144/A

 

 

 

der Abgeordneten Petrovic, Langthaler, Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über das Grundrecht auf Gesundheit

 

 

 

 

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

 

Bundesverfassungsgesetz vom XXXXXX über das Grundrecht auf Gesundheit

 

 

 

Der Nationalrat hat beschlossen :

 

 

Artikel 1

 

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung seiner Gesundheit.

 

(2) Bei einer Gefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit durch staatlich geregeltes

Handeln steht den Betroffenen ein Recht auf Einhaltung der zum Schutz der Gesundheit

erlassenen generellen Normen zu. Jeder Mensch hat das Recht, dies in einem Verfahren

durchzusetzen.

 

(3) Das Grundrecht auf Gesundheit umfaßt das Recht der Betroffenen auf ein Tätigwerden

des Verordnungsgebers, ist eine Gefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit

schwerwiegend, auch das Recht auf ein Tätigwerden des säumigen Gesetzgebers.

 

Artikel 2

 

Eine Gesundheitsanwaltschaft hat das Recht, bei Verstößen gegen das Grundrecht auf

Gesundheit wie die Betroffenen Beschwerde zu erheben. Die Einrichtung, die näheren

Rechte und Pflichten der Gesundheitsanwaltschaft sind in einem besonderen Gesetz zu

regeln.

 

Artikel 3

 

Der Staat hat die Pflicht, Mittel für die weitere Erforschung der Ursachen-

Wirkungszusammenhänge im Bereich der Umweltmedizin bereitzustellen.

 

Artikel 4

 

(1) Dieses Bundesverfassungsgesetz tritt mit 1. Jänner 1997 in Kraft.

 

(2) Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.

 

 

 

 

 

BEGRÜNDUNG

 

 

ALLGEMEINER TEIL

 

 

 

1. Motivation:

 

Der österreichische Grundrechtskatalog (Summe der in Österreich geltenden

Grundrechte) enthält kein Grundrecht auf Gesundheit. Das Grundrecht auf Leben nach Art

2 Menschenrechtskonvention und Art 63 Staatsvertrag von St. Germain schützt vor

Auslöschung des Lebens nicht jedoch vor bloß die Gesundheit beeinträchtigenden

Eingriffen. Lediglich akut lebensgefährdende Gesundheitsverletzungen können nach

herrschender Judikatur von diesem Grundrechtsschutz erfaßt sein.

 

Die Gesundheit des Menschen wird jedoch durch den technischen uud wirtschaftlicben

Fortschritt nicht nur gefördert sondern auch zunehmend durch umweltvermittelte Gefahren

bedroht und beeinträchtigt. Beispielhaft seien hier Gesundheitsschäden durch den Verkehr

angeführt. Dieselruß ist nachweislich krebseregend, der Verkehrslärm fördert den

Herzinfarkt. Für Östereich wird die Zahl der verkehrsbedingten Lärmopfer

schätzungsweise mit 180 Todesfällen pