Parlamentarische Enquete des Bundesrates

„Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken“

Stenographisches Protokoll

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 12. November 2024

Bundesratssitzungssaal


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Dienstag, 12. November 2024

(XXVIII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken“

Dauer der Enquete

Dienstag, 12. November 2024: 9.01 – 13.09 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung und Begrüßung

„Demokratie stärken – Verantwortung für die Zukunft“

Vorsitzender Präsident des Bundesrates Mag. Franz Ebner

II. Keynote

„Stand der Demokratie in A, EU und weltweit. Herausforderungen für Regierungen und Bürger. Blick in die Zukunft“

Dr. Daniel Dettling (Zukunftsinstitut)

III. Panel 1 „Analyse der Herausforderungen“

„Demokratie und Politik“

Mag. Martina Zandonella (Foresight)

„Demokratie und Medien“

Dr. Martina Salomon („Kurier“)

IV. Panel 2 „Lösungswege“

„Bürgernähe und politische Mitbestimmung“

Landeshauptmann von Oberösterreich Mag. Thomas Stelzer

„Demokratie schützen – Freiheiten einschränken?“

Martin Hagen, M.A. (Republik 21)

„Demokratiebildung“

Dr. Emil Brix (Österreichische Forschungsgemeinschaft)

V. Panel 3 „Expertinnen und Experten zum Handlungsbedarf in Österreich“

Prof. Herwig Hösele

Prof. Dr. Manfred Matzka

Dr. Frauke Petry

Dr. Martina Handler (Cocreating Future)

VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates

VIII. Schlussworte des Präsidenten

Vorsitzender Präsident des Bundesrates Mag. Franz Ebner

*****

Inhalt

I. Eröffnung und Begrüßung ........................................................................................ 6

„Demokratie stärken – Verantwortung für die Zukunft“

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner .................................................................... 6

II. Keynote .................................................................................................................... 12

„Stand der Demokratie in A, EU und weltweit. Herausforderungen für Regie­rungen und Bürger. Blick in die Zukunft“

Dr. Daniel Dettling ........................................................................................................ 13

III. Panel 1 „Analyse der Herausforderungen“ ........................................................ 19

„Demokratie und Politik“

Mag. Martina Zandonella .......................................................................................... 19

„Demokratie und Medien“

Dr. Martina Salomon .................................................................................................... 29

Diskussion:

Christian Wigand .......................................................................................................... 35

Bundesrätin Mag.a Claudia Arpa ................................................................................. 37

Abg. Henrike Brandstötter ........................................................................................... 39

Bundesrat Mag. Christian Buchmann ......................................................................... 40

Bundesrätin Maria Fischer ........................................................................................... 42

LAbg. Sebastian Kolland, BSc ...................................................................................... 44

Bundesrat Günter Kovacs ............................................................................................ 46

Abg. Carina Reiter ........................................................................................................ 47

Abg. Mag. Agnes Sirkka Prammer ............................................................................... 49

Bundesrat Stefan Schennach ....................................................................................... 51

Abg. Julia Elisabeth Herr .............................................................................................. 52

LAbg. Andreas Bors ...................................................................................................... 55

IV. Panel 2 „Lösungswege“ ........................................................................................ 57

„Bürgernähe und politische Mitbestimmung“

Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer .................................................................... 57

„Demokratie schützen – Freiheiten einschränken?“

Martin Hagen, M.A. ...................................................................................................... 63

„Demokratiebildung“

Dr. Emil Brix .................................................................................................................. 70

Diskussion:

Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs ............................................................... 78

Doris Wagner, BEd MEd ............................................................................................... 79

Abg. Mag. Gernot Darmann ......................................................................................... 81

Bundesrat Mag. Bernhard Ruf ..................................................................................... 83

Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch ....................................................................... 84

Bundesrat Klemens Kofler ........................................................................................... 86

Bundesrätin Dr. Manuela-Anna Sumah-Vospernik .................................................... 87

Nadine Fahrenberger ................................................................................................... 89

Bundesrätin Barbara Prügl .......................................................................................... 90

Abg. Mario Lindner ....................................................................................................... 91

Sina Moussa-Lipp, BA MA ............................................................................................ 93

LAbg. Dr. Kurt Stürzenbecher ...................................................................................... 95

V. Panel 3 „Expertinnen und Experten zum Handlungsbedarf in Österreich“          97

Prof. Herwig Hösele ...................................................................................................... 97

Prof. Dr. Manfred Matzka .......................................................................................... 100

Dr. Frauke Petry ......................................................................................................... 104

Dr. Martina Handler ................................................................................................... 107

VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates ..................... 110

Bundesrat Mag. Harald Himmer ............................................................................... 110

Bundesrätin Korinna Schumann ............................................................................... 113

Bundesrat Andreas Arthur Spanring ......................................................................... 116

Bundesrat Marco Schreuder ...................................................................................... 118

VII. Schlussworte des Präsidenten

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner  ............................................................... 121


 

Beginn der Enquete: 9.01 Uhr

Vorsitzende: Präsident des Bundesrates Mag. Franz Ebner, Vizepräsidentin des Bundesra­tes Dr. Andrea Eder-Gitschthaler.

*****

I. Eröffnung und Begrüßung

„Demokratie stärken – Verantwortung für die Zukunft“

9.01

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Ich eröffne die Enquete des Bundesrates. Sehr geehrter Herr Landeshauptmann von Oberösterreich Thomas Stelzer!
Sehr geehrte Frau Zweite Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Referentinnen und Referenten! Sehr geehrte Teil­nehmerinnen und Teilnehmer der heutigen Enquete! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher auf ORF III und via Livestream des Parlaments! Jede Präsidentschaft
des Bundesrates widmet sich einem besonders wichtigen Thema, das oft auch als Grundlage für politische Initiativen dient. In der Vergangenheit waren das bei­spielsweise der Schutz des Trinkwassers, die Digitalisierung, die Förderung des länd­lichen Raums, die Stärkung von Kinder- und Jugendrechten oder zuletzt auch
die demografische Entwicklung und ihre Konsequenzen. Diese Themen münden spä­ter oft in Regierungsprogramme oder Gesetze und verdeutlichen die partei-
und länderübergreifende Zusammenarbeit sowie die Rolle des Bundesrates als Zu­kunftskammer des Parlaments. 

Traditionell vertiefen wir das jeweilige Schwerpunktthema in einer Enquete. Der Be­griff Enquete kommt aus dem Französischen und bedeutet Erhebung oder Unter­suchung. Im lateinischen Ursprung bedeutet er der Sache auf den Grund gehen. Und genau das werden wir heute auch tun – wir gehen der Frage auf den Grund,
wie sich unsere Demokratie entwickelt. Wir werden über ein Thema sprechen, das grundlegender und zeitloser kaum sein könnte: „Demokratie braucht Zukunft – Brü­cken bauen, Demokratie stärken“. 

In einer Zeit voller Herausforderungen ist es wichtiger denn je, darüber nachzuden­ken, wie wir unsere Demokratie bewahren, weiterentwickeln und zukunfts­sicher machen können. Demokratie ist kein Selbstläufer, sie ist ein stetiges Ringen, ein Projekt, das jeden Tag aufs Neue gepflegt und geschützt werden muss. 

Unsere Demokratie lebt davon, dass wir Brücken zueinander bauen: zwischen
den Generationen, zwischen Stadt und Land, zwischen unterschiedlichen politischen Meinungen und Weltanschauungen. Demokratie bedeutet, dass wir Unter­schiede respektieren und dennoch Wege finden, miteinander zu sprechen und ge­meinsam Lösungen zu erarbeiten. Sie ist die Brücke, die uns über Gräben
führt, die uns sonst trennen würden. 

Doch Brücken bauen bedeutet mehr als nur Worte: Es bedeutet, ein echtes Interesse an den Perspektiven anderer zu haben, Kompromisse einzugehen und dem Ge­meinwohl Vorrang zu geben. Denn nur durch einen offenen Dialog und eine echte Zu­sammenarbeit kann unsere Demokratie wachsen und ihre Stärke entfalten. Demokratie braucht diese Brücken, um lebendig zu bleiben, um auch in stürmischen Zeiten stabil zu sein. 

Ja, unsere Zeit ist geprägt von tiefgreifenden Umwälzungen wie zum Beispiel
der digitalen Transformation, um nicht zu sagen Revolution, dem Klimawandel, der Migrationsströme, globalen Krisen und neuen Formen der Kommunikation.
Diese Veränderungen bringen große Chancen, aber auch immense Herausforde­rungen für die Demokratie mit sich. Diese Herausforderungen schüren
auch Unsicherheiten und lassen uns Stabilität suchen: Stabilität, die unsere Demo­kratie leisten kann und leisten muss. 

Doch auch die demokratischen Systeme stehen unter Druck. Die Geschwindig­keit der modernen Kommunikation und die Flut an Informationen durch neue Medien belasten auch unsere Demokratie. Der Verlust an Vertrauen in Politik und Insti­tutionen, die Kluft zwischen Stadt und Land, die Spaltung entlang sozialer und wirt­schaftlicher Linien – all das zeigt, wie wichtig es ist, neue Brücken zu bauen
und bestehende Brücken zu festigen. Unsere Bürgerinnen und Bürger brauchen Orientierungspunkte. Es ist unsere Aufgabe, solche zu setzen und so die Demokratie zu stärken und weiterzuentwickeln. Demokratie ist wie ein zartes Pflänzchen:
Wenn wir sie vernachlässigen, verliert sie schnell an Stärke.

Dass unsere Demokratie aber lebendig ist, erleben wir auch tagtäglich im Parlament, nicht nur im Plenarsaal, sondern auch durch das große Interesse der Besucherin­nen und Besucher an unserem Parlament und somit auch an unserer Demokratie. Bald dürfen wir den einmillionsten Besucher seit der Wiedereröffnung des Parlaments
im Jänner 2023 begrüßen. Das ist, finde ich, ein eindrucksvolles Zeichen für
das öffentliche Interesse an Demokratie und Parlamentarismus. Gleichzeitig sehen wir, dass auch die Demokratie Angriffen durch autokratische Einflüsse, durch Fakenews, durch Radikalisierungstendenzen und auch durch die Dynamik der sozialen Medien ausgesetzt ist. 

Mitte Oktober wurde auf der Landtagspräsidentenkonferenz eine Erklärung betreffend den Schutz der Demokratie vor den Risiken sozialer Medien beschlossen. Sie weist darauf hin, dass den positiven Nutzungsmöglichkeiten sozialer Medien
auch erhebliche Risiken für die Demokratie gegenüberstehen. Die Verbreitung von Fakenews und Hassbotschaften untergraben das Vertrauen in die Demokratie
und ihre Institutionen. 

Ich unterstütze daher auch die oft geäußerte Forderung nach einer sogenannten Klarnamenpflicht im digitalen Raum, auch online sollte jeder Verantwortung für seine Worte übernehmen. Anonyme Beschimpfungen und Verleumdungen dürfen wir
nicht akzeptieren!

Die Landtagspräsidentenkonferenz spricht sich zudem dafür aus, dass soziale Medien stärker im Schulunterricht im Rahmen der politischen Bildung behandelt werden
und die Medienkompetenz gefördert wird. Da ist Demokratiebildung eine
zentrale Aufgabe unserer Parlamente. Unser Ziel muss es sein, die Demokratiebildung zu stärken und allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, sich
aktiv mit Demokratie auseinanderzusetzen – sei es im Parlament, sei es in
einem Landtag oder in der Schule. Der amerikanische Philosoph John Dewey hat sehr treffend gesagt: „Demokratie muss in jeder Generation neu geboren werden und Bildung ist ihre Hebamme.“ 

Eine starke Demokratie braucht engagierte Demokraten, braucht Bürgerinnen
und Bürger, die informiert sind, die kritisch denken und die wissen, wie sie sich beteili­gen können. Bildung ist deshalb ein zentraler Baustein für die Zukunft der Demo­kratie. Unsere Schulen und Bildungseinrichtungen sollten die junge Generation nicht nur auf die Arbeitswelt vorbereiten, sondern auch auf ihre Rolle als aktive Bürge­rinnen und Bürger. Demokratiebildung, Medienkompetenz und ein fundiertes Wissen über demokratische Prozesse müssen zu einer Selbstverständlichkeit werden. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Vertrauen ist das Fundament der Demokratie. Ohne Vertrauen in die Institutionen und in die Gewissheit, dass politische Entscheidun­gen dem Wohl aller dienen, verliert die Demokratie ihre Strahlkraft und ihre Bindekraft. 

Wir müssen das Vertrauen in unsere demokratischen Strukturen zurückgewinnen und stärken, damit alle Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Sorgen
gehört und ihre Beiträge wertgeschätzt werden. Die heutige Enquete soll aufzeigen, wie wir Vertrauen wieder stärken können. 

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine gemeinsame Verant­wortung. Jede und jeder von uns trägt dazu bei, dass sie lebendig bleibt:
durch das eigene Engagement, durch den respektvollen Umgang miteinander, durch das Interesse an anderen Meinungen. Demokratie lebt vom Miteinander und
von der Bereitschaft, für gemeinsame Werte einzutreten. Das Miteinander erfordert gegenseitigen Respekt und damit verbunden auch eine gute Debattenkultur,
denn auch die Art und Weise der Sprache spiegelt den Zustand einer Demokratie wider. 

Dazu passend darf ich ein bekanntes Sprichwort zitieren, das lautet: Achte auf
deine Gedanken, denn sie werden zu deinen Worten. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu deinen Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden
zu deinen Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden zu deinem Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal. –Zitatende.

Lassen Sie uns daher heute und in Zukunft an diesen Brücken arbeiten, die unsere Ge­sellschaft zusammenhalten! Lassen Sie uns daran arbeiten, die Demokratie zu
stärken und für die kommenden Generationen zu sichern! Es liegt an uns allen, diesen Weg zu gestalten und zu zeigen, dass die Demokratie das beste Modell für eine gerechte und menschliche Gesellschaft ist. 

Demokratie braucht Zukunft, weil sie mehr ist als eine Regierungsform. Sie ist ein Ver­sprechen, das wir uns selbst und der Welt geben – ein Versprechen, dass wir in
einer Gesellschaft leben wollen, die auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität beruht. Lassen Sie uns dieses Versprechen einlösen, indem wir Brücken bauen und die Demokratie stärken! – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

9.12

*****

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf noch einige organisatorische Hinweise über den weiteren Verlauf der Enquete
geben: Es wird während der Enquete zwei Diskussionsrunden geben. Diese bieten Zeit für Beiträge der Teilnehmer:innen. Sofern sie sich zu Wort melden möchten, bitte ich die diskussionsberechtigten Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich jeweils
mit den vorgedruckten Karten, die sich in den Enquetemappen befinden, schriftlich anzumelden, indem sie diese meinem Team – zu meiner Linken – übergeben.
Ihr Name und Ihre Organisation werden in die Rednerliste aufgenom­men. Ihr Beitrag soll die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten. In Anbetracht der zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ersuche ich Sie, die Redezeit einzu­halten.

Über die heutige Enquete wird ein Stenographisches Protokoll verfasst, das in einiger Zeit auf der Internetseite des Parlaments abrufbar sein wird. 

Im Salon des Bundesrates nebenan stehen während der Enquete Erfrischungen bereit. Nach Ende der Enquete, ab 13 Uhr, darf ich Sie alle, meine sehr geehrten Damen
und Herren, zu einem informellen Gedankenaustausch bei einem Empfang in die Säu­lenhalle einladen. 

Zum Auftakt wird uns Dr. Daniel Dettling vom Zukunftsinstitut in Berlin Ein­blicke in die gegenwärtige Situation der Demokratie und die Herausforderungen für Regierungen und Bürgerinnen und Bürger geben.

Mag.a Martina Zandonella von Foresight wird uns das Spannungsverhältnis
zwischen Demokratie und Politik näherbringen und uns Trends aus dem bald er­scheinenden Demokratie-Monitor 2024 vorstellen. Der österreichische Demokratie-Monitor 2023 hat gezeigt, dass insbesondere Menschen mit geringem Einkom­men das Vertrauen in das Parlament verlieren. Das ist eine alarmierende Entwicklung, die wir ernst nehmen müssen. 

Ich möchte noch einmal auf die Erklärung der Landtagspräsidentenkonferenz zurückkommen, sie unterstreicht auch die Bedeutung traditioneller Medien als unver­zichtbare Quelle objektiver und sachlicher Information. „Kurier“-Herausgeberin Martina Salomon wird dazu sprechen und dabei auch die Herausforderungen für den Journalismus beleuchten.

Ich freue mich über die Teilnahme von Landeshauptmann Thomas Stelzer, der Bürgernähe und politische Mitbestimmung als Mittel sieht, das Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen, am zweiten Panel.

Martin Hagen, Geschäftsführer von Republik 21 ist aus München zu uns ge­kommen, um darüber zu sprechen, wie weit es gerechtfertigt ist, dass die Politik Frei­heiten der Bürger einschränkt, um damit die Demokratie zu schützen. 

Botschafter Dr. Emil Brix, Präsident der Österreichischen Forschungsgemein­schaft, wird uns informieren, wie Demokratiebildung für Kinder und Jugendliche so­wie Erwachsene funktionieren kann. 

Als von den Fraktionen nominierte Expertinnen und Experten darf ich auch
noch herzlich Herrn Prof. Herwig Hösele, Präsident des Bundesrates außer Dienst, Prof. Dr. Manfred Matzka, ehemaliger Sektionschef der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt, Dr.in Frauke Petry, ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundes­tages, und Dr.in Martina Handler von Cocreating Future sehr, sehr herzlich
bei uns begrüßen. 

Alle Damen und Herren Referent:innen möchte ich ganz herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. Ich bitte auch Sie, das mit einem gemeinsamen Applaus für alle zu tun. (Beifall.)

II. Keynote

„Stand der Demokratie in A, EU und weltweit. Herausforderungen für Regierungen und Bürger. Blick in die Zukunft“

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir gelangen nun zur Keynote von Zukunftsforscher Dr. Daniel Dettling mit dem Thema „Stand der Demokratie in Öster­reich, der EU und weltweit. Herausforderungen für Regierungen und Bürger.
Blick in die Zukunft“.

Ich ersuche Herrn Dr. Dettling, seinen Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Redezeit von 20 Minuten nicht zu überschreiten. Ich darf darauf hin­weisen, dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt. – Bitte, Herr Dr. Dettling.

9.17

Dr. Daniel Dettling (Zukunftsinstitut): Grüß Gott! Guten Morgen! Ich freue mich sehr! – Ich halte die Anrede kurz, sonst ist meine Redezeit gleich erschöpft. Ich mache es kurz: Liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie und der Zukunft, ich
freue mich sehr, bei Ihnen sein zu dürfen! 

Der Begriff unserer Zeit ist Kontrollverlust. Wir wissen aus der Stressforschung, dass Menschen dann in Stress geraten, wenn sie mit Situationen konfrontiert sind,
die sie nicht verstehen. Diese Situationen haben in den letzten 30 Jahren drastisch zugenommen – im Zusammenhang mit Globalisierung, Migration, Corona,
künstlicher Intelligenz oder Krieg auch in Europa.

Exit, der Ausstieg, ist eine verständliche Reaktion auf die Komplexität einer modernen, vernetzten Welt. Die Brexitkampagne vor acht Jahren hatte Erfolg, weil sie den
Briten das Gefühl gab, sie können – ich zitiere – die Kontrolle wieder selbst übernehmen. 

Wir haben zunehmend das Gefühl, dass uns die Dinge entgleiten und wir keinen Ein­fluss auf sie ausüben können. Eine Krise jagt die nächste. Gibt es einen Ausweg,
eine Alternative zum Ausstieg? Können wir unser öffentliches Leben wieder in den Griff bekommen? Erleben wir gut 200 Jahre nach dem Beginn der modernen Demokratie in diesem Jahrhundert ihr Ende? Droht uns ein Jahrhundert des Autori­tarismus, das der deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf bereits Ende der
90er-Jahre voraussagte?

Das Modell der Demokratie ist 35 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht mehr alternativlos. Das Mantra des US-Politikwissen­schaftlers Francis Fukuyama vom Ende der Geschichte hat sich als Irrtum entpuppt. Mit der Mauer und deren Zusammenbruch begannen nicht der unbegrenzte
Siegeszug der liberalen Demokratie und grenzenloser Zukunftsoptimismus. Die Wie­derwahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika
letzte Woche zeigt, dass sich der autoritäre Megatrend im Kernland der Demokratie fest etabliert hat. Auch in Europa glauben immer weniger Bürgerinnen und Bürger, dass die Zukunft eine bessere Version der Gegenwart ist.

Wer gewinnt die Zukunft? – Ökonomische Transformation, Klimawandel und Pandemien sind für die Kritiker der Demokratie der Beweis, dass autoritäre Systeme – Autokratien und Diktaturen – effizienter und effektiver sind. Viele sehen
China als Gewinner der Krisenwelt und glauben, dass unsere Demokratien zu langsam sind, um im 21. Jahrhundert mit den neuen Autokratien konkurrieren zu können.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache, meine Damen und Herren: Lang­fristig betrachtet sind Demokratien ökonomisch erfolgreicher als Autokratien. Ihr jähr­liches Wirtschaftswachstum ist höher, eben weil Demokratien auf faire und
freie Wahlen, Presse- und Versammlungsfreiheit setzen. Demokratie ist ein Motor für Wachstum, Fortschritt und Frieden. In Demokratien sterben weniger Menschen, schrieb der „Economist“ zu Beginn der Coronapandemie.

Demokratien tragen zu weltweitem Frieden und Wohlstand bei. Die Kriege zwischen den Staaten sind seit 1945 weltweit zurückgegangen. Zwischen 1945 und
2005 ist das Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum in jenen Ländern, in denen Frieden herrscht, dreimal höher ausgefallen als in jenen, in denen das nicht der Fall war. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich der Unterschied auf den Faktor sieben erhöht.

Offene Volkswirtschaften und Gesellschaften sind wohlhabender und reduzieren extreme Armut wirkungsvoller als protektionistische und geschlossene Öko­nomien und Gesellschaften. Der aus Indien stammende Nobelpreisträger für Ökono­mie Amartya Sen hat in seinen Studien nachgewiesen, dass in Demokratien
nicht gehungert wird.

Der Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie ist sogar vom Welt­raum aus zu sehen: Ein nächtliches Satellitenbild von Korea zeigt den demo­kratischen Süden hell erleuchtet und den kommunistischen Norden in nahezu totaler Finsternis.

Auch wenn derzeit etwas weniger als die Hälfte der Gesellschaften in Demokratien lebt, finden in fast allen Regionen der Welt emanzipative Werte wie Gleichbe­rechtigung der Geschlechter, persönliche Entscheidungsfreiheit, Meinungsfreiheit und politische Mitwirkungsrechte zunehmend stärkere Beachtung und Unterstützung.

Warum aber wählen dann viele den Weg in die neue Unfreiheit und suchen
ihr Heil bei Populisten, Extremisten und Hetzern? – Die real existierende Demokratie hat in der Ära der Globalisierung ihr Versprechen – das größtmögliche Glück
für die größtmögliche Zahl der Menschen – nicht eingelöst. Schon die Philosophen und Vordenker der amerikanischen Verfassung, Charles Louis de Montesquieu
und Alexis de Tocqueville, warnten davor, dass sich die Mittelschichten für die Despo­tie entscheiden könnten, wenn sie sich von der politischen Klasse nicht mehr verstanden und abgehängt fühlen. Je mehr sich Bürgerinnen und Bürger ignoriert oder vergessen fühlen, umso mehr ziehen sie sich zurück und umso empfänglicher
werden sie für Alternativen.

„Demokratien sterben, wenn die Menschen nicht mehr daran glauben, dass das Wäh­len wichtig ist“, wie Historiker Timothy Snyder in seinem Buch „Der Weg in
die Unfreiheit“ schreibt. Die Stärke der neuen Autokratien ist vor allem die Schwäche der in die Jahre gekommenen Demokratien. In einer alternativlosen Demokra­tie ist niemand verantwortlich, weil die Zukunft als unausweichlich gilt, und in der neuen Autokratie ist niemand verantwortlich, weil die Regierung uns nur vor Bedrohungen und Feinden schützen kann. Beide, die alternativlose Demokratie wie die populistische Autokratie, schaffen die Zukunft ab. Der einzige Unterschied:
Die Autokraten schaffen sie offen ab. Autokraten brauchen ängstliche Fans, die sich als verlierende Außenseiter sehen. Kulturkämpfe wie das Volk gegen die Eli­ten, Nationalismus gegen Globalisierung und Migranten gegen Einheimische helfen nur den Demokratiefeinden und vernebeln die eigentliche Aufgabe: den Kampf um die Zukunft.

Kommen wir zu den Waffen gegen die Zukunftslosigkeit der Antidemokraten:
Bildung und eine Kultur des Miteinanders. Die Geschichte lehrt uns, dass sich Staaten nicht von außen demokratisieren lassen; Demokratien müssen von innen gewollt
und erreicht werden. Einmal erreichte Demokratien müssen in der Lage sein, sich zu erneuern. Eine Demokratie, die sich nicht erneuert, erstarrt und stirbt einen langsamen Tod.

Demokratie ist mehr als eine Regierungsform: Sie ist auch eine Lebensform. Dass sie täglich erneuert werden muss, wussten bereits die antiken Vordenker. Dass sie
auch supranational in einem Verbund gleichberechtigter Staaten organisiert und ver­teidigt werden kann, ist uns erst seit dem letzten Jahrhundert bewusst. Die Europäische Union ist die bislang einzige politische Organisation, die 2012 den Frie­densnobelpreis für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Men­schenrechte bekommen hat. Der Gründungsgedanke der Europäischen Union ist das Versprechen, künftigen Generationen ein besseres Europa und eine bessere
Zukunft zu ermöglichen. Die Memoiren von Jean Monnet, der zu den Wegbereitern der europäischen Einigung gehört, schließen mit den Worten – ich zitiere –:
„Die souveränen Nationen der Vergangenheit sind kein geeigneter Rahmen mehr, um die Probleme von heute zu lösen. Und die [Europäische] Gemeinschaft selbst ist
nur eine Etappe auf dem Weg zu den Organisationsformen […] von morgen.“

Die Europäische Union ist föderalistisch und kosmopolitisch; sie wirkt lokal und glo­bal; sie ist Nation wie Union. Ihr Ziel ist eine neue Balance von Demokratie
und Subsidiarität. Europa wird in Zukunft größer und zugleich kleiner: größer bei den globalen und kleiner bei den regionalen Fragen. Die europäische Antwort auf
die Globalisierung ist Subsidiarität, organisierte, solidarisch unterstützte Eigenverant­wortlichkeit. Demokratie muss wieder erlebbar werden und konkret erfahrbar
sein, daher ist Demokratie vor allem lokal. Die Zukunft der Demokratie entscheidet sich in den Regionen, Städten und Gemeinden vor Ort.

Meine Damen und Herren! Demokratie ist auch eine Frage der Emotionen:
Ein gemeinsames Gefühl von Zugehörigkeit und Identität ist die stärkste Waffe gegen Zukunftspessimismus und Populismus. Die besten Botschafter Europas sind
die jungen Europäerinnen und Europäer. Demokratie in Europa zu leben heißt mehr Austausch, mehr Bildung und Mobilität. Ein europäisches Schul- und Interrailpro­gramm sind die Antworten.

Die beste Schule der Demokratie ist die Schule. Schule ist nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensort. Junge Menschen, die sich bewegen, Sport treiben, lesen und Musik machen, schneiden in der Schule besser ab. Demokratie und bürgerschaftliches Engagement müssen aber auch in den Schulen gelernt und gelebt werden; das Erlernen demokratischer Kompetenzen gehört zu den zentralen Aufgaben. Ziel ist die Stärkung der politischen Teilhabefähigkeit aller Bürger in einer globalisierten
und digitalisierten Welt. Ein Programm wie Civic Education, Lernen für Demokratie und Zivilgesellschaft, mit Themen wie Debattieren, Konfliktlösung und bürger­schaftlichem Engagement stärkt die demokratische Kultur eines Landes
wie die Selbstwirksamkeit jedes einzelnen Bürgers.

Die grundlegende Schwäche von Demokratien ist, dass sie nicht in der Lage sind,
20 bis 40 Jahre in die Zukunft zu denken. Die Schwäche der Demokratie
sind ihr Präsentismus, ihr kurzfristiger Handlungshorizont und ihr Denken in Wahl­zyklen. Die Interessen von ad hoc agierenden Interessengruppen haben es
leichter, die Interessen künftiger Generationen schwerer. „Der Politiker denkt an die nächsten Wahlen, der Staatsmann an die nächste Generation“, wusste der
britische Premierminister William Ewart Gladstone Ende des 19. Jahrhunderts.

Das Megathema Klimaschutz ist dafür vielleicht das beste oder schlechteste Beispiel: Die Antwort auf den Klimawandel ist nicht die Ökodiktatur, sondern die Klima­demokratie als Projekt der Länder und Städte, ihrer Bürgermeister und Bürger. Von Immanuel Kant, dem großen Denker der Aufklärung, wissen wir: Der ewige
Frieden ist möglich, wenn die Völker den Übergang zur Republik schaffen und sich untereinander vernetzen.

Ein neues politisches Zeitalter beginnt. Die Alternative zur populistischen Autokratie ist vielleicht die populistische Demokratie. Diese verführt das Volk nicht,
sondern verleitet es zur Übernahme von Verantwortung. Statt den Bürgerinnen und Bürgern nach dem Mund zu reden, geht es darum, mit ihnen zu reden und sie
auch zu Wort kommen zu lassen. Wir haben die Möglichkeiten, die Demokratien zu verteidigen, noch lange nicht ausgeschöpft. 

Die Mitmachdemokratie ist die Zukunft der Demokratie in Europa, in Österreich
und in den Regionen. – Der österreichische Bundesrat ist Länderkammer, Europakammer und Zukunftskammer, so hat es Bundesratspräsident Franz Ebner sehr gut eben auf den Punkt gebracht. Statt um Alternativen zur parlamentarischen Demokratie geht es um ihre Weiterentwicklung, um innovative Verfahren und Instru­mente der Beteiligung und des Mitgestaltens. Statt den Bürgerinnen und Bür­gern von oben zu sagen, was sie zu tun haben, geht es darum, sie zum Mitmachen einzuladen. In einer koproduktiven Demokratie haben Bürger die Freiheit,
Neues auszuprobieren und ihre Ideen mit der gesamten Gesellschaft zu teilen. 

Die Erfahrungen mit Bürgerforen in vielen europäischen Ländern und Gemeinden ma­chen Mut. Demokratie braucht Staatsmänner, Staatsfrauen und Staatsbürger,
die den Kampf gegen Autokraten und Reaktionäre aufnehmen und für eine bessere Zukunft streiten. Maß, Mitte, Mut und Mindset gehören in einer Demokratie zusammen. Demokratie lebt von dem Glauben an eine offene und bessere Zukunft. Dabei kommt es auf jeden Einzelnen an. Die Bürgerinnen und Bürger müssen
das Gefühl haben, selbst etwas bewirken zu können. Gelebter Parlamentarismus braucht einen gelebten Republikanismus. 

„Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst“, lautet das berühmte Diktum von John F. Kennedy in seiner Antrittsrede im
Jahr 1961. Und weiter: „Fragt nicht, was Amerika für euch tun wird, sondern fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.“ – Freiheit
und Demokratie und das Engagement für beide gehören zusammen. 

Die Zukunft kann nur von uns allen gerettet werden. Machen wir uns die Mühe, sie zu retten. Machen Sie mit! – Haben Sie herzlichen Dank. (Beifall.)

9.32

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Dr. Dettling, für Ihre Ausführungen. 

III. Panel 1 „Analyse der Herausforderungen“

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir gelangen nun zu Panel 1 und dem Thema „Analyse der Herausforderungen“. 

Ich ersuche die Referent:innen, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Redezeit von 20 Minuten nicht zu überschreiten. Ich darf neuerlich
darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen, das bei Herrn Dettling gar nicht zu leuchten begonnen hat, 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken
beginnt. 

Ich darf zuerst Frau Politikwissenschafterin Mag.a Martina Zandonella um ihren Bei­trag zum Thema „Demokratie und Politik“ ersuchen. – Bitte, Frau Zandonella. 

9.33

Mag. Martina Zandonella (Foresight): Guten Morgen auch von meiner Seite! Ich darf auch gleich direkt anschließen an das soeben Gehörte. Ich möchte vielleicht mit
den Widerstandskräften, die eine Demokratie auch in sich hat, beginnen, und weil wir heute hier in diesem schönen Haus sind, würde ich gerne drei erwähnen.
(Die Rednerin unterstützt in der Folge ihre Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.)

An erster Stelle geht es um die Gewalten und alle Menschen, die in diesen Gewalten arbeiten. Ein zentraler Widerstandsfaktor der Demokratie ist, wie verantwor­tungsvoll und mit welcher Art von Respekt die Gewalten miteinander agieren, wie es in der Verfassung steht auf der einen Seite, aber schon auch wie die Menschen,
die da verantwortlich sind, handeln. Das sind die Rahmenbedingungen, die dann auch geschaffen werden, um gerade in Krisensituationen gut zurechtzukommen. 

Ein zweiter ganz zentraler Faktor in unserem repräsentativen System sind die politi­schen Parteien, weil sie letzten Endes auch bestimmen, welche Personen auf
den Listen stehen, um dann gewählt werden zu können. Bevor Donald Trump sozu­sagen gewählt werden kann, muss ihn einmal irgendjemand irgendwo hin­schreiben und ihn in eine Position bringen, dass er tatsächlich realistische Chancen hat, gewählt zu werden. 

Der dritte Punkt, und da bin ich dann bei unserem Demokratiemonitor, ist die Bevölkerung. Natürlich ist es auch ein ganz zentraler Resilienzfaktor von Demokratie, dass die Menschen geteilte demokratische Grundwerte haben, eine aktive Zivil­gesellschaft vorhanden ist, die sich für unsere Demokratie und unsere demokratischen Werte einsetzt. 

Und genau an dieser Stelle, an der Bevölkerung, setzt der Demokratiemonitor
an, den wir seit 2018 erheben und wo wir uns im Grunde einfach nur anschauen: Wie geht es denn den Menschen in Österreich mit der Demokratie in unserem Land?
Was denken sie über die Politik? Womit sind sie zufrieden? Wo ist Vertrauen vorhan­den oder wo vielleicht auch nicht? Ich habe Ihnen ein paar ausgewählte Ergeb­nisse mitgebracht, die vor allem auch zu dieser Vertrauensfrage passen. Sie haben auch Unterlagen bekommen, denke ich, da können Sie gut mitschauen. 

Was wir ganz zentral sehen, ist, dass wir sozusagen einen Verlust im Vertrauen gegenüber dem politischen System feststellen müssen. Wir haben 2018 begonnen – erinnern Sie sich, 2018 war wirklich ein gutes Jahr, solch ein Projekt zu starten,
denn im Vergleich zu dem, was alles nachher passiert ist, ist 2018 ungefähr überhaupt nichts passiert – und haben hier mit 2018 auch einen Basiswert, von dem wir ausgehen können. 2018 haben zwei Drittel der Menschen bei uns im Land gesagt: Das passt gut, ich finde, unser politisches System funktioniert! Inzwischen haben
wir nur mehr knapp 40 Prozent der Menschen, die das sagen. Sie sehen, das ist ein doch sehr deutlicher Abstieg. 

Sie sehen auch anhand der Balken, dass wir das sehr schön auch an innenpoli­tischen, an globalpolitischen Dingen, die passiert sind, festmachen können. 2019 zum Beispiel war Ibiza, da ging es gleich hinunter, dann ist mit der zunehmenden
Dauer der Coronapandemie und der Teuerung das Vertrauen weiter gesunken. Wir hatten letztes Jahr zum ersten Mal wieder einen kleinen Anstieg in dieser Ein­schätzung betreffend die Frage, ob das politische System gut funktioniert. Und aktuell sehen wir – die Daten sind von gestern, ich kann Ihnen noch nicht sehr
viel darüber berichten –, dass es ungefähr gleich geblieben ist wie im letzten Jahr. 

Wenn wir uns anschauen, welche Bevölkerungsgruppen es betrifft, bei de­nen dieses Vertrauen gesunken ist, sehen wir, dass das im Grunde alle Bevölkerungs­gruppen betrifft. Egal, ob wir uns Männer und Frauen anschauen, ob wir uns
Ältere und Jüngere anschauen, ob wir uns die Bevölkerung in der Stadt oder am Land anschauen, ob wir uns Einkommensgruppen, -klassen anschauen, das Vertrauen
ist in allen Gruppen gesunken. Wir sehen aber, wenn wir auf die ökonomische Situa­tion der Menschen blicken, eine andere Entwicklung als in anderen Gruppen.
Bei den Männern und Frauen ist es zum Beispiel so, dass die Frauen durch die Bank ein bisschen weniger zufrieden sind als die Männer, aber über diese Jahre
hinweg verläuft die Entwicklung parallel, also: Steigt es in der einen Gruppe, steigt es in der anderen Gruppe, sinkt es in der einen Gruppe, sinkt es in der anderen
Gruppe. 

Eine andere Entwicklung sehen wir, wenn wir uns die Einkommensdrittel anschauen. Hier haben wir einfach die Personen nach ihren Einkommen befragt und sie
in ein unteres Einkommensdrittel, ein mittleres und ein oberes Einkommensdrittel geteilt. Da sehen wir eine andere Entwicklung. Da sehen wir zum einen, dass
in der Mitte der Gesellschaft und in den oberen Einkommensgruppen diese Linien betreffend Vertrauen stärker schwanken, das heißt, sich an aktuellen politi­schen Ereignissen orientieren, da geht es einmal runter, dann geht es wieder rauf. Da haben wir bereits letztes Jahr auch ein gutes Ergebnis sozusagen, ein positives
Ergebnis gesehen: 2023 ist das Vertrauen sowohl in der Mitte der Gesellschaft als auch im oberen Einkommensdrittel ein bisschen hinaufgegangen.
Und das, was wir aktuell sehen, ist, dass sich dieses langsame Steigen fortsetzt. 

Ganz anders ist die Entwicklung im unteren Einkommensdrittel. Hier sehen Sie, dass die Linie über die Jahre hinweg viel flacher ist, das heißt, es schwankt nicht
so stark wie in den anderen Gruppen. Es war auch bereits 2018 sehr gering. 2018 hat auch nicht einmal mehr die Hälfte der Menschen im unteren Einkommensdrittel gesagt, für sie funktioniere das politische System eigentlich gut. Sie sehen, der Wert sinkt weiter. Er ist 2023 noch einmal gesunken und er ist auch heuer wieder gesunken. Inzwischen sagt nur mehr ein Fünftel der Menschen in dieser Gruppe: Für mich funktioniert das politische System gut!

Wir haben gesehen, dieses sinkende Vertrauen betrifft sozusagen alle Bevölkerungs­gruppen – die einen mehr, die anderen weniger. Was aber auch spannend ist,
ist, dass es nicht alle Institutionen, die mit der Demokratie zu tun haben, im selben Ausmaß betrifft. Was wir sehr stark sehen, ist, dass der Vertrauensverlust
ganz, ganz klar die repräsentativen Einrichtungen und deren Handelnde in unserem System betrifft. Sie haben hier, wenn wir uns das anschauen, auf der einen
Seite das Vertrauen in die Polizei, auch in das Justizsystem und in die Verwaltung abgebildet – das ist hoch und das bleibt über die Jahre hinweg gleich, da tut sich nicht sehr viel. Wenn wir uns aber die repräsentativen Einrichtungen anschauen,
also zum Beispiel das Parlament, auch die Bundesregierung oder den Bundespräsiden­ten, oder die politischen Parteien, dann sehen Sie, dass es abfällt. 

Ich finde, besonders zentral ist es – dort fällt es besonders stark auf – bei den poli­tischen Parteien. Wir hatten 2018 einen sehr kleinen Anteil an Menschen in Österreich, die gesagt haben: Ich finde derzeit eigentlich keine Partei, von der ich meine politischen Anliegen gut vertreten finde! Das waren 13 Prozent, das
ist nicht besonders viel. 2023 haben 37 Prozent der Menschen gesagt: Für mich gibt es im Moment eigentlich keine Partei, wo meine politischen Anliegen gut auf­gehoben sind! Da sehen Sie schon, dass dieser Vertrauensverlust ganz klar mit den repräsentativen Institutionen der Demokratie verknüpft ist. 

Jetzt ist natürlich die Frage: Was passiert da, warum ist das so?, und ich wür­de gerne noch einmal auf unser unteres Einkommensdrittel zurückkommen, weil bei diesem diese Entwicklung einfach am auffälligsten ist und wir dort auch kei­ne Verbesserung verzeichnen. Wir verzeichnen in dieser Gruppe eine sukzessive so­zusagen Verschlechterung. Und da spielt eine große Rolle: Was bedeutet denn
für die Menschen Demokratie? Warum finden sie es gut, in einer Demokra­tie zu leben? Das ist etwas, das wir sehr oft fragen – nicht nur in Befragungen, son­dern auch, wenn wir mit den Menschen länger reden, wenn wir uns mit ihnen
einmal 2 Stunden über Demokratie unterhalten –, und da stehen zwei Dinge ganz oben auf der Liste, die immer kommen: Warum ist Demokratie gut, was finden Sie gut an Demokratie? – Das ist zum einen die politische Gleichheit: Egal wer ich bin,
woher ich komme, wer meine Eltern waren, in diesem demokratischen Rahmen sind wir alle gleich. Wir haben alle eine Stimme und jede Stimme zählt gleich viel. –
Das ist der eine Aspekt. Der zweite Aspekt ist die Mitbestimmung: In einer Demokra­tie bestimmen wir die Lebensumstände, die uns alle gemeinsam betreffen, auch gemeinsam. 

Wenn wir von diesen beiden Versprechen sozusagen ausgehen, dann sehen wir, dass das genau das ist, was im unteren Einkommensdrittel nicht mehr gilt. Die Erfah­rungen, die die Menschen also machen, sind eben nicht politische Gleichheit und Mit­bestimmung, sondern andere. Wir sehen es hier – ich habe Ihnen ein paar Zah­len mitgebracht, um das zu verdeutlichen –: Gerade die Menschen im unteren Ein­kommensdrittel machen sehr häufig eben die Erfahrung von Ungleichwertig­keit. Zum Beispiel haben wir die große Mehrzahl von ihnen, die denkt, sie werden als Menschen zweiter Klasse behandelt – so ganz allgemein ein Gefühl, aber ganz
zentral auch bei der Arbeit. Wir haben in unserem oberen Einkommensdrittel – und Sie können sich vorstellen, welche Berufe das sind; die meisten von uns hier
haben solche Berufe – den Großteil jener Menschen, die sagen: Selbstverständlich, in der Arbeit erlebe ich eigentlich jeden Tag, dass die Gesellschaft das, was ich
mache, wertschätzt, meinen Beruf, meine Arbeit, das, was ich auch beitrage zur Ge­sellschaft. In unserem unteren Einkommensdrittel haben wir nur 23 Prozent
der Menschen, die sagen, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft wertgeschätzt wird. Auch daran sehen Sie, wie stark sich all diese Erfahrungen, die die Menschen
im Alltag machen, mit Gleichwertigkeit oder in dem Fall eben Ungleichwertigkeit, dann auswirken darauf, ob sie unser politisches System für gut funktionie­rend halten oder nicht, denn das ist einer der stärksten Effekte sozusagen, wenn wir uns diese Wahrnehmung von Ungleichwertigkeit anschauen. 

Sehr ähnlich schaut es aus, wenn wir uns die Mitbestimmung anschauen:
Auch da haben wir im oberen Einkommensdrittel eine Mehrheit von Menschen, die sagen: Menschen wie ich sind im Parlament gut vertreten. Und bei „Menschen
wie ich“ geht es jetzt nicht nur darum, dass das tatsächlich Menschen wie ich sind, die aus einer ähnlichen Lebensrealität herauskommen wie ich, sondern eben auch
darum, ob ich das Gefühl habe, dass meine politischen Anliegen dort irgendwie Thema sind, dort auch verhandelt werden und vielleicht sogar einmal irgendetwas um­gesetzt wird. Auch da sehen wir, dass im unteren Einkommensdrittel nicht
einmal mehr ein Fünftel der Menschen der Meinung ist, dass sie im Parlament gut vertreten sind, und zwar in der Art und Weise, dass die Lebensrealität, aus
der sie kommen, dass ihre Berufe zum Beispiel – und natürlich, ja: Wo sind die Pflege­kräfte, wo sind die Reinigungskräfte im Parlament? –, aber auch ihre politischen Anliegen dort nicht mehr vertreten sind.

Die Konsequenz daraus ist eine relativ dramatische, auch wenn wir uns Folgendes an­schauen: Haben denn die Menschen überhaupt das Gefühl, dass es sich noch
auszahlt, sich zu beteiligen, zur Wahl zu gehen, bei irgendeiner Initiative mitzumachen, auf eine Demo zu gehen, sich einfach in der Nachbarschaft – wie auch immer –
zu engagieren? – Auch da sehen Sie, dass in unserem unteren Einkommensdrittel nur mehr ein sehr, sehr kleiner Teil diese politische Selbstwirksamkeit auch hat,
dieses Gefühl: Es zahlt sich aus, wenn ich meine Stimme abgebe!, Wenn ich mich ir­gendwo beteilige, dann bringt das auch tatsächlich etwas!

Wenn wir uns anschauen, welche Konsequenzen das hat, dann sehen wir zum einen – das haben wir schon 2019 gesehen –, dass sich das bereits sehr, sehr stark auf
die politische Beteiligung der Menschen auswirkt. Wir hatten 2019 bei der National­ratswahl im oberen Einkommensdrittel 12 Prozent, also ein bisschen mehr
als jede und jeder Zehnte der Menschen, die gesagt haben: Ich möchte nicht teilneh­men, es zahlt sich nicht aus, meine Stimme abzugeben, ich gebe meine Stimme
nicht ab! Im unteren Einkommensdrittel hatten wir bereits 2019 fast 40 Prozent der Menschen, die gesagt haben: Ich nehme an dieser Wahl nicht teil, weil es sich
für mich einfach aus den Erfahrungen heraus, die ich gemacht habe, nicht
mehr auszahlt!

Wir haben – Sie erinnern sich – bei der aktuellen Nationalratswahl eine Steigerung der Wahlbeteiligung gehabt – was immer schön ist in einer Demokratie,
wenn mehr Menschen zur Wahl gehen –, aber was wir aktuell sehen, ist, dass das fast ausschließlich das obere und mittlere Einkommensdrittel betrifft. Also in den
beiden Gruppen, in denen das Vertrauen auch wieder ein bisschen gestiegen ist, ist auch die Wahlbeteiligung gestiegen. Im unteren Einkommensdrittel ist es nicht gelungen, die Menschen davon zu überzeugen, häufiger zur Wahl zu gehen. Da haben wir also inzwischen diese über 40 Prozent, die sich entschlossen haben, nicht hinzugehen.

Jetzt kann man natürlich fragen – na gut, auf der einen Seite sind das jetzt alles sozusagen subjektive Wahrnehmungen, die ich Ihnen da erzähle, das ist das, was die Menschen erleben, was sie uns berichten, die Erfahrungen, die sie im Alltag
machen –: Stimmt denn das, dass ihre Anliegen sozusagen nicht berücksichtigt wer­den, dass sie irgendwie weniger zählen? – Und da wissen wir aus der US-ame­rikanischen Demokratie, aus der Demokratie in Großbritannien schon sehr, sehr lan­ge – da gibt es schon Studien aus den Sechzigerjahren, die uns das zeigen –:
Es ist tatsächlich so, dass das, was sozusagen in den Parlamenten auch umgesetzt wird, mehr oder weniger das ist, was die oberen Einkommensgruppen sich
wünschen, wofür sie auch stehen.

Wir hatten sehr lange keine Ergebnisse für europäische Demokratien, Demokratien unseres Zuschnitts und haben uns auch dann immer gut rausreden können im
Sinne von: Bei uns ist das sicher nicht so, weil unsere Demokratie funktioniert einfach anders! Wir haben öffentlich finanzierte Wahlkämpfe, öffentlich finanzierte
Parteien, das funktioniert alles ganz anders! Inzwischen gibt es aber Studien, die trau­rigerweise auch darauf hinweisen, dass es bei uns gar nicht so viel anders ist.
Kollegin Elsässer hat sich das für den Bundestag in Deutschland angeschaut und auch festgestellt – über einen Zeitraum von 30 Jahren –: Das, was umgesetzt wird,
sind im Grunde die Anliegen der oberen Einkommensgruppen. Sobald sich sozusagen die unteren und oberen Einkommensgruppen unterscheiden, in dem, was sie
gerne hätten und in ihren politischen Anliegen, gewinnen sozusagen die oberen. Also da sehen wir schon auch, dass diese ökonomische Ungleichheit, die auch mit
einer ungleichen Wertigkeit zusammenhängt, einer ungleichen Variante mitbestim­men zu können, letzten Endes auch zu einer politischen Ungleichheit führen
kann, etwas, wo man, denke ich, sehr aufpassen muss.

Positiv sozusagen ist, dass wir gesehen haben, das ist eine Auswirkung, dass die Men­schen sich dann einfach nicht mehr beteiligen. Was wir noch nicht sehen, ist,
dass sich das auch darauf auswirkt, ob die Menschen die Demokratie im Allgemeinen als ein gutes System betrachten. Da sehen wir über die Jahre hinweg – und
das setzt sich auch heuer wieder fort – eine sehr stabile Mehrheit bei uns in Öster­reich, die sich für die Demokratie als beste Staatsform ausspricht. Das ist nur
ein Beispiel davon, da gibt es sehr viele Dinge, die wir erheben, und das zeigt sich eigentlich durch die Bank, da tut sich auch nicht viel. Dieser Wert von Demo­kratie, dieses Grundsätzliche: Ich möchte auch in einer Demokratie leben, ich finde die Demokratie gut und besser als andere Systeme!, ist hier sehr stabil.

Wir haben auch versucht, noch ein bisschen weiter reinzugehen, weil es dann
doch sehr abstrakt ist, Demokratie als beste Staatsform sozusagen, und haben dann tatsächlich einfach die Menschen gebeten, zu sagen: Wenn sie sich für etwas entscheiden müssten, was würden Sie dann tun? Würden Sie unser parlamentarisch-demokratisches System, so wie wir es jetzt in Österreich haben, beibehalten,
oder wären Sie für ein anderes System, zum Beispiel eine Diktatur auf Zeit oder eine Art von Experten-/Expertinnenregierung oder auch ein Schweizer Modell?
Und Sie sehen hier: Das einzige Modell, das unserer Demokratie tatsächlich eine Kon­kurrenz bieten kann, ist das Schweizer Modell. Das heißt letzten Endes auch –
und das ist, denke ich, auch ein sehr schönes Ergebnis –, dass es den Menschen in ers­ter Linie nicht darum geht – oder eigentlich gar nicht darum geht –, weniger mitzubestimmen, sondern genau im Gegenteil: Es geht um mehr Mitbestimmung, und das ist das, wofür das Schweizer Modell auch steht.

Natürlich ist es da wichtig, zu erkennen, dass das Schweizer Modell eine ganz
andere politische Kultur ist, die auch auf ihre Art und Weise gelernt werden muss, und es natürlich – wir haben es beim Brexit zum Beispiel gesehen –, wenn man sehr komplexe Fragen auf einfache Ja-/Nein-Fragen herunterbricht, auch nicht sehr viel Sinn hat und das sehr starke Auswirkungen hat. 

Darum geht es nicht. Wir fragen auch immer wieder Folgendes: Wie ist es
denn, soll die Bundesregierung in Österreich Beteiligungsrechte zum Beispiel abbauen, ausbauen? Soll es so bleiben, wie es ist? Oder die Unabhängigkeit der Justiz oder die Unabhängigkeit der Medien oder auch die Versammlungsfreiheit
oder die Rechte des Parlaments betreffend, wo es eben darum geht: Was ist es? Möchten die Menschen ein System, wie man sich vielleicht ein Schweizer
System vorstellen kann, wo man einfach jeden Tag dreimal über irgendetwas ab­stimmt und dann ist das erledigt? – Nein. Wir sehen da sehr schön: Auf der
einen Seite sollen Beteiligungsrechte ausgebaut werden, gut, aber es sollen schon auch die Rechte des Parlaments auf jeden Fall so bleiben, wie sie sind. Die Versammlungsfreiheit soll ausgebaut werden, die Unabhängigkeit der Medien, die Unabhängigkeit der Justiz soll ausgebaut werden. Das heißt, es geht nicht
darum, ein parlamentarisches System durch ein Volksbefragungssystem in irgendeiner Art und Weise zu ersetzen, sondern es geht schon darum, die unterschiedlichen Varianten der Demokratie, wo Dinge entschieden werden, zu stärken, so wie wir sie jetzt haben, und dann vielleicht noch die Beteiligungsrechte dazu ein bisschen auszubauen.

Das ist diese Grundvorstellung, die die Menschen in Österreich haben, und das ist auch das, was ich Ihnen hier heute gerne ein bisschen mitgeben wollte: dass
wir auf der einen Seite schon sehen, dass dieses Vertrauen sinkt, gerade in unserem unteren Einkommensdrittel, aber auf der anderen Seite die positive Entwick­lung, wo jetzt tatsächlich die Frage im Vordergrund steht, wie es gelingt, auch das untere Einkommensdrittel wieder in die Demokratie reinzuholen, auch selbst­wirksam zu machen. 

Ein ganz, ganz zentraler Aspekt, den ich hier erwähnen möchte, ist, weil wir ja auch sehr viel an Beteiligungsmöglichkeiten schaffen – ich glaube, die Stadt Wien
ist da mit sehr vielen Dingen, wo man sich beteiligen kann, auch Vorreiterin –: Das Schwierige ist, dass es gerade für das untere Einkommensdrittel nicht einfach
ist, sozusagen nach der Arbeit auch noch dort hinzugehen, und deswegen möchte ich auch noch einmal dafür plädieren – und wir haben es am Beginn, in der ersten Begrüßungsrede, auch schon gehört –, dass wir nicht vergessen dürfen, Demokratie findet nicht nur alle fünf Jahre bei der Wahl statt oder wenn ich jetzt eine Bür­gerinitiative gründe oder vielleicht einmal auf eine Demonstration gehe, sondern De­mokratie muss im Alltag der Menschen, in den Schulen, vor allem auch in der
Arbeit verhaftet sein. Gerade für das untere Drittel ist das ganz zentral.
Das sind Menschen, die bislang sehr, sehr wenige positive Erfahrungen mit Demo­kratie und Beteiligung gemacht haben. Die müssen wir dort erreichen, wo
sie sich im Alltag schon befinden, und das ist bei den Jüngeren in den Schulen, bei den Älteren in der Arbeit. 

Hier sehen wir, dass wir da tatsächlich sehr viel erreichen können, und wir
sollten noch einmal darüber nachdenken, was wir da machen können, denn: Letzten Endes braucht es diese positiven Alltagserfahrungen mit Demokratie, damit
ein Vertrauen aufgebaut werden kann, das dann auch weiterwirkt, damit die Bevölke­rung sozusagen ihre Aufgabe, ihren Teil der Widerstandskraft in der Demokra­tie, die potenziell von außen und von innen bedroht wird, auch erfüllen kann. – Vielen Dank. (Beifall.)

9.50

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihre interessanten Ausfüh­rungen. 

Ich darf nun Frau Dr.in Martina Salomon um ihren Beitrag zum Thema „Demo­kratie und Medien“ ersuchen. – Bitte, Frau Salomon. 

9.50

Dr. Martina Salomon („Kurier“): Guten Morgen! Danke für die interessanten Vorreden.

Ich stehe hier als Vertreterin der sogenannten vierten Gewalt, der Medien, vor Ihnen – sogenannten deswegen, weil die Staatstheorie der Gewaltenteilung ja bereits 275 Jahre alt ist und sich in der Zwischenzeit einiges verändert hat. Auch die Trennung von Gesetzgebung und Exekutive ist nicht immer nach der reinen Lehre durchgehalten worden.

Demokratiepolitisch haben die Medien aber eine eminent wichtige, ja eine unersetzliche Aufgabe. Wir schauen Ihnen, der Politik, auf die Finger. Wir tun es seit Aufhebung der Zensur infolge der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848.

Es waren die gedruckten Zeitungen, die praktisch ein Jahrhundert lang das Monopol auf die öffentliche und auf die veröffentlichte Meinung hatten. Erst mit der
Erfindung des Radios – das ist übrigens heuer genau 100 Jahre her – hat das ge­druckte Wort damals auch Konkurrenz bekommen. Wirklich kritischer
und unabhängiger Journalismus hat in diesem Medium allerdings erst nach der Rundfunkreform des Jahres 1967/68 stattgefunden. Gerd Bachers soge­nannte Informationsexplosion im ORF hat die vierte Gewalt mit Sicherheit gestärkt. Die privaten Zeitungen blieben weiter relevant.

Doch seit gut einem Jahrzehnt sind die klassischen Medien unter Druck
geraten, weniger durch die Politik, wie das in vielen anderen Ländern der Fall ist. In Österreich gibt es zwar medienpolitisch tatsächlich einiges zu tun, aber der
freie Journalismus ist Gott sei Dank trotz anders lautender Unkenrufe noch immer Realität. Er ist aber durch vier Punkte gefährdet, und die möchte ich Ihnen
vortragen. 

Gefährdung Nummer eins: 

Immer weniger Menschen sind bereit, für journalistische Inhalte zu zahlen, und wir sehen die Vorboten der Rezession leider mit dem zunehmenden Einbrechen
des Werbevolumens. Mehr als jeder zweite Euro wandert außerdem bereits in Rich­tung internationaler Plattformen. Die Marktmacht von Google, Facebook
und Co bedroht das Geschäft nationaler Marken massiv. Im Vorjahr war zum ersten Mal dieser Dammbruch, dass mehr als die Hälfte dorthin fließt. Wertschöpfung
findet damit immer weniger in Österreich statt. Alles zusammen führt damit leider zu Sparpaketen in den Redaktionen und zum Sterben von Verlagen und Medien.
Das kostet Arbeitsplätze, das geht auf Kosten der Vielfalt. 

In den USA gibt es mittlerweile nicht einmal mehr ernsthafte Regionalmedien und nur noch wenige Brands, die sich Milliardäre leisten. Sie wissen, Jeff Bezos hat die „Washington Post“ gekauft, Elon Musk besitzt die Plattform X, vormals Twitter. Diese Plattformen sind die neuen weltweiten Massenmedien. Wenn ein verhaltens­origineller Manager wie Musk mit seinen Tweets locker 20 oder mehr Millionen Men­schen erreicht, dann ist das wohl so etwas wie die fünfte Macht im Staat. 

In Wahrheit befinden sich die vom Staat unabhängigen Medienhäuser in Österreich in einem Zangengriff zwischen den amerikanisch dominierten Superkonzernen
und der Marktmacht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der ORF ist durch eine gesetzliche Haushaltsabgabe auf lange Sicht abgesichert. Da sind wir gar
nicht neidisch, aber wer private Verlage in Österreich erhalten sehen will, die auch mit ihrer Vielfalt die für eine Demokratie essenzielle Meinungspluralität herstellen,
der muss für entsprechende faire Rahmenbedingungen sorgen. 

In den letzten Jahren, eigentlich Jahrzehnten, ist außerdem eine Schieflage entstan­den: Politik und Wirtschaft rüsten mit immer größeren Kommunikationsabtei­lungen auf. Unternehmen und auch Kammern haben neuerdings sogar Newsrooms, sie haben PR-Agenturen, sie machen Lobbyingarbeit. Damit steht eine
wachsende Armada an Presseleuten den schrumpfenden Redaktionen gegenüber. Na­türlich bedroht das langfristig die journalistische Unabhängigkeit.

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich auch die Frage, wie die stets wach­senden Presseabteilungen ihre Botschaften überhaupt platzieren können, wenn es auf der anderen Seite immer weniger österreichische Medien und Medienplattfor­men gibt, die Nachrichten und Informationen transportieren können. 

Gefährdung Nummer zwei: Digitalisierung und soziale Medien. 

Alle Medienhäuser leisten riesengroße Transformationsanstrengungen. Sie sind auf allen Plattformen präsent. Sie versuchen, Junge mittels Videos samt Unter­titeln zu erreichen, von Tiktok über Instagram bis Youtube, wie immer auch all die Plattformen heißen mögen. Dennoch hat sich die Deutungshoheit von uns
Medien, uns klassischen Medien immer häufiger weg verlagert, auch hin zu politischen Influencern. Das sind viele kleine, aber auch ein paar mächtige wie der vorhin erwähnte Elon Musk. Er hat die US-Präsidentschaftswahl beeinflusst und wird einer der großen Profiteure dieses Wahlausgangs sein. 

Die einstigen österreichischen Parteizeitungen sind, allerdings viel weniger transparent als früher, im Netz wiederauferstanden. Am modernsten ist da übrigens die FPÖ, weil sie sich zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht ausgegrenzt
fühlte. In den klassischen Medien ist sie schneller neue Wege gegangen und den anderen Parteien voraus. Der relative Erfolg der FPÖ in den sozialen Netzen
erklärt sich auch damit, dass Opposition eben grundsätzlich von Zuspitzung lebt und damit die Mechanismen der sozialen Medien besser bedienen kann. 

Auf Social Media erhalten die Aussagen mehr Aufmerksamkeit. Likes sind die neue Währung. Man gewöhnt sich an Extrempositionen, und Verrücktheiten ver­leiten zur Nachahmung. Das kann, wie kürzlich tragischerweise in Wien passiert, im schlimmsten Fall sogar tödliche Folgen haben: Zwei U-Bahnsurfer sind für ein besonders geiles Insta-Video gestorben. 

Die sozialen Medien sind einerseits eine großartige Errungenschaft, das darf man auch nicht kleinreden. Dort kann sich niederschwellig jeder informieren, vernetzen
und auch seine Meinung kundtun. Der einstige Traum vom Bürgerjournalismus ist in Erfüllung gegangen: Jeder/jede kann Journalist sein. Es ist einfach, kostet praktisch nichts, und mit ein bisschen Glück geht ihr Tweet viral. 

Die Kehrseite der sozialen Medien sind eine ungehinderte Verbreitung von Desinfor­mation und Verschwörungstheorien, die Entstehung von Echokammern, Hass
und Aggression im Schutz der Anonymität. Ich kann daher der vom Bundesratspräsi­denten angesprochenen Klarnamenpflicht einiges abgewinnen, auch wenn
das für manche Medien, deren Reichweite und damit Werbevolumen vor allem von ihrer Postercommunity abhängt, wirtschaftlich bedrohlich ist. 

Von Aggressionen sind Politiker besonders stark betroffen, wie ich das auch
selber bemerke, und da wiederum die Frauen noch stärker. Ich hoffe, die Betroffenen lesen nicht diesen Schwall an negativer Energie von oft anonymen und bezahlten Trollen, der da auf sie niedergeht. Das kann wirklich ihre psychische Gesund­heit beeinträchtigen, und es wirkt sich auch sonst extrem negativ aus.

Das Image der Politik – das hat uns ja Frau Mag. Zandonella gerade eindrucksvoll ge­zeigt – ist durch dieses hemmungslose Draufhauen bereits dermaßen beschä­digt, dass man schon sehr mutig sein muss, um sich ein politisches Amt überhaupt anzutun. 

Was ich heuer für Österreich, aber noch mehr für die USA im Rahmen der Wahlkämpfe erwartet habe, ist hingegen interessanterweise nicht eingetreten: dass mit künstlicher Intelligenz betriebenes Dirty Campaigning stattfindet. Es ist
nämlich unfassbar einfach geworden, jemandem gefälschte Worte in den Mund zu legen. Das ist für Betrüger aller Art ein Geschenk. Wir werden daher immer
öfter künstliche Intelligenz einsetzen müssen, um KI zu enttarnen. 

Da kommt wieder der seriöse Journalismus ins Spiel. Er hat die Erfahrung und die Kontakte, um Dinge einordnen zu können. Das macht Medien natürlich
nicht fehlerfrei, aber die alte Tugend Check, Re-Check, Double-Check ist noch wich­tiger geworden.

Wie man diesen Ungeist wieder in die Flasche zurückbekommt, weiß ich
nicht. Wir unterschätzen ja auch, glaube ich, noch immer den Einfluss von Plattformen wie Tiktok auf die unbemerkte Radikalisierung junger Menschen.

