4003/AB XVII. GP

 

 

 

     Eingelangt am 24.08.1989

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                Am 21.10.2021 erfolgte eine vertraulichkeits-/datenschutzkonforme Adaptierung

 

 

An den

Herrn Präsidenten des Nationalrates

W i e n

zur Zahl 4063/J-NR/1989

Die schriftliche Anfrage der Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Graff und Kollegen (4063/J), betreffend Grundrechte in gerichtlichen Strafverfahren, beantworte ich wie folgt:

Zu 1 und 2:llo

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 13.1.1976, 10 Os 155/75 (EvBl 1976/221 = LSK 1976/85), klargestellt, daß ehemaligen Lebensgefährten kein Ent­schlagungsrecht nach § 152 Abs.1 Z.l StPO zukommt. Er begründete dies damit, daß der Gesetzgeber im § 72 Abs.2 StGB - den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragend - nur die aufrecht bestehende Lebens­gemeinschaft ihrer sozialen Bedeutung wegen einem Ange­hörigenverhältnis gleichgestellt hat, an eine nicht mehr existente Lebensgemeinschaft hingegen keine solche Rechts­wirkung geknüpft hat.

Eine Anwendung der den geschiedenen Ehegatten begün­stigenden Bestimmung des § 152 Abs.l Z.l StPO auf ehe­malige Lebensgefährten im Wege der Analogie erklärte der Oberste Gerichtshof schon wegen des Fehlens einer (echten) Gesetzeslücke für unzulässig.


 


Die vom Obersten Gerichtshof vertretene Rechtsansicht erscheint unbestritten (siehe FOREGGER-SERINI4, Erläut.I zu § 152 StPO; BERTEL, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts2 , Rz 353). Freilich ist jede gesetz­liche Umschreibung des Angehörigenbegriffes bzw. diesem gleichzuhaltender persönlicher Verhältnisse notwendiger­weise mit "Typisierungen" verbunden, die mit faktisch be­stehenden Naheverhältnissen keineswegs übereinstimmen müssen. Beispielsweise stellt das Gesetz auch ein Ver­löbnis mit unmittelbar bevorstehender Heirat einem schon bestehenden Angehörigenverhältnis nicht gleich. Die ge­samte österreichische Rechtsordnung knüpft an die Auf­lösung der Lebensgemeinschaft geringere Folgen als an die Auflösung der Ehe - so insbesondere in der Frage des Unterhalts sodaß nach der Trennung der Lebensgefährten zwischen ihnen keine rechtlichen Beziehungen verbleiben.

Es erscheint daher unbedenklich, auch im Strafrecht die Rechtsfolgen der Auflösung einer Lebensgemeinschaft und einer Ehe unterschiedlich zu gestalten. Auch ist die Fest­stellung des Bestandes einer Lebensgemeinschaft nach deren Auflösung erheblich schwieriger als die Feststellung einer früheren Ehe.

Zu 3:

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 17.9.1987, 13 Os 117/87 (NRsp 1988/8, zitiert in MAYER- HOFER-RIEDER, StGB3, als ENr.9 zu § 72) ausgesprochen, daß von der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind im Sinne des § 72 Abs.l StGB erst dann gesprochen werden kann, wenn diese durch Urteil oder durch Anerkenntnis festgestellt ist (§ 163b ABGB).

Die Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof hat auf Grund dieser Entscheidung zur Erhebung einer Nichtigkeits-


beschwerde zur Wahrung des Gesetzes, die von der Ober­staatsanwaltschaft Wien wegen der Verhängung einer Beuge­strafe von S 2.000,— über N.N.1 angeregt worden war, keinen Anlaß gefunden und ausge­führt, daß die Einbeziehung des Vaters des unehelichen Kindes einer Person in den Angehörigenbegriff nach § 72 Abs.l StGB aus einer personenstandsrechtlichen und nicht aus einer biologischen Sicht zu interpretieren ist.

Eine andere Rechtsauffassung hätte zur Folge, daß im Strafverfahren gegebenenfalls eine Vaterschaftsfest­stellung durchgeführt werden müßte - unter Umständen selbst in Fällen, in denen die Ehelichkeit eines Kindes bis dahin nicht bestritten worden ist.

Zu 4:

N.N.1 wurde am 2.12.1988 von der Bundespolizeidirektion Wien über ihren Aufenthaltsort in der Zeit vom 16.8. bis 11.9.1988 niederschriftlich nach Belehrung, daß ihr ein Entschlagungsrecht im Sinne des § 152 StPO nicht zustehe, einvernommen. Zum selben Beweis­thema befragte sie der Untersuchungsrichter des Landes­gerichtes für Strafsachen Wien erstmals am 17.2.1989. Zu Beginn dieser Einvernahme wurde sie über die ein Ent­schlagungsrecht gemäß § 152 StPO nach sich ziehende Lebensgemeinschaft eingehend belehrt. Im weiteren Verlauf der Vernehmung wurde sie auch ausdrücklich auf die Mög­lichkeit und die Voraussetzungen einer Zeugnisentschlagung nach § 153 StPO hingewiesen. Da sie aber weiterhin die Beantwortung der an sie gestellten Fragen nach ihrem Auf­enthaltsort in der fraglichen Zeit mit dem Hinweis auf das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft verweigerte, wurde über sie eine Beugestrafe von S 2.000,— verhängt.


In ihrer Beschwerde gegen die Verhängung dieser Beuge­strafe hat N.N.1 ebenso wie bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung vor der Bundes­polizeidirektion Wien vom 2.12.1988 zudem vorgebracht, daß N.N.3 der außereheliche Vater ihres 1981 geborenen Sohnes N.N.2 sei. Diese Beschwerde wurde mit Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.3.1989 abgewiesen.

Bei ihrer neuerlichen Zeugeneinvernahme am 8.5.1989 ver­weigerte N.N.1 schon nach dem ersten Satz unter Hinweis auf ihre Angehörigeneigenschaft (als Mutter des außerehelichen Kindes von N.N.3) die Aussage. Auf Grund ihrer - trotz Rechtsbelehrung im Sinne der §§ 288 StGB und 160 StPO - fortdauernden Weigerung auszusagen, verhängte der Untersuchungsrichter über sie die Beugehaft.

Zu 5 bis 7:

Hiezu verweise ich auf die Beantwortung der Punkte 1 bis 3. Die Generalprokuratur hat mit Schreiben vom 2. Juni 1989, Gw 180, 181/89, die Anregung der Oberstaatsanwalt­schaft Wien zur Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht aufgegriffen.

Nunmehr wurde vom Bundesministerium für Justiz bei der Generalprokuratur die Erhebung einer Nichtigkeits-beschwerde zur Wahrung des Gesetzes wegen möglicher Ge-setzesverletzungen im Zusammenhang mit der Verhängung und Vollziehung der Beugehaft an N.N.1 angeregt. Abgesehen von der Verletzung der Bestimmung des § 3 Abs.2 StVG (Nichterlassen einer Straf­vollzugsanordnung) wird die Nichtbeachtung des Entschlagungsgrundes gemäß § 153 StPO und die Unzulässigkeit der


Verhängung der Beugehaft als "Zwangsmittel" im Sinne des Art.6 MRK und des § 202 StPO geltend gemacht.

Selbstverständlich bin ich bereit, den anfragenden Abge­ordneten das Prüfungsergebnis der Generalprokuratur und eine allfällige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu diesen Rechtsfragen zugänglich zu machen.

Zu 8:

Eine Statistik, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wie oft in Österreich nach 1945 die Beugehaft gemäß § 160 StPO verhängt wurde, gibt es nicht. Ebenso verfügen die mit der Strafgerichtsbarkeit befaßten Gerichtshöfe über keine derartigen Aufzeichnungen. Eine zuverlässige Infor­mation könnte daher nur dadurch erlangt werden, daß sämt­liche seit 1945 angefallene Strafakten durchgesehen wer­den; dies ist aber aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht möglich.

Zu 9:

Ich verweise hiezu auf meine Antwort zu 5 bis 7.

Zu 10:

Nach der Entscheidung des k.k. Obersten Gerichts- als Kassationshofes vom 19.4.1888, KG 1145, hat der Richter nach Zweckmäßigkeitsgründen zu beurteilen, ob von den Zwangsmitteln nach § 160 StPO Gebrauch zu machen und Erfolg zu erwarten ist. In solche Zweckmäßigkeitser­wägungen sind meiner Ansicht nach auch Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen.

Eine allgemeine Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit bei der Entziehung der persönlichen Freiheit sieht Art.l Abs.3 des (mit 1. Jänner 1991 in Kraft tretenden) Bundes-


verfassungsgesetzes vom 29. November 1988, BGBl.684, über den Schutz der persönlichen Freiheit vor. Ich könnte mir vorstellen, diesen verfassungsgesetzlichen Grundsatz im § 160 StPO de lege ferenda näher zu konkretisieren.

Zu 11:

Weder die Beugehaft noch die Beuge(geld)strafe darf nach § 160 StPO verhängt werden, wenn ein gesetzlicher Grund zur Zeugnisbefreiung vorliegt. Das Bestehen eines Ent- schlagungsgrundes ist vom Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu prüfen.

Zu 12:

Ausgehend davon, daß N.N.1 im Sommer 1988 mit N.N.3 auf den Philippinen zusammen­getroffen ist, bestand Anlaß zur Annahme, daß ihr der Auf­enthaltsort des Genannten bekannt ist. Die Vernehmung der Zeugin erfolgte daher zum Zwecke der Ausforschung des Be­schuldigten im Sinne der mehrfach und vehement geforderten Intensivierung der Fahndung nach N.N.3.

Zu 13:

Nach § 150 StPO ist in der Regel jeder, der als Zeuge vor­geladen wird, verpflichtet, der Vorladung Folge zu leisten und über das, was ihm vom Gegenstand der Untersuchung be­kannt ist, vor Gericht Zeugnis abzulegen. Es unterliegt meines Erachtens keinem Zweifel, daß auch der Aufenthalts­ort eines (flüchtigen) Beschuldigten Gegenstand der ge­richtlichen Untersuchung sein kann.

§ 414 StPO sieht unter anderem die Hausdurchsuchung,

§ 414a StPO die Überwachung des Fernmeldeverkehrs als Maß­nahmen zur Ausforschung des Aufenthaltsortes eines flüch­tigen oder abwesenden Beschuldigten vor. Da somit Grund-


rechtseingriffe zu diesem Zwecke zulässig sind, kann schon kraft Größenschlusses die Zeugenvernehmung als Mittel zur Ausforschung des Aufenthaltes eines flüchtigen Beschuldig­ten nicht ausgeschlossen werden.

Die bundesdeutsche Strafrechtslehre unterscheidet zwischen Tatzeugen oder Hauptzeugen, welche über den Tatvorgang selbst etwas aussagen können, und Ergänzungszeugen oder Nebenzeugen, welche über Umstände Angaben machen, die außerhalb des Tatvorganges liegen. Zu letzteren werden auch diejenigen Zeugen gezählt, die Angaben über den Auf­enthalt des Täters machen (siehe PETERS, Strafprozeß4,

344).

Die österreichische Strafprozeßordnung geht von einem einheitlichen Zeugenbegriff aus. Die Bestimmung des § 160 StPO ist daher auch auf Zeugen anwendbar, die Angaben über den Aufenthalt des Beschuldigten machen können.

Zu 14:

§ 149b Abs.2 vierter Satz StPO bestimmt, daß der Unter­suchungsrichter - falls die Aufbewahrung der eingesehenen Aufzeichnungen über die Überwachung der Fernmeldeanlage weder vom Inhaber der Fernmeldeanlage noch vom Verdäch­tigen (Beschuldigten) verlangt wird - die Aufzeichnungen nur insoweit zu den Akten zu nehmen hat, als sie für das gegenwärtige oder ein erst einzuleitendes Strafverfahren von Bedeutung sein können.

Auf Grund dieser eindeutigen Gesetzeslage hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.6.1976, 10 Os 183/75 (SSt 47/34 = EvBl 1976/287), ausgesprochen, daß die Aufzeichnung des Inhalts eines zulässigerweise über-


wachten Fernmeldeverkehrs auch in einem gegen andere Per­sonen als den ursprünglich Verdächtigen und auch erst nachträglich eingeleiteten Strafverfahren verwertet werden darf (siehe FOREGGER-SERINI4, Erläut.IV zu § 149b StPO).

Nach Art.10a StGG sind Ausnahmen von der Bestimmung, daß das Fernmeldegeheimnis nicht verletzt werden darf, nur auf Grund eines richterlichen Befehles in Gemäßheit bestehender Gesetze zulässig. Die Bestimmungen der §§ 149a und 149b StPO zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs stellen somit - wie auch aus der Äußerung des Bundeskanzleramtes–­Verfassungsdienst zu entnehmen ist - verfassungsmäßig zu­lässige Regelungen der Ausnahmen vom Fernmeldegeheimnis dar.

Zu 15 und 16:

N.N.1 gab in ihrer nieder­schriftlichen Vernehmung vor der Bundespolizeidirektion Wien am 2.12.1988 an, daß sie sich in der Zeit vom 16.8.1988 bis 11.9.1988 ausschließlich in Österreich auf­gehalten habe und nicht mit N.N.3 - schon gar nicht in Manila - zusammengetroffen sei. Entgegen dieser Aussage besteht jedoch der dringende Verdacht, daß sie sich in dieser Zeit in Manila aufgehalten habe. Bei ihrer Ver­nehmung als Beschuldigte gab sie nun im wesentlichen an, daß sie von Abteilungsinspektor Böhm zur Aussage mit der Erklärung gedrängt worden sei, er könne sie in Haft neh­men, wenn sie die Aussage verweigere. Letztendlich sei ihre Aussage nur auf Grund des Zwanges und der ihr gegen­über geäußerten Drohungen erfolgt.

Den anläßlich eines Telefonats am 19.2.1989 aufgezeich­neten Äußerungen der Zeugin ist hingegen zu entnehmen, daß es ihre Entscheidung gewesen sei, ob und was sie bei der


Polizei ausgesagt habe. Sie habe sich gedacht, lieber etwas Harmloses auszusagen, als sich großartig dagegen zu wehren, um in Ruhe gelassen zu werden; dies schien ihr die bessere Taktik zu sein. Mit diesen Ausführungen lassen sich allerdings ihre Angaben vor dem Untersuchungsrichter, daß sie durch Drohung mit Haft von der Polizei zur Aussage genötigt worden sei, nicht in Einklang bringen.

Da sich daraus die Unrichtigkeit ihrer belastenden Angaben gegen den Polizeibeamten ableiten ließ, wurde das über­einstimmende Vorhaben der staatsanwaltschaftlichen Behörden auf Ausdehnung der Voruntersuchung gegen N.N.1 wegen des Verdachts der Verleumdung nach § 297 Abs.l StGB vom Bundesministerium für Justiz mit Erlaß an die Oberstaatsanwaltschaft Wien vom 24.5.1989 zur Kenntnis genommen. Dabei wurde jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, im Zuge der ausgedehnten Voruntersuchung zu klären, inwieweit der Polizeibeamte durch die Aussage von N.N.1 der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt wurde. Im übrigen wurde um Berichterstattung vor Endantragstellung ersucht.

Zu 17:

Die Erwägungen des Untersuchungsrichters sind den Akten nicht zu entnehmen und betreffen überdies einen Akt der Gerichtsbarkeit.

Zu 18:

Hiezu verweise ich vorerst auf meine Antwort zu Frage 14.

Eine Vernichtung der Protokolle unterblieb auf Grund der Bestimmung des § 149b Abs.2 vierter Satz StPO, wonach Auf­zeichnungen über die Überwachung der Fernmeldeanlage zum Akt zu nehmen sind, wenn sie über das gegenwärtige oder ein erst einzuleitendes Strafverfahren von Bedeutung sein können.


Zu 19 und 20:

Wie bereits zu 14. ausgeführt, kann die Aufzeichnung des Inhaltes eines zulässigerweise überwachten Fernmeldever­kehrs auch in einem gegen andere Personen als den ur­sprünglich Verdächtigen (auch aus einem anderen Grund) erst nachträglich eingeleiteten Strafverfahren verwertet werden.

Zu 21:

Ich halte die im Rahmen der Strafrechtsreform der sieb­ziger Jahre geschaffenen Regelungen der §§ 149a und 149b StPO grundsätzlich weder für exzessiv noch für men­schenrechtswidrig. Die Voraussetzungen für die Überwachung eines Fernmeldeverkehrs sowie die Bestimmungen für die Anordnung und Durchführung eines solchen sind erheblich einschränkender als bei Grundrechtseingriffen wie Haft oder Hausdurchsuchung.

Eine Einschränkung der Verwertung der bei einer Über­wachung des Fernmeldeverkehrs aufgezeichneten Gespräche als Beweismittel erschiene mir aber insofern überlegens- wert, als solche Aufzeichnungen nicht als Beweismittel für Äußerungsdelikte wie Verleumdung, üble Nachrede usw. zuge­lassen werden könnten.

23. August 1989