Parlamentarische Enquete des Bundesrates
„Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken“
Stenographisches Protokoll
Dienstag, 12. November 2024
Bundesratssitzungssaal
Parlamentarische Enquete des Bundesrates
Dienstag, 12. November 2024
(XXVIII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)
Thema
„Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken“
Dauer der Enquete
Dienstag, 12. November 2024: 9.01 – 13.09 Uhr
*****
Tagesordnung
I. Eröffnung und Begrüßung
„Demokratie stärken – Verantwortung für die Zukunft“
Vorsitzender Präsident des Bundesrates Mag. Franz Ebner
II. Keynote
„Stand der Demokratie in A, EU und weltweit. Herausforderungen für Regierungen und Bürger. Blick in die Zukunft“
Dr. Daniel Dettling (Zukunftsinstitut)
III. Panel 1 „Analyse der Herausforderungen“
„Demokratie und Politik“
Mag. Martina Zandonella (Foresight)
„Demokratie und Medien“
Dr. Martina Salomon („Kurier“)
IV. Panel 2 „Lösungswege“
„Bürgernähe und politische Mitbestimmung“
Landeshauptmann von Oberösterreich Mag. Thomas Stelzer
„Demokratie schützen – Freiheiten einschränken?“
Martin Hagen, M.A. (Republik 21)
„Demokratiebildung“
Dr. Emil Brix (Österreichische Forschungsgemeinschaft)
V. Panel 3 „Expertinnen und Experten zum Handlungsbedarf in Österreich“
Prof. Herwig Hösele
Prof. Dr. Manfred Matzka
Dr. Frauke Petry
Dr. Martina Handler (Cocreating Future)
VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates
VIII. Schlussworte des Präsidenten
Vorsitzender Präsident des Bundesrates Mag. Franz Ebner
*****
Inhalt
I. Eröffnung und Begrüßung ........................................................................................ 6
„Demokratie stärken – Verantwortung für die Zukunft“
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner .................................................................... 6
II. Keynote .................................................................................................................... 12
„Stand der Demokratie in A, EU und weltweit. Herausforderungen für Regierungen und Bürger. Blick in die Zukunft“
Dr. Daniel Dettling ........................................................................................................ 13
III. Panel 1 „Analyse der Herausforderungen“ ........................................................ 19
„Demokratie und Politik“
Mag. Martina Zandonella .......................................................................................... 19
„Demokratie und Medien“
Dr. Martina Salomon .................................................................................................... 29
Diskussion:
Christian Wigand .......................................................................................................... 35
Bundesrätin Mag.a Claudia Arpa ................................................................................. 37
Abg. Henrike Brandstötter ........................................................................................... 39
Bundesrat Mag. Christian Buchmann ......................................................................... 40
Bundesrätin Maria Fischer ........................................................................................... 42
LAbg. Sebastian Kolland, BSc ...................................................................................... 44
Bundesrat Günter Kovacs ............................................................................................ 46
Abg. Carina Reiter ........................................................................................................ 47
Abg. Mag. Agnes Sirkka Prammer ............................................................................... 49
Bundesrat Stefan Schennach ....................................................................................... 51
Abg. Julia Elisabeth Herr .............................................................................................. 52
LAbg. Andreas Bors ...................................................................................................... 55
IV. Panel 2 „Lösungswege“ ........................................................................................ 57
„Bürgernähe und politische Mitbestimmung“
Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer .................................................................... 57
„Demokratie schützen – Freiheiten einschränken?“
Martin Hagen, M.A. ...................................................................................................... 63
„Demokratiebildung“
Dr. Emil Brix .................................................................................................................. 70
Diskussion:
Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs ............................................................... 78
Doris Wagner, BEd MEd ............................................................................................... 79
Abg. Mag. Gernot Darmann ......................................................................................... 81
Bundesrat Mag. Bernhard Ruf ..................................................................................... 83
Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch ....................................................................... 84
Bundesrat Klemens Kofler ........................................................................................... 86
Bundesrätin Dr. Manuela-Anna Sumah-Vospernik .................................................... 87
Nadine Fahrenberger ................................................................................................... 89
Bundesrätin Barbara Prügl .......................................................................................... 90
Abg. Mario Lindner ....................................................................................................... 91
Sina Moussa-Lipp, BA MA ............................................................................................ 93
LAbg. Dr. Kurt Stürzenbecher ...................................................................................... 95
V. Panel 3 „Expertinnen und Experten zum Handlungsbedarf in Österreich“ 97
Prof. Herwig Hösele ...................................................................................................... 97
Prof. Dr. Manfred Matzka .......................................................................................... 100
Dr. Frauke Petry ......................................................................................................... 104
Dr. Martina Handler ................................................................................................... 107
VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates ..................... 110
Bundesrat Mag. Harald Himmer ............................................................................... 110
Bundesrätin Korinna Schumann ............................................................................... 113
Bundesrat Andreas Arthur Spanring ......................................................................... 116
Bundesrat Marco Schreuder ...................................................................................... 118
VII. Schlussworte des Präsidenten
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner ............................................................... 121
Beginn der Enquete: 9.01 Uhr
Vorsitzende: Präsident des Bundesrates Mag. Franz Ebner, Vizepräsidentin des Bundesrates Dr. Andrea Eder-Gitschthaler.
*****
I. Eröffnung und Begrüßung
„Demokratie stärken – Verantwortung für die Zukunft“
9.01
Vorsitzender
Präsident Mag. Franz Ebner: Ich eröffne
die Enquete des Bundesrates. Sehr geehrter Herr Landeshauptmann von
Oberösterreich Thomas Stelzer!
Sehr geehrte Frau Zweite Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Referentinnen und Referenten! Sehr
geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer der heutigen Enquete!
Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher auf ORF III und via Livestream des
Parlaments! Jede Präsidentschaft
des Bundesrates widmet sich einem besonders wichtigen Thema, das oft auch als
Grundlage für politische Initiativen dient. In der Vergangenheit waren das
beispielsweise der Schutz des Trinkwassers, die Digitalisierung, die
Förderung des ländlichen Raums, die Stärkung von Kinder-
und Jugendrechten oder zuletzt auch
die demografische Entwicklung und ihre Konsequenzen. Diese Themen münden
später oft in Regierungsprogramme oder Gesetze und verdeutlichen die
partei-
und länderübergreifende Zusammenarbeit sowie die Rolle des
Bundesrates als Zukunftskammer des Parlaments.
Traditionell vertiefen wir das
jeweilige Schwerpunktthema in einer Enquete. Der Begriff Enquete kommt aus dem Französischen und bedeutet Erhebung
oder Untersuchung. Im lateinischen Ursprung bedeutet er der Sache
auf den Grund gehen. Und genau das werden wir heute auch tun – wir
gehen der Frage auf den Grund,
wie sich unsere Demokratie entwickelt. Wir werden über ein Thema sprechen,
das grundlegender und zeitloser kaum sein könnte: „Demokratie
braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie
stärken“.
In einer Zeit voller Herausforderungen ist es wichtiger denn je, darüber nachzudenken, wie wir unsere Demokratie bewahren, weiterentwickeln und zukunftssicher machen können. Demokratie ist kein Selbstläufer, sie ist ein stetiges Ringen, ein Projekt, das jeden Tag aufs Neue gepflegt und geschützt werden muss.
Unsere Demokratie lebt davon,
dass wir Brücken zueinander bauen: zwischen
den Generationen, zwischen Stadt und Land, zwischen unterschiedlichen
politischen Meinungen und Weltanschauungen. Demokratie bedeutet, dass wir Unterschiede respektieren
und dennoch Wege finden, miteinander zu sprechen und gemeinsam
Lösungen zu erarbeiten. Sie ist die Brücke, die uns über
Gräben
führt, die uns sonst trennen würden.
Doch Brücken bauen bedeutet mehr als nur Worte: Es bedeutet, ein echtes Interesse an den Perspektiven anderer zu haben, Kompromisse einzugehen und dem Gemeinwohl Vorrang zu geben. Denn nur durch einen offenen Dialog und eine echte Zusammenarbeit kann unsere Demokratie wachsen und ihre Stärke entfalten. Demokratie braucht diese Brücken, um lebendig zu bleiben, um auch in stürmischen Zeiten stabil zu sein.
Ja, unsere Zeit ist
geprägt von tiefgreifenden Umwälzungen wie zum Beispiel
der digitalen Transformation, um nicht zu sagen Revolution, dem Klimawandel,
der Migrationsströme, globalen Krisen und neuen Formen der Kommunikation.
Diese Veränderungen bringen große Chancen, aber auch immense
Herausforderungen für die Demokratie mit sich. Diese
Herausforderungen schüren
auch Unsicherheiten und lassen uns Stabilität suchen: Stabilität, die
unsere Demokratie leisten kann und leisten muss.
Doch auch die demokratischen
Systeme stehen unter Druck. Die Geschwindigkeit der modernen
Kommunikation und die Flut an Informationen durch neue Medien belasten auch
unsere Demokratie. Der Verlust an Vertrauen in Politik und Institutionen,
die Kluft zwischen Stadt und Land, die Spaltung entlang sozialer und wirtschaftlicher
Linien – all das zeigt, wie wichtig es ist, neue Brücken zu
bauen
und bestehende Brücken zu festigen. Unsere Bürgerinnen und
Bürger brauchen Orientierungspunkte. Es ist unsere Aufgabe, solche zu
setzen und so die Demokratie zu stärken und weiterzuentwickeln. Demokratie
ist wie ein zartes Pflänzchen:
Wenn wir sie vernachlässigen, verliert sie schnell an Stärke.
Dass unsere Demokratie aber
lebendig ist, erleben wir auch tagtäglich im Parlament, nicht nur im
Plenarsaal, sondern auch durch das große Interesse der Besucherinnen und
Besucher an unserem Parlament und somit auch an unserer Demokratie. Bald
dürfen wir den einmillionsten Besucher seit der Wiedereröffnung des
Parlaments
im Jänner 2023 begrüßen. Das ist, finde ich, ein
eindrucksvolles Zeichen für
das öffentliche Interesse an Demokratie und Parlamentarismus. Gleichzeitig
sehen wir, dass auch die Demokratie Angriffen durch autokratische
Einflüsse, durch Fakenews, durch Radikalisierungstendenzen und auch durch
die Dynamik der sozialen Medien ausgesetzt ist.
Mitte Oktober wurde auf der
Landtagspräsidentenkonferenz eine Erklärung betreffend den Schutz der
Demokratie vor den Risiken sozialer Medien beschlossen. Sie weist darauf hin, dass den positiven Nutzungsmöglichkeiten
sozialer Medien
auch erhebliche Risiken für die Demokratie gegenüberstehen.
Die Verbreitung von Fakenews und Hassbotschaften untergraben das Vertrauen in
die Demokratie
und ihre Institutionen.
Ich unterstütze daher auch
die oft geäußerte Forderung nach einer sogenannten Klarnamenpflicht
im digitalen Raum, auch online sollte jeder Verantwortung für seine Worte
übernehmen. Anonyme Beschimpfungen und Verleumdungen dürfen wir
nicht akzeptieren!
Die Landtagspräsidentenkonferenz spricht sich zudem
dafür aus, dass soziale Medien stärker im Schulunterricht im Rahmen
der politischen Bildung behandelt werden
und die Medienkompetenz gefördert wird. Da ist Demokratiebildung eine
zentrale Aufgabe unserer Parlamente. Unser Ziel muss es sein, die
Demokratiebildung zu stärken und allen Schülerinnen und Schülern
die Möglichkeit zu geben, sich
aktiv mit Demokratie auseinanderzusetzen – sei es im Parlament, sei
es in
einem Landtag oder in der Schule. Der amerikanische Philosoph John Dewey hat
sehr treffend gesagt: „Demokratie muss in jeder Generation neu geboren
werden und Bildung ist ihre Hebamme.“
Eine starke Demokratie braucht engagierte Demokraten,
braucht Bürgerinnen
und Bürger, die informiert sind, die kritisch denken und die wissen, wie
sie sich beteiligen können. Bildung ist deshalb ein zentraler
Baustein für die Zukunft der Demokratie. Unsere Schulen und
Bildungseinrichtungen sollten die junge Generation nicht nur auf die
Arbeitswelt vorbereiten, sondern auch auf ihre Rolle als aktive Bürgerinnen
und Bürger. Demokratiebildung, Medienkompetenz und ein fundiertes Wissen
über demokratische Prozesse müssen zu einer
Selbstverständlichkeit werden.
Sehr geehrte Damen und Herren! Vertrauen ist das Fundament der Demokratie. Ohne Vertrauen in die Institutionen und in die Gewissheit, dass politische Entscheidungen dem Wohl aller dienen, verliert die Demokratie ihre Strahlkraft und ihre Bindekraft.
Wir müssen das Vertrauen in unsere demokratischen
Strukturen zurückgewinnen und stärken, damit alle Bürgerinnen
und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Sorgen
gehört und ihre Beiträge wertgeschätzt werden. Die heutige
Enquete soll aufzeigen, wie wir Vertrauen wieder stärken
können.
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern
eine gemeinsame Verantwortung. Jede und jeder von uns trägt dazu bei,
dass sie lebendig bleibt:
durch das eigene Engagement, durch den respektvollen Umgang miteinander, durch
das Interesse an anderen Meinungen. Demokratie lebt vom Miteinander und
von der Bereitschaft, für gemeinsame Werte einzutreten. Das Miteinander
erfordert gegenseitigen Respekt und damit verbunden auch eine gute
Debattenkultur,
denn auch die Art und Weise der Sprache
spiegelt den Zustand einer Demokratie wider.
Dazu passend darf ich ein bekanntes Sprichwort zitieren, das
lautet: Achte auf
deine Gedanken, denn sie werden zu deinen Worten. Achte auf deine Worte, denn
sie werden zu deinen Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden
zu deinen Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden zu deinem
Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein
Schicksal. –Zitatende.
Lassen Sie uns daher heute und in Zukunft an diesen
Brücken arbeiten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten! Lassen Sie
uns daran arbeiten, die Demokratie zu
stärken und für die kommenden Generationen zu sichern! Es liegt an
uns allen, diesen Weg zu gestalten und zu zeigen, dass die Demokratie das beste
Modell für eine gerechte und menschliche Gesellschaft ist.
Demokratie
braucht Zukunft, weil sie mehr ist als eine Regierungsform. Sie ist ein Versprechen,
das wir uns selbst und der Welt geben – ein Versprechen, dass wir in
einer Gesellschaft leben wollen, die auf Freiheit, Gerechtigkeit und
Solidarität beruht. Lassen Sie uns dieses Versprechen einlösen, indem
wir Brücken bauen und die Demokratie stärken! – Vielen
herzlichen Dank. (Beifall.)
9.12
*****
Vorsitzender Präsident
Mag. Franz Ebner: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf noch einige
organisatorische Hinweise über den weiteren Verlauf der Enquete
geben: Es wird während der Enquete zwei Diskussionsrunden geben. Diese
bieten Zeit für Beiträge der Teilnehmer:innen. Sofern sie sich zu
Wort melden möchten, bitte ich die diskussionsberechtigten Teilnehmerinnen
und Teilnehmer, sich jeweils
mit den vorgedruckten Karten, die sich in den Enquetemappen befinden,
schriftlich anzumelden, indem sie diese meinem Team – zu meiner
Linken – übergeben.
Ihr Name und Ihre Organisation werden in die Rednerliste aufgenommen. Ihr Beitrag soll
die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten. In Anbetracht der
zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ersuche ich Sie, die Redezeit einzuhalten.
Über die heutige Enquete wird ein Stenographisches Protokoll verfasst, das in einiger Zeit auf der Internetseite des Parlaments abrufbar sein wird.
Im Salon des Bundesrates
nebenan stehen während der Enquete Erfrischungen bereit. Nach Ende der
Enquete, ab 13 Uhr, darf ich Sie alle, meine sehr geehrten Damen
und Herren, zu einem informellen Gedankenaustausch bei einem Empfang in die
Säulenhalle einladen.
Zum Auftakt wird uns Dr. Daniel Dettling vom Zukunftsinstitut in Berlin Einblicke in die gegenwärtige Situation der Demokratie und die Herausforderungen für Regierungen und Bürgerinnen und Bürger geben.
Mag.a Martina
Zandonella von Foresight wird uns das Spannungsverhältnis
zwischen Demokratie und Politik näherbringen und uns Trends aus dem bald
erscheinenden Demokratie-Monitor 2024 vorstellen. Der
österreichische Demokratie-Monitor 2023 hat gezeigt, dass
insbesondere Menschen mit geringem Einkommen das Vertrauen in
das Parlament verlieren. Das ist eine alarmierende Entwicklung, die wir ernst
nehmen müssen.
Ich möchte noch einmal auf die Erklärung der Landtagspräsidentenkonferenz zurückkommen, sie unterstreicht auch die Bedeutung traditioneller Medien als unverzichtbare Quelle objektiver und sachlicher Information. „Kurier“-Herausgeberin Martina Salomon wird dazu sprechen und dabei auch die Herausforderungen für den Journalismus beleuchten.
Ich freue mich über die Teilnahme von Landeshauptmann Thomas Stelzer, der Bürgernähe und politische Mitbestimmung als Mittel sieht, das Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen, am zweiten Panel.
Martin Hagen, Geschäftsführer von Republik 21 ist aus München zu uns gekommen, um darüber zu sprechen, wie weit es gerechtfertigt ist, dass die Politik Freiheiten der Bürger einschränkt, um damit die Demokratie zu schützen.
Botschafter Dr. Emil Brix, Präsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, wird uns informieren, wie Demokratiebildung für Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene funktionieren kann.
Als von den Fraktionen nominierte Expertinnen und Experten
darf ich auch
noch herzlich Herrn Prof. Herwig Hösele, Präsident des
Bundesrates außer Dienst, Prof. Dr. Manfred Matzka, ehemaliger
Sektionschef der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt, Dr.in Frauke
Petry, ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages, und Dr.in Martina
Handler von Cocreating Future sehr, sehr herzlich
bei uns begrüßen.
Alle Damen und Herren Referent:innen möchte ich ganz herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. Ich bitte auch Sie, das mit einem gemeinsamen Applaus für alle zu tun. (Beifall.)
II. Keynote
„Stand der Demokratie in A, EU und weltweit. Herausforderungen für Regierungen und Bürger. Blick in die Zukunft“
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir
gelangen nun zur Keynote von Zukunftsforscher Dr. Daniel Dettling mit dem Thema
„Stand der Demokratie in Österreich, der EU und weltweit.
Herausforderungen für Regierungen und Bürger.
Blick in die Zukunft“.
Ich ersuche Herrn Dr. Dettling, seinen Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Redezeit von 20 Minuten nicht zu überschreiten. Ich darf darauf hinweisen, dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken beginnt. – Bitte, Herr Dr. Dettling.
9.17
Dr. Daniel Dettling (Zukunftsinstitut):
Grüß Gott! Guten Morgen! Ich freue mich sehr! – Ich halte
die Anrede kurz, sonst ist meine Redezeit gleich erschöpft. Ich mache es
kurz: Liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie und der Zukunft, ich
freue mich sehr, bei Ihnen sein zu dürfen!
Der Begriff unserer Zeit ist
Kontrollverlust. Wir wissen aus der Stressforschung, dass Menschen dann in
Stress geraten, wenn sie mit Situationen konfrontiert sind,
die sie nicht verstehen. Diese Situationen haben in den letzten 30 Jahren
drastisch zugenommen – im Zusammenhang mit Globalisierung,
Migration, Corona,
künstlicher Intelligenz oder Krieg auch in Europa.
Exit, der Ausstieg, ist eine
verständliche Reaktion auf die Komplexität einer modernen, vernetzten
Welt. Die Brexitkampagne vor acht Jahren hatte Erfolg, weil sie den
Briten das Gefühl gab, sie können – ich
zitiere – die Kontrolle wieder selbst übernehmen.
Wir haben zunehmend das
Gefühl, dass uns die Dinge entgleiten und wir keinen Einfluss auf sie ausüben können. Eine Krise
jagt die nächste. Gibt es einen Ausweg,
eine Alternative zum Ausstieg? Können wir unser öffentliches
Leben wieder in den Griff bekommen? Erleben wir gut 200 Jahre nach dem
Beginn der modernen Demokratie in diesem Jahrhundert ihr Ende? Droht uns ein
Jahrhundert des Autoritarismus, das der deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf
bereits Ende der
90er-Jahre voraussagte?
Das Modell der Demokratie ist 35 Jahre nach dem Fall
der Mauer und dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht mehr alternativlos. Das
Mantra des US-Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama vom Ende der
Geschichte hat sich als Irrtum entpuppt. Mit der Mauer und deren Zusammenbruch
begannen nicht der unbegrenzte
Siegeszug der liberalen Demokratie und grenzenloser Zukunftsoptimismus. Die Wiederwahl
Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika
letzte Woche zeigt, dass sich der autoritäre Megatrend im Kernland der
Demokratie fest etabliert hat. Auch in Europa glauben immer weniger
Bürgerinnen und Bürger, dass die Zukunft eine bessere Version der
Gegenwart ist.
Wer gewinnt die Zukunft? – Ökonomische
Transformation, Klimawandel und Pandemien sind für die Kritiker der
Demokratie der Beweis, dass autoritäre Systeme – Autokratien
und Diktaturen – effizienter und effektiver sind. Viele sehen
China als Gewinner der Krisenwelt und glauben, dass unsere Demokratien zu
langsam sind, um im 21. Jahrhundert mit den neuen Autokratien konkurrieren
zu können.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache, meine Damen und
Herren: Langfristig betrachtet sind Demokratien ökonomisch
erfolgreicher als Autokratien. Ihr jährliches Wirtschaftswachstum ist
höher, eben weil Demokratien auf faire und
freie Wahlen, Presse- und Versammlungsfreiheit setzen. Demokratie ist ein Motor
für Wachstum, Fortschritt und Frieden. In Demokratien sterben weniger
Menschen, schrieb der „Economist“ zu Beginn der Coronapandemie.
Demokratien tragen zu weltweitem Frieden und Wohlstand bei.
Die Kriege zwischen den Staaten sind seit 1945 weltweit zurückgegangen.
Zwischen 1945 und
2005 ist das Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum in jenen Ländern, in denen
Frieden herrscht, dreimal höher ausgefallen als in jenen, in denen das
nicht der Fall war. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich der
Unterschied auf den Faktor sieben erhöht.
Offene Volkswirtschaften und Gesellschaften sind
wohlhabender und reduzieren extreme Armut wirkungsvoller als protektionistische
und geschlossene Ökonomien und Gesellschaften. Der aus Indien
stammende Nobelpreisträger für Ökonomie Amartya Sen hat in
seinen Studien nachgewiesen, dass in Demokratien
nicht gehungert wird.
Der Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie ist sogar vom Weltraum aus zu sehen: Ein nächtliches Satellitenbild von Korea zeigt den demokratischen Süden hell erleuchtet und den kommunistischen Norden in nahezu totaler Finsternis.
Auch wenn derzeit etwas weniger als die Hälfte der Gesellschaften in Demokratien lebt, finden in fast allen Regionen der Welt emanzipative Werte wie Gleichberechtigung der Geschlechter, persönliche Entscheidungsfreiheit, Meinungsfreiheit und politische Mitwirkungsrechte zunehmend stärkere Beachtung und Unterstützung.
Warum aber wählen dann viele den Weg in die neue
Unfreiheit und suchen
ihr Heil bei Populisten, Extremisten und Hetzern? – Die real
existierende Demokratie hat in der Ära der Globalisierung ihr
Versprechen – das größtmögliche Glück
für die größtmögliche Zahl der Menschen – nicht
eingelöst. Schon die Philosophen und Vordenker der amerikanischen
Verfassung, Charles Louis de Montesquieu
und Alexis de Tocqueville, warnten davor, dass sich die Mittelschichten
für die Despotie entscheiden könnten, wenn sie sich von der
politischen Klasse nicht mehr verstanden und abgehängt fühlen. Je
mehr sich Bürgerinnen und Bürger ignoriert oder vergessen
fühlen, umso mehr ziehen sie sich zurück und umso empfänglicher
werden sie für Alternativen.
„Demokratien sterben, wenn die Menschen nicht mehr
daran glauben, dass das Wählen wichtig ist“, wie Historiker
Timothy Snyder in seinem Buch „Der Weg in
die Unfreiheit“ schreibt. Die Stärke der neuen Autokratien ist vor
allem die Schwäche der in die Jahre gekommenen Demokratien. In einer
alternativlosen Demokratie ist niemand verantwortlich, weil die
Zukunft als unausweichlich gilt, und in der neuen Autokratie ist niemand
verantwortlich, weil die Regierung uns nur vor Bedrohungen und Feinden
schützen kann. Beide, die alternativlose Demokratie wie die populistische
Autokratie, schaffen die Zukunft ab. Der einzige Unterschied:
Die Autokraten schaffen sie offen ab. Autokraten brauchen ängstliche Fans,
die sich als verlierende Außenseiter sehen. Kulturkämpfe wie das
Volk gegen die Eliten, Nationalismus gegen Globalisierung und
Migranten gegen Einheimische helfen nur den Demokratiefeinden und vernebeln die
eigentliche Aufgabe: den Kampf um die Zukunft.
Kommen wir zu den Waffen gegen die Zukunftslosigkeit der
Antidemokraten:
Bildung und eine Kultur des Miteinanders. Die Geschichte lehrt uns, dass sich
Staaten nicht von außen
demokratisieren lassen; Demokratien müssen von innen gewollt
und erreicht werden. Einmal erreichte Demokratien müssen in der
Lage sein, sich zu erneuern. Eine Demokratie, die sich nicht erneuert, erstarrt
und stirbt einen langsamen Tod.
Demokratie ist mehr als eine Regierungsform: Sie ist auch
eine Lebensform. Dass sie täglich erneuert werden muss, wussten bereits
die antiken Vordenker. Dass sie
auch supranational in einem Verbund gleichberechtigter Staaten organisiert und
verteidigt werden kann, ist uns erst seit dem letzten Jahrhundert bewusst.
Die Europäische Union ist die bislang einzige politische Organisation, die
2012 den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für Frieden,
Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte bekommen hat. Der
Gründungsgedanke der Europäischen Union ist das Versprechen,
künftigen Generationen ein besseres Europa und eine bessere
Zukunft zu ermöglichen. Die Memoiren von Jean Monnet, der zu den
Wegbereitern der europäischen Einigung gehört, schließen mit
den Worten – ich zitiere –:
„Die souveränen Nationen der Vergangenheit sind kein geeigneter
Rahmen mehr, um die Probleme von heute zu lösen. Und die
[Europäische] Gemeinschaft selbst ist
nur eine Etappe auf dem Weg zu den Organisationsformen […] von
morgen.“
Die Europäische Union ist föderalistisch und
kosmopolitisch; sie wirkt lokal und global; sie ist Nation wie Union. Ihr
Ziel ist eine neue Balance von Demokratie
und Subsidiarität. Europa wird in Zukunft größer und zugleich
kleiner: größer bei den globalen und kleiner bei den regionalen
Fragen. Die europäische Antwort auf
die Globalisierung ist Subsidiarität, organisierte, solidarisch
unterstützte Eigenverantwortlichkeit. Demokratie muss wieder erlebbar
werden und konkret erfahrbar
sein, daher ist Demokratie vor allem lokal. Die Zukunft der Demokratie
entscheidet sich in den Regionen, Städten und Gemeinden vor Ort.
Meine Damen und Herren! Demokratie ist auch eine Frage der
Emotionen:
Ein gemeinsames Gefühl von Zugehörigkeit und Identität ist die
stärkste Waffe gegen Zukunftspessimismus und Populismus. Die besten
Botschafter Europas sind
die jungen Europäerinnen und Europäer. Demokratie in Europa zu leben
heißt mehr Austausch, mehr Bildung und Mobilität. Ein
europäisches Schul- und Interrailprogramm sind die Antworten.
Die beste Schule der Demokratie ist die Schule. Schule ist
nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensort. Junge Menschen, die sich
bewegen, Sport treiben, lesen und Musik machen, schneiden in der Schule besser
ab. Demokratie und bürgerschaftliches Engagement müssen aber auch in
den Schulen gelernt und gelebt werden; das Erlernen demokratischer Kompetenzen
gehört zu den zentralen Aufgaben. Ziel ist die Stärkung der
politischen Teilhabefähigkeit aller Bürger in einer globalisierten
und digitalisierten Welt. Ein Programm wie Civic Education, Lernen für
Demokratie und Zivilgesellschaft, mit Themen wie Debattieren,
Konfliktlösung und bürgerschaftlichem Engagement stärkt die
demokratische Kultur eines Landes
wie die Selbstwirksamkeit jedes einzelnen Bürgers.
Die grundlegende Schwäche von Demokratien ist, dass sie
nicht in der Lage sind,
20 bis 40 Jahre in die Zukunft zu denken. Die Schwäche der Demokratie
sind ihr Präsentismus, ihr kurzfristiger Handlungshorizont und ihr Denken
in Wahlzyklen. Die Interessen von ad hoc agierenden Interessengruppen
haben es
leichter, die Interessen künftiger Generationen schwerer. „Der
Politiker denkt an die nächsten Wahlen, der Staatsmann an die nächste
Generation“, wusste der
britische Premierminister William Ewart Gladstone Ende des
19. Jahrhunderts.
Das Megathema Klimaschutz ist dafür vielleicht das
beste oder schlechteste Beispiel: Die Antwort auf den Klimawandel ist nicht die
Ökodiktatur, sondern die Klimademokratie als Projekt der Länder
und Städte, ihrer Bürgermeister und Bürger. Von Immanuel Kant,
dem großen Denker der Aufklärung, wissen wir: Der ewige
Frieden ist möglich, wenn die Völker den Übergang zur Republik
schaffen und sich untereinander vernetzen.
Ein neues politisches Zeitalter
beginnt. Die Alternative zur populistischen Autokratie ist vielleicht die
populistische Demokratie. Diese verführt das Volk nicht,
sondern verleitet es zur Übernahme von Verantwortung. Statt den
Bürgerinnen und Bürgern nach dem Mund zu reden, geht es darum, mit
ihnen zu reden und sie
auch zu Wort kommen zu lassen. Wir haben die Möglichkeiten, die
Demokratien zu verteidigen, noch lange nicht ausgeschöpft.
Die Mitmachdemokratie ist die
Zukunft der Demokratie in Europa, in Österreich
und in den Regionen. – Der österreichische Bundesrat ist
Länderkammer, Europakammer und Zukunftskammer, so hat es
Bundesratspräsident Franz Ebner sehr gut eben auf den Punkt gebracht.
Statt um Alternativen zur parlamentarischen Demokratie geht es um ihre
Weiterentwicklung, um innovative Verfahren und Instrumente der Beteiligung
und des Mitgestaltens. Statt den Bürgerinnen und Bürgern von oben
zu sagen, was sie zu tun haben, geht es darum, sie zum Mitmachen einzuladen. In
einer koproduktiven Demokratie haben Bürger die Freiheit,
Neues auszuprobieren und ihre Ideen mit der gesamten Gesellschaft zu
teilen.
Die Erfahrungen mit
Bürgerforen in vielen europäischen Ländern und Gemeinden machen
Mut. Demokratie braucht Staatsmänner, Staatsfrauen und Staatsbürger,
die den Kampf gegen Autokraten und Reaktionäre aufnehmen und für eine
bessere Zukunft streiten. Maß, Mitte, Mut und Mindset gehören in
einer Demokratie zusammen. Demokratie lebt von dem Glauben an eine offene und
bessere Zukunft. Dabei kommt es auf jeden Einzelnen an. Die Bürgerinnen
und Bürger müssen
das Gefühl haben, selbst etwas bewirken
zu können. Gelebter Parlamentarismus braucht einen gelebten
Republikanismus.
„Frage nicht, was dein
Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst“,
lautet das berühmte Diktum von John F. Kennedy in seiner Antrittsrede
im
Jahr 1961. Und weiter: „Fragt nicht, was Amerika für euch tun
wird, sondern fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit
des Menschen.“ – Freiheit
und Demokratie und das Engagement für beide gehören zusammen.
Die Zukunft kann nur von uns allen gerettet werden. Machen wir uns die Mühe, sie zu retten. Machen Sie mit! – Haben Sie herzlichen Dank. (Beifall.)
9.32
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Dr. Dettling, für Ihre Ausführungen.
III. Panel 1 „Analyse der Herausforderungen“
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir gelangen nun zu Panel 1 und dem Thema „Analyse der Herausforderungen“.
Ich ersuche die Referent:innen,
ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben und die Redezeit von
20 Minuten nicht zu überschreiten. Ich darf neuerlich
darauf hinweisen, dass das rote
Lämpchen, das bei Herrn Dettling gar nicht zu leuchten begonnen hat,
1 Minute vor Ende der Redezeit zu blinken
beginnt.
Ich darf zuerst Frau Politikwissenschafterin Mag.a Martina Zandonella um ihren Beitrag zum Thema „Demokratie und Politik“ ersuchen. – Bitte, Frau Zandonella.