Damit komme ich zur Gefährdung Nummer drei: der Glaubwürdigkeitsverlust
des klassischen Journalismus – übrigens parallel zur Politik.

Beides ist schlecht für die Demokratie. Der Glaubwürdigkeitsverlust der Medien hat mehrere Ursachen. An den linken und rechten Rändern gehört Medienbashing sozusagen zum guten Ton. „Systempresse“ ist zum Kampfbegriff geworden. Im Laufe der Pandemie und vor allem durch die ohnehin nie in Kraft getretene Impf­pflicht wurde der Ton noch einmal schärfer. Die Maßnahmenkritiker unterstellten den Medien fälschlicherweise, mit der Regierung und sogar mit der Pharmaindustrie
im selben Boot zu sitzen. Das ist natürlich ein Unsinn, der aber von vielen, die keine Kenntnis von den wirklichen Strukturen haben, geglaubt wird. Kann sein,
dass wir damals manches zu wenig kritisch hinterfragt haben, aber es geschah nach bestem Wissen und Gewissen. Wir wollten vor allem verantwortungsvoll
sein, Tod und Krankheit vermeiden, indem wir die Menschen informieren. Wir folgten damals dem, was State of the Art in der Wissenschaft war. Rückblickend sind
alle, auch Wissenschaft und Politik, gescheiter. 

Ich halte es für sehr problematisch, wenn eine politische Partei die Spaltung der Ge­sellschaft zu diesem Thema immer und immer wieder befeuert, um selbst poli­tisches Kapital daraus zu schlagen. Natürlich ist der Glaubwürdigkeitsverlust der Me­dien zum Teil auch eigenverschuldet. Der viel zitierte Haltungsjournalismus,
das Medium als Erziehungsanstalt – das war eine Fehlentwicklung. 

Eine Fehlentwicklung war auch die zumindest versuchte Einengung des Meinungs­spektrums innerhalb der Medienbranche. In der Pandemie wurde das meiner Beobachtung nach noch stärker, weil sich viele Journalisten mangels Alternativen quasi um das Twitter-Lagerfeuer und dessen Leitfiguren geschart haben
und sich gegenseitig in ihrer moralischen Erhabenheit bestätigt haben. Wer an diesem Tummelplatz der Eitelkeit auch nur einen Millimeter vom Meinungsstrom der Migrations- oder der Klimapolitik abwich, wurde als Dummkopf bis
Rassist beschimpft. Es gab und gibt regelrechte Kampagnen gegen Andersdenkende – selbst in der eigenen Branche. Die Demagogen auch in den Medien hatten Hochkonjunktur und haben in ihrer Überheblichkeit gar nicht bemerkt, wie sie sich noch mehr von den Bürgern entfernten, wie sie immer mehr den klassischen Journalismus selbst unterminierten. 

Erstaunlicherweise hat das alles aber keinen oder auch nur geringen Eindruck auf die Wählerinnen und Wähler gemacht; das gilt von den österreichischen Wahlen
bis zur Trump-Wahl in den USA. Auch die diversen Wahlempfehlungen populärer Stars mit Hunderten Millionen Followern im Netz sind politisch sinn- und wirkungslos – denken Sie nur an Taylor Swift! –, und die ganze Heerschar von Hollywoodgrößen, die gegen Trump mobil machte, blieb ungehört. Das
Wahlvolk unterscheidet da ziemlich genau. 

Damit bin ich schon bei Gefährdung Nummer vier angelangt, der Nachrichtenmüdig­keit. Wenn es einen absoluten Overkill an Krisen gibt – und den gibt es
momentan leider –, dann tritt beim Konsumenten die sprichwörtlich gewordene Newsavoidance, die Nachrichtenvermeidung, ein. Man will nichts mehr über Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, über Koalitionskrise, über Budgetdefizit, Wetterkatastrophen, Unfälle lesen und hören, es hat sich Erschöpfung breitgemacht. Das ist ein Problem für Medien wie für die Politik. 

Daher mein Fazit: Ich glaube, wir alle müssen wieder mehr den Dialog pflegen,
mehr Respekt vor anderer Meinung haben. Ich wünsche mir weniger Häme und auch die erwähnten Brücken, wie sie im Titel dieser Veranstaltung stehen – in der
Politik und in den Medien. Und auch wenn das mit der nächsten Koalition – natür­lich – nicht einfacher wird, wir Medien sollten dabei Kompromisse nicht
immer als Schwäche betrachten und eine positive Einordnung politischer Arbeit nicht als vorauseilenden Gehorsam. Medien und Politik sind keine Partner, aber
auch keine Feinde, und in einer funktionierenden Demokratie gibt es Medienvielfalt. 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.03

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Salomon, für Ihre Aus­führungen. 

Panel 1 ist damit abgeschlossen, ich bedanke mich für Ihre Beiträge. 

Diskussion

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir gelangen nun zur anschließenden Diskussion zu Panel 1. 

Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass die Redebei­träge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche gleichzeitig, diese Vorgabe einzuhalten. Ich darf auch in diesem Fall darauf hinweisen,
dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 1 Minute vor Ende der Redezeit
zu blinken beginnt. 

Als Erster in der Debatte zu Wort gemeldet ist Herr Christian Wigand von der Euro­päischen Kommission. – Bitte, Herr Wigand, Sie haben das Wort.

10.03

Christian Wigand (Europäische Kommission): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Vertreter der Europäischen Kommission in
Österreich ist es mir sehr wichtig, hier auch ein paar Worte zu diesem wichtigen Thema zu sagen, denn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind das Funda­ment der Europäischen Union. 

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Demokratie in der Europäischen Union vor großen Herausforderungen steht, etwa aufgrund verdeckter Einflussnahme
aus dem Ausland – wir haben gerade vorexerziert bekommen, vor wie
wenig der Kreml zurückschreckt, etwa in der Republik Moldau oder in Georgien –, aufgrund steigenden Extremismus und natürlich Desinformation, manipulati­ver Information; wir haben schon darüber gehört. Daher – der Herr Präsident hat es auch schon angedeutet –: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit mehr. 

Auf europäischer Ebene haben wir betreffend Stärkung der Demokratie gemeinsam bereits einige Fortschritte erzielt; denken Sie etwa an den Digital Services Act,
der die großen Plattformen stärker in die Pflicht nimmt, denken Sie an
die neuen Transparenzregeln für politische Werbung und nicht zuletzt auch an den Rechtsstaatlichkeitsbericht oder das Medienfreiheitsgesetz, denn funktionie­rende Institutionen und freie Medien sind Säulen der Demokratie. 

Der Schutz der Demokratie wird auch einer der Schwerpunkte der neuen Kommission sein. Präsidentin von der Leyen hat angekündigt, dass die neue Kommission
einen Vorschlag für einen europäischen Schutzschild der Demokratie ausarbeiten wird, der an viele der heute diskutierten Punkte anknüpfen wird. Bei dieser
und anderen Initiativen geht es im Wesentlichen um vier Schwerpunkte, die ich kurz skizzieren möchte: 

Erstens: Maßnahmen gegen Desinformation und Einflussnahme aus dem Ausland. Die Zeit der Naivität ist vorbei. Wir wollen die Kapazitäten stärken, wir wollen
den Informationsaustausch auf europäischer Ebene weiter stärken und die EU besser gegen Falschinformation wappnen. 

Zweitens geht es darum, das Bewusstsein für Desinformation in der Bevölke­rung zu stärken. Da geht es natürlich ganz zentral auch um die Medienkompetenz nicht zuletzt der jüngeren Generation. 

Drittens werden wir Maßnahmen zur Wahrung der Fairness und Integrität
von Wahlen und der demokratischen Kontrolle weiterentwickeln. 

Nicht zuletzt möchten wir die Teilnahme am Demokratieprozess weiter festigen, etwa in Form von Jugenddialogen und Bürgerforen, damit Bürgerinnen und Bürger
ihre Vorstellungen in die Politikgestaltung möglichst gut einbringen können. Ich den­ke, hier können die nationalen Parlamente – und werden sie sicher auch – eine besonders wichtige Rolle spielen. 

In diesem Sinne bedanke ich mich dafür, dass Sie dieses wichtige Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben, und freue mich auf gute Zusammenarbeit und
weiteren Austausch. (Beifall.)

10.06

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihren Beitrag. 

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Arpa. – Bitte, Frau Arpa. 

10.07

Bundesrätin Mag.a Claudia Arpa (SPÖ/Kärnten): Herr Präsident! Geschätzter
Herr Landeshauptmann! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen und alle Zuhörerinnen und Zuhörer, die uns heute folgen! Zunächst möchte ich unserer Republik gratu­lieren, denn sie feiert heute ihr 106-jähriges Jubiläum, und damit komme ich gleich zum Punkt meiner Rede: Was passiert, wenn die Brücke unserer Demokratie
zu wackeln anfängt, sich Risse bilden und sie einzustürzen droht? Genau an diesem Punkt, könnte man meinen, steht unsere Demokratie, denn wir verlieren das Fundament unserer Gesellschaft, wir verlieren die Basis für ein gerechteres Zusam­menleben und teilweise auch die Möglichkeit der Mitbestimmung.

Was sind denn die Ursachen der Erschütterung unserer Demokratie? – Da möchte ich gerne an das anschließen, was Frau Dr. Salomon vorhin gesagt hat, und den
Fokus auf die Demokratie und die Medien richten. 

Auf sozialen Netzwerken verbreiten sich Informationen, insbesondere emotional auf­geladene Nachrichten, sehr schnell, oft ohne Qualitätskontrolle. Dadurch kön­nen sich Falschinformationen und Desinformation verbreiten, die öffentliche Meinung beeinflussen und das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben;
denn wenn Menschen nicht mehr sicher sind, welche Informationen verlässlich sind, entsteht ein Nährboden für Misstrauen und auch für Verschwörungstheorien.
Soziale Netzwerke – das haben wir vorhin schon gehört – neigen ja auch dazu, Inhalte anzuzeigen, die bereits bestehenden Ansichten und Interessen des Nutzers
oder der Nutzerin entsprechen. Spaltung ist so ganz einfach zu erzielen. 

Zum einen sind wir alle unterschiedlich informiert und haben dadurch auch unter­schiedliche Wirklichkeiten. Die Plattformen, auf denen wir uns befinden,
füttern uns nämlich genau mit diesem unserem Weltbild und verfestigen es auch. In Wahlkämpfen – auch das haben wir vorhin schon gehört – spielt das auch
eine große Rolle, indem gezielt Information oder auch Desinformation eingesetzt wird. Diese Echokammern führen zur Spaltung der Gesellschaft, weil sie die Polari­sierung verstärken und den konstruktiven Dialog einfach erschweren. 

Außerdem: Was funktioniert noch besonders gut im Netz? – Wut und Empörung. Wut verstärkt in Menschen immer den Antrieb, viel zu klicken, zu kommentieren
und zu liken. Da fragen wir uns ja selbst: Wo reagieren wir am schnellsten, was löst bei uns die meisten Emotionen aus? – Sorge, Krisen, Demokratie, aber auch Einzelmeinungen, zum Beispiel, wenn man zuletzt ein bisschen durch Facebook oder auch Instagram gescrollt ist, auch Thomas Gottschalk. Das führt einfach auch
dazu, dass natürlich die Gesprächskultur leidet. 

Aber was ist die Alternative? – Die Alternative, da möchte ich noch einen Punkt dazu bringen, ist die Transparenz und auch der Qualitätsjournalismus. Demokratie
muss gelebt werden. Demokratie braucht ihren Ausdruck im lebendigen Tun und Sein, in einem Miteinander. 

Dieses Miteinander ist ein Prozess, der ständig reflektiert und überprüft wer­den muss – so wie es auch in jeder Beziehung notwendig ist. In diesem Sinne ist die­ses Miteinander auch immer eine große Chance, voneinander zu lernen und
auch den eigenen Blick zu schärfen. Verlassen wir unsere Echokammern, gehen wir aufeinander zu, hören wir einander zu, treten wir in den Dialog und finden wir
wieder gemeinsame Lösungen! Die Kunst der Kompromisse, die Teilhabe am großen Tisch der Demokratie sind das Fundament für unsere Zukunft und auch für
unsere Gesellschaft. – Herzlichen Dank. (Beifall.) 

10.10

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Henrike Brandstötter. – Bitte. 

10.10

Abgeordnete Henrike Brandstötter (NEOS): Wir haben heute schon sehr
viel von diesem roten Lämpchen gehört, und für alle, die die Geschichte nicht kennen: Das rote Lämpchen ist ein Relikt aus der Zeit, als der ORF noch gefilmt hat.
Man hat so den Abgeordneten gesagt: Achtung, jetzt wird auf teurem Film 1 Minute gefilmt!, und wenn das Lämpchen wieder ausgegangen ist, dann konnte man
wieder entspannen und normal dahinreden. 

Heute sind wir dauernd online. Wir kommunizieren die ganze Zeit als Produzent:in­nen, aber auch als Konsument:innen, mit all den Abrisskanten. 

Es war heute auch schon die Rede von der Klarnamenpflicht, und es ist mir ein persönliches Anliegen, hier ganz klar gegen die Klarnamenpflicht aufzutreten. Ich bin Frau, ich bin Politikerin und ich spreche auch sicher für viele Kolleginnen und
auch Kollegen, wenn ich sage, dass wir alle die Erfahrung machen, dass uns Menschen mit einem fantastischen Facebook-Profil, in dem sie sich mit den Enkelkindern,
mit den Katzerln in einer natürlichen Umgebung zeigen, mit vollem Klarnamen die gemeinsten Vergewaltigungsfantasien und Gewaltandrohungen schicken.

Eine Klarnamenpflicht schützt nicht davor, dass das passiert, jedoch sorgt sie dafür, dass Menschen, die ihre Regierungen kritisieren, die Autokratien kritisieren,
nicht mehr die Möglichkeit haben, sich frei auszudrücken und Angst haben müssen; deshalb ein ganz klares Nein zur Klarnamenpflicht. 

Der Punkt, auf den ich jetzt aber kommen möchte und der mein großes Anlie­gen ist – ich möchte nämlich auch die Gelegenheit nutzen, dass Sie alle, auch aus den Bundesländern, hier sind –: Wir müssen an vielen Schrauben drehen. 

Die wichtigste Schraube ist heute schon erwähnt worden, nämlich dass wir in
die Schulen gehen müssen. Wir brauchen Unterrichtsfächer, in denen es auch darum geht, wie man denn eigentlich in einer Demokratie miteinander lebt – als
Ergänzung übrigens zu dem bestehenden Fach, in dem es um digitale Grundbildung geht. 

Wir brauchen Medienkompetenzbildung und -schulungen aber auch im Erwachsenenbereich. Wir brauchen all hands on deck. Die NGOs, die Zivilgesellschaft, der ORF, die Industrie, Kulturinstitutionen, Regierungen, Landesregierungen,
alle müssen ihre Pforten öffnen. Jeder muss seinen Beitrag leisten, um Menschen in einer Welt, die immer mehr von KI gesteuert wird, in der sich Menschen immer
öfter die Frage stellen: Stimmt denn das überhaupt, was ich hier sehe oder lese?, bei­zubringen, zu lernen, ein bisschen wie Journalist:innen zu denken und zu
arbeiten, um besser Desinformation und Fakenews zu begegnen. 

Ich glaube, wir brauchen diesbezüglich eine nationale Anstrengung, wir kommen nicht darum herum. Ich bitte darum, dass alle auch ein bisschen darüber nachdenken,
was wir in unserem Bereich denn einbringen können, um gemeinsam mit anderen Ins­titutionen besser zu werden, Menschen zu schulen – auch in der Erwachsenen­bildung. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.13

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Nationalratsabgeordnete. 

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Christian Buchmann. –
Bitte, Herr Bundesrat.

10.14

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP/Steiermark): Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzter Herr Präsident! Das Thema der heutigen Enquete ist,
wie ich meine, gut gewählt. In Zeiten multipler Krisen und großer Herausforderungen, die Unsicherheiten für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit sich bringen,
ist es gut, sich über Demokratie und die Entwicklungen der Demokratie
zu unterhalten.

Ich möchte drei ganz kurze Schlaglichter auf dieses Thema werfen. 

Erstens – da wir in einer Länderkammer sind und unsere Kommunen hier eine wichtige Rolle spielen –: Das Vertrauen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist zu jenen Gebietskörperschaften am größten, die nahe am Bürger, am Mitmenschen
sind. Das sind nun einmal unsere Gemeinden, das sind nun einmal unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, unsere Gemeinderäte, die vor Ort nahe am Bürger versuchen, die Probleme, die auf kommunaler Ebene lösbar sind,
zu lösen.

Aus dieser Nähe am Mitbürger sollten wir gemeinsam auch als Parlamente lernen und gemeinsam Instrumente weiterentwickeln, um diese Dynamik entsprechend zu unterstützen. 

Zweite Bemerkung: Der österreichische Bundesrat versteht sich nicht nur
als Zukunftskammer, sondern auch als Europakammer. Und weil der Vertreter der Europäischen Kommission heute hier ist – ich freue mich sehr darüber, dass
Sie hier sind –, eine Bemerkung: Ich glaube, dass Europa gut beraten ist, unter seinen 27 Mitgliedern und 270 Regionen in Europa auch einen Wettbewerbsfödera­lismus zuzulassen. Ich werbe sehr stark dafür. Ich meine damit nicht nur Innovationen, die wirtschaftlich oder technologisch getrieben sind, sondern auch soziale Inno­vationen, aus denen wir wechselseitig lernen können. Daher ist es wichtig, auf diesen Wettbewerbsföderalismus zu setzen.

Geschätzter Vertreter der Europäischen Kommission, man könnte endlich mit
dem Unwesen der delegierten Rechtsakte aufhören. Das sind Regelungen, die nicht nahe am Bürger sind und daher auch selten vom Bürger verstanden werden. 

Drittens – weil meine Redezeit zu Ende ist –: Der heurige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist an drei Wirtschaftswissenschafter vergeben worden, die nachgewiesen haben, dass jene Regionen, in denen es Institutionen gibt,
die für soziale Sicherheit, für Wohlstand eintreten, better off sind, also besser dran sind. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, auch die Institutionen bei uns
im Lande zu stärken, Stichwort Sozialpartnerschaft. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.16

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Bundesrat.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Maria Fischer. – Bitte, Frau Bundesrätin.

10.17

Bundesrätin Maria Fischer (SPÖ/Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir über die Zukunft unserer Demokra­tie sprechen, dann sprechen wir über das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Institutionen und das Vertrauen in die Politik als Ganzes. Bürgernähe
und politische Mitbestimmung sind dabei keine netten Zugaben, sondern essenzielle Elemente einer funktionierenden Demokratie.

Es ist mir sehr wichtig, einige Ansätze, wie wir diesen wichtigen Brückenschlag schaf­fen können, aufzuzeigen.

Der erste und zentrale Ansatz lautet: Transparenz schaffen und Demokratie
für die Menschen greifbar machen. Wir müssen politische Entscheidungsprozesse sichtbarer gestalten und den Bürgerinnen und Bürgern regelmäßig Einblicke
geben, wie Gesetze entstehen, aber auch, welche Argumente und welche Interessen dabei abgewogen werden müssen. 

Ein transparenter Staat, der Entscheidungen nachvollziehbar und zugänglich
macht, schafft Vertrauen. Digitale Plattformen können da auch eine wertvolle Unter­stützung sein – beispielsweise wenn es zugängliche Portale gibt, die tages­aktuelle Informationen und Erklärungen zu laufenden politischen Prozessen bieten. 

Ein zweiter Ansatz wäre meiner Meinung eine verstärkte Bürgerbeteiligung
auf lokaler und regionaler Ebene. Wenn wir Menschen vor Ort an Entscheidungen, die ihre unmittelbare Umgebung betreffen, beteiligen, dann fühlen sie sich gehört
und gesehen. Bürgerforen und Beteiligungsmodelle schaffen Räume, in
denen Menschen ihre Ideen, ihre Sorgen, ihre Ängste einbringen können. Diese Modelle fördern nicht nur die politische Mitbestimmung, sondern auch
das Verständnis für die oft schwierigen Kompromisse, die in einer pluralistischen Gesellschaft unvermeidbar sind. 

Mir als Bürgermeisterin ist es sehr wichtig, dass die Ideen und die Sorgen
der Bürgerinnen und Bürger sehr ernst genommen werden. Ich bin davon überzeugt, dass in sehr vielen Gemeinden in Österreich genau das passiert, und genau das
sollten wir uns alle als Vorbild nehmen. 

Bürgernähe bedeutet auch, alle Menschen anzusprechen und niemanden zurückzu­lassen. Wir müssen Hürden abbauen, politische Partizipation inklusiver gestal­ten. Gerade jene Gruppen, die sich oft abgehängt fühlen – junge Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, jene aus benachteiligten Regionen, aber auch,
wie wir heute gehört haben, Menschen aus dem unteren Einkommensdrittel –, müs­sen wir aktiv einbinden. 

Das kann geschehen mit gezielter politischer Bildung an Schulen, indem
man im sozialen Bereich ansetzt, das Bewusstsein für Mitbestimmung stärkt und die Fähigkeiten, zu vermitteln, dass man sich politisch engagieren kann. Wir
könnten überlegen, wie wir Initiativen und Referenden zugänglicher gestalten und gleichzeitig sicherstellen, dass sie verantwortungsvoll genutzt werden. 

Direkte Demokratie ist eine wertvolle Ergänzung zur repräsentativen Demokratie, wenn sie durch ausreichende Informationsangebote und Debattenräume
begleitet wird. Es braucht Struktur, damit Volksbegehren und Referenden zu durch­dachten Entscheidungen führen und nicht zum Spielball von Einzelinteressen
werden. 

Abschließend möchte ich betonen, dass Bürgernähe und Mitbestimmung keine Ein­bahnstraßen sind. Wir, die Politik, müssen genauso auf die Menschen zugehen
wie sie auf uns. Wenn wir es schaffen, Brücken zu bauen, Menschen wirklich abzuho­len, können wir das Vertrauen in die Demokratie stärken und sicherstellen,
dass diese Demokratie auch in Zukunft lebendig und widerstandsfähig bleibt. Und das ist mir wichtig. – Danke schön. (Beifall.)

10.20

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Landtagsabgeordneter aus Tirol Sebastian Kolland. – Bitte, Herr Landtagsabgeordneter.

10.20

Sebastian Kolland, BSc (Abgeordneter zum Tiroler Landtag, ÖVP): Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Geschätzte Teilnehmerinnen und Teilnehmer!
Geschätzte Expertinnen und Experten! Ein wichtiges Thema – ohne Frage! 

Wie geht es der Demokratie insgesamt? – Ich glaube, eigentlich geht es der Demo­kratie nicht so schlecht, und ich glaube auch, dass die Demokratie eine
hohe Selbstreinigungskraft hat. Das haben wir auch in der Geschichte immer wieder gesehen. Wir haben das Beispiel Polen gesehen, wo eine Administration
durchaus versucht hat, staatliche Medien unter Kontrolle zu bringen. Die Menschen haben diese Administration abgewählt. Wir sehen meines Erachtens derzeit
auch in Ungarn, dass vieles in Bewegung ist. Ein Viktor Orbán war über Jahre hinweg eigentlich unangefochten, jetzt haben wir einen Oppositionsführer, der in
Umfragen erstmals vor Viktor Orbán liegt. Ich glaube also, die Demokratie hat eine hohe Selbstreinigungskraft. 

Wir dürfen es uns auf der anderen Seite nicht zu einfach machen. Ich habe
manchmal das Gefühl, auch in der Kommentierung der US-Wahl, dass viele begonnen haben, es so hinzudrehen, als wäre das vor allem ein Thema von Fakenews,
von Desinformationskampagnen, von Manipulation. Ich glaube, wenn man sich die Ergebnisse im Detail ansieht, war es doch viel mehr. 

Ich glaube, das ist der ganz entscheidende Punkt: Die Menschen sind nicht
von sich aus immer total überzeugte Demokraten, sondern Menschen sind pragma­tisch und Menschen sind vor allem dann Demokraten, wenn sie das Gefühl
haben, dass die Demokratie imstande ist, Lösungen zu schaffen, die ihr Wohlstands­versprechen auch einlösen können. Ich glaube, das ist das Entscheidende.
Demokratie muss auch liefern, sie ist nicht etwas, das für alle Zeiten in Stein gemei­ßelt ist, und das ist etwas, woran wir, die wir in allen möglichen demokrati­schen Funktionen arbeiten, uns auch immer zu messen haben. 

Ich glaube, es sind zwei Dinge ganz, ganz entscheidend. Erstens: Ich spüre doch auch in meiner unmittelbaren Umgebung, dass viele Menschen manchmal das
Gefühl haben, wir beschäftigen uns und auch die Medien beschäftigen sich mit Dingen, die mit der Lebensrealität der Menschen nur sehr wenig zu tun
haben. Das Thema ist auch von Frau Dr. Salomon angesprochen worden: Haltungs­journalismus. Das bedeutet die teilweise wirklich tagelange Beschäftigung
mit Dingen, die so weit weg von dem sind, was die Menschen tagtäglich erleben, dass sie irgendwann sagen: Das ist eine andere Welt, in der die zu Hause sind! –
Das vergrößert den Spalt. 

Das Zweite ist, dass die Demokratie auch zeigen muss, dass sie imstande ist, die gro­ßen Themen unserer Zeit zu lösen. Das Migrationsthema beispielsweise ist
eines davon, und ich glaube, da muss man durchaus selbstkritisch sein. Wir müssen als Demokraten imstande sein, auch auf europäischer Ebene Lösungen zu schaffen,
bei denen die Menschen das Gefühl haben: Die haben verstanden, worum es geht! Die sind bereit, wirklich alles zu geben, um Dinge zu lösen, die für mich ganz entscheidend sind! 

Das ist ein Selbstaufruf an alle Demokraten hier im Saal, aber auch an alle, die
in Österreich auf allen Ebenen Verantwortung tragen. Wir dürfen es uns nicht zu ein­fach machen, wir dürfen nicht sagen, es geht um Fakenews, es geht um Mani­pulation, sondern wir müssen uns vielmehr fragen: Wieso haben denn
diese Botschaften bei vielen Menschen eine so hohe Resonanzfähigkeit? – Das heißt, das beschäftigt sie, und deshalb muss es auch uns beschäftigen. 

Wir sind als Demokraten fast dazu verdammt, Lösungen zu finden, die den Menschen das Gefühl geben, dass die Demokratie die mit Abstand beste Form ist, um
dieses Land zu gestalten. Das, glaube ich, ist die Aufgabe von uns allen, daran gilt es zu arbeiten, jeden Tag. Ich glaube, das versuchen ganz, ganz viele, und daran
gilt es auch festzuhalten. Das, glaube ich, ist der zentrale Punkt. Machen wir es uns nicht zu einfach, sondern seien wir selbstkritisch! Bleiben wir das auch! Ich
predige das auch in meiner Partei bei jeder Gelegenheit. Ich glaube, dann wird auch die Demokratie insgesamt wieder an Vertrauen gewinnen. – Herzlichen
Dank. (Beifall.)

10.24

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für den Beitrag.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Günter Kovacs. Ich erteile das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

10.25

Bundesrat Günter Kovacs (SPÖ/Burgenland): Herzlichen Dank, Herr Präsident! Danke auch, Herr Präsident, für diese wichtige Enquete heute: Demokratie im Parla­ment, praktisch im Herzen der Demokratie. Ich möchte mich auch bei
Ihnen, Herr Dr. Dettling, für die Keynote Ihrerseits bedanken, bei Ihnen, Frau Mag. Zandonella, und bei Ihnen, Frau Dr. Salomon, und natürlich auch für die beein­druckende Studie, die Sie gebracht haben, die auch zum Nachdenken bringt.
Wenn 70 Prozent der Menschen aus dem unteren Einkommensdrittel nicht mehr zufrieden sind, sich nicht mehr gehört fühlen, dann ist das ein riesengroßer
Appell. 

Sie haben es vorhin ja auch erwähnt: Wir, dieser heutige Personenkreis hier, ist nicht betroffen, aber diese 70 Prozent sind von vielen Thematiken betroffen, bei
denen sie nicht mehr mitkönnen, wo sie zwar vielleicht die Demokratie natürlich noch als wichtig anerkennen, sich aber thematisch oft nicht mehr abgeholt fühlen. 

Zu den Zahlen, die sie gebracht haben – von 2018 bis 2023, glaube ich, geht diese Studie –: Das bedeutet in Wahrheit, dass da die letzten zwei Regierungen
unter die Lupe genommen worden sind. Das war damals eben Schwarz-Blau und danach Schwarz-Grün, und man muss dann auch kritisch sehen: Was ist in
diesen Jahren passiert? 

Vieles ist hier passiert. Die Menschen fühlen sich eben nicht mehr abgeholt. Ich darf das an einem Beispiel bringen: Wenn man wirtschaftlich nicht mehr mitkann,
wenn man unter diesen 70 Prozent des unteren Einkommensdrittels ist und sich bei vielen Themen, Stichwort Leistbarkeit des Wohnens in Österreich, nicht mehr abgeholt fühlt, dann macht das etwas mit den Menschen; oder man fühlt sich zum Beispiel beim Thema E-Autos nicht mehr abgeholt, die propagiert werden. Wenn dann eventuell E-Autos, die 100 000 Euro kosten, gefördert werden, so ist das nicht demokratisch. Man müsste eigentlich jene fördern, die es brauchen – ein E-Auto um 20 000, 30 000 Euro ist für viele Menschen schon fast nicht mehr leistbar, und
man geht von ganz anderen Parametern aus. Da sehe ich schon einen Schlüssel, was in den letzten Jahren hier in Österreich passiert ist. 

Die Demokratie ist aber nicht nur ein politisches System, sie ist das Herzstück unserer Gesellschaft. Sie ermöglicht es, frei unsere Meinungen zu äußern, Entscheidun­gen zu treffen und gemeinsam an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Doch wir müs­sen uns bewusst machen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist. In vie­len Teilen der Welt ist sie bedroht – wir sehen das –, unterdrückt oder gar nicht mehr existent. Wer in einem demokratischen Land lebt, darf sich glücklich schätzen,
doch zugleich trägt jeder und jede von uns die Verantwortung, sie zu schützen und zu stärken. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.27

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Bundesrat.

Zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Carina Reiter. – Bitte, Frau Nationalrätin.

10.28

Abgeordnete Carina Reiter (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ein sehr spannendes Thema: Demokratie braucht Zukunft. Für mich als Jugendsprecherin ist im Speziellen das Thema Jugend sehr wichtig. 

Wir haben ja einige interessante Zahlen, Daten und Fakten gehört, wenn es um das Thema Vertrauen in die Politik geht. Jedes Jahr wird die Ö3-Jugendstudie
präsentiert, an der ungefähr 30 000 Jugendliche teilnehmen. Ich finde, es sind schon sehr interessante, aber auch sehr bedenkliche Zahlen, die darin zu finden sind: 

Auf die Frage: Vertrauen Sie der Politik?, sagen 82 Prozent der Jugendlichen, dass sie wenig bis gar nicht vertrauen; und wenn es darum geht, ob sie der Demokratie vertrauen, dann sind es 38 Prozent, die sagen, sie vertrauen der Demokratie wenig bis gar nicht. Man merkt also, Jugendliche differenzieren auch ein bisschen zwi­schen Politik und Demokratie. Prinzipiell ist es ja positiv, dass ein Großteil die Demo­kratie als sehr vertrauensbildend sieht – die Politik aber nicht! Das sollte gera­de uns im National- und Bundesrat, aber auch in den Landtagen zu denken geben. Wenn es darum geht, wie sie empfinden, ob ihre Sorgen von der Politik ernst genommen werden, sagen 91 Prozent der Jugendlichen Nein. Das ist also doch ein sehr großes Thema. 

Herr Präsident Ebner hat gesagt, „Vertrauen ist das Fundament der Demokratie“, und das ist, glaube ich, sehr entscheidend. Das Fundament für das spätere Leben
wird in der Kindheit und Jugend geprägt, und dementsprechend ist es auch wichtig, dass man gerade in dieser Zeit viel Werkzeug mitbekommt, um kritisch zu
denken, um sich informieren zu können, um sich auch dementsprechend vorbereiten zu können. Das prägt einfach weiterhin. 

Ich habe den Vortrag von Frau Dr. Salomon sehr spannend gefunden, als es um die Medien ging. Gerade für Jugendliche sind soziale Medien ein Riesenthema.
Was man aber auch nicht vernachlässigen darf oder was da dazugehört, sind zum Beispiel Podcasts, bei denen es sehr große Influencer gibt, die im US-Wahl­kampf jetzt auch entscheidend mit dabei waren. Das sind einfach Entwicklungen, bei denen man, ja, eigentlich teilweise gefühlt schon ein bisschen hintennach ist
oder denen man als, sage ich einmal, Parteien immer hinterherläuft und auf die man sich auch dementsprechend einfach vorbereiten muss. 

Demokratie braucht Zukunft ist der Titel dieser Enquete. Die Zukunft ist die Jugend, und deswegen muss man schauen, dass man Demokratie kennt, dass man Demo­kratie kommuniziert und dass man Demokratie auch versteht, und das muss
man leben. Diese Verantwortung tragen wir alle als Entscheidungsträger, als Vertreter des Volkes in den Parlamenten, und dementsprechend müssen wir schauen,
dass wir unsere demokratische Infrastruktur hochhalten, dass wir Brücken bauen. Das hat jeder Einzelne von uns in der Hand – und immer mit der Jugend im Fokus,
das wäre, glaube ich, sehr wichtig. (Beifall.)

10.30

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für den Beitrag.

Zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Agnes Sirkka Prammer. – Bitte, Frau Na­tionalrätin. 

10.31

Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer (Grüne): Herr Präsident! Ge­schätzte Damen und Herren! Wir haben es in beiden oder eigentlich in allen drei Vorträgen vorhin gehört: Was ein sehr großes Problem ist, ist vor allem
das Gefühl – das Gefühl, abgehängt zu sein, das Gefühl, nicht gehört zu werden; und es ist etwas sehr Subjektives. Ich denke, das ist auch ein sehr, sehr großes
Problem, denn aus diesem Gefühl resultiert eigentlich die Unzufriedenheit. Die Unzu­friedenheit kommt daher, dass man sich nicht wertgeschätzt, sich nicht wahr­genommen fühlt, und vor allem daher, dass Erwartungen und Hoffnungen nicht erfüllt werden. 

Diese Erwartungen und Hoffnungen werden teilweise in unserem System
auch mit falschen Versprechungen kultiviert und gepflegt, insbesondere betreffend das Versprechen der Mitbestimmung. Wie gerade jetzt im politischen Diskurs insbesondere auch populistische Botschaften geframt werden, ist: Du hast die Macht, du hast die Macht, über alles andere zu entscheiden! – Das ist das falsche
Bild von Mitbestimmung. 

Das Bild von Mitbestimmung, das die Demokratie eigentlich prägt, ist die Mitgestal­tung, ist die Beteiligung an einem Diskurs, ist die Beteiligung an einer Entschei­dungsfindung und ist die Beteiligung an Regelungen, an der Gestaltung
von Regelungen für das Zusammenleben und nicht eine Diktatur der Mehrheit, schon gar nicht einer relativen Mehrheit, wie sie oft suggeriert wird. Das ist das große Problem, und aus diesem Problem heraus, dass man ein falsches Bild einer Möglich­keit der Mitbestimmung suggeriert bekommt, resultiert dann diese Unzufrie­denheit und diese Enttäuschung darüber, dass dieses Bild nicht erfüllt wird. Man hat dann das Gefühl, man kann nicht mitbestimmen. 

Deshalb ist es aus meiner Sicht auch wichtig, den Menschen zu zeigen, wie die Mög­lichkeiten der Beteiligung sind. Es ist wichtig, dass wir Instrumente der Betei­ligung und der Mitbestimmung kultivieren und verstärkt einsetzen, die eine wirkliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung ermöglichen – also nicht bloße Abstim­mungen, bei denen man mit Ja oder Nein abstimmt, und dann setzen sich die durch, die am lautesten sind oder die am besten überzeugt haben, sondern wirkli­che Beteiligungsmechanismen wie Bürger:innenräte zum Beispiel, die in einem sehr großen Ausmaß Meinungen durch Expertise ersetzen, durch erworbene
Expertise, und so zu überlegten, reflektierten Entscheidungen kommen, an denen sich alle – nämlich wirklich alle, weil dort ja die Personen, die teilnehmen, repräsen­tativ ausgewählt werden – beteiligen konnten. 

Ich denke, wenn wir solche Instrumente weiter kultivieren und nicht dieses Machtge­fühl einer Diktatur der Mehrheit immer mehr verstärken, dann können wir
es schaffen, dass wieder mehr Begeisterung und wieder mehr Beteiligung an der De­mokratie stattfinden können. – Vielen Dank. (Beifall.) 

10.34

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Nationalratsabgeordnete.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. –
Bitte, Herr Bundesrat. 

10.34

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ/Wien): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, ich glaube, das ist eine sehr wichtige Enquete. Vor wenigen Wochen hatten wir ja hier schon eine Veran­staltung, bei der wir über die Demografie gesprochen haben. Die Demokratie ist nicht gottgewollt. Das heißt, wir müssen um die Demokratie kämpfen, sie weiterent­wickeln und ihren Wert auch weitergeben. 

Leider – und das ist heute in den bisherigen Beiträgen ja schon sehr deutlich gewor­den – ist sie von vielen Seiten bedroht. Eine der ganz großen Bedrohungen
sind auf jeden Fall die sozialen Medien mit diesem ganzen Hass, der dort verstreut wird. Dem gegenüber stehen die Qualitätsmedien in Hörfunk und Print. Auch
die gilt es zu schützen. Ich kenne Parteien, die eine Kampagne gegen die Haushaltsabgabe für den ORF machen. Das ist ein Schuss, der nach hinten losgeht.

Auch wenn gerade immer wieder darüber gesprochen wird, dass wir diese
große Ungerechtigkeit niedriger Einkommen haben, dann kann ich nur sagen: Wieso leisten wir uns eigentlich den Luxus und sperren so viele Menschen vom Wahl­recht aus? Ein Drittel der Menschen, die in Wien wohnen, dürfen nicht wählen, und damit können ganze Gruppen von Arbeitern und Arbeiterinnen nicht wählen
und werden von den Wahlen ferngehalten. Wir können uns das nicht leisten und wir können uns nicht leisten, dass gerade rechts der Mitte da ununterbrochen
gemobbt wird. 

Gerade erst in der Veranstaltung vor zwei Wochen haben die Expert:innen gesagt, die Migration ist für dieses Land überlebensnotwendig und die Hetze dagegen ist
absolut unseriös. 

Wenn wir von der Bedeutung der Medien sprechen, die in der Tat die vierte Gewalt im Staate sind, dann muss man auch sagen, dass auf der anderen Seite dieje­nigen stehen – und später wird auch jemand aus dieser Gruppe reden –, die von Lü­genpresse und Systempresse sprechen, um damit etwas systematisch zu zer­trümmern und zu untergraben und Unsicherheit zu schaffen. Das ist extrem bedenk­lich. Auch wenn ich daran denke, dass wir einen jungen Bundeskanzler hatten,
der eines der wichtigsten Standbeine der Republik, nämlich die Unabhängigkeit der Justiz, ununterbrochen attackiert hat: Das ist extrem bedauerlich. Die Sprache,
mit der in manchem öffentlichen Diskurs über den Bundespräsidenten geredet wird, ist ablehnenswert und zeigt nur, dass man will, dass sich weniger und weniger Menschen an der Politik beteiligen. 

In einem Punkt – letzter Satz, Herr Präsident – können wir seitens des Parlaments stolz sein, und zwar auf unsere Demokratiewerkstatt, die Demokratiewerk­statt, zu der junge Menschen, Kinder und Jugendliche, Woche für Woche hier ins Parlament kommen, wo sie Zeitungen, Radiosendungen oder Bildaufnahmen
machen und über den Wert der Demokratie lernen. Mittlerweile ist das ja auch ein Exportprodukt aus diesem Haus – nach Montenegro, Georgien und so weiter.
Darauf können wir stolz sein und das müssen wir auch im Rahmen der politischen Bildung verfestigen. 

Darf ich noch einen Halbsatz sagen? Weil ich gerade Frau Salomon sehe: Hier in diesem Saal haben wir gekämpft wie die Löwen, dafür, dass die vorherge­hende Regierung die „Wiener Zeitung“ nicht zu Grabe trägt; sie hat Weltkriege und Revolutionen überlebt, aber nicht die vorhergehende Regierung. (Beifall.) 

10.38

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Bundesrat.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Julia Herr. – Bitte, Frau Nationalrätin. 

10.38

Abgeordnete Julia Elisabeth Herr (SPÖ): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde auch, dass die Zahlen eigentlich sehr erschütternd sind, die heute präsentiert
worden sind, weil sie doch zeigen, dass eine größer werdende Gruppe an Menschen nicht an unsere repräsentative Demokratie glaubt. Deshalb würde ich uns
gerne alle gemeinsam mit ein paar Zahlen unseres letzten Nationalratswahlergeb­nisses konfrontieren. 

Ich habe hier die Statistik offen, die Zahlen des Bundesministeriums. Wenn
wir die Bevölkerung in Österreich hernehmen: Das sind ein bisschen mehr als 9,1 Mil­lionen Menschen. Wenn wir jetzt sagen, okay, alle, die unter 16 sind, sind nicht wahlberechtigt, und die abziehen, dann macht das circa 15 Prozent aus. 

Aber dann: Wie geht es weiter mit der großen Zahl an Menschen in unserem Land? Weitere 15 Prozent sind nicht wahlberechtigt – 15 Prozent, das sind 1,4 Millio­nen Menschen, die gar nicht wählen dürfen. Wenn wir die auch noch ab­ziehen, kommen wir zu den Nichtwählern und Nichtwählerinnen. Das sind auch noch einmal 15,7 Prozent der Menschen, die an unseren Wahlen nicht mehr teilneh­men, auch das sind 1,4 Millionen Menschen. 

Was also übrig bleibt, wenn wir auch noch die Menschen, die ungültig wählen, abzie­hen, sind circa 52 Prozent der Bevölkerung, die überhaupt uns demokratischen Parteien ihre Stimme gegeben haben. Wenn man das umrechnet und sich ansieht, was dann die Ergebnisse der einzelnen Parteien sind, wirkt das noch einmal erschre­ckender. Dann würde nämlich die FPÖ von 15 Prozent gewählt werden, die ÖVP von etwas über 13 Prozent, die SPÖ von 11 Prozent, NEOS und Grüne gar nur mehr
von 4 Prozent der Bevölkerung. Das sind die Zahlen, wenn wir berücksichtigen, wie viele Menschen nicht wahlberechtigt sind oder nicht wählen gehen.

Da müssen wir uns schon die Frage stellen: Wie repräsentativ ist unser Nationalrat zu­sammengesetzt? Auch bei den Wahlen in den Bundesländern ist ja die Zahl der Menschen, die nicht wählen dürfen oder nicht wählen wollen, immer eine, die steigt. Das heißt, es stellt sich einfach für uns alle die Frage, liebe Kollegen, liebe Kol­leginnen: Wie viele Menschen, die an unseren Wahlen nicht teilnehmen, können wir uns leisten? Und: Wie lange wollen wir noch dabei zusehen, dass immer mehr Menschen – und die Zahl ist ja steigend – nicht wählen gehen?

Ein letzter Punkt – denn das rote Lämpchen wurde jetzt schon öfter angesprochen – ist natürlich: Was sind das für Menschen? – Das wurde heute von Frau Mag. Zan­donella sehr gut gezeigt: Es sind Menschen, die wenig Einkommen haben, die nicht an unser System glauben, und das auch aus gutem Grund – auch das wurde ja
erklärt –: weil wir in den Hohen Häusern unserer Republik vor allem Politik für Bes­serverdienende machen! Da gibt es ja eins zu eins einen Zusammenhang.
Mein Kollege hat schon den leistbaren Wohnraum angesprochen.

Ich würde das Gesundheitssystem mit anschließen: Habe ich viel Geld, werde ich mir vermutlich einen privaten Arzttermin leisten können; habe ich das nicht,
muss ich oft monatelang auf einen öffentlichen Arzttermin warten. Das heißt, es sind ja wirklich die sozialen Probleme, die dazu führen, dass Menschen sich nicht
nur ausgeschlossen fühlen – von meiner Kollegin von den Grünen wurde vorhin vom Gefühl gesprochen –, sondern tatsächlich abgehängt sind. Das sind ja handfeste Tatsachen, dass immer mehr Menschen auch an Einkommensverlusten leiden und sich tatsächlich nicht mehr in der Form in unserer Gesellschaft einbringen können,
wie das zuvor noch möglich war, weil sie eben durch ihr geringer werdendes Einkom­men ausgeschlossen sind. Sie fühlen das nicht nur, sondern das sind alles
Fakten, die wir belegen können.

Deshalb komme auch ich zum Schluss: Ich denke, dieser Vortrag war ein ganz großer Auftrag an uns alle, uns bei jeder politischen Maßnahme, bei jedem Gesetz,
das wir beschließen, gut zu überlegen: Wer profitiert davon und wer potenziell nicht?, denn wir können es uns – und das ist meine Meinung – nicht leisten, dass immer weniger Menschen an Wahlen teilnehmen, dass unsere Ergebnisse immer weniger repräsentativ werden, denn eine Demokratie ist dann standhaft, ist dann
wehrhaft, wenn möglichst viele Menschen auch an ihr teilnehmen – und das muss doch unser erklärtes Ziel sein.

Vielen, vielen Dank. Ich glaube, es gibt auch viele Hebel, wo wir ansetzen
können. Danke für die wertvollen Inputs heute. (Beifall.)

10.42

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Nationalrätin. 

Als Letzter in dieser Debatte zu Wort gemeldet ist Herr Landtagsabgeordneter Andreas Bors. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.

10.42

Andreas Bors (Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag, FPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Ja, wir alle stehen vor einer Herausforderung – die Zahlen haben es ja heute untermauert –, einer Heraus­forderung, die uns alle betrifft, nämlich betreffend die Zukunft unserer Demokratie. Der Titel ist ja sehr passend gewählt, indem er besagt, dass die Demokratie
eben Zukunft braucht. Die Frage, die sich für mich stellt, ist nur: Welche Brücken müssen wir bauen, und wie wollen wir die Demokratie stärken?

Meiner Meinung nach müssen wir wieder die Brücken hin zur Bevölkerung, zu un­seren Landsleuten bauen. Es kann nämlich nicht darum gehen, weiter quasi
die politischen Eliten zu stärken, sondern es gilt, das Vertrauen der Bevölkerung und der Bürger zurückzugewinnen, denn die Demokratie lebt von der Beteiligung
und der Mitbestimmung der Bevölkerung. Dieses Vertrauen schwindet leider in den letzten Jahren, man hat es ja an den Zahlen gesehen.

Das heißt, wir müssen uns die Frage stellen: Warum fühlen sich immer mehr Menschen quasi von der Politik nicht verstanden, und warum sinkt das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen? – Dafür gibt es sehr viele Gründe, aber
einer der wichtigsten Gründe wird sicherlich das Gefühl der Entfremdung sein, denn die Bürger erleben Entscheidungen, die oftmals über ihre Köpfe hinweg getrof­fen werden. 

Eines der besten und aktuellsten Beispiele ist da sicherlich die Bildung der
neuen Bundesregierung, denn egal, wie man jetzt das Wahlergebnis betrachten will – ob man, wie meine Vorrednerin, irgendwelche Zahlen errechnet oder ob man
das tatsächliche Wahlergebnis hernimmt –, es hat einen klaren Wahlsieger gegeben – aber ein paar Tage später geht der Bundespräsident her und beauftragt nicht
die mit Abstand stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung, sondern die nur zweitstärkste Partei. Das wird sicherlich nicht dazu führen, dass die Bevölkerung
wieder das Vertrauen in die Politik zurückbekommt. 

Weiters sieht die Bevölkerung, wie nationale Souveränität immer mehr an internatio­nale Organisationen abgetreten wird, auch dies, ohne dass man dazu gefragt
wird. Ein passendes Beispiel ist die Europäische Union und die Art und Weise, wie auch dort demokratische Prozesse leider immer weiter zentralisiert werden,
und das ohne ausreichende Rückkopplung an die nationalen Parlamente und an den Willen der Bürger vor Ort.

Es geht aber auch nicht nur um institutionelle Reformen, sondern die Demokratie braucht auch Meinungsfreiheit. Auch das ist etwas ganz Wichtiges, und es
ist besorgniserregend, dass in unserem Land immer häufiger versucht wird, unlieb­same Meinungen zu unterdrücken – denn wer bestimmte Äußerungen macht
oder bestimmte Ansichten vertritt, wird schnell als Extremist abgestempelt. Ich erin­nere an die Coronapandemie: Jeder, der die Maßnahmen der Bundesregierung kritisiert hat oder gar demonstrieren war, war dann schnell ein Extremer und meistens ein Rechtsextremer. Eine lebendige Demokratie lebt aber von Pluralismus und
lebt von der Debatte, und wir dürfen daher nicht zulassen, dass bestimmte Meinun­gen aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt werden.

Daher möchte ich abschließend betonen: Die Demokratie ist kein Selbstläufer –
wir haben es heute schon oftmals gehört –, sie braucht ständige Pflege und eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln. Es reicht nicht, über die Brücken nur zu reden, nein, wir müssen diese Brücken auch bauen, nämlich Brücken hin zu den Menschen,
zu ihrer Freiheit und zu ihrer Souveränität. (Beifall.)

10.46

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für die Ausführungen.

Panel 1 ist damit abgeschlossen. 

Ich bedanke mich für die Beiträge und für die Debatte. 

IV. Panel 2 „Lösungswege“

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir kommen nun zu Panel 2, den Refe­raten zum Thema „Lösungswege“.

Ich ersuche wieder die Referenten, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben, wobei die Redezeit von 15 Minuten pro Statement nicht überschritten werden soll. 

Ich darf zu Beginn Herrn Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer um seinen
Beitrag zum Thema „Bürgernähe und politische Mitbestimmung“ bitten. – Bitte, Herr Landeshauptmann, du hast das Wort.

10.46

Landeshauptmann von Oberösterreich Mag. Thomas Stelzer: Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Demokratie braucht Zukunft,
und ich würde es gerne weiterspinnen und sagen: Demokratie hat Zukunft, wenn wir das wollen, weil wir alle – und damit meine ich nicht nur uns, die wir die Ehre
haben, eine Zeit lang politische Aufgaben zu erfüllen – auch Möglichkeiten haben, nämlich durch die Demokratie, diese weiter zu festigen und zu stärken. 

Daher bin ich dem Bundesrat sehr, sehr dankbar dafür, dass diese Enquete veranstal­tet wird, weil sie in den Mittelpunkt rückt, dass Demokratie auch ständige Be­wusstseinsbildung braucht, dass sie auch Werbung braucht und dass sie auch viele Leute braucht, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und da sehe
ich es nicht so, dass es quasi eine geteilte Verantwortung gibt – die Wählerinnen und Wähler, die ihre Verantwortung wahrnehmen und uns bei der Wahl eine Stim­me geben, oder auch nicht, und damit aber auch ihre Verantwortung abgeben –, son­dern ich sehe es als gemeinsame Verantwortung, als geteilte Verantwortung,
die auch während einer laufenden Periode selbstverständlich alle einbezieht und alle einzubeziehen hat. Es ist ja heute auch schon bei einigen Redebeiträgen zum Ausdruck gekommen, dass es auch unsere Aufgabe ist, das immer wieder zu ermögli­chen und dafür auch Anreize zu bieten. 

Ich möchte aber noch einmal bei Herrn Dr. Dettling anschließen, der ja auch
diesen vermeintlichen Siegeszug der Demokratie, den Sehnsuchtsort Westeuropa oder vielmehr auch das Sehnsuchtslebensmodell des demokratischen Mitein­anders in Europa für viele, die damals aus den kommunistischen Diktaturen aufgebro­chen sind, vor Augen geführt hat. Das war die Zeit, als auch ich und einige
andere das politische Engagement begonnen haben. All die Debatten unserer Schul- und Studienzeit waren geprägt von der Frage: Wie können junge Leute das
über sich ergehen lassen – ich bin ja auch nahe an einer toten Grenze aufgewachsen –, wie können sie das mitmachen, sich ständig so unterjochen zu lassen, und
sich dann aber resignativ irgendwie damit abfinden?, und dann diesem plötzlichen Aufbruch und diesem Siegeszug, diesem vermeintlich dauerhaften Sichdurch­setzen der Demokratie, über das sich zum damaligen Zeitpunkt eigentlich alle einig waren.

Heute ist es allgemeiner Kenntnisstand – leider! –, dass aus diesem Siegeszug
kein Dauerzustand geworden ist und dass uns viele andere vermeintliche Sicherheiten abhandengekommen sind: der Friede in Europa, die gesicherte Energieversor­gung auf unserem Kontinent oder gerade in unseren Breitengraden, Preisstabilität und vieles andere mehr – und eben auch der Glaube daran, dass Demokratie unan­greifbar oder sicher ist. 

Daher ist es wichtig, darauf zu drängen, immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, dass die Demokratie auch bei uns nicht einfach vom Himmel gefallen ist, sondern
dass viele darum gekämpft haben, sich dafür eingesetzt haben, dass sie erstritten wurde und dass auch viele ständig daran mitgebaut und mitgewirkt haben.
Daraus folgt zwangsläufig, dass auch wir jetzt immer dafür Sorge tragen müssen, dass sich die Demokratie in der Zeit orientiert, dass sie immer wieder gepflegt wird
und dass sie im Bedarfsfall auch verteidigt wird.

Sehr geehrte Damen und Herren! Aus meiner Sicht gehört dazu zuallererst das uneingeschränkte Bekenntnis, dass wir in einer Demokratie leben wollen; darüber hi­naus gehört dazu aber auch die Vermittlung dessen, was das bedeutet: dass es bedeutet, Verantwortung zu tragen; dass es bedeutet, Diskussionen zu mögen und sie auch zuzulassen; dass es bedeutet, Respekt vor dem beziehungsweise der ande­ren wie auch vor einer anderen Meinung zu haben, und dass es bedeutet, Ideen sich erproben zu lassen, Zugänge zu ermöglichen, aus denen dann Lösungen entwi­ckelt werden, die durch eine Mehrheit gefunden werden.

Im aus meiner Sicht totalen Contrarium dazu steht die von manchen immer wieder geäußerte Sehnsucht – gerade auch in der Coronazeit, aber nicht nur da –:
Da soll doch endlich einer oder eine vorausgehen und sagen, was Sache ist, auf den Tisch hauen, und die Sache ist klar! Diese Einstellung erledigt sich meist schnell,
wenn der eine oder die eine dann plötzlich nicht mehr der Meinung ist, die man selber hat, dann aber trotzdem sozusagen die Gewalt zu bestimmen hätte. Auf der
anderen Seite aber eine ebenso gefährliche Tendenz ist, wenn es manche schick finden, das persönliche Gewissen, in welcher Frage auch immer, über das
Recht unseres Staates zu stellen. Auch das darf und kann in einer Demokratie keinen Platz haben. 

Demokratie schreibt nicht vor, Demokratie ermöglicht: Sie ermöglicht tragfä­hige Lösungen für ein gutes Zusammenleben und sie ermöglicht uns eine freie Le­bensgestaltung gemäß den Perspektiven, die wir für uns selber auch entwi­ckeln möchten. Damit bin ich auch wieder bei der Verantwortung: Wenn ich die Freiheit entsprechend in Anspruch nehmen möchte, dann brauche ich die Demokratie eben als Grundlage und dann brauchen wir auch die Regeln, die hier im Hohen
Haus oder auch bei uns in den Landtagen oder in den Gemeindestuben demokratisch gefunden werden – Regeln, die vielleicht manchen nicht immer recht sind, ins­besondere dann, wenn man nicht auf der Seite der Mehrheit, die diese
Regeln geschaffen hat, gewesen ist, die manche überbordend finden, aber vom Prinzip her sollten wir, die wir alle im weitesten Sinn dafür verantwortlich sind, dass
diese Regeln gefunden werden, dafür werben, dass diese Regeln eben unsere Freiheit schützen, weil sie zwar regeln, aber damit eben auch regeln, dass der Nachbar,
die Nachbarin diese Freiheit auch für sich in Anspruch nehmen kann. Daher müssen diese Regeln selbstverständlich immer gelten und auch von allen akzeptiert
und eingehalten werden. Das ist ein sehr, sehr großer Auftrag: selbstverständlich für uns, Tag für Tag, als Politikerinnen und Politiker, aber eben auch für alle anderen.

Es ist heute bewusst schon angesprochen worden – auch von Kollegen Buchmann, ich glaube aber, auch andere haben das thematisiert –: Wo wird dieses Eingebun­densein, das Regelnmachen für die Gemeinschaft und das davon Berührtsein am di­rektesten, hautnah miterlebt? – Es ist der unmittelbare Lebensraum – es ist
die Stadt, es ist der Stadtteil, die Gemeinde –, wo man Mitbestimmung, Ideenvielfalt, Zielkonflikte, aber auch das Finden eines Weges hautnah miterlebt, manchmal vielleicht auch dabei mitleidet, auf jeden Fall mittendrin im Geschehen ist. Daher ist dort auch das Verständnis groß und – was wir erfreulicherweise feststellen –
gerade auf dieser Ebene auch die Bereitschaft groß, sich einzubringen, wenn man demokratische Mitwirkung nicht nur auf die politischen Aufgaben und Gre­mien einengt, sondern auf unsere gesamte gesellschaftliche Gestaltung bezieht. Dort ist auch der Ort, der gerade jungen Bürgerinnen und Bürgern diese Selbstwirk­samkeit vermittelt, wenn man für eine eigene Idee eintritt, sich Mitstreiterinnen und Mitstreiter sucht und sich dann durchsetzt oder daran vielleicht sogar auch
scheitert, auf jeden Fall, wenn man dieses demokratische Ringen um Lösungen live miterlebt. Dabei wächst aus meiner Sicht auch das Vertrauen in unsere demo­kratische Form des Zusammenlebens und auch in die Abläufe. 

Ich möchte daher einen großen Appell an uns selber auf Landesebene, aber auch an alle, die auf Bundesebene tätig sind, richten, dass wir den Gemeinden die Ge­staltungsmöglichkeiten, die diese haben, mit allem, was sie dafür brauchen, da gehört eben auch das Geld dazu, geben und dass wir ihnen diese Spielräume bieten.
Es ist nicht nur die Organisation der Lebensqualität vor Ort, sondern es ist auch dieses Wirksamwerden und dieses Erlebenkönnen von Demokratie vor Ort, was dort
ganz besonders wichtig ist und Wertschätzung erfährt – Wertschätzung im Übrigen, sehr geehrte Damen und Herren, und da halte auch ich mir, wahrscheinlich
so wie viele Politikerinnen und Politiker, den Spiegel vor, die wir in unseren politi­schen Ämtern von anderen wohl nur dann erwarten dürfen, wenn wir gleich­zeitig bereit sind, diese Wertschätzung auch unseren Kolleginnen und Kollegen, egal welcher Couleur, auch in der Diskussion entgegenzubringen. Meistens ist das Schauspiel, das geboten wird, dann nämlich auch eines, das auf vielen anderen Ebenen Nachahmung findet, und daher ist das auch ein Auftrag an uns selber. 

Es braucht aber, und ich möchte darauf noch einmal besonders hinweisen, eben auch viele Bürgerinnen und Bürger, die dazu bereit sind und sagen: Das geht mich
etwas an, da mache ich mit, es ist nicht nur der Wahltag, wann ich gefordert bin! – erfreulicherweise ist die Wahlbeteiligung zuletzt ja trotzdem wieder
gestiegen –, sondern es braucht auch ihr Einbinden. Mut machen kann uns die breite Beteiligungsbereitschaft vieler aus unserer Bevölkerung im sogenannten
Ehrenamt oder in der Freiwilligenarbeit in vielen Bereichen, die unsere Republik, unser Staat sonst gar nicht organisieren, schon gar nicht bezahlen könnte, die aber
trotzdem unser sicheres und hochqualitatives Zusammenleben am Laufen halten. Auch das ist Wahrnehmen von Verantwortung in der Demokratie, und gerade dieses ehrenamtlich Tätigsein sollten wir neben der Wertschätzung durch all das, was
wir tun können, auch entsprechend hochhalten, absichern und entsprechend unter­stützen, weil es gerade auch für viele junge Menschen eine Möglichkeit ist,
sich einzubringen – und sie tun das auch.

Ich danke dem Parlament für das – wie es heute schon tituliert wurde – Exportmodell Werkstatt für Demokratie. Ich glaube, auch viele Länder – auch wir in unserem Landtag – haben dieses Modell mit übernommen; es wird stark nachgefragt, ist hoch­geschätzt. Viele junge Leute tummeln sich Jahr für Jahr zu Hunderten bei uns
im Landhaus und bekommen dort einen unmittelbaren Eindruck. Ich bin
auch den Kolleginnen und Kollegen aus unserem Landesparlament dankbar, dass sie sich auch dieser Arbeit und diesen Diskussionen stellen. 

Wir haben aber auch noch andere Instrumente – ich nehme an, noch viele andere, ich möchte sie aber erwähnen, weil in vielen Belangen immer wieder die Schweiz
als Modellfall für demokratisches Gestalten verwendet wird. Beispielsweise haben wir in Oberösterreich ein Modell, das auch die Schweiz im Vorfeld von Gesetzes­werdungen hat, das ist die Bürgerbegutachtung. Das klingt vielleicht ein wenig tech­nokratisch, aber so heißt das Modell, dass Gesetzesvorhaben eben nicht nur
in den „normalen“ – unter Anführungszeichen – Begutachtungskreislauf von Kam­mern, Experten und so weiter geschickt werden, sondern dass es per Inserat
und per öffentlicher Werbung auch allen Landsleuten zugänglich gemacht wird mit der Bitte, sich eben als Begutachtende, weil als hinkünftig Betroffene ja
mittendrin, entsprechend einzubringen. 

Ein anderes Instrument, das wir nutzen und das immer mehr angenommen wird – mittlerweile, glaube ich, schon von mehr als 40 Prozent unserer Gemeinden
in den Regionen –, ist der sogenannte Agenda-Zukunftsprozess, wie er bei uns heißt, bei dem wir sehr konkret Modelle des Einbeziehens auf Gemeindeebene oder
von Vereinen in Regionen unterstützen, bei dem Mitbürgerinnen und -bürger an ei­nem Thema, an einem Projekt, an einem Vorhaben arbeiten und daraus dann
auch entsprechend verschiedene Folgewirkungen entstehen, was ich für ein sehr wichtiges Instrument halte, um dieses Mitmachen und dieses Verantwortungübernehmen auch wachzuhalten und dafür Bewusstsein zu wecken.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Demokratie muss auch verteidigt
werden, das stimmt, und zur Kraftanstrengung, dass wir immer wieder dafür werben, dass wir, auch das ist heute schon gefallen, unsere Türen öffnen, um möglichst
viel Interesse dafür zu wecken, wie der demokratische politische Entscheidungsablauf stattfindet, gehört auch dazu, dass wir als entschlossene Demokratinnen und Demokraten den Demokratiefeinden, woher auch immer sie kommen mögen, entge­gentreten und ihnen deutlich sagen: Wer den Demokratiefeinden nachläuft,
egal ob in der realen Welt oder im Netz, der läuft in Richtung Unfreiheit und bedroht unser freies Lebensmodell! Daher muss dem entgegentreten werden, und
dort, wo wir es können, müssen auch die entsprechenden Riegel vorgeschoben werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Was wir demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker bei aller Liebe zur Diskussion und zur Auseinandersetzung und zum manchmal ja auch befruchtenden Streit in unseren demokratischen Gremien aber wissen müssen ist, dass in unserer Jobdescription auch steht, dass wir bei­zeiten Ergebnisse liefern müssen und dass der Auftrag zur demokratischen Diskussion kein Ticket für Endlosschleifen ist. Was sicher nicht für ein Hinwenden zum
Interesse an der Demokratie zuträglich ist, sind Blockaden oder ausbleibende Refor­men, oft über Jahre hinweg: Auch das ist ein Auftrag an uns selber und vielleicht
auch ganz spannend in der Phase der Findung einer Bundesregierung. 

Voraussetzungen für all dieses Miteinander haben wir allemal. Es beginnt immer beim aufeinander Zugehen, es beginnt vor allem aber auch bei der Grundbereitschaft,
dass wir dieses demokratische Modell auch wollen und dass wir daraus den Auftrag mitnehmen, dass wir dafür nicht nur eintreten, sondern dafür auch Werbung
machen.

Eine gute Werbung, Herr Präsident Ebner, geschätzte Damen und Herren, ist mit Si­cherheit diese Enquete. – Ein herzliches Dankeschön dafür. (Beifall.)

11.00

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Landeshauptmann, für deine Ausführungen. 

Ich darf nun Herrn Martin Hagen um seinen Beitrag zum Thema „Demokratie schützen – Freiheiten einschränken?“ – mit Fragezeichen – ersuchen. – Bitte, Herr Hagen, Sie gelangen zu Wort. 

11.00

Martin Hagen, M.A. (Republik 21): Herzlichen Dank, sehr geehrter Herr Prä­sident, für die Erwähnung des Fragezeichens; das ist wichtig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Vielen Dank für die Einladung zu dieser Enquete hier! Ich war ja selbst fünf Jahre lang Abgeordneter des Bayerischen Landtages, und es ist für mich heute das erste Mal, dass ich vor einem fremden Parlament sprechen darf, noch dazu in einem so schönen, beeindru­ckenden Parlamentsgebäude. Das ist mir eine große Ehre und Freude. (Vizepräsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)

Demokratie braucht Zukunft ist das Motto Ihrer Enquete. Dieser Titel impli­ziert ja schon, dass man sich darum sorgt, denn sonst hätten Sie es ja anders formu­liert, nämlich: Demokratie hat Zukunft. 

Tatsächlich hat sich die Hoffnung der frühen Neunzigerjahre, dass sich nach
dem Fall des Eisernen Vorhangs die liberale Demokratie als nunmehr alternativloses Konzept endgültig weltweit durchsetzen würde, als Illusion erwiesen. Die
Geschichte war – anders als von Francis Fukuyama angenommen – eben nicht an ihrem Ende angelangt. Einer meiner Vorredner, Dr. Dettling, ist darauf ja
ausführlich eingegangen. 

Mit China hat ein autoritärer Einparteienstaat den Aufstieg zur globalen Supermacht geschafft. In Ländern wie Russland oder der Türkei wurden demokratische
und rechtsstaatliche Errungenschaften wieder zurückgedreht. Wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, haben wir in den USA gesehen, als es dort vor vier Jahren
zum Sturm auf das Kapitol in Washington kam. Kein Wunder also, dass wir uns um unsere Demokratie, um unser demokratisches Miteinander sorgen. 

Ich möchte heute allerdings vor Ansätzen, die darauf hinauslaufen, einer Erosion dieses demokratischen Miteinanders durch politische Indoktrinierung oder durch eine Verengung des öffentlichen Diskurses zu begegnen, ausdrücklich warnen. 

Wir haben in Deutschland zuletzt heiße Debatten über zwei Vorhaben gehabt, einer­seits über das Demokratiefördergesetz, andererseits über die sogenannten
Trusted Flagger, die über Inhalte in den sozialen Medien wachen sollen. Kritiker haben diese beiden Vorhaben als einen Versuch staatlicher Einflussnahme auf die
politische Willensbildung bezeichnet und vor einer Beschneidung der Meinungsfrei­heit gewarnt. 

Zunächst zum Ersten, zum Demokratiefördergesetz: Dieses durch das Zerbre­chen der Ampelregierung momentan gescheiterte Vorhaben sollte Fördermaßnahmen aus dem bestehenden Programm namens Demokratie leben! bündeln und ver­stetigen. Erklärtes Ziel des Gesetzesvorhabens war die Stärkung von Maßnahmen, die – Zitat – „zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismus­prävention und politischen Bildung“ dienen, und zwar durch ausgewählte Nichtre­gierungsorganisationen, deren Arbeit dann staatlich finanziert wird. 

Die Mittel für das Programm Demokratie leben! beziehungsweise für seine Vorgän­gerprogramme haben sich in den vergangenen zehn Jahren auf etwa 200 Mil­lionen Euro pro Jahr verzehnfacht. Das ist schön für die begünstigten NGOs und ihre wachsende Zahl an Mitarbeitern. Dahinter aber, ob wirklich die Demokratie
davon profitiert hat, darf man ein Fragezeichen setzen. 

Die Denkfabrik Republik 21, für die ich als Geschäftsführer tätig bin, hat sich in den vergangenen Monaten in verschiedenen Formaten mit diesem Gesetzesvor­haben beschäftigt. In unserem Podcast hat beispielsweise die liberale Bundestagsab­geordnete Linda Teuteberg zu bedenken gegeben, dass die Demokratie in Deutschland doch 75 Jahre lang ganz gut ohne ein Fördergesetz ausgekommen ist. Der Bildungsexperte Jörg Schulte-Altedorneburg warnte auf einer unserer Diskussionsveranstaltungen zum Demokratiefördergesetz vor – Zitat – betreutem Denken, welches ja nun eigentlich das Gegenteil von Demokratie sei. 

Der Vorwurf steht im Raum, dass die Aktivitäten zumindest einiger dieser geförderten NGOs eher auf die Durchsetzung einer bestimmten Gesinnung, auf Diskurs­hoheit und kulturelle Hegemonie abzielen als wirklich auf die Förderung
der Demokratie als solcher. Da, glaube ich, liegt eine große Gefahr solcher Pro­gramme. 

Was Demokratie braucht, sind auf der einen Seite natürlich funktionsfähige Institu­tionen und Strukturen, aber wir wissen, das allein reicht nicht aus. Der Rechts­philosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde sagte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Es braucht
nämlich zusätzlich auch eine demokratische Kultur der Bevölkerung, ein allgemeines Verständnis für den Wert der Demokratie und vor allem aufgeklärte und
mündige Bürger. Insofern ist politische Bildung zweifellos ein geeignetes, legitimes, wichtiges Mittel, um die immateriellen Grundlagen unserer Demokratie zu
fördern. Dr. Brix wird ja später auf dieses Thema noch eingehen. 

In Deutschland haben wir für die Ausgestaltung politischer Bildungsarbeit den soge­nannten Beutelsbacher Konsens, der sich bewährt hat. Er legt für die Bildungs­arbeit bestimmte Prinzipien fest, zum Beispiel das sogenannte Überwältigungsverbot, nach dem die Demokratielehrenden den Demokratielernenden nicht ihre
Meinung aufzwingen dürfen, sondern sie vielmehr in die Lage versetzen sollen, sich eine eigene Meinung zu bilden, oder das Gebot der Kontroversität, dass also politische Themen im Unterricht kontrovers und nicht einseitig zu behandeln sind. 

An solche Prinzipien sind die NGOs, die durch das Demokratiefördergesetz
finanziert werden sollen, nicht gebunden. Deswegen sagen Kritiker, anstatt das un­abhängige Denken und das individuelle Urteilsvermögen der Bürger zu
stärken, werden von diesen Organisationen eher bestimmte – in der Praxis in Deutschland überwiegend linke – Deutungsmuster und Sichtweisen verbreitet und etabliert. 

Tatsächlich zielen einige der staatlich geförderten Projekte sogar eher auf
eine Verengung des demokratischen Diskurses ab als auf seine Förderung, weil sie sich nicht nur gegen verfassungsfeindlichen Extremismus richten, wie es
eigentlich sein sollte, sondern auch gegen legitime Meinungen. 

Über Asyl, über die Frage, wie viele Geschlechter es gibt, über all diese Themen darf und soll in einer Demokratie gestritten werden. In der Demokratie hat Willens­bildung von unten nach oben zu verlaufen, nicht von oben nach unten. Es ist ja nicht die Aufgabe des Staates, bestimmte Meinungen in der Bevölkerung zu fördern
und andere zu unterdrücken, jedenfalls nicht, solange sich diese Meinungen auf dem Boden freiheitlich-demokratischer Grundordnung bewegen. 

Die Ausgrenzung anderer Meinungen ist sogar – so beschreibt es der liberale Philo­soph John Stuart Mill – eine Gefahr für die Demokratie, weil sie den Erkennt­nisfortschritt und damit das Gemeinwohl schwächt. Überhaupt schadet man dem wichtigen Anliegen der Extremismusbekämpfung, wenn man den Rahmen
des legitimen Meinungsspektrums immer enger zieht – Frau Salomon hat Beispiele genannt: die Debatten um Covid, Klima oder Migration –, denn man drängt
ja nicht nur Positionen aus dem öffentlichen Diskurs, sondern auch Menschen, die diese Positionen vertreten. Damit stärkt man die politischen Ränder, anstatt
sie zu schwächen. 

Man sollte vor allem nicht den Fehler machen, die eigene politische Meinung mit der Demokratie und die Förderung der eigenen politischen Position mit einer
Förderung der Demokratie gleichzusetzen. 

Ich glaube generell, wenn die Bürger das Gefühl bekommen, die Regierung versuche, sie zu belehren und zu erziehen, ihnen eine bestimmte politische Haltung aufzudrücken, und das auch noch mit den von ihnen selbst erwirtschafteten Steuer­geldern, dann führt das eher zu Reaktanz und Politikverdrossenheit, eher
zu einer Distanz zwischen Regierung und Volk als zu einer Stärkung der Demokratie. 

Meine Damen und Herren, jetzt zum zweiten Vorhaben, zu den sogenannten
Trusted Flaggern – der Herr Bundesratspräsident hat mich ausdrücklich gebeten, auch dieses Thema kurz zu beleuchten –: Um die Demokratie zu schützen, wird
neuerdings immer öfter danach gerufen, Äußerungen im Internet stärker zu kontrol­lieren und zu regulieren. Kritiker sehen darin eine Form der Zensur. 

Der aktuelle Zankapfel in Deutschland ist die nationale Umsetzung des Digital Services Act der EU. Dieser fordert von den Mitgliedstaaten die Zertifizie­rung sogenannter Trusted Flagger, zu Deutsch: vertrauenswürdiger Hinweisgeber. Trusted Flagger sind Organisationen, die zum Beispiel Meldestellen betrei­ben, bei denen Bürger vermeintlich rechtswidrige Kommentare in sozialen Netzwer­ken anzeigen können. Die Organisationen prüfen diese Meldungen und leiten
sie dann gegebenenfalls an die Onlineplattformen weiter, welche diese Meldungen dann vordringlich behandeln und rechtswidrige Inhalte löschen müssen. 

Der springende Punkt ist die Frage, ob sich das tatsächlich allein auf rechtswidrige Inhalte beschränkt, also auf solche, die beispielsweise den Straftatbestand
der Beleidigung, der üblen Nachrede oder der Volksverhetzung erfüllen, oder ob es dabei auch um zulässige Meinungsäußerung geht. 

Der Chef der in Deutschland zuständigen Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat bei der Zertifizierung des ersten Trusted Flaggers in Deutschland davon gespro­chen, auf diesem Weg nun Hass und Fakenews aus dem Internet zu entfernen. Das sind beides sehr, sehr schwammige, sehr interpretationsfähige und subjektive Begriffe. Die beschreiben Äußerungen, die wir als ungebührend, unangenehm, irre­führend oder falsch erachten mögen, aber die deswegen noch lange nicht
illegal und strafbar sind. 

Inzwischen hat Müller seine Formulierung korrigiert, aber das Ganze hat natürlich die Angst vor einer Zensur unliebsamer Meinungen befeuert. Dazu trägt auch
der von der Bundesnetzagentur herausgegebene Leitfaden für Trusted Flagger bei, in dem ebenfalls von – Zitat – „Hassrede“ und von Inhalten, die – Zitat –: „Negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs“ haben, gesprochen wird. 

Verehrte Abgeordnete, ich gehe davon aus, dass die Frage, welche Art von Inhalten negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs hat, unterschiedlich beurteilt
würde, wenn ich Sie danach fragen würde, und zwar abhängig davon, wen von Ihnen ich fragen würde. Deswegen wird natürlich die Auswahl der Organisationen,
die darüber wachen sollen, zum Politikum. Genauso wie bei einem Demokratieförder­gesetz droht auch da eine politische Einflussnahme auf den öffentlichen Dis­kurs, und zwar durch die Parteien, die gerade an den Schalthebeln der zuständigen Ministerien und Behörden sitzen. 

Das eine ist, was man Hass und Hetze nennt. Das andere sind Desinformation
und Fakenews. Auch da gilt: Wer das aus dem Internet verbannen will, der begibt sich auf dünnes Eis, denn auch da ist Vorsicht geboten. Darüber, was wahr und was unwahr ist, muss schließlich irgendjemand entscheiden. Wer sollte das
sein? Ein Wahrheitsministerium? – Das kennen wir aus George Orwells dystopischem Roman „1984“. In freiheitlichen Demokratien hat so eine Institution aber nichts
zu suchen. 

Der deutsche Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner kommt deswegen zu dem Schluss: „Es besteht die konkrete Gefahr, dass Trusted Flagger in nicht uner­heblichem Umfang auch rechtmäßige Meinungsäußerungen melden.“ 

Es stimmt zwar, dass am Ende nicht die Trusted Flagger, sondern die Plattform­anbieter selber über eine Löschung entscheiden. In der Praxis werden die Anbieter aber lieber ein Mal zu viel als ein Mal zu wenig löschen, um Strafzahlungen,
die das Gesetz vorsieht, zu vermeiden. Den Hinweisgebern – privaten Organisationen, die von staatlicher Stelle zertifiziert werden – kommt damit eine bedenklich
große Macht über den öffentlichen Diskurs zu. 

Verehrte Abgeordnete, ich bin überzeugt, eine starke Demokratie braucht einen lebendigen Pluralismus und kein betreutes Denken. Sie braucht offenen
Diskurs und keine Zensur. Demokratische Willensbildung ist ein Bottom-up- Prozess, kein Top-down-Prozess. Die Grenzen des Sagbaren setzt das Strafrecht, nicht
der Zeitgeist und nicht politische Aktivisten. 

Ja, wir sollten Extremisten und Demokratiefeinde jeglicher Couleur entschlossen be­kämpfen, aber doch nicht diejenigen, die einfach nur eine andere Meinung
als wir selber vertreten. Wir sollten Neugier und kritisches Denken fördern, sollten die Bürger dazu und nicht zum Konformismus ermutigen.

Meine Damen und Herren! Der vermeintliche Schutz der Demokratie – das ist meine feste Überzeugung – darf nicht als Vorwand dienen, um Freiheiten einzu­schränken. Deswegen möchte ich mit einem abgewandelten Zitat von Benjamin Franklin schließen: Wer Freiheit aufgibt, um Demokratie zu schützen, der
verdient weder die eine noch die andere. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.) 

11.12

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für
Ihre Ausführungen, Herr Hagen. 

Nun darf ich – last, but not least – Herrn Botschafter Dr. Emil Brix, den Präsidenten der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, um seinen Beitrag zum Thema „Demokratiebildung“ ersuchen. – Bitte, Herr Präsident.

11.13

Dr. Emil Brix (Österreichische Forschungsgemeinschaft): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich eigentlich über alles, was ich bisher gehört habe, nämlich darüber, dass es so unterschiedlich war. 

Sie haben vor allem von meinem Vorredner gehört, wie stark er die Freiheit betont und vor Zensur gewarnt hat. Das ist schon tatsächlich eine schwierige Ent­scheidung, die Sie zu treffen haben, die aber eigentlich wir alle zu treffen haben: Wie entscheiden wir, wie viel wir an Freiheit wollen? Gleichzeitig: Wie viel an
Regeln, die das beschränken, haben wir uns aber auch selbst gegeben und aus wel­chen Gründen? Sind das immer die demokratischen Grenzen, um die es da
geht, oder geht es auch um anderes? 

Ursprünglich habe ich mir gedacht, ich habe eine wahnsinnig leichte Aufgabe, Sie wer­den alle sagen, wir brauchen Schulen und in den Schulen muss für Demokratie gebildet werden. Sie haben das auch tatsächlich alle irgendwie gesagt: Wir brauchen diese Bildung, diese Ausbildung. Ich will dem ja gar nicht widersprechen. 

Ich werde gerne auch ein paar Beispiele dazu geben, dass ich denke, dass wir auch ge­setzmäßig mehr tun könnten, als bisher getan wurde. Es gab unter anderem
vor zwei Jahren einen Entschließungsantrag, von vier Parteien in diesem Fall, der mehr an politischer Bildung konkret verlangt hat. Ich möchte auch unterstreichen, was meine Vorredner gesagt haben: Die Demokratiewerkstatt dieses Hauses, des Parlaments, ist das Beste, was es an Demokratiebildung derzeit in Österreich gibt. Dazu, dass das so gemacht wurde, kann man nur gratulieren. Das ist auch ein Vorbild für viele andere. 

Ist Demokratiebildung aber wirklich allein durch Demokratiebildung möglich, oder geht es nicht auch um die Qualität dessen, was in der politischen Arbeit ge­schieht? – Ich würde schon darauf hinweisen und sagen, ich glaube, die wichtigste Form von Bildung für Demokratie ist einfach gute Demokratie, das heißt, nachzudenken: Wo kann man denn eigentlich mehr Demokratie zulassen, und in welcher Form kann man sie zulassen? Haben wir da die Grenzen schon
erreicht? 

Als völlig unzuständige Person denke ich mir: Wo sind denn eigentlich Bereiche, in de­nen Bildung passiert, ohne dass wir es so wahrnehmen? – Einer jener Bereiche
ist in der Laiengerichtsbarkeit. Ich verstehe eigentlich nicht, warum wir nicht – auch politisch – ein bisschen mehr nachdenken: Was ist die Rolle dieser Laienge­richtsbarkeit, nicht nur in der Frage, wie Urteile zustande kommen, sondern auch, was die Beteiligung von Bürgern an solchen Prozessen betrifft? 

Ich würde sehr stark dafür plädieren, das zu untersuchen und sich nicht nur von den Richtern und Staatsanwälten mit deren Interessen erklären zu lassen, dass die Berufsgerichtsbarkeit einfach bessere, gerechtere Urteile bringt und man daher nicht so sehr auf die Laien vertrauen soll.

Unter dem Gesichtspunkt der Demokratie ist das für die Bildung der Demokra­tiebildung ein ganz entscheidender Punkt. Ich denke, da gäbe es Bereiche – vor allem in der Art der Schöffen –, in denen man weit mehr machen könnte, als man
jetzt macht. Dass wir in Europa viele Traditionen der Laiengerichtsbarkeit verloren haben, halte ich für einen Fehler. Es gibt nur mehr wenige Staaten, in denen
es tatsächlich ein ausgebautes Laiengerichtssystem gibt. In Österreich ist es gar nicht so schlecht, aber man könnte mehr machen. 

Also mein erster Punkt ist wirklich: Die Demokratiebildung lebt davon, dass wir sagen, Demokratie ist eine Lebensform. Da gibt es eine lange Tradition, in der das so dargestellt wurde. Wenn wir es als Lebensform sehen, dann müssen wir einfach auch in die Verbesserung dessen investieren, was wir auf der Institutionsebene, auf
der Teilhabemöglichkeitsebene und natürlich auch auf der Ebene der Interpretation der Zahlen, die uns die Sozialforschung betreffend das mangelnde Vertrauen
vorlegt, sehen, und darauf reagieren. 

Ich selbst bin von der Ausbildung her Diplomat und bin derzeit auch Direktor der Diplomatischen Akademie. Sie können sich vorstellen, der sogenannte Rück­zug der liberalen Demokratie weltweit ist für mich ein großes Thema, aber auch für die Studierenden an der Diplomatischen Akademie. Da muss ich schon sagen,
es ist tatsächlich alles richtig, was gesagt wurde. 

Nach 1989/1990 gab es diese Hoffnungen, dass wir nur noch in der Ausgestaltung der liberalen Demokratie kleine Unterschiede haben, aber letztlich im Para­dies gelandet sind. Ich habe schon damals zu denen gehört, die nicht daran geglaubt haben. Heute glauben eigentlich kaum noch Leute daran, sondern wir sehen
ganz im Gegenteil, dass wir eine neue Polarisierung auf der Weltbühne erleben. 

Ich hatte gestern Vertreter der liberalen Opposition von Belarus, Weißrussen, bei mir, die ziemlich hoffnungslos geworden sind, weil ihr demokratisches Streben
gegen den kommunistischen Lukaschenka dort vom Westen zu wenig unterstützt wird. Wenn ich mir die Lage ansehe – und ich habe ihnen das auch ehrlicher­weise gesagt –, sehe ich eigentlich, dass wir im Westen derzeit so tun, als wenn da ein neuer Eiserner Vorhang nun einmal schon heruntergegangen sei und die Belarus­sen auf der falschen Seite seien. 

Ich glaube, so realistisch muss man in der Beurteilung der Weltpolitik sein, dass man sieht, dass derzeit diese Dinge passieren. Das Ganze ist noch damit verknüpft,
dass wir in der demokratischen Theorie von einer Postdemokratie reden, dass ja in Wirklichkeit das, was Sie hier tun, was wir auch überall tun, nicht der entschei­dende Punkt ist, sondern dass die Entscheidungen ganz woanders fallen. Sie fallen in internationalen Konzernen, und sie fallen sicher nicht allein hier. Also dieser
Trend, über Postdemokratie zu sprechen, ist sicher auch etwas, das in der demokrati­schen Bildung angesprochen werden sollte, weil es einfach ein Problem ist. 

Warum ist das so? – Das ist auch ganz einfach. Also ich habe zumindest immer ge­lernt, wenn es bei mir um Demokratie ging: Es gibt nicht nur eine Chance,
den Wohlstand allgemein durch liberale Demokratie zu verbessern, sondern auch eine, ihn etwas gerechter zu machen. 

Diese Erwartung hat sich halt teilweise nicht erfüllt – das muss man ja auch so sehen, wenn man es sich ansieht. Das ist natürlich in jeder Gesellschaft ein bisschen
anders, aber letztlich – wenn man sich den Demokratieindex ansieht, dann sieht man das auch. Mein Punkt – auf die Welt gesehen – ist: Die Zahl der Demokratien
nach unserer Art wird derzeit weniger und wir scheinen nicht die Argumente zu ha­ben, sie größer zu machen, sondern sie werden kleiner. 

Das meiste hat damit zu tun, dass die, die undemokratisch vorgehen, sagen:
Wir können schneller agieren, wir können eindeutiger agieren und wir haben auch die besseren Rezepte, um die Wirtschaft voranzubringen. Das muss widerlegt
werden; das muss demokratisch widerlegt werden. Das ist, glaube ich, auch ein Inhalt für die Demokratiebildung, nicht nur die Frage, wie wir das Schulfach nennen – nennen wir es Geschichte und Sozialkunde und politische Bildung oder anders? –, son­dern tatsächlich Inhalte, die vermittelt werden sollen. 

Das heißt für mich, dass die wichtigste Maßnahme für mehr Demokratiebildung
in einer Weiterentwicklung der Politik der demokratischen Staaten und
des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems liegt. Wenn das Produkt stimmt, wenn Demokratie Menschen wirklich in ihrem persönlichen und gesellschaft­lichen Leben hilft, dann hilft dies dem Bildungsauftrag. 

Erst in zweiter Linie sage ich Ihnen das, was Sie vielleicht erwarten, wenn es um De­mokratiebildung geht: Natürlich ist es ganz wichtig, auf allen Ebenen, mit allen Bevölkerungsgruppen und mit allen Möglichkeiten, die wir haben, Demokratiebildung voranzutreiben, vom Kindergarten bis zum Pensionistenklub, ebenso – und das
muss man auch sagen – in der Integrationsarbeit, in allen staatlichen und nicht staatli­chen Bildungseinrichtungen, im Bundesheer, und natürlich in den Parlamenten,
das sind zentrale Orte der Demokratie. Ich habe schon gesagt, was ich von der Demo­kratiewerkstatt halte, dass ich sie für eine großartige Einrichtung halte, aber
sie hat eben nur eine Vorreiterrolle. Ich würde vorschlagen: Überall, wo der Staat de­mokratisch auftritt, sollte dies auch einen Bildungsauftrag zur Demokratiebil­dung bedeuten. Die Landtage sind auch schon erwähnt worden, aber es sollte selbst­verständlich auch für die Gemeinderäte gelten, dass es ein Teil ihrer Arbeit ist,
einen Bildungsauftrag zu haben. Das heißt überall – bei allen Möglichkeiten, die wir haben. 

Ich würde Schulen gar nicht so besonders hervorheben, obwohl dort natürlich
der Zugriff auf Menschen für lange Zeit am größten ist. Daher stehen nach wie vor Schulen und Universitäten im Zentrum, wenn es um diesen Bildungsauftrag
geht. Wir haben ja seit jetzt schon seit 50 Jahren einen langen Prozess der Einbindung von politischer Bildung. Es hat ja die Entwicklung der politischen Wissenschaf­ten in Österreich überhaupt erst sehr spät begonnen – erst in den siebziger Jahren, erst aus Amerika im sozialwissenschaftlichen Bereich nach Österreich geholt,
mit größten politischen Widerständen. Die eher konservativen Rechtswissenschaftler und Historiker wollten das gar nicht haben. Ich erspare Ihnen die ganzen Dis­kussionen. Jedenfalls hatten wir bei der Frage der politischen Bildung einen ähnlichen Prozess durchzumachen. Wir haben inzwischen die Einbindung in allen staat­lichen Bildungseinrichtungen gesichert, ebenso das Unterrichtsprinzip und das Unter­richtsfach politische Bildung in einzelnen Bereichen und auch Lehr- und For­schungsmöglichkeiten im tertiären Bereich. Das heißt, man kann für politische Bildung ausgebildet werden. Das ist Gott sei Dank in Österreich auf einem relativ
guten Wege, obwohl natürlich die Vertreter dieser neuen Richtungen viel mehr möchten als bisher geschehen ist. 

Ein wichtiger Punkt, wenn es um die Bildung geht, ist aus meiner Sicht die Frage, wo­her diese immer wieder genannte Wissenschaftsskepsis in Österreich kommt.
Nach Ende der Covid-Krise – Sie wissen das alle – ist gesagt worden, dass Untersu­chungen zeigen, dass es in Österreich eine weit höhere Wissenschaftsskepsis
als in anderen Ländern gibt. Sie sei ein bisschen vergleichbar mit Deutschland, das könnte ein deutschsprachiges System sein. Vielleicht hängt das mit irgend­welchen schlechten historischen Erfahrungen mit Autoritäten und Wissenschaften zusammen? Vielleicht hängt es in Österreich speziell noch damit zusammen,
dass wir ja die Tradition haben, dass selbst die gute Aufklärung von oben, vom Staat, von Kaiser Joseph II., und nicht von unten kommt? – Es mag schon sein, dass
es manche österreichische Besonderheiten gibt, warum die Wissenschaftsskepsis höher ist. 

Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat sich daher den Auftrag gegeben, Programme zu entwickeln. Es hat ein 10-Punkte-Programm
gemacht und das IHS eine Studie zum Thema Wissenschaftsskepsis und Demokratie machen lassen. Ich war sehr überrascht und weiß auch gar nicht, wem das ein­gefallen ist, die beiden Dinge in einer Studie zu verbinden – in derselben Studie die Wissenschaftsskepsis und die Demokratie in Österreich abzufragen, vermut­lich mit der Vorannahme, dass die beiden Dinge etwas miteinander zu tun haben oder dass man, je wissenschaftsskeptischer man ist, desto undemokratischer denkt.
Sie werden aber überrascht sein, wenn Sie diese lange Studie lesen, denn das kommt aus dieser Studie nicht heraus. Es scheint diesen Zusammenhang nicht zu geben, sondern die Wissenschaftsskepsis geht überall durch, ist etwas, was in allen Bereichen vorhanden ist, und lässt sich überhaupt nicht mit dem gleichsetzen, was die Demokratie betrifft. 

Diese Studie hat auch zu einer Plattform geführt, die sich DNA nennt und mit Wissen­schaft und Demokratie beschäftigt – auch wieder Wissenschaft und Demokratie.
Es wäre zu prüfen, ob diese Verknüpfung gerechtfertigt ist und tatsächlich zu stärke­rer Demokratiebildung beiträgt. Es wird relativ viel Geld dafür aufgewendet –
auch für diese Webpage, die da entstanden ist. Der Zusammenhang zwischen Wissen­schaftsskepsis und Demokratieskepsis lässt sich in Studien aber nicht nachweisen. 

Ich ende mit einigen kurzen Empfehlungen, die – ich weiß schon – vielleicht ein biss­chen irreal sind, weil das Fällen von Entscheidungen ja gerade im Bildungsbereich
sehr kompliziert ist. Wir wissen alle nicht, wie sich die nächste Regierung bildungspolitisch aufstellen wird, auch wenn ich eine gewisse Vermutung habe. 

Zu den Schulen: Meine Empfehlung wäre, in allen Schulformen ein eigenes Unterrichtsfach politische Bildung ab der fünften Schulstufe zu haben – ganz ein­deutig ein eigenes Unterrichtsfach politische Bildung. Die Gefahr, die mein Vorredner angesprochen hat, dass es ein Ideologiefach werde, habe ich auch schon bei
anderen Diskussionen gehört. Ich unterstelle der SPÖ nicht, dass sie ungeschickt ist, das auch wieder zu versuchen. Ich glaube aber, das müssen wir aushalten. Es
muss möglich sein, das zu einem Fach zu machen, in dem nicht Ideologie ausgetauscht wird, sondern wirklich die Inhalte der Demokratie diskutiert werden – ab der
fünften Schulstufe. 

An die Universitäten denke ich im Rahmen ihrer sogenannten Third Mission, also alles, was Vermittlung betrifft. Das sollte eine zentrale Aufgabe sein und jede österrei­chische staatliche Universität sollte in ihren Statuten auch festhalten, dass es eine sol­che Aufgabe ist. 

Drittens: mehr Unterstützung für zivilgesellschaftliche Initiativen im Erwach­senenbereich. Da gibt es so viele Möglichkeiten – und ich meine jetzt nicht nur den Blasmusikverein, aber auch den Blasmusikverein, ich meine natürlich auch die freiwilligen Feuerwehren –, wo das alles eine Rolle spielt. 

Viertens würde ich sagen, nicht nur die traditionellen Milieustrukturen wie Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Interessenverbände bedenken, sondern ein bisschen darüber hinausgehen. 

Fünftens: Demokratiebildung doch auf Kompetenzen konzentrieren. 

Sechstens: Auch mit den Schwächen der liberalen Demokratie eine Diskussion zulassen. Die sind ja tatsächlich da. Ungleiche Repräsentation und Exklusion bei den Wahlen sind schon genannt worden – die Exklusion bei den Wahlen ist ein fürchterliches Thema, finde ich. Toleranz im Rechtsstaat und seine Grenzen, die Frage der Desinformation ist auch schon genannt worden. Das Verhältnis von Mehrheit
zu Minderheit sollte bei diesem Punkt auch stärker thematisiert werden. 

Sie merken schon: Wenn man über Bildungsinitiativen spricht, kommt man letztlich auch immer irgendwann dazu, dass man auch seine Meinung präsentiert und
nicht nur über Demokratie auf einer offenen freien Ebene spricht. Ich denke, das ös­terreichische Kompetenzmodell der politischen Bildung entspricht nicht mehr
ganz der Realität. Man spricht immer noch von einem Ideal wahlberechtigter österrei­chischer Staatsbürger. Wir haben schon gehört: 1,5 Millionen Menschen waren
bei den Nationalratswahlen gar nicht zugelassen. Politisch brauchen wir
mehr Möglichkeiten zur direkten Demokratie, um Teilhabe zu schaffen. Ich habe schon über den Ausbau der Laiengerichtsbarkeit gesprochen. Das ist der letzte Punkt: Ausbau der direkten Demokratie. Auch da weiß ich, dass es politisch sehr unterschiedliche Positionen dazu gibt. Ich gehöre auch zu jenen, die sagen: gut vorbereiten, gut abfragen, aber trotzdem die Schweiz anschauen, trotzdem versuchen, den Bürgern auch eine direktere Möglichkeit zu geben. Das entlastet Sie, aber
das macht Sie nicht weniger wichtig in Ihrer Arbeit. 

Damit denke ich, dass ich Ihnen ein paar Dinge zum Bildungsauftrag mitgeben konn­te. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.29

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für
Ihre Ausführungen, Herr Präsident.

Damit ist das Panel 2 abgeschlossen, und ich bedanke mich sehr für alle Beiträge. 

Diskussion

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun
zur anschließenden Diskussion zum Panel 2, und ich darf an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass die Redebeiträge eine Dauer von 3 Minuten nicht über­schreiten sollen. Ich ersuche Sie wirklich, diese Vorgaben einzuhalten, und darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen wie gehabt 1 Minute vor Ende der Redezeit
zu blinken beginnt. 

Bitte geben Sie Ihre Wortmeldungen vom Redner:innenpult aus ab. 

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Christine Schwarz-Fuchs. – Bitte, Frau Bundesrätin. 

11.30

Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP/Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Werter Herr Landeshauptmann! Geschätzte Teilnehmerinnen und Teilnehmer
an der heutigen Enquete und werte Zuseher über ORF III! Unsere Demokratie steht heute vor zahlreichen Herausforderungen, wir haben es bereits gehört. Die
Welt verändert sich in rasantem Tempo und damit wachsen auch die Anforderungen an unsere Gesellschaft und an unsere politischen Systeme. 

Wenn wir wollen, dass Demokratie nicht nur überlebt, sondern auch gedeiht, müssen wir gemeinsam daran arbeiten, Brücken zu bauen und unsere demokratischen
Werte zu stärken. Landeshauptmann Thomas Stelzer hat das sehr gut ausgeführt. De­mokratie lebt von Beteiligung, sie ist kein statisches Gebilde, sondern ein dyna­mischer Prozess, der von jedem Einzelnen getragen wird. Wie Landeshauptmann Stel­zer gesagt hat: Es genügt nicht, dass man am Wahltag wählen geht. Natürlich
ist es sehr wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme abgeben, aber um die Verantwortung in einer Demokratie wahrzunehmen, braucht es auch Bür­gerinnen und Bürger, die in der Politik mitmachen und mitarbeiten und sich einbringen wollen. 

Ein sehr wichtiger Bereich in diesem Zusammenhang ist auch das Engagement
in den Schulen. Das wurde heute bereits mehrfach erwähnt. Die Jugend
ist die Zukunft der Demokratie. Indem wir frühzeitig politische Bildung fördern und offene Diskussionen im Schulalltag ermöglichen, aber auch Neugier und kriti­sches Denken fördern, wie Martin Hagen auch erwähnt hat, schaffen wir die Grund­lage für eine informierte und engagierte Gesellschaft. Wenn junge Menschen verstehen, dass ihre Stimme zählt und dass Demokratie Schutz und Chancen bietet, werden sie auch bereit sein, sie in Zukunft aktiv zu verteidigen und zu gestalten. 

Die Demokratiewerkstatt des Parlaments wurde heute auch schon mehrfach lobend erwähnt. Am heutigen Vormittag sind gerade zufällig Schülerinnen und Schüler
vom Sacré Coeur Riedenburg aus Bregenz bei uns im Haus. Nationalrat Norbert Sie­ber und ich haben sie heute in der Früh schon begrüßen können. Wir freuen
uns immer sehr, wenn auch Schulen aus Vorarlberg zu uns ins Hohe Haus kommen und wir ihnen das Parlament näher bringen und sie für die Demokratie begeis­tern können. 

Es geht jedoch nicht nur um die Jugend und die Schulen, wie Botschafter Dr. Brix auch ausgeführt hatte. Auch in der Mitte der Gesellschaft müssen wir
Räume schaffen, in denen Menschen unterschiedlicher Meinungen miteinander ins Gespräch kommen können – und das nicht nur national bei uns in Österreich,
sondern auch international, wie Sie gesagt haben. Da kann ich Ihnen nur zustimmen. –Nur so können wir die wachsenden Herausforderungen gemeinsam bewältigen,
sei es der Klimawandel, die Digitalisierung oder auch die globalen Herausforderungen, damit wir in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können. – Vielen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.33

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Doris Wagner vom Bundesministerium für Bil­dung, Wissenschaft und Forschung. – Bitte. 

11.33

Doris Wagner, MEd BEd (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung): Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, bei dieser Enquete dabei sein zu dür­fen. Als Leiterin der Sektion I im Bildungsministerium bin ich mit meinem Team für Pädagogik zuständig. Ich sehe da schon einen großen Hebel, Veränderungen
zu erzielen. Es ist gesagt worden: Eine funktionierende Demokratie braucht politisch gebildete Bürgerinnen und Bürger und politische Bildung ist einfach. Zum
Gelingen der politischen Bildung haben Schulen klassischerweise natürlich eine be­deutende Rolle, aber nicht nur die Schulen – vergessen wir nicht die Er­wachsenenbildung, denn Bildung geht sprichwörtlich von der Wiege bis zur Bahre. 

Lassen Sie mich jetzt drei Elemente herausgreifen, die wir zuletzt in Angriff genommen haben, um genau das Thema Demokratie zu stärken und politische Bil­dung voranzutreiben. Eines hat Herr Dr. Brix schon angesprochen: Die DNA ist es, das heißt, die Demokratie und die politische Bildung müssen ganz tief in unser menschliches Wesen eindringen. Darum haben wir diese Initiative auch DNAustria genannt. DNAustria steht für Demokratie, steht für politische Bildung,
und das wollten wir damit. Wir wollten wirklich eine unverzichtbare Basis für das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat schaffen und wir wollten
auch das Vertrauen stärken, Wissenschaft und Demokratie auch gleichzeitig zu fassen. 

Wir haben somit eine zentrale Infoplattform mit Wissenschafts- und Demo­kratievermittlungsangeboten geschaffen, denn es ist immer gut, die Dinge gebündelt an einer Stelle zu haben, um sie gut abrufen zu können. Diese Plattform macht sichtbar, wo und wie Wissenschaft und Demokratie jeden Tag gelebt, erkundet wer­den können, woran gerade geforscht wird, wo sich Menschen engagieren und
wo wir selbst aktiv tätig werden können. Nun, es ist ein vielfältiges Programm, und Maßnahmen zur Demokratiebildung sind wirklich gut gebündelt und können
jederzeit von Pädagoginnen und Pädagogen gut abgeholt und in der Klasse eingesetzt werden. 

Der zweite Punkt ist auch schon angesprochen worden, nämlich der Gegenstand politische Bildung. Ich sage Ihnen, es kommt nicht darauf an, ob wir ein eigenes Fach haben – wichtig sind die Kompetenzen. Wo vermitteln wir die Kompetenzen,
die für eine politische Bildung und für Demokratiebildung wichtig sind? Wir haben das auch im neuen Lehrplan gut berücksichtigt, im Rahmen der Fächer Geschichte
und politische Bildung. Wir haben die Bedeutung auch sehr stark auf die politische Bildung gelegt. Man braucht Geschichte, um einen Grund zu haben, um Dinge
zu verstehen, aber man muss das einfach einordnen und auch zukünftig im politischen Rahmen denken können. Auch übergreifende Themen wurden eingeführt. 

Angesprochen wurde auch etwas Wichtiges: Politische Bildung ist das eine, aber das Eintauchen in eine Demokratiewerkstatt – sei es auf Bundesebene, hier, oder
auf Landesebene, ob das ein Kinderlandtag ist, ein Berufschullandtag – ist ein unver­zichtbares Element, wo Schülerinnen und Schüler Demokratie spüren können. 

Last, but not least: Schuldemokratie; Schülerinnen und Schüler über Rechte und Pflichten im täglichen Schulleben aufzuklären, Vertrauen zu bilden, Maßnah­men zu setzen. Wir haben heuer eine große Initiative „Hinschauen statt wegschauen“. Verantwortung zu tragen und zu übernehmen ist nämlich politische Bildung
live, denn Schule soll ein Ort sein, um Demokratie zu leben und zu lernen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

11.37

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster
zu Wort gemeldet ist Herr Nationalrat Gernot Darmann. – Bitte.

11.38

Abgeordneter Mag. Gernot Darmann (FPÖ): Frau Präsident! Werte Damen und Her­ren! Lassen Sie mich ein wenig Spielverderber sein, wenn ich hier aus vollster Überzeugung sage, dass man sehr oft Kindesweglegung seitens der Politik betreibt, wenn man mit dem Finger auf das Volk zeigt, das diese Demokratie und Politik
nicht verstehe, und sich selbst nicht bei der Nase nimmt. Es sind die Politiker, die da und dort dazu beitragen, das Volk von der Demokratie wegzuschieben, weg­zustoßen. Der Wahlabend hat gezeigt – als die zwei größten Verlierer den eindeutigen Wahlsieger zur Seite geschoben haben –, dass man mit Demokratie nicht viel
am Hut hat, genauso wie der Herr Bundespräsident, der den Zweiten beauftragt hat und nicht den Ersten. 

Wenn man nach Deutschland schaut, wo es in der Diskussion um vorgezogene Neuwahlen nur noch das Argument gibt, dass man zu wenig Papier habe, um Wahlen durchzuführen, dann sieht man, wo das Problem begraben ist: Das sind die
Politiker. Wenn wir von Bildung, von Demokratiebildung reden, sollte es vielleicht der eine oder andere Politiker über sich ergehen lassen, einmal in sich zu schauen,
was einem an Demokratieverständnis innewohnt, und darüber nachdenken. 

Wir reden über Demokratie, die Zukunft braucht. Ich bin der Überzeugung, Demokra­tie braucht Politiker mit Handschlagqualität, mit Glaubwürdigkeit, die es
durchaus verdienen, einen Vertrauensvorschuss von den Bürgern, von unserem Wahlvolk zu bekommen. Wir brauchen darüber hinaus natürlich auch eine Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen der Politik – Entscheidungen, die schluss­endlich bei den Bürgern ankommen. Da hilft es nicht, darüber zu reden, was man nicht allen für ein Gefühl geben muss, wie ich es heute hier mehrfach bei Ausfüh­rungen gehört habe. Die Leute spüren tagtäglich in der eigenen Tasche, dass sie kein Geld mehr zum Leben haben. Die Auswirkungen der Realpolitik kommen bei
der Bevölkerung an. Da braucht man nicht zu verkaufen, dass man ein gutes Gesund­heitssystem, ein funktionierendes Sozialsystem und ein leistbares Leben sicher­stellt, weil die Bevölkerung weiß, dass es anders ist. 

Und ja, die Wahlbeteiligung zeigt es: Die Demokratie in Österreich ist lebendig. Sie ist vielleicht anders, weil die Bevölkerung aufgrund der fehlenden, aber auch der Fehlentscheidungen der regierenden Politik nachvollziehbar kritischer und vielleicht auch emotionaler geworden ist. Das ist nicht der Fehler des Volkes. Ich darf – insbesondere in Richtung der Kolleg:innen von der SPÖ – daran erinnern, dass der Staat durch das Staatsgebiet, durch die Staatsverfassung und das Staatsvolk
definiert ist, und um Letzteres hat sich die Politik in den letzten Jahren eindeutig zu wenig gekümmert. Ich gehe davon aus: Wenn das eine oder andere –insbe­sondere, was eine wahre demokratische Gesinnung mancher Regierenden in Öster­reich, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Bundesländern betrifft – beherzigt wird, dann wird sich noch einmal einiges verbessern, weil: Die Bevölkerung ist da, das Volk ist bereit, sich zu beteiligen! Alles andere wäre ja an den Haaren herbei­gezogen.

Schlussendlich noch ein Schlusssatz, Frau Präsident – das sei mir gestattet –, zum Thema soziale Medien: Nicht die Botschaft über soziale Medien ist das
Schlechte, sondern man sollte sich einmal überlegen – und da bin ich wieder beim anderen Thema –: Was kommt bei den Menschen an, was ist die Lebens­realität unserer Bürger quer durch Österreich, was ist die Wirtschaftsrealität unserer Unternehmer quer durch Österreich? Da braucht es nicht den Fingerzeig
Richtung soziale Medien, die ach so böse sind, sondern vielmehr eine nachvollzieh­bare, gescheite Politik im Sinne unseres Heimatlandes. – Danke schön. (Beifall.)

11.41

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernhard Ruf. – Bitte.

11.42

Bundesrat Mag. Bernhard Ruf (ÖVP/Oberösterreich): Geschätztes Präsidium!
Herr Landeshauptmann! Werte Damen und Herren! Ich bin sehr froh, heute an dieser Enquete teilnehmen zu dürfen – und ich danke allen Vortragenden für ihre
wirklich sehr, sehr wertvollen Inputs. Meine Conclusio daraus ist, dass wir uns in der Demokratie den Respekt erhalten müssen. Dieses „We agree to disagree“, das brauchen wir. Wir haben natürlich in unserer Gesellschaft etwas zu verdauen, nämlich die sozial-mediale Revolution, die uns beschert hat, dass jeder und jede von
uns ein Möglichkeitsuniversum hat, jeder und jede kann Autor:in, Regisseur:in oder Journalist:in sein. Frau Salomon hat das auch angesprochen. In diesem Mög­lichkeitsuniversum sucht man dann eben Halt und Sicherheit. Es droht aber auch die häufigste Unfallursache in diesem Möglichkeitsuniversum, nämlich die Selbst­überschätzung – und da gilt es, den anderen, die andere und vor allem die andere Meinung gelten zu lassen. Vor allem gilt: Reflexion statt Unreflektiertheit.

Was die Demokratie in meinen Augen am meisten bedroht, ist der Etikettenschwindel. Als Beispiel für Etikettenschwindel, meine ich, braucht man sich nur die Volksrepublik China anzusehen. Ja, Volksrepublik ist da schon ein Etikettenschwindel. Auch diese permanente Täter-Opfer-Umkehr, wie sie auch bei uns teilweise in Parteien vorkommt und wie wir es ja eben in der Vorrede auch wieder bemerkt ha­ben, dieser Etikettenschwindel bedroht auch in gewisser Weise unsere Mei­nungsfreiheit, unser Agreement „to disagree“.

Etikettenschwindel sind natürlich auch – und da müssen wir auch ganz kritisch nach Europa schauen – diese schönen neuen Schraubverschlüsse, die jeder von uns
kennt. Ich glaube, sie sind – wie soll man sagen – nicht ein Zeichen der Nachhaltigkeit und der Bürgernähe, sondern eher eines des effektiven Lobbyismus. 

Wir müssen Demokratie stärken und schützen, indem wir stolz auf sie sind und
sie nicht durch – teilweise auch antidemokratische – Parallelstrukturen aushöhlen las­sen. Es gibt derartige Tendenzen: NGOs statt Parteien, Straße und Protest statt Debatte. Wir müssen Spannungen aushalten und wir müssen nicht nur aufhören, die Politik und die Politikerinnen schlecht zu machen, sondern auch dazu stehen.
Nur so können wir es schaffen, dass wir – und das hat mich schon sehr beeindruckt – nicht als Politiker:innen an die nächsten Wahlen denken, sondern als Staats­männer und -frauen an die nächste Generation. Diese Hoffnung habe ich auch nach diese Enquete. – Danke vielmals. (Beifall.)

11.45

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu
Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sandra Gerdenitsch. – Bitte.

11.45

Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch (SPÖ/Burgenland): Sehr verehrte Teilnehme­rinnen und Teilnehmer! Auch ich bin sehr froh, heute hier dabei sein zu dür­fen, und habe schon sehr viele wertvolle Inputs von Ihnen gehört. Demokratie ist zweifellos eine der wertvollsten Errungenschaften unserer Gesellschaft;
sie sichert nicht nur unsere Grundrechte, sondern gibt uns auch die Möglichkeit, aktiv am politischen Geschehen teilzunehmen.

Was mich sehr verstört und was wir unbewusst ja immer wieder in uns haben,
ist diese Politikverdrossenheit und dieses mangelnde Vertrauen. Besonders wichtig ist es, dass wir die Demokratie wieder stärker in den Mittelpunkt stellen – und
wer mich kennt, weiß, dass da mein Herz vor allem für die jungen Menschen schlägt. Diese gilt es jetzt aktiv einzubeziehen. Welchen Beitrag können wir heute
leisten? Wie können wir Brücken bauen?

Erstens: Bildung und Aufklärung sind der Schlüssel für junge Menschen – und die Grundlage jeder funktionierenden Demokratie sind informierte Bürgerinnen
und Bürger. Dennoch haben gerade junge Menschen – und ich mache diese Erfahrung selbst mit meinen Kindern – oft das Gefühl, dass ihre Stimme keinen Einfluss
auf politische Entscheidungen hat. Es geht nicht nur darum, Wissen über das politi­sche System zu vermitteln, sondern auch darum, junge Menschen mit den He­rausforderungen unserer Zeit zu konfrontieren. Wenn junge Menschen verstehen, dass ihre Stimme zählt und Veränderungen auch tatsächlich möglich sind,
werden sie sich eher in politische Prozesse einbringen und Verantwortung über­nehmen.

Zweitens: Wahlen – der Herzschlag unserer Demokratie. Gerade in Zeiten, in denen viele Menschen das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht gehört wird, sind
Wahlen ein wichtiges Instrument, um zu zeigen, dass jede einzelne Stimme zählt. Wir können so Einfluss auf die Gestaltung unserer Zukunft nehmen; Wahlen sind
ein demokratisches Recht, aber natürlich auch eine Verantwortung.

Drittens: die Förderung von direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung. Demokratie lebt nicht nur von Wahlen, sondern auch von der Möglichkeit, sich aktiv in
das politische Geschehen einzubringen und an Entscheidungen mitzuarbeiten. Formen sind zum Beispiel direkte Bürgerforen, Diskussionsformate, aber auch digitale Beteiligungsplattformen.

Demokratie bedeutet, dass alle Generationen – auch die jüngeren – gleichermaßen an der politischen Diskussion teilnehmen können. Lassen Sie mich ein Beispiel
aus dem Burgenland bringen, das die Förderung der politischen Bildung und der Betei­ligung der jungen Menschen in den Fokus rückt – und zwar ist das die Friedens­burg in Schlaining, wo man direkte Demokratie erleben und mitgestalten
kann.

Viertens: das Vertrauen in Institutionen, Transparenz und Rechenschaftspflicht als Grundlage. Eine kritische, faire Berichterstattung hilft, politische Prozesse
für alle verständlich zu machen. Wenn junge Menschen verstehen, wie Entscheidun­gen getroffen werden und wie sie diese mitgestalten können, wächst ihr
Vertrauen in die Demokratie.

Zum Abschluss möchte ich, dass wir uns überlegen, dass es nicht nur wichtig ist, Brü­cken zu bauen, sondern dass wir diese Brücken gemeinsam mit den jungen
Menschen bauen und dass wir diese jungen Menschen auch ermutigen, über diese Brücken zu gehen. Es hilft nicht nur, zu sagen: Es ist wichtig, dass sich junge Menschen an politischen Prozessen beteiligen, sondern es ist auch wichtig, dass sie aktiv mitarbeiten – und ich würde mir wünschen, dass in solchen Gremien,
wie dem, in dem wir einander heute treffen, viel mehr junge Menschen mit dabei sind. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.48

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu
Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Klemens Kofler. – Bitte.

11.49

Bundesrat Klemens Kofler (FPÖ/Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrte Kollegen aus dem Bundesrat! Sehr geehrte Gäste! Grüß Gott! Demokra­tie ist sicher die beste Form des Zusammenlebens, aber keine Selbstverständlichkeit. Demokratie heißt, das Volk ist der Souverän – und Demokratie wurde hart er­kämpft. Demokratie muss gepflegt, aber auch verteidigt werden. Bis dahin sind wir uns wohl einig, aber Demokratie muss eben auch akzeptiert werden.

Wenn Wahlergebnisse anders als von den selbst ernannten Eliten gedacht zustande kommen, und das Resultat anders ist, dann muss das eben auch akzeptiert
werden. Wenn man einen erheblichen Wähleranteil ausschließt, schadet man der Demokratie. Durch ein solches Verhalten schadet man der Demokratie nach­haltig. Der Bürger fragt sich dann zu Recht: Was nützt die Wahl, wenn das Resultat anders ist, aber danach doch wieder das Gleiche kommt – more of the same?

Getragen und organisiert wird die Demokratie von den politischen Parteien. Da gibt es eine politische Partei, die selbst kaum in der Lage ist, den eigenen Chef zu
wählen, sich aber bemüßigt fühlt, den Chef einer anderen Partei zu kritisieren. Es gibt auch noch eine zweite Partei, die massiv unter Wählerschwund leidet, aber auch
diese arbeitet nicht mit jedem zusammen und will bei einer anderen Partei einen an­deren Parteichef haben. Unsere Aufgabe ist es, Brücken zu bauen – und zum Brückenbauen gehört es ganz sicher nicht, die stimmenstärkste Partei zu isolieren.

Wenn die Demokratie Zukunft haben soll – und sie wird Zukunft haben –, dann
wird man solche Dinge eben ändern müssen. – Danke schön. (Beifall.)

11.51

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort ge­meldet ist Frau Bundesrätin Manuela-Anna Sumah-Vospernik. – Bitte. 

11.51

Bundesrätin Dr. Manuela-Anna Sumah-Vospernik (NEOS/Wien): Herr Präsident!
Sehr geehrte Expertinnen und Experten! Geschätzte Kolleginnen und Kolle­gen! Demokratie bedeutet wörtlich übersetzt Volksherrschaft, aber was Demokratie eigentlich auszeichnet, ist die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und Bürger und
dass man in Alternativen denken kann. Wenn man auf die letzten US-Wahlen blickt, erschließt sich der demokratische Vorteil des österreichischen Verhältniswahl­rechts schnell, wobei ich natürlich auch im österreichischen Wahlrecht Reformbedarf sehe. Bei Wahlen sollten nämlich insbesondere Kandidatinnen und Kandida­ten im Fokus stehen, weil sie es ja auch sind, die Bürgerinnen und Bürger letztlich im Parlament vertreten und die hoffentlich mit ihrer ganzen Persönlichkeit einen Unterschied machen. Das derzeitige Vorzugsstimmensystem ist viel zu unübersichtlich und unwirksam. Da bräuchte es wirksame Reformen. 

Auch der Ausbau der direkten Demokratie ist ein Ziel, denn es hätte den Effekt, dass es zu weniger undifferenzierten Denkzettelwahlen käme, wenn die Bürgerinnen
und Bürger sich regelmäßig zu Sachthemen äußern könnten. Das erfordert natürlich vorausgehend eine eingehende Sachdebatte und das Erlernen der direkten Demokratie, wie Frau Mag. Zandonella und Herr Hagen schon ausgeführt haben. 

Aufgrund der starken Mobilität innerhalb Europas gibt es auch ein zunehmendes Legi­timationsdefizit, weil, wie wir wissen, mittlerweile rund 20 Prozent der Wohn­bevölkerung Österreichs keine österreichische Staatsbürgerschaft und damit kein all­gemeines Wahlrecht haben. Gestern durfte ich in meiner Eigenschaft als Bezirks­rätin von Währing dem Festakt im Rathaus beiwohnen, bei dem über
350 neue Staatsbürger:innen aus 55 Ländern geehrt und willkommen geheißen wurden. 

Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, daher ausdrücklich für diese Enquete und für das Motto Ihrer Präsidentschaft. Die Stärkung der Demokratie ist
Aufgabe von uns Politikerinnen und Politikern, die uns nicht nur bei Veranstaltungen wie diesen, sondern tagtäglich in unserem Tun leiten sollte. Weil es dabei um
die Grundfesten unseres Zusammenlebens geht, ist klar, dass uns das nur gemeinsam gelingen kann. 

Zu überlegen wäre vielleicht auch, die Legitimation einer neuen Regierung
dahin gehend zu stärken, dass sich so wie auf EU-Ebene in Österreich Ministerinnen und Minister vor ihrer Ernennung durch den Bundespräsidenten einem
Hearing der beiden Parlamentskammern zu stellen hätten. Dies hätte auch für die einzelnen Minister:innen den Vorteil, dass sie ihre Kompetenz gleich zeigen
könnten. Es hat schließlich, wie wir wissen, in der Vergangenheit immer wieder Kritik an den Auswahlkriterien und der fachlichen Qualifikation der jeweiligen Minis­ter:innen gegeben. 

Das alles würde zu einer deutlichen Stärkung der Demokratie führen, die unser aller gemeinsames Fundament ist. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.54

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort ge­meldet ist Frau Nadine Fahrenberger von der Österreichischen Gewerkschafts­jugend. – Bitte.

11.54

Nadine Fahrenberger (Österreichischer Gewerkschaftsbund): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Sehr geehrter Bundesrat! Mitbestimmung fängt nicht ab dem 16. Le­bensjahr an, sondern in der Schule – durch die Wahlen von Klassensprechern oder Schulsprechern. Im Betrieb fängt die demokratische Mitbestimmung der Jugendlichen bei der Jugendvertrauensratswahl an. Jugendvertrauensrät:innen sind die Klas­sensprecher:innen im Betrieb.

Auch sie haben wir, die Österreichische Gewerkschaftsjugend, uns hart erstreiten müssen beziehungsweise auch verteidigen müssen. Die damalige schwarz-blaue Regierung wollte den Jugendvertrauensrat 2018/2019 abschaffen. Die demo­kratische Mitbestimmung wollte sie uns wegnehmen, den Klassensprecher im
Betrieb abschaffen und die Jugend mundtot machen. 

Wir haben in Österreich circa 800 Jugendvertrauensratskörperschaften, die sich tag­täglich für ihre Lehrlinge im Betrieb einsetzen. Bei den Jugendversammlungen
poppen dann meistens die Probleme auf. Ob das die Lehre mit Matura ist oder die psychische Gesundheit, die Jugendvertrauensräte finden immer eine Lösung. 1 000 Euro im ersten Lehrjahr in der Metallindustrie und in allen anderen Branchen haben wir nur dank starker Jugendvertrauensräte, starker Lehrlinge, die an
den Jugendvertrauensrat und an die Demokratie glauben. 

Wir in der Österreichischen Gewerkschaftsjugend sagen: All jene, die einen Jugend­vertrauensrat haben, kennen und leben demokratische Mitbestimmung. –
Danke. (Beifall.)

11.56

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort ge­meldet ist Frau Bundesrätin Barbara Prügl. – Bitte.

11.56

Bundesrätin Barbara Prügl (ÖVP/Oberösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin!
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, mittler­weile dürfen wir schon drei Stunden lang über die Demokratie reden, und ich
glaube, wir könnten noch Tage damit füllen. Demokratie muss vor allem auch – davon haben wir bereits gesprochen – gelebt werden. Wir leben sie in der Politik nicht immer sehr vorbildlich, muss ich ganz ehrlich sagen, weil Demokratie vom Konsens, vom Lösungen-Finden, vom Zusammensitzen und Zusammenreden lebt. 

Ich möchte in meiner Replik vor allem auf die ländlichen Regionen und auf die Ge­meinden eingehen. Der Herr Landeshauptmann hat auch davon gesprochen. Ich selbst bin seit 2003 Gemeinderätin – und in der Länderkammer sieht man sehr wohl
auch die Unterschiede zwischen Gemeindeebene, Länderebene und Bundesebene. 

Ja, Demokratie heißt Verantwortung übernehmen. Am besten sieht man das
in den Vereinen. Da sieht man es nämlich, wenn man plötzlich in der verantwortlichen Ebene sitzt. Man sieht es sehr wohl sehr gut, wenn es Vereinsmitglieder gibt,
die auf den Verantwortlichen oder die Verantwortliche zeigen – und wenn sie dann plötzlich selbst Verantwortung übernehmen, ändert sich die Sichtweise. Plötz­lich erkennt man, man muss einen Konsens finden, man muss bei unterschiedlichen Meinungen eine Lösung finden. Schließlich ist es in einem Verein so, wenn
sich die Frage stellt: Will man demnächst einen Punschausschank machen oder nicht?, dass es nur durch Diskussion zu keinem heißen Punsch kommen wird. 

Ja, Demokratie soll alltagstauglich sein – und das ist, was wir auch vorbildlich
zeigen sollen. Wir haben darüber gesprochen und es stimmt: Im Bildungsbereich ist es sehr wohl sehr wichtig, dass wir sehr bald damit anfangen, weil die Kinder es,
vor allem im Kleinkindalter, meistens schon in der Familie sehen, wie es ist, Demokra­tie zu leben. Am besten weiß man es, wenn es mehrere Geschwister gibt. Da
schaut man auch immer, dass man irgendwie einen Ausgleich und einen Konsens fin­det, damit jeder einen vergleichbaren Anteil vom Kuchen bekommt. Das ist
zwar nur ein kleiner Vergleich, aber das erleben wir tagtäglich. 

Das ist das, was wir auch als Verantwortungsträger in der Politik praktikabel machen müssen. Deswegen ist es zu begrüßen, dass wir als Politiker Vorbild sind und
vor allem eines tun sollten – und da möchte ich auch aus Erfahrung in der Gemeinde sprechen, die Bürger haben einmal zu uns gesagt: Hört doch einmal auf zu
streiten! Aufgrund dessen ist es dann zu einem Wahlergebnis gekommen, durch das die Konstellationen so geworden sind, dass wir aktuell in einem sehr guten
Konsens sind und uns sehr viel über Parteigrenzen hinweg austauschen. Es ist eines passiert: dass uns die Bürger sehr wohl ernst nehmen und uns zuhören. Das ist,
glaube ich, auch sehr wichtig. 

Ich habe sehr wohl gemerkt, als ich vom Landtag in den Bundesrat gekommen bin: Auf einmal heißt es: Ja, auf Bundesebene ist es üblich, dass gestritten wird. Na ja,
es gibt aber auch vor allem eine gesunde Debattenkultur – und dahin müssen wir uns bewegen. Es soll keine persönliche Diffamierung geben, sondern eine Diskussion
auf Augenhöhe. Das müssen wir uns auf alle Fälle hinter die Ohren schreiben. 

Wir sollen auch nicht eines tun: die Verantwortlichen schlechtmachen und grauslich darstellen. Es sind nicht die Politiker, der Vereinsobmann, der Bürgermeister
oder die Bürgermeisterin, die schlecht sind, sondern es geht um eines: dass man ein­mal den Blickwinkel verändert und dann sagen kann, die Verantwortlichen
haben sehr wohl eine Verantwortung zu tragen. Wenn es um generationsübergreifen­des Denken geht, glaube ich, es ist sehr gescheit, dass man einen guten Ausgleich
von Frauen und Männern hat. Wir können nämlich gemeinsam sehr wohl über Gene­rationen hinweg entscheiden. Ich hoffe, dass dies ein guter Ansporn war, um Demokratie wieder lebbarer zu machen. (Beifall.)

11.59

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort ge­meldet ist Herr Nationalrat Mario Lindner. – Bitte.

12.00

Abgeordneter Mario Lindner (SPÖ): Werte Frau Präsidentin! Meine sehr geehr­ten Damen und Herren! „Es kann jeden Einzelnen von uns heute, morgen
oder irgendwann erwischen, denn wenn es jemand wirklich will, kann man eine Person zerstören. Das passiert jetzt schon im kleinen Kreis, täglich: Menschen werden bedroht, werden gemobbt, werden gedemütigt – vielleicht nicht in diesem öffentli­chen Ausmaß, wie bei mir, es ist aber trotzdem unerträglich für die Betroffe­nen. Man  kann sich wirklich nicht wehren, weil es keine Grenzen, keine Regeln, keine tatsächlichen Konsequenzen gibt.“

„In der Face-to-Face-Kommunikation gibt es gewisse Spielregeln. Da gibt es auch Konsequenzen. Dein Gegenüber zeigt Emotionen, vielleicht Weinen, Tränen, Lachen. Vielleicht riskiere ich eine Watsche. Im Netz habe ich kein Gegenüber. Da hacke
ich einfach etwas in meine Tastatur. Es kann mir nichts passieren. Mein Gegenüber kann nicht reagieren. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir jetzt an diesem
Punkt sind, an dem Spielregeln auch für das Netz definiert werden können. Ich kann nur an alle appellieren, dass noch mehr von dem passiert und andere Men­schen in Zukunft vor dem, was mir passiert ist, geschützt werden. Bei mir durfte alles gesagt werden, es gab keine Konsequenzen und niemand hatte etwas zu
befürchten.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige von Ihnen haben diese Zeilen,
die ich gerade vorgelesen habe, schon gehört. Das habe nicht ich gesagt, das ist ein Auszug aus dem Stenographischen Protokoll der Enquete des Bundesrates vom 16.11.2016. Es war Elke Rock, sie war und sie ist Moderatorin von Ö3, es ging um das Thema Digitale Courage. Gerade wenn ich an diese Zeilen denke und sie gesagt
habe, merke ich, das sie sehr zentral mit dem heutigen Thema in Verbindung stehen, und ich darf mich an dieser Stelle sehr beim Herrn Bundesratspräsidenten dafür bedanken, dass er dieses Thema gewählt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Gesellschaft, eine demokratische Ge­sellschaft ist immer nur so stark, wie sie mit ihren – unter Anführungszeichen – „schwächsten Mitgliedern“ umgeht. Wie gehen wir mit unseren Arbeitnehmer:innen um, gerade wenn man an die unteren Einkommensschichten denkt? – Gerade
die unteren Einkommensschichten sind jene, die in systemrelevanten Berufen tätig sind. Wie gehen wir mit Frauen um, im Speziellen, wenn man an Lohnungleich­heiten denkt? Wie gehen wir mit vulnerablen Gruppen um, wenn man zum Beispiel an die LGBTIQ-plus-Community denkt? Wie geht man mit Medien, mit Kindern und Jugendlichen, wie geht man mit Menschenrechten um? 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie geht man mit der parlamentarischen Demokratie um? Gerade der österreichische Bundesrat beweist es jedes halbe
Jahr: Da gibt es Expertise, da gibt es Handlungsanleitungen, da gibt es Forderungen, da gibt es Ideen, da gibt es Vorschläge. Die gibt es, weil sich der österreichische Bundesrat jedes halbe Jahr mit einem Thema beschäftigt. 

Ich habe mich im Jahr 2016 mit digitaler Courage beschäftigt. Es hat ein Grünbuch ge­geben, es gibt dieses Stenographische Protokoll. Gerade wenn ich an dieses
Haus denke, an das Parlament, an den österreichischen Nationalrat, an den österrei­chischen Bundesrat, dann würde ich mir auch wünschen, dass beide Kammern
einen Prozess aufsetzen, um diese Expertise, diese Ideen, diese Handlungsanleitun­gen, diese Vorschläge auch in beiden Kammern diskutieren zu können, um letztendlich zu Lösungen zu kommen. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute ist nicht nur der Gründungstag der Republik. In diesem Sinne: Es lebe die demokratische, vielfältige, soziale Republik Österreich. (Beifall.)

12.03

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort ge­meldet ist Frau Sina Moussa-Lipp, Arbeiterkammer Wien. – Bitte.

12.04

Sina Moussa-Lipp, BA MA (Arbeiterkammer Wien): Sehr geehrte Vizepräsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich möch­te ganz kurz darstellen, warum uns das Thema Demokratie und politische Teilhabe auch in der Arbeiterkammer, in der Interessenvertretung für Arbeiter:innen
und Angestellte, ganz besonders beschäftigt. 

Ich bin im Bereich Kommunalpolitik tätig, und da sehen wir, dass die Demokratielücke ganz besonders groß und ein besonderes Problem in der Stadt ist. Wir haben
auf der einen Seite in den letzten Jahrzehnten ein ganz starkes Wachstum der Stadt, allein zwischen 2010 und 2020 ist Wien um ganz Favoriten oder um ganz Linz gewachsen, und im gleichen Zeitraum ist die Zahl der wahlberechtigten Personen ge­sunken. Das heißt: Wir haben einerseits ein starkes Bevölkerungswachstum
und eine sinkende Wahlbeteiligung auf der anderen Seite – Julia Herr hat schon da­rauf hingewiesen. 

Wenn wir jetzt die nicht wahlberechtigte Bevölkerung ab 16 Jahren und
die Nichtwähler:innen zusammenzählen, dann bedeutet das auf Bezirksebene in der Stadt, dass zwei Drittel der Bevölkerung in den Bezirken zehn, 15 und 20 bei­spielsweise bei formalen Wahlen nicht politisch repräsentiert sind. Wo findet das genau statt? – Das sind genau die Bezirke mit den niedrigsten Einkommen und mit der niedrigsten formalen Bildung. Wen trifft das besonders? – Traurigerweise genau
junge Menschen und ein Drittel der Angestellten und zwei Drittel der Arbeiter:innen auf Stadtebene. Das heißt, das sind Menschen, die unsere Angehörigen pflegen,
die unsere Infrastruktur bauen und erhalten und die ganz wesentliche Bei­träge für unsere Gesellschaft leisten; das sind Menschen, die eigentlich von Anfang an die Erfahrung machen: Meine Eltern dürfen hier nicht wählen, ich bin ein Mensch zweiter Klasse und meine Interessen werden hier nicht ernst genommen. 

Da muss ich den Kolleg:innen recht geben, es wurde schon erwähnt: Die Demokratie beginnt dort, wo die sozialen Rechte erfüllt werden und wo sich Menschen ge­recht behandelt fühlen. Ich glaube, auf diesen Zusammenhang müssen wir ganz genau hinschauen. 

Für echte und nachhaltige Verbesserungen in der politischen Teilhabe der Menschen braucht es inklusivere, alltagsnahe Erfahrungsräume für die Demokratie, denn
wir können Demokratie nicht in der Schule theoretisch lernen, sondern wir müssen sie erleben und erfahren. Dafür müssen wir viel niederschwelliger werden und dafür müssen wir unter anderem – das ist heute noch nicht vorgekommen, deshalb möchte ich es auf jeden Fall noch betonen – auf die Profession der sozialen Arbeit zurückgreifen, die Niederschwelligkeitsexpertin ist, die Brückenbauerin ist und die eine Sprache über soziale Hintergründe hinweg spricht. 

Zu guter Letzt brauchen wir selbstverständlich einen gerechteren Zugang zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zum Beispiel für Kinder, die hier gebo­ren sind oder die hier die Schulpflicht absolviert haben und deren Eltern, zumindest ein Elternteil, schon rechtmäßig im Inland aufhältig ist. – Vielen Dank. (Beifall.) 

12.07

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Nun bitte ich Herrn Land­tagsabgeordneten Kurt Stürzenbecher um seine Ausführungen. – Bitte. 

12.07

Dr. Kurt Stürzenbecher (Abgeordneter zum Wiener Landtag, SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Wir haben heute von unseren Refe­rentinnen und Referenten sehr viel Interessantes gehört. Besonders gefallen hat mir von Herrn Direktor Brix die Analogie zur Laiengerichtsbarkeit, die wir in Öster­reich im Bereich des Strafrechts, im Bereich des Handelsgerichts, im Bereich des Ar­beits- und Sozialgerichts noch recht ausgebaut haben. Sie ist in den letzten Jahrzehnten übrigens eingeschränkt worden; also ich bin eher für einen Ausbau der Laiengerichtsbarkeit. Diese Idee auch auf die gesamte Politik zu übertragen
wäre wichtig, dass sozusagen Nichtberufspolitiker in höherem Ausmaß an der Politik teilnehmen. Das wäre sehr wichtig. 

Ich bin auch der Meinung, dass die Berufspolitiker, zu denen ich selbst zähle, wesentlich besser sind als ihr Ruf und als es in den Medien dargestellt wird, aber trotzdem wäre es wichtig – wie es ein früherer Bundeskanzler gesagt hat –,
alle Lebensbereiche mit Demokratie zu durchfluten, das heißt, Schüler, Lehrlinge, Arbeitswelt noch mehr, als es bisher schon geschehen ist, zu demokratisieren.
Also damit meint man nicht nur den Ausbau der direkten Demokratie. 

Ich muss – obwohl es schon einige gesagt haben – wirklich auch die Demokratiewerk­statt im Parlament im höchsten Maße loben. Das ist etwas derart Beeindrucken­des – ich habe mir das öfter angeschaut –, wie dort Kinder, teilweise Zehnjährige, oder Jugendliche, Zehn- bis 14-Jährige, 15-Jährige schon interessiert sind und mitdenken – natürlich, nehme ich an, schon ein bisschen von den Lehrerinnen und Lehrern vorbereitet – und wie sehr sie – wie ich gespürt habe – sozusagen
Vertrauen in die Demokratie haben. Diesen Prozess müsste man verstärken, dass die später nicht enttäuscht werden. Wir in Wien haben übrigens auch ein Kinder-
und Jugendparlament, an dem 300 Schülerinnen und Schüler aus allen Bezirken teil­nehmen und sich auch einbringen können. 

Wenn ich diese positiven Einstellungen, die die Kinder und Jugendlichen in der Demokratiewerkstatt haben, sehe, denke ich manchmal: Wenn die eine Übertragung einer Nationalratssitzung anschauen und sehen, wie im Nationalrat debattiert
wird – und da meine ich jetzt alle Parteien –, fördert das bei manchen Sitzungen – einmal ist es gut, aber manchmal auch nicht so – nicht die Begeisterung für
die Demokratie.

Ich glaube, dass der Umgang der Politiker miteinander immer mehr nicht nur eine Stilfrage ist, sondern zu einem wichtigen Parameter dafür werden sollte, wie Demokratie gestaltet ist, denn ich glaube, dass der Vertrauensverlust in die Demo­kratie auch damit zusammenhängt, wie Politiker miteinander umgehen. In
den USA ist es besonders schlimm – nicht nur wegen der letzten Wahl, sondern schon seit Längerem –, insofern weiß ich auch nicht, ob wir weiterhin die USA als das Kernland der Demokratie bezeichnen sollen. Sie sind sicher die militärisch weitaus wichtigste Nation der Welt, aber auf welchem sachlichen Fundament die Bezeichnung als Kernland der Demokratie beruht, wüsste ich nicht. 

Also wir sollten uns in Europa – aber das gilt natürlich genauso auch in anderen Ländern – bemühen, Demokratie zu stärken, auch durch einen demokratischen, sachli­chen Umgang miteinander. Ich glaube, es wäre sehr wichtig, dass man berück­sichtigt: So wie man gesagt hat, Demokratien bringen im Großen und Ganzen für die Bürger viel bessere Ergebnisse als Diktaturen, bringen auch sachlich abgelaufene de­mokratische Prozesse mehr als Polemik. – Danke schön. (Beifall.)

12.12

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Da dazu keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich nun die Debatte und bedanke mich
sehr herzlich für alle Beiträge. 

V. Panel 3 „Expertinnen und Experten zum Handlungsbedarf in Österreich“

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Wir kommen nun
zum Panel 3, den Referaten zum Thema „Expertinnen und Experten zum Handlungsbedarf“ in Österreich. 

Ich ersuche wieder die Referentinnen und die Referenten ihren Beitrag vom Red­ner:innenpult aus zu halten und möglichst die Zeit von 7 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten – Sie sehen wieder das rote Lämpchen, das Sie darauf aufmerk­sam macht –, wir sind eh schon ein bisschen in Zeitverzug. 

Ich darf zu Beginn den ehemaligen Präsidenten des Bundesrates, Herrn Prof. Herwig Hösele um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Präsident.

12.12

Prof. Herwig Hösele: Frau Präsidentin! Herr Landeshauptmann, er ist nicht anwesend! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben drei sehr interessante Stun­den mit sehr viel bemerkenswerten Überlegungen und Anregungen gehört.
Es ist schon fast alles gesagt, aber noch nicht von allen. Ich möchte aber einige kleine Bemerkungen anfügen. 

Aufgrund meiner Erfahrungen aus dem Österreich-Konvent – ich sehe auch einige, die damals schon dabei waren – und des Blicks auf die Geschichte der seit 1920
immer wieder diskutierten, oft auch sehr sinnvollen, aber nie realisierten Reformvor­schläge zur Änderung der Bundesverfassung, etwa was die Kompetenzvertei­lung und die Ausgestaltung des Bundesrates als echte Länderkammer oder auch die Grundrechte betrifft, möchte ich nur drei pragmatische Anregungen geben, die tat­sächlich von einer Bundesregierung und einer einfachen Parlamentsmehrheit umgesetzt werden können.

Tiefergehende Reformschritte können natürlich wünschenswert sein, erschei­nen mir aber aufgrund der erwartbaren weiter fehlenden Verfassungsmehrheit einer neuen Bundesregierung und aufgrund des Bund-Länder-Antagonismus wenig realistisch. Es steht zu erwarten, dass jetzt eine Fülle von Reformvorschlägen, insbe­sondere zur sogenannten Bundesstaatsreform kommen werden, die unter
dem Vorwand der scheinbaren Effizienzsteigerung und angeblich großartiger Einspa­rungsmöglichkeiten auf mehr Zentralismus hinauslaufen.

Daher eine grundsätzliche Bemerkung, zumal wir hier im Bundesrat sind, die ich
ganz besonders unterstreichen möchte: Man sollte nicht auf derart plumpe Simplifizie­rungen hereinfallen, sondern die Dinge sachlich und differenziert betrachten. Persönlich beschäftige ich mich seit über 50 Jahren mit den Themen Demokratie, Me­dien und Föderalismus. Mir ist kein zentralistisches System bekannt, das einer föderalen und dezentralisierten Ordnung überlegen wäre – im Gegenteil.
Eine dezentrale und föderale Ordnung ist per se bürgernäher, resilienter und demo­kratischer. Zweifellos gäbe es vieles in der Kompetenzzersplitterung Öster­reichs zu ändern, wenn ich nur an den Bildungs- oder den Gesundheitsbereich denke. 

Entscheidend aber ist, Subsidiarität und Regionalität sind wesentliche Elemente
zur Stärkung des Vertrauens in die Demokratie. Wir brauchen uns nur an­hand der heute schon mehrfach angesprochenen jeweiligen Ergebnisse der Untersu­chungen anzuschauen, wem die Bürgerinnen und Bürger vertrauen. Gemein­den und Bürgermeister stehen an der ersten Stelle, es folgen die Länder und schließ­lich erst mit Abstand Bundes- und Europaebene. 

Ja, es gibt eine bedauerliche Erosion des Vertrauens von Bürgerinnen und Bürgern in die Politik, nicht in die Demokratie. Auch das zeigt der Grundkonsens über
die demokratischen Grundwerte, wie sie auch Frau Mag.a Zandonella dargestellt hat. Auch die gestiegene Wahlbeteiligung bei der letzten Nationalratswahl mag ein
Indiz dafür sein: Wer wählt, stärkt die Demokratie.

Unsere Bundesverfassung ist zwar aus meiner Sicht nicht unbedingt schön und elegant, aber ein festes Fundament für Demokratie in unserem Land. Das wichtigste Mittel, um Vertrauen in die Politik wiederherzustellen und zu stärken und popu­listischen Protestphänomenen entgegenzuwirken, ist eine Politik, die die Probleme nicht umschweigt und verharmlost, sondern erkennt und benennt, um die
besten Lösungsansätze ringt und diese auch umsetzt. Das sind meistens keine simplen Lösungsvorschläge, sondern um die muss ehrlich gerungen werden. 

Die Demokratie lebt von informierten und politisch interessierten, wenn möglich auch engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Daraus resultieren meine drei Vorschläge: erstens: gezielte Förderung von Qualität, Pluralität und Unabhängigkeit, vor allem der klassischen und journalistisch kuratierten Medien angesichts der immer schwie­riger werdenden ökonomischen Rahmenbedingungen. Auch die Förderung von Gratis­medien-Abonnements für Jugendliche zwischen 14 und 18 könnte dazu gehö­ren. Unabhängige Qualitätsmedien und ein öffentlich-rechtlicher Broadcaster sind auf allen Vertriebs- und Kommunikationswegen systemrelevant für die Demokratie
und den demokratischen Diskurs. 

Zweitens, es ist mehrfach angesprochen worden: Wir brauchen eine Offen­sive für politische Bildung. Lifelong Learning, das ist nicht mit Indoktrination zu ver­wechseln, es ist eine wichtige Maßnahme der Bildung und Information und
für eine offene Diskussion. Das beginnt in der Schule, endet aber sicher nicht im Pensionistenverein, sondern ist lifelong – Lifelong Learning. Es beinhaltet
politische Bildung, kritische Medienbildung inklusive Social Media und künstliche Intelligenz – damit müssen wir uns ja noch wesentlich auseinandersetzen –, zeitgeschichtliche Bildung und fundierte Europainformation. 

Ein gut vorbereiteter Besuch der Gedenkstätte Mauthausen und eine ebenso gut vor­bereitete EU-Exkursion für alle Schüler, insbesondere auch für Berufsschülerin­nen und Berufsschüler zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr sollte ernsthaft erwogen werden. Ganz wichtig ist es auch, durch die vielen Bildungsangebote – es geht
nicht nur um die sprachliche Bildung, es geht auch um die sogenannten Wertekurse – in der Integration etwas zu tun. 

Drittens: Sehr wünschenswert wäre auch der Ausbau der Bürgerbeteiligung,
der sogenannten Mitmachdemokratie über die Stimmabgabe am Wahltag hinaus. Da­für gibt es ein reichhaltiges Instrumentarium, was von der Forcierung der Bür­gerbegutachtung – da hat die Digitalität ja neue große Chancen eingeräumt – über die Bürgerforen bis hin zum Instrument der in der Verfassung ohnehin vorgesehe­nen Volksbefragungen nach Artikel 49b B-VG reicht, das öfter angewendet werden sollte, etwa nach stark unterstützten Volksbegehren. 

Auch lokale Bürgerräte können sinnvoll sein, einer bundesweiten Räterepublik
stehe ich aber ehrlicherweise skeptisch gegenüber. 

Insgesamt ist es wichtig, achtsam und wachsam zu sein. Falscher Alarmismus und Gleichgültigkeit schwächen die Demokratie. Ein breiter und lebendiger Dis­kurs stärken die demokratische Zukunft. Dafür sollten sich alle engagieren. Gerade der Bundesrat hat heute hier eine sehr wichtige Initiative als Hüter der Demo­kratie und des Föderalismus und Ort der grundsätzlichen Auseinandersetzung gege­ben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.20

Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für
Ihre Ausführungen. 

Nun bitte ich den ehemaligen Sektionschef Prof. Dr. Manfred Matzka um seinen Beitrag. – Bitte schön, Herr Professor.

12.20

Prof. Dr. Manfred Matzka: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Ich danke für die Einladung als Experte. Ich möchte aus meiner
Perspektive als Experte reden, also als Verfassungsjurist und nach 40 Dienstjahren
als Beamter dieser Republik und dieser Demokratie. 

Die Diskussion zur Demokratie und zur Demokratieentwicklung und zu den Möglichkeiten der Zukunft fokussiert in Österreich meiner Meinung nach sehr stark auf den möglichen Ausbau der Instrumente direkter Demokratie. Wir sehen
aber, dass dieses Konzept die Menschen nicht wirklich mitnimmt und mitreißt. Das Scheitern der Europäischen Bürgerinitiative beispielsweise zeigt, dass dieses
Konzept einfach Grenzen hat. (Präsident Ebner übernimmt den Vorsitz.)

Ein zweiter Diskussionsstrang – Frau Salomon hat es sehr deutlich unterstrichen – ist die Mitwirkung der kritischen Medien und die Rolle der Medien in der Demo­kratie. Ja, das ist ein wichtiges Element, aber dabei gibt es das Problem der Kürzest­fristigkeit und das Problem, dass sich die Orientierung und die Aktivität der
Medien nach großer Zahl von Klicks ausrichtet.

Das Dritte sind die Konzepte der Bürgernähe, auch das ist ein ganz wesentliches Element. In Österreich muss man aber immer darauf aufpassen, dass Kon­zepte der Bürgernähe nicht im Josephinismus enden, nämlich: „Alles für das Volk; nichts durch das Volk“. 

Ich möchte mich ganz konkret auf operative, konkrete, pragmatische Aspekte konzentrieren und beziehen, die für den Ausbau der Demokratie sinnvoll sein könn­ten, die das Vertrauen der Bevölkerung vergrößern können und die möglicher­weise auch mittelfristig, kurzfristig umsetzbar sind. Das ist mein Zugang. – Dazu fünf Punkte, 1 Minute zu jedem Punkt.

Der erste Punkt: Ich unterstreiche ganz stark die in unserem Verfassungsrecht so prä­zise herausgearbeitete Unterordnung des gesamten Staatswesens unter das Par­lament: „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden.“ Dafür ist es übrigens ganz wesentlich, die Verfassung zu lesen. Die Verfassung sagt ja damit auch: Regieren soll nicht jemand mit einer relativen Mehrheit oder sonst etwas, sondern die Verfassung sagt: Regieren soll, wer im Parlament
eine Mehrheit zustande bringt. – Das halte ich für ein gutes Konzept, diese Unterord­nung unter den Souverän, das Parlament, das den Volkswillen zum Ausdruck
bringt. 

Zu diesem Konzept gehört aber auch, dass sich die Vollziehung am Gesetz und nur am Gesetz orientiert, an der Legalität und nur an der Legalität. Das bedeutet mehr Wertschätzung für die professionelle, gesetzestreue, gesetzesgebundene, am Gesetz orientierte Beamtenschaft, deren Umsetzung wesentlicher ist als Umsetzung
und Regieren aufgrund politischer Tagesaktualitäten und politischer Willkür. Das be­deutet ganz pragmatisch: mehr Wertschätzung für den professionellen Beamten­apparat und vielleicht eine Verkleinerung der großen Ministerbüros; ich weiß nicht, ob es der Demokratie wirklich guttut, wenn neben der rechtsstaatlich gewachsenen Verwaltung eine Parallelverwaltung entsteht. 

Zweiter Punkt: Unsere Demokratie, wie sie derzeit verfasst ist, hat ein Defizit bei der Kontrolle ausgegliederter Einrichtungen des Staates, bei der Kontrolle der Privat­wirtschaft des Staates. Ich glaube, wir brauchen eine stärkere Kontrollmöglichkeit der Parlamente, des Nationalrates, aber auch der Landtage über die ausgeglieder­ten Einrichtungen, über die staatsnahen Unternehmungen, weil es für das Leben der Menschen wichtig ist. Eine im öffentlichen Eigentum stehende Energieagentur,
auch wenn sie eine Aktiengesellschaft ist, sollte sich nicht nach den Aktien, daran, was dem Unternehmen am besten tut, orientieren, sondern hat sich auch am Gemein­wohl zu orientieren. Dieses Gemeinwohl hineinzubekommen und die Vorga­ben als Eigentümer zu machen, das ist eine demokratische Aufgabe, und da könnte man noch relativ viel an parlamentarischer Kontrolle ausgegliederter Einrich­tungen entwickeln, könnte man Schritte setzen, dass man sich nicht durch Ausglie­derung der parlamentarischen Kontrolle entzieht, Beispiel Cofag. Das hat der Verfassungsgerichtshof auch so gesehen. 

Dritter Punkt: Herr Landeshauptmann Stelzer, ich glaube, dass wir auch gut daran tun, die demokratische Verfassung anzupassen und entsprechend der realen Ge­gebenheiten weiterzuentwickeln. In der realen Politik dieses Landes spielen die Lan­deshauptleute und die Landeshauptleutekonferenz eine Rolle. Man hört doch,
dass die Impfpflicht eigentlich ein Kind dieser Institution ist. Wo aber ist die parla­mentarische Verantwortlichkeit der Landeshauptleutekonferenz? Wo ist
die parlamentarische Verantwortlichkeit der Landeshauptleute in Bereichen der mittelbaren Bundesverwaltung? Landeshauptleutekonferenz und Bundesrat,
das könnte etwas miteinander zu tun haben, das könnte eine demokratische Dynamik entwickeln, wenn es da einen stärkeren Konnex gäbe, den man gut organisieren
kann. Das täte uns allen, das täte der Gesamtheit der Republik und der Gesamtheit der Demokratie möglicherweise ganz gut. Die Einbindung der Landeshaupt­leutekonferenz in die Verfassung ist vielleicht ein Thema, das man sich auch einmal überlegen könnte. 

Vierter Punkt: Nutzen wir und bauen wir die Möglichkeit der Menschen, an
der staatlichen Willensbildung mitzuwirken, aus! Das wurde heute schon mehrfach angesprochen . Einen Aspekt möchte ich noch dazutun: Da können uns die
sozialen Medien, die neuen Entwicklungen im Bereich der neuen sozialen Medien sehr unterstützen und sehr helfen. Manche Initiativen in der Wirtschaft, im ökonomi­schen Bereich, beim Geld forcieren Crowdfunding, aber Crowdfunding bei Ideen, bei demokratischen Ideen, bei der Willensbildung auf der kommunalen, auf der
Landes-, auf der Bundesebene, das wäre doch auch etwas. Dafür können wir die neu­en Medien nutzbar machen, damit kommen wir an die jungen Menschen sehr
viel besser ran, als wir das auf traditionelle Weise imstande sind. 

Der fünfte Punkt rekurriert wieder auf die Verfassung: „Österreich ist eine demokrati­sche Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ – Wer aber ist das Volk? Das
wurde schon mehrfach angesprochen. Wir müssen aufpassen, dass wir das Volk nicht auf 90, 80, 70, 60, 50 Prozent verengen. Das heißt, wir müssen aufpassen,
dass die Menschen in diesem Land von Verfassungs wegen an der Demokratie mit­wirken können, und damit sind wir ganz zentral beim Staatsbürgerschaftsrecht.
Ich halte das Staatsbürgerschaftsgesetz für eines der wesentlichsten Instrumente der Weiterentwicklung von Demokratie in einem Land, und da sind durchaus noch
einige Schritte zu tun. Wenn das Argument kommt, das ist ein hohes Gut und Staats­bürgerschaft soll nur jemand erhalten, der die Sprache kann, der sich selbst
erhalten kann, dann denke ich an mich selber: Als ich im Waldviertel auf die Welt ge­kommen bin, konnte ich auch die Sprache nicht und konnte mich auch nicht
selbst erhalten, ich bin aber trotzdem ein guter Bürger und Beamter geworden. Das gibt Chancen, da sollten wir weiterdenken. – Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall.)

12.27

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Dr. Matzka, für Ihre Aus­führungen. 

Als Nächste zu Wort gemeldet ist das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages Frau Dr.in Frauke Petry. – Ich darf um Ihren Beitrag ersuchen. Bitte sehr. 

12.27

Dr. Frauke Petry: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben das Wort Demokratie heute in vielen Reden gehört. Es ist ein hohes Gut.
Allein, wir fragen uns: Was meint jeder Einzelne von uns damit? Deswegen möchte ich ganz gern darüber nachdenken, dass Demokratie ohne Zweifel die beste aller Regierungsformen ist – wenn auch nicht perfekt –, aber dass wir durch Weglassen dessen, was sie stützt und nährt, die Demokratie sehr häufig nicht nur im Re­den, sondern auch im Denken und vor allen Dingen im Handeln aus meiner Sicht zu einem Torso ohne Arme und Beine degradieren. Was meine ich damit? – Ich
zitiere den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl: „Wer die Grundwerte und die Regeln des demokratischen Rechtsstaates missachtet und dagegen mit
Gewalt vorgeht, verrät Mangel an geschichtlichem Verständnis und an demokrati­schem Ernst.“

Es ist der Rechtsstaat – und der ist heute leider in vielen der sonst sehr interessanten Vorreden nicht so häufig gefallen –, es sind verlässliche Regeln, die veränderlich, manchmal auch wie durch die Ewigkeitsgarantie des deutschen Grundgesetzes unver­änderlich sind, es ist dieser Rechtsstaat, ohne den eine Demokratie nicht leben
kann. 

Meine Damen und Herren! Wir sind mehr – der Hashtag, den Sie alle kennen, reicht nicht aus, um Demokratie zu definieren. Die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, der friedliche Machtübergang – das sind alles wichtige Güter, aber sie reichen nicht aus, um das im täglichen, im praktischen Leben zu erreichen, was wir alle seit vielen Jahrzehnten in Frieden genießen können. 

Es kommt ein weiterer Punkt dazu: der Minderheitenschutz. Die Gewissensfrei­heit, die religiöse Freiheit, die Weltanschauungsfreiheit, der Schutz vor Diskriminie­rung aufgrund von Hautfarbe, Abstammung, Geschlecht oder Sprache: Wir
wissen, dass sie nicht immer selbstverständlich sind. Wir wissen, dass sie unzweifel­haft zur Demokratie dazugehören und dass sie nicht tagesabhängig geändert
werden sollten. Dazu kommen auch die Bürgerrechte – auch die habe ich heute in vielen Reden ein bisschen vermisst –: die Redefreiheit, das Recht auf körper­liche Unversehrtheit, die Versammlungsfreiheit. Wir wissen, wie sehr diese Bürger­rechte, die als Abwehrrechte des mündigen Bürgers gegen den Staat definiert
sind und gelebt werden müssen und von uns als Politiker verteidigt werden müssen, in den vergangenen Jahren mehr als einmal unter Beschuss geraten sind. 

Meine Damen und Herren, zum Thema Freiheit: Die freie Rede zitieren wir sehr gerne und wir leben sie gerade in diesem Saal, aber: Findet sie auch im täglichen Leben statt? Gilt sie auch für alle Bürger – unabhängig von der politischen Ideologie, mit der sie aufgewachsen sind und die sie vertreten? – Diese Frage möge jeder für sich
selbst beantworten, aber wenn ich in den Statements mehrerer Redner höre, dass die sozialen Medien als Gefahr wahrgenommen werden, dann bin ich nicht sicher,
ob wir alle über dasselbe reden. 

In den sozialen Medien, insbesondere auf der Plattform Twitter oder X, wie sie jetzt heißt, kann jeder Mensch, jeder Nutzer Journalist sein – mit unterschiedlichen Fähigkeiten, ohne Frage –, dort erreicht auch ein Nochwirtschaftsminister der Bundes­republik Deutschland Habeck, nachdem er sich für Jahre von der Plattform ver­abschiedet hatte, innerhalb von wenigen Tagen Millionen Klicks, obwohl er politisch in einem anderen Milieu zu verorten ist als vielleicht die Republikaner, die in den Vereinigten Staaten gerade die Wahl gewonnen haben. Das zeigt uns, dass die Sorge vor sozialen Medien doch vielleicht etwas anderes ist, und diese Sorge betrifft
vor allen Dingen Politiker.

Haben Sie, haben wir als Politiker kein Selbstvertrauen in unsere eigene Überzeu­gungskraft? Haben wir kein Vertrauen in die Bürger? Oder haben wir viel­leicht auch manchmal andere Absichten mit dem, was wir vertreten, was wir sagen? Steckt darin vielleicht nicht viel zu häufig eine Begrenzung der freien Rede,
um nicht das zu hören, was man selbst nicht hören möchte? 

Meine Damen und Herren, der Staat darf aus meiner Sicht niemals unmittelbar oder mittelbar entscheiden, was wahr oder falsch ist, zumal es im täglichen Leben verschiedene Realitäten gibt, je nachdem, wo wir aufwachsen. Wenn wir bejahen, dass der Staat diese Zukunftsmöglichkeit nie haben kann, dann müssen wir
sowohl in Österreich als auch in Deutschland einen sehr kritischen Blick auf den öf­fentlich-rechtlichen Rundfunk werfen, der gerade in den vergangenen Jahren bewiesen hat, dass Follow the Science im Nachgang wohl doch nicht ganz richtig war. Das belegen die Twitter-Files, das belegen die RKI-Protokolle, bei denen es inzwischen mehr als erdrückende Hinweise darauf gibt, dass Politik genau das Gegen­teil davon gemacht hat, als der Wissenschaft zu folgen. 

Meine Damen und Herren, das Framing von Meinung als Hass und Hetze unter­halb der Strafbarkeitsgrenze, egal ob mit Trusted Flaggern oder ohne Trusted Flagger, die Anmaßung von Politik und Institutionen, was Fakenews und was Wahrheit
ist, ob mit Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Digital Services Act oder vielen anderen Regulierungen der letzten Jahre: Das ist eine Gefahr für die Demokratie und
nicht die freie, wenn auch bisweilen ungelenke, Rede. 

Vielleicht noch ein Aspekt zu den Bürgern: Wir haben von Nachrichtenmüdigkeit oder politischem Overkill gehört. Warum wenden sich denn Bürger von Politik ab? –
Ein wesentlicher Grund dafür besteht aus meiner Sicht darin, dass die Politik in nahe­zu alle Lebensbereiche vorgedrungen ist. Die Aussage der Radikalfeministin
Carol Hanisch im Jahre 1969 in den USA in „The Personal Is Political“ ist heute Le­bensrealität, und diese Art von Vorgehensweise spaltet die Gesellschaft mehr
als unterschiedliche Meinungen, bei denen man sein Gegenüber auf menschlicher und charakterlicher Augenhöhe betrachtet. Das fehlt unseren Demokratien, daran
müssen wir arbeiten, und deswegen plädiere ich sehr wohl auch für den Konsens, aber immer nur als Nachfolgeprozess einer zuvor stattgefundenen politischen Kontro­verse. 

