehrlich, wir freuen uns über jeden Schritt, der passiert. Ich kann nur sagen, wie toll Wien es gemeistert hat, das Burgenland, jetzt Kärnten. Das sind ganz, ganz wichtige Initiativen, aber wir brauchen das flächendeckend in ganz Österreich und es reicht nicht, es anzukündigen, es muss umgesetzt werden.

Das Gleiche gilt für den Bereich der Schule. Schule darf nicht auseinanderteilen, sondern muss Gemeinschaft fördern und allen die Teilhabe ermöglichen. Und wir müssen endlich die Pädagoginnen und Pädagogen entlasten. Es braucht mehr Sozialarbeit in den Schulen, es braucht weniger Verwaltung, es braucht ein gutes Gefühl, in die Schule zu gehen. Das ist jetzt notwendig. Und es braucht gerade in Zeiten wie diesen ein warmes und gesundes Essen in den Bildungseinrichtungen. Das ist das Gebot der Stunde! (Beifall.)

Wie man durch die Schule kommt, darf nicht davon abhängen, ob sich die Eltern die 720 Euro, die Eltern in Österreich für Nachhilfe ausgeben, leisten können oder nicht. Das ist nicht die Frage, sondern wir wollen ein Schulsystem, wo alle mitkönnen und alle mitgenommen werden, denn das ist so wichtig. Wenn wir sagen, wir brauchen lebenslanges Lernen – das werden wir brauchen, weil wir jetzt einem derartigen Wandlungsprozess unterzogen sind –, dann muss ich als Schülerin, als Schüler in der Schulzeit ein gutes Gefühl haben und sagen: Das Lernen war doch nicht schlecht! Ich habe etwas für mich mitgenommen, da ist für mich etwas weitergegangen. Dann werde ich Lernen positiv sehen und werde mich mein Leben lang auch in Qualifizierungsmaßnahmen, in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen begeben, weil ich sie für mich als positiv empfunden habe. Gleichzeitig heißt es, kein Talent, das wir in diesem Lande haben, zurückzulassen.

Es darf nicht auseinandergeteilt werden, es darf nicht der Name eines Kindes schon automatisch zu einer Diskriminierung führen. Das darf nicht sein, weil Ausgrenzung demokratiefeindlich ist. Sich selbst ausgegrenzt und nicht als Teil des Ganzen zu fühlen heißt, kein Vertrauen in die Zukunft der Demokratie zu haben. Das wollen wir alle nicht. Es gilt zukünftig, zu sagen: Armut liegt nicht in der Verantwortung der Eltern allein. Das ist keine Burgerfrage. Armut muss bekämpft werden; das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, und es ist die Aufgabe der Politik.

Was ganz, ganz wichtig ist: Es braucht Empathie. Es braucht ein Herz für Kinder und es braucht ein Herz für Frauen, weil Kinderarmut mit Frauenarmut ganz stark kausal zusammenhängt. Es braucht auch ein Herz für ein System der Empathie und des Miteinanders. Politik muss weg von der Aussage: Ihr seid selbst dafür verantwortlich!, und hin zur Frage: Wie können wir Probleme gemeinsam lösen und wie können wir sie mit Herz lösen? Das geschieht nicht, indem wir uns gegenseitig ausrichten, was wie zu tun ist, und Wut und Ärger fördern, sondern indem wir das Miteinander fördern und Probleme nicht negieren, sondern sie ansprechen und gemeinsam lösen. Das ist unsere Aufgabe und dafür stehen wir als Sozialdemokratie. (Beifall.)

12.11


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank, liebe Korinna Schumann.

Als Nächste gelangt in Vertretung des Herrn Fraktionsvorsitzenden der FPÖ Frau Bundesrätin Marlies Doppler zu Wort. – Bitte, Frau Bundesrätin.


12.11.36

Bundesrätin Marlies Doppler (FPÖ, Salzburg)|: Frau Präsident! Herr Landeshauptmann! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kindern Perspektiven geben – Kinder sind unsere Zukunft! Investitionen in Kinder kommen als Vielfaches zurück, das haben wir heute schon gehört. Bei Kindern darf nicht gespart werden. – Das sind schöne Sätze, Sprüche, die wir alle zur Genüge kennen; nur bleibt es oft bei diesen Sprüchen und es handelt sich um leere Worthülsen.

Die Realität schaut nämlich ein bisschen anders aus. Es ist nicht allzu lange her – ich denke da jetzt an die Coronazeit –, da wurden Schulen von heute auf morgen geschlossen. Es gab keinen Präsenzunterricht mehr. Ein Drittel der Kinder war in dieser Zeit nicht einmal erreichbar, weil sie keinen Computer zu Hause hatten. Den Kindern wurde Bildungszeit geraubt. Es wurde also in dieser Zeit durch die überzogenen Maßnahmen der Bundesregierung wirklich wertvolle Bildungszeit geraubt. Dieses Manko ist nicht mehr aufzuholen und diese fehlende Bildung wird den jungen Menschen in ihrem zukünftigen Berufsleben bitter abgehen. Durch die Lockdowns wurden die Kinder besonders gebeutelt. Sie waren zu Hause eingesperrt und litten fürchterlich unter dieser Vereinsamung. Folge davon war, dass die Kinder- und Jungendpsychiatrien übergegangen sind und dass es dort sogar zu Triagen kam. Noch heute leiden viele Kinder darunter, und noch nie hat es so viele suizidgefährdete Kinder und Jugendliche gegeben wie heutzutage. Das ist die traurige Realität.

Bereits während Corona haben ja die Familien durch Arbeitslosigkeit und durch Kurzarbeit massive finanzielle Einbußen gehabt. Und durch die derzeitigen drastischen Preissteigerungen dieser Kostenlawine kommt es noch einmal schlimmer daher. Ausbaden müssen das wieder die Kinder und Jugendlichen, weil bei ihnen und bei ihren Bedürfnissen zuerst zu sparen begonnen wird. Ein Fünftel der Kinder in Österreich ist armutsgefährdet und laut mancher Studien wurde – wir haben es ja heute schon gehört – der Begriff Toastbrotkinder kreiert. Das sind jene Kinder, deren Eltern das Geld ausgeht und die am Ende des Monats nur noch Toastbrot zu essen bekommen. Das kann man in Studien bereits nachlesen. Nun gibt es einen Bundeskanzler, der sich hinstellt und erklärt, wenn die Eltern kein Geld haben, dann sollen sie doch bitte zu einer Fast-Food-Kette gehen und den Kindern einen Burger kaufen. – Ja, das ist ungeheu­er­lich! Es ist so menschenverachtend und erschüttert mich, weil es eines Landes wie Österreich nicht würdig ist. (Beifall.)

Es zeigt allerdings deutlich und auf dramatische Art und Weise, wie wichtig das Thema in der heutigen Enquete ist. Nun wird ja auch noch die arbeits­rechtliche Karenz von 24 Monaten auf 22 Monate gekürzt – und wieder einmal wird die Familienpolitik auf dem Altar der Wirtschaft geopfert. Wir haben es gerade zuvor vom EU-Jungendbotschafter gehört, wie wichtig das Aufwachsen von Kindern in Familien ist, und da kann ich ihm nur zu 100 Prozent recht geben.

Wir Freiheitliche haben eine eigene Vorstellung von Familienpolitik. Wir wollen den Menschen freie Wahlmöglichkeit bieten. Manche wollen, dass ihre Kinder in einer Krabbelgruppe, im Kindergarten, in einer institutionellen Einrichtung erzogen werden. Dafür muss man auch die Voraussetzungen schaffen – zum Beispiel mit einem Gratiskindergarten. Es braucht aber auch die Wertschätzung für jene Eltern, die ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr zu Hause erziehen – nämlich auch in finanzieller Hinsicht. Das heißt, Mütter und Väter, die ihre unter Dreijährigen selbst betreuen wollen, sollten finanziell unterstützt werden.

Damit würden drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Für die Gemeinden käme es erstens billiger, zweitens würde dem eklatanten Personalmangel in der Elementarpädagogik entgegenwirkt, und drittens – und das ist für mich das Wichtigste – würde dem Wunsch der Kinder Rechnung getragen werden. Wir können vielfach nachlesen, was kleine Kinder dazu sagen. Na klar, die möchten von Mama und Papa großgezogen werden. Sie möchten zu Hause erzogen werden. Auch darüber gibt es Studien. Darum finde ich oft die Diskussion, in der uns Eltern die Fähigkeit, unseren Nachwuchs selbst aufzuziehen, abgesprochen wird, nicht in Ordnung. Diese Abwertung ist Bashing gegen Eltern. (Beifall.)

Wir alle wollen glückliche, zufriedene Kinder sehen. Als Kind glücklich zu sein bedeutet, später ein glücklicher Erwachsener zu sein. Geben wir unserem Nachwuchs, den Kindern und Jugendlichen die Chance und schaffen wir ihnen gemeinsam Perspektiven! (Beifall.)

12.16


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für den Beitrag.

Zuletzt darf ich in Vertretung des Herrn Fraktionsvorsitzenden der Grünen Frau Bundesrätin Simone Jagl das Wort erteilen. – Bitte, Frau Bundesrätin.


12.17.09

Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich)|: Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Expert:innen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher via Livestream! Wir wollen und müssen Kindern Perspektiven bieten. Wir müssen die besten Bedingungen schaffen, damit Kinder gut und in einer lebenswerten Welt erwachsen werden können. Das ist unsere Verantwortung und unsere Pflicht. Wir haben in den letzten drei Stunden sehr viel davon gehört, was Kinder brauchen, wie es ihnen geht und wie sie von Armut betroffen sind. Wir haben ja gehört, dass in Österreich – einem der reichsten Länder der Welt – 368 000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet sind. Das ist eine höhere Zahl als die der Einwohner:innenzahl von Graz.

Was bedeutet es allerdings, armutsgefährdet zu sein? Darüber wurde heute auch schon sehr viel Eindrückliches berichtet. Ich glaube aber, das Thema ist so wichtig, dass man es nicht oft genug wiederholen kann. Deswegen wiederhole ich vielleicht auch einiges, was vorher schon gesagt wurde. Ich hatte vor einiger Zeit ein interessantes Gespräch mit jemandem, der gemeint hat, dass die Grenze zur Armutsgefährdung – der Herr Landeshauptmann hat es heute schon vorgerechnet – für eine vierköpfige Familie ungefähr bei 2 900 Euro liegt und dass das eh relativ viel ist. Er hat so ein bisschen in den Raum gestellt, ob die Menschen, die so viel zur Verfügung haben, sich überhaupt als arm empfinden. Ich glaube, wir sollten ganz vorsichtig damit sein, quasi zu beurteilen, mit wie viel Einkommen die Betroffenen auskommen können. Es fällt wahrscheinlich vielen von uns schwer, nachzuvollziehen, wie es sich anfühlt, mit 5 Euro für eine ganze Familie und einen ganzen Tag einkaufen zu müssen. Diese Menschen sind weit davon entfernt, 3,50 Euro für eine warme Mahlzeit pro Kind zu haben.

Armut bedeutet auch Ausgrenzung für Kinder, auch das haben wir schon gehört. 368 000 Kinder: Das ist jedes fünfte Kind. Das bedeutet, dass in den jeweiligen Klassen unserer zwei jüngsten Söhne vier bis fünf Kinder, vier bis fünf Freundinnen und Freunde dabei sind, die nicht auf Sportwochen mitfah­ren und nicht an Ausflügen teilnehmen können. Sie nehmen vielleicht Geburtstagseinladungen an, sind aber dann zufälligerweise jedes Mal krank, weil sich ihre Eltern einfach nicht die paar Euro für ein Geschenk für das Geburts­tagskind leisten können.

Das kenne ich. Als Obfrau des Elternvereins werde ich immer wieder damit konfrontiert, es berichten mir immer wieder Eltern von genau solchen Situatio­nen, und auch als Mutter kenne ich das. Wir haben heute schon von Toast­brottagen gehört – ich kenne Ähnliches aus meiner Kindheit: Das waren die Kartoffeltage, und von Butterkartoffeln hätten wir nur träumen können, weil die Butter einfach zu teuer war, wir haben bestenfalls die günstigste Margarine dazu gehabt.

Ja, Armut ist bedrückend, Armut macht physisch und psychisch krank. Unter all den Schwierigkeiten, die Armut mit sich bringt, wiegen die gesundheitlichen Auswirkungen natürlich besonders schwer. Wir wissen, dass armutsbetroffene und armutsgefährdete Erwachsene und Kinder besonders häufig unter gesundheitlichen Problemen leiden, das ist durch zahlreiche Studien hinlänglich bekannt. Wir wissen auch, dass diese Ungleichheit selbst auf die Lebenserwar­tung Auswirkungen hat: Frauen aus einkommensstärkeren Familien mit einer guten Ausbildung leben bis zu 2,8 Jahre länger, Männer sogar bis zu 6,2 Jahre länger.

Zudem ist die soziale Mobilität in Österreich sehr gering; das heißt, wenn jemand einmal in einer einkommensschwachen oder armutsgefährdeten Position ist, dann dauert es durchschnittlich bis zu vier Generationen, um dem zu entkom­men. Das ist neben aller moralischen und ethischen Tragik auch volkswirtschaftlich eigentlich ein Irrsinn. Kinderarmut zu bekämpfen ist kein Kinderspiel und es darf auch nicht bei leeren Versprechungen bleiben. Gerade in Zeiten mit so hoher Inflation ist das durchaus eine Herausforderung. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig.

Wir haben in den letzten Monaten einige Schritte in die richtige Richtung gemacht: Einer davon ist die Valorisierung der Sozial- und Familienleistungen. Das klingt sperrig und unaufregend, ist aber ein sozialpolitischer Meilenstein. Ich möchte das an meinem eigenen Beispiel, meiner Familie festmachen: Wir haben bis vor Kurzem für unsere jüngsten Kinder ähnliche oder die gleichen Fami­lienbeihilfebeträge bekommen wie vor vielen Jahren für unsere erwachsenen Kinder. Das wurde eben geändert, das ist wirklich ein Meilenstein.

Auch die Antiteuerungspakete für Familien, die wir in den letzten Monaten auf den Weg gebracht haben, sind wichtige Schritte und vor allem treffsicher. Das hat auch der Budgetdienst durch seine Erhebungen in Bezug auf die Treffsicher­heit dieser Pakete noch einmal deutlich gemacht. Nur, um es an einer Zahl festzumachen: Die Antiteuerungspakete für Familien kommen beim untersten Einkommensdezil – das heißt, bei den 10 Prozent der Familien mit dem geringsten Einkommen – zu über 40 Prozent an. Das ist schon relativ treffsicher. Auch das 4,5-Milliarden-Paket für die Kinderbetreuung wird einen Beitrag leisten. Wir haben gehört – und es stimmt –: Kinder haben umso bessere Chancen, einem möglicherweise sozial benachteiligten Status zu entkommen, je früher sie in Bildungseinrichtungen betreut werden.

Können wir uns auf diesen Maßnahmen ausruhen? – Nein. Langfristig ist für uns Grüne jedenfalls klar: Wir müssen existenzsichernde, verlässliche Strukturen für Kinder schaffen. Das heißt: Die Kindergrundsicherung ist unsere Vision, damit eben kein Kind mehr am eigenen Leib erfahren muss, was Armut bedeutet.

Zum Schluss möchte ich noch auf einen ganz wesentlichen Bereich hinweisen, wenn es darum geht, Kindern Perspektiven zu ermöglichen. Da schaue ich eine meiner Vorrednerinnen, Lena Schilling, an, die gemeint hat, sie fühlt sich nicht unbeschwert. Es geht nämlich um den Zustand der Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen. Wir brauchen einfach wirklich mehr Energie auf allen Ebenen, mehr Anstrengungen und mehr Ernsthaftigkeit im Klimaschutz – denn Kinder haben ein Recht darauf, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, ihnen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. – Danke schön. (Beifall.)

12.24


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für diesen Beitrag.

Wir gelangen nun zu den Beiträgen der Teilnehmer:innen. Ich darf an dieser Stelle erneut darauf hinweisen, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche gleichzeitig darum, diese Vorgabe auch einzuhalten. Ich darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Redner:in­nenpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt.

Die Wortmeldungen, die unter Nennung Ihres Namens und Ihrer Institution abgegeben wurden, sind bereits eingegangen.

Zu Wort gemeldet ist Frau Vizepräsidentin Doris Hahn. – Bitte.


12.25.29

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Frau Präsidentin, herzliche Gratulation zur Ausrichtung dieser wirklich ganz besonders wichtigen Enquete! Wir haben so viele unterschiedliche Beiträge, Aspekte und Facetten dieser gesamten Thematik gehört, und da muss ich sagen: Es war so vieles dabei, das mir sowohl als Politikerin als auch als Pädagogin und Schulleiterin, die ich ja auch bin, teilweise wirklich aus dem Herzen gesprochen hat. Ja, jetzt müssten wir dann eigentlich auf politischer Ebene ins Tun kommen.

Es geht ja darum, Chancen zu ermöglichen und Perspektiven zu geben. Ein Aspekt, der mir noch ein bisschen gefehlt hat, der heute eigentlich noch gar nicht angesprochen wurde, ist die Lage von Kindern, die es vielleicht sogar noch ein Stückchen schwieriger haben, sich selbst Chancen zu ermöglichen und zu erarbeiten und gute Perspektiven vorzufinden – und zwar sind das Kinder und Jugendliche mit Behinderungen.

Wir wissen: 2008 hat Österreich ganz bewusst die UN-Konvention unter­schrieben und sich damit auch zur Inklusion und zu einem inklusiven Bildungssystem verpflichtet. Seither sind 15 Jahre vergangen. Es hat immer wieder große Pläne gegeben, es hat Nationale Aktionspläne gegeben – unzählige Absichtserklärungen, muss man sagen. Wie schaut allerdings die Realität heute aus, 2023? Nach wie vor gibt es für Kinder mit Behinderungen unzählige Barrieren und Hindernisse, die es zu überwinden gilt – und man muss ganz ehrlich und offen sagen: Österreich ist in den allermeisten Bereichen im Bereich der Inklusion nicht über Absichtserklärungen hinausgekommen. Das bestätigt der UN-Bericht, das bestätigen Berichte des Monitoring-Ausschusses, der Schattenbericht zur List of Issues und viele andere mehr.

Noch immer gibt es keinen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Elementar­bildungseinrichtung für Kinder mit Behinderungen; es gibt keinen Rechts­anspruch auf das 11. oder 12. Schuljahr. Es gibt immer noch diese wirklich völlig willkürliche Deckelung, was die Finanzen des Bundes betrifft, von 2,7 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Das heißt, der dritte, vierte und fünfte Prozentsatz hat sozusagen einfach nicht mehr sonderpädagogisch zu fördern zu sein; das ist empirisch schlicht und einfach nicht begründbar.

In Wahrheit wird immer noch der Ausbau von Sonderschulen in Österreich forciert und gefördert, anstatt genau diese Ressourcen in den Bereich der Inklu­sion zu investieren. In Niederösterreich – einige Vertreterinnen und Vertreter sind ja heute anwesend – sehen wir auch ganz bewusst eine Abkehr von der Inklusion wieder hin zum Sonderschulwesen. In meinem Bezirk werden beispiels­weise aktuell 6 Millionen Euro für den Neubau einer Sonderschule ausgegeben. Ich möchte jetzt nicht skizzieren, wie man 6 Millionen Euro für Maßnahmen in die Inklusion investieren könnte, wenn der Wille dazu da wäre.

Immer noch – und das ist eigentlich das Traurigste an der ganzen Geschichte – müssen Eltern um Kindergartenplätze kämpfen. Sie müssen auch teilweise das Recht auf Bildung für ihre Kinder einklagen – beispielsweise für Unterstützungs­personal, für Assistentinnen und Assistenten in diesem Bereich. Oftmals müssen auch Bürgerinitiativen eingreifen und unterstützend wirken, weil es die Politik nicht tut.

Zum positiven Abschluss kann ich allerdings aus eigener Erfahrung berichten: Ich komme zum Glück aus einer Schule, aus einer Gemeinde, in der Inklusion im Alltag Realität geworden ist, in der ich mich zum Glück auch als Schulleiterin immer darauf verlassen kann, dass wir die Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen. Das ist eine wirklich schöne Realität, wenn wir sehen, dass alle Kinder gleichermaßen miteinander und voneinander lernen können. Inklusive Bildung ist möglich, wenn man sie verwirklichen will und wenn man sich auch allen Herausforderungen, die es natürlich gibt, stellt und alle Ressourcen, die offen­sichtlich zur Verfügung stehen, in die Hand nimmt – dann kann vieles passieren. Wir haben es heute schon gehört: Die Trennung des Schulsystems, die ja in vielen, vielen Bereichen da ist, muss in Wahrheit einfach längst der Vergangenheit angehören. Es geht um das Voneinander- und um das Miteinanderlernen, davon profitieren alle Kinder, davon profitiert letztendlich auch die gesamte Gesellschaft als großes Ganzes.

Ich glaube, es braucht einfach dringend einen systemischen Wandel im gesam­ten Bildungssystem, angefangen bei der Elementarbildung, bis zur höheren Schulbildung, bis zur Universität. Es geht um die Inklusion von Kindern, um die Teilhabe, um das Ermöglichen von Chancen in allen Bereichen des Lebens. Ich glaube – wir hier herinnen haben natürlich alle einen großen politischen Background –, es geht auch darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es möglich ist, wenn der Wille da ist.

Unsere Welt ist vielfältig, unsere Welt ist bunt, ich glaube, auch wir Menschen sind vielfältig, und da gehören ganz eindeutig auch Menschen mit Behin­derungen dazu; sie muss man hereinholen, mitnehmen. Ich glaube, wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, Talente, Potenziale liegen zu lassen, daher gilt es, alle zu fördern, nämlich alle Kinder in Österreich. – Vielen Dank. (Beifall.)

12.31


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für die Aus­führungen.

Als Nächste zu Wort gelangt die erste Vizepräsidentin. – Bitte, Frau Göll.


12.31.21

Bundesrätin Margit Göll (ÖVP, Niederösterreich)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Landeshauptmann! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Dass heute dem Elementarpädagogikbereich ein so großer Stellenwert eingeräumt wird, freut besonders mich wirklich sehr. Ich bin zum einen gelernte Elementar­pädagogin und durfte Leiterin eines Kindergartens sein, ich war aber auch als Kindergarteninspektorin, also auf der anderen Seite, tätig und konnte die Veränderung und die Entwicklung in diesem Bildungsbereich über drei Jahr­zehnte verfolgen.

Ich habe den Referentinnen und Referenten wirklich sehr aufmerksam zugehört und ich kann vieles von dem, was gesagt wurde, aus der Praxis heraus bestä­tigen, aber ich muss auch sagen, dass gerade in den letzten Jahren, in den letzten zwei Jahrzehnten viele Maßnahmen und auch viele Rahmenbedingungen verändert, verbessert wurden, auch in Hinsicht auf die Familienveränderungen, die sich ergeben haben. Wir dürfen aber nie aufhören, hinzusehen, hinzuhören, was die Kinder und unsere Familien brauchen. Nach oben hin gibt es natürlich immer Wünsche – seitens der Familien, aber natürlich auch seitens der Pädagog:innen.

Zurück zu den verbesserten Rahmenbedingungen: Die Finanzausgleichsver­hand­lungen, die FAG, sind ja nun abgeschlossen. Es konnten 100 Milliarden Euro an Steuermitteln für die Schaffung eines Zukunftsfonds – das ist insbesondere frisches Geld für die Elementarbildung, die Wohnbausanierung und für den Klimaschutz – aufgestellt werden. Das ist frisches Geld, das in die Gemeinden und in unsere Länder kommt.

Zusätzlich wurde natürlich auch der Strukturfonds aufgestockt, das ist wichtig für den ländlichen Raum – von dort komme ich her – und für finanzschwache Gemeinden. Im Zusammenhang mit der Elementarbildung, bei der Schaffung von Bildungs- und Betreuungsplätzen müssen wir natürlich auch die Gemeinden mitnehmen. Für den Ausbau von Bildung im Konkreten werden in den nächsten Jahren vom Bund 4,5 Milliarden Euro in die Hand genommen und investiert. Das fließt natürlich in die Länder und in die Gemeinden.

Ich möchte nur kurz auf alle Finanzmittel eingehen, die es schon gab oder noch gibt: Weiters gab es natürlich auch, wie bereits erwähnt, die Kindergarten­mil­liarde. Es gab das KIP, das Kommunale Investitionsprogramm, das viele Gemeinden für den Ausbau von Bildungs- und Betreuungsplätzen genützt haben. Es gab auch eine EU-Förderung, eine Eler-Förderung, mit der zu 100 Prozent eine Kindergartengruppe oder eine TB, eine Tagesbetreuungsgruppe, gefördert wurde.

Das sind wirklich klare Schritte hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Man will vor allem mehr Bildungs- und Betreuungsangebote für Null- bis Dreijährige schaffen. Wichtig dabei muss sein – das wurde auch erwähnt –, den Familien die Wahlfreiheit zu überlassen. Das Angebot müssen wir in unseren Ländern, in unseren Gemeinden haben, aber die Familie soll die Wahlfreiheit haben.

Ja, es ist eine Herausforderung für die Gemeinden. Ich selbst bin auch Bürgermeisterin und weiß, wie wichtig die Themen Bildung und Betreuung in unseren Kommunen sind und wie wichtig es ist, für die Zukunft vorzusorgen, denn dort, wo es ein gutes Angebot gibt, werden sich junge Menschen natürlich auch ansiedeln und angenommen fühlen und ihren Berufen weiter nachgehen.

Als Pädagogin weiß ich natürlich, wie wichtig elementare Bildung ist, dass da Schritte notwendig sind, um unsere Kinder bestens auf ihrem Bildungs- und Lernweg zu unterstützen, zu begleiten und sie in ihren Stärken zu fördern. Mit den Mitteln des Bundes und der Länder wird es uns in den Gemeinden möglich sein, das beste Angebot für unsere Kinder und Familien zu schaffen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

12.35


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für den Beitrag.

Zu Wort gelangt Nationalratsabgeordnete Petra Wimmer. – Bitte.


12.35.33

Abgeordnete Petra Wimmer (SPÖ)|: Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Danke, danke, danke für das Thema dieser Enquete und damit für die Absicht, die Kinder in den Mittelpunkt der Politik zu rücken und die Interessen der Kinder auch auf politischer Ebene zu diskutieren. Die positive Formulierung des Perspektivenschaffens gefällt mir so gut, weil wir damit einen konstruktiven Weg einschlagen.

Ich bedanke mich auch bei den Referentinnen und Referenten, die hier vieles aufgezeigt haben, auch für die Erläuterung möglicher Perspektiven und das teilweise erfolgte Aufzeigen nicht vorhandener Perspektiven für einen Teil der österreichischen Bevölkerung und für jedes fünfte Kind in Österreich.

Neben meiner Tätigkeit als Abgeordnete, die ich seit einigen Jahren ausführen darf, bin ich – viel, viel länger – in der Wohnungslosenhilfe tätig. Seit über 20 Jahren bin ich mit dem Thema befasst, habe selber viele Jahre obdachlose Menschen – Familien, Männer, Frauen, Kinder –betreut und kenne die Problemlagen von armutsgefährdeten, von sehr armen Menschen in Österreich wirklich aus erster Hand. Ich weiß, wie sich kalte Wohnungen anfühlen, und ich kenne die Sorgen und Nöte der Menschen, die Angst haben, delogiert zu werden, die nicht wissen, wie sie ein ganzes Monat über die Runden kommen sollen.

In diesem Zusammenhang habe ich auch ganz oft erlebt, dass Armut vererbt wird. Wenn man Familien über zehn Jahre lang betreut und nach zehn Jahren die Kinder dieser Familien an die Notschlafstellentür klopfen und einen Platz in der Notschlafstelle brauchen, dann wird einfach deutlich, dass das System oft nur Symptome bekämpft, aber keine nachhaltigen Effekte hat. Darum braucht es wirklich strukturelle Maßnahmen.

Es ist klar, dass wir einen strukturellen Plan und Lösungen und ein ganz klares politisches Bekenntnis zur Armutsbekämpfung, zur Bekämpfung von Kinder­armut brauchen. Nur so ist es möglich, wirklich Perspektiven zu schaffen, Chancengleichheit für die Zukunft und einen langfristigen Weg aus der Armut zu ermöglichen.

Ein ganz wichtiges Bekenntnis in diesem Zusammenhang – das ist mir auch so wichtig, darum poche ich ganz oft darauf – ist der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Kindergarantie. Es ist umso tragischer, dass es Österreich nach wie vor nicht geschafft hat, und das seit zwei Jahren, diesen Plan vorzulegen. Dieser Plan fehlt uns in der Politik, denn nur mit einem Plan, den wir gemeinsam abarbeiten können, ist es möglich, strukturelle Maß­nah­men auf allen Ebenen zu treffen. Ich finde, es ist ein Armutszeugnis im wahrsten Sinne des Wortes, dass Österreich nun schon fast Schlusslicht in Europa ist. Neben Lettland und Rumänien gehört Österreich zu den letzten drei Staaten, die diesen Plan noch nicht abgegeben haben.

Wir brauchen diesen roten Faden, um auf der politischen Ebene tätig werden zu können, um nicht nur punktuell Maßnahmen zu setzen, sondern wirklich einen konkreten Plan für Österreich zu haben. Wir hätten das Potenzial dazu – das ist heute auch schon des Öfteren gesagt worden –, Vorreiter und nicht Schlusslicht in Europa zu sein.

Diese Enquete ist ein klarer Arbeitsauftrag an uns in der Politik, das anzugehen. Ich möchte mit einigen Zitaten unserer Referenten schließen, die das sehr gut zusammenfassen.

Ali Mahlodji hat gesagt: Sorgen wir für die richtigen Rahmenbedingungen, das ist unser Auftrag! Barbara Blaha hat gesagt, „die Mittel dazu hätten wir.“ – Auch das ist richtig. Lena Schilling hat gesagt: Es liegen alle Fakten auf dem Tisch, es ist Zeit zu handeln! – Vielen Dank. (Beifall.)

12.39


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank für den Beitrag.

Zu Wort gelangt Bundesrätin Christine Schwarz-Fuchs. – Bitte.


12.39.40

Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP, Vorarlberg)|: Frau Präsidentin, vielen Dank für dieses sehr wichtige Thema unserer heutigen Enquete. Bildung ist mehr als nur das Erlernen von Fakten und Zahlen, sie ist die Grundlage für ein erfülltes und erfolgreiches Leben. Ich bin Ausschussvorsitzende des Bildungs­ausschusses der Industriellenvereinigung und beschäftige mich schon sehr lange mit dem Thema Bildung, vor allem auch mit frühkindlicher Bildung.

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Bildung einen signifikanten Einfluss auf die Lebensqualität hat. Die Studien besagen, dass Menschen mit höherer Bildung tendenziell bessere Karrierechancen und ein höheres Einkommen haben. Außerdem geht Bildung mit einer niedrigeren Arbeitslosenquote einher. Menschen mit höherer Bildung haben bessere Chancen, in der sich wandelnden Arbeitswelt erfolgreich zu sein, und können somit für sich und ihre Familien finanzielle Stabilität gewährleisten.

Jeder in frühkindliche Bildung investierte Euro fließt später achtfach in die Gesellschaft zurück. Manche Studien eine Schweizer Studie zum Beispiel  sagen sogar, jeder Euro fließt zwanzigfach in die Gesellschaft zurück. Menschen, denen frühkindliche Bildung ermöglicht wurde, haben, wie bereits erwähnt, tendenziell bessere Jobs und zahlen dadurch natürlich auch mehr Steuern. Sie sind weniger krank und belasten dadurch unser Gesundheitssystem viel weniger.

Bundesrätin Doppler hat vorhin erwähnt, dass Kinder von Mama und Papa erzogen werden wollen. Ich möchte dazu auch noch kurz etwas sagen: Gerade Kindern aus bildungsfernen Schichten werden Chancen genommen, wenn sie nur zu Hause erzogen werden. Natürlich ist das Zuhause sehr wichtig, aber es gibt Studien, die zeigen, dass es gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten sehr wichtig ist, dass sie frühkindliche Bildung außerhalb des eigenen Zuhauses bekommen, da sie zu Hause oft nicht gefördert werden. (Beifall.)

Bildung fördert Toleranz, Empathie und soziale Verantwortung. Bildung ist daher nicht nur eine persönliche Ressource, sondern ein gesellschaftliches Gut. Eine gut ausgebildete Bevölkerung trägt zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Innovation und dem sozialen Zusammenhalt bei. Sie fördert den Austausch von Ideen und die Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen. Es ist daher wichtig und sehr erfreulich, dass die zuletzt von Bundeskanzler Karl Nehammer angekündigte Investition in die Elementarpädagogik in Höhe von rund 4,5 Mil­liarden Euro nun in frühkindliche Bildung fließen wird. Ich sage bewusst nicht Kinderbetreuung, sondern frühkindliche Bildung. Frau Univ.- Prof.in DDr.in Christiane Spiel hat heute in ihrem Panelbeitrag richtigerweise darauf hingewiesen, dass in diesem Alter schon sehr viel Bildungsarbeit passiert und man daher nicht nur von Kinderbetreuung reden soll.

Frühkindliche Bildung ist die Grundlage für den weiteren Lebensweg unserer zukünftigen Generationen. Wie der steirische Landesrat Werner Amon heute bereits erwähnt hat, ist Bildung ein Menschenrecht. Bildung reicht von der Elementarpädagogik bis zur Erwachsenenbildung und ist die Basis für ein gutes Leben. – Vielen Dank. (Beifall.)

12.43


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank für den Beitrag.

Zu Wort gelangt jetzt Karin Zimmermann vom ÖGB. – Bitte.


12.43.21

Mag. Karin Zimmermann (Österreichischer Gewerkschaftsbund)|: Schönen guten Tag von meiner Seite! Vielen Dank für die tolle Enquete, das ist wirklich sehr spannend. Für den Österreichischen Gewerkschaftsbund, für den ich heute da sein darf, möchte ich noch einmal ein Thema herausgreifen, das auch schon angesprochen wurde, von dem ich aber denke, wir sollten noch einmal darauf schauen, nämlich das Thema Mitbestimmen und Mitgestalten. Das muss in einem zukünftigen Bildungssystem ein ganz zentrales Element sein.

Wir haben schon gesagt, wir wollen hin zu Bildungsorten, an denen Kinder auch kritisches Denken, soziales Handeln lernen. Da wäre ein ganz wichtiger Beitrag, dass sie auch lernen, wie man mitbestimmen und mitgestalten kann. Wir wissen ja, dass es Gruppen gibt, die finanziell und ökonomisch benachteiligt sind, die sich dann auch schwerer tun, an Beteiligungsprozessen teilzunehmen. Da ist es ganz wichtig, das auch in der Schule schon zu erlernen und zu erfahren.

Was Rihab (in Richtung Frau Toumi) gesagt hat, gibt es da aber natürlich ein sehr wichtiges Moment, nämlich: keine Scheinpartizipation, sondern schauen, wie man in Kindergärten, in Schulen Mitbestimmung erlebbar machen kann, die Lernorte, die Umgebung gemeinsam gestalten kann, und Beteiligungsprozesse wirklich möglich machen.

Wir wissen aus der Demokratieforschung, dass genau diese unmittelbare Mitbestimmung es ist auch bei der betrieblichen Mitbestimmung so  ganz wichtig ist, auch im Erfahren von Demokratie, und dass sozusagen diese Erfahrung, den eigenen Arbeits- und Lebensbereich zu gestalten, auch dazu führt, dass man größeres Vertrauen in Demokratie hat. Ich glaube, das ist etwas, was wir in diesen Tagen ganz, ganz dringend brauchen.

Von Rihab auch schon angesprochen wurde das Thema politische Bildung. Da ist es uns als Österreichischer Gewerkschaftsbund ganz wichtig, dass das ein eigenes Unterrichtsfach wird, denn es kann nicht sein, dass Schüler, Schülerin­nen aus der Schule kommen und nicht über arbeits- und sozialrechtliche Grundlagen Bescheid wissen, nicht über ihre Rechte Bescheid wissen und nicht wissen, wie sie sich in der Arbeitswelt einbringen können.

Ich möchte – (auf das rot blinkende Lämpchen auf dem Redner:innenpult blickend:) das Licht blinkt schon – mit einem Zitat enden, und zwar einem Zitat einer ehemaligen Jugendvertrauensrätin. Sie hat gesagt, wie ihre Tätigkeit als Jugendvertrauensrätin sie beeinflusst hat. Sie hat gesagt, sie hätte auf alle Fälle gelernt: Nicht aufgeben!

Ich habe anfangs oft meinen Mund gehalten, hatte vielleicht zu wenig Selbst­bewusstsein, dass ich auch wirklich aufstehe als einzige Jugendliche. Das würde ich jedenfalls anderen mit auf den Weg geben, dass man da einfach laut sein soll und sich etwas trauen soll. – Zitatende.

Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel (Beifall) dafür, dass Mitbestimmung hilft, sein eigenes Leben zu gestalten und auch seine Perspektiven zu erkennen und zu erweitern. (Beifall.)

12.46


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für Ihren Beitrag.

Zu Wort gelangt jetzt Bundesrat Bernhard Hirczy. – Bitte.


12.46.55

Bundesrat Bernhard Hirczy (ÖVP, Burgenland)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin, danke für diese Enquete und auch für die Möglichkeit, hier sprechen zu dürfen. Ich möchte einige Punkte aufgreifen.

Die meisten im Saal wissen es: Mir ist die duale Ausbildung wichtig, und ich bin auch stolz darauf, dass ich als Lehrer an einer Berufsschule tätig bin. Ich war unlängst mit einer Schulklasse hier im Hohen Haus, habe eine Führung gemacht und habe auch ein bisschen auf die Einrichtungsgegenstände verwiesen. Ich danke Herrn Leopold Lugmayr für seine Ausführungen, denn es war wirklich ein Schmankerl. Ich bin mit den Tischlern in den historischen Sitzungssaal gegangen und habe dort die Holzladen hergezeigt, diese Zinken. Da hat einer von den Burschen gemeint: Die haben da vor 100 Jahren schon einen Haufen Arbeit gehabt! Heute ist das eine handwerkliche Kunst, die wir zwar noch unterrichten, die aber nur mehr wenige beherrschen. Die Schüler haben das richtig ein­schätzen können, welcher Aufwand das damals war.

Gleichzeitig ist mir auch wichtig, dass ich darauf eingehe – weil das heute auch angesprochen wurde –: Es geht natürlich auch um Nachhaltigkeit, es geht um Klimaziele. Wir bauen das im Unterricht ein. Ich unterrichte als Burgenländer in der Steiermark, dem waldreichsten Bundesland Österreichs. Mir ist der Werk­stoff Holz sehr wichtig, mir sind die Bäume wichtig, daher haben wir im Unter­richt immer wieder den Lebensraum Wald, den Klimawandel, die Klimaziele, die Auswirkungen, aber auch Themen wie Gletscherschmelze und so weiter eingebaut. Das wird sehr wohl von vielen Pädagoginnen und Pädagogen in Österreich im Unterricht eingebaut, dafür bin ich allen Pädagoginnen und Pädagogen sehr dankbar.

Ein weiterer Punkt ist mir sehr wichtig: Da verweise ich auf die duale Aus­bildung. Bei mir an der Schule gab es unlängst ein Treffen von jungen Tischlerinnen. – Ich sage da immer sehr stolz: Unser Beruf wird weiblicher, er wird kreativer. Man muss da alle Denkansätze zulassen, auch das ist eine Facette der Bildung. Um die duale Ausbildung beneidet uns ganz Europa. Es gibt zum Beispiel in Spanien ähnliche Ansätze, aber so wie wir es haben, können wir als Musterbeispiel und Vorzeigeland dienen.

Die Berufsbildung ist mir wichtig, und ich darf hier erwähnen  Werner Amon hat es heute schon gesagt , es ist vom Fundament, von der Elementar­päda­gogik, bis zur Hochschule wichtig, den jungen Menschen Wahlmöglichkeiten zu geben. Auch das wurde geschaffen, und da muss man bei der Wahrheit bleiben. Viele Fraktionen haben in den letzten Jahren in unterschiedlichen Rollen auf Landes- und Bundesebene mitgewirkt, damit wir heute dieses Bildungssystem haben, auf das wir stolz sein können.

Ich möchte auch noch erwähnen, dass es mich als Lehrlingssprecher sehr stolz macht, dass es in ganz Österreich Investitionen gibt, und mir sind wieder einige positive Beispiele nähergebracht worden. Ich war unlängst bei zwei Eröffnungen von Kinderkrippen und Kindergärten. Ich möchte zum Beispiel die Berufsschule in Bad Radkersburg positiv erwähnen  ein wunderschöner Bildungscampus, wo jungen Menschen das Rüstzeug fürs Leben mitgegeben wird –, ich möchte die Berufsschule in Feldbach erwähnen, dort werden Investitionen im Lehrlingshaus getätigt, damit die jungen Menschen, die dort ausgebildet werden, auch entsprechend Karriere machen können.

Ich spreche auch die Einladung für meine Berufsschule in Fürstenfeld aus, die Türen stehen offen, das Gebäude ist schön. Das gilt aber nicht nur für das Gebäude und die guten Werkstätten, es sind die Pädagoginnen und Pädagogen, die dort wirken, und vor allem sind es junge Menschen, die dort eine Ausbildung vom Lehrling zum Facharbeiter genießen, vom Facharbeiter vielleicht zum Unternehmer, vielleicht zum Meister, denn das sind unsere Fachkräfte von morgen.

Das Thema ist sehr vielseitig, aber ich möchte auch festhalten, dass wir bei jeder Diskussion, in der es um Bildung geht, auf die Berufsbildung nicht vergessen, denn wir brauchen auch künftig kompetente, fähige junge Menschen, die unsere Facharbeiter von morgen sind. (Beifall.)

12.50


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank, Herr Bundesrat.

Bitte, Frau Bundesrätin Daniela Gruber-Pruner.


12.50.50

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Expert:innen! Kolleginnen und Kollegen! Zuseherinnen und Zuseher! Ja, wir sind auch stolze Bundesrät:innen hier im Haus und wir sind auch besonders stolz auf ein Format, das es nicht so oft gibt auf dieser Erde und in Europa, nämlich unseren Kinderrechteausschuss. Dieser wurde heute mehrfach angesprochen. Als Vorsitzende dieses Kinderrechteausschusses freue ich mich sehr über die Themenstellung von heute und darüber, dass Kinder und Jugendliche so viel Fokus und Aufmerksamkeit bekommen, die auch notwendig sind, da wir hier viele Versäumnisse haben – darüber haben wir schon gehört. Vielen Dank an alle Expert:innen, die sich tagtäglich für Kinder und Jugendliche einsetzen.

Die Kinderrechte und die Kinderrechtskonvention sind ein bisschen ein unterschätztes Mittel aus meiner Sicht, um uns auch in der Politik und in allen Tätigkeitsfeldern einen Referenzrahmen zu geben, an dem man sich ent­langarbeiten könnte, um allen Kindern und allen Jugendlichen ein gutes Leben zu ermöglichen. Und auch der Titel der heutigen Enquete hantelt sich eigentlich – ich weiß gar nicht, ob geplant oder ungeplant – an der Kinderrechtskonvention entlang, denn man kann die Kinderrechtskonvention in drei Säulen ver­stehen.

Es gibt hier einerseits die Schutzrechte. Es wird festgehalten, dass Kinder in ihrer Existenz abgesichert werden müssen, dass sie vor Gewalt geschützt werden müssen, aber der Schutz betrifft auch das Thema der Sicherheit und des Wohlbefindens und des Angenommenseins, so wie Kinder sind. Und dieses Thema unbeschwert sein, das hat ganz viel mit Sicherheit und Wohlbefinden zu tun.

Der zweite Bereich in der Kinderrechtskonvention sind die Versorgungsrechte, die Fürsorgerechte, wo es um Bildung geht, wo es um Gesundheitsversorgung geht, aber auch um die Möglichkeit, Kultur, Freizeit in Anspruch nehmen zu können. Dieser Bereich spricht den Chancenreichtum an, wann Türen in einer Kindheit aufgehen und wann sie verschlossen bleiben.

Und der dritte Bereich, der auch angesprochen wurde, ganz zu Recht, ist jener, bei dem es um die Beteiligung und die Teilhabe junger Menschen geht, also demokratisch erwachsen werden, denn die Demokratie ist eine Staatsform, die gelernt werden muss. Das zu tun und diese Beteiligung und Teilhabe jungen Menschen zu ermöglichen ist absolut unabdingbar. Das heißt, dieser Referenzrahmen der Kinderrechtskonvention könnte für uns alle in allen Bereichen eine Richtschnur für gute Entscheidungen und für richtiges Handeln sein.

Es gibt zwei Schwachstellen in der Kinderrechtskonvention und die sind heute auch angesprochen worden. Die eine ist, es gibt noch kein wirkliches Recht auf eine intakte Umwelt und damit Zukunft –das müssten wir eigentlich in die Kinderrechtskonvention einbauen, das können wir noch nachholen –, und die zweite ist die Einklagbarkeit, die heute schon Thema war: Wie können Kinder und Jugendliche wirklich diesen Anspruch auf ihre Rechte einklagen? Das heißt, ich lade alle ein, egal, wo wir arbeiten, egal, in welcher Form wir für Kinder und Jugendliche tätig sind, ab jetzt, ab morgen diese Kinderrechte ernst zu nehmen, als Richtschur herzunehmen und jeden Tag einen Schritt zur Verbesserung einzuleiten. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

12.54


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.

Bitte, Herr Nationalrat Norbert Sieber.


12.54.35

Abgeordneter Norbert Sieber (ÖVP)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Experten und Expertinnen! Geschätzt Kolleginnen und Kollegen! Zunächst Danke, dass ich als Nationalratsabgeordneter hier an der Enquete des Bundes­rates teilnehmen durfte, und Danke für die verschiedenen Vorträge, die gezeigt haben, dass die Zugänge zu diesem Thema durchaus verschieden sind und auch verschiedene Sichtweisen vorherrschen.

Kinderarmut aber – da sind wir uns schon einig –, das wollen wir in Österreich vermeiden, da wollen wir gegensteuern, da wollen wir auch entsprechend Verbesserungen platzieren. Deshalb wurde aber auch schon viel getan, und das nicht erst seit Kurzem, sondern über viele Jahre und Regierungen hinweg wurde die Kinderarmut sukzessive gesenkt. Jahr für Jahr ist sie etwas gesunken, bis zum Jahr 2019, dann natürlich bedingt durch die Krisen und Pandemien etwas gestiegen, zuletzt aber auch wieder in die richtige Richtung gesunken.

Hier muss man sich auch das System ansehen: 60 Prozent des Medianeinkom­mens sind die Armutsgrenze. Das führt dazu, wie wir vom Herrn Landes­haupt­mann bereits gehört haben, dass ein Erwachsener mit einem Kind 1 810 Euro netto pro Monat und eine Familie mit zwei Erwachsenen und drei Kindern 3 342 Euro netto zur Verfügung haben müssen, um eben nicht als armutsgefährdet zu gelten. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich kenne viele Familien in meinem Umfeld, die sind sich gar nicht dessen bewusst, dass sie offensichtlich armutsgefährdet sind, denn ein Einkommen von netto 3 300 Euro ist in vielen Familien ein sehr gutes Einkommen.

Vor Kurzem wurde im „Kurier“ berichtet, dass in Wien zum Beispiel eine solche Familie – beide Elternteile Sozialhilfeempfänger – mit drei Kindern diese Werte erreichen. Und, meine Damen und Herren, hier gilt es dann, aufzupassen, dass eben Sozialeinkommen und Erwerbseinkommen nicht zu nahe beieinander sind. Deswegen sage ich auch sehr klar, Leistung muss sich auch in Zukunft lohnen. (Beifall.)

Dennoch hat die Regierung in den letzten Jahren eine Vielzahl an Familien- und damit Kinderleistungen ausgebaut. In der Pandemie wurde von 2020 bis Ende 2021 über 1 Milliarde an direkten Leistungen ausgeschüttet. Seit 2023 werden sämtliche Familienleistungen valorisiert – eine Forderung, die wir über Jahr­zehnte gehört haben, die von dieser Regierung umgesetzt wurde, bereits jetzt erstmalig entsprechend mehr an Geldmitteln zu den Familien bringt und in Zukunft auch wirken wird.

Die Abschaffung der kalten Progression bringt natürlich den Familien auch mehr Netto vom Brutto – auch ein Projekt, das über viele Regierungszeiten hinweg gefordert und von dieser Regierung umgesetzt wurde. Das letzte Drittel, das von manchen dann gescholten wurde, das ist eben nicht abgeschafft, denn damit gestalten wir auch entsprechende Maßnahmen, wie zum Beispiel, dass wir den Kindermehrbetrag auf 700 Euro angehoben haben. Das ist auch ein wichtiger Punkt und gerade gegen Kinderarmut zielführend.

Meine Damen und Herren, es ist ganz sicher viel passiert, auf das wir stolz sein können. Ich weiß, in der politischen Auseinandersetzung kann man nicht von der Opposition erwarten, dass man gelobt wird, aber, meine Damen und Herren, sehen wir das Glas als das an, was es ist, nämlich mindestens halb voll. Wir werden entsprechend weiterarbeiten. – Danke. (Beifall.)

12.58


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank, Herr Nationalrat.

Bitte, Frau Ilkim Erdost.


12.58.46

Mag. (FH) Ilkim Erdost, MSc (Arbeiterkammer Wien)|: Liebe Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Ich möchte mich sehr, sehr herzlich für diese Initiative bedanken. Es ist wirklich ein sehr, sehr wichtiges Thema und leider oftmals übersehen und überhört.

Lassen Sie mich damit beginnen, dass aus unserer Sicht und aus Sicht der Arbeiterkammer junge Menschen nicht nur ein Recht auf eine gute Zukunft haben, sondern auch ein Recht auf ihre Gegenwart. Sie haben ein Recht darauf, dass sich ihre Lebens-, Arbeits-, Ausbildungsbedingungen auch im Hier und Heute ändern, und daher kann dieses Thema nicht hoch genug geschätzt werden. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht in diesem Zusammen­hang für Sie. Vieles ist bereits gesagt worden, ich kann nahtlos anknüpfen.

Beginnen wir mit der schlechten Nachricht und die ist jene, dass es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Position von Familien, von Menschen und natürlich vielen anderen Indikatoren gibt: Wir haben über Gesundheit gehört, wir haben über Bildungspolitik gehört, aber auch über demokratische Repräsentation. Und die Frage, ob man sich in diesem demokratischen System repräsentiert fühlt, hat sehr viel mit dem Einkommen zu tun, hat sehr viel mit Lebens- und Arbeitsbedingen zu tun.

So ist es so, dass 58 Prozent des oberen Einkommensdrittels sagen, dass sie in der Politik etwas bewirken können, und leider nur 35 Prozent des unteren. Genauso ist es allerdings auch – und dieser Trend setzt sich fort – bei jungen Menschen. Gerade einmal 48 Prozent der Lehrlinge fühlen sich von der Politik repräsentiert, im Gegensatz zu 31 Prozent der Schüler:innen, die sich hier nicht repräsentiert fühlen. Das heißt allerdings auch, dass die unteren Einkommens­drittel weniger zur Wahl gehen, das heißt, es schlägt sich nahtlos in der Wahlbeteiligung nieder. 54 Prozent des unteren Einkommensdrittels, auch unter den Jungen, sagen, dass die Demokratie etwas bewirkt. Das halten wir für wirklich alarmierende Zahlen.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht und diese gute Nachricht ist, dass gerade Ausbildungssysteme, dass Strukturen, wo junge Menschen in Ausbildung sind, wo sie gehört werden und mitentscheiden können, ob das in der Lehre ist, ob das in der Schule oder in ihren persönlichen Zusammenhängen ist, einen großen Unterschied machen. Dann sagen nämlich 70 Prozent, ich möchte hier etwas bewirken und ich möchte mich engagieren, ich nehme auch gerne an Wahlen teil. Dann sagen auch jene, dass sie vor allem auf Werte wie Zusammenhalt, intergenerationellen Zusammenhalt und Solidarität setzen. Das heißt allerdings auch für uns – es ist bereits mehrfach gefallen – Investitionen in diese Ausbildungssysteme, Investitionen in die Lehrausbildung, Investitionen in Berufsschulen, Investitionen in Schulen, in die Elementarpädagogik, sodass diese ihren Bildungsauftrag auch wirklich wahrnehmen können, da diese Investitionen erst diese Teilhabe ermöglichen.

Gerade jetzt und heute sind wir vielfach nur damit beschäftigt, Lücken zu schließen im System, bei den Ressourcen, bei der Ausstattung der Schulen, der Ausstattung der Elementarpädagogik, genauso Lücken zu schließen bei den Kompetenzen der Jungen, der Schülerinnen und Schüler, und das ist aus unserer Sicht zu wenig. Es gibt hier große Potenziale zu heben und wenn wir vor allem in die Zukunft schauen, dann brauchen wir einerseits natürlich jene jungen Menschen, die ebenso zuversichtlich in die Zukunft schauen und wissen, dass sie gut ausgestattet sind, aber auch Vertrauen in die demokratischen Institutionen und Strukturen haben, die Vertrauen darin haben, dass auch sie ein Teil davon sind. (Beifall.)

13.02


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank, Frau Erdost.

Bitte, Frau Bundesrätin Andrea Eder-Gitschthaler.


13.02.51

Bundesrätin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP, Salzburg)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen, vielen Dank für diesen sehr interessanten Vormittag, Mittag! Ich habe sehr viel mitnehmen können, ich habe intensiv zugehört und es waren für mich persönlich auch sehr, sehr viele interessante Beiträge dabei. Ich darf nur sagen, Bildung: Schlüssel für ein gutes Leben. Auch ich bin ein Kind dieser Bildungsreform und wäre nicht hier, wenn ich nicht die Möglichkeit bekommen hätte, Bildung zu haben und mich auch entsprechend weiterzubilden.

Klimakrise, Kinderrechte, Kinderförderung und -betreuung, Herausforderungen für junge Menschen, Mitbestimmung, Kinderschutz, politische Bildung – dazu herzliche Gratulation der Demokratiewerkstatt. Sie (in Richtung Herrn Lugmayr) leisten da wirklich eine sehr, sehr gute Arbeit. Ich bin auch immer wieder sehr gerne dort und sehr erstaunt, welche Fragen uns die Kinder und Jugendlichen stellen.

Etwas, das mich ein bisschen verstört hat, ist das geringe Vertrauen in die Politiker:innen hier im Haus, gerade von den Jungen. Daran müssen wir sicher noch intensiv arbeiten. Wir haben ein gemeinsames Ziel und das ist ein gutes Leben für alle hier in Österreich. Daher – Kollege Sieber hat es schon vor mir angeführt – hat sich diese Bundesregierung schon sehr bald intensiv mit Armutsgefährdung in Österreich beschäftigt und einiges auf den Weg gebracht.

Ich darf es noch einmal wiederholen: die Einführung des Familienbonus und die Erhöhung auf 2 000 Euro; die Erhöhung des Kindermehrbetrags auf 700 Euro; die Valorisierung der Familien- und Sozialleistungen; Bezieherinnen und Bezieher der Sozialhilfe, der Mindestsicherung erhalten heuer 10,2 Prozent mehr. Dann sind mehrere Pakete für Familien geschnürt worden, von diesen 60 Euro haben wir schon gehört. Wichtig, vielleicht noch nicht erwähnt: Der kostenfreie Zugang zur Lernhilfe wird ausgeweitet. Es gibt ja seit 2021 vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung über die Website weiterlernen.at eine effektive Maßnahme, um sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen einen kostenlosen Zugang zu Lernhilfen durch NGOs und Lehramtsstudierenden zu ermöglichen, und auch die Mittel, die uns von der EU zur Verfügung gestellt wurden, 10 Millionen Euro, werden bis 2024 um weitere 10 Millionen Euro aufgestockt. Das Schulstartpaket wurde von 120 Euro auf 150 Euro aufgestockt und wird zweimal im Jahr ausbezahlt. Also diese Bundesregierung hat das Problem wirklich erkannt und tut etwas.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Glauben Sie mir: Uns Abgeordneten ist es ein gemeinsames Anliegen, dass kein Kind, kein Jugendlicher zurückbleibt. Wir wollen, dass alle Kinder und alle Menschen in Österreich ein gutes Leben haben. Wir haben es auch schon von Kollegin Jagl gehört, auch der Budgetdienst hat uns recht gegeben, dass diese Regierung treffsichere Maßnahmen gesetzt hat. – Vielen Dank, Frau Präsidentin, für diese hervorragende Enquete. Wir werden gemeinsam weiterarbeiten. (Beifall.)

13.06


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.

Bitte, Herr Bundesrat Günter Kovacs.


13.06.31

Bundesrat Günter Kovacs (SPÖ, Burgenland)|: Frau Präsidentin, ich möchte mich zunächst auch gleich für die Enquete bedanken. Das ist heute eine tolle Enquete mit sehr, sehr vielen Fachexperten, auch ein großes Dankeschön für Ihre Expertisen dazu.

Ich möchte doch noch zu Kollegen Sieber – ich glaube, der Herr Nationalrat ist jetzt nicht mehr da – einen Sidestep machen, denn ich habe gerade gegoogelt: Er hat das ja galant gemacht und gesagt, armutsgefährdet ist fast niemand in Österreich, aber alleine in Vorarlberg gibt es 70 000 Menschen, die armutsge­fähr­det sind. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wie viele Menschen das betrifft.

Natürlich sind wir heute in der Länderkammer und die Länderkammer ist jene Kammer, wo die Bundesländer vertreten sind, die schon sehr, sehr vieles gemacht haben. Frau Kollegin Schumann hat das vorher erwähnt: In Wien, Kärnten, im Burgenland gibt es schon den Gratiskindergarten. Im Burgenland ist die Nachhilfe bereits gratis. Viele Maßnahmen wurden gesetzt. Wir haben im Burgenland zum Beispiel eine 70-prozentige Bioquote beim Essen, 90 Prozent in den Kinderbildungseinrichtungen, wo schon Biokost angeboten wird. Wir haben im Burgenland den Mindestlohn mit 2 000 Euro.

Warum erwähne ich das alles? – Da natürlich genau jetzt in dieser Zeit einer Pandemie oder in der Ukrainekrise entscheidend ist, dass die Menschen nicht nur wirtschaftlich über die Runden kommen, sondern – das sehen wir heute auch in dem Wort unbeschwert – vor allem Kinder unbeschwert sein können, nämlich auch psychisch entlastet werden und nicht tagtäglich Druck zu haben. Ich sage es ganz offen: Wir haben es da leicht, Frau Dr. Gitschthaler, wir sitzen hier, wir haben alle genug Einkommen zum Auskommen, das ist für viele Menschen in Österreich leider nicht der Fall. Für jene müssen wir kämpfen und da könnten wir uns viele Beispiele nehmen. Ich kann nur sagen: Wien, Burgen­land, Kärnten. – Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

13.08


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank, Herr Bundesrat.

Bitte, Herr Landtagsabgeordneter Florian Krumböck.


13.08.29

Florian Krumböck, BA (Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag, ÖVP)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesrat, aus den Landtagen und darüber hinaus! „Kindern Per­spektiven geben“ ist der Titel der heutigen Enquete und es ist schon die Frage, welche Perspektiven wir Kindern heute mitgeben.

In der Diskussion bislang und auch in vielen Redebeiträgen der Expertinnen und Experten ist auch ein Bild gezeichnet worden, das nicht unbedingt ein zukunftsfrohes ist, das auch die Gegenwart nicht unbedingt als eine hoffnungs­frohe bezeichnen kann, und eine, die eigentlich sehr entmutigt zurücklassen könnte. Ich glaube, wenn wir über Perspektiven sprechen, die wir Kindern geben und mitgeben wollen, dann müssen wir auch daran arbeiten, wie wir über die Zukunft reden und wie wir auch mit Kindern, mit Jugendlichen und eben auch in dieser Kammer über die Zukunft reden. Ich glaube – zumindest nehme ich das immer wieder mit –, dass wir heute schon in einer Zeit leben, in der wir so viele Chancen haben wie selten zuvor und wirklich die besten Voraussetzungen für ein erfolgreiches und glückliches Leben, auch wenn die Zeiten darum herum schwierig sind.

Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben schon viele richtungsweisende Entscheidungen betont, Andrea Eder-Gitschthaler zum Beispiel jetzt gerade. Warum komme ich zu dieser Wahrnehmung, dass es solche Chancen gibt? – Wir haben noch nie ein so hohes Bildungsniveau gehabt wie heute – und gleichzeitig ein so hohes Niveau der dualen Ausbildung, wie Bernhard Hirczy betont hat. Wie wir gehört haben, ist Bildung, insbesondere formal hohe Bildung der beste Schutz vor Armut.

Wir haben einen Arbeitnehmer:innenmarkt, der Jugendlichen von heute sehr viele Chancen für die Zukunft aufzeigt, wo man selbst gestalten kann. Wir haben finanzielle Weichenstellungen aus dem Bund heraus erlebt – mit der Indexie­rung der Familienleistungen, mit dem Familienbonus, mit dem Paket gegen Kinderarmut –, und wir haben es dadurch geschafft, dass wir nicht nur das doppelte Wirtschaftswachstum in Österreich gehabt haben im Vergleich zu Deutschland in den letzten zwei Jahren, sondern auch, dass die verfügbaren Einkommen in Österreich über dem EU-Schnitt gestiegen sind, nämlich um 2,4 Prozent, womit wir auch immer wieder vorgebrachte Beispiele wie Spanien deutlich abgehängt haben.

Der Schluss, den ich aus dieser heutigen Enquete ziehe, ist, dass man Probleme nicht kleinreden sollte, dass aber auch wir in den Parlamenten, egal ob im Bundesrat, im Nationalrat oder in den Landtagen, Vorbilder sein müssen, was Optimismus, Zuversicht betrifft.

Da möchte ich mir zwei Dinge mitnehmen, die heute hier gesagt wurden, nämlich einerseits das, was auch Sie gesagt haben, Frau Professor Spiel, nämlich zu neuen Kompetenzen und der Vermittlung von Kompetenzen. Ich glaube, dass das ein Feld ist, wo wir auch parteiübergreifend zusammenarbeiten sollten, wie es auch Landesrat Werner Amon gesagt hat. Wir versuchen da als Bundes­land Niederösterreich immer wieder, Initiativen zu setzen, gerade auch was Talente- und Begabungsförderungen betrifft, wie es Ali Mahlodji angesprochen hat, zum Beispiel mit der Science Academy.

Aber auch beim Thema Klimaschutz ist es, glaube ich, gut, wenn wir da einen Zugang finden, der von Hoffnung gekennzeichnet ist, nämlich von der Hoffnung, dass wir mit einem gescheiten Anpacken dieser Probleme, die es gibt, auch neue Chancen schaffen können. Wir tun das zum Beispiel in Niederöster­reich mit der neuen Wirtschaftsstrategie, wenn es um neue Ressourcen, Ressourcen 2.0, um die Themen Recycling, Wasserstoffnutzung, Carboncapture, Flächen- beziehungsweise Brachflächenrecycling und so weiter geht.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir heute, wenn es um Perspektiven geht, ein Signal aussenden, das lautet: Probleme anpacken!, unser Umfeld aber so aufstellen, dass es ein mutiges, hoffnungsvolles Umfeld für die Kinder und Jugendlichen ist, um gemeinsam in eine gute Zukunft zu gehen. (Beifall.)

13.12


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank.

Als Nächste gelangt Barbara Thöny zu Wort. – Bitte.


13.12.36

Barbara Thöny, MBA (Abgeordnete zum Salzburger Landtag, SPÖ)|: Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Vizepräsidentinnen – das sage ich jetzt mit Stolz –! Sehr geehrte Anwesende! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen dafür, dass ich heute zu so einer wichtigen Enquete ein paar Worte sprechen darf.

Mein Name ist Barbara Thöny, ich bin SPÖ-Abgeordnete im Salzburger Landtag und Sozialsprecherin. Ich arbeite seit 30 Jahren im Sozialbereich, mein Ursprung ist der Kinder- und Jugendbereich.

Wir hatten in Salzburg aufgrund unserer SPÖ-Initiative vor eineinhalb Jahren auch eine Enquete zum Thema Bekämpfung von Kinderarmut beziehungsweise Kindern Perspektiven geben. 

Bei der Salzburger Enquete wurde klargestellt, dass Kinderarmut etwas mit Politik zu tun hat, weil dieses Thema viele Politikbereiche wie Familien-, Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik betrifft. Auch wollten alle Parteien das ändern: Kinderarmut gehört abgeschafft, und dies so schnell wie möglich!, hieß es – und dann war Stillstand.

Vor drei Wochen starteten wir eine Initiative mit einem Antrag, in dem wir Maßnahmen forderten, welche von den Expert:innen aus der damaligen Enquete empfohlen worden waren, nämlich einen Masterplan gegen Kinderarmut, unter anderem eine Kindergrundsicherung, von der wir heute schon gehört haben, was ja erforscht und erprobt wurde, einen Monitoringprozess mit Expert:innen, ein Maßnahmenbündel.

Dann kam ein Abänderungsantrag von der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung mit: Initiativen gegen Kinderarmut voranzutreiben unter Einbeziehung der Ergebnisse der Enquete des Salzburger Landtages. Unser Antrag bestand aber eigentlich aus Initiativen dieser Enquete. Da versteht jemand noch Politik? – Und die Zeit vergeht.

Wir wissen alle, was der Kanzler gesagt hat, und ich hole eines heraus: Kinder­armut gibt es nicht. – Das ist ein Hohn gegenüber Menschen, die nichts dafür können, die tagtäglich kämpfen und ihren Kindern alles geben, was nur geht. Das zeigt, dass manche Menschen keine Ahnung haben, wie es betroffenen Familien geht. Eltern, alleinerziehende Menschen, die sich aufopfernd um ihre Kinder kümmern, werden stigmatisiert, schlechtgeredet.

Wir sprechen von Kindern, die es sich nicht ausgesucht haben, dass sie armuts- und ausgrenzungsgefährdet leben. Sie wissen von Beginn an, was es heißt, gewisse Dinge im Leben nie erreichen zu können, und sie wissen genau, was soziale Ausgrenzung heißt. Wir sprechen von Würde, vom Gleich-viel-wert-Sein, und das von Geburt an.

Wir hören aus den Armutskonferenzen und lesen aus den Medien Schlagzeilen wie: Kinderarmut in Österreich nimmt zu, Bedarf an Schuldnerberatungen nimmt zu, zu wenige Lebensmittel in Sozialmärkten vorhanden. – Armut, Kinderarmut gibt es nicht? Dann müssen aber viele Menschen die Unwahrheit sagen. Wäre das die Schlussfolgerung daraus?

Diese Enquete trägt den Titel „Kindern Perspektiven geben – unbeschwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden“. Das geht aber nur, wenn die Rahmenbedingungen dazu vorhanden sind. Es braucht endlich ein Handeln. Holen wir die Tausenden Familien, unsere Mitmenschen in Österreich aus der Armut und aus dieser Ausgrenzung! Es gibt Lösungen, die haben wir heute gehört, zum Beispiel die Kindergrundsicherung. Hören wir zu! Nehmen wir sie wahr! Setzen wir sie endlich um! (Beifall.)

13.16


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für den Beitrag.

Als Nächster gelangt Bundesrat Ferdinand Tiefnig zu Wort. – Bitte.


13.16.12

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich)|: Geschätzte Damen und Herren, die Sie heute an dieser Enquete teilnehmen! Dante Alighieri hat schon gesagt: Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder. – Zitatende.

Ich glaube, das Kinderlachen hat heute durch diese Enquete wieder eine Bereicherung erlangt. Schon 2015 sind wir, liebe Daniela Gruber-Pruner, liebe Inge Posch-Gruska, und ich zu Frau Minister Karmasin gegangen und haben es erreicht, dass es einen Kinderrechteausschuss des Bundesrates gibt. So einen Kinderrechteausschuss gibt es in Europa nur in drei Ländern.

Es spielt sich vieles ab. Finanzielle Armut, aber auch viel soziale Ausgrenzung infolge von Armut. Die soziale Ausgrenzung infolge von Armut haben auch wir in unserer Jugend miterleben dürfen. Ich bin damals mit einer geflickten Hose in die Schule gegangen. Heute würde es der Mode entsprechen, aber wenn man damals mit einer geflickten Hose in die Schule gekommen ist, hat man auf den gezeigt und gesagt: Der kann sich das nicht leisten! Das hat mich damals getrof­fen, ist mir bis heute in Erinnerung. Damals habe ich mir gedacht: Wie kommt man aus dem raus? Ich habe dann eine Lehre gemacht und habe es sogar in den Bundesrat geschafft.

Die soziale Armut zieht sich durch und tritt heute auch über soziale Medien auf. Junge Menschen werden gemobbt. Sie werden mit unrealistischen Idealbildern verglichen, und das verursacht großen psychischen Druck. Dieser psychische Druck wird stärker, wenn man vielleicht eine kleine Lern­schwäche hat. Daher braucht man in der Pädagogik entsprechende Spielräume.

Frau Spiel hat hervorragend erklärt, wie wichtig es ist, dass man in der Pädagogik die Klassen verkleinert, dass man auch da weitere Schritte setzt. Bei uns in Oberösterreich zum Beispiel hat unsere Landesrätin Christine Haberlander in den letzten Jahren viele Schritte gesetzt. Für ein Maßnahmenpaket im Bereich Kinderbetreuung werden 40 Millionen Euro investiert, dabei werden 100 Gruppen für bis zu 1 500 Kinder neu installiert. 166 Projekte ermöglichen den Ausbau des Betreuungsangebotes.

In Zukunft wird es aber wichtig sein, den Jugendlichen auch internationale Möglichkeiten aufzuzeigen, etwa Erasmus-Programme, in deren Rahmen sie in verschiedenen Ländern studieren können, um eben Erfahrungen mit nach Hause nehmen zu können.

So schlecht ist die heutige Ausbildung nicht. Das wird einem klar, wenn man sich ansieht, wie gut unsere Lehrlinge bei den Euroskills und bei den Worldskills abschneiden. Da haben wir immer wieder Europameister und Weltmeister und können all jenen, die sich da beteiligen, nur dankbar sein.

Ich möchte aber noch einen Dank aussprechen, einen, den ich heute bis jetzt vermisst habe. Das ist der Dank an die Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch an die vielen ehrenamtlichen Vereine, denn hier wird soziale Kompetenz gelebt und erlebt. In diesem Sinne: Danke schön auch dir, liebe Präsidentin, für diese hervorragende Enquete! (Beifall.)

13.19


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank.

Als Nächster gelangt Bundesrat Manfred Mertel zu Wort. – Bitte.


13.19.33

Bundesrat Dr. Manfred Mertel (SPÖ, Kärnten)|: Geschätzte Frau Präsidentin des Bundesrates! Auch von mir großes Kompliment angesichts der Abhaltung dieser Enquete! Als Vertreter der älteren Generation, aber auch als geprüfter Trainer und als ehrenamtlicher Sportfunktionär bedanke ich mich für diese tollen Vorträge, die ja aus allen Richtungen gekommen sind. Diese Vorträge sind sehr inspirierend, und ich habe mir das Thema genommen: Hinhören und beleben, zuhören und begeistern!

Ich glaube, es ist sehr, sehr wichtig, was heute ausgesprochen worden ist, näm­lich dass wir das Wertvollste in unserem Leben sehen müssen, dass die Entwicklung unserer Persönlichkeit letztendlich durch unsere Leidenschaften, durch unsere Inspiration und durch unsere Kreativität vorangetrieben wird. Das können sich nicht alle leisten. Deswegen möchte ich mich auf wesent­liche Punkte beschränken: erstens, dass wir Optimismus verbreiten, uns aber gleichzeitig der jungen Menschen annehmen müssen.

Vorhin wurden die vielen Ehrenamtlichen erwähnt – das war auch mein Beitrag dazu –, die eine Arbeit leisten, aber in der Öffentlichkeit gar nicht wahrge­nommen werden. Sie begleiten diese Kinder und Jugendlichen täglich, nehmen ihre Ängste wahr, nehmen ihre Anregungen wahr und versuchen, die Ängste abzubauen und die Anregungen umzusetzen.

Das ist eigentlich das Wesentliche, das uns jetzt begleiten muss, und das führt mich auch hin zu dieser älteren Generation, die immer bereit ist, der Jugend zu helfen, den Kindern zur Seite zu stehen und zu sagen: Ihr sollt auch eine zukunftsorientierte Welt vorfinden. – Wir haben heute ja in vielen Beiträgen gehört, dass es durchaus auch Ängste geben kann. Deswegen ist es auch unsere Aufgabe, dass wir hier zur Seite stehen.

Ich möchte aber bei all dem, was wir an Unterstützung leisten, darauf hinweisen – und Sie kennen es ja bereits von mir –, dass es immer wieder auch Parallelen zum Sport gibt. Ich habe das Glück, immer gute Präsidenten bei Fußballvereinen gehabt zu haben, die die Leidenschaft der jungen Menschen forciert haben; und unserer Aufgabe ist es, das alles, was wir erlebt haben, wieder weiterzugeben.

Ich darf mit einem weiteren Beispiel enden. Im November und Dezember letzten Jahres habe ich die Fußballweltmeisterschaft verfolgt. Dabei ist mir eine Nation aufgefallen, die ich persönlich gar nicht so am Radarschirm gehabt hatte, nämlich Argentinien. Es ist ein sehr armes Land, aber auch als Lionel Messi noch nicht Weltmeister war, hatte man das Gefühl, eine ganze Nation möchte, dass er Weltmeister wird; und eine ganze Nation hat auch das Empfinden gehabt: Lionel Messi möchte, dass Argentinien Weltmeister wird.

So wie es bei Präsidenten eines Vereins ist, ist auch eine Bundesregierung immer daran zu messen, wie die Entwicklung der Jugendlichen ist, wie die Chancen der Kinder sind und wie das Zusammenleben funktioniert.

In diesem Sinn möchte ich mich auch als Kärntner für das Kärntner Kinderbil­dungs- und Kinderbetreuungsgesetz bedanken, wonach es nun, wie bekannt, kostenlose Kindergärten gibt. Er ist Gott sei Dank nicht im Saal, denn er würde es mir wahrscheinlich übel nehmen, was ich jetzt sage; aber wir haben in Kärnten so einen Lionel Messi, der für uns rennt, der uns begeistert und zu Zielen führt, und dafür danke ich ihm, nämlich meinem Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser. (Beifall.)

13.23


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für den Beitrag.

Als Nächster gelangt Herr Martin Netzer vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung zu Wort. – Bitte.


13.23.30

Mag. Martin Netzer, MBA (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich als Generalsekretär des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung hier in der gebotenen Kürze noch Stellung nehmen darf.

Ich muss eine Vorbemerkung machen. Es ist immer ein bisschen schwierig, nicht in eine Verteidigerhaltung zu kommen und dann sozusagen als jemand dazustehen, der die Dinge schönreden will. Allerdings habe ich den Eindruck gehabt, dass manche Dinge hier pessimistischer, kritischer, schwärzer gesehen werden, als sie in der Realität sind. Deswegen ist es mir ein Anliegen, hier zu ein paar Punkten Stellung zu nehmen.

Was sind die wichtigsten Indikatoren, an denen man sieht, wie gut ein Bildungssystem funktioniert? Das sind die Jugendarbeitslosigkeit und das Pro-Kopf-Einkommen, BIP pro Kopf. Leute, die nicht gut qualifiziert sind, werden kein hohes Einkommen generieren; Leute, die nicht gut qualifiziert sind, werden nicht erfolgreich in den Arbeitsmarkt hineinkommen beziehungsweise nicht erfolgreich im Arbeitsmarkt bleiben.

Bei all diesen Indikatoren sind wir in Österreich im internationalen Vergleich Gott sei Dank, ich klopfe auf Holz, nach wie vor relativ gut. Da brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir sind da relativ erfolgreich aufgrund unseres differen­zierten Schulsystems, auch mit der Berufsbildung, das vielen, für die tertiäre Bildungseinrichtungen und so weiter nicht das Richtige wären, sozusagen den Weg öffnet. Da kommen wir wirklich sehr weit.

Nur eine Anekdote, die ich wirklich gerne erzähle: Es ist schon über zehn Jahre her, da habe ich in einem Gespräch mit Herrn Andreas Schleicher von der OECD – sein Name ist bekannt –, weil ich bei diesem Thema wirklich emotional werde, gesagt: Die OECD beurteilt Österreich immer so schlecht! Mir geht das so am Zeiger! Wie gibt es das, dass wir dieses BIP pro Kopf haben, wenn unser Bildungssystem so schlecht ist, wie die OECD manchmal behauptet?

Andreas Schleicher hat sich überhaupt nicht provozieren lassen, hat ein Lächeln aufgezogen und hat mir gesagt: Da kann ich ja nichts dafür, dass ihr Österreicher so blöd seid und Absolventen eurer guten fünfjährigen Berufs­bildungen, Handelsakademie, HTL et cetera, nicht als Akademiker qualifiziert, in jedem anderen EU-Land wären das Akademiker – so Andreas Schleicher von der OECD. Da sieht man, wie gut diese Ausbildungen sind. Dabei ist Schleicher, glaube ich, unverdächtig, denn er ist nicht immer unser Freund im Ministerium.

Nur ein paar Zahlen im Zusammenhang mit den Bildungsausgaben, nämlich, und das ist mir wichtig, Richtung Kinderarmut. Was tut die öffentliche Hand, um hier zu kompensieren? – Auch diese Zahlen stammen wieder aus „Education at a Glance“, auf Deutsch „Bildung auf einen Blick“, einer jährlichen Publikation der OECD.

Bei den jährlichen Ausgaben liegt Österreich – das wird kaufkraftbereinigt in Dollar angegeben – mit 17 744 Dollar pro Kind, pro Kopf, also pro Schülerin und pro Schüler auf Platz zwei in der EU. Der entsprechende EU-Schnitt beträgt 12 200 Dollar, 5 000 Dollar weniger. Das heißt, da wird sehr viel Geld in die Hand genommen.

Bezüglich Elementarpädagogik, die auch angesprochen worden ist, muss ich sagen: Okay, auch da ist noch Luft nach oben, aber da haben wir uns doch relativ gut entwickelt. Mittlerweile sind 97 Prozent der Fünfjährigen im Kindergarten, 92,5 Prozent der Vierjährigen sind im Kindergarten. Auch da liegen wir immerhin über dem OECD-Schnitt. Noch einmal: Ich will das differenziert sehen. Es ist Luft nach oben, aber insgesamt, glaube ich, sind wir da auf einem guten Weg.

Worauf es mir jetzt wirklich ganz besonders ankommt – und dann bin ich schon fertig –: Die Bildungswissenschaft – und Frau Professor Spiel wird mir hoffentlich recht geben, denn es ist immer schwierig, wenn man versucht, Wissenschaftler zu vereinnahmen – sagt uns immer, Lernen ist Koproduktion. Die beste Lehrerin, der beste Lehrer kann keine Wunder bewirken, wenn das nicht von den Lernenden, soweit sie das können, und natürlich bei kleinen Kindern vom Elternhaus, von den Erziehungsberechtigten unterstützt wird.

Das ist schon kurz angesprochen worden, aber ich appelliere noch einmal – ich bin nicht der Anwalt der Lehrergewerkschaft, aber in diesem Fall bin ich der Anwalt der Lehrer –: Wir müssen uns davor hüten, alle Probleme, die wir in der Gesellschaft haben – und das sind genug, viele sind heute angesprochen worden –, den Lehrerinnen und Lehrern umzuhängen. Wir müssen uns davor hüten, dass die Schule als Heilsbotschaft missverstanden wird, wie es Konrad Paul Liessmann in seinem Buch „Geisterstunde: Die Praxis der Unbil­dung. Eine Streitschrift“ genannt hat. Bildung wird teilweise quasi als Heilsbotschaft verstanden. Da müssen wir realistisch bleiben.

Hier müssen wir, die Familien, die Erziehungsberechtigten eine vernünftige Balance finden: Was gehört in den Bereich der Verantwortung der Familien, der Erziehungsberechtigten, was gehört in den Bereich der Verantwortung des Schulsystems, der Verwaltung, auch in meinen Verantwortungsbereich – ich will mich da gar nicht wegducken –, und was ist Aufgabe der Politik? Alles nur den Lehrerinnen und Lehrern umzuhängen erschiene mir unredlich.

Damit darf ich auch schon enden. Ich bin Berufsoptimist. Geben Sie den Prozessen, die wir jetzt gestartet haben, eine Chance! Wir sind mit vielem noch nicht am Ende, aber ich glaube, wir sind insgesamt gut unterwegs. – Vielen Dank. (Beifall.)

13.28


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank für den Beitrag.

Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Bettina Lancaster zu Wort. – Bitte.


13.28.47

Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster (SPÖ, Oberösterreich)|: Geschätzte Präsidentin! Werte Expertinnen und Experten! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bedanke mich ganz herzlich für das gesetzte Thema heute bei dieser Enquete und möchte speziell auf die Schnittstelle zu den Kommunen, zu den Gemeinden hinweisen.

Wie Kollegin Göll schon erwähnt hat, gibt es da sehr viele Dinge, die sich überschneiden. Wir als Gemeinden gestalten den Lebensraum der Menschen für den unterschiedlichsten Bedarf. Unter anderem sind wir auch für die Bildungs­infrastruktur zuständig. Das heißt, wir bauen, errichten die Pflichtschulen, und von besonders großer Wichtigkeit für uns ist es, auch den modernen Ansprüchen an eine Bildungseinrichtung entsprechen zu können.

Das heißt, es ist wichtig, dass wir sie richtig ausstatten, dass die Bildungseinrich­tungen den modernen Ansprüchen entsprechen, dass auch in den kleinen Gemeinden interaktive Whiteboards zur Verfügung stehen, damit die Kinder im ländlichen Raum nicht von der technologischen Entwicklung abgehängt werden. Das kostet Geld, das kostet Energie, und dazu braucht es auch Kommunal­vertreter, die sich für ihre Schulstandorte einsetzen.

Eine andere Infrastruktur sind unsere elementarpädagogischen Bildungsein­rich­tungen, sprich Kindergärten und Krabbelstuben. Da sind wir in einer noch viel größeren Verantwortung, da wir – und ich sage „leider“ dazu – da auch das Personal, die Pädagoginnen und Pädagogen, bereitstellen müssen. Da wäre mir aus persönlicher Sicht – nicht für die Institution, für die ich jetzt vertretend spreche – wichtig, dass es für Pädagog:innen einen einzigen Topf gibt.

Beim Finanzausgleich gab es gestern eine grundsätzliche Einigung, da geht es in die Endphase. Was mich schwer trifft, ist, dass die Autonomie der Gemeinden dabei wenig Beachtung gefunden hat, dass es zu einer Verteilung über die Länder kommt. Man traut den Gemeindevertreter:innen, die vor Ort bei den Menschen sind, anscheinend nicht zu, dass sie ent­scheiden können, was in ihrem Dorf wichtig ist. Ich bemängle das und denke, vielleicht wird es bei den Detailausverhandlungen noch etwas geben, dass auch die Gemeinden auf Augenhöhe mitsprechen dürfen und ihnen das auch zugetraut wird, denn – und das ist kein europäisches Sprichwort –: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. – Danke. (Beifall.)

13.32


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Vielen Dank.

Es gibt jetzt eine Änderung in der Redner:innenliste, und zwar kommt jetzt das Mitglied des Europäischen Parlaments Theresa Bielowski zum Rednerpult. – Bitte.


13.32.20

Mitglied des Europäischen Parlaments Theresa Bielowski, BA MA (SPÖ)|: Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eigentlich wollte ich kurz zum Thema Jugend­garantie sprechen – ich war Mitarbeiterin des AMS, bin jetzt im Europäischen Parlament, das ist eine schöne Schnittstelle, ein sehr wichtiges Thema –, ich habe mich aber anders entschieden und werde Ihnen stattdessen zum Schluss noch einen anderen Blickwinkel auf Chancenungleichheit von Kindern bieten, und zwar den einer alleinerziehenden Mutter.

Ich war 18, hatte keinen Schulabschluss, habe bei McDonald’s gearbeitet. 850 Euro netto war der Vollzeitverdienst, und der Preis für die Kinderbetreuung war wegen der Vollzeitarbeit zumindest untertags 450 Euro. Bei uns war auch manchmal die Wohnung kalt, wir haben auch schon einmal keine gehabt; keine Urlaube, Freizeitbeschäftigungen mussten immer kostenlos sein.

Ich habe heute eines gehört, was mich sehr, sehr gestört hat, und zwar: Den Kindern fällt es eh nicht auf! – Doch, das tut es, die wissen das ganz genau; sie merken es vielleicht an anderen Dingen, aber sie merken es. Sie merken es, warum es so ein Drama ist, wenn man die Eislaufschuhe im Bus vergisst; dass man das ganze Schulleben lang mit einer Schultasche auskommen muss; dass es bei anderen Schulkolleg:innen daheim anders ausschaut. – Die wissen das ganz genau.

Für mich und für mein Kind hat sich eine positive Wende ergeben. Ich möchte Ihnen auch sagen, warum beziehungsweise was das ermöglicht hat. Es waren zwei Gründe. Das eine waren schon sehr stark politische Errungen­schaften: Es gab eine Kinderbetreuung – nicht ausreichend, nicht kostenlos, aber es gab sie; die Gewerkschaften haben bessere Arbeitsbedingungen erkämpft; es gab Bildungsangebote, ich konnte eine Ausbildung nachholen, ich konnte einen anderen Job finden, ich konnte ein Studium nachholen, mit einem besseren Gehalt auch eine schönere Wohnung finden – aber das war auch nur möglich, weil es Beratungsinstitutionen gab, die mir dabei geholfen haben, auch diese gefördert aus politischen Mitteln.

Der zweite Grund war ganz einfach: Glück. Es sind die Umstände, die positiv zusammenspielen, die das manchmal möglich machen und manchmal auch nicht. Und: Ich habe Hilfe von anderen Menschen bekommen. Aber was ist mit all den Menschen, bei denen das nicht so ist? Die österreichische Aufstiegserzählung lässt diejenigen zurück, die am schwächsten sind.

Wir müssen uns wirklich überlegen, ob wir das wollen, denn Kinder mit besseren Chancen sind Kinder, die in einer Gesellschaft aufwachsen, in der die Arbeits­bedingungen gut sind, das Wohnen leistbar ist, in der es einen gesetzlichen Anspruch auf ein gutes Leben gibt, auf Gratisbildung. Wir müssen uns überlegen, mit welchem Menschenbild wir denen begegnen wollen, die weniger haben. Kein einziger Mensch ist weniger wert, nur weil er in einer Situation mit weniger Geld, weniger Glück, weniger Erbe, weniger Chancen steckt.

Die Bildungschancen und die Gerechtigkeit und die Chancen auf ein gutes Leben sind eine Zukunftsfrage, aber sie sind vor allem auch eine Haltungs­frage. Bitte überlegen Sie sich, welche Antwort Sie geben wollen! – Danke. (Beifall.)

13.35


Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Herzlichen Dank.

Es liegen jetzt keine Wortmeldungen mehr vor, somit schließe ich die Debatte.

13.35.42VIII. Schlussworte der Präsidentin


13.35.43

Vorsitzende Präsidentin Mag.a Claudia Arpa|: Ich komme jetzt zu den Schlussworten und bedanke mich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für das große Interesse, das Sie an der Themenstellung der heutigen Enquete gezeigt haben, und auch für Ihre wertvollen Diskussionsbeiträge. Jeder Bericht hat uns verdeutlicht, wie vielfältig die Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen sind, und wie wichtig es ist, darüber zu sprechen, was bei jungen Generationen Sache ist, was wir für sie tun können und welche Perspek­tiven sie eröffnet bekommen.

Ich bedanke mich bei Barbara Blaha für ihre persönlichen Worte, für die Ermuti­gung, über Armut zusprechen, und für die Erläuterung der Zusammenhänge, die Menschen oft über Generationen benachteiligen können. In ihrer Keynote wurde ja ein Bogen gespannt von den jeweiligen Lebens- und Startbedingungen im Kleinen bis hin zu den großen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen, die damit künftig einhergehen.

Wir haben im Rahmen des Panels „Bildung als Basis für ein gutes Leben“ von der Bedeutung von Bildung für das weitere Leben junger Menschen gehört. Wie schon US-Präsident Kennedy gesagt hat, gibt es nur eines, was auf Dauer teurer ist als Bildung, nämlich keine Bildung.

In den Beiträgen wurde herausgearbeitet, dass Bildung bereits mit der Geburt beginnt und wie zentral die vorschulische Bildung für den weiteren Lebensweg ist; aber auch später sind Investitionen in und die Förderung von Betreuung junger Menschen wichtiger denn je. Wir müssen es schaffen, die Hürde der Herkunft aus den untersten Einkommensgruppen nicht erst in späteren Gene­rationen, sondern schon viel früher zu überwinden. Herzlichen Dank an Univ.-Prof.in Christiane Spiel, Elke Larcher, Mag.a Michaela Hajszan und Landesrat Werner Amon für ihre umfassenden Ausführungen und Betrachtungs­weisen.

Im zweiten Teil unserer Enquete haben sich der Abgeordnete Mag. Stefan Hermann, Dr. Stephan Schulmeister und Mag. (FH) Erich Fenninger dem Thema „Armut bekämpfen – Zukunft möglich machen“ gewidmet. Sie haben nicht nur die aktuelle Situation verdeutlicht, sondern auch die wirtschaftlichen Hinter­gründe und Auswirkungen in den Fokus gestellt. Investitionen in jungen Jahren zahlen sich aus und ermöglichen Menschen im späteren Leben eine solide Basis.

Schließlich gilt mein ganz besonderer Dank den jungen Vortragenden des Panels „Demokratie und Mitbestimmung“, Rihab Toumi und Lena Schilling. – Vielen Dank, dass ihr heute eure Perspektive eingebracht und die für junge Menschen dringlichen Themen bekräftigt habt. Klima, Bildung, soziale Sicherheit sowie Mitbestimmung und Teilhabe bewegen junge Menschen; sie müssen gehört, aber auch verstanden werden. Sie haben mit Nachdruck gezeigt, dass unsere Umwelt ein immens hohes Gut darstellt, dass wir auch den nächsten Genera­tio­nen eine intakte Umwelt hinterlassen sollen.

Unsere Umwelt ist die Lebensgrundlage künftiger Generationen, das wurde auch von Mag.a Michaela Krömer veranschaulicht. Sie hat herausgearbeitet, dass Klimarechte auch Kinderrechte sind, wie sehr Klima mit der jungen Generation zusammenhängt und wie diese Rechte auch durchgesetzt werden können.

Nicht zuletzt sind diese Forderungen auch eine Frage von Mitbestimmung und Teilhabe. Wenn drei Viertel der unter 30-Jährigen das Gefühl haben, dass ihre Anliegen nicht ernst genommen werden, und wenn nur 6 Prozent der Jugend­lichen sich laut einer Umfrage gut vertreten fühlen, sollten wir das wirklich ernst nehmen. Mit der Demokratiewerkstatt, gleitet von Herrn Leopold Lugmayr – herzlichen Dank noch einmal für den Film –, wollen wir auch im Parlament ein Zeichen setzen, Demokratie erlebbar machen und zur Mitsprache motivieren.

Schließlich darf ich auch Ali Mahlodji herzlich für sein Kommen Dank sagen. Kinder- und Jugendthemen müssen nicht nur bundes- sondern auch europaweit betrachtet und mit hinreichend Nachdruck vermittelt werden. Das Interessante für mich war, dass er heute gesagt hat: Das Schwierigste für uns Menschen ist das Erlernen des Gehens und unserer Sprache.

Von der europäischen Ebene wegkommend kehre ich zum Ende wieder zurück in mein Bundesland Kärnten: Herzlichen Dank an Peter Kaiser für deinen Beitrag und deinen Einsatz für Kärnten als familien- und kinderfreundlichste Region Europas.

Ich danke Ihnen allen noch einmal für Ihr Kommen und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.

Ich lade Sie nun zu einem informellen Ausklang in die Säulenhalle ein. – Danke schön. (Beifall.)

13.40

*****

Die Enquete ist geschlossen.

13.40.16Schluss der Enquete: 13.40 Uhr

 

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