9.33
Mag. Martina Zandonella (Foresight): Guten Morgen
auch von meiner Seite! Ich darf auch gleich direkt anschließen an das
soeben Gehörte. Ich möchte vielleicht mit
den Widerstandskräften, die eine Demokratie auch in sich hat, beginnen,
und weil wir heute hier in diesem schönen Haus sind, würde ich gerne
drei erwähnen.
(Die Rednerin unterstützt in der Folge ihre Ausführungen mittels
einer Powerpoint-Präsentation.)
An erster Stelle geht es um die Gewalten und alle Menschen,
die in diesen Gewalten arbeiten. Ein zentraler Widerstandsfaktor der Demokratie
ist, wie verantwortungsvoll und mit welcher Art von Respekt die
Gewalten miteinander agieren, wie es in der Verfassung steht auf der einen
Seite, aber schon auch wie die Menschen,
die da verantwortlich sind, handeln. Das sind die Rahmenbedingungen, die dann
auch geschaffen werden, um gerade in Krisensituationen gut
zurechtzukommen.
Ein zweiter ganz zentraler Faktor in unserem
repräsentativen System sind die politischen Parteien, weil sie
letzten Endes auch bestimmen, welche Personen auf
den Listen stehen, um dann gewählt werden zu können. Bevor Donald
Trump sozusagen gewählt werden kann, muss ihn einmal irgendjemand
irgendwo hinschreiben und ihn in eine Position bringen, dass er
tatsächlich realistische Chancen hat, gewählt zu werden.
Der dritte Punkt, und da bin ich dann bei unserem Demokratiemonitor, ist die Bevölkerung. Natürlich ist es auch ein ganz zentraler Resilienzfaktor von Demokratie, dass die Menschen geteilte demokratische Grundwerte haben, eine aktive Zivilgesellschaft vorhanden ist, die sich für unsere Demokratie und unsere demokratischen Werte einsetzt.
Und genau an dieser Stelle, an der Bevölkerung, setzt
der Demokratiemonitor
an, den wir seit 2018 erheben und wo wir uns im Grunde einfach nur anschauen:
Wie geht es denn den Menschen in Österreich mit der Demokratie in unserem
Land?
Was denken sie über die Politik? Womit sind sie zufrieden? Wo ist
Vertrauen vorhanden oder wo vielleicht auch nicht? Ich habe Ihnen ein paar
ausgewählte Ergebnisse mitgebracht,
die vor allem auch zu dieser Vertrauensfrage passen. Sie haben auch
Unterlagen bekommen, denke ich, da können Sie gut mitschauen.
Was wir ganz zentral
sehen, ist, dass wir sozusagen einen Verlust im Vertrauen gegenüber
dem politischen System feststellen müssen. Wir haben 2018
begonnen – erinnern Sie sich, 2018 war wirklich ein gutes Jahr,
solch ein Projekt zu starten,
denn im Vergleich zu dem, was alles nachher passiert ist, ist 2018
ungefähr überhaupt nichts passiert – und haben hier mit
2018 auch einen Basiswert, von dem wir ausgehen können. 2018 haben zwei
Drittel der Menschen bei uns im Land gesagt: Das passt gut, ich finde, unser
politisches System funktioniert! Inzwischen haben
wir nur mehr knapp 40 Prozent der Menschen, die das sagen. Sie sehen, das ist
ein doch sehr deutlicher Abstieg.
Sie sehen auch anhand der
Balken, dass wir das sehr schön auch an innenpolitischen, an
globalpolitischen Dingen, die passiert sind, festmachen können. 2019 zum
Beispiel war Ibiza, da ging es gleich hinunter, dann ist mit der zunehmenden
Dauer der Coronapandemie und der Teuerung das Vertrauen weiter gesunken. Wir
hatten letztes Jahr zum ersten Mal wieder einen kleinen Anstieg in dieser Einschätzung
betreffend die Frage, ob das politische System gut funktioniert. Und aktuell
sehen wir – die Daten sind von gestern, ich kann Ihnen noch nicht
sehr
viel darüber berichten –, dass es ungefähr gleich
geblieben ist wie im letzten Jahr.
Wenn wir uns anschauen, welche
Bevölkerungsgruppen es betrifft, bei denen dieses Vertrauen
gesunken ist, sehen wir, dass das im Grunde alle Bevölkerungsgruppen
betrifft. Egal, ob wir uns Männer und Frauen anschauen, ob wir uns
Ältere und Jüngere anschauen, ob wir uns die Bevölkerung in der
Stadt oder am Land anschauen, ob wir uns Einkommensgruppen, -klassen anschauen,
das Vertrauen
ist in allen Gruppen gesunken. Wir sehen aber, wenn wir auf die
ökonomische Situation der Menschen blicken, eine andere Entwicklung
als in anderen Gruppen.
Bei den Männern und Frauen ist es zum Beispiel so, dass die Frauen durch
die Bank ein bisschen weniger zufrieden sind als die Männer, aber
über diese Jahre
hinweg verläuft die Entwicklung parallel, also: Steigt es in der einen
Gruppe, steigt es in der anderen Gruppe, sinkt es in der einen Gruppe, sinkt es
in der anderen
Gruppe.
Eine andere Entwicklung sehen
wir, wenn wir uns die Einkommensdrittel anschauen. Hier haben wir einfach die
Personen nach ihren Einkommen befragt und sie
in ein unteres Einkommensdrittel, ein mittleres und ein oberes
Einkommensdrittel geteilt. Da sehen wir eine andere Entwicklung. Da sehen wir
zum einen, dass
in der Mitte der Gesellschaft und in den oberen Einkommensgruppen diese Linien
betreffend Vertrauen stärker schwanken, das heißt, sich an aktuellen
politischen Ereignissen orientieren, da geht es einmal runter, dann
geht es wieder rauf. Da haben wir bereits
letztes Jahr auch ein gutes Ergebnis sozusagen, ein positives
Ergebnis gesehen: 2023 ist das Vertrauen sowohl in der Mitte der Gesellschaft
als auch im oberen Einkommensdrittel ein bisschen hinaufgegangen.
Und das, was wir aktuell sehen, ist, dass sich dieses langsame Steigen
fortsetzt.
Ganz anders ist die Entwicklung im unteren Einkommensdrittel.
Hier sehen Sie, dass die Linie über die Jahre hinweg viel flacher ist, das
heißt, es schwankt nicht
so stark wie in den anderen Gruppen. Es war auch bereits 2018 sehr gering. 2018
hat auch nicht einmal mehr die Hälfte der Menschen im unteren Einkommensdrittel
gesagt, für sie funktioniere das politische System eigentlich gut. Sie
sehen, der Wert sinkt weiter. Er ist 2023 noch einmal gesunken und er ist auch
heuer wieder gesunken. Inzwischen sagt nur mehr ein Fünftel der Menschen
in dieser Gruppe: Für mich funktioniert das politische System gut!
Wir haben gesehen, dieses sinkende Vertrauen betrifft
sozusagen alle Bevölkerungsgruppen – die einen mehr, die
anderen weniger. Was aber auch spannend ist,
ist, dass es nicht alle Institutionen, die mit der Demokratie zu tun haben, im
selben Ausmaß betrifft. Was wir sehr stark sehen, ist, dass der
Vertrauensverlust
ganz, ganz klar die repräsentativen Einrichtungen und deren Handelnde in
unserem System betrifft. Sie haben hier, wenn wir uns das anschauen, auf der einen
Seite das Vertrauen in die Polizei, auch in das Justizsystem und in die
Verwaltung abgebildet – das ist hoch und das bleibt über die
Jahre hinweg gleich, da tut sich nicht sehr viel. Wenn wir uns aber die
repräsentativen Einrichtungen anschauen,
also zum Beispiel das Parlament, auch die Bundesregierung oder den
Bundespräsidenten, oder die politischen Parteien, dann sehen Sie,
dass es abfällt.
Ich finde, besonders zentral ist es – dort
fällt es besonders stark auf – bei den politischen
Parteien. Wir hatten 2018 einen sehr kleinen Anteil an Menschen in
Österreich, die gesagt haben: Ich finde derzeit eigentlich keine Partei,
von der ich meine politischen Anliegen gut vertreten finde! Das waren
13 Prozent, das
ist nicht besonders viel. 2023 haben 37 Prozent der Menschen gesagt:
Für mich gibt es im Moment eigentlich keine Partei, wo meine politischen
Anliegen gut aufgehoben sind! Da sehen Sie schon, dass dieser
Vertrauensverlust ganz klar mit den repräsentativen Institutionen der
Demokratie verknüpft ist.
Jetzt ist natürlich die Frage: Was passiert da, warum
ist das so?, und ich würde gerne noch einmal auf unser
unteres Einkommensdrittel zurückkommen, weil bei diesem diese Entwicklung
einfach am auffälligsten ist und wir dort auch keine Verbesserung
verzeichnen. Wir verzeichnen in dieser Gruppe eine sukzessive sozusagen
Verschlechterung. Und da spielt eine große Rolle: Was bedeutet denn
für die Menschen Demokratie? Warum finden sie es gut, in einer Demokratie zu leben?
Das ist etwas, das wir sehr oft fragen – nicht nur in Befragungen,
sondern auch, wenn wir mit den Menschen länger reden, wenn wir uns
mit ihnen
einmal 2 Stunden über Demokratie unterhalten –, und da
stehen zwei Dinge ganz oben auf der Liste, die immer kommen: Warum ist
Demokratie gut, was finden Sie gut an Demokratie? – Das ist zum
einen die politische Gleichheit: Egal wer ich bin,
woher ich komme, wer meine Eltern waren, in diesem demokratischen Rahmen sind
wir alle gleich. Wir haben alle eine Stimme und jede Stimme zählt gleich
viel. –
Das ist der eine Aspekt. Der zweite Aspekt ist die Mitbestimmung: In einer
Demokratie bestimmen wir die Lebensumstände, die uns alle gemeinsam
betreffen, auch gemeinsam.
Wenn wir von diesen beiden Versprechen sozusagen ausgehen,
dann sehen wir, dass das genau das ist, was im unteren Einkommensdrittel nicht
mehr gilt. Die Erfahrungen, die die Menschen also machen, sind eben
nicht politische Gleichheit und Mitbestimmung,
sondern andere. Wir sehen es hier – ich habe Ihnen ein paar Zahlen mitgebracht,
um das zu verdeutlichen –: Gerade die Menschen im unteren Einkommensdrittel
machen sehr häufig eben die Erfahrung von Ungleichwertigkeit. Zum Beispiel
haben wir die große Mehrzahl von ihnen, die denkt, sie werden als
Menschen zweiter Klasse behandelt – so ganz allgemein ein
Gefühl, aber ganz
zentral auch bei der Arbeit. Wir haben in unserem oberen
Einkommensdrittel – und Sie können sich vorstellen, welche
Berufe das sind; die meisten von uns hier
haben solche Berufe – den Großteil jener Menschen, die sagen:
Selbstverständlich, in der Arbeit erlebe ich eigentlich jeden Tag, dass
die Gesellschaft das, was ich
mache, wertschätzt, meinen Beruf, meine Arbeit, das, was ich auch beitrage
zur Gesellschaft. In unserem unteren Einkommensdrittel haben wir nur
23 Prozent
der Menschen, die sagen, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft
wertgeschätzt wird. Auch daran sehen Sie, wie stark sich all diese
Erfahrungen, die die Menschen
im Alltag machen, mit Gleichwertigkeit oder in dem Fall eben Ungleichwertigkeit,
dann auswirken darauf, ob sie unser politisches System für gut funktionierend halten oder
nicht, denn das ist einer der stärksten Effekte sozusagen, wenn wir uns
diese Wahrnehmung von Ungleichwertigkeit anschauen.
Sehr ähnlich schaut es aus, wenn wir uns die
Mitbestimmung anschauen:
Auch da haben wir im oberen Einkommensdrittel eine Mehrheit von Menschen, die
sagen: Menschen wie ich sind im Parlament gut vertreten. Und bei
„Menschen
wie ich“ geht es jetzt nicht nur darum, dass das tatsächlich Menschen
wie ich sind, die aus einer ähnlichen Lebensrealität herauskommen wie
ich, sondern eben auch
darum, ob ich das Gefühl habe, dass meine politischen Anliegen dort
irgendwie Thema sind, dort auch verhandelt werden und vielleicht sogar einmal
irgendetwas umgesetzt wird. Auch da sehen wir, dass im unteren
Einkommensdrittel nicht
einmal mehr ein Fünftel der Menschen der Meinung ist, dass sie im
Parlament gut vertreten sind, und zwar in der Art und Weise, dass die
Lebensrealität, aus
der sie kommen, dass ihre Berufe zum Beispiel – und natürlich,
ja: Wo sind die Pflegekräfte, wo sind die Reinigungskräfte im
Parlament? –, aber auch ihre politischen Anliegen dort nicht mehr
vertreten sind.
Die Konsequenz daraus ist eine relativ dramatische, auch
wenn wir uns Folgendes anschauen: Haben denn die Menschen überhaupt
das Gefühl, dass es sich noch
auszahlt, sich zu beteiligen, zur Wahl zu gehen, bei irgendeiner Initiative
mitzumachen, auf eine Demo zu gehen, sich einfach in der
Nachbarschaft – wie auch immer –
zu engagieren? – Auch da sehen Sie, dass in unserem unteren
Einkommensdrittel nur mehr ein sehr, sehr kleiner Teil diese politische
Selbstwirksamkeit auch hat,
dieses Gefühl: Es zahlt sich aus, wenn ich meine Stimme abgebe!, Wenn ich
mich irgendwo beteilige, dann bringt das auch tatsächlich etwas!
Wenn wir uns anschauen, welche Konsequenzen das hat, dann
sehen wir zum einen – das haben wir schon 2019 gesehen –,
dass sich das bereits sehr, sehr stark auf
die politische Beteiligung der Menschen auswirkt. Wir hatten 2019 bei der
Nationalratswahl im oberen Einkommensdrittel 12 Prozent, also ein
bisschen mehr
als jede und jeder Zehnte der Menschen, die gesagt haben: Ich möchte nicht
teilnehmen, es zahlt sich nicht aus, meine Stimme abzugeben, ich gebe meine
Stimme
nicht ab! Im unteren Einkommensdrittel hatten wir bereits 2019 fast
40 Prozent der Menschen, die gesagt haben: Ich nehme an dieser Wahl nicht
teil, weil es sich
für mich einfach aus den Erfahrungen heraus, die ich gemacht habe, nicht
mehr auszahlt!
Wir haben – Sie erinnern sich – bei
der aktuellen Nationalratswahl eine Steigerung der Wahlbeteiligung
gehabt – was immer schön ist in einer Demokratie,
wenn mehr Menschen zur Wahl gehen –, aber was wir aktuell sehen,
ist, dass das fast ausschließlich das obere und mittlere
Einkommensdrittel betrifft. Also in den
beiden Gruppen, in denen das Vertrauen auch wieder ein bisschen gestiegen ist,
ist auch die Wahlbeteiligung gestiegen. Im unteren Einkommensdrittel ist es
nicht gelungen, die Menschen davon zu überzeugen, häufiger zur Wahl
zu gehen. Da haben wir also inzwischen diese über 40 Prozent, die
sich entschlossen haben, nicht hinzugehen.
Jetzt kann man natürlich fragen – na gut,
auf der einen Seite sind das jetzt alles sozusagen subjektive Wahrnehmungen,
die ich Ihnen da erzähle, das ist das, was die Menschen erleben, was sie
uns berichten, die Erfahrungen, die sie im Alltag
machen –: Stimmt denn das, dass ihre Anliegen sozusagen nicht
berücksichtigt werden, dass sie irgendwie weniger
zählen? – Und da wissen wir aus der US-amerikanischen
Demokratie, aus der Demokratie in Großbritannien schon sehr, sehr lange –
da gibt es schon Studien aus den Sechzigerjahren, die uns das
zeigen –:
Es ist tatsächlich so, dass das, was sozusagen in den Parlamenten auch
umgesetzt wird, mehr oder weniger das ist, was die oberen Einkommensgruppen
sich
wünschen, wofür sie auch stehen.
Wir hatten sehr lange keine
Ergebnisse für europäische Demokratien, Demokratien unseres Zuschnitts und haben uns auch dann immer
gut rausreden können im
Sinne von: Bei uns ist das sicher nicht so, weil unsere Demokratie
funktioniert einfach anders! Wir haben öffentlich finanzierte
Wahlkämpfe, öffentlich finanzierte
Parteien, das funktioniert alles ganz anders! Inzwischen gibt es aber Studien,
die traurigerweise auch darauf hinweisen, dass es bei uns gar nicht so
viel anders ist.
Kollegin Elsässer hat sich das für den Bundestag in Deutschland angeschaut
und auch festgestellt – über einen Zeitraum von
30 Jahren –: Das, was umgesetzt wird,
sind im Grunde die Anliegen der oberen Einkommensgruppen. Sobald sich sozusagen
die unteren und oberen Einkommensgruppen unterscheiden, in dem, was sie
gerne hätten und in ihren politischen Anliegen, gewinnen sozusagen die
oberen. Also da sehen wir schon auch, dass diese ökonomische Ungleichheit,
die auch mit
einer ungleichen Wertigkeit zusammenhängt, einer ungleichen Variante
mitbestimmen zu können, letzten Endes auch zu einer politischen
Ungleichheit führen
kann, etwas, wo man, denke ich, sehr aufpassen muss.
Positiv sozusagen ist, dass wir
gesehen haben, das ist eine Auswirkung, dass die Menschen sich dann
einfach nicht mehr beteiligen. Was wir noch nicht sehen, ist,
dass sich das auch darauf auswirkt, ob die Menschen die Demokratie im
Allgemeinen als ein gutes System betrachten. Da sehen wir über die Jahre
hinweg – und
das setzt sich auch heuer wieder fort – eine sehr stabile Mehrheit
bei uns in Österreich, die sich für die Demokratie als beste
Staatsform ausspricht. Das ist nur
ein Beispiel davon, da gibt es sehr viele
Dinge, die wir erheben, und das zeigt sich eigentlich durch die Bank, da
tut sich auch nicht viel. Dieser Wert von Demokratie, dieses
Grundsätzliche: Ich möchte auch in einer Demokratie leben, ich finde
die Demokratie gut und besser als andere Systeme!, ist hier sehr stabil.
Wir haben auch versucht, noch
ein bisschen weiter reinzugehen, weil es dann
doch sehr abstrakt ist, Demokratie als beste Staatsform sozusagen, und haben
dann tatsächlich einfach die Menschen gebeten, zu sagen: Wenn sie sich
für etwas entscheiden müssten, was würden Sie dann tun?
Würden Sie unser parlamentarisch-demokratisches System, so wie wir es
jetzt in Österreich haben, beibehalten,
oder wären Sie für ein anderes System, zum Beispiel eine Diktatur auf
Zeit oder eine Art von Experten-/Expertinnenregierung oder auch ein Schweizer
Modell?
Und Sie sehen hier: Das einzige Modell, das unserer Demokratie tatsächlich
eine Konkurrenz bieten kann, ist das Schweizer Modell. Das heißt
letzten Endes auch –
und das ist, denke ich, auch ein sehr schönes Ergebnis –, dass
es den Menschen in erster Linie nicht darum geht – oder
eigentlich gar nicht darum geht –, weniger mitzubestimmen, sondern
genau im Gegenteil: Es geht um mehr Mitbestimmung, und das ist das, wofür
das Schweizer Modell auch steht.
Natürlich ist es da
wichtig, zu erkennen, dass das Schweizer Modell eine ganz
andere politische Kultur ist, die auch auf ihre Art und Weise gelernt werden
muss, und es natürlich – wir
haben es beim Brexit zum Beispiel gesehen –, wenn man sehr
komplexe Fragen auf einfache Ja-/Nein-Fragen herunterbricht, auch nicht sehr
viel Sinn hat und das sehr starke Auswirkungen hat.
Darum geht es nicht. Wir fragen
auch immer wieder Folgendes: Wie ist es
denn, soll die Bundesregierung in Österreich Beteiligungsrechte zum
Beispiel abbauen, ausbauen? Soll es so bleiben, wie es ist? Oder die
Unabhängigkeit der Justiz oder die Unabhängigkeit der Medien oder
auch die Versammlungsfreiheit
oder die Rechte des Parlaments betreffend, wo es eben darum geht: Was ist es?
Möchten die Menschen ein System, wie man sich vielleicht ein Schweizer
System vorstellen kann, wo man einfach jeden Tag dreimal über irgendetwas
abstimmt und dann ist das erledigt? – Nein. Wir sehen da sehr
schön: Auf der
einen Seite sollen Beteiligungsrechte ausgebaut werden, gut, aber es sollen
schon auch die Rechte des Parlaments auf jeden Fall so bleiben, wie sie sind.
Die Versammlungsfreiheit soll ausgebaut werden, die Unabhängigkeit der
Medien, die Unabhängigkeit der Justiz soll ausgebaut werden. Das
heißt, es geht nicht
darum, ein parlamentarisches System durch ein Volksbefragungssystem in
irgendeiner Art und Weise zu ersetzen, sondern es geht schon darum, die
unterschiedlichen Varianten der Demokratie, wo Dinge entschieden werden, zu
stärken, so wie wir sie jetzt haben, und dann vielleicht noch die
Beteiligungsrechte dazu ein bisschen auszubauen.
Das ist diese Grundvorstellung,
die die Menschen in Österreich haben, und das ist auch das, was ich Ihnen
hier heute gerne ein bisschen mitgeben wollte: dass
wir auf der einen Seite schon sehen, dass dieses Vertrauen sinkt, gerade in
unserem unteren Einkommensdrittel, aber auf der anderen Seite die positive
Entwicklung, wo jetzt tatsächlich die Frage im Vordergrund
steht, wie es gelingt, auch das untere Einkommensdrittel wieder in die
Demokratie reinzuholen, auch selbstwirksam zu machen.
Ein ganz, ganz zentraler Aspekt,
den ich hier erwähnen möchte, ist, weil wir ja auch sehr viel an
Beteiligungsmöglichkeiten schaffen – ich glaube, die Stadt Wien
ist da mit sehr vielen Dingen, wo man sich beteiligen kann, auch
Vorreiterin –: Das Schwierige ist, dass es gerade für das
untere Einkommensdrittel nicht einfach
ist, sozusagen nach der Arbeit auch noch dort hinzugehen, und deswegen
möchte ich auch noch einmal dafür plädieren – und wir
haben es am Beginn, in der ersten Begrüßungsrede, auch schon gehört –,
dass wir nicht vergessen dürfen, Demokratie findet nicht nur alle
fünf Jahre bei der Wahl statt oder wenn ich jetzt eine Bürgerinitiative
gründe oder vielleicht einmal auf eine Demonstration gehe, sondern Demokratie
muss im Alltag der Menschen, in den Schulen, vor allem auch in der
Arbeit verhaftet sein. Gerade für das untere Drittel ist das ganz zentral.
Das sind Menschen, die bislang sehr, sehr wenige positive Erfahrungen mit Demokratie
und Beteiligung gemacht haben. Die müssen wir dort erreichen, wo
sie sich im Alltag schon befinden, und das ist bei den Jüngeren in den
Schulen, bei den Älteren in der Arbeit.
Hier sehen
wir, dass wir da tatsächlich sehr viel erreichen können, und wir
sollten noch einmal darüber nachdenken, was wir da machen können,
denn: Letzten Endes braucht es diese positiven Alltagserfahrungen mit
Demokratie, damit
ein Vertrauen aufgebaut werden kann, das dann auch weiterwirkt, damit die
Bevölkerung sozusagen ihre Aufgabe, ihren Teil der Widerstandskraft
in der Demokratie, die potenziell von außen und von innen
bedroht wird, auch erfüllen kann. – Vielen Dank. (Beifall.)
9.50
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen.
Ich darf nun Frau Dr.in Martina Salomon um ihren Beitrag zum Thema „Demokratie und Medien“ ersuchen. – Bitte, Frau Salomon.
9.50
Dr. Martina Salomon („Kurier“): Guten Morgen! Danke für die interessanten Vorreden.
Ich stehe hier als Vertreterin der sogenannten vierten Gewalt, der Medien, vor Ihnen – sogenannten deswegen, weil die Staatstheorie der Gewaltenteilung ja bereits 275 Jahre alt ist und sich in der Zwischenzeit einiges verändert hat. Auch die Trennung von Gesetzgebung und Exekutive ist nicht immer nach der reinen Lehre durchgehalten worden.
Demokratiepolitisch haben die Medien aber eine eminent wichtige, ja eine unersetzliche Aufgabe. Wir schauen Ihnen, der Politik, auf die Finger. Wir tun es seit Aufhebung der Zensur infolge der bürgerlichen Revolution des Jahres 1848.
Es waren die gedruckten Zeitungen,
die praktisch ein Jahrhundert lang das Monopol auf die öffentliche und auf die veröffentlichte Meinung
hatten. Erst mit der
Erfindung des Radios – das ist übrigens heuer genau 100
Jahre her – hat das gedruckte Wort damals auch Konkurrenz
bekommen. Wirklich kritischer
und unabhängiger Journalismus hat in diesem Medium allerdings erst nach
der Rundfunkreform des Jahres 1967/68 stattgefunden. Gerd Bachers sogenannte Informationsexplosion
im ORF hat die vierte Gewalt mit Sicherheit gestärkt. Die privaten
Zeitungen blieben weiter relevant.
Doch seit gut einem Jahrzehnt sind die klassischen Medien
unter Druck
geraten, weniger durch die Politik, wie das in vielen anderen Ländern der
Fall ist. In Österreich gibt es zwar medienpolitisch tatsächlich einiges
zu tun, aber der
freie Journalismus ist Gott sei Dank trotz anders lautender Unkenrufe noch
immer Realität. Er ist aber durch vier Punkte gefährdet, und die
möchte ich Ihnen
vortragen.
Gefährdung Nummer eins:
Immer weniger Menschen sind
bereit, für journalistische Inhalte zu zahlen, und wir sehen die Vorboten
der Rezession leider mit dem zunehmenden Einbrechen
des Werbevolumens. Mehr als jeder zweite Euro wandert außerdem bereits in
Richtung internationaler Plattformen. Die Marktmacht von Google, Facebook
und Co bedroht das Geschäft nationaler Marken massiv. Im Vorjahr war zum
ersten Mal dieser Dammbruch, dass mehr als die Hälfte dorthin
fließt. Wertschöpfung
findet damit immer weniger in Österreich statt. Alles zusammen führt
damit leider zu Sparpaketen in den Redaktionen und zum Sterben von Verlagen und
Medien.
Das kostet Arbeitsplätze, das geht auf Kosten der Vielfalt.
In den USA gibt es mittlerweile nicht einmal mehr ernsthafte Regionalmedien und nur noch wenige Brands, die sich Milliardäre leisten. Sie wissen, Jeff Bezos hat die „Washington Post“ gekauft, Elon Musk besitzt die Plattform X, vormals Twitter. Diese Plattformen sind die neuen weltweiten Massenmedien. Wenn ein verhaltensorigineller Manager wie Musk mit seinen Tweets locker 20 oder mehr Millionen Menschen erreicht, dann ist das wohl so etwas wie die fünfte Macht im Staat.
In Wahrheit befinden sich die
vom Staat unabhängigen Medienhäuser in Österreich in einem
Zangengriff zwischen den amerikanisch dominierten Superkonzernen
und der Marktmacht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der ORF ist durch
eine gesetzliche Haushaltsabgabe auf lange Sicht abgesichert. Da sind wir gar
nicht neidisch, aber wer private Verlage in Österreich erhalten sehen
will, die auch mit ihrer Vielfalt die für eine Demokratie essenzielle
Meinungspluralität herstellen,
der muss für entsprechende faire Rahmenbedingungen sorgen.
In den letzten Jahren, eigentlich Jahrzehnten, ist
außerdem eine Schieflage entstanden: Politik und Wirtschaft
rüsten mit immer größeren Kommunikationsabteilungen auf.
Unternehmen und auch Kammern haben neuerdings sogar Newsrooms, sie haben
PR-Agenturen, sie machen Lobbyingarbeit. Damit steht eine
wachsende Armada an Presseleuten den schrumpfenden Redaktionen gegenüber.
Natürlich bedroht das langfristig die journalistische
Unabhängigkeit.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich auch die Frage, wie die stets wachsenden Presseabteilungen ihre Botschaften überhaupt platzieren können, wenn es auf der anderen Seite immer weniger österreichische Medien und Medienplattformen gibt, die Nachrichten und Informationen transportieren können.
Gefährdung Nummer zwei: Digitalisierung und soziale Medien.
Alle Medienhäuser leisten
riesengroße Transformationsanstrengungen. Sie sind auf allen Plattformen
präsent. Sie versuchen, Junge mittels Videos samt Untertiteln zu erreichen,
von Tiktok über Instagram bis Youtube, wie immer auch all die Plattformen
heißen mögen. Dennoch hat sich die Deutungshoheit von uns
Medien, uns klassischen Medien immer häufiger weg verlagert, auch hin zu
politischen Influencern. Das sind viele kleine, aber auch ein paar
mächtige wie der vorhin erwähnte Elon Musk. Er hat die
US-Präsidentschaftswahl beeinflusst und wird einer der großen Profiteure
dieses Wahlausgangs sein.
Die einstigen
österreichischen Parteizeitungen sind, allerdings viel weniger transparent
als früher, im Netz wiederauferstanden. Am modernsten ist da übrigens
die FPÖ, weil sie sich zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht ausgegrenzt
fühlte. In den klassischen Medien ist sie schneller neue Wege gegangen und
den anderen Parteien voraus. Der relative
Erfolg der FPÖ in den sozialen Netzen
erklärt sich auch damit, dass Opposition eben grundsätzlich
von Zuspitzung lebt und damit die Mechanismen der sozialen Medien besser
bedienen kann.
Auf Social Media erhalten die Aussagen mehr Aufmerksamkeit. Likes sind die neue Währung. Man gewöhnt sich an Extrempositionen, und Verrücktheiten verleiten zur Nachahmung. Das kann, wie kürzlich tragischerweise in Wien passiert, im schlimmsten Fall sogar tödliche Folgen haben: Zwei U-Bahnsurfer sind für ein besonders geiles Insta-Video gestorben.
Die sozialen Medien sind
einerseits eine großartige Errungenschaft, das darf man auch nicht
kleinreden. Dort kann sich niederschwellig jeder informieren, vernetzen
und auch seine Meinung kundtun. Der einstige Traum vom Bürgerjournalismus
ist in Erfüllung gegangen: Jeder/jede kann Journalist sein. Es ist
einfach, kostet praktisch nichts, und mit ein bisschen Glück geht ihr
Tweet viral.
Die Kehrseite der sozialen
Medien sind eine ungehinderte Verbreitung von Desinformation und
Verschwörungstheorien, die Entstehung von Echokammern, Hass
und Aggression im Schutz der Anonymität. Ich kann daher der vom
Bundesratspräsidenten angesprochenen Klarnamenpflicht einiges
abgewinnen, auch wenn
das für manche Medien, deren Reichweite und damit Werbevolumen vor allem
von ihrer Postercommunity abhängt, wirtschaftlich bedrohlich ist.
Von Aggressionen sind Politiker
besonders stark betroffen, wie ich das auch
selber bemerke, und da wiederum die Frauen noch stärker. Ich hoffe, die
Betroffenen lesen nicht diesen Schwall an negativer Energie von oft anonymen
und bezahlten Trollen, der da auf sie niedergeht. Das kann wirklich ihre psychische
Gesundheit beeinträchtigen, und es wirkt sich auch sonst extrem
negativ aus.
Das Image der Politik – das hat uns ja Frau Mag. Zandonella gerade eindrucksvoll gezeigt – ist durch dieses hemmungslose Draufhauen bereits dermaßen beschädigt, dass man schon sehr mutig sein muss, um sich ein politisches Amt überhaupt anzutun.
Was ich heuer für
Österreich, aber noch mehr für die USA im Rahmen der Wahlkämpfe
erwartet habe, ist hingegen interessanterweise nicht eingetreten: dass mit
künstlicher Intelligenz betriebenes Dirty Campaigning stattfindet. Es ist
nämlich unfassbar einfach geworden, jemandem gefälschte Worte in den
Mund zu legen. Das ist für Betrüger aller Art ein Geschenk. Wir
werden daher immer
öfter künstliche Intelligenz einsetzen müssen, um KI zu
enttarnen.
Da kommt wieder der seriöse Journalismus ins Spiel. Er
hat die Erfahrung und die Kontakte, um Dinge einordnen zu können. Das
macht Medien natürlich
nicht fehlerfrei, aber die alte Tugend Check, Re-Check, Double-Check ist noch
wichtiger geworden.
Wie man diesen Ungeist wieder in
die Flasche zurückbekommt, weiß ich
nicht. Wir unterschätzen ja auch, glaube ich, noch immer den Einfluss von
Plattformen wie Tiktok auf die unbemerkte Radikalisierung junger Menschen.
Damit komme ich zur Gefährdung
Nummer drei: der Glaubwürdigkeitsverlust
des klassischen Journalismus – übrigens parallel zur Politik.
Beides ist schlecht für die
Demokratie. Der Glaubwürdigkeitsverlust der Medien hat mehrere Ursachen.
An den linken und rechten Rändern gehört Medienbashing sozusagen zum
guten Ton. „Systempresse“ ist zum Kampfbegriff geworden. Im Laufe
der Pandemie und vor allem durch die ohnehin nie in Kraft getretene Impfpflicht wurde
der Ton noch einmal schärfer. Die Maßnahmenkritiker unterstellten
den Medien fälschlicherweise, mit der
Regierung und sogar mit der Pharmaindustrie
im selben Boot zu sitzen. Das ist natürlich ein Unsinn, der aber
von vielen, die keine Kenntnis von den wirklichen Strukturen haben, geglaubt
wird. Kann sein,
dass wir damals manches zu wenig kritisch hinterfragt haben, aber es geschah
nach bestem Wissen und Gewissen. Wir wollten vor allem verantwortungsvoll
sein, Tod und Krankheit vermeiden, indem wir die Menschen informieren. Wir
folgten damals dem, was State of the Art in der Wissenschaft war.
Rückblickend sind
alle, auch Wissenschaft und Politik, gescheiter.
Ich halte es für sehr
problematisch, wenn eine politische Partei die Spaltung der Gesellschaft
zu diesem Thema immer und immer wieder befeuert, um selbst politisches Kapital
daraus zu schlagen. Natürlich ist der Glaubwürdigkeitsverlust der Medien
zum Teil auch eigenverschuldet. Der viel zitierte Haltungsjournalismus,
das Medium als Erziehungsanstalt – das war eine
Fehlentwicklung.
Eine Fehlentwicklung war auch
die zumindest versuchte Einengung des Meinungsspektrums innerhalb der Medienbranche. In der Pandemie wurde das meiner
Beobachtung nach noch stärker, weil sich viele Journalisten mangels
Alternativen quasi um das Twitter-Lagerfeuer und dessen Leitfiguren geschart
haben
und sich gegenseitig in ihrer moralischen Erhabenheit bestätigt haben. Wer
an diesem Tummelplatz der Eitelkeit auch nur einen Millimeter vom Meinungsstrom
der Migrations- oder der Klimapolitik abwich, wurde als Dummkopf bis
Rassist beschimpft. Es gab und gibt regelrechte Kampagnen gegen
Andersdenkende – selbst in der eigenen Branche. Die Demagogen auch
in den Medien hatten Hochkonjunktur und haben in ihrer Überheblichkeit gar
nicht bemerkt, wie sie sich noch mehr von den Bürgern entfernten, wie sie
immer mehr den klassischen Journalismus selbst unterminierten.
Erstaunlicherweise hat das alles
aber keinen oder auch nur geringen Eindruck auf die Wählerinnen und
Wähler gemacht; das gilt von den österreichischen Wahlen
bis zur Trump-Wahl in den USA. Auch die diversen Wahlempfehlungen
populärer Stars mit Hunderten Millionen Followern im Netz sind politisch
sinn- und wirkungslos – denken Sie nur an Taylor
Swift! –, und die ganze Heerschar von Hollywoodgrößen,
die gegen Trump mobil machte, blieb ungehört. Das
Wahlvolk unterscheidet da ziemlich genau.
Damit bin ich schon bei
Gefährdung Nummer vier angelangt, der Nachrichtenmüdigkeit. Wenn
es einen absoluten Overkill an Krisen gibt – und den gibt es
momentan leider –, dann tritt beim Konsumenten die sprichwörtlich
gewordene Newsavoidance, die Nachrichtenvermeidung, ein. Man will nichts mehr
über Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, über Koalitionskrise,
über Budgetdefizit, Wetterkatastrophen, Unfälle lesen und hören,
es hat sich Erschöpfung breitgemacht. Das ist ein Problem für Medien
wie für die Politik.
Daher mein Fazit: Ich glaube,
wir alle müssen wieder mehr den Dialog pflegen,
mehr Respekt vor anderer Meinung haben. Ich wünsche mir weniger Häme
und auch die erwähnten Brücken, wie sie im Titel dieser Veranstaltung
stehen – in der
Politik und in den Medien. Und auch wenn das mit der nächsten
Koalition – natürlich – nicht einfacher wird,
wir Medien sollten dabei Kompromisse nicht
immer als Schwäche betrachten und eine positive Einordnung politischer
Arbeit nicht als vorauseilenden Gehorsam. Medien und Politik sind keine
Partner, aber
auch keine Feinde, und in einer funktionierenden Demokratie gibt es
Medienvielfalt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
10.03
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Salomon, für Ihre Ausführungen.
Panel 1 ist damit abgeschlossen, ich bedanke mich für Ihre Beiträge.
Diskussion
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir gelangen nun zur anschließenden Diskussion zu Panel 1.
Ich darf an dieser Stelle noch
einmal darauf hinweisen, dass die Redebeiträge die Dauer
von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche gleichzeitig,
diese Vorgabe einzuhalten. Ich darf auch in diesem Fall darauf hinweisen,
dass das rote Lämpchen am Redner:innenpult 1 Minute vor Ende der
Redezeit
zu blinken beginnt.
Als Erster in der Debatte zu Wort gemeldet ist Herr Christian Wigand von der Europäischen Kommission. – Bitte, Herr Wigand, Sie haben das Wort.
10.03
Christian Wigand (Europäische Kommission): Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte
Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Vertreter der
Europäischen Kommission in
Österreich ist es mir sehr wichtig, hier auch ein paar Worte zu diesem
wichtigen Thema zu sagen, denn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind das
Fundament der Europäischen Union.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Demokratie in
der Europäischen Union vor großen Herausforderungen steht, etwa
aufgrund verdeckter Einflussnahme
aus dem Ausland – wir haben gerade vorexerziert bekommen, vor wie
wenig der Kreml zurückschreckt, etwa in der Republik Moldau oder in
Georgien –, aufgrund steigenden Extremismus und natürlich
Desinformation, manipulativer Information; wir haben schon
darüber gehört. Daher – der Herr Präsident hat es
auch schon angedeutet –: Demokratie ist keine
Selbstverständlichkeit mehr.
Auf europäischer Ebene
haben wir betreffend Stärkung der Demokratie gemeinsam bereits einige
Fortschritte erzielt; denken Sie etwa an den Digital Services Act,
der die großen Plattformen stärker in die Pflicht nimmt, denken Sie
an
die neuen Transparenzregeln für politische Werbung und nicht zuletzt auch
an den Rechtsstaatlichkeitsbericht oder das Medienfreiheitsgesetz, denn
funktionierende Institutionen und freie Medien sind Säulen der
Demokratie.
Der Schutz der Demokratie wird
auch einer der Schwerpunkte der neuen Kommission sein. Präsidentin von der
Leyen hat angekündigt, dass die neue Kommission
einen Vorschlag für einen europäischen Schutzschild der Demokratie
ausarbeiten wird, der an viele der heute diskutierten Punkte anknüpfen
wird. Bei dieser
und anderen Initiativen geht es im Wesentlichen um vier Schwerpunkte, die ich
kurz skizzieren möchte:
Erstens: Maßnahmen gegen
Desinformation und Einflussnahme aus dem Ausland. Die Zeit der Naivität
ist vorbei. Wir wollen die Kapazitäten stärken, wir wollen
den Informationsaustausch auf europäischer Ebene weiter stärken und
die EU besser gegen Falschinformation wappnen.
Zweitens geht es darum, das Bewusstsein für Desinformation in der Bevölkerung zu stärken. Da geht es natürlich ganz zentral auch um die Medienkompetenz nicht zuletzt der jüngeren Generation.
Drittens werden wir
Maßnahmen zur Wahrung der Fairness und Integrität
von Wahlen und der demokratischen Kontrolle weiterentwickeln.
Nicht zuletzt möchten wir
die Teilnahme am Demokratieprozess weiter festigen, etwa in Form von
Jugenddialogen und Bürgerforen, damit Bürgerinnen und Bürger
ihre Vorstellungen in die Politikgestaltung möglichst gut einbringen
können. Ich denke, hier können die nationalen
Parlamente – und werden sie sicher auch – eine besonders
wichtige Rolle spielen.
In diesem
Sinne bedanke ich mich dafür, dass Sie dieses wichtige Thema heute auf die
Tagesordnung gesetzt haben, und freue mich auf gute Zusammenarbeit und
weiteren Austausch. (Beifall.)
10.06
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihren Beitrag.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Arpa. – Bitte, Frau Arpa.
10.07
Bundesrätin Mag.a Claudia Arpa (SPÖ/Kärnten):
Herr Präsident! Geschätzter
Herr Landeshauptmann! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen und alle
Zuhörerinnen und Zuhörer, die uns
heute folgen! Zunächst möchte ich unserer Republik gratulieren, denn
sie feiert heute ihr 106-jähriges Jubiläum, und damit komme ich
gleich zum Punkt meiner Rede: Was passiert, wenn die Brücke unserer
Demokratie
zu wackeln anfängt, sich Risse bilden und sie einzustürzen droht?
Genau an diesem Punkt, könnte man meinen, steht unsere Demokratie, denn
wir verlieren das Fundament unserer Gesellschaft, wir verlieren die Basis
für ein gerechteres Zusammenleben und teilweise auch die
Möglichkeit der Mitbestimmung.
Was sind denn die Ursachen der Erschütterung unserer
Demokratie? – Da möchte ich gerne an das anschließen, was
Frau Dr. Salomon vorhin gesagt hat, und den
Fokus auf die Demokratie und die Medien richten.
Auf sozialen Netzwerken verbreiten sich Informationen,
insbesondere emotional aufgeladene Nachrichten, sehr schnell, oft ohne
Qualitätskontrolle. Dadurch können sich Falschinformationen
und Desinformation verbreiten, die öffentliche Meinung beeinflussen und
das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben;
denn wenn Menschen nicht mehr sicher sind, welche Informationen
verlässlich sind, entsteht ein Nährboden für Misstrauen und auch
für Verschwörungstheorien.
Soziale Netzwerke – das haben wir vorhin schon
gehört – neigen ja auch dazu, Inhalte anzuzeigen, die bereits
bestehenden Ansichten und Interessen des Nutzers
oder der Nutzerin entsprechen. Spaltung ist so ganz einfach zu erzielen.
Zum einen sind wir alle
unterschiedlich informiert und haben dadurch auch unterschiedliche
Wirklichkeiten. Die Plattformen, auf denen wir uns befinden,
füttern uns nämlich genau mit diesem unserem Weltbild und verfestigen
es auch. In Wahlkämpfen – auch das haben wir vorhin schon
gehört – spielt das auch
eine große Rolle, indem gezielt Information oder auch Desinformation
eingesetzt wird. Diese Echokammern führen zur Spaltung der Gesellschaft,
weil sie die Polarisierung verstärken und den konstruktiven
Dialog einfach erschweren.
Außerdem: Was funktioniert
noch besonders gut im Netz? – Wut und Empörung. Wut
verstärkt in Menschen immer den Antrieb, viel zu klicken, zu kommentieren
und zu liken. Da fragen wir uns ja selbst: Wo reagieren wir am schnellsten, was
löst bei uns die meisten Emotionen aus? – Sorge, Krisen,
Demokratie, aber auch Einzelmeinungen, zum Beispiel, wenn man zuletzt ein
bisschen durch Facebook oder auch Instagram gescrollt ist, auch Thomas Gottschalk.
Das führt einfach auch
dazu, dass natürlich die Gesprächskultur leidet.
Aber was ist die
Alternative? – Die Alternative, da möchte ich noch einen Punkt
dazu bringen, ist die Transparenz und auch der Qualitätsjournalismus.
Demokratie
muss gelebt werden. Demokratie braucht ihren Ausdruck im lebendigen Tun und
Sein, in einem Miteinander.
Dieses
Miteinander ist ein Prozess, der ständig reflektiert und
überprüft werden muss – so wie es auch in jeder
Beziehung notwendig ist. In diesem Sinne ist dieses Miteinander auch immer
eine große Chance, voneinander zu lernen und
auch den eigenen Blick zu schärfen. Verlassen wir unsere Echokammern,
gehen wir aufeinander zu, hören wir
einander zu, treten wir in den Dialog und finden wir
wieder gemeinsame Lösungen! Die Kunst der Kompromisse, die Teilhabe
am großen Tisch der Demokratie sind das Fundament für unsere Zukunft
und auch für
unsere Gesellschaft. – Herzlichen Dank. (Beifall.)
10.10
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Henrike Brandstötter. – Bitte.
10.10
Abgeordnete Henrike Brandstötter (NEOS): Wir
haben heute schon sehr
viel von diesem roten Lämpchen gehört, und für alle, die die
Geschichte nicht kennen: Das rote Lämpchen ist ein Relikt aus der Zeit,
als der ORF noch gefilmt hat.
Man hat so den Abgeordneten gesagt: Achtung, jetzt wird auf teurem Film
1 Minute gefilmt!, und wenn das Lämpchen wieder ausgegangen ist, dann
konnte man
wieder entspannen und normal dahinreden.
Heute sind wir dauernd online. Wir kommunizieren die ganze Zeit als Produzent:innen, aber auch als Konsument:innen, mit all den Abrisskanten.
Es war heute auch schon die Rede von der Klarnamenpflicht,
und es ist mir ein persönliches Anliegen, hier ganz klar gegen die
Klarnamenpflicht aufzutreten. Ich bin Frau, ich bin Politikerin und ich spreche
auch sicher für viele Kolleginnen und
auch Kollegen, wenn ich sage, dass wir alle die Erfahrung machen, dass uns
Menschen mit einem fantastischen
Facebook-Profil, in dem sie sich mit den Enkelkindern,
mit den Katzerln in einer natürlichen Umgebung zeigen, mit vollem
Klarnamen die gemeinsten Vergewaltigungsfantasien und Gewaltandrohungen
schicken.
Eine Klarnamenpflicht schützt nicht davor, dass das
passiert, jedoch sorgt sie dafür, dass Menschen, die ihre Regierungen
kritisieren, die Autokratien kritisieren,
nicht mehr die Möglichkeit haben, sich frei auszudrücken und Angst
haben müssen; deshalb ein ganz klares Nein zur Klarnamenpflicht.
Der Punkt, auf den ich jetzt aber kommen möchte und der mein großes Anliegen ist – ich möchte nämlich auch die Gelegenheit nutzen, dass Sie alle, auch aus den Bundesländern, hier sind –: Wir müssen an vielen Schrauben drehen.
Die wichtigste Schraube ist heute schon erwähnt worden,
nämlich dass wir in
die Schulen gehen müssen. Wir brauchen Unterrichtsfächer, in denen es
auch darum geht, wie man denn eigentlich in einer Demokratie miteinander
lebt – als
Ergänzung übrigens zu dem bestehenden Fach, in dem es um digitale
Grundbildung geht.
Wir brauchen
Medienkompetenzbildung und -schulungen aber auch im Erwachsenenbereich. Wir
brauchen all hands on deck. Die NGOs, die Zivilgesellschaft, der ORF, die
Industrie, Kulturinstitutionen, Regierungen, Landesregierungen,
alle müssen ihre Pforten öffnen. Jeder muss seinen Beitrag leisten,
um Menschen in einer Welt, die immer mehr von KI gesteuert wird, in der sich
Menschen immer
öfter die Frage stellen: Stimmt denn das überhaupt, was ich hier sehe
oder lese?, beizubringen, zu lernen, ein bisschen wie Journalist:innen zu
denken und zu
arbeiten, um besser Desinformation und Fakenews zu begegnen.
Ich glaube,
wir brauchen diesbezüglich eine nationale Anstrengung, wir kommen nicht darum herum. Ich bitte darum, dass alle auch ein
bisschen darüber nachdenken,
was wir in unserem Bereich denn einbringen können, um gemeinsam mit
anderen Institutionen besser zu werden, Menschen zu schulen –
auch in der Erwachsenenbildung. – Vielen Dank. (Beifall.)
10.13
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Nationalratsabgeordnete.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat
Christian Buchmann. –
Bitte, Herr Bundesrat.
10.14
Bundesrat Mag. Christian
Buchmann (ÖVP/Steiermark): Sehr geehrte Damen und Herren!
Geschätzter Herr Präsident! Das Thema der heutigen Enquete ist,
wie ich meine, gut gewählt. In Zeiten multipler Krisen und großer
Herausforderungen, die Unsicherheiten für unsere Mitbürgerinnen und
Mitbürger mit sich bringen,
ist es gut, sich über Demokratie und die Entwicklungen der Demokratie
zu unterhalten.
Ich möchte drei ganz kurze Schlaglichter auf dieses Thema werfen.
Erstens – da wir in
einer Länderkammer sind und unsere Kommunen hier eine wichtige Rolle
spielen –: Das Vertrauen unserer Mitbürgerinnen und
Mitbürger ist zu jenen
Gebietskörperschaften am größten, die nahe am Bürger, am
Mitmenschen
sind. Das sind nun einmal unsere Gemeinden, das sind nun einmal unsere
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, unsere Gemeinderäte, die
vor Ort nahe am Bürger versuchen, die Probleme, die auf kommunaler Ebene
lösbar sind,
zu lösen.
Aus dieser Nähe am Mitbürger sollten wir gemeinsam auch als Parlamente lernen und gemeinsam Instrumente weiterentwickeln, um diese Dynamik entsprechend zu unterstützen.
Zweite Bemerkung: Der
österreichische Bundesrat versteht sich nicht nur
als Zukunftskammer, sondern auch als Europakammer. Und weil der Vertreter der
Europäischen Kommission heute hier ist – ich freue mich sehr
darüber, dass
Sie hier sind –, eine Bemerkung: Ich glaube, dass Europa gut beraten
ist, unter seinen 27 Mitgliedern und 270 Regionen in Europa auch
einen Wettbewerbsföderalismus zuzulassen. Ich werbe sehr stark
dafür. Ich meine damit nicht nur Innovationen, die wirtschaftlich oder
technologisch getrieben sind, sondern auch soziale Innovationen, aus denen
wir wechselseitig lernen können. Daher ist es wichtig, auf diesen
Wettbewerbsföderalismus zu setzen.
Geschätzter Vertreter der
Europäischen Kommission, man könnte endlich mit
dem Unwesen der delegierten Rechtsakte aufhören. Das sind Regelungen, die
nicht nahe am Bürger sind und daher auch selten vom Bürger verstanden
werden.
Drittens –
weil meine Redezeit zu Ende ist –: Der heurige Nobelpreis für
Wirtschaftswissenschaften ist an drei Wirtschaftswissenschafter vergeben
worden, die nachgewiesen haben, dass jene Regionen, in denen es Institutionen
gibt,
die für soziale Sicherheit, für Wohlstand eintreten, better off sind,
also besser dran sind. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, auch die
Institutionen bei uns
im Lande zu stärken, Stichwort Sozialpartnerschaft. – Danke
für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
10.16
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Bundesrat.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Maria Fischer. – Bitte, Frau Bundesrätin.
10.17
Bundesrätin Maria
Fischer (SPÖ/Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Wenn wir über die Zukunft unserer Demokratie sprechen,
dann sprechen wir über das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger
in unsere Institutionen und das Vertrauen in die Politik als Ganzes.
Bürgernähe
und politische Mitbestimmung sind dabei keine netten Zugaben, sondern
essenzielle Elemente einer funktionierenden Demokratie.
Es ist mir sehr wichtig, einige Ansätze, wie wir diesen wichtigen Brückenschlag schaffen können, aufzuzeigen.
Der erste und zentrale Ansatz
lautet: Transparenz schaffen und Demokratie
für die Menschen greifbar machen. Wir müssen politische
Entscheidungsprozesse sichtbarer gestalten und den Bürgerinnen und
Bürgern regelmäßig Einblicke
geben, wie Gesetze entstehen, aber auch, welche Argumente und welche Interessen
dabei abgewogen werden müssen.
Ein transparenter Staat, der
Entscheidungen nachvollziehbar und zugänglich
macht, schafft Vertrauen. Digitale Plattformen können da auch eine
wertvolle Unterstützung sein – beispielsweise wenn es
zugängliche Portale gibt, die tagesaktuelle Informationen und
Erklärungen zu laufenden politischen Prozessen bieten.
Ein zweiter Ansatz wäre
meiner Meinung eine verstärkte Bürgerbeteiligung
auf lokaler und regionaler Ebene. Wenn wir Menschen vor Ort an Entscheidungen,
die ihre unmittelbare Umgebung betreffen, beteiligen, dann fühlen sie sich
gehört
und gesehen. Bürgerforen und Beteiligungsmodelle schaffen Räume, in
denen Menschen ihre Ideen, ihre Sorgen, ihre Ängste einbringen
können. Diese Modelle fördern nicht nur die politische Mitbestimmung,
sondern auch
das Verständnis für die oft schwierigen Kompromisse, die in einer
pluralistischen Gesellschaft unvermeidbar sind.
Mir als Bürgermeisterin ist
es sehr wichtig, dass die Ideen und die Sorgen
der Bürgerinnen und Bürger sehr ernst genommen werden. Ich bin davon
überzeugt, dass in sehr vielen Gemeinden in Österreich genau das
passiert, und genau das
sollten wir uns alle als Vorbild nehmen.
Bürgernähe bedeutet
auch, alle Menschen anzusprechen und niemanden zurückzulassen. Wir
müssen Hürden abbauen, politische Partizipation inklusiver gestalten. Gerade jene Gruppen, die sich oft
abgehängt fühlen – junge Menschen, Menschen mit
Migrationshintergrund, jene aus benachteiligten Regionen, aber auch,
wie wir heute gehört haben, Menschen aus dem unteren
Einkommensdrittel –, müssen wir aktiv einbinden.
Das kann geschehen mit gezielter
politischer Bildung an Schulen, indem
man im sozialen Bereich ansetzt, das Bewusstsein für Mitbestimmung
stärkt und die Fähigkeiten, zu vermitteln, dass man sich politisch
engagieren kann. Wir
könnten überlegen, wie wir Initiativen und Referenden
zugänglicher gestalten und gleichzeitig sicherstellen, dass sie
verantwortungsvoll genutzt werden.
Direkte Demokratie ist eine
wertvolle Ergänzung zur repräsentativen Demokratie, wenn sie durch
ausreichende Informationsangebote und Debattenräume
begleitet wird. Es braucht Struktur, damit Volksbegehren und Referenden zu
durchdachten Entscheidungen führen und nicht zum Spielball von
Einzelinteressen
werden.
Abschließend
möchte ich betonen, dass Bürgernähe und Mitbestimmung keine Einbahnstraßen
sind. Wir, die Politik, müssen genauso auf die Menschen zugehen
wie sie auf uns. Wenn wir es schaffen, Brücken zu bauen, Menschen wirklich
abzuholen, können wir das Vertrauen in die Demokratie stärken
und sicherstellen,
dass diese Demokratie auch in Zukunft lebendig und widerstandsfähig
bleibt. Und das ist mir wichtig. – Danke schön. (Beifall.)
10.20
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Landtagsabgeordneter aus Tirol Sebastian Kolland. – Bitte, Herr Landtagsabgeordneter.
10.20
Sebastian Kolland, BSc
(Abgeordneter zum Tiroler Landtag, ÖVP): Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Geschätzte
Teilnehmerinnen und Teilnehmer!
Geschätzte Expertinnen und
Experten! Ein wichtiges Thema – ohne Frage!
Wie geht es der Demokratie
insgesamt? – Ich glaube, eigentlich geht es der Demokratie
nicht so schlecht, und ich glaube auch, dass die Demokratie eine
hohe Selbstreinigungskraft hat. Das haben wir auch in der Geschichte immer
wieder gesehen. Wir haben das Beispiel Polen gesehen, wo eine Administration
durchaus versucht hat, staatliche Medien unter Kontrolle zu bringen. Die
Menschen haben diese Administration abgewählt. Wir sehen meines Erachtens
derzeit
auch in Ungarn, dass vieles in Bewegung ist. Ein Viktor Orbán war
über Jahre hinweg eigentlich unangefochten, jetzt haben wir einen
Oppositionsführer, der in
Umfragen erstmals vor Viktor Orbán liegt. Ich glaube also, die
Demokratie hat eine hohe Selbstreinigungskraft.
Wir dürfen es uns auf der
anderen Seite nicht zu einfach machen. Ich habe
manchmal das Gefühl, auch in der Kommentierung der US-Wahl, dass viele
begonnen haben, es so hinzudrehen, als wäre das vor allem ein Thema von
Fakenews,
von Desinformationskampagnen, von Manipulation. Ich glaube, wenn man sich die
Ergebnisse im Detail ansieht, war es doch viel mehr.
Ich glaube, das ist der ganz
entscheidende Punkt: Die Menschen sind nicht
von sich aus immer total überzeugte Demokraten, sondern Menschen sind
pragmatisch und Menschen sind vor allem dann Demokraten, wenn sie das
Gefühl
haben, dass die Demokratie imstande ist, Lösungen zu schaffen, die ihr
Wohlstandsversprechen auch einlösen können. Ich glaube, das ist
das Entscheidende.
Demokratie muss auch liefern, sie ist nicht etwas, das für alle Zeiten in
Stein gemeißelt ist, und das ist etwas, woran wir, die wir in allen
möglichen demokratischen Funktionen arbeiten, uns auch immer zu
messen haben.
Ich glaube, es sind zwei Dinge
ganz, ganz entscheidend. Erstens: Ich spüre doch auch in meiner
unmittelbaren Umgebung, dass viele Menschen manchmal das
Gefühl haben, wir beschäftigen uns und auch die Medien beschäftigen
sich mit Dingen, die mit der Lebensrealität der Menschen nur sehr wenig zu
tun
haben. Das Thema ist auch von Frau Dr. Salomon angesprochen worden:
Haltungsjournalismus. Das bedeutet die teilweise wirklich tagelange
Beschäftigung
mit Dingen, die so weit weg von dem sind, was die Menschen tagtäglich
erleben, dass sie irgendwann sagen: Das ist eine andere Welt, in der die zu
Hause sind! –
Das vergrößert den Spalt.
Das Zweite ist, dass die
Demokratie auch zeigen muss, dass sie imstande ist, die großen
Themen unserer Zeit zu lösen. Das Migrationsthema beispielsweise ist
eines davon, und ich glaube, da muss man durchaus selbstkritisch sein. Wir
müssen als Demokraten imstande sein,
auch auf europäischer Ebene Lösungen zu schaffen,
bei denen die Menschen das Gefühl haben: Die haben verstanden,
worum es geht! Die sind bereit, wirklich alles zu geben, um Dinge zu
lösen, die für mich ganz entscheidend sind!
Das ist ein Selbstaufruf an
alle Demokraten hier im Saal, aber auch an alle, die
in Österreich auf allen Ebenen Verantwortung tragen. Wir dürfen es
uns nicht zu einfach machen, wir dürfen nicht sagen, es geht um
Fakenews, es geht um Manipulation, sondern wir müssen uns
vielmehr fragen: Wieso haben denn
diese Botschaften bei vielen Menschen eine so hohe
Resonanzfähigkeit? – Das heißt, das beschäftigt sie,
und deshalb muss es auch uns beschäftigen.
Wir sind als
Demokraten fast dazu verdammt, Lösungen zu finden, die den Menschen das
Gefühl geben, dass die Demokratie die mit Abstand beste Form ist, um
dieses Land zu gestalten. Das, glaube ich, ist die Aufgabe von uns allen, daran
gilt es zu arbeiten, jeden Tag. Ich glaube, das versuchen ganz, ganz viele, und
daran
gilt es auch festzuhalten. Das, glaube ich, ist der zentrale Punkt. Machen wir
es uns nicht zu einfach, sondern seien wir selbstkritisch! Bleiben wir das
auch! Ich
predige das auch in meiner Partei bei jeder Gelegenheit. Ich glaube, dann wird
auch die Demokratie insgesamt wieder an Vertrauen gewinnen. –
Herzlichen
Dank. (Beifall.)
10.24
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für den Beitrag.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Günter Kovacs. Ich erteile das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.
10.25
Bundesrat Günter Kovacs
(SPÖ/Burgenland): Herzlichen Dank, Herr Präsident! Danke auch, Herr
Präsident, für diese wichtige Enquete heute: Demokratie im Parlament, praktisch
im Herzen der Demokratie. Ich möchte mich auch bei
Ihnen, Herr Dr. Dettling, für die Keynote Ihrerseits bedanken, bei
Ihnen, Frau Mag. Zandonella, und bei Ihnen, Frau Dr. Salomon, und
natürlich auch für die beeindruckende Studie, die Sie gebracht
haben, die auch zum Nachdenken bringt.
Wenn 70 Prozent der Menschen aus dem unteren Einkommensdrittel nicht mehr
zufrieden sind, sich nicht mehr gehört fühlen, dann ist das ein
riesengroßer
Appell.
Sie haben es vorhin ja auch
erwähnt: Wir, dieser heutige Personenkreis hier, ist nicht betroffen, aber
diese 70 Prozent sind von vielen Thematiken betroffen, bei
denen sie nicht mehr mitkönnen, wo sie zwar vielleicht die Demokratie
natürlich noch als wichtig anerkennen, sich aber thematisch oft nicht mehr
abgeholt fühlen.
Zu den Zahlen, die sie gebracht haben – von 2018
bis 2023, glaube ich, geht diese Studie –: Das bedeutet in Wahrheit,
dass da die letzten zwei Regierungen
unter die Lupe genommen worden sind. Das war damals eben Schwarz-Blau und
danach Schwarz-Grün, und man muss dann auch kritisch sehen: Was ist in
diesen Jahren passiert?
Vieles ist hier passiert. Die
Menschen fühlen sich eben nicht mehr abgeholt. Ich darf das an einem
Beispiel bringen: Wenn man wirtschaftlich nicht mehr mitkann,
wenn man unter diesen 70 Prozent des unteren Einkommensdrittels ist und
sich bei vielen Themen, Stichwort Leistbarkeit des Wohnens in Österreich,
nicht mehr abgeholt fühlt, dann macht das etwas mit den Menschen; oder man
fühlt sich zum Beispiel beim Thema E-Autos nicht mehr abgeholt, die
propagiert werden. Wenn dann eventuell E-Autos, die 100 000 Euro
kosten, gefördert werden, so ist das nicht demokratisch. Man müsste
eigentlich jene fördern, die es brauchen – ein E-Auto um
20 000, 30 000 Euro ist für viele Menschen schon fast nicht
mehr leistbar, und
man geht von ganz anderen Parametern aus. Da sehe ich schon einen
Schlüssel, was in den letzten Jahren hier in Österreich passiert
ist.
Die
Demokratie ist aber nicht nur ein politisches System, sie ist das
Herzstück unserer Gesellschaft. Sie ermöglicht es, frei unsere
Meinungen zu äußern, Entscheidungen zu treffen und
gemeinsam an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Doch wir müssen uns
bewusst machen, dass Demokratie nicht selbstverständlich
ist. In vielen Teilen der Welt ist sie bedroht – wir
sehen das –, unterdrückt oder gar nicht mehr existent. Wer in
einem demokratischen Land lebt, darf sich glücklich schätzen,
doch zugleich trägt jeder und jede von uns die Verantwortung, sie zu
schützen und zu stärken. – Herzlichen Dank für die
Aufmerksamkeit. (Beifall.)
10.27
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Bundesrat.
Zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Carina Reiter. – Bitte, Frau Nationalrätin.
10.28
Abgeordnete Carina Reiter (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ein sehr spannendes Thema: Demokratie braucht Zukunft. Für mich als Jugendsprecherin ist im Speziellen das Thema Jugend sehr wichtig.
Wir haben ja einige
interessante Zahlen, Daten und Fakten gehört, wenn es um das Thema
Vertrauen in die Politik geht. Jedes Jahr wird die Ö3-Jugendstudie
präsentiert, an der ungefähr 30 000 Jugendliche teilnehmen.
Ich finde, es sind schon sehr interessante, aber auch sehr bedenkliche Zahlen,
die darin zu finden sind:
Auf die Frage: Vertrauen Sie der Politik?, sagen 82 Prozent der Jugendlichen, dass sie wenig bis gar nicht vertrauen; und wenn es darum geht, ob sie der Demokratie vertrauen, dann sind es 38 Prozent, die sagen, sie vertrauen der Demokratie wenig bis gar nicht. Man merkt also, Jugendliche differenzieren auch ein bisschen zwischen Politik und Demokratie. Prinzipiell ist es ja positiv, dass ein Großteil die Demokratie als sehr vertrauensbildend sieht – die Politik aber nicht! Das sollte gerade uns im National- und Bundesrat, aber auch in den Landtagen zu denken geben. Wenn es darum geht, wie sie empfinden, ob ihre Sorgen von der Politik ernst genommen werden, sagen 91 Prozent der Jugendlichen Nein. Das ist also doch ein sehr großes Thema.
Herr Präsident Ebner hat
gesagt, „Vertrauen ist das Fundament der Demokratie“, und das ist,
glaube ich, sehr entscheidend. Das Fundament für das spätere Leben
wird in der Kindheit und Jugend geprägt, und dementsprechend ist es auch
wichtig, dass man gerade in dieser Zeit viel Werkzeug mitbekommt, um kritisch
zu
denken, um sich informieren zu können, um sich auch dementsprechend
vorbereiten zu können. Das prägt einfach weiterhin.
Ich habe den Vortrag von Frau Dr. Salomon sehr spannend
gefunden, als es um die Medien ging. Gerade für Jugendliche sind soziale
Medien ein Riesenthema.
Was man aber auch nicht vernachlässigen darf oder was da dazugehört,
sind zum Beispiel Podcasts, bei denen es sehr große Influencer gibt, die
im US-Wahlkampf jetzt auch entscheidend mit dabei waren. Das
sind einfach Entwicklungen, bei denen man, ja, eigentlich teilweise
gefühlt schon ein bisschen hintennach ist
oder denen man als, sage ich einmal, Parteien immer hinterherläuft und auf
die man sich auch dementsprechend einfach vorbereiten muss.
Demokratie
braucht Zukunft ist der Titel dieser Enquete. Die Zukunft ist die Jugend, und
deswegen muss man schauen, dass man Demokratie kennt, dass man Demokratie kommuniziert
und dass man Demokratie auch versteht, und das muss
man leben. Diese Verantwortung tragen wir alle als Entscheidungsträger,
als Vertreter des Volkes in den Parlamenten, und dementsprechend müssen
wir schauen,
dass wir unsere demokratische Infrastruktur hochhalten, dass wir Brücken
bauen. Das hat jeder Einzelne von uns in der Hand – und immer mit
der Jugend im Fokus,
das wäre, glaube ich, sehr wichtig. (Beifall.)
10.30
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für den Beitrag.
Zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Agnes Sirkka Prammer. – Bitte, Frau Nationalrätin.
10.31
Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer (Grüne):
Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Wir haben es
in beiden oder eigentlich in allen drei Vorträgen vorhin gehört: Was
ein sehr großes Problem ist, ist vor allem
das Gefühl – das Gefühl, abgehängt zu sein, das
Gefühl, nicht gehört zu werden; und es ist etwas sehr Subjektives.
Ich denke, das ist auch ein sehr, sehr großes
Problem, denn aus diesem Gefühl resultiert eigentlich die Unzufriedenheit.
Die Unzufriedenheit kommt daher, dass man sich nicht wertgeschätzt,
sich nicht wahrgenommen fühlt, und vor allem daher, dass Erwartungen
und Hoffnungen nicht erfüllt werden.
Diese Erwartungen und Hoffnungen werden teilweise in unserem
System
auch mit falschen Versprechungen kultiviert und gepflegt, insbesondere
betreffend das Versprechen der Mitbestimmung. Wie gerade jetzt im politischen
Diskurs insbesondere auch populistische Botschaften geframt werden, ist: Du
hast die Macht, du hast die Macht, über alles andere zu entscheiden! –
Das ist das falsche
Bild von Mitbestimmung.
Das Bild von Mitbestimmung, das
die Demokratie eigentlich prägt, ist die Mitgestaltung, ist die
Beteiligung an einem Diskurs, ist die Beteiligung an einer Entscheidungsfindung
und ist die Beteiligung an Regelungen, an der Gestaltung
von Regelungen für das Zusammenleben und nicht eine Diktatur der Mehrheit,
schon gar nicht einer relativen Mehrheit,
wie sie oft suggeriert wird. Das ist das große Problem, und aus
diesem Problem heraus, dass man ein falsches Bild einer Möglichkeit
der Mitbestimmung suggeriert bekommt, resultiert dann diese Unzufriedenheit und
diese Enttäuschung darüber, dass dieses Bild nicht erfüllt wird.
Man hat dann das Gefühl, man kann nicht mitbestimmen.
Deshalb ist es aus meiner Sicht
auch wichtig, den Menschen zu zeigen, wie die Möglichkeiten der
Beteiligung sind. Es ist wichtig, dass wir Instrumente der Beteiligung und
der Mitbestimmung kultivieren und verstärkt einsetzen, die eine wirkliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung
ermöglichen – also nicht bloße Abstimmungen,
bei denen man mit Ja oder Nein abstimmt, und dann setzen sich die durch, die am
lautesten sind oder die am besten überzeugt haben, sondern wirkliche Beteiligungsmechanismen
wie Bürger:innenräte zum Beispiel, die in einem sehr großen
Ausmaß Meinungen durch Expertise ersetzen, durch erworbene
Expertise, und so zu überlegten, reflektierten Entscheidungen kommen, an
denen sich alle – nämlich wirklich alle, weil dort ja die
Personen, die teilnehmen, repräsentativ ausgewählt
werden – beteiligen konnten.
Ich denke,
wenn wir solche Instrumente weiter kultivieren und nicht dieses Machtgefühl
einer Diktatur der Mehrheit immer mehr verstärken, dann können wir
es schaffen, dass wieder mehr Begeisterung und wieder mehr Beteiligung an der
Demokratie stattfinden können. – Vielen Dank. (Beifall.)
10.34
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Nationalratsabgeordnete.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan
Schennach. –
Bitte, Herr Bundesrat.
10.34
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ/Wien): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, ich glaube, das ist eine sehr wichtige Enquete. Vor wenigen Wochen hatten wir ja hier schon eine Veranstaltung, bei der wir über die Demografie gesprochen haben. Die Demokratie ist nicht gottgewollt. Das heißt, wir müssen um die Demokratie kämpfen, sie weiterentwickeln und ihren Wert auch weitergeben.
Leider – und das ist
heute in den bisherigen Beiträgen ja schon sehr deutlich geworden –
ist sie von vielen Seiten bedroht. Eine der ganz großen Bedrohungen
sind auf jeden Fall die sozialen Medien mit diesem ganzen Hass, der dort
verstreut wird. Dem gegenüber stehen die Qualitätsmedien in
Hörfunk und Print. Auch
die gilt es zu schützen. Ich kenne Parteien, die eine Kampagne gegen die
Haushaltsabgabe für den ORF machen. Das ist ein Schuss, der nach hinten
losgeht.
Auch wenn gerade immer wieder
darüber gesprochen wird, dass wir diese
große Ungerechtigkeit niedriger Einkommen haben, dann kann ich nur sagen:
Wieso leisten wir uns eigentlich den Luxus und sperren so viele Menschen vom
Wahlrecht aus? Ein Drittel der Menschen, die in Wien wohnen,
dürfen nicht wählen, und damit können ganze Gruppen von
Arbeitern und Arbeiterinnen nicht wählen
und werden von den Wahlen ferngehalten. Wir können uns das nicht leisten
und wir können uns nicht leisten, dass gerade rechts der Mitte da
ununterbrochen
gemobbt wird.
Gerade erst in der
Veranstaltung vor zwei Wochen haben die Expert:innen gesagt, die Migration ist
für dieses Land überlebensnotwendig und die Hetze dagegen ist
absolut unseriös.
Wenn wir von der Bedeutung der
Medien sprechen, die in der Tat die vierte Gewalt im Staate sind, dann muss man
auch sagen, dass auf der anderen Seite diejenigen stehen –
und später wird auch jemand aus dieser Gruppe reden –, die von
Lügenpresse und Systempresse sprechen, um damit etwas systematisch zu
zertrümmern und zu untergraben und Unsicherheit zu schaffen. Das
ist extrem bedenklich. Auch wenn ich
daran denke, dass wir einen jungen Bundeskanzler hatten,
der eines der wichtigsten Standbeine der Republik, nämlich die
Unabhängigkeit der Justiz,
ununterbrochen attackiert hat: Das ist extrem bedauerlich. Die Sprache,
mit der in manchem öffentlichen Diskurs über den
Bundespräsidenten geredet wird, ist ablehnenswert und zeigt nur, dass man
will, dass sich weniger und weniger Menschen an der Politik beteiligen.
In einem Punkt –
letzter Satz, Herr Präsident – können wir seitens des
Parlaments stolz sein, und zwar auf unsere Demokratiewerkstatt, die
Demokratiewerkstatt, zu der junge Menschen, Kinder und
Jugendliche, Woche für Woche hier ins Parlament kommen, wo sie Zeitungen,
Radiosendungen oder Bildaufnahmen
machen und über den Wert der Demokratie lernen. Mittlerweile ist das ja
auch ein Exportprodukt aus diesem Haus – nach Montenegro, Georgien
und so weiter.
Darauf können wir stolz sein und das müssen wir auch im Rahmen der
politischen Bildung verfestigen.
Darf ich noch einen Halbsatz sagen? Weil ich gerade Frau Salomon sehe: Hier in diesem Saal haben wir gekämpft wie die Löwen, dafür, dass die vorhergehende Regierung die „Wiener Zeitung“ nicht zu Grabe trägt; sie hat Weltkriege und Revolutionen überlebt, aber nicht die vorhergehende Regierung. (Beifall.)
10.38
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Bundesrat.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Nationalrätin Julia Herr. – Bitte, Frau Nationalrätin.
10.38
Abgeordnete Julia Elisabeth
Herr (SPÖ): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde auch, dass die
Zahlen eigentlich sehr erschütternd sind, die heute präsentiert
worden sind, weil sie doch zeigen, dass eine größer werdende Gruppe
an Menschen nicht an unsere repräsentative Demokratie glaubt. Deshalb
würde ich uns
gerne alle gemeinsam mit ein paar Zahlen unseres letzten Nationalratswahlergebnisses
konfrontieren.
Ich habe hier die Statistik
offen, die Zahlen des Bundesministeriums. Wenn
wir die Bevölkerung in Österreich hernehmen: Das sind ein bisschen
mehr als 9,1 Millionen Menschen. Wenn wir jetzt sagen, okay, alle,
die unter 16 sind, sind nicht wahlberechtigt, und die abziehen, dann macht das
circa 15 Prozent aus.
Aber dann: Wie geht es weiter mit der großen Zahl an Menschen in unserem Land? Weitere 15 Prozent sind nicht wahlberechtigt – 15 Prozent, das sind 1,4 Millionen Menschen, die gar nicht wählen dürfen. Wenn wir die auch noch abziehen, kommen wir zu den Nichtwählern und Nichtwählerinnen. Das sind auch noch einmal 15,7 Prozent der Menschen, die an unseren Wahlen nicht mehr teilnehmen, auch das sind 1,4 Millionen Menschen.
Was also übrig bleibt,
wenn wir auch noch die Menschen, die ungültig wählen, abziehen,
sind circa 52 Prozent der Bevölkerung, die überhaupt uns
demokratischen Parteien ihre Stimme gegeben haben. Wenn man das umrechnet und
sich ansieht, was dann die Ergebnisse der einzelnen Parteien sind, wirkt das
noch einmal erschreckender. Dann würde nämlich die FPÖ von
15 Prozent gewählt werden, die ÖVP von etwas über 13 Prozent, die SPÖ von 11 Prozent, NEOS
und Grüne gar nur mehr
von 4 Prozent der Bevölkerung. Das sind die Zahlen, wenn wir
berücksichtigen, wie viele Menschen nicht wahlberechtigt sind oder nicht
wählen gehen.
Da müssen wir uns schon die Frage stellen: Wie repräsentativ ist unser Nationalrat zusammengesetzt? Auch bei den Wahlen in den Bundesländern ist ja die Zahl der Menschen, die nicht wählen dürfen oder nicht wählen wollen, immer eine, die steigt. Das heißt, es stellt sich einfach für uns alle die Frage, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen: Wie viele Menschen, die an unseren Wahlen nicht teilnehmen, können wir uns leisten? Und: Wie lange wollen wir noch dabei zusehen, dass immer mehr Menschen – und die Zahl ist ja steigend – nicht wählen gehen?
Ein letzter Punkt – denn das rote Lämpchen
wurde jetzt schon öfter angesprochen – ist natürlich: Was sind das für Menschen? – Das
wurde heute von Frau Mag. Zandonella sehr gut gezeigt: Es sind
Menschen, die wenig Einkommen haben, die nicht an unser System glauben, und das
auch aus gutem Grund – auch das wurde ja
erklärt –: weil wir in den Hohen Häusern unserer Republik
vor allem Politik für Besserverdienende machen! Da gibt es ja eins zu
eins einen Zusammenhang.
Mein Kollege hat schon den leistbaren Wohnraum angesprochen.
Ich würde das Gesundheitssystem mit anschließen:
Habe ich viel Geld, werde ich mir vermutlich einen privaten Arzttermin leisten
können; habe ich das nicht,
muss ich oft monatelang auf einen öffentlichen Arzttermin warten. Das
heißt, es sind ja wirklich die sozialen Probleme, die dazu führen,
dass Menschen sich nicht
nur ausgeschlossen fühlen – von meiner Kollegin von den
Grünen wurde vorhin vom Gefühl
gesprochen –, sondern tatsächlich abgehängt sind. Das sind
ja handfeste Tatsachen, dass immer mehr Menschen auch an Einkommensverlusten
leiden und sich tatsächlich nicht mehr in der Form in unserer Gesellschaft
einbringen können,
wie das zuvor noch möglich war, weil sie eben durch ihr geringer werdendes
Einkommen ausgeschlossen sind. Sie fühlen das nicht nur, sondern das
sind alles
Fakten, die wir belegen können.
Deshalb komme auch ich zum Schluss: Ich denke, dieser
Vortrag war ein ganz großer Auftrag an uns alle, uns bei jeder
politischen Maßnahme, bei jedem Gesetz,
das wir beschließen, gut zu überlegen: Wer profitiert davon und wer
potenziell nicht?, denn wir können es
uns – und das ist meine Meinung – nicht leisten, dass
immer weniger Menschen an Wahlen teilnehmen, dass unsere Ergebnisse
immer weniger repräsentativ werden, denn eine Demokratie ist dann
standhaft, ist dann
wehrhaft, wenn möglichst viele Menschen auch an ihr
teilnehmen – und das muss doch unser erklärtes Ziel sein.
Vielen,
vielen Dank. Ich glaube, es gibt auch viele Hebel, wo wir ansetzen
können. Danke für die wertvollen Inputs heute. (Beifall.)
10.42
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Nationalrätin.
Als Letzter in dieser Debatte zu Wort gemeldet ist Herr Landtagsabgeordneter Andreas Bors. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.
10.42
Andreas Bors (Abgeordneter zum Niederösterreichischen
Landtag, FPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Ja,
wir alle stehen vor einer Herausforderung – die Zahlen haben es ja
heute untermauert –, einer Herausforderung, die uns alle
betrifft, nämlich betreffend die Zukunft unserer Demokratie. Der Titel ist
ja sehr passend gewählt, indem er besagt, dass die Demokratie
eben Zukunft braucht. Die Frage, die sich für mich stellt, ist nur: Welche
Brücken müssen wir bauen, und wie wollen wir die Demokratie
stärken?
Meiner Meinung nach müssen wir wieder die Brücken
hin zur Bevölkerung, zu unseren Landsleuten bauen. Es kann
nämlich nicht darum gehen, weiter quasi
die politischen Eliten zu stärken, sondern es gilt, das Vertrauen der
Bevölkerung und der Bürger zurückzugewinnen, denn die Demokratie
lebt von der Beteiligung
und der Mitbestimmung der Bevölkerung. Dieses Vertrauen schwindet leider
in den letzten Jahren, man hat es ja an den Zahlen gesehen.
Das heißt, wir müssen uns die Frage stellen:
Warum fühlen sich immer mehr Menschen quasi von der Politik nicht
verstanden, und warum sinkt das Vertrauen in unsere
demokratischen Institutionen? – Dafür gibt es sehr viele
Gründe, aber
einer der wichtigsten Gründe wird sicherlich das Gefühl der
Entfremdung sein, denn die Bürger erleben Entscheidungen, die oftmals
über ihre Köpfe hinweg getroffen werden.
Eines der besten und aktuellsten
Beispiele ist da sicherlich die Bildung der
neuen Bundesregierung, denn egal, wie man jetzt das Wahlergebnis betrachten
will – ob man, wie meine Vorrednerin, irgendwelche Zahlen errechnet
oder ob man
das tatsächliche Wahlergebnis hernimmt –, es hat einen klaren
Wahlsieger gegeben – aber ein paar Tage später geht der
Bundespräsident her und beauftragt nicht
die mit Abstand stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung, sondern
die nur zweitstärkste Partei. Das wird
sicherlich nicht dazu führen, dass die Bevölkerung
wieder das Vertrauen in die Politik zurückbekommt.
Weiters sieht die
Bevölkerung, wie nationale Souveränität immer mehr an internationale
Organisationen abgetreten wird, auch dies, ohne dass man dazu gefragt
wird. Ein passendes Beispiel ist die Europäische Union und die Art und
Weise, wie auch dort demokratische Prozesse leider immer weiter zentralisiert
werden,
und das ohne ausreichende Rückkopplung an die nationalen Parlamente und an
den Willen der Bürger vor Ort.
Es geht aber auch nicht nur um
institutionelle Reformen, sondern die Demokratie braucht auch Meinungsfreiheit.
Auch das ist etwas ganz Wichtiges, und es
ist besorgniserregend, dass in unserem Land immer häufiger versucht wird,
unliebsame Meinungen zu unterdrücken – denn wer bestimmte
Äußerungen macht
oder bestimmte Ansichten vertritt, wird schnell als Extremist abgestempelt. Ich
erinnere an die Coronapandemie: Jeder, der die Maßnahmen der
Bundesregierung kritisiert hat oder gar demonstrieren war, war dann schnell ein
Extremer und meistens ein Rechtsextremer. Eine lebendige Demokratie lebt aber
von Pluralismus und
lebt von der Debatte, und wir dürfen daher nicht zulassen, dass bestimmte
Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt werden.
Daher möchte ich abschließend betonen:
Die Demokratie ist kein Selbstläufer –
wir haben es heute schon oftmals gehört –, sie braucht
ständige Pflege und eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln. Es reicht
nicht, über die Brücken nur zu reden, nein, wir müssen diese
Brücken auch bauen, nämlich Brücken hin zu den Menschen,
zu ihrer Freiheit und zu ihrer Souveränität. (Beifall.)
10.46
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für die Ausführungen.
Panel 1 ist damit abgeschlossen.
Ich bedanke mich für die Beiträge und für die Debatte.
IV. Panel 2 „Lösungswege“
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Wir kommen nun zu Panel 2, den Referaten zum Thema „Lösungswege“.
Ich ersuche wieder die Referenten, ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus abzugeben, wobei die Redezeit von 15 Minuten pro Statement nicht überschritten werden soll.
Ich darf zu Beginn Herrn Landeshauptmann Mag. Thomas
Stelzer um seinen
Beitrag zum Thema „Bürgernähe und politische
Mitbestimmung“ bitten. – Bitte, Herr Landeshauptmann, du hast
das Wort.
10.46
Landeshauptmann von Oberösterreich Mag. Thomas
Stelzer: Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Demokratie braucht Zukunft,
und ich würde es gerne weiterspinnen und sagen: Demokratie hat
Zukunft, wenn wir das wollen, weil wir alle – und damit meine ich
nicht nur uns, die wir die Ehre
haben, eine Zeit lang politische Aufgaben zu erfüllen – auch
Möglichkeiten haben, nämlich durch die Demokratie, diese weiter zu
festigen und zu stärken.
Daher bin ich dem Bundesrat sehr, sehr dankbar dafür,
dass diese Enquete veranstaltet wird, weil sie in den Mittelpunkt
rückt, dass Demokratie auch ständige Bewusstseinsbildung
braucht, dass sie auch Werbung braucht und dass sie auch viele Leute braucht,
die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und da sehe
ich es nicht so, dass es quasi eine geteilte Verantwortung gibt –
die Wählerinnen und Wähler, die ihre Verantwortung wahrnehmen und uns
bei der Wahl eine Stimme geben, oder auch nicht, und damit aber auch
ihre Verantwortung abgeben –, sondern ich sehe es als
gemeinsame Verantwortung, als geteilte Verantwortung,
die auch während einer laufenden Periode selbstverständlich alle
einbezieht und alle einzubeziehen hat. Es ist ja heute auch schon bei einigen
Redebeiträgen zum Ausdruck gekommen, dass es auch unsere Aufgabe ist, das
immer wieder zu ermöglichen und dafür auch Anreize zu
bieten.
Ich möchte aber noch einmal bei Herrn Dr. Dettling
anschließen, der ja auch
diesen vermeintlichen Siegeszug der Demokratie, den Sehnsuchtsort Westeuropa
oder vielmehr auch das Sehnsuchtslebensmodell des demokratischen Miteinanders in Europa
für viele, die damals aus den kommunistischen Diktaturen aufgebrochen
sind, vor Augen geführt hat. Das war die Zeit, als auch ich und einige
andere das politische Engagement begonnen haben. All die Debatten unserer
Schul- und Studienzeit waren geprägt von der Frage: Wie können junge
Leute das
über sich ergehen lassen – ich bin ja auch nahe an einer toten
Grenze aufgewachsen –, wie können sie das mitmachen, sich
ständig so unterjochen zu lassen, und
sich dann aber resignativ irgendwie damit abfinden?, und dann diesem
plötzlichen Aufbruch und diesem Siegeszug, diesem vermeintlich dauerhaften
Sichdurchsetzen der Demokratie, über das sich zum damaligen
Zeitpunkt eigentlich alle einig waren.
Heute ist es allgemeiner Kenntnisstand – leider! –,
dass aus diesem Siegeszug
kein Dauerzustand geworden ist und dass uns viele andere vermeintliche
Sicherheiten abhandengekommen sind: der Friede in Europa, die gesicherte
Energieversorgung auf unserem Kontinent oder gerade in unseren
Breitengraden, Preisstabilität und vieles andere mehr – und
eben auch der Glaube daran, dass Demokratie unangreifbar oder sicher
ist.
Daher ist es wichtig, darauf zu drängen, immer wieder
ins Bewusstsein zu rufen, dass die Demokratie auch bei uns nicht einfach vom
Himmel gefallen ist, sondern
dass viele darum gekämpft haben, sich dafür eingesetzt haben, dass
sie erstritten wurde und dass auch viele ständig daran mitgebaut und
mitgewirkt haben.
Daraus folgt zwangsläufig, dass auch wir jetzt immer dafür Sorge
tragen müssen, dass sich die Demokratie in der Zeit orientiert, dass sie
immer wieder gepflegt wird
und dass sie im Bedarfsfall auch verteidigt wird.
Sehr geehrte Damen und Herren! Aus meiner Sicht gehört dazu zuallererst das uneingeschränkte Bekenntnis, dass wir in einer Demokratie leben wollen; darüber hinaus gehört dazu aber auch die Vermittlung dessen, was das bedeutet: dass es bedeutet, Verantwortung zu tragen; dass es bedeutet, Diskussionen zu mögen und sie auch zuzulassen; dass es bedeutet, Respekt vor dem beziehungsweise der anderen wie auch vor einer anderen Meinung zu haben, und dass es bedeutet, Ideen sich erproben zu lassen, Zugänge zu ermöglichen, aus denen dann Lösungen entwickelt werden, die durch eine Mehrheit gefunden werden.
Im aus meiner Sicht totalen Contrarium dazu steht die von
manchen immer wieder geäußerte Sehnsucht – gerade auch in
der Coronazeit, aber nicht nur da –:
Da soll doch endlich einer oder eine vorausgehen und sagen, was Sache ist, auf
den Tisch hauen, und die Sache ist klar!
Diese Einstellung erledigt sich meist schnell,
wenn der eine oder die eine dann plötzlich nicht mehr der Meinung
ist, die man selber hat, dann aber trotzdem sozusagen die Gewalt zu bestimmen
hätte. Auf der
anderen Seite aber eine ebenso gefährliche Tendenz ist, wenn es manche
schick finden, das persönliche Gewissen, in welcher Frage auch immer,
über das
Recht unseres Staates zu stellen. Auch das darf und kann in einer Demokratie
keinen Platz haben.
Demokratie schreibt nicht vor,
Demokratie ermöglicht: Sie ermöglicht tragfähige Lösungen
für ein gutes Zusammenleben und sie ermöglicht uns eine freie Lebensgestaltung
gemäß den Perspektiven, die wir für uns selber auch entwickeln möchten.
Damit bin ich auch wieder bei der Verantwortung: Wenn ich die Freiheit
entsprechend in Anspruch nehmen möchte, dann brauche ich die Demokratie
eben als Grundlage und dann brauchen wir auch die Regeln, die hier im Hohen
Haus oder auch bei uns in den Landtagen oder in den Gemeindestuben demokratisch
gefunden werden – Regeln, die vielleicht manchen nicht immer recht
sind, insbesondere dann, wenn man nicht auf der Seite der Mehrheit, die
diese
Regeln geschaffen hat, gewesen ist, die manche überbordend finden, aber
vom Prinzip her sollten wir, die wir alle im weitesten Sinn dafür
verantwortlich sind, dass
diese Regeln gefunden werden, dafür werben, dass diese Regeln eben unsere
Freiheit schützen, weil sie zwar regeln, aber damit eben auch regeln, dass
der Nachbar,
die Nachbarin diese Freiheit auch für sich in Anspruch nehmen kann. Daher
müssen diese Regeln selbstverständlich immer gelten und auch von
allen akzeptiert
und eingehalten werden. Das ist ein sehr, sehr großer Auftrag:
selbstverständlich für uns, Tag
für Tag, als Politikerinnen und Politiker, aber eben auch für alle
anderen.
Es ist heute bewusst schon
angesprochen worden – auch von Kollegen Buchmann, ich glaube aber,
auch andere haben das thematisiert –: Wo wird dieses Eingebundensein, das
Regelnmachen für die Gemeinschaft und das davon Berührtsein am direktesten,
hautnah miterlebt? – Es ist der unmittelbare Lebensraum –
es ist
die Stadt, es ist der Stadtteil, die Gemeinde –, wo man
Mitbestimmung, Ideenvielfalt, Zielkonflikte, aber auch das Finden eines Weges
hautnah miterlebt, manchmal vielleicht auch dabei mitleidet, auf jeden Fall
mittendrin im Geschehen ist. Daher ist dort auch das Verständnis
groß und – was wir erfreulicherweise feststellen –
gerade auf dieser Ebene auch die Bereitschaft groß, sich einzubringen,
wenn man demokratische Mitwirkung nicht nur auf die politischen Aufgaben und
Gremien einengt, sondern auf unsere gesamte gesellschaftliche
Gestaltung bezieht. Dort ist auch der Ort, der gerade jungen Bürgerinnen
und Bürgern diese Selbstwirksamkeit vermittelt, wenn man
für eine eigene Idee eintritt, sich Mitstreiterinnen und Mitstreiter sucht
und sich dann durchsetzt oder daran vielleicht sogar auch
scheitert, auf jeden Fall, wenn man dieses demokratische Ringen um
Lösungen live miterlebt. Dabei wächst aus meiner Sicht auch das
Vertrauen in unsere demokratische Form des Zusammenlebens und auch in
die Abläufe.
Ich möchte daher einen großen Appell an uns
selber auf Landesebene, aber auch an alle, die auf Bundesebene tätig sind,
richten, dass wir den Gemeinden die Gestaltungsmöglichkeiten, die
diese haben, mit allem, was sie dafür brauchen, da gehört eben auch
das Geld dazu, geben und dass wir ihnen diese Spielräume bieten.
Es ist nicht nur die Organisation der Lebensqualität vor Ort, sondern es
ist auch dieses Wirksamwerden und dieses Erlebenkönnen von Demokratie vor
Ort, was dort
ganz besonders wichtig ist und Wertschätzung erfährt –
Wertschätzung im Übrigen, sehr geehrte Damen und Herren, und da halte
auch ich mir, wahrscheinlich
so wie viele Politikerinnen und Politiker, den Spiegel vor, die wir in unseren
politischen Ämtern von anderen wohl nur dann erwarten dürfen,
wenn wir gleichzeitig bereit sind, diese Wertschätzung auch
unseren Kolleginnen und Kollegen, egal welcher Couleur, auch in der Diskussion
entgegenzubringen. Meistens ist das Schauspiel, das geboten wird, dann
nämlich auch eines, das auf vielen anderen Ebenen Nachahmung findet, und
daher ist das auch ein Auftrag an uns selber.
Es braucht aber, und ich möchte darauf noch einmal besonders
hinweisen, eben auch viele Bürgerinnen und Bürger, die dazu bereit
sind und sagen: Das geht mich
etwas an, da mache ich mit, es ist nicht nur der Wahltag, wann ich gefordert
bin! – erfreulicherweise ist die Wahlbeteiligung zuletzt ja trotzdem
wieder
gestiegen –, sondern es braucht auch ihr Einbinden. Mut machen kann
uns die breite Beteiligungsbereitschaft vieler aus unserer Bevölkerung im
sogenannten
Ehrenamt oder in der Freiwilligenarbeit in vielen Bereichen, die unsere
Republik, unser Staat sonst gar nicht organisieren, schon gar nicht bezahlen
könnte, die aber
trotzdem unser sicheres und hochqualitatives Zusammenleben am Laufen halten.
Auch das ist Wahrnehmen von Verantwortung in der Demokratie, und gerade dieses
ehrenamtlich Tätigsein sollten wir neben der Wertschätzung durch all
das, was
wir tun können, auch entsprechend hochhalten, absichern und entsprechend
unterstützen, weil es gerade auch für viele junge Menschen eine
Möglichkeit ist,
sich einzubringen – und sie tun das auch.
Ich danke dem Parlament für das – wie es
heute schon tituliert wurde – Exportmodell Werkstatt für
Demokratie. Ich glaube, auch viele Länder – auch wir in unserem
Landtag – haben dieses Modell mit übernommen; es wird stark
nachgefragt, ist hochgeschätzt. Viele junge Leute tummeln sich Jahr
für Jahr zu Hunderten bei uns
im Landhaus und bekommen dort einen unmittelbaren Eindruck. Ich bin
auch den Kolleginnen und Kollegen aus unserem Landesparlament dankbar, dass sie
sich auch dieser Arbeit und diesen Diskussionen stellen.
Wir haben aber auch noch andere
Instrumente – ich nehme an, noch viele andere, ich möchte sie
aber erwähnen, weil in vielen Belangen immer wieder die Schweiz
als Modellfall für demokratisches Gestalten verwendet wird. Beispielsweise
haben wir in Oberösterreich ein Modell, das auch die Schweiz im Vorfeld
von Gesetzeswerdungen hat, das ist die Bürgerbegutachtung. Das klingt
vielleicht ein wenig technokratisch, aber so heißt das Modell, dass
Gesetzesvorhaben eben nicht nur
in den „normalen“ – unter Anführungszeichen –
Begutachtungskreislauf von Kammern, Experten und so weiter geschickt
werden, sondern dass es per Inserat
und per öffentlicher Werbung auch allen Landsleuten zugänglich
gemacht wird mit der Bitte, sich eben als Begutachtende, weil als hinkünftig
Betroffene ja
mittendrin, entsprechend einzubringen.
Ein anderes Instrument, das wir
nutzen und das immer mehr angenommen wird – mittlerweile, glaube
ich, schon von mehr als 40 Prozent unserer Gemeinden
in den Regionen –, ist der sogenannte Agenda-Zukunftsprozess, wie er
bei uns heißt, bei dem wir sehr konkret Modelle des Einbeziehens auf
Gemeindeebene oder
von Vereinen in Regionen unterstützen, bei dem Mitbürgerinnen und
-bürger an einem Thema, an einem Projekt, an einem Vorhaben arbeiten
und daraus dann
auch entsprechend verschiedene Folgewirkungen entstehen, was ich für ein
sehr wichtiges Instrument halte, um dieses Mitmachen und dieses
Verantwortungübernehmen auch wachzuhalten und dafür Bewusstsein zu
wecken.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Demokratie muss auch
verteidigt
werden, das stimmt, und zur Kraftanstrengung, dass wir immer wieder dafür
werben, dass wir, auch das ist heute schon gefallen, unsere Türen
öffnen, um möglichst
viel Interesse dafür zu wecken, wie der demokratische politische
Entscheidungsablauf stattfindet, gehört auch dazu, dass wir als
entschlossene Demokratinnen und Demokraten den Demokratiefeinden, woher auch
immer sie kommen mögen, entgegentreten und ihnen deutlich sagen: Wer
den Demokratiefeinden nachläuft,
egal ob in der realen Welt oder im Netz, der läuft in Richtung Unfreiheit
und bedroht unser freies Lebensmodell! Daher muss dem entgegentreten werden,
und
dort, wo wir es können, müssen auch die entsprechenden Riegel
vorgeschoben werden.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Was wir demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker bei aller Liebe
zur Diskussion und zur Auseinandersetzung und zum manchmal ja auch
befruchtenden Streit in unseren demokratischen Gremien aber wissen müssen
ist, dass in unserer Jobdescription auch steht, dass wir beizeiten Ergebnisse
liefern müssen und dass der Auftrag zur demokratischen Diskussion kein
Ticket für Endlosschleifen ist. Was sicher nicht für ein Hinwenden
zum
Interesse an der Demokratie zuträglich ist, sind Blockaden oder
ausbleibende Reformen, oft über
Jahre hinweg: Auch das ist ein Auftrag an uns selber und vielleicht
auch ganz spannend in der Phase der Findung einer Bundesregierung.
Voraussetzungen für all
dieses Miteinander haben wir allemal. Es beginnt immer beim aufeinander
Zugehen, es beginnt vor allem aber auch bei der Grundbereitschaft,
dass wir dieses demokratische Modell auch wollen und dass wir daraus den
Auftrag mitnehmen, dass wir dafür nicht nur eintreten, sondern dafür
auch Werbung
machen.
Eine gute Werbung, Herr Präsident Ebner, geschätzte Damen und Herren, ist mit Sicherheit diese Enquete. – Ein herzliches Dankeschön dafür. (Beifall.)
11.00
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Landeshauptmann, für deine Ausführungen.
Ich darf nun Herrn Martin Hagen um seinen Beitrag zum Thema „Demokratie schützen – Freiheiten einschränken?“ – mit Fragezeichen – ersuchen. – Bitte, Herr Hagen, Sie gelangen zu Wort.
11.00
Martin Hagen, M.A. (Republik 21): Herzlichen Dank, sehr geehrter Herr Präsident, für die Erwähnung des Fragezeichens; das ist wichtig.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Vielen Dank für die Einladung zu dieser Enquete hier! Ich war ja selbst fünf Jahre lang Abgeordneter des Bayerischen Landtages, und es ist für mich heute das erste Mal, dass ich vor einem fremden Parlament sprechen darf, noch dazu in einem so schönen, beeindruckenden Parlamentsgebäude. Das ist mir eine große Ehre und Freude. (Vizepräsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)
Demokratie braucht Zukunft ist das Motto Ihrer Enquete. Dieser Titel impliziert ja schon, dass man sich darum sorgt, denn sonst hätten Sie es ja anders formuliert, nämlich: Demokratie hat Zukunft.
Tatsächlich hat sich die Hoffnung der frühen
Neunzigerjahre, dass sich nach
dem Fall des Eisernen Vorhangs die liberale Demokratie als nunmehr
alternativloses Konzept endgültig weltweit durchsetzen würde, als
Illusion erwiesen. Die
Geschichte war – anders als von Francis Fukuyama
angenommen – eben nicht an ihrem Ende angelangt. Einer meiner
Vorredner, Dr. Dettling, ist darauf ja
ausführlich eingegangen.
Mit China hat ein autoritärer Einparteienstaat den
Aufstieg zur globalen Supermacht geschafft. In Ländern wie Russland oder
der Türkei wurden demokratische
und rechtsstaatliche Errungenschaften wieder zurückgedreht. Wie dünn
der Firnis der Zivilisation ist, haben wir in den USA gesehen, als es dort vor
vier Jahren
zum Sturm auf das Kapitol in Washington kam. Kein Wunder also, dass wir uns um
unsere Demokratie, um unser demokratisches Miteinander sorgen.
Ich möchte heute allerdings vor Ansätzen, die darauf hinauslaufen, einer Erosion dieses demokratischen Miteinanders durch politische Indoktrinierung oder durch eine Verengung des öffentlichen Diskurses zu begegnen, ausdrücklich warnen.
Wir haben in Deutschland zuletzt heiße Debatten
über zwei Vorhaben gehabt, einerseits über das
Demokratiefördergesetz, andererseits über die sogenannten
Trusted Flagger, die über Inhalte in den sozialen Medien wachen sollen. Kritiker
haben diese beiden Vorhaben als einen Versuch staatlicher Einflussnahme auf die
politische Willensbildung bezeichnet und vor einer Beschneidung der
Meinungsfreiheit gewarnt.
Zunächst zum Ersten, zum Demokratiefördergesetz: Dieses durch das Zerbrechen der Ampelregierung momentan gescheiterte Vorhaben sollte Fördermaßnahmen aus dem bestehenden Programm namens Demokratie leben! bündeln und verstetigen. Erklärtes Ziel des Gesetzesvorhabens war die Stärkung von Maßnahmen, die – Zitat – „zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung“ dienen, und zwar durch ausgewählte Nichtregierungsorganisationen, deren Arbeit dann staatlich finanziert wird.
Die Mittel für das Programm Demokratie leben!
beziehungsweise für seine Vorgängerprogramme haben sich in den
vergangenen zehn Jahren auf etwa 200 Millionen Euro pro Jahr
verzehnfacht. Das ist schön für die begünstigten NGOs und ihre
wachsende Zahl an Mitarbeitern. Dahinter aber, ob wirklich die Demokratie
davon profitiert hat, darf man ein Fragezeichen setzen.
Die Denkfabrik Republik 21, für die ich als Geschäftsführer tätig bin, hat sich in den vergangenen Monaten in verschiedenen Formaten mit diesem Gesetzesvorhaben beschäftigt. In unserem Podcast hat beispielsweise die liberale Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg zu bedenken gegeben, dass die Demokratie in Deutschland doch 75 Jahre lang ganz gut ohne ein Fördergesetz ausgekommen ist. Der Bildungsexperte Jörg Schulte-Altedorneburg warnte auf einer unserer Diskussionsveranstaltungen zum Demokratiefördergesetz vor – Zitat – betreutem Denken, welches ja nun eigentlich das Gegenteil von Demokratie sei.
Der Vorwurf steht im Raum, dass die Aktivitäten
zumindest einiger dieser geförderten NGOs eher auf die Durchsetzung einer
bestimmten Gesinnung, auf Diskurshoheit und kulturelle
Hegemonie abzielen als wirklich auf die Förderung
der Demokratie als solcher. Da, glaube ich, liegt eine große
Gefahr solcher Programme.
Was Demokratie braucht, sind auf
der einen Seite natürlich funktionsfähige Institutionen und
Strukturen, aber wir wissen, das allein reicht nicht aus. Der Rechtsphilosoph
Ernst-Wolfgang Böckenförde sagte: „Der freiheitliche,
säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht
garantieren kann.“ Es braucht
nämlich zusätzlich auch eine demokratische Kultur der
Bevölkerung, ein allgemeines Verständnis für den Wert der
Demokratie und vor allem aufgeklärte und
mündige Bürger. Insofern ist politische Bildung zweifellos ein
geeignetes, legitimes, wichtiges Mittel, um die immateriellen Grundlagen
unserer Demokratie zu
fördern. Dr. Brix wird ja später auf dieses Thema noch
eingehen.
In Deutschland haben wir
für die Ausgestaltung politischer Bildungsarbeit den sogenannten
Beutelsbacher Konsens, der sich bewährt hat. Er legt für die Bildungsarbeit bestimmte
Prinzipien fest, zum Beispiel das sogenannte Überwältigungsverbot,
nach dem die Demokratielehrenden den Demokratielernenden nicht ihre
Meinung aufzwingen dürfen, sondern sie vielmehr in die Lage versetzen
sollen, sich eine eigene Meinung zu bilden, oder das Gebot der
Kontroversität, dass also politische Themen im Unterricht kontrovers und
nicht einseitig zu behandeln sind.
An solche Prinzipien sind die
NGOs, die durch das Demokratiefördergesetz
finanziert werden sollen, nicht gebunden. Deswegen sagen Kritiker, anstatt das
unabhängige Denken und das individuelle Urteilsvermögen der
Bürger zu
stärken, werden von diesen Organisationen eher bestimmte – in
der Praxis in Deutschland überwiegend linke – Deutungsmuster
und Sichtweisen verbreitet und etabliert.
Tatsächlich zielen einige
der staatlich geförderten Projekte sogar eher auf
eine Verengung des demokratischen Diskurses ab als auf seine Förderung,
weil sie sich nicht nur gegen verfassungsfeindlichen Extremismus richten, wie
es
eigentlich sein sollte, sondern auch gegen legitime Meinungen.
Über Asyl, über die Frage, wie viele Geschlechter
es gibt, über all diese Themen darf und soll in einer Demokratie
gestritten werden. In der Demokratie hat Willensbildung von unten
nach oben zu verlaufen, nicht von oben nach unten. Es ist ja nicht die Aufgabe
des Staates, bestimmte Meinungen in der Bevölkerung zu fördern
und andere zu unterdrücken, jedenfalls nicht, solange sich diese Meinungen
auf dem Boden freiheitlich-demokratischer Grundordnung bewegen.
Die Ausgrenzung anderer
Meinungen ist sogar – so beschreibt es der liberale Philosoph John Stuart Mill – eine Gefahr
für die Demokratie, weil sie den Erkenntnisfortschritt und
damit das Gemeinwohl schwächt. Überhaupt schadet man dem wichtigen
Anliegen der Extremismusbekämpfung, wenn man den Rahmen
des legitimen Meinungsspektrums immer enger zieht – Frau Salomon hat
Beispiele genannt: die Debatten um Covid, Klima oder Migration –,
denn man drängt
ja nicht nur Positionen aus dem öffentlichen Diskurs, sondern auch
Menschen, die diese Positionen vertreten. Damit stärkt man die politischen
Ränder, anstatt
sie zu schwächen.
Man sollte vor allem nicht den
Fehler machen, die eigene politische Meinung mit der Demokratie und die
Förderung der eigenen politischen Position mit einer
Förderung der Demokratie gleichzusetzen.
Ich glaube generell, wenn die
Bürger das Gefühl bekommen, die Regierung versuche, sie zu belehren
und zu erziehen, ihnen eine bestimmte politische Haltung aufzudrücken, und
das auch noch mit den von ihnen selbst erwirtschafteten Steuergeldern,
dann führt das eher zu Reaktanz und Politikverdrossenheit, eher
zu einer Distanz zwischen Regierung und Volk als zu einer Stärkung der
Demokratie.
Meine Damen und Herren, jetzt
zum zweiten Vorhaben, zu den sogenannten
Trusted Flaggern – der Herr Bundesratspräsident hat mich
ausdrücklich gebeten, auch dieses Thema kurz zu beleuchten –:
Um die Demokratie zu schützen, wird
neuerdings immer öfter danach gerufen, Äußerungen im Internet
stärker zu kontrollieren und zu regulieren. Kritiker sehen darin eine
Form der Zensur.
Der aktuelle Zankapfel in Deutschland ist die nationale
Umsetzung des Digital Services Act der EU. Dieser fordert von den Mitgliedstaaten
die Zertifizierung sogenannter Trusted Flagger, zu Deutsch:
vertrauenswürdiger Hinweisgeber. Trusted Flagger sind Organisationen, die
zum Beispiel Meldestellen betreiben, bei denen Bürger
vermeintlich rechtswidrige Kommentare in sozialen Netzwerken anzeigen
können. Die Organisationen prüfen diese Meldungen und leiten
sie dann gegebenenfalls an die Onlineplattformen weiter, welche diese Meldungen
dann vordringlich behandeln und rechtswidrige Inhalte löschen
müssen.
Der springende Punkt ist die Frage, ob sich das
tatsächlich allein auf rechtswidrige Inhalte beschränkt, also auf
solche, die beispielsweise den Straftatbestand
der Beleidigung, der üblen Nachrede oder der Volksverhetzung
erfüllen, oder ob es dabei auch um zulässige
Meinungsäußerung geht.
Der Chef der in Deutschland zuständigen
Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat bei der Zertifizierung des ersten
Trusted Flaggers in Deutschland davon gesprochen, auf diesem Weg
nun Hass und Fakenews aus dem Internet zu entfernen. Das sind beides sehr, sehr
schwammige, sehr interpretationsfähige und subjektive Begriffe. Die
beschreiben Äußerungen, die wir als ungebührend, unangenehm,
irreführend oder falsch erachten mögen, aber die deswegen noch
lange nicht
illegal und strafbar sind.
Inzwischen hat Müller seine Formulierung korrigiert,
aber das Ganze hat natürlich die Angst vor einer Zensur unliebsamer
Meinungen befeuert. Dazu trägt auch
der von der Bundesnetzagentur herausgegebene Leitfaden für Trusted Flagger
bei, in dem ebenfalls von – Zitat –
„Hassrede“ und von Inhalten, die – Zitat –:
„Negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs“ haben, gesprochen
wird.
Verehrte Abgeordnete, ich gehe davon aus, dass die Frage,
welche Art von Inhalten negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs hat,
unterschiedlich beurteilt
würde, wenn ich Sie danach fragen würde, und zwar abhängig
davon, wen von Ihnen ich fragen würde. Deswegen wird natürlich die
Auswahl der Organisationen,
die darüber wachen sollen, zum Politikum. Genauso wie bei einem
Demokratiefördergesetz droht auch da eine politische Einflussnahme
auf den öffentlichen Diskurs, und zwar durch die Parteien,
die gerade an den Schalthebeln der zuständigen Ministerien und
Behörden sitzen.
Das eine ist, was man Hass und
Hetze nennt. Das andere sind Desinformation
und Fakenews. Auch da gilt: Wer das aus dem Internet verbannen will, der begibt
sich auf dünnes Eis, denn auch da ist Vorsicht geboten. Darüber, was
wahr und was unwahr ist, muss schließlich irgendjemand entscheiden. Wer
sollte das
sein? Ein Wahrheitsministerium? – Das kennen wir aus George Orwells
dystopischem Roman „1984“. In freiheitlichen Demokratien hat so
eine Institution aber nichts
zu suchen.
Der deutsche Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner kommt deswegen zu dem Schluss: „Es besteht die konkrete Gefahr, dass Trusted Flagger in nicht unerheblichem Umfang auch rechtmäßige Meinungsäußerungen melden.“
Es stimmt zwar, dass am Ende
nicht die Trusted Flagger, sondern die Plattformanbieter selber über
eine Löschung entscheiden. In der Praxis werden die Anbieter aber lieber
ein Mal zu viel als ein Mal zu wenig löschen, um Strafzahlungen,
die das Gesetz vorsieht, zu vermeiden. Den Hinweisgebern – privaten
Organisationen, die von staatlicher Stelle zertifiziert werden –
kommt damit eine bedenklich
große Macht über den öffentlichen Diskurs zu.
Verehrte Abgeordnete, ich bin
überzeugt, eine starke Demokratie braucht einen lebendigen Pluralismus und
kein betreutes Denken. Sie braucht offenen
Diskurs und keine Zensur. Demokratische Willensbildung ist ein Bottom-up-
Prozess, kein Top-down-Prozess. Die Grenzen des Sagbaren setzt das Strafrecht,
nicht
der Zeitgeist und nicht politische Aktivisten.
Ja, wir sollten Extremisten und
Demokratiefeinde jeglicher Couleur entschlossen bekämpfen, aber doch
nicht diejenigen, die einfach nur eine andere Meinung
als wir selber vertreten. Wir sollten Neugier und kritisches Denken
fördern, sollten die Bürger dazu und nicht zum Konformismus
ermutigen.
Meine Damen
und Herren! Der vermeintliche Schutz der Demokratie – das ist meine
feste Überzeugung – darf nicht als Vorwand dienen, um
Freiheiten einzuschränken. Deswegen möchte ich mit einem
abgewandelten Zitat von Benjamin Franklin schließen: Wer Freiheit
aufgibt, um Demokratie zu schützen, der
verdient weder die eine noch die andere. – Danke für Ihre
Aufmerksamkeit. (Beifall.)
11.12
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für
Ihre Ausführungen, Herr Hagen.
Nun darf ich – last, but not least – Herrn Botschafter Dr. Emil Brix, den Präsidenten der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, um seinen Beitrag zum Thema „Demokratiebildung“ ersuchen. – Bitte, Herr Präsident.
11.13
Dr. Emil Brix (Österreichische Forschungsgemeinschaft): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich eigentlich über alles, was ich bisher gehört habe, nämlich darüber, dass es so unterschiedlich war.
Sie haben vor allem von meinem Vorredner gehört, wie
stark er die Freiheit betont und vor Zensur gewarnt hat. Das ist schon
tatsächlich eine schwierige Entscheidung, die Sie zu treffen
haben, die aber eigentlich wir alle zu treffen haben: Wie entscheiden wir, wie
viel wir an Freiheit wollen? Gleichzeitig: Wie viel an
Regeln, die das beschränken, haben wir uns aber auch selbst gegeben und
aus welchen Gründen? Sind das immer die demokratischen Grenzen, um
die es da
geht, oder geht es auch um anderes?
Ursprünglich habe ich mir gedacht, ich habe eine wahnsinnig leichte Aufgabe, Sie werden alle sagen, wir brauchen Schulen und in den Schulen muss für Demokratie gebildet werden. Sie haben das auch tatsächlich alle irgendwie gesagt: Wir brauchen diese Bildung, diese Ausbildung. Ich will dem ja gar nicht widersprechen.
Ich werde gerne auch ein paar Beispiele dazu geben, dass ich
denke, dass wir auch gesetzmäßig mehr tun könnten, als
bisher getan wurde. Es gab unter anderem
vor zwei Jahren einen Entschließungsantrag, von vier Parteien in diesem
Fall, der mehr an politischer Bildung konkret verlangt hat. Ich möchte
auch unterstreichen, was meine Vorredner gesagt haben: Die Demokratiewerkstatt
dieses Hauses, des Parlaments, ist das Beste, was es an Demokratiebildung
derzeit in Österreich gibt. Dazu, dass das so gemacht wurde, kann man nur
gratulieren. Das ist auch ein Vorbild für viele andere.
Ist Demokratiebildung aber wirklich allein durch
Demokratiebildung möglich, oder geht es nicht auch um die Qualität
dessen, was in der politischen Arbeit geschieht? – Ich
würde schon darauf hinweisen und sagen, ich glaube, die wichtigste Form
von Bildung für Demokratie ist einfach gute Demokratie, das heißt,
nachzudenken: Wo kann man denn eigentlich mehr Demokratie zulassen, und in
welcher Form kann man sie zulassen? Haben wir da die Grenzen schon
erreicht?
Als völlig unzuständige Person denke ich mir: Wo
sind denn eigentlich Bereiche, in denen Bildung passiert, ohne dass wir es
so wahrnehmen? – Einer jener Bereiche
ist in der Laiengerichtsbarkeit. Ich verstehe eigentlich nicht, warum wir
nicht – auch politisch – ein bisschen mehr nachdenken:
Was ist die Rolle dieser Laiengerichtsbarkeit, nicht nur in der Frage, wie
Urteile zustande kommen, sondern auch, was die Beteiligung von Bürgern an
solchen Prozessen betrifft?
Ich würde sehr stark dafür plädieren, das zu untersuchen und sich nicht nur von den Richtern und Staatsanwälten mit deren Interessen erklären zu lassen, dass die Berufsgerichtsbarkeit einfach bessere, gerechtere Urteile bringt und man daher nicht so sehr auf die Laien vertrauen soll.
Unter dem Gesichtspunkt der Demokratie ist das für die
Bildung der Demokratiebildung ein ganz entscheidender Punkt. Ich denke, da
gäbe es Bereiche – vor allem in der Art der
Schöffen –, in denen man weit mehr machen könnte, als man
jetzt macht. Dass wir in Europa viele Traditionen der Laiengerichtsbarkeit
verloren haben, halte ich für einen Fehler. Es gibt nur mehr wenige
Staaten, in denen
es tatsächlich ein ausgebautes Laiengerichtssystem gibt. In
Österreich ist es gar nicht so schlecht, aber man könnte mehr
machen.
Also mein erster Punkt ist
wirklich: Die Demokratiebildung lebt davon, dass wir sagen, Demokratie ist eine
Lebensform. Da gibt es eine lange Tradition, in der das so dargestellt wurde.
Wenn wir es als Lebensform sehen, dann müssen wir einfach auch in die
Verbesserung dessen investieren, was wir auf der Institutionsebene, auf
der Teilhabemöglichkeitsebene und natürlich auch auf der Ebene der
Interpretation der Zahlen, die uns die Sozialforschung betreffend das mangelnde
Vertrauen
vorlegt, sehen, und darauf reagieren.
Ich selbst bin von der
Ausbildung her Diplomat und bin derzeit auch Direktor der Diplomatischen
Akademie. Sie können sich vorstellen, der sogenannte Rückzug der liberalen
Demokratie weltweit ist für mich ein großes Thema, aber auch
für die Studierenden an der Diplomatischen Akademie. Da muss ich schon
sagen,
es ist tatsächlich alles richtig, was gesagt wurde.
Nach 1989/1990 gab es diese
Hoffnungen, dass wir nur noch in der Ausgestaltung der liberalen Demokratie
kleine Unterschiede haben, aber letztlich im Paradies gelandet sind.
Ich habe schon damals zu denen gehört, die nicht daran geglaubt haben. Heute glauben eigentlich kaum noch Leute
daran, sondern wir sehen
ganz im Gegenteil, dass wir eine neue Polarisierung auf der
Weltbühne erleben.
Ich hatte gestern Vertreter der
liberalen Opposition von Belarus, Weißrussen, bei mir, die ziemlich
hoffnungslos geworden sind, weil ihr demokratisches Streben
gegen den kommunistischen Lukaschenka dort vom Westen zu wenig unterstützt
wird. Wenn ich mir die Lage ansehe – und ich habe ihnen das auch
ehrlicherweise gesagt –, sehe ich eigentlich, dass wir im
Westen derzeit so tun, als wenn da ein neuer Eiserner Vorhang nun einmal schon
heruntergegangen sei und die Belarussen auf der falschen Seite
seien.
Ich glaube, so realistisch muss man in der Beurteilung der
Weltpolitik sein, dass man sieht, dass derzeit diese Dinge passieren. Das Ganze
ist noch damit verknüpft,
dass wir in der demokratischen Theorie von einer Postdemokratie reden, dass ja
in Wirklichkeit das, was Sie hier tun, was wir auch überall tun, nicht der
entscheidende Punkt ist, sondern dass die Entscheidungen ganz
woanders fallen. Sie fallen in internationalen Konzernen, und sie fallen sicher
nicht allein hier. Also dieser
Trend, über Postdemokratie zu sprechen, ist sicher auch etwas, das in der
demokratischen Bildung angesprochen werden sollte, weil es einfach ein
Problem ist.
Warum ist das so? – Das ist auch ganz einfach.
Also ich habe zumindest immer gelernt, wenn es bei mir um Demokratie ging:
Es gibt nicht nur eine Chance,
den Wohlstand allgemein durch liberale Demokratie zu verbessern, sondern auch
eine, ihn etwas gerechter zu machen.
Diese Erwartung hat sich halt teilweise nicht
erfüllt – das muss man ja auch so sehen, wenn man es sich
ansieht. Das ist natürlich in jeder Gesellschaft ein bisschen
anders, aber letztlich – wenn man sich den Demokratieindex ansieht,
dann sieht man das auch. Mein Punkt – auf die Welt
gesehen – ist: Die Zahl der Demokratien
nach unserer Art wird derzeit weniger und wir scheinen nicht die Argumente zu
haben, sie größer zu machen, sondern sie werden kleiner.
Das meiste hat damit zu tun, dass die, die undemokratisch
vorgehen, sagen:
Wir können schneller agieren, wir können eindeutiger agieren und wir
haben auch die besseren Rezepte, um die Wirtschaft voranzubringen. Das muss
widerlegt
werden; das muss demokratisch widerlegt werden. Das ist, glaube ich, auch ein
Inhalt für die Demokratiebildung, nicht nur die Frage, wie wir das
Schulfach nennen – nennen wir es
Geschichte und Sozialkunde und politische Bildung oder anders? –,
sondern tatsächlich Inhalte, die vermittelt werden
sollen.
Das heißt für
mich, dass die wichtigste Maßnahme für mehr Demokratiebildung
in einer Weiterentwicklung der Politik der demokratischen Staaten und
des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems liegt. Wenn das Produkt
stimmt, wenn Demokratie Menschen wirklich in ihrem persönlichen und
gesellschaftlichen Leben hilft, dann hilft dies dem
Bildungsauftrag.
Erst in zweiter Linie sage ich
Ihnen das, was Sie vielleicht erwarten, wenn es um Demokratiebildung geht:
Natürlich ist es ganz wichtig, auf allen Ebenen, mit allen
Bevölkerungsgruppen und mit allen Möglichkeiten, die wir haben,
Demokratiebildung voranzutreiben, vom Kindergarten bis zum Pensionistenklub,
ebenso – und das
muss man auch sagen – in der Integrationsarbeit, in allen
staatlichen und nicht staatlichen Bildungseinrichtungen, im Bundesheer,
und natürlich in den Parlamenten,
das sind zentrale Orte der Demokratie. Ich habe schon gesagt, was ich von der
Demokratiewerkstatt halte, dass ich sie für eine großartige
Einrichtung halte, aber
sie hat eben nur eine Vorreiterrolle. Ich würde vorschlagen: Überall,
wo der Staat demokratisch auftritt, sollte dies auch einen Bildungsauftrag
zur Demokratiebildung bedeuten. Die Landtage sind auch schon
erwähnt worden, aber es sollte selbstverständlich auch für
die Gemeinderäte gelten, dass es ein Teil ihrer Arbeit ist,
einen Bildungsauftrag zu haben. Das heißt überall – bei
allen Möglichkeiten, die wir haben.
Ich würde Schulen gar
nicht so besonders hervorheben, obwohl dort natürlich
der Zugriff auf Menschen für lange Zeit am größten ist. Daher
stehen nach wie vor Schulen und Universitäten im Zentrum, wenn es um
diesen Bildungsauftrag
geht. Wir haben ja seit jetzt schon seit 50 Jahren einen langen Prozess
der Einbindung von politischer Bildung. Es hat ja die Entwicklung der
politischen Wissenschaften in Österreich überhaupt
erst sehr spät begonnen – erst in den siebziger Jahren, erst
aus Amerika im sozialwissenschaftlichen Bereich nach Österreich geholt,
mit größten politischen Widerständen. Die eher konservativen
Rechtswissenschaftler und Historiker wollten das gar nicht haben. Ich erspare
Ihnen die ganzen Diskussionen. Jedenfalls hatten wir bei der Frage der
politischen Bildung einen ähnlichen Prozess durchzumachen. Wir haben
inzwischen die Einbindung in allen staatlichen Bildungseinrichtungen
gesichert, ebenso das Unterrichtsprinzip und das Unterrichtsfach
politische Bildung in einzelnen Bereichen und auch Lehr- und Forschungsmöglichkeiten
im tertiären Bereich. Das heißt, man kann für politische Bildung
ausgebildet werden. Das ist Gott sei Dank in Österreich auf einem relativ
guten Wege, obwohl natürlich die Vertreter dieser neuen Richtungen viel
mehr möchten als bisher geschehen ist.
Ein wichtiger Punkt, wenn es um die Bildung geht, ist aus
meiner Sicht die Frage, woher diese immer wieder genannte
Wissenschaftsskepsis in Österreich kommt.
Nach Ende der Covid-Krise – Sie wissen das alle – ist
gesagt worden, dass Untersuchungen zeigen, dass es in Österreich eine
weit höhere Wissenschaftsskepsis
als in anderen Ländern gibt. Sie sei ein bisschen vergleichbar mit
Deutschland, das könnte ein deutschsprachiges System sein. Vielleicht
hängt das mit irgendwelchen schlechten historischen Erfahrungen
mit Autoritäten und Wissenschaften zusammen? Vielleicht hängt es in
Österreich speziell noch damit zusammen,
dass wir ja die Tradition haben, dass selbst die gute Aufklärung von oben,
vom Staat, von Kaiser Joseph II., und nicht
von unten kommt? – Es mag schon sein, dass
es manche österreichische Besonderheiten gibt, warum die
Wissenschaftsskepsis höher ist.
Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und
Forschung hat sich daher den Auftrag gegeben, Programme zu entwickeln. Es hat
ein 10-Punkte-Programm
gemacht und das IHS eine Studie zum Thema Wissenschaftsskepsis und Demokratie
machen lassen. Ich war sehr überrascht und weiß auch gar nicht, wem
das eingefallen ist, die beiden Dinge in einer Studie zu
verbinden – in derselben Studie die Wissenschaftsskepsis und die
Demokratie in Österreich abzufragen, vermutlich mit der
Vorannahme, dass die beiden Dinge etwas miteinander zu tun haben oder dass man,
je wissenschaftsskeptischer man ist, desto undemokratischer denkt.
Sie werden aber überrascht sein, wenn Sie diese lange Studie lesen, denn
das kommt aus dieser Studie nicht heraus. Es scheint diesen Zusammenhang nicht
zu geben, sondern die Wissenschaftsskepsis geht überall durch, ist etwas,
was in allen Bereichen vorhanden ist, und lässt sich überhaupt nicht
mit dem gleichsetzen, was die Demokratie betrifft.
Diese Studie hat auch zu einer Plattform geführt, die
sich DNA nennt und mit Wissenschaft und
Demokratie beschäftigt – auch wieder Wissenschaft und
Demokratie.
Es wäre zu prüfen, ob diese Verknüpfung gerechtfertigt
ist und tatsächlich zu stärkerer Demokratiebildung
beiträgt. Es wird relativ viel Geld dafür aufgewendet –
auch für diese Webpage, die da entstanden ist. Der Zusammenhang zwischen
Wissenschaftsskepsis und
Demokratieskepsis lässt sich in Studien aber nicht nachweisen.
Ich ende mit einigen kurzen Empfehlungen, die –
ich weiß schon – vielleicht ein bisschen irreal sind,
weil das Fällen von Entscheidungen ja gerade im Bildungsbereich
sehr kompliziert ist. Wir wissen alle nicht, wie sich die nächste
Regierung bildungspolitisch aufstellen wird, auch wenn ich eine gewisse
Vermutung habe.
Zu den Schulen: Meine Empfehlung wäre, in allen
Schulformen ein eigenes Unterrichtsfach politische Bildung ab der fünften
Schulstufe zu haben – ganz eindeutig ein eigenes
Unterrichtsfach politische Bildung. Die Gefahr, die mein Vorredner angesprochen
hat, dass es ein Ideologiefach werde, habe ich auch schon bei
anderen Diskussionen gehört. Ich unterstelle der SPÖ nicht, dass sie
ungeschickt ist, das auch wieder zu versuchen. Ich glaube aber, das müssen
wir aushalten. Es
muss möglich sein, das zu einem Fach zu machen, in dem nicht Ideologie
ausgetauscht wird, sondern wirklich die Inhalte der Demokratie diskutiert
werden – ab der
fünften Schulstufe.
An die Universitäten denke ich im Rahmen ihrer sogenannten Third Mission, also alles, was Vermittlung betrifft. Das sollte eine zentrale Aufgabe sein und jede österreichische staatliche Universität sollte in ihren Statuten auch festhalten, dass es eine solche Aufgabe ist.
Drittens: mehr Unterstützung für zivilgesellschaftliche Initiativen im Erwachsenenbereich. Da gibt es so viele Möglichkeiten – und ich meine jetzt nicht nur den Blasmusikverein, aber auch den Blasmusikverein, ich meine natürlich auch die freiwilligen Feuerwehren –, wo das alles eine Rolle spielt.
Viertens würde ich sagen, nicht nur die traditionellen Milieustrukturen wie Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Interessenverbände bedenken, sondern ein bisschen darüber hinausgehen.
Fünftens: Demokratiebildung doch auf Kompetenzen konzentrieren.
Sechstens: Auch mit den Schwächen der liberalen
Demokratie eine Diskussion zulassen. Die sind ja tatsächlich da. Ungleiche
Repräsentation und Exklusion bei den Wahlen sind schon genannt
worden – die Exklusion bei den Wahlen ist ein fürchterliches
Thema, finde ich. Toleranz im Rechtsstaat und seine Grenzen, die Frage der Desinformation ist auch schon genannt worden.
Das Verhältnis von Mehrheit
zu Minderheit sollte bei diesem Punkt auch stärker thematisiert
werden.
Sie merken schon: Wenn man über Bildungsinitiativen
spricht, kommt man letztlich auch immer irgendwann dazu, dass man auch seine
Meinung präsentiert und
nicht nur über Demokratie auf einer offenen freien Ebene spricht. Ich
denke, das österreichische Kompetenzmodell der politischen Bildung
entspricht nicht mehr
ganz der Realität. Man spricht immer noch von einem Ideal wahlberechtigter
österreichischer Staatsbürger. Wir haben schon gehört:
1,5 Millionen Menschen waren
bei den Nationalratswahlen gar nicht zugelassen. Politisch brauchen wir
mehr Möglichkeiten zur direkten Demokratie, um Teilhabe zu schaffen. Ich
habe schon über den Ausbau der Laiengerichtsbarkeit gesprochen. Das ist
der letzte Punkt: Ausbau der direkten Demokratie. Auch da weiß ich, dass
es politisch sehr unterschiedliche Positionen dazu gibt. Ich gehöre auch
zu jenen, die sagen: gut vorbereiten, gut abfragen, aber trotzdem die Schweiz
anschauen, trotzdem versuchen, den Bürgern auch eine direktere
Möglichkeit zu geben. Das entlastet Sie, aber
das macht Sie nicht weniger wichtig in Ihrer Arbeit.
Damit denke ich, dass ich Ihnen ein paar Dinge zum Bildungsauftrag mitgeben konnte. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
11.29
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für
Ihre Ausführungen, Herr Präsident.
Damit ist das Panel 2 abgeschlossen, und ich bedanke mich sehr für alle Beiträge.
Diskussion
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Wir gelangen nun
zur anschließenden Diskussion zum Panel 2, und ich darf an dieser
Stelle nochmals darauf hinweisen, dass die Redebeiträge eine Dauer von
3 Minuten nicht überschreiten sollen. Ich ersuche Sie wirklich,
diese Vorgaben einzuhalten, und darf darauf hinweisen, dass das rote
Lämpchen wie gehabt 1 Minute vor Ende der Redezeit
zu blinken beginnt.
Bitte geben Sie Ihre Wortmeldungen vom Redner:innenpult aus ab.
Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Christine Schwarz-Fuchs. – Bitte, Frau Bundesrätin.
11.30
Bundesrätin Mag. Christine Schwarz-Fuchs
(ÖVP/Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Werter Herr Landeshauptmann!
Geschätzte Teilnehmerinnen und Teilnehmer
an der heutigen Enquete und werte Zuseher über ORF III! Unsere
Demokratie steht heute vor zahlreichen Herausforderungen, wir haben es bereits
gehört. Die
Welt verändert sich in rasantem Tempo und damit wachsen auch die
Anforderungen an unsere Gesellschaft und an unsere politischen Systeme.
Wenn wir wollen, dass Demokratie nicht nur überlebt,
sondern auch gedeiht, müssen wir gemeinsam daran arbeiten, Brücken zu
bauen und unsere demokratischen
Werte zu stärken. Landeshauptmann Thomas Stelzer hat das sehr gut
ausgeführt. Demokratie lebt von Beteiligung, sie ist kein statisches
Gebilde, sondern ein dynamischer Prozess, der von jedem Einzelnen
getragen wird. Wie Landeshauptmann Stelzer gesagt hat: Es genügt
nicht, dass man am Wahltag wählen geht. Natürlich
ist es sehr wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme
abgeben, aber um die Verantwortung in einer Demokratie wahrzunehmen, braucht es
auch Bürgerinnen und Bürger, die in der Politik mitmachen
und mitarbeiten und sich einbringen wollen.
Ein sehr wichtiger Bereich in diesem Zusammenhang ist auch
das Engagement
in den Schulen. Das wurde heute bereits mehrfach erwähnt. Die Jugend
ist die Zukunft der Demokratie. Indem wir frühzeitig politische Bildung
fördern und offene Diskussionen im Schulalltag ermöglichen, aber auch
Neugier und kritisches Denken fördern, wie Martin Hagen auch
erwähnt hat, schaffen wir die Grundlage für eine informierte und
engagierte Gesellschaft. Wenn junge Menschen verstehen, dass ihre Stimme
zählt und dass Demokratie Schutz und Chancen bietet, werden sie auch
bereit sein, sie in Zukunft aktiv zu verteidigen und zu gestalten.
Die Demokratiewerkstatt des Parlaments wurde heute auch
schon mehrfach lobend erwähnt. Am
heutigen Vormittag sind gerade zufällig Schülerinnen und Schüler
vom Sacré Coeur Riedenburg aus Bregenz bei uns im Haus.
Nationalrat Norbert Sieber und ich haben sie heute in der Früh schon
begrüßen können. Wir freuen
uns immer sehr, wenn auch Schulen aus Vorarlberg zu uns ins Hohe Haus kommen
und wir ihnen das Parlament näher bringen und sie für die Demokratie
begeistern können.
Es geht
jedoch nicht nur um die Jugend und die Schulen, wie Botschafter Dr. Brix
auch ausgeführt hatte. Auch in der Mitte der Gesellschaft müssen wir
Räume schaffen, in denen Menschen unterschiedlicher Meinungen miteinander
ins Gespräch kommen können – und das nicht nur national
bei uns in Österreich,
sondern auch international, wie Sie gesagt haben. Da kann ich Ihnen nur
zustimmen. –Nur so können wir die wachsenden Herausforderungen
gemeinsam bewältigen,
sei es der Klimawandel, die Digitalisierung oder auch die globalen
Herausforderungen, damit wir in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben
können. – Vielen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
11.33
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Vielen Dank.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Doris Wagner vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. – Bitte.
11.33
Doris Wagner, MEd BEd (Bundesministerium für
Bildung, Wissenschaft und Forschung): Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin!
Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, bei
dieser Enquete dabei sein zu dürfen. Als Leiterin der
Sektion I im Bildungsministerium bin ich mit meinem Team für
Pädagogik zuständig. Ich sehe da schon einen großen Hebel,
Veränderungen
zu erzielen. Es ist gesagt worden: Eine funktionierende Demokratie braucht
politisch gebildete Bürgerinnen und Bürger und politische Bildung ist
einfach. Zum
Gelingen der politischen Bildung haben Schulen klassischerweise natürlich
eine bedeutende Rolle, aber nicht nur die Schulen – vergessen
wir nicht die Erwachsenenbildung, denn Bildung geht sprichwörtlich
von der Wiege bis zur Bahre.
Lassen Sie mich jetzt drei Elemente herausgreifen, die wir
zuletzt in Angriff genommen haben, um genau das Thema Demokratie zu
stärken und politische Bildung voranzutreiben. Eines hat Herr
Dr. Brix schon angesprochen: Die DNA ist es, das heißt, die
Demokratie und die politische Bildung müssen ganz tief in unser
menschliches Wesen eindringen. Darum haben wir diese Initiative auch DNAustria
genannt. DNAustria steht für Demokratie, steht für politische
Bildung,
und das wollten wir damit. Wir wollten wirklich eine unverzichtbare Basis
für das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat schaffen und wir
wollten
auch das Vertrauen stärken, Wissenschaft und Demokratie auch gleichzeitig
zu fassen.
Wir haben somit eine zentrale Infoplattform mit
Wissenschafts- und Demokratievermittlungsangeboten geschaffen, denn es ist
immer gut, die Dinge gebündelt an einer Stelle zu haben, um sie gut
abrufen zu können. Diese Plattform macht sichtbar, wo und wie Wissenschaft
und Demokratie jeden Tag gelebt, erkundet werden können, woran gerade
geforscht wird, wo sich Menschen engagieren und
wo wir selbst aktiv tätig werden können. Nun, es ist ein
vielfältiges Programm, und Maßnahmen zur Demokratiebildung sind
wirklich gut gebündelt und können
jederzeit von Pädagoginnen und Pädagogen gut abgeholt und in der
Klasse eingesetzt werden.
Der zweite Punkt ist auch schon angesprochen worden, nämlich der
Gegenstand politische Bildung. Ich sage Ihnen, es kommt nicht darauf an,
ob wir ein eigenes Fach haben – wichtig sind die Kompetenzen. Wo
vermitteln wir die Kompetenzen,
die für eine politische Bildung und für Demokratiebildung wichtig
sind? Wir haben das auch im neuen Lehrplan gut berücksichtigt, im Rahmen
der Fächer Geschichte
und politische Bildung. Wir haben die Bedeutung auch sehr stark auf die
politische Bildung gelegt. Man braucht Geschichte, um einen Grund zu haben, um
Dinge
zu verstehen, aber man muss das einfach einordnen und auch zukünftig im
politischen Rahmen denken können. Auch übergreifende Themen wurden
eingeführt.
Angesprochen wurde auch etwas
Wichtiges: Politische Bildung ist das eine, aber das Eintauchen in eine
Demokratiewerkstatt – sei es auf Bundesebene, hier, oder
auf Landesebene, ob das ein Kinderlandtag ist, ein
Berufschullandtag – ist ein unverzichtbares Element, wo
Schülerinnen und Schüler Demokratie spüren können.
Last, but not least: Schuldemokratie;
Schülerinnen und Schüler über Rechte und Pflichten im
täglichen Schulleben aufzuklären, Vertrauen zu bilden, Maßnahmen zu setzen.
Wir haben heuer eine große Initiative „Hinschauen statt
wegschauen“. Verantwortung zu tragen und zu übernehmen ist
nämlich politische Bildung
live, denn Schule soll ein Ort sein, um Demokratie zu leben und zu
lernen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)
11.37
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Als Nächster
zu Wort gemeldet ist Herr Nationalrat Gernot Darmann. – Bitte.
11.38
Abgeordneter Mag. Gernot Darmann (FPÖ): Frau
Präsident! Werte Damen und Herren! Lassen Sie mich ein wenig
Spielverderber sein, wenn ich hier aus vollster Überzeugung sage, dass man
sehr oft Kindesweglegung seitens der Politik betreibt, wenn man mit dem Finger auf das Volk zeigt, das diese Demokratie und
Politik
nicht verstehe, und sich selbst nicht bei der Nase nimmt. Es sind die
Politiker, die da und dort dazu beitragen, das Volk von der Demokratie
wegzuschieben, wegzustoßen. Der Wahlabend hat
gezeigt – als die zwei größten Verlierer den eindeutigen
Wahlsieger zur Seite geschoben haben –, dass man mit Demokratie
nicht viel
am Hut hat, genauso wie der Herr Bundespräsident, der den Zweiten
beauftragt hat und nicht den Ersten.
Wenn man nach Deutschland
schaut, wo es in der Diskussion um vorgezogene Neuwahlen nur noch das Argument
gibt, dass man zu wenig Papier habe, um Wahlen durchzuführen, dann sieht
man, wo das Problem begraben ist: Das sind die
Politiker. Wenn wir von Bildung, von Demokratiebildung reden, sollte es
vielleicht der eine oder andere Politiker über sich ergehen lassen, einmal
in sich zu schauen,
was einem an Demokratieverständnis
innewohnt, und darüber nachdenken.
Wir reden über Demokratie,
die Zukunft braucht. Ich bin der Überzeugung, Demokratie braucht
Politiker mit Handschlagqualität, mit Glaubwürdigkeit, die es
durchaus verdienen, einen Vertrauensvorschuss von den Bürgern, von unserem
Wahlvolk zu bekommen. Wir brauchen darüber hinaus natürlich auch eine
Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen der Politik – Entscheidungen,
die schlussendlich bei den Bürgern ankommen. Da hilft es nicht,
darüber zu reden, was man nicht allen für ein Gefühl geben muss,
wie ich es heute hier mehrfach bei Ausführungen gehört habe.
Die Leute spüren tagtäglich in der eigenen Tasche, dass sie kein Geld
mehr zum Leben haben. Die Auswirkungen der Realpolitik kommen bei
der Bevölkerung an. Da braucht man nicht zu verkaufen, dass man ein gutes
Gesundheitssystem, ein funktionierendes Sozialsystem und ein leistbares
Leben sicherstellt, weil die Bevölkerung weiß, dass es
anders ist.
Und ja, die Wahlbeteiligung zeigt es: Die Demokratie in
Österreich ist lebendig. Sie ist vielleicht anders, weil die
Bevölkerung aufgrund der fehlenden, aber auch der Fehlentscheidungen der
regierenden Politik nachvollziehbar kritischer und vielleicht auch emotionaler
geworden ist. Das ist nicht der Fehler des Volkes. Ich darf –
insbesondere in Richtung der Kolleg:innen von der SPÖ – daran
erinnern, dass der Staat durch das Staatsgebiet, durch die Staatsverfassung und
das Staatsvolk
definiert ist, und um Letzteres hat sich die Politik in den letzten Jahren
eindeutig zu wenig gekümmert. Ich gehe davon aus: Wenn das eine oder
andere –insbesondere, was eine wahre demokratische
Gesinnung mancher Regierenden in Österreich, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Bundesländern
betrifft – beherzigt wird, dann wird sich noch einmal einiges
verbessern, weil: Die Bevölkerung ist
da, das Volk ist bereit, sich zu beteiligen! Alles andere wäre ja an den
Haaren herbeigezogen.
Schlussendlich
noch ein Schlusssatz, Frau Präsident – das sei mir
gestattet –, zum Thema soziale Medien: Nicht die Botschaft über
soziale Medien ist das
Schlechte, sondern man sollte sich einmal überlegen – und da
bin ich wieder beim anderen Thema –: Was kommt bei den Menschen an,
was ist die Lebensrealität unserer Bürger quer durch
Österreich, was ist die Wirtschaftsrealität unserer Unternehmer quer
durch Österreich? Da braucht es nicht den Fingerzeig
Richtung soziale Medien, die ach so böse sind, sondern vielmehr eine
nachvollziehbare, gescheite Politik im
Sinne unseres Heimatlandes. – Danke schön. (Beifall.)
11.41
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernhard Ruf. – Bitte.
11.42
Bundesrat Mag. Bernhard Ruf (ÖVP/Oberösterreich):
Geschätztes Präsidium!
Herr Landeshauptmann! Werte Damen und Herren! Ich bin sehr froh, heute an
dieser Enquete teilnehmen zu dürfen – und ich danke allen Vortragenden
für ihre
wirklich sehr, sehr wertvollen Inputs. Meine Conclusio daraus ist, dass wir uns
in der Demokratie den Respekt erhalten müssen. Dieses „We agree to
disagree“, das brauchen wir. Wir haben natürlich in unserer
Gesellschaft etwas zu verdauen, nämlich die sozial-mediale Revolution, die
uns beschert hat, dass jeder und jede von
uns ein Möglichkeitsuniversum hat, jeder und jede kann Autor:in,
Regisseur:in oder Journalist:in sein. Frau Salomon hat das auch angesprochen.
In diesem Möglichkeitsuniversum sucht man dann eben Halt und
Sicherheit. Es droht aber auch die häufigste Unfallursache in diesem
Möglichkeitsuniversum, nämlich die Selbstüberschätzung –
und da gilt es, den anderen, die andere und vor allem die andere Meinung gelten
zu lassen. Vor allem gilt: Reflexion statt Unreflektiertheit.
Was die Demokratie in meinen Augen am meisten bedroht, ist der Etikettenschwindel. Als Beispiel für Etikettenschwindel, meine ich, braucht man sich nur die Volksrepublik China anzusehen. Ja, Volksrepublik ist da schon ein Etikettenschwindel. Auch diese permanente Täter-Opfer-Umkehr, wie sie auch bei uns teilweise in Parteien vorkommt und wie wir es ja eben in der Vorrede auch wieder bemerkt haben, dieser Etikettenschwindel bedroht auch in gewisser Weise unsere Meinungsfreiheit, unser Agreement „to disagree“.
Etikettenschwindel sind
natürlich auch – und da müssen wir auch ganz kritisch nach
Europa schauen – diese schönen neuen Schraubverschlüsse,
die jeder von uns
kennt. Ich glaube, sie sind – wie soll man sagen – nicht
ein Zeichen der Nachhaltigkeit und der Bürgernähe, sondern eher eines
des effektiven Lobbyismus.
Wir
müssen Demokratie stärken und schützen, indem wir stolz auf sie
sind und
sie nicht durch – teilweise auch antidemokratische –
Parallelstrukturen aushöhlen lassen. Es gibt derartige Tendenzen:
NGOs statt Parteien, Straße und Protest statt Debatte. Wir müssen
Spannungen aushalten und wir müssen nicht nur aufhören, die Politik
und die Politikerinnen schlecht zu machen, sondern auch dazu stehen.
Nur so können wir es schaffen, dass wir – und das hat mich
schon sehr beeindruckt – nicht als Politiker:innen an die
nächsten Wahlen denken, sondern als Staatsmänner und
-frauen an die nächste Generation. Diese Hoffnung habe ich auch nach diese
Enquete. – Danke vielmals. (Beifall.)
11.45
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu
Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sandra Gerdenitsch. – Bitte.
11.45
Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch (SPÖ/Burgenland):
Sehr verehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer! Auch ich bin sehr froh,
heute hier dabei sein zu dürfen, und habe schon sehr viele
wertvolle Inputs von Ihnen gehört. Demokratie ist zweifellos eine der
wertvollsten Errungenschaften unserer Gesellschaft;
sie sichert nicht nur unsere Grundrechte, sondern gibt uns auch die
Möglichkeit, aktiv am politischen Geschehen teilzunehmen.
Was mich sehr verstört und
was wir unbewusst ja immer wieder in uns haben,
ist diese Politikverdrossenheit und dieses mangelnde Vertrauen. Besonders
wichtig ist es, dass wir die Demokratie wieder stärker in den Mittelpunkt
stellen – und
wer mich kennt, weiß, dass da mein Herz vor allem für die jungen
Menschen schlägt. Diese gilt es jetzt aktiv einzubeziehen. Welchen Beitrag
können wir heute
leisten? Wie können wir Brücken bauen?
Erstens: Bildung und
Aufklärung sind der Schlüssel für junge Menschen –
und die Grundlage jeder funktionierenden Demokratie sind informierte
Bürgerinnen
und Bürger. Dennoch haben gerade junge Menschen – und ich mache
diese Erfahrung selbst mit meinen Kindern – oft das Gefühl,
dass ihre Stimme keinen Einfluss
auf politische Entscheidungen hat. Es geht nicht nur darum, Wissen über
das politische System zu vermitteln,
sondern auch darum, junge Menschen mit den Herausforderungen
unserer Zeit zu konfrontieren. Wenn junge Menschen verstehen, dass ihre Stimme
zählt und Veränderungen auch tatsächlich möglich sind,
werden sie sich eher in politische Prozesse einbringen und Verantwortung
übernehmen.
Zweitens: Wahlen –
der Herzschlag unserer Demokratie. Gerade in Zeiten, in denen viele Menschen
das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht gehört wird, sind
Wahlen ein wichtiges Instrument, um zu zeigen, dass jede einzelne Stimme
zählt. Wir können so Einfluss auf die Gestaltung unserer Zukunft
nehmen; Wahlen sind
ein demokratisches Recht, aber natürlich auch eine Verantwortung.
Drittens: die Förderung
von direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung. Demokratie lebt nicht nur
von Wahlen, sondern auch von der Möglichkeit, sich aktiv in
das politische Geschehen einzubringen und an Entscheidungen mitzuarbeiten.
Formen sind zum Beispiel direkte Bürgerforen, Diskussionsformate, aber
auch digitale Beteiligungsplattformen.
Demokratie bedeutet, dass alle
Generationen – auch die jüngeren – gleichermaßen
an der politischen Diskussion teilnehmen können. Lassen Sie mich ein
Beispiel
aus dem Burgenland bringen, das die Förderung der politischen Bildung und
der Beteiligung der jungen Menschen in den Fokus rückt –
und zwar ist das die Friedensburg in Schlaining, wo man direkte
Demokratie erleben und mitgestalten
kann.
Viertens: das Vertrauen in
Institutionen, Transparenz und Rechenschaftspflicht als Grundlage. Eine
kritische, faire Berichterstattung hilft, politische Prozesse
für alle verständlich zu machen. Wenn junge Menschen verstehen, wie
Entscheidungen getroffen werden und wie sie diese mitgestalten
können, wächst ihr
Vertrauen in die Demokratie.
Zum
Abschluss möchte ich, dass wir uns überlegen, dass es nicht nur
wichtig ist, Brücken zu bauen, sondern dass wir diese Brücken
gemeinsam mit den jungen
Menschen bauen und dass wir diese jungen Menschen auch ermutigen, über
diese Brücken zu gehen. Es hilft nicht nur, zu sagen: Es ist wichtig, dass
sich junge Menschen an politischen Prozessen beteiligen, sondern es ist auch
wichtig, dass sie aktiv mitarbeiten – und ich würde mir
wünschen, dass in solchen Gremien,
wie dem, in dem wir einander heute treffen, viel mehr junge Menschen mit dabei
sind. – Vielen Dank. (Beifall.)
11.48
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu
Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Klemens Kofler. – Bitte.
11.49
Bundesrat Klemens Kofler (FPÖ/Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrte Kollegen aus dem Bundesrat! Sehr geehrte Gäste! Grüß Gott! Demokratie ist sicher die beste Form des Zusammenlebens, aber keine Selbstverständlichkeit. Demokratie heißt, das Volk ist der Souverän – und Demokratie wurde hart erkämpft. Demokratie muss gepflegt, aber auch verteidigt werden. Bis dahin sind wir uns wohl einig, aber Demokratie muss eben auch akzeptiert werden.
Wenn Wahlergebnisse anders als von den selbst ernannten
Eliten gedacht zustande kommen, und das Resultat anders ist, dann muss das eben
auch akzeptiert
werden. Wenn man einen erheblichen Wähleranteil ausschließt, schadet
man der Demokratie. Durch ein solches Verhalten schadet man der Demokratie nachhaltig. Der
Bürger fragt sich dann zu Recht: Was nützt die Wahl, wenn das
Resultat anders ist, aber danach doch wieder das Gleiche kommt –
more of the same?
Getragen und organisiert wird die Demokratie von den
politischen Parteien. Da gibt es eine politische Partei, die selbst kaum in der
Lage ist, den eigenen Chef zu
wählen, sich aber bemüßigt fühlt, den Chef einer anderen
Partei zu kritisieren. Es gibt auch noch eine zweite Partei, die massiv unter
Wählerschwund leidet, aber auch
diese arbeitet nicht mit jedem zusammen und will bei einer anderen Partei einen
anderen Parteichef haben. Unsere Aufgabe ist es, Brücken zu
bauen – und zum Brückenbauen
gehört es ganz sicher nicht, die stimmenstärkste Partei zu isolieren.
Wenn die
Demokratie Zukunft haben soll – und sie wird Zukunft
haben –, dann
wird man solche Dinge eben ändern müssen. – Danke
schön. (Beifall.)
11.51
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Manuela-Anna Sumah-Vospernik. – Bitte.
11.51
Bundesrätin Dr. Manuela-Anna Sumah-Vospernik
(NEOS/Wien): Herr Präsident!
Sehr geehrte Expertinnen und Experten! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie
bedeutet wörtlich übersetzt Volksherrschaft, aber was Demokratie
eigentlich auszeichnet, ist die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und
Bürger und
dass man in Alternativen denken kann. Wenn man auf die letzten US-Wahlen
blickt, erschließt sich der demokratische Vorteil des
österreichischen Verhältniswahlrechts schnell, wobei ich
natürlich auch im österreichischen Wahlrecht Reformbedarf sehe. Bei
Wahlen sollten nämlich insbesondere Kandidatinnen und Kandidaten im Fokus
stehen, weil sie es ja auch sind, die Bürgerinnen und Bürger
letztlich im Parlament vertreten und die hoffentlich mit ihrer ganzen
Persönlichkeit einen Unterschied machen. Das derzeitige
Vorzugsstimmensystem ist viel zu unübersichtlich und unwirksam. Da
bräuchte es wirksame Reformen.
Auch der Ausbau der direkten
Demokratie ist ein Ziel, denn es hätte den Effekt, dass es zu weniger undifferenzierten Denkzettelwahlen
käme, wenn die Bürgerinnen
und Bürger sich regelmäßig zu Sachthemen
äußern könnten. Das erfordert natürlich vorausgehend eine
eingehende Sachdebatte und das Erlernen der direkten Demokratie, wie Frau
Mag. Zandonella und Herr Hagen schon ausgeführt haben.
Aufgrund der starken
Mobilität innerhalb Europas gibt es auch ein zunehmendes Legitimationsdefizit,
weil, wie wir wissen, mittlerweile rund 20 Prozent der Wohnbevölkerung
Österreichs keine österreichische Staatsbürgerschaft und damit
kein allgemeines Wahlrecht haben.
Gestern durfte ich in meiner Eigenschaft als Bezirksrätin von
Währing dem Festakt im Rathaus beiwohnen, bei dem über
350 neue Staatsbürger:innen aus 55 Ländern geehrt und
willkommen geheißen wurden.
Ich danke Ihnen, sehr geehrter
Herr Präsident, daher ausdrücklich für diese Enquete und
für das Motto Ihrer Präsidentschaft. Die Stärkung der Demokratie
ist
Aufgabe von uns Politikerinnen und Politikern, die uns nicht nur bei
Veranstaltungen wie diesen, sondern tagtäglich in unserem Tun leiten
sollte. Weil es dabei um
die Grundfesten unseres Zusammenlebens geht, ist klar, dass uns das nur
gemeinsam gelingen kann.
Zu überlegen wäre
vielleicht auch, die Legitimation einer neuen Regierung
dahin gehend zu stärken, dass sich so wie auf EU-Ebene in Österreich
Ministerinnen und Minister vor ihrer Ernennung durch den Bundespräsidenten
einem
Hearing der beiden Parlamentskammern zu stellen hätten. Dies hätte
auch für die einzelnen Minister:innen den Vorteil, dass sie ihre Kompetenz
gleich zeigen
könnten. Es hat schließlich, wie wir wissen, in der Vergangenheit
immer wieder Kritik an den Auswahlkriterien und der fachlichen Qualifikation
der jeweiligen Minister:innen gegeben.
Das alles würde zu einer deutlichen Stärkung der Demokratie führen, die unser aller gemeinsames Fundament ist. – Vielen Dank. (Beifall.)
11.54
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Nadine Fahrenberger von der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. – Bitte.
11.54
Nadine Fahrenberger (Österreichischer Gewerkschaftsbund): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Bundesrat! Mitbestimmung fängt nicht ab dem 16. Lebensjahr an, sondern in der Schule – durch die Wahlen von Klassensprechern oder Schulsprechern. Im Betrieb fängt die demokratische Mitbestimmung der Jugendlichen bei der Jugendvertrauensratswahl an. Jugendvertrauensrät:innen sind die Klassensprecher:innen im Betrieb.
Auch sie haben wir, die Österreichische Gewerkschaftsjugend, uns
hart erstreiten müssen beziehungsweise auch verteidigen
müssen. Die damalige schwarz-blaue Regierung wollte den Jugendvertrauensrat
2018/2019 abschaffen. Die demokratische Mitbestimmung wollte sie uns
wegnehmen, den Klassensprecher im
Betrieb abschaffen und die Jugend mundtot machen.
Wir haben in Österreich
circa 800 Jugendvertrauensratskörperschaften, die sich tagtäglich
für ihre Lehrlinge im Betrieb einsetzen. Bei den Jugendversammlungen
poppen dann meistens die Probleme auf. Ob das die Lehre mit Matura ist oder die
psychische Gesundheit, die Jugendvertrauensräte finden immer eine
Lösung. 1 000 Euro im ersten Lehrjahr in der Metallindustrie und
in allen anderen Branchen haben wir nur dank starker Jugendvertrauensräte,
starker Lehrlinge, die an
den Jugendvertrauensrat und an die Demokratie glauben.
Wir in der
Österreichischen Gewerkschaftsjugend sagen: All jene, die einen Jugendvertrauensrat
haben, kennen und leben demokratische Mitbestimmung. –
Danke. (Beifall.)
11.56
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Barbara Prügl. – Bitte.
11.56
Bundesrätin Barbara Prügl (ÖVP/Oberösterreich):
Geschätzte Frau Präsidentin!
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, mittlerweile
dürfen wir schon drei Stunden lang über die Demokratie reden, und ich
glaube, wir könnten noch Tage damit füllen. Demokratie muss vor allem
auch – davon haben wir bereits gesprochen – gelebt
werden. Wir leben sie in der Politik nicht immer sehr vorbildlich, muss ich
ganz ehrlich sagen, weil Demokratie vom Konsens, vom Lösungen-Finden, vom
Zusammensitzen und Zusammenreden lebt.
Ich möchte in meiner Replik vor allem auf die
ländlichen Regionen und auf die Gemeinden eingehen. Der Herr
Landeshauptmann hat auch davon gesprochen. Ich selbst bin seit 2003
Gemeinderätin – und in der Länderkammer sieht man sehr
wohl
auch die Unterschiede zwischen Gemeindeebene, Länderebene und
Bundesebene.
Ja, Demokratie heißt Verantwortung übernehmen. Am
besten sieht man das
in den Vereinen. Da sieht man es nämlich, wenn man plötzlich in der
verantwortlichen Ebene sitzt. Man sieht es sehr wohl sehr gut, wenn es
Vereinsmitglieder gibt,
die auf den Verantwortlichen oder die Verantwortliche zeigen – und
wenn sie dann plötzlich selbst Verantwortung übernehmen, ändert
sich die Sichtweise. Plötzlich erkennt man, man muss einen
Konsens finden, man muss bei unterschiedlichen Meinungen eine Lösung
finden. Schließlich ist es in einem Verein so, wenn
sich die Frage stellt: Will man demnächst einen Punschausschank machen
oder nicht?, dass es nur durch Diskussion zu keinem heißen Punsch kommen
wird.
Ja, Demokratie soll alltagstauglich sein – und
das ist, was wir auch vorbildlich
zeigen sollen. Wir haben darüber gesprochen und es stimmt: Im
Bildungsbereich ist es sehr wohl sehr wichtig, dass wir sehr bald damit
anfangen, weil die Kinder es,
vor allem im Kleinkindalter, meistens schon in der Familie sehen, wie es ist,
Demokratie zu leben. Am besten weiß man es, wenn es mehrere
Geschwister gibt. Da
schaut man auch immer, dass man irgendwie einen Ausgleich und einen Konsens findet,
damit jeder einen vergleichbaren Anteil vom Kuchen bekommt. Das ist
zwar nur ein kleiner Vergleich, aber das erleben wir tagtäglich.
Das ist das, was wir auch als Verantwortungsträger in
der Politik praktikabel machen müssen. Deswegen ist es zu
begrüßen, dass wir als Politiker Vorbild sind und
vor allem eines tun sollten – und da möchte ich auch aus
Erfahrung in der Gemeinde sprechen, die Bürger haben einmal zu uns gesagt:
Hört doch einmal auf zu
streiten! Aufgrund dessen ist es dann zu einem Wahlergebnis gekommen, durch das
die Konstellationen so geworden sind, dass wir aktuell in einem sehr guten
Konsens sind und uns sehr viel über Parteigrenzen hinweg austauschen. Es
ist eines passiert: dass uns die Bürger sehr wohl ernst nehmen und uns
zuhören. Das ist,
glaube ich, auch sehr wichtig.
Ich habe sehr wohl gemerkt, als ich vom Landtag in den
Bundesrat gekommen bin: Auf einmal heißt es: Ja, auf Bundesebene ist es
üblich, dass gestritten wird. Na ja,
es gibt aber auch vor allem eine gesunde Debattenkultur – und dahin
müssen wir uns bewegen. Es soll keine persönliche Diffamierung geben,
sondern eine Diskussion
auf Augenhöhe. Das müssen wir uns auf alle Fälle hinter die
Ohren schreiben.
Wir sollen
auch nicht eines tun: die Verantwortlichen schlechtmachen und grauslich
darstellen. Es sind nicht die Politiker, der Vereinsobmann, der
Bürgermeister
oder die Bürgermeisterin, die schlecht sind, sondern es geht um eines:
dass man einmal den Blickwinkel verändert und dann sagen kann, die
Verantwortlichen
haben sehr wohl eine Verantwortung zu tragen. Wenn es um
generationsübergreifendes Denken
geht, glaube ich, es ist sehr gescheit, dass man einen guten Ausgleich
von Frauen und Männern hat. Wir können nämlich gemeinsam
sehr wohl über Generationen hinweg entscheiden. Ich hoffe, dass dies
ein guter Ansporn war, um Demokratie wieder lebbarer zu machen. (Beifall.)
11.59
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Nationalrat Mario Lindner. – Bitte.
12.00
Abgeordneter Mario Lindner (SPÖ): Werte Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Es
kann jeden Einzelnen von uns heute, morgen
oder irgendwann erwischen, denn wenn es jemand wirklich will, kann man eine
Person zerstören. Das passiert jetzt schon im kleinen Kreis, täglich:
Menschen werden bedroht, werden gemobbt, werden gedemütigt –
vielleicht nicht in diesem öffentlichen Ausmaß, wie bei mir, es
ist aber trotzdem unerträglich für die Betroffenen. Man kann
sich wirklich nicht wehren, weil es keine Grenzen, keine Regeln, keine
tatsächlichen Konsequenzen gibt.“
„In der
Face-to-Face-Kommunikation gibt es gewisse Spielregeln. Da gibt es auch
Konsequenzen. Dein Gegenüber zeigt Emotionen, vielleicht Weinen,
Tränen, Lachen. Vielleicht riskiere ich
eine Watsche. Im Netz habe ich kein Gegenüber. Da hacke
ich einfach etwas in meine Tastatur. Es kann mir nichts passieren. Mein
Gegenüber kann nicht reagieren. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir jetzt
an diesem
Punkt sind, an dem Spielregeln auch für das Netz definiert werden
können. Ich kann nur an alle appellieren, dass noch mehr von dem passiert
und andere Menschen in Zukunft vor dem, was mir passiert ist,
geschützt werden. Bei mir durfte alles gesagt werden, es gab keine
Konsequenzen und niemand hatte etwas zu
befürchten.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige von Ihnen haben
diese Zeilen,
die ich gerade vorgelesen habe, schon gehört. Das habe nicht ich gesagt,
das ist ein Auszug aus dem Stenographischen Protokoll der Enquete des
Bundesrates vom 16.11.2016. Es war Elke Rock, sie war und sie ist Moderatorin
von Ö3, es ging um das Thema Digitale Courage. Gerade wenn ich an diese
Zeilen denke und sie gesagt
habe, merke ich, das sie sehr zentral mit dem heutigen Thema in Verbindung
stehen, und ich darf mich an dieser Stelle sehr beim Herrn
Bundesratspräsidenten dafür bedanken, dass er dieses Thema
gewählt hat.
Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eine Gesellschaft, eine demokratische Gesellschaft ist immer nur
so stark, wie sie mit ihren – unter
Anführungszeichen – „schwächsten Mitgliedern“
umgeht. Wie gehen wir mit unseren Arbeitnehmer:innen um, gerade wenn man an die
unteren Einkommensschichten denkt? – Gerade
die unteren Einkommensschichten sind jene, die in systemrelevanten Berufen
tätig sind. Wie gehen wir mit Frauen um, im Speziellen, wenn man an
Lohnungleichheiten denkt? Wie gehen wir mit vulnerablen Gruppen um,
wenn man zum Beispiel an die LGBTIQ-plus-Community denkt? Wie geht man mit
Medien, mit Kindern und Jugendlichen, wie geht man mit Menschenrechten
um?
Meine sehr geehrten Damen und
Herren, wie geht man mit der parlamentarischen Demokratie um? Gerade der
österreichische Bundesrat beweist es jedes halbe
Jahr: Da gibt es Expertise, da gibt es Handlungsanleitungen, da gibt es
Forderungen, da gibt es Ideen, da gibt es Vorschläge. Die gibt es, weil
sich der österreichische Bundesrat jedes halbe Jahr mit einem Thema
beschäftigt.
Ich habe mich im Jahr 2016 mit
digitaler Courage beschäftigt. Es hat ein Grünbuch gegeben, es
gibt dieses Stenographische Protokoll. Gerade wenn ich an dieses
Haus denke, an das Parlament, an den österreichischen Nationalrat, an den
österreichischen Bundesrat, dann würde ich mir auch
wünschen, dass beide Kammern
einen Prozess aufsetzen, um diese Expertise,
diese Ideen, diese Handlungsanleitungen, diese Vorschläge
auch in beiden Kammern diskutieren zu können, um letztendlich zu Lösungen
zu kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute ist nicht nur der Gründungstag der Republik. In diesem Sinne: Es lebe die demokratische, vielfältige, soziale Republik Österreich. (Beifall.)
12.03
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Sina Moussa-Lipp, Arbeiterkammer Wien. – Bitte.
12.04
Sina Moussa-Lipp, BA MA (Arbeiterkammer Wien): Sehr
geehrte Vizepräsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Ich möchte ganz kurz darstellen, warum uns
das Thema Demokratie und politische Teilhabe auch in der Arbeiterkammer, in der
Interessenvertretung für Arbeiter:innen
und Angestellte, ganz besonders beschäftigt.
Ich bin im Bereich Kommunalpolitik tätig, und da sehen
wir, dass die Demokratielücke ganz besonders groß und ein besonderes
Problem in der Stadt ist. Wir haben
auf der einen Seite in den letzten Jahrzehnten ein ganz starkes Wachstum der
Stadt, allein zwischen 2010 und 2020 ist Wien um ganz Favoriten oder um ganz
Linz gewachsen, und im gleichen Zeitraum ist die Zahl der wahlberechtigten
Personen gesunken. Das heißt: Wir haben einerseits ein starkes
Bevölkerungswachstum
und eine sinkende Wahlbeteiligung auf der anderen Seite – Julia Herr
hat schon darauf hingewiesen.
Wenn wir jetzt die nicht wahlberechtigte Bevölkerung ab
16 Jahren und
die Nichtwähler:innen zusammenzählen, dann bedeutet das auf
Bezirksebene in der Stadt, dass zwei Drittel der Bevölkerung in den
Bezirken zehn, 15 und 20 beispielsweise bei formalen Wahlen nicht
politisch repräsentiert sind. Wo findet das genau statt? – Das
sind genau die Bezirke mit den niedrigsten Einkommen und mit der niedrigsten
formalen Bildung. Wen trifft das besonders? – Traurigerweise genau
junge Menschen und ein Drittel der Angestellten und zwei Drittel der
Arbeiter:innen auf Stadtebene. Das heißt, das sind Menschen, die unsere
Angehörigen pflegen,
die unsere Infrastruktur bauen und erhalten und die ganz wesentliche Beiträge für unsere
Gesellschaft leisten; das sind Menschen, die eigentlich von Anfang an die
Erfahrung machen: Meine Eltern dürfen hier nicht wählen, ich bin ein
Mensch zweiter Klasse und meine Interessen werden hier nicht ernst
genommen.
Da muss ich den Kolleg:innen recht geben, es wurde schon erwähnt: Die Demokratie beginnt dort, wo die sozialen Rechte erfüllt werden und wo sich Menschen gerecht behandelt fühlen. Ich glaube, auf diesen Zusammenhang müssen wir ganz genau hinschauen.
Für echte und nachhaltige
Verbesserungen in der politischen Teilhabe der Menschen braucht es inklusivere,
alltagsnahe Erfahrungsräume für die Demokratie, denn
wir können Demokratie nicht in der Schule theoretisch lernen, sondern wir
müssen sie erleben und erfahren. Dafür müssen wir viel
niederschwelliger werden und dafür müssen wir unter
anderem – das ist heute noch nicht vorgekommen, deshalb möchte
ich es auf jeden Fall noch betonen – auf die Profession der sozialen
Arbeit zurückgreifen, die Niederschwelligkeitsexpertin ist, die
Brückenbauerin ist und die eine Sprache über soziale
Hintergründe hinweg spricht.
Zu guter Letzt brauchen wir selbstverständlich einen gerechteren Zugang zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zum Beispiel für Kinder, die hier geboren sind oder die hier die Schulpflicht absolviert haben und deren Eltern, zumindest ein Elternteil, schon rechtmäßig im Inland aufhältig ist. – Vielen Dank. (Beifall.)
12.07
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Nun bitte ich Herrn Landtagsabgeordneten Kurt Stürzenbecher um seine Ausführungen. – Bitte.
12.07
Dr. Kurt Stürzenbecher (Abgeordneter
zum Wiener Landtag, SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Geschätzte Damen und Herren! Wir haben heute von unseren Referentinnen
und Referenten sehr viel Interessantes gehört. Besonders gefallen hat mir
von Herrn Direktor Brix die Analogie zur Laiengerichtsbarkeit, die wir in
Österreich im Bereich des Strafrechts, im Bereich des
Handelsgerichts, im Bereich des Arbeits- und Sozialgerichts noch recht
ausgebaut haben. Sie ist in den letzten Jahrzehnten übrigens
eingeschränkt worden; also ich bin eher für einen Ausbau der
Laiengerichtsbarkeit. Diese Idee auch auf die gesamte Politik zu
übertragen
wäre wichtig, dass sozusagen Nichtberufspolitiker in höherem
Ausmaß an der Politik teilnehmen. Das wäre sehr wichtig.
Ich bin auch der Meinung, dass
die Berufspolitiker, zu denen ich selbst zähle, wesentlich besser sind als ihr Ruf und als es in den Medien dargestellt
wird, aber trotzdem wäre es wichtig – wie es ein
früherer Bundeskanzler gesagt hat –,
alle Lebensbereiche mit Demokratie zu durchfluten, das heißt,
Schüler, Lehrlinge, Arbeitswelt noch mehr, als es bisher schon geschehen
ist, zu demokratisieren.
Also damit meint man nicht nur den Ausbau der direkten Demokratie.
Ich muss – obwohl es schon einige gesagt
haben – wirklich auch die Demokratiewerkstatt im Parlament im
höchsten Maße loben. Das ist etwas derart Beeindruckendes – ich habe mir das öfter
angeschaut –, wie dort Kinder, teilweise Zehnjährige,
oder Jugendliche, Zehn- bis 14-Jährige, 15-Jährige schon interessiert
sind und mitdenken – natürlich, nehme ich an, schon ein bisschen
von den Lehrerinnen und Lehrern vorbereitet – und wie sehr
sie – wie ich gespürt habe – sozusagen
Vertrauen in die Demokratie haben. Diesen Prozess müsste man
verstärken, dass die später nicht enttäuscht werden. Wir in Wien
haben übrigens auch ein Kinder-
und Jugendparlament, an dem 300 Schülerinnen und Schüler aus
allen Bezirken teilnehmen und sich auch einbringen können.
Wenn ich diese positiven Einstellungen, die die Kinder und
Jugendlichen in der Demokratiewerkstatt haben, sehe, denke ich manchmal: Wenn
die eine Übertragung einer
Nationalratssitzung anschauen und sehen, wie im Nationalrat debattiert
wird – und da meine ich jetzt alle Parteien –,
fördert das bei manchen Sitzungen – einmal ist es gut, aber
manchmal auch nicht so – nicht die Begeisterung für
die Demokratie.
Ich glaube, dass der Umgang der Politiker miteinander immer
mehr nicht nur eine Stilfrage ist, sondern zu einem wichtigen Parameter
dafür werden sollte, wie Demokratie gestaltet ist, denn ich glaube, dass
der Vertrauensverlust in die Demokratie auch damit zusammenhängt, wie
Politiker miteinander umgehen. In
den USA ist es besonders schlimm – nicht nur wegen der letzten Wahl,
sondern schon seit Längerem –, insofern weiß ich auch
nicht, ob wir weiterhin die USA als das Kernland der Demokratie
bezeichnen sollen. Sie sind sicher die militärisch weitaus wichtigste
Nation der Welt, aber auf welchem sachlichen Fundament die Bezeichnung als
Kernland der Demokratie beruht, wüsste ich nicht.
Also wir sollten uns in Europa – aber das gilt natürlich genauso auch in anderen Ländern – bemühen, Demokratie zu stärken, auch durch einen demokratischen, sachlichen Umgang miteinander. Ich glaube, es wäre sehr wichtig, dass man berücksichtigt: So wie man gesagt hat, Demokratien bringen im Großen und Ganzen für die Bürger viel bessere Ergebnisse als Diktaturen, bringen auch sachlich abgelaufene demokratische Prozesse mehr als Polemik. – Danke schön. (Beifall.)
12.12
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Da dazu keine weiteren Wortmeldungen vorliegen,
schließe ich nun die Debatte und bedanke mich
sehr herzlich für alle Beiträge.
V. Panel 3 „Expertinnen und Experten zum Handlungsbedarf in Österreich“
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Wir kommen nun
zum Panel 3, den Referaten zum Thema „Expertinnen und Experten zum
Handlungsbedarf“ in Österreich.
Ich ersuche wieder die Referentinnen und die Referenten ihren Beitrag vom Redner:innenpult aus zu halten und möglichst die Zeit von 7 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten – Sie sehen wieder das rote Lämpchen, das Sie darauf aufmerksam macht –, wir sind eh schon ein bisschen in Zeitverzug.
Ich darf zu Beginn den ehemaligen Präsidenten des Bundesrates, Herrn Prof. Herwig Hösele um seinen Beitrag bitten. – Bitte, Herr Präsident.
12.12
Prof. Herwig Hösele: Frau Präsidentin! Herr
Landeshauptmann, er ist nicht anwesend! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir haben drei sehr interessante Stunden mit sehr viel
bemerkenswerten Überlegungen und Anregungen gehört.
Es ist schon fast alles gesagt, aber noch nicht von allen. Ich möchte aber
einige kleine Bemerkungen anfügen.
Aufgrund meiner Erfahrungen aus
dem Österreich-Konvent – ich sehe auch einige, die damals schon
dabei waren – und des Blicks auf die Geschichte der seit 1920
immer wieder diskutierten, oft auch sehr sinnvollen, aber nie realisierten Reformvorschläge
zur Änderung der Bundesverfassung, etwa was die Kompetenzverteilung und die
Ausgestaltung des Bundesrates als echte Länderkammer oder auch die
Grundrechte betrifft, möchte ich nur drei pragmatische Anregungen geben,
die tatsächlich von einer Bundesregierung und einer einfachen
Parlamentsmehrheit umgesetzt werden können.
Tiefergehende Reformschritte
können natürlich wünschenswert sein, erscheinen mir aber
aufgrund der erwartbaren weiter fehlenden Verfassungsmehrheit einer neuen
Bundesregierung und aufgrund des Bund-Länder-Antagonismus wenig
realistisch. Es steht zu erwarten, dass jetzt eine Fülle von
Reformvorschlägen, insbesondere zur sogenannten Bundesstaatsreform
kommen werden, die unter
dem Vorwand der scheinbaren Effizienzsteigerung und angeblich großartiger
Einsparungsmöglichkeiten auf mehr Zentralismus hinauslaufen.
Daher eine grundsätzliche
Bemerkung, zumal wir hier im Bundesrat sind, die ich
ganz besonders unterstreichen möchte: Man sollte nicht auf derart plumpe
Simplifizierungen hereinfallen, sondern die Dinge sachlich und
differenziert betrachten. Persönlich beschäftige ich mich seit
über 50 Jahren mit den Themen Demokratie, Medien und
Föderalismus. Mir ist kein zentralistisches System bekannt, das einer
föderalen und dezentralisierten Ordnung überlegen
wäre – im Gegenteil.
Eine dezentrale und föderale Ordnung ist per se bürgernäher,
resilienter und demokratischer. Zweifellos gäbe es vieles in der
Kompetenzzersplitterung Österreichs zu ändern, wenn
ich nur an den Bildungs- oder den Gesundheitsbereich denke.
Entscheidend aber ist,
Subsidiarität und Regionalität sind wesentliche Elemente
zur Stärkung des Vertrauens in die Demokratie. Wir brauchen uns nur anhand der heute
schon mehrfach angesprochenen jeweiligen Ergebnisse der Untersuchungen
anzuschauen, wem die Bürgerinnen und Bürger vertrauen. Gemeinden und Bürgermeister
stehen an der ersten Stelle, es folgen die Länder und schließlich
erst mit Abstand Bundes- und Europaebene.
Ja, es gibt eine bedauerliche
Erosion des Vertrauens von Bürgerinnen und Bürgern in die Politik,
nicht in die Demokratie. Auch das zeigt der Grundkonsens über
die demokratischen Grundwerte, wie sie auch Frau Mag.a Zandonella
dargestellt hat. Auch die gestiegene Wahlbeteiligung bei der letzten Nationalratswahl
mag ein
Indiz dafür sein: Wer wählt, stärkt die Demokratie.
Unsere Bundesverfassung ist
zwar aus meiner Sicht nicht unbedingt schön und elegant, aber ein festes
Fundament für Demokratie in unserem Land. Das wichtigste Mittel, um
Vertrauen in die Politik wiederherzustellen und zu stärken und populistischen
Protestphänomenen entgegenzuwirken, ist eine Politik, die die Probleme
nicht umschweigt und verharmlost, sondern erkennt und benennt, um die
besten Lösungsansätze ringt und diese auch umsetzt. Das sind meistens
keine simplen Lösungsvorschläge, sondern um die muss ehrlich gerungen
werden.
Die Demokratie lebt von
informierten und politisch interessierten, wenn möglich auch engagierten
Bürgerinnen und Bürgern. Daraus resultieren meine drei Vorschläge:
erstens: gezielte Förderung von Qualität, Pluralität und
Unabhängigkeit, vor allem der klassischen und journalistisch kuratierten
Medien angesichts der immer schwieriger werdenden ökonomischen
Rahmenbedingungen. Auch die Förderung von Gratismedien-Abonnements
für Jugendliche zwischen 14 und 18 könnte dazu gehören. Unabhängige
Qualitätsmedien und ein öffentlich-rechtlicher Broadcaster sind auf
allen Vertriebs- und Kommunikationswegen systemrelevant für die Demokratie
und den demokratischen Diskurs.
Zweitens, es ist mehrfach
angesprochen worden: Wir brauchen eine Offensive für politische
Bildung. Lifelong Learning, das ist nicht mit Indoktrination zu verwechseln,
es ist eine wichtige Maßnahme der Bildung und Information und
für eine offene Diskussion. Das beginnt in der Schule, endet aber sicher
nicht im Pensionistenverein, sondern ist lifelong – Lifelong
Learning. Es beinhaltet
politische Bildung, kritische Medienbildung inklusive Social Media und
künstliche Intelligenz – damit müssen wir uns ja noch
wesentlich auseinandersetzen –, zeitgeschichtliche Bildung und
fundierte Europainformation.
Ein gut vorbereiteter Besuch
der Gedenkstätte Mauthausen und eine ebenso gut vorbereitete
EU-Exkursion für alle Schüler, insbesondere auch für
Berufsschülerinnen und Berufsschüler zwischen dem 16. und
18. Lebensjahr sollte ernsthaft erwogen werden. Ganz wichtig ist es auch, durch
die vielen Bildungsangebote – es geht
nicht nur um die sprachliche Bildung, es geht auch um die sogenannten
Wertekurse – in der Integration etwas zu tun.
Drittens: Sehr
wünschenswert wäre auch der Ausbau der Bürgerbeteiligung,
der sogenannten Mitmachdemokratie über die Stimmabgabe am Wahltag hinaus.
Dafür gibt es ein reichhaltiges Instrumentarium, was von der
Forcierung der Bürgerbegutachtung – da hat die
Digitalität ja neue große Chancen eingeräumt –
über die Bürgerforen bis hin zum Instrument der in der Verfassung
ohnehin vorgesehenen Volksbefragungen nach Artikel 49b B-VG
reicht, das öfter angewendet werden sollte, etwa nach stark
unterstützten Volksbegehren.
Auch lokale Bürgerräte können sinnvoll sein, einer
bundesweiten Räterepublik
stehe ich aber ehrlicherweise skeptisch gegenüber.
Insgesamt ist es wichtig, achtsam und wachsam zu sein. Falscher Alarmismus und Gleichgültigkeit schwächen die Demokratie. Ein breiter und lebendiger Diskurs stärken die demokratische Zukunft. Dafür sollten sich alle engagieren. Gerade der Bundesrat hat heute hier eine sehr wichtige Initiative als Hüter der Demokratie und des Föderalismus und Ort der grundsätzlichen Auseinandersetzung gegeben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
12.20
Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Andrea
Eder-Gitschthaler: Vielen Dank für
Ihre Ausführungen.
Nun bitte ich den ehemaligen Sektionschef Prof. Dr. Manfred Matzka um seinen Beitrag. – Bitte schön, Herr Professor.
12.20
Prof. Dr. Manfred Matzka: Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Ich danke für die
Einladung als Experte. Ich möchte aus meiner
Perspektive als Experte reden, also als Verfassungsjurist und nach
40 Dienstjahren
als Beamter dieser Republik und dieser Demokratie.
Die Diskussion zur Demokratie
und zur Demokratieentwicklung und zu den Möglichkeiten der Zukunft
fokussiert in Österreich meiner Meinung nach sehr stark auf den
möglichen Ausbau der Instrumente direkter Demokratie. Wir sehen
aber, dass dieses Konzept die Menschen nicht wirklich mitnimmt und
mitreißt. Das Scheitern der Europäischen Bürgerinitiative
beispielsweise zeigt, dass dieses
Konzept einfach Grenzen hat. (Präsident Ebner übernimmt den
Vorsitz.)
Ein zweiter
Diskussionsstrang – Frau Salomon hat es sehr deutlich
unterstrichen – ist die Mitwirkung der kritischen Medien und die
Rolle der Medien in der Demokratie. Ja, das ist ein wichtiges
Element, aber dabei gibt es das Problem der Kürzestfristigkeit und
das Problem, dass sich die Orientierung und die Aktivität der
Medien nach großer Zahl von Klicks ausrichtet.
Das Dritte sind die Konzepte der Bürgernähe, auch das ist ein ganz wesentliches Element. In Österreich muss man aber immer darauf aufpassen, dass Konzepte der Bürgernähe nicht im Josephinismus enden, nämlich: „Alles für das Volk; nichts durch das Volk“.
Ich möchte mich ganz konkret auf operative, konkrete, pragmatische Aspekte konzentrieren und beziehen, die für den Ausbau der Demokratie sinnvoll sein könnten, die das Vertrauen der Bevölkerung vergrößern können und die möglicherweise auch mittelfristig, kurzfristig umsetzbar sind. Das ist mein Zugang. – Dazu fünf Punkte, 1 Minute zu jedem Punkt.
Der erste Punkt: Ich unterstreiche ganz stark die in unserem
Verfassungsrecht so präzise herausgearbeitete Unterordnung des
gesamten Staatswesens unter das Parlament: „Die gesamte staatliche
Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden.“
Dafür ist es übrigens ganz wesentlich, die Verfassung zu lesen. Die
Verfassung sagt ja damit auch: Regieren soll nicht jemand mit einer relativen
Mehrheit oder sonst etwas, sondern die Verfassung sagt: Regieren soll, wer im
Parlament
eine Mehrheit zustande bringt. – Das halte ich für ein gutes
Konzept, diese Unterordnung unter den Souverän, das Parlament, das
den Volkswillen zum Ausdruck
bringt.
Zu diesem Konzept gehört
aber auch, dass sich die Vollziehung am Gesetz und nur am Gesetz orientiert, an
der Legalität und nur an der Legalität. Das bedeutet mehr
Wertschätzung für die professionelle, gesetzestreue,
gesetzesgebundene, am Gesetz orientierte Beamtenschaft, deren Umsetzung
wesentlicher ist als Umsetzung
und Regieren aufgrund politischer Tagesaktualitäten und politischer
Willkür. Das bedeutet ganz
pragmatisch: mehr Wertschätzung für den professionellen Beamtenapparat und
vielleicht eine Verkleinerung der großen Ministerbüros; ich
weiß nicht, ob es der Demokratie wirklich guttut, wenn neben der
rechtsstaatlich gewachsenen Verwaltung eine Parallelverwaltung entsteht.
Zweiter Punkt: Unsere
Demokratie, wie sie derzeit verfasst ist, hat ein Defizit bei der Kontrolle ausgegliederter Einrichtungen des
Staates, bei der Kontrolle der Privatwirtschaft des Staates. Ich
glaube, wir brauchen eine stärkere Kontrollmöglichkeit der
Parlamente, des Nationalrates, aber auch der Landtage über die
ausgegliederten Einrichtungen, über die staatsnahen
Unternehmungen, weil es für das Leben der Menschen wichtig ist. Eine im
öffentlichen Eigentum stehende Energieagentur,
auch wenn sie eine Aktiengesellschaft ist, sollte sich nicht nach den Aktien,
daran, was dem Unternehmen am besten tut, orientieren, sondern hat sich auch am
Gemeinwohl zu orientieren. Dieses Gemeinwohl hineinzubekommen und die
Vorgaben als Eigentümer zu machen, das ist eine
demokratische Aufgabe, und da könnte man noch relativ viel an
parlamentarischer Kontrolle ausgegliederter Einrichtungen entwickeln,
könnte man Schritte setzen, dass man sich nicht durch Ausgliederung
der parlamentarischen Kontrolle entzieht, Beispiel Cofag. Das hat der
Verfassungsgerichtshof auch so gesehen.
Dritter Punkt: Herr
Landeshauptmann Stelzer, ich glaube, dass wir auch gut daran tun, die demokratische
Verfassung anzupassen und entsprechend der realen Gegebenheiten
weiterzuentwickeln. In der realen Politik dieses Landes spielen die Landeshauptleute
und die Landeshauptleutekonferenz eine Rolle. Man hört doch,
dass die Impfpflicht eigentlich ein Kind dieser Institution ist. Wo aber ist
die parlamentarische Verantwortlichkeit der Landeshauptleutekonferenz? Wo
ist
die parlamentarische Verantwortlichkeit der Landeshauptleute in Bereichen der mittelbaren Bundesverwaltung?
Landeshauptleutekonferenz und Bundesrat,
das könnte etwas miteinander zu tun haben, das könnte eine
demokratische Dynamik entwickeln, wenn es da
einen stärkeren Konnex gäbe, den man gut organisieren
kann. Das täte uns allen, das täte der Gesamtheit der Republik
und der Gesamtheit der Demokratie möglicherweise ganz gut. Die Einbindung
der Landeshauptleutekonferenz in die Verfassung ist vielleicht ein Thema,
das man sich auch einmal überlegen könnte.
Vierter Punkt: Nutzen wir und
bauen wir die Möglichkeit der Menschen, an
der staatlichen Willensbildung mitzuwirken, aus! Das wurde heute schon mehrfach
angesprochen . Einen Aspekt möchte ich noch dazutun: Da können uns
die
sozialen Medien, die neuen Entwicklungen im Bereich der neuen sozialen Medien
sehr unterstützen und sehr helfen. Manche Initiativen in der Wirtschaft,
im ökonomischen Bereich, beim Geld forcieren Crowdfunding, aber
Crowdfunding bei Ideen, bei demokratischen Ideen, bei der Willensbildung auf
der kommunalen, auf der
Landes-, auf der Bundesebene, das wäre doch auch etwas. Dafür
können wir die neuen Medien nutzbar machen, damit kommen wir an die
jungen Menschen sehr
viel besser ran, als wir das auf traditionelle Weise imstande sind.
Der
fünfte Punkt rekurriert wieder auf die Verfassung: „Österreich
ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk
aus.“ – Wer aber ist das Volk? Das
wurde schon mehrfach angesprochen. Wir müssen aufpassen, dass wir das Volk
nicht auf 90, 80, 70, 60, 50 Prozent verengen. Das heißt, wir
müssen aufpassen,
dass die Menschen in diesem Land von Verfassungs wegen an der Demokratie mitwirken
können, und damit sind wir ganz zentral beim
Staatsbürgerschaftsrecht.
Ich halte das Staatsbürgerschaftsgesetz für eines der wesentlichsten
Instrumente der Weiterentwicklung von Demokratie in einem Land, und da sind
durchaus noch
einige Schritte zu tun. Wenn das Argument kommt, das ist ein hohes Gut und
Staatsbürgerschaft soll nur jemand erhalten, der die Sprache kann,
der sich selbst
erhalten kann, dann denke ich an mich selber: Als ich im Waldviertel auf die
Welt gekommen bin, konnte ich auch die Sprache nicht und konnte mich auch
nicht
selbst erhalten, ich bin aber trotzdem ein guter Bürger und Beamter
geworden. Das gibt Chancen, da sollten wir
weiterdenken. – Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall.)
12.27
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Herr Dr. Matzka, für Ihre Ausführungen.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist das ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages Frau Dr.in Frauke Petry. – Ich darf um Ihren Beitrag ersuchen. Bitte sehr.
12.27
Dr. Frauke Petry: Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben das Wort Demokratie heute in vielen
Reden gehört. Es ist ein hohes Gut.
Allein, wir fragen uns: Was meint jeder Einzelne von uns damit? Deswegen
möchte ich ganz gern darüber nachdenken, dass Demokratie ohne Zweifel
die beste aller Regierungsformen ist – wenn auch nicht
perfekt –, aber dass wir durch Weglassen dessen, was sie stützt
und nährt, die Demokratie sehr häufig nicht nur im Reden, sondern
auch im Denken und vor allen Dingen im Handeln aus meiner Sicht zu einem Torso
ohne Arme und Beine degradieren. Was meine ich damit? – Ich
zitiere den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl: „Wer die Grundwerte und
die Regeln des demokratischen Rechtsstaates missachtet und dagegen mit
Gewalt vorgeht, verrät Mangel an geschichtlichem Verständnis und an
demokratischem Ernst.“
Es ist der Rechtsstaat – und der ist heute leider
in vielen der sonst sehr interessanten Vorreden
nicht so häufig gefallen –, es sind verlässliche Regeln,
die veränderlich, manchmal auch wie durch die Ewigkeitsgarantie des
deutschen Grundgesetzes unveränderlich sind, es ist dieser
Rechtsstaat, ohne den eine Demokratie nicht leben
kann.
Meine Damen und Herren! Wir sind mehr – der Hashtag, den Sie alle kennen, reicht nicht aus, um Demokratie zu definieren. Die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, der friedliche Machtübergang – das sind alles wichtige Güter, aber sie reichen nicht aus, um das im täglichen, im praktischen Leben zu erreichen, was wir alle seit vielen Jahrzehnten in Frieden genießen können.
Es kommt ein weiterer Punkt dazu: der Minderheitenschutz.
Die Gewissensfreiheit, die religiöse Freiheit, die Weltanschauungsfreiheit,
der Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Abstammung,
Geschlecht oder Sprache: Wir
wissen, dass sie nicht immer selbstverständlich sind. Wir wissen, dass sie
unzweifelhaft zur Demokratie dazugehören und dass sie nicht tagesabhängig
geändert
werden sollten. Dazu kommen auch die Bürgerrechte – auch die
habe ich heute in vielen Reden ein bisschen vermisst –: die
Redefreiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die
Versammlungsfreiheit. Wir wissen, wie sehr diese Bürgerrechte, die
als Abwehrrechte des mündigen Bürgers gegen den Staat definiert
sind und gelebt werden müssen und von uns als Politiker verteidigt werden
müssen, in den vergangenen Jahren mehr als einmal unter Beschuss geraten
sind.
Meine Damen und Herren, zum Thema Freiheit: Die freie Rede
zitieren wir sehr gerne und wir leben sie gerade in diesem Saal, aber: Findet
sie auch im täglichen Leben statt? Gilt sie auch für alle
Bürger – unabhängig von der politischen Ideologie, mit der
sie aufgewachsen sind und die sie vertreten? – Diese Frage möge
jeder für sich
selbst beantworten, aber wenn ich in den Statements mehrerer Redner höre,
dass die sozialen Medien als Gefahr wahrgenommen werden, dann bin ich nicht
sicher,
ob wir alle über dasselbe reden.
In den sozialen Medien, insbesondere auf der Plattform
Twitter oder X, wie sie jetzt heißt, kann jeder Mensch, jeder Nutzer
Journalist sein – mit unterschiedlichen Fähigkeiten, ohne Frage –, dort erreicht auch ein
Nochwirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland Habeck,
nachdem er sich für Jahre von der Plattform verabschiedet hatte,
innerhalb von wenigen Tagen Millionen Klicks, obwohl er politisch in einem
anderen Milieu zu verorten ist als vielleicht die Republikaner, die in den
Vereinigten Staaten gerade die Wahl gewonnen haben. Das zeigt uns, dass die
Sorge vor sozialen Medien doch vielleicht etwas anderes ist, und diese Sorge
betrifft
vor allen Dingen Politiker.
Haben Sie, haben wir als Politiker kein Selbstvertrauen in
unsere eigene Überzeugungskraft? Haben wir kein Vertrauen in die
Bürger? Oder haben wir vielleicht auch manchmal andere
Absichten mit dem, was wir vertreten, was wir sagen? Steckt darin vielleicht
nicht viel zu häufig eine Begrenzung der freien Rede,
um nicht das zu hören, was man selbst nicht hören möchte?
Meine Damen und Herren, der Staat darf aus meiner Sicht
niemals unmittelbar oder mittelbar entscheiden, was wahr oder falsch ist, zumal
es im täglichen Leben verschiedene Realitäten gibt, je nachdem, wo
wir aufwachsen. Wenn wir bejahen, dass der Staat diese Zukunftsmöglichkeit
nie haben kann, dann müssen wir
sowohl in Österreich als auch in Deutschland einen sehr kritischen Blick
auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk werfen, der gerade in den
vergangenen Jahren bewiesen hat, dass Follow the Science im Nachgang wohl doch
nicht ganz richtig war. Das belegen die Twitter-Files, das belegen die
RKI-Protokolle, bei denen es inzwischen mehr als erdrückende Hinweise
darauf gibt, dass Politik genau das Gegenteil davon gemacht hat, als der
Wissenschaft zu folgen.
Meine Damen und Herren, das Framing von Meinung als Hass und
Hetze unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, egal ob mit Trusted Flaggern
oder ohne Trusted Flagger, die Anmaßung von Politik und Institutionen,
was Fakenews und was Wahrheit
ist, ob mit Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Digital Services Act oder vielen
anderen Regulierungen der letzten Jahre: Das ist eine Gefahr
für die Demokratie und
nicht die freie, wenn auch bisweilen ungelenke, Rede.
Vielleicht noch ein Aspekt zu den
Bürgern: Wir haben von Nachrichtenmüdigkeit oder politischem Overkill
gehört. Warum wenden sich denn Bürger von Politik ab? –
Ein wesentlicher Grund dafür besteht aus meiner Sicht darin, dass die
Politik in nahezu alle Lebensbereiche vorgedrungen ist. Die Aussage der
Radikalfeministin
Carol Hanisch im Jahre 1969 in den USA in „The Personal Is Political“
ist heute Lebensrealität, und diese Art von Vorgehensweise spaltet
die Gesellschaft mehr
als unterschiedliche Meinungen, bei denen man sein Gegenüber auf
menschlicher und charakterlicher Augenhöhe betrachtet. Das fehlt unseren
Demokratien, daran
müssen wir arbeiten, und deswegen plädiere ich sehr wohl auch
für den Konsens, aber immer nur als Nachfolgeprozess einer zuvor
stattgefundenen politischen Kontroverse.