Kontroverse ist, was unsere Demokratie braucht. Ein Kompromiss ohne Kontroverse ist wie ein Diktat; langfristig tötet er Demokratie und Rechtsstaat. In diesem Zusammenhang ist es verständlich, dass die freie Rede nicht ohne Wettbewerb der Ideen auskommt. Dieser Wettbewerb der Ideen findet auf der gesellschaftli­chen wie auf der wirtschaftlichen Ebene statt. Nicht zuletzt deshalb sind Marktwirt­schaften deutlich erfolgreicher. Es gibt eine enge Korrelation zwischen einer Marktwirtschaft und der Demokratie. Das Beispiel von Nord- und Südkorea im Vor­trag hat das sehr anschaulich verdeutlicht. 

Meine Damen und Herren, je mehr Politiker den Markt regulieren, je stärker
ihre Eingriffe, desto mehr müssen am Ende Wähler an der Urne über die politische Zuteilung von Geldflüssen entscheiden, und das kann nicht ernsthaft unser
Anliegen sein. 

Meine Damen und Herren, ohne Freiheit ist die Demokratie Despotie und ohne De­mokratie ist die Freiheit eine Schimäre. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

12.35

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihre Ausführungen. 

Zuletzt darf ich Frau Dr.in Martina Handler von Cocreating Future um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte. 

12.35

Dr. Martina Handler (Cocreating Future): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Damen und Herren! Ich freue mich sehr über diese Einladung, um hier zu Ihnen zu sprechen, und ich freue mich sehr, dass die Worte Beteiligung, Mitmachdemokratie, Bürger:innen mitnehmen hier schon sehr oft gefallen sind, aber ich glaube, das ist zu wenig, um Bürger und Bürgerinnen mitzunehmen, sie
zu beteiligen. 

Menschen müssen Demokratie als wirksame Bürger:innen und Akteure erleben kön­nen. Solange Menschen nur gehört werden, nur beteiligt werden, aber in der
Praxis nicht die Wirkung ihres Engagements erleben können, indem zum Beispiel Er­gebnisse von Beteiligung in definierten Verfahren, Verfahrensprozedere disku­tiert werden und dann in politische Entscheidungen einfließen, so lange wird die Wir­kung von Beteiligung zur Stärkung der Demokratie begrenzt sein. 

Politische Bildung ist wichtig, aber politische Bildung ist nicht genug. Demokratie muss auch in der Schule erfahren werden, dass die Schüler:innen bei Themen, die sie betreffen, auch tatsächlich beteiligt werden und mitbestimmen können. Daher
schlage ich eine Weiterentwicklung unseres Systems der repräsentativen Demokratie vor, das meiner Meinung nach Potenzial hat, der gesellschaftlichen Polarisierung
und auch dem steigenden Vertrauensverlust und Glaubwürdigkeitsverlust entgegenzuwirken und außerdem die gesellschaftliche Problemlösungskompe­tenz stark erhöhen würde. 

Wir haben in Österreich sehr viel Erfahrung mit deliberativen Beteiligungsverfahren, insbesondere auch mit Bürgerräten. Der Bürgerrat ist in Vorarlberg seit 2013
auch in der Verfassung verankert. Der Bürgerrat wäre eine gute Weiterentwicklung, aber nur dann, wenn er als Element in unserem System der repräsentativen Demokratie auch tatsächlich verankert ist. 

Was genau sind Bürgerräte? – Sie haben nichts mit der Rätedemokratie zu tun, das möchte ich noch betonen. In Bürgerräten erarbeiten per Zufallsauswahl aus­gewählte Bürgerinnen und Bürger, die einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen – das ist mir wichtig, also die Diversität, die repräsentativ für die Grundgesamt­heit ist, soweit das möglich ist –, Empfehlungen an die Politik. Das ist ähnlich zur – es ist hier schon gefallen – Laiengerichtsbarkeit, was diese Zufallsauswahl als wesent­liches Element betrifft. 

Es gibt ganz unterschiedliche Modelle für Bürgerräte von unterschiedlicher Dauer, un­terschiedlicher institutionalisierter Anbindung. Sie sind inzwischen weltweit verbreitet. Über 120 Länder dieser Welt haben Bürgerräte eingerichtet – einmalig, kontinuierlich oder dauerhaft verankert. Bürgerräte sollen die repräsentati­ve Demokratie nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen. 

Welche Wirkungen hätte das für die Stärkung der Demokratie? – Die kontinuierliche Einbindung von Bürgerinnen und Bürger in die politische Entscheidungsfin­dung ist angewandtes Demokratielernen. In diesem Prozess eines Bürgerrates erfah­ren Teilnehmer, wie sie von bloßen Meinungen zu begründeten Positionen
kommen. Die Teilnehmer befassen sich sehr intensiv mit dem Thema, erkunden un­terschiedliche Positionierungen, Fakten und Expertisen, wägen ab, bilden sich gemeinsam eine Meinung und entwickeln Lösungen, bei denen möglichst alle Interes­sen gut berücksichtigt werden. So wird es möglich, dass diese Empfehlungen
auch von einer breiten Mehrheit mitgetragen werden. 

Außerdem erfahren die Teilnehmer in diesen Bürgerräten, wie Menschen aus unter­schiedlichsten Milieus, Generationen und so weiter in einen wertschätzenden
Dialog kommen können, in konstruktive, faktenbasierte Debatten, was natürlich das demokratische Miteinander stärkt. 

Die Teilnehmer erfahren auch, wie schwierig es ist, bei komplexen Themen
zu einer guten Entscheidung zu kommen, zu einer guten Lösung, in der möglichst alle Interessen berücksichtigt sind. Das stärkt den Respekt vor politischer Entschei­dungsfindung und wirkt damit dem Vertrauensverlust der repräsentativen Demokratie entgegen.

Diese Vorteile, diese positiven Wirkungen zeigen sich allerdings nur dann,
wenn diese Formate institutionalisiert werden, also regelmäßig eingesetzt werden oder auch kontinuierlich etabliert werden, wenn die Funktion dieser Forma­te auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene und deren Legitimität für das politische System der repräsentativen Demokratie auch tatsächlich anerkannt wird und
wenn die Ergebnisse in den Parlamenten und Gemeinderäten diskutiert werden und dann auch in die politischen Entscheidungen einfließen.

Es gibt wie gesagt ganz unterschiedliche Modelle: In Belgien, in Paris, in Irland
hat man kontinuierliche Bürgerräte eingesetzt, vielfach. Ich war auch Mitgestalterin des Klimarates der Bürger:innen in Österreich. Hier gibt es Bürgerräte einmalig.

Jedenfalls zeigt sich, dass die Ergebnisse eine ganz hohe Qualität aufweisen, eben aufgrund der Diversität der Teilnehmer in diesen Bürgerräten, und eine gute Entscheidungsbasis für Parlamente und Gemeinderäte darstellen. – Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.42

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihre Ausführungen. 

Panel 3 ist damit abgeschlossen. 

Ich bedanke mich bei allen Expertinnen und Experten für ihre Beiträge.

VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir gelangen nunmehr zu den Statements der Fraktionsvorsitzenden. Ich darf diese ersuchen, ihren Beitrag ebenfalls vom Redner:innenpult abzugeben und die Zeit von 5 Minuten pro Statement
nicht zu überschreiten.

Ich darf zunächst den Fraktionsvorsitzenden der ÖVP, Herrn Bundesrat Mag. Harald Himmer, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Bundesrat.

12.43

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP/Wien): Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal und vor den Bildschirmen! Ich darf mich auch beim Präsidenten für die Initiative zu dieser Enquete sehr herzlich bedanken. Ich glaube, zumindest die meisten von uns, die wir in die Demokratie involviert sind, und dies natürlich auch als Parteipolitiker, sind uns dessen bewusst, dass eine funktionierende Demokratie nicht bedeutet, dass die eigene Meinung gerade in Hochkonjunktur ist, und dass
immer, wenn das nicht der Fall ist, die Demokratie nicht funktioniert. Das halte ich für sehr wichtig. 

Herr Dr. Brix hat hier die Thematik der Wissenschaftsskepsis der Österreicher angesprochen, und ich muss ehrlich sagen, ich weiß jetzt nicht, wo ich persönlich mich hier einreihen würde. Ich kann mich nämlich erinnern, dass mein Physikprofessor
im Gymnasium, Dr. Adalbert Apolin hat er geheißen, die ersten 5 Stunden
dafür verwendet hat, uns immer nur einzuhämmern, dass die Physik eine exakte Wissenschaft ist. Und das ist auch so. Wenn man eine Kugel auf den Boden
fallen lässt, von der man weiß, wie schwer sie ist, dann weiß man, wann die Kugel am Boden aufschlägt. Aber Politikwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Soziologie
oder Rechtswissenschaft sind keine exakten Wissenschaften.

Und da wir gerade auf ORF III live übertragen werden, möchte ich Folgendes in Rich­tung ORF sagen: Nach politischen Debatten oder Auftritten von Politikern im
ORF, sei es bei Sommergesprächen oder sonst irgendwo, tritt danach noch ein Wis­senschaftler, ein Experte auf, der uns mit seinem Denken unterstützend er­klärt, was wir zuvor gesehen haben. Ich muss sagen, da reihe ich mich dann gerne bei den Wissenschaftsskeptikern ein, denn ich finde, man kann den Rezipienten
durchaus selber überlassen, sich eine Meinung darüber zu bilden, was sie da gesehen haben. Da müsste der öffentlich-rechtliche Rundfunk keinen Professor gegen
Einwurf kleiner oder möglicherweise sogar größerer Münzen anwerben, damit er uns erklärt, was wir da gesehen haben.

Ähnlich stehe ich auch zu den hier vorgebrachten Vorschlägen, dass man in den Schulen die politische Bildung verstärken sollte. Da bin ich auch sehr dafür. Der erste Reflex, der hier kommt, ist eh klar: Na ja, dann werden natürlich die Lehrer versu­chen, die Kinder mit ihrer eigenen politischen Meinung zu indoktrinieren,
werden manche sagen. – Da, glaube ich, tut uns eine gewisse Gelassenheit gut. Das wird unvermeidbar sein. Es gibt sicher viele Lehrer, die von ihrer Meinung sehr überzeugt sind, ich bin aber sehr davon überzeugt, dass die jungen Menschen in der Lage sind, sich eine eigene Meinung zu bilden. 

Ich glaube, dass es auch ein Schwerpunkt einer solchen politischen Bildung sein
sollte, dieses Akzeptieren der unterschiedlichen Meinungen besonders herauszuarbeiten; sodass die Schüler miteinander diskutieren und vielleicht auch engagiert diskutieren, aber dann in der Pause trotzdem wieder miteinander
lachen und beim Sport weiter miteinander – vielleicht sogar in derselben Mann­schaft – mit großer Freude spielen, auch wenn sie vorhin draufgekommen sind, dass sie politisch völlig unterschiedliche Ansichten haben. Das halte ich für sehr
wesentlich.

Ich möchte auch sagen – ui, das Lämpchen blinkt schon –: Gewaltenteilung ist wichtig. Macht wird von vielen ausgeübt. Macht wird nicht nur von der Regierung ausge­übt. Macht wird auch von den Kontrollinstanzen ausgeübt, wird auch vom Parlament ausgeübt, wird auch von der Justiz ausgeübt, wird auch von den Medien ausge­übt. Jede Macht kann gut eingesetzt werden und jede Macht kann auch missbraucht werden. Daher ist da eine effektive Kontrolle sehr, sehr wichtig. 

Aber Vernaderung, Verleumdung und Hetzkampagnen gegen Menschen, all das hat nichts mit einer effektiven Kontrolle zu tun. Und da muss man sich auch ein­mal überlegen, wo hier die Unterschiede liegen, wenn Menschenjagd gegen Politiker veranstaltet wird, oft jahrelang, und das gemeinsam, in Kooperation, von den genannten Institutionen, und man es dann auch über zehn Jahre nicht schafft, eine Anklage zusammenzubringen, die ja anscheinend sehr einfach sein müsste, da man oft schon am Anfang den Eindruck hat, dass die Dinge alle klar sind.

Da erlaube ich mir eine gegenteilige Meinung zu jener der von mir geschätzten Abge­ordneten Brandstötter, die gesagt hat, dass sie vehement gegen die Klarnamen­pflicht ist, weil man sich auch anonym über die Politiker sozusagen auskotzen können sollte. Ja, das Argument hat etwas für sich, aber ich finde es ausreichend, dass
wir ein geheimes Wahlrecht haben. Das geheime Wahlrecht ist sehr wichtig, aber in einer ordentlichen Demokratie kann man seine Meinung durchaus auch mit
seinem eigenen Namen sagen. 

Zudem sind die Leute, gegen die so eine Hetzkampagne geführt wird, keine anonymen Personen. Ihre Namen und Fotos werden veröffentlicht, und sie werden verna­dert, wie es Kollege Mario Lindner ausgeführt hat. Und da kann man in einer Demo­kratie durchaus den Mut aufbringen, seinen eigenen Namen zu nennen.

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Herr Bundesrat, bitte kommen Sie zum Schluss! Die Redezeit! 

Bundesrat Mag. Harald Himmer (fortsetzend): Ist erschöpft. (Beifall.)

12.49

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für die Ausführungen.

Ich erteile nunmehr der Fraktionsvorsitzenden der SPÖ, Frau Bundesrätin Korinna Schumann, das Wort. – Bitte, Frau Fraktionsvorsitzende. 

12.50

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ/Wien): Herr Präsident! Werte Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Enquete! Es ist wirklich eine wunderbare Enquete. Sich
mit dem Thema Demokratie auf so vielfältige Weise zu beschäftigen, ist eine Berei­cherung, und das zeigt einmal mehr die Stärke des Bundesrates, die man nicht
genug betonen kann.

Nachdem schon so vieles gesagt wurde, darf ich ganz ehrlich sagen, mein Bekenntnis zur Demokratie heißt: Die Demokratie ist großartig. Die Demokratie ist ein ganz,
ganz großes Geschenk für uns alle – dass ich eben meine Stimme abgeben kann, dass ich mir die Argumente der anderen Parteien anhören kann, dass es die Parteienstruktur gibt, dass es die Gewaltentrennung gibt, all das ist großartig. 

Jetzt ist die Frage: Wie bringen wir diese Großartigkeit zu allen? Wie lassen wir alle an dieser großartigen Demokratie teilhaben, und zwar mit jenem Schwung, den wir brauchen? 

Wir wissen, dass die Demokratie in vielen Punkten gefährdet ist. Wir wissen, dass sie ein zartes Pflänzchen ist, dass sie an vielen Ecken und Enden Pflege braucht, wir wissen, dass Reformen notwendig sind, aber gleichzeitig müssen wir sagen:
Sie ist großartig. Und dieses Bekenntnis soll heute auch vom Bundesrat hinausgehen, denn wir wissen: Nur wenn man Dinge positiv findet, wird man sie weitertragen. 

Aber wie findet man Dinge positiv? – Ich glaube, ganz wesentlich ist da, dass man sie versteht. Wir müssen die Vermittlung des Wissens rund um die Demokratie
nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern ansetzen, sondern auch im Bereich der Erwachsenen. Und ich darf darauf hinweisen – das wurde nur ganz kurz von
Ihnen, Frau Mag. Zandonella betont –, dass das Erleben der Demokratie im Betrieb
ein ganz, ganz wesentlicher Punkt ist. 

Ich darf darauf hinweisen, weil es von den anderen Rednerinnen und Rednern nicht gemacht wurde: Es gibt die Demokratie im Betrieb. Wir haben die Wahlen
der Betriebsrätinnen und Betriebsräte. Ganz unabhängig davon, welche Staatsbür­gerschaft ich habe, ich darf einen Betriebsrat wählen und ich darf auch meine Personalvertretung wählen. Wir haben in 14 Tagen die großen Personalvertretungs­wahlen des öffentlichen Dienstes. Da kann Demokratie gelebt werden. Da
wird man gewählt. Da kann man als Beschäftigte, Beschäftigter seine eigene Vertre­tung im Betrieb wählen. 

Wir wissen aber gleichzeitig, dass diese Form der Demokratie, diese wichti­ge betriebliche Demokratie, wo Demokratie ganz direkt erlebt wird, oft hintertrieben wird. Wir wissen von Unternehmen, die alles tun, um eine Betriebsratsgrün­dung zu verhindern und damit Demokratie zu verhindern. Das muss unterbunden werden! Wir brauchen da eine Entwicklung, dass es wirklich strafbar wird,
wenn jemand verhindert, dass ein Betriebsrat gegründet wird, weil damit Demokratie verhindert wird.

Lassen Sie mich noch ein paar Dinge zum Thema Social Media sagen. So sehr
jemand die Freiheit von Social Media auch propagieren mag, uns allen muss eines klar sein: Hinter Social Media steht natürlich ein Algorithmus – den man steuern
kann, der Dinge hochspielt oder nicht hochspielt. Und da beginnt es dann gefährlich zu werden für die Demokratie. Wenn ein Milliardär sich diese Social-Media-Plattformen einverleiben und damit Algorithmen und in weiterer Folge Meinungen steuern kann, dann muss man sich schon fragen: Ist das der Weg, den wir
als Demokratie gehen wollen?

Es macht mir Sorgen, ganz ehrlich, wenn es Wahlwerbung gibt, die ich nie sehen wer­de, weil ich gemäß dem Algorithmus nicht zum entsprechenden Personenkreis
gehöre, sozusagen nicht getroffen werde. Den jungen Kollegen, der einfach gerne Computer spielt, den erwischt man sehr wohl, aber ich sehe nicht, was da ge­worben wird. Da muss man sich überlegen: Möchte man das? Möchte man diese Art von Social Media, wo etwas nicht von allen mitgelebt werden kann, sondern
nur von einzelnen Gruppen? Ich glaube, da muss man ganz genau hinschauen. Die Freiheiten sind schon wichtig, aber es ist auch wichtig, genau zu schauen:
Wer bestimmt was, und wie geht man da vor? 

Es ist auch ganz wichtig, zu sagen: Die Demokratie muss für alle da sein. Und wenn wir spüren, dass Menschen mit niedrigen Einkommen sagen, ich vertraue der
Politik nicht mehr, dann darf ich zu einem Zitat von Brandt, dem großen deutschen Bundeskanzler, kommen, das ganz klar und auch sehr eindeutig ist: „(…) die
ganze Politik soll sich zum Teufel scheren, wo sie nicht dazu dient, Menschen in Be­drängnis das Leben etwas leichter zu machen.“ – Das ist die Grundlage politi­schen Handelns und das ist die Grundlage der Stärkung der Demokratie.

Ganz zum Schluss noch ein Satz, weil ich mit dem Bundesrat begonnen habe, weil wir im Bundesrat sind und der Präsident so eine wunderbare Enquete hier initiiert
hat: Ganz ehrlich, alle, die sagen, der Bundesrat ist unnötig, gehört abge­schafft, schwächen die Demokratie, denn der Bundesrat ist ein ganz wesentlicher Teil unserer österreichischen Demokratie. Nicht, dass man nicht manches noch reformieren könnte, da ist schon noch etwas zu tun, aber der Bundesrat ist ein wich­tiger und ganz, ganz qualitätsvoller Teil der österreichischen Demokratie, und
wir Bundesrätinnen und Bundesräte sind alle sehr stolz darauf und wollen das auch weitergeben. – Vielen Dank. (Beifall.)

12.55

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Danke für den Beitrag.

Nun darf ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FPÖ, Herrn Bundesrat Andreas Arthur Spanring, erteilen. – Bitte, Herr Fraktionsvorsitzender. 

12.56

Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ/Niederösterreich): Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute komischerweise den Artikel 1 des österreichi­schen Bundes-Verfassungsgesetzes, „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“, nur ein einziges Mal gehört, nämlich von Dr. Matz­ka. Ich habe gedacht, wir werden ihn öfter hören. Wenn ich aber draußen bin und mit Bürgern spreche, erlebe ich oft eine ganz andere Stimmung. Viele Bürger zwei­feln daran, dass dieses Prinzip – das „Recht geht vom Volk aus“ – auch tatsächlich so gelebt wird. 

Ob diese Zweifel berechtigt sind oder nicht, darüber kann man diskutieren,
aber gerade aktuelle Vorkommnisse tragen sicher nicht dazu bei, diese zu entkräften. Da gab es eine Wahl, bei der die FPÖ klar gewonnen hat, und da waren zwei Regierungsparteien, die gemeinsam vom Wähler mit einem Minus von 17 Prozent ab­gestraft wurden – und dennoch erhält gerade jene Partei mit den größten Verlus­ten den Regierungsbildungsauftrag; vergeben von einem Bundespräsidenten,
der zufällig viele Jahre lang Vorsitzender einer der beiden Regierungsparteien war. 

Und in genau dieser Regierungszeit, in der diese beiden Parteien, nämlich ÖVP und Grüne, regieren und ein grüner Bundespräsident auch den Deckmantel des Schweigens über viele Fehler und Sünden dieser Regierung legt, wird Österreich vom Democracy Report 2022 von einer liberalen Demokratie zu einer bloßen Wahl­demokratie abgestuft. Der Hauptgrund: Korruption. Kann man es da unseren Bürgern wirklich verdenken, wenn sie an dieser Demokratie zweifeln, meine Damen und Herren? – Es liegt an uns allen in der Politik, diesen Eindruck zu korrigieren und das Vertrauen der Menschen wieder zurückzugewinnen. 

Passend dazu zeigen aktuelle Studien – auch heute haben wir eine dazu gesehen –, dass viele Menschen sich von dieser Politik einfach nicht mehr gehört fühlen.
Das ist alarmierend, denn diese Entfremdung schwächt nicht nur die Demokratie, sondern sie schwächt auch den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. 

Doch es gibt auch Hoffnung. Dieselben Studien zeigen: Die FPÖ wird zunehmend als Antikorruptionskraft wahrgenommen – ein geradliniger Weg, der ankommt.
Dazu gehört vor allem eines, meine Damen und Herren: Dass man das, was man vor einer Wahl verspricht, dann nach einer Wahl auch umsetzt. Das ist das Ent­scheidende daran. 

Ein weiterer Grund für die Politikverdrossenheit unserer Landsleute liegt mit Sicher­heit in der Einschränkung der Meinungsfreiheit. Auch das wurde heute schon ausführlich diskutiert. Für mich persönlich ist die Meinungsfreiheit das Herzstück einer Demokratie – das Recht, sich ohne Angst vor Repression äußern zu
können. Doch in den letzten Jahren wurde der offene Diskurs regelrecht zerstört – und ich sage bewusst: zerstört. Es gilt dann nur noch eine Meinung, es gelten
dann nur noch jene Experten, die diese richtige Meinung auch vertreten; und wer an­derer Ansicht ist, wird dann als Coronaleugner, Putinversteher, Klimaleugner
und so weiter diffamiert. 

Aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, das ist falsch, das ist grundlegend falsch. Nur der freie Austausch von Meinungen und Ideen garantiert das
Wachstum und auch die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Es braucht zudem Fairness und Ausgewogenheit in der Machtverteilung, basierend – no na net – auf den Wahlergebnissen. 

Zu den Grundsätzen der Demokratie gehört auch, dass zum Beispiel Vorsitze
in Ausschüssen nach fairen Kriterien vergeben werden. Wenn einer Fraktion ein Aus­schussvorsitz zusteht, dann muss diese diesen auch bekommen. Das ist der
Wille des Souveräns, der Wille des Wählers. 

Als Negativbeispiel nenne ich eine Ungleichbehandlung etwa in der Europäischen Union, nämlich in jener Europäischen Union, die sich sonst so gerne als die moralische Instanz inszeniert und uns moralinsauer mit dem erhobenen Zeigefinger erklärt,
was richtig und was falsch ist. Alle politischen Kräfte, egal ob links oder rechts, müs­sen nach denselben Maßstäben behandelt werden. Wenn aber patriotische
Kräfte systematisch benachteiligt werden, wie das seit Jahren der Fall ist, dann wird die Glaubwürdigkeit der Demokratie untergraben. 

Meine Damen und Herren, demokratische Spielregeln gelten für alle und dürfen kei­nesfalls ein Werkzeug sein, um Gegner mundtot zu machen. In einer echten De­mokratie hat diese Form der Doppelmoral keinen Platz. 

Es gäbe noch viel mehr zu sagen – Sie sehen es, meine Redezeit neigt sich
leider schon dem Ende zu. Zum Abschluss möchte ich Ihnen aber noch eines mitge­ben, das ist ein Ziel von mir, aber, wie ich glaube, ein Ziel, das uns alle hier
herinnen, so unterschiedlicher Meinung wir auch oft sind, eint: Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass wir Demokratie so leben, dass dabei jeder gehört wird
und dass die Menschen auch wieder Vertrauen in die Politik und in die Institutionen haben können. – Alles Gute! (Beifall.)

13.01

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für den Beitrag. 

Zuletzt darf ich dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Herrn Bundesrat Marco Schreuder, das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat. 

13.01

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne/Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge­ehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir sind ja jetzt im österreichischen Parlament, und dieses Haus gilt ja sozusagen als das Zentrum der Demokratie, völlig zu Recht. 

Was hat dieses Haus schon alles erlebt? – Eine Monarchie: Da war ganz groß, schön „FJI“, noch mit Krone darauf, für Franz Joseph I. Der war ja nicht unbedingt der
größte Freund der Demokratie, wie wir wissen. Also der Absolutismus war schon eine Idee, die ihm ganz gut gefallen hat. 

Dieses Haus hat zwei Diktaturen und zwei Demokratien erlebt, nämlich die der
Ersten und der Zweiten Republik. Ich finde, das zeigt ganz gut, dass wir in unserer historischen Erfahrung schon viel erlebt haben. Die Periode aber, die am
längsten gedauert hat, ist die der demokratischen Zweiten Republik. Auf die müssen wir, glaube ich, in besonderem Maße aufpassen. Das waren nämlich auch die
Lehren aus den Dramen und dem Verlust der Demokratie vorher. 

Als Mitglied des Bundesrates – Frau Kollegin Schumann hat das auch schon ange­sprochen – ist man es natürlich auch gewohnt, dass man, wann immer eine Demokratiediskussion stattfindet, zuerst einmal sagt: Na, schaffen wir den Bundesrat ab! Da ist etwas, das mir schon seit Langem wirklich Sorge macht, wenn man Demokratie diskutiert: Es geht um die Checks and Balances – diese Formulierung ist nämlich auch noch nicht gefallen – in der Demokratie. Das ist eine der ganz wesentlichen Säulen einer Demokratie: dass nämlich eine Institution nie die komplette Macht bekommt. 

Wenn man diese Checks and Balances ernst nimmt, dann muss man, wenn man Demokratie diskutiert, über diese Checks and Balances diskutieren und darüber: Wie organisiert man diese Checks and Balances? Dann kann man sagen: Welche
Kammern, welche Parlamentsformen, welche Landtage, welche Kompetenzverteilun­gen von Europa bis auf Gemeindeebene soll es geben? Ich halte es aber für
ganz wichtig, dass man nicht immer glaubt, mit dieser einen Institution gleich die Dis­kussion erledigt zu haben. 

Bei der Frage, wie solche Checks and Balances tatsächlich funktionieren, möch­te ich auf das Thema Bürgerräte kurz eingehen. Da hat es zum Beispiel
schon Beispiele gegeben. Ich nenne nur Island und Irland, wo sich tatsächlich Bür­gerinnen und Bürger, die nicht in der Parteipolitik waren, überlegt haben:
Wie organisieren wir diese Checks and Balances und diese Demokratie in einer modernen Gesellschaft? Das finde ich ganz spannend, weil das außerhalb
dieses parteipolitischen Denkens war. Damit, dass auch die Bürgerinnen und Bürger so etwas wissen können, können wir, die wir ja parteipolitisch organisiert sind –
auch zu Recht, weil es ja nur eine Ergänzung ist, wie sie auch richtigerweise gesagt hat –, glaube ich, sehr gut leben

Meine Damen und Herren, eines möchte ich hier auch erwähnt haben – das
hat auch Frau Schumann angesprochen –: Es wurden nämlich die sozialen Medien ge­nannt. Wichtig finde ich schon, dass man dabei unterscheidet: Was ist ein
Medium, was sind Plattformen, und was sind Algorithmen? Dass das verschiedene Dinge sind, muss man schon als ganz wichtig in den Vordergrund rücken.
Wenn soziale Medien Medien sind, dann ist es auch deren Pflicht, auf journalistische Sorgfalt zu achten, dann sind sie auch verpflichtet, viele Meinungen gleichwer­tig zu zeigen und kundzutun, und sie können sich nicht abputzen und sagen: Das sind ja nur Algorithmen! Wir können ja nichts dafür, wenn sich jemand nur für eines interessiert! Das geht einfach nicht. Wenn ein Medium ein Medium ist, dann ist es ein Medium. 

Daher halte ich es für richtig, dass wir auch als Europäische Union – die möchte
ich hier am Schluss auch noch erwähnen – sagen: Wir wollen unsere Demokratie ganz klar beschützen, sodass Menschen zu allen Meinungen einen fairen Zugang haben. 

Ich möchte Ihnen ein persönliches Beispiel nennen: Ich habe ein privates Profil, das habe ich mir auf Twitter für meinen Podcast eingerichtet. Das ist privat, das
ist nichts Politisches. Dort gibt es neuerdings diese Funktion: Wenn man ein Video anschaut, werden automatisch weitere Videos gezeigt, die man sich gar nicht ausgesucht hat. Man sieht nicht nur das eine Video, das man angeklickt hat. Ich habe in den letzten Wochen ausschließlich Videos gezeigt bekommen, in denen
Trump verherrlicht wurde, Trump verherrlicht wurde, Trump verherrlicht wurde. Seit der Amerika-Wahl kriege ich wieder Katzenvideos gezeigt. 

Da frage ich mich schon: Welche Sorgfaltspflicht hat eine Plattform wie X für eine De­mokratie? Ich finde – da kommen wir nämlich in die Oligarchie hinein –, wenn
eine Person allein entscheiden kann, welche Propaganda an Milliarden von Userinnen und Usern geschickt wird, dann ist das demokratiepolitisch gefährlich. Da müssen wir als Europäische Union etwas dagegenstellen, davon bin ich überzeugt. 

Passen wir auf diese Demokratie auf – sie ist es wert –, und hoffen wir, dass
diese Zweite Republik, die auch hier in diesem Haus erlebt wurde und wird, noch sehr lange dauern wird! – Danke schön. (Beifall.)

13.07

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank auch für diesen abschließen­den Beitrag. 

VII. Schlussworte des Präsidenten

Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind am Ende unserer parlamentarischen Enquete zum Thema Demokratie braucht
Zukunft angelangt. Erlauben Sie mir abschließend noch einige Bemerkungen und auch einige Worte des Dankes! 

Ich habe mir für die Zeit meiner Präsidentschaft zum Ziel gesetzt, gerade in
Zeiten von Wahlen auch stark inhaltlich zu arbeiten, und hoffe, dass das einerseits mit dem Expertenforum vor 14 Tagen zum Thema Demografie und ihre Konsequen­zen, aber auch am heutigen Tag mit der parlamentarischen Enquete zum
Thema Demokratie braucht Zukunft gelungen ist. 

Ich denke, wir haben heute sehr eindrücklich gesehen, dass Demokratie Meinungen braucht und dass es gut ist, aus unterschiedlichsten Blickwinkeln die Demokra­tie zu betrachten und hoffentlich wiederum Ableitungen aus diesem Vormittag zu treffen, um auch die Zukunft der Demokratie zu gewährleisten und die
Demokratie für die Zukunft zu stärken. 

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen Expertinnen und Experten, die ihren Input, ihren Beitrag zum Gelingen der Enquete geliefert haben. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parlamentsdirektion, der Bundesratskanzlei und ganz besonders für die Vorbereitung der Enquete
bei Frau Dr. Alsch-Harant, die federführend tätig war. (Beifall.)

Ich bedanke mich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für das große Interesse, das sie an der Themenstellung der heutigen Enquete gezeigt haben, und dafür,
dass sie wertvolle Diskussionsbeiträge geliefert haben. 

Ich bedanke mich auch bei allen Medien, die diese Enquete begleiten und begleitet haben. 

Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen und wünsche noch einen angenehmen
Tag. 

Abschließend darf ich noch einmal, wie schon angekündigt, zu einem informellen Austausch in die Säulenhalle einladen. 

Vielen Dank. 

*****

Die Enquete ist geschlossen. (Beifall.)

Schluss der Enquete: 13.09 Uhr

 

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1017 Wien