Kontroverse ist, was unsere Demokratie braucht. Ein Kompromiss ohne Kontroverse ist wie ein Diktat; langfristig tötet er Demokratie und Rechtsstaat. In diesem Zusammenhang ist es verständlich, dass die freie Rede nicht ohne Wettbewerb der Ideen auskommt. Dieser Wettbewerb der Ideen findet auf der gesellschaftlichen wie auf der wirtschaftlichen Ebene statt. Nicht zuletzt deshalb sind Marktwirtschaften deutlich erfolgreicher. Es gibt eine enge Korrelation zwischen einer Marktwirtschaft und der Demokratie. Das Beispiel von Nord- und Südkorea im Vortrag hat das sehr anschaulich verdeutlicht.
Meine Damen und Herren, je mehr
Politiker den Markt regulieren, je stärker
ihre Eingriffe, desto mehr müssen am Ende Wähler an der Urne
über die politische Zuteilung von Geldflüssen entscheiden, und das
kann nicht ernsthaft unser
Anliegen sein.
Meine Damen und Herren, ohne Freiheit ist die Demokratie Despotie und ohne Demokratie ist die Freiheit eine Schimäre. – Herzlichen Dank. (Beifall.)
12.35
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Zuletzt darf ich Frau Dr.in Martina Handler von Cocreating Future um ihren Beitrag ersuchen. – Bitte.
12.35
Dr. Martina Handler (Cocreating Future): Sehr
geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Ich
freue mich sehr über diese Einladung, um hier zu Ihnen zu sprechen, und
ich freue mich sehr, dass die Worte Beteiligung, Mitmachdemokratie,
Bürger:innen mitnehmen hier schon sehr oft gefallen sind, aber ich glaube,
das ist zu wenig, um Bürger und Bürgerinnen mitzunehmen, sie
zu beteiligen.
Menschen müssen Demokratie
als wirksame Bürger:innen und Akteure erleben können. Solange
Menschen nur gehört werden, nur beteiligt werden, aber in der
Praxis nicht die Wirkung ihres Engagements erleben können, indem zum
Beispiel Ergebnisse von Beteiligung in definierten Verfahren,
Verfahrensprozedere diskutiert werden und dann in politische
Entscheidungen einfließen, so lange wird die Wirkung von Beteiligung
zur Stärkung der Demokratie begrenzt sein.
Politische Bildung ist wichtig,
aber politische Bildung ist nicht genug. Demokratie muss auch in der Schule
erfahren werden, dass die Schüler:innen bei Themen, die sie betreffen,
auch tatsächlich beteiligt werden und mitbestimmen können. Daher
schlage ich eine Weiterentwicklung unseres Systems der repräsentativen
Demokratie vor, das meiner Meinung nach Potenzial hat, der gesellschaftlichen
Polarisierung
und auch dem steigenden Vertrauensverlust und Glaubwürdigkeitsverlust
entgegenzuwirken und außerdem die gesellschaftliche
Problemlösungskompetenz stark erhöhen würde.
Wir haben in Österreich
sehr viel Erfahrung mit deliberativen Beteiligungsverfahren, insbesondere auch
mit Bürgerräten. Der Bürgerrat ist in Vorarlberg seit 2013
auch in der Verfassung verankert. Der Bürgerrat wäre eine gute
Weiterentwicklung, aber nur dann, wenn er als Element in unserem System der
repräsentativen Demokratie auch tatsächlich verankert ist.
Was genau sind Bürgerräte? – Sie haben nichts mit der Rätedemokratie zu tun, das möchte ich noch betonen. In Bürgerräten erarbeiten per Zufallsauswahl ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, die einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen – das ist mir wichtig, also die Diversität, die repräsentativ für die Grundgesamtheit ist, soweit das möglich ist –, Empfehlungen an die Politik. Das ist ähnlich zur – es ist hier schon gefallen – Laiengerichtsbarkeit, was diese Zufallsauswahl als wesentliches Element betrifft.
Es gibt ganz unterschiedliche Modelle für Bürgerräte von unterschiedlicher Dauer, unterschiedlicher institutionalisierter Anbindung. Sie sind inzwischen weltweit verbreitet. Über 120 Länder dieser Welt haben Bürgerräte eingerichtet – einmalig, kontinuierlich oder dauerhaft verankert. Bürgerräte sollen die repräsentative Demokratie nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen.
Welche Wirkungen hätte das
für die Stärkung der Demokratie? – Die kontinuierliche
Einbindung von Bürgerinnen und Bürger in die politische
Entscheidungsfindung ist angewandtes Demokratielernen. In diesem
Prozess eines Bürgerrates erfahren Teilnehmer, wie sie von
bloßen Meinungen zu begründeten Positionen
kommen. Die Teilnehmer befassen sich sehr intensiv mit dem Thema, erkunden unterschiedliche
Positionierungen, Fakten und Expertisen, wägen ab, bilden sich gemeinsam
eine Meinung und entwickeln Lösungen, bei denen möglichst alle
Interessen gut berücksichtigt werden. So wird es möglich, dass
diese Empfehlungen
auch von einer breiten Mehrheit mitgetragen werden.
Außerdem erfahren die
Teilnehmer in diesen Bürgerräten, wie Menschen aus unterschiedlichsten
Milieus, Generationen und so weiter in einen wertschätzenden
Dialog kommen können, in konstruktive, faktenbasierte Debatten, was
natürlich das demokratische Miteinander stärkt.
Die Teilnehmer erfahren auch,
wie schwierig es ist, bei komplexen Themen
zu einer guten Entscheidung zu kommen, zu einer guten Lösung, in der
möglichst alle Interessen berücksichtigt sind. Das stärkt den
Respekt vor politischer Entscheidungsfindung und wirkt damit dem
Vertrauensverlust der repräsentativen Demokratie entgegen.
Diese Vorteile, diese positiven Wirkungen zeigen sich
allerdings nur dann,
wenn diese Formate institutionalisiert werden, also regelmäßig
eingesetzt werden oder auch kontinuierlich etabliert werden, wenn die Funktion
dieser Formate auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene und deren
Legitimität für das politische System der repräsentativen
Demokratie auch tatsächlich anerkannt wird und
wenn die Ergebnisse in den Parlamenten und Gemeinderäten diskutiert werden
und dann auch in die politischen Entscheidungen einfließen.
Es gibt wie gesagt ganz unterschiedliche Modelle: In
Belgien, in Paris, in Irland
hat man kontinuierliche Bürgerräte eingesetzt, vielfach. Ich war auch
Mitgestalterin des Klimarates der Bürger:innen in Österreich. Hier
gibt es Bürgerräte einmalig.
Jedenfalls zeigt sich, dass die Ergebnisse eine ganz hohe Qualität aufweisen, eben aufgrund der Diversität der Teilnehmer in diesen Bürgerräten, und eine gute Entscheidungsbasis für Parlamente und Gemeinderäte darstellen. – Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
12.42
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Panel 3 ist damit abgeschlossen.
Ich bedanke mich bei allen Expertinnen und Experten für ihre Beiträge.
VI. Stellungnahmen der Fraktionsvorsitzenden des Bundesrates
Vorsitzender Präsident
Mag. Franz Ebner: Wir gelangen nunmehr zu den Statements der
Fraktionsvorsitzenden. Ich darf diese ersuchen, ihren Beitrag ebenfalls vom Redner:innenpult
abzugeben und die Zeit von 5 Minuten pro Statement
nicht zu überschreiten.
Ich darf zunächst den Fraktionsvorsitzenden der ÖVP, Herrn Bundesrat Mag. Harald Himmer, um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte, Herr Bundesrat.
12.43
Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP/Wien): Sehr
geehrte Damen und Herren hier im Saal und vor den Bildschirmen! Ich darf mich
auch beim Präsidenten für die Initiative zu dieser Enquete sehr
herzlich bedanken. Ich glaube, zumindest die meisten von uns, die wir in die
Demokratie involviert sind, und dies natürlich auch als Parteipolitiker,
sind uns dessen bewusst, dass eine funktionierende Demokratie nicht bedeutet,
dass die eigene Meinung gerade in Hochkonjunktur ist, und dass
immer, wenn das nicht der Fall ist, die Demokratie nicht funktioniert. Das
halte ich für sehr wichtig.
Herr Dr. Brix hat hier die Thematik der
Wissenschaftsskepsis der Österreicher angesprochen, und ich muss ehrlich
sagen, ich weiß jetzt nicht, wo ich persönlich mich hier einreihen
würde. Ich kann mich nämlich erinnern, dass mein Physikprofessor
im Gymnasium, Dr. Adalbert Apolin hat er geheißen, die ersten
5 Stunden
dafür verwendet hat, uns immer nur einzuhämmern, dass die Physik eine
exakte Wissenschaft ist. Und das ist auch so. Wenn man eine Kugel auf den Boden
fallen lässt, von der man weiß, wie schwer sie ist, dann weiß
man, wann die Kugel am Boden aufschlägt. Aber Politikwissenschaft,
Geschichtswissenschaft, Soziologie
oder Rechtswissenschaft sind keine exakten Wissenschaften.
Und da wir gerade auf ORF III live übertragen
werden, möchte ich Folgendes in Richtung ORF sagen: Nach politischen
Debatten oder Auftritten von Politikern im
ORF, sei es bei Sommergesprächen oder sonst irgendwo, tritt danach noch
ein Wissenschaftler, ein Experte auf, der uns mit seinem Denken
unterstützend erklärt, was wir zuvor gesehen haben.
Ich muss sagen, da reihe ich mich dann gerne bei den Wissenschaftsskeptikern
ein, denn ich finde, man kann den Rezipienten
durchaus selber überlassen, sich eine Meinung darüber zu bilden, was
sie da gesehen haben. Da müsste der öffentlich-rechtliche Rundfunk
keinen Professor gegen
Einwurf kleiner oder möglicherweise sogar größerer Münzen
anwerben, damit er uns erklärt, was wir da gesehen haben.
Ähnlich stehe ich auch zu den hier vorgebrachten Vorschlägen,
dass man in den Schulen die politische Bildung verstärken sollte. Da bin
ich auch sehr dafür. Der erste Reflex, der hier kommt, ist eh klar: Na ja,
dann werden natürlich die Lehrer versuchen, die Kinder mit ihrer
eigenen politischen Meinung zu indoktrinieren,
werden manche sagen. – Da, glaube ich, tut uns eine gewisse
Gelassenheit gut. Das wird unvermeidbar sein. Es gibt sicher viele Lehrer, die
von ihrer Meinung sehr überzeugt sind, ich bin aber sehr davon
überzeugt, dass die jungen Menschen in der Lage sind, sich eine eigene
Meinung zu bilden.
Ich glaube, dass es auch ein
Schwerpunkt einer solchen politischen Bildung sein
sollte, dieses Akzeptieren der unterschiedlichen Meinungen besonders
herauszuarbeiten; sodass die Schüler miteinander diskutieren und
vielleicht auch engagiert diskutieren, aber dann in der Pause trotzdem wieder
miteinander
lachen und beim Sport weiter miteinander – vielleicht sogar in
derselben Mannschaft – mit großer Freude spielen, auch
wenn sie vorhin draufgekommen sind, dass sie politisch völlig
unterschiedliche Ansichten haben. Das halte ich für sehr
wesentlich.
Ich möchte auch sagen – ui, das Lämpchen blinkt schon –: Gewaltenteilung ist wichtig. Macht wird von vielen ausgeübt. Macht wird nicht nur von der Regierung ausgeübt. Macht wird auch von den Kontrollinstanzen ausgeübt, wird auch vom Parlament ausgeübt, wird auch von der Justiz ausgeübt, wird auch von den Medien ausgeübt. Jede Macht kann gut eingesetzt werden und jede Macht kann auch missbraucht werden. Daher ist da eine effektive Kontrolle sehr, sehr wichtig.
Aber Vernaderung, Verleumdung und Hetzkampagnen gegen Menschen, all das hat nichts mit einer effektiven Kontrolle zu tun. Und da muss man sich auch einmal überlegen, wo hier die Unterschiede liegen, wenn Menschenjagd gegen Politiker veranstaltet wird, oft jahrelang, und das gemeinsam, in Kooperation, von den genannten Institutionen, und man es dann auch über zehn Jahre nicht schafft, eine Anklage zusammenzubringen, die ja anscheinend sehr einfach sein müsste, da man oft schon am Anfang den Eindruck hat, dass die Dinge alle klar sind.
Da erlaube ich mir eine
gegenteilige Meinung zu jener der von mir geschätzten Abgeordneten
Brandstötter, die gesagt hat, dass sie vehement gegen die Klarnamenpflicht ist,
weil man sich auch anonym über die Politiker sozusagen auskotzen
können sollte. Ja, das Argument hat etwas für sich, aber ich finde es
ausreichend, dass
wir ein geheimes Wahlrecht haben. Das geheime Wahlrecht ist sehr wichtig, aber
in einer ordentlichen Demokratie kann man seine Meinung durchaus auch mit
seinem eigenen Namen sagen.
Zudem sind die Leute, gegen die so eine Hetzkampagne geführt wird, keine anonymen Personen. Ihre Namen und Fotos werden veröffentlicht, und sie werden vernadert, wie es Kollege Mario Lindner ausgeführt hat. Und da kann man in einer Demokratie durchaus den Mut aufbringen, seinen eigenen Namen zu nennen.
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Herr Bundesrat, bitte kommen Sie zum Schluss! Die Redezeit!
Bundesrat Mag. Harald Himmer (fortsetzend): Ist erschöpft. (Beifall.)
12.49
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für die Ausführungen.
Ich erteile nunmehr der Fraktionsvorsitzenden der SPÖ, Frau Bundesrätin Korinna Schumann, das Wort. – Bitte, Frau Fraktionsvorsitzende.
12.50
Bundesrätin Korinna
Schumann (SPÖ/Wien): Herr Präsident! Werte Teilnehmerinnen und
Teilnehmer dieser Enquete! Es ist wirklich eine wunderbare Enquete. Sich
mit dem Thema Demokratie auf so vielfältige Weise zu beschäftigen,
ist eine Bereicherung, und das zeigt einmal mehr die Stärke des
Bundesrates, die man nicht
genug betonen kann.
Nachdem schon so vieles gesagt
wurde, darf ich ganz ehrlich sagen, mein Bekenntnis zur Demokratie heißt:
Die Demokratie ist großartig. Die Demokratie ist ein ganz,
ganz großes Geschenk für uns alle – dass ich eben meine
Stimme abgeben kann, dass ich mir die Argumente der anderen Parteien
anhören kann, dass es die Parteienstruktur gibt, dass es die
Gewaltentrennung gibt, all das ist großartig.
Jetzt ist die Frage: Wie bringen wir diese Großartigkeit zu allen? Wie lassen wir alle an dieser großartigen Demokratie teilhaben, und zwar mit jenem Schwung, den wir brauchen?
Wir wissen, dass die Demokratie
in vielen Punkten gefährdet ist. Wir wissen, dass sie ein zartes
Pflänzchen ist, dass sie an vielen Ecken und Enden Pflege braucht, wir
wissen, dass Reformen notwendig sind, aber gleichzeitig müssen wir sagen:
Sie ist großartig. Und dieses Bekenntnis soll heute auch vom Bundesrat
hinausgehen, denn wir wissen: Nur wenn man Dinge positiv findet, wird man sie
weitertragen.
Aber wie findet man Dinge
positiv? – Ich glaube, ganz wesentlich ist da, dass man sie
versteht. Wir müssen die Vermittlung des Wissens rund um die Demokratie
nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern ansetzen, sondern auch im
Bereich der Erwachsenen. Und ich darf darauf hinweisen – das wurde
nur ganz kurz von
Ihnen, Frau Mag. Zandonella betont –, dass das Erleben der
Demokratie im Betrieb
ein ganz, ganz wesentlicher Punkt ist.
Ich darf darauf hinweisen, weil
es von den anderen Rednerinnen und Rednern nicht gemacht wurde: Es gibt die
Demokratie im Betrieb. Wir haben die Wahlen
der Betriebsrätinnen und Betriebsräte. Ganz unabhängig davon,
welche Staatsbürgerschaft ich
habe, ich darf einen Betriebsrat wählen und ich darf auch meine
Personalvertretung wählen. Wir haben in 14 Tagen die großen
Personalvertretungswahlen des öffentlichen Dienstes. Da kann
Demokratie gelebt werden. Da
wird man gewählt. Da kann man als Beschäftigte, Beschäftigter seine
eigene Vertretung im Betrieb wählen.
Wir wissen aber gleichzeitig,
dass diese Form der Demokratie, diese wichtige betriebliche
Demokratie, wo Demokratie ganz direkt erlebt wird, oft hintertrieben wird. Wir
wissen von Unternehmen, die alles tun, um eine Betriebsratsgründung zu verhindern und damit Demokratie
zu verhindern. Das muss unterbunden werden! Wir brauchen da eine
Entwicklung, dass es wirklich strafbar wird,
wenn jemand verhindert, dass ein Betriebsrat gegründet wird, weil damit
Demokratie verhindert wird.
Lassen Sie mich noch ein paar Dinge zum Thema Social Media
sagen. So sehr
jemand die Freiheit von Social Media auch propagieren mag, uns allen muss eines
klar sein: Hinter Social Media steht natürlich ein
Algorithmus – den man steuern
kann, der Dinge hochspielt oder nicht hochspielt. Und da beginnt es dann
gefährlich zu werden für die Demokratie. Wenn ein Milliardär
sich diese Social-Media-Plattformen einverleiben und damit Algorithmen und in
weiterer Folge Meinungen steuern kann, dann muss man sich schon fragen: Ist das
der Weg, den wir
als Demokratie gehen wollen?
Es macht mir Sorgen, ganz ehrlich, wenn es Wahlwerbung gibt,
die ich nie sehen werde, weil ich gemäß dem Algorithmus nicht
zum entsprechenden Personenkreis
gehöre, sozusagen nicht getroffen werde. Den jungen Kollegen, der einfach
gerne Computer spielt, den erwischt man sehr wohl, aber ich sehe nicht, was da
geworben wird. Da muss man sich überlegen: Möchte man das?
Möchte man diese Art von Social Media, wo etwas nicht von allen mitgelebt
werden kann, sondern
nur von einzelnen Gruppen? Ich glaube, da muss man ganz genau hinschauen. Die
Freiheiten sind schon wichtig, aber es ist auch wichtig, genau zu schauen:
Wer bestimmt was, und wie geht man da vor?
Es ist auch ganz wichtig, zu sagen: Die Demokratie muss
für alle da sein. Und wenn wir spüren, dass Menschen mit niedrigen
Einkommen sagen, ich vertraue der
Politik nicht mehr, dann darf ich zu einem Zitat von Brandt, dem großen
deutschen Bundeskanzler, kommen, das ganz klar und auch sehr eindeutig ist:
„(…) die
ganze Politik soll sich zum Teufel scheren, wo sie nicht dazu dient, Menschen
in Bedrängnis das Leben etwas leichter zu machen.“ –
Das ist die Grundlage politischen Handelns und das ist die Grundlage
der Stärkung der Demokratie.
Ganz zum
Schluss noch ein Satz, weil ich mit dem Bundesrat begonnen habe, weil wir im
Bundesrat sind und der Präsident so eine wunderbare Enquete hier initiiert
hat: Ganz ehrlich, alle, die sagen, der Bundesrat ist unnötig, gehört
abgeschafft, schwächen die Demokratie, denn der Bundesrat ist
ein ganz wesentlicher Teil unserer österreichischen Demokratie. Nicht,
dass man nicht manches noch reformieren könnte, da ist schon noch etwas zu
tun, aber der Bundesrat ist ein wichtiger und ganz, ganz
qualitätsvoller Teil der österreichischen Demokratie, und
wir Bundesrätinnen und Bundesräte sind alle sehr stolz darauf und
wollen das auch weitergeben. – Vielen Dank. (Beifall.)
12.55
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Danke für den Beitrag.
Nun darf ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FPÖ, Herrn Bundesrat Andreas Arthur Spanring, erteilen. – Bitte, Herr Fraktionsvorsitzender.
12.56
Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ/Niederösterreich): Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute komischerweise den Artikel 1 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes, „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“, nur ein einziges Mal gehört, nämlich von Dr. Matzka. Ich habe gedacht, wir werden ihn öfter hören. Wenn ich aber draußen bin und mit Bürgern spreche, erlebe ich oft eine ganz andere Stimmung. Viele Bürger zweifeln daran, dass dieses Prinzip – das „Recht geht vom Volk aus“ – auch tatsächlich so gelebt wird.
Ob diese Zweifel berechtigt sind
oder nicht, darüber kann man diskutieren,
aber gerade aktuelle Vorkommnisse tragen sicher nicht dazu bei, diese zu
entkräften. Da gab es eine Wahl, bei der die FPÖ klar gewonnen hat,
und da waren zwei Regierungsparteien, die gemeinsam vom Wähler mit einem
Minus von 17 Prozent abgestraft wurden – und dennoch
erhält gerade jene Partei mit den größten Verlusten den
Regierungsbildungsauftrag; vergeben von einem Bundespräsidenten,
der zufällig viele Jahre lang Vorsitzender einer der beiden
Regierungsparteien war.
Und in genau dieser Regierungszeit, in der diese beiden Parteien, nämlich ÖVP und Grüne, regieren und ein grüner Bundespräsident auch den Deckmantel des Schweigens über viele Fehler und Sünden dieser Regierung legt, wird Österreich vom Democracy Report 2022 von einer liberalen Demokratie zu einer bloßen Wahldemokratie abgestuft. Der Hauptgrund: Korruption. Kann man es da unseren Bürgern wirklich verdenken, wenn sie an dieser Demokratie zweifeln, meine Damen und Herren? – Es liegt an uns allen in der Politik, diesen Eindruck zu korrigieren und das Vertrauen der Menschen wieder zurückzugewinnen.
Passend dazu zeigen aktuelle Studien – auch heute
haben wir eine dazu gesehen –, dass viele Menschen sich von dieser
Politik einfach nicht mehr gehört fühlen.
Das ist alarmierend, denn diese Entfremdung schwächt nicht nur die
Demokratie, sondern sie schwächt auch den Zusammenhalt in unserer
Gesellschaft.
Doch es gibt auch Hoffnung. Dieselben Studien zeigen: Die
FPÖ wird zunehmend als Antikorruptionskraft wahrgenommen – ein
geradliniger Weg, der ankommt.
Dazu gehört vor allem eines, meine Damen und Herren: Dass man das, was man
vor einer Wahl verspricht, dann nach einer Wahl auch umsetzt. Das ist das Entscheidende daran.
Ein weiterer Grund für die Politikverdrossenheit unserer
Landsleute liegt mit Sicherheit in der Einschränkung der
Meinungsfreiheit. Auch das wurde heute schon ausführlich diskutiert.
Für mich persönlich ist die Meinungsfreiheit das Herzstück einer
Demokratie – das Recht, sich ohne Angst vor Repression
äußern zu
können. Doch in den letzten Jahren wurde der offene Diskurs regelrecht
zerstört – und ich sage bewusst: zerstört. Es gilt dann
nur noch eine Meinung, es gelten
dann nur noch jene Experten, die diese richtige Meinung auch vertreten; und wer
anderer Ansicht ist, wird dann als Coronaleugner, Putinversteher,
Klimaleugner
und so weiter diffamiert.
Aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, das ist falsch,
das ist grundlegend falsch. Nur der freie Austausch von Meinungen und Ideen
garantiert das
Wachstum und auch die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Es braucht zudem
Fairness und Ausgewogenheit in der Machtverteilung, basierend – no
na net – auf den Wahlergebnissen.
Zu den Grundsätzen der Demokratie gehört auch,
dass zum Beispiel Vorsitze
in Ausschüssen nach fairen Kriterien vergeben werden. Wenn einer Fraktion
ein Ausschussvorsitz zusteht, dann muss diese diesen auch bekommen. Das
ist der
Wille des Souveräns, der Wille des Wählers.
Als Negativbeispiel nenne ich
eine Ungleichbehandlung etwa in der Europäischen Union, nämlich in
jener Europäischen Union, die sich sonst so gerne als die moralische
Instanz inszeniert und uns moralinsauer mit dem erhobenen Zeigefinger erklärt,
was richtig und was falsch ist. Alle politischen Kräfte, egal ob links
oder rechts, müssen nach denselben Maßstäben behandelt
werden. Wenn aber patriotische
Kräfte systematisch benachteiligt werden, wie das seit Jahren der Fall
ist, dann wird die Glaubwürdigkeit der Demokratie untergraben.
Meine Damen und Herren, demokratische Spielregeln gelten für alle und dürfen keinesfalls ein Werkzeug sein, um Gegner mundtot zu machen. In einer echten Demokratie hat diese Form der Doppelmoral keinen Platz.
Es gäbe
noch viel mehr zu sagen – Sie sehen es, meine Redezeit neigt sich
leider schon dem Ende zu. Zum Abschluss möchte ich Ihnen aber noch eines
mitgeben, das ist ein Ziel von mir, aber, wie ich glaube, ein Ziel, das
uns alle hier
herinnen, so unterschiedlicher Meinung wir auch oft sind, eint: Unser
gemeinsames Ziel muss es sein, dass wir Demokratie so leben, dass dabei jeder
gehört wird
und dass die Menschen auch wieder Vertrauen in die Politik und in die
Institutionen haben können. – Alles Gute! (Beifall.)
13.01
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank für den Beitrag.
Zuletzt darf ich dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Herrn Bundesrat Marco Schreuder, das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesrat.
13.01
Bundesrat Marco Schreuder (Grüne/Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir sind ja jetzt im österreichischen Parlament, und dieses Haus gilt ja sozusagen als das Zentrum der Demokratie, völlig zu Recht.
Was hat dieses Haus schon
alles erlebt? – Eine Monarchie: Da war ganz groß, schön
„FJI“, noch mit Krone darauf, für Franz Joseph I. Der war
ja nicht unbedingt der
größte Freund der Demokratie, wie wir wissen. Also der Absolutismus
war schon eine Idee, die ihm ganz gut gefallen hat.
Dieses Haus hat zwei Diktaturen und zwei Demokratien erlebt,
nämlich die der
Ersten und der Zweiten Republik. Ich finde, das zeigt ganz gut, dass wir in
unserer historischen Erfahrung schon viel erlebt haben. Die Periode aber, die
am
längsten gedauert hat, ist die der demokratischen Zweiten Republik. Auf
die müssen wir, glaube ich, in besonderem Maße aufpassen. Das waren
nämlich auch die
Lehren aus den Dramen und dem Verlust der Demokratie vorher.
Als Mitglied des Bundesrates – Frau Kollegin Schumann hat das auch schon angesprochen – ist man es natürlich auch gewohnt, dass man, wann immer eine Demokratiediskussion stattfindet, zuerst einmal sagt: Na, schaffen wir den Bundesrat ab! Da ist etwas, das mir schon seit Langem wirklich Sorge macht, wenn man Demokratie diskutiert: Es geht um die Checks and Balances – diese Formulierung ist nämlich auch noch nicht gefallen – in der Demokratie. Das ist eine der ganz wesentlichen Säulen einer Demokratie: dass nämlich eine Institution nie die komplette Macht bekommt.
Wenn man diese Checks and Balances ernst nimmt, dann muss
man, wenn man Demokratie diskutiert, über diese Checks and Balances
diskutieren und darüber: Wie organisiert man diese Checks and Balances?
Dann kann man sagen: Welche
Kammern, welche Parlamentsformen, welche Landtage, welche Kompetenzverteilungen
von Europa bis auf Gemeindeebene soll es geben? Ich halte es aber für
ganz wichtig, dass man nicht immer glaubt, mit dieser einen Institution gleich
die Diskussion erledigt zu haben.
Bei der Frage, wie solche Checks
and Balances tatsächlich funktionieren, möchte ich auf
das Thema Bürgerräte kurz eingehen. Da hat es zum Beispiel
schon Beispiele gegeben. Ich nenne nur Island und Irland, wo sich tatsächlich
Bürgerinnen und Bürger, die nicht in der Parteipolitik waren,
überlegt haben:
Wie organisieren wir diese Checks and Balances und diese Demokratie in einer
modernen Gesellschaft? Das finde ich ganz spannend, weil das außerhalb
dieses parteipolitischen Denkens war. Damit, dass auch die Bürgerinnen und
Bürger so etwas wissen können,
können wir, die wir ja parteipolitisch organisiert sind –
auch zu Recht, weil es ja nur eine Ergänzung ist, wie sie auch
richtigerweise gesagt hat –, glaube ich, sehr gut leben
Meine Damen und Herren, eines
möchte ich hier auch erwähnt haben – das
hat auch Frau Schumann angesprochen –: Es wurden nämlich die
sozialen Medien genannt. Wichtig finde ich schon, dass man dabei
unterscheidet: Was ist ein
Medium, was sind Plattformen, und was sind Algorithmen? Dass das verschiedene
Dinge sind, muss man schon als ganz wichtig in den Vordergrund rücken.
Wenn soziale Medien Medien sind, dann ist es auch deren Pflicht, auf
journalistische Sorgfalt zu achten, dann sind sie auch verpflichtet, viele
Meinungen gleichwertig zu zeigen und kundzutun, und sie
können sich nicht abputzen und sagen: Das sind ja nur Algorithmen! Wir
können ja nichts dafür, wenn sich jemand nur für eines
interessiert! Das geht einfach nicht. Wenn ein Medium ein Medium ist, dann ist
es ein Medium.
Daher halte ich es für
richtig, dass wir auch als Europäische Union – die möchte
ich hier am Schluss auch noch erwähnen – sagen: Wir wollen
unsere Demokratie ganz klar beschützen,
sodass Menschen zu allen Meinungen einen fairen Zugang haben.
Ich möchte Ihnen ein
persönliches Beispiel nennen: Ich habe ein privates Profil, das habe ich
mir auf Twitter für meinen Podcast eingerichtet. Das ist privat, das
ist nichts Politisches. Dort gibt es neuerdings diese Funktion: Wenn man ein
Video anschaut, werden automatisch weitere Videos gezeigt, die man sich gar
nicht ausgesucht hat. Man sieht nicht nur das eine Video, das man angeklickt
hat. Ich habe in den letzten Wochen ausschließlich Videos gezeigt
bekommen, in denen
Trump verherrlicht wurde, Trump verherrlicht wurde, Trump verherrlicht wurde.
Seit der Amerika-Wahl kriege ich wieder Katzenvideos gezeigt.
Da frage ich mich schon: Welche Sorgfaltspflicht hat eine
Plattform wie X für eine Demokratie? Ich finde – da kommen
wir nämlich in die Oligarchie hinein –, wenn
eine Person allein entscheiden kann, welche Propaganda an Milliarden von
Userinnen und Usern geschickt wird, dann ist das demokratiepolitisch gefährlich.
Da müssen wir als Europäische Union etwas dagegenstellen,
davon bin ich überzeugt.
Passen wir auf diese Demokratie auf –
sie ist es wert –, und hoffen wir, dass
diese Zweite Republik, die auch hier in diesem Haus erlebt wurde und
wird, noch sehr lange dauern wird! – Danke schön. (Beifall.)
13.07
Vorsitzender Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank auch für diesen abschließenden Beitrag.
VII. Schlussworte des Präsidenten
Vorsitzender Präsident
Mag. Franz Ebner: Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind am Ende unserer
parlamentarischen Enquete zum Thema Demokratie braucht
Zukunft angelangt. Erlauben Sie mir abschließend noch einige Bemerkungen
und auch einige Worte des Dankes!
Ich habe mir für die Zeit
meiner Präsidentschaft zum Ziel gesetzt, gerade in
Zeiten von Wahlen auch stark inhaltlich zu arbeiten, und hoffe, dass das
einerseits mit dem Expertenforum vor 14 Tagen zum Thema Demografie und
ihre Konsequenzen, aber auch am heutigen Tag mit der parlamentarischen
Enquete zum
Thema Demokratie braucht Zukunft gelungen ist.
Ich denke, wir haben heute sehr
eindrücklich gesehen, dass Demokratie Meinungen braucht und dass es gut ist, aus unterschiedlichsten Blickwinkeln die
Demokratie zu betrachten und hoffentlich wiederum
Ableitungen aus diesem Vormittag zu treffen, um auch die Zukunft der Demokratie
zu gewährleisten und die
Demokratie für die Zukunft zu stärken.
Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen Expertinnen und
Experten, die ihren Input, ihren Beitrag zum Gelingen der Enquete geliefert
haben. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Parlamentsdirektion, der Bundesratskanzlei und ganz besonders
für die Vorbereitung der Enquete
bei Frau Dr. Alsch-Harant, die federführend tätig war. (Beifall.)
Ich bedanke mich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern
für das große Interesse, das sie an der Themenstellung der heutigen
Enquete gezeigt haben, und dafür,
dass sie wertvolle Diskussionsbeiträge geliefert haben.
Ich bedanke mich auch bei allen Medien, die diese Enquete begleiten und begleitet haben.
Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen und wünsche
noch einen angenehmen
Tag.
Abschließend darf ich noch einmal, wie schon angekündigt, zu einem informellen Austausch in die Säulenhalle einladen.
Vielen Dank.
*****
Die Enquete ist geschlossen. (Beifall.)
Schluss der Enquete: 13.09 Uhr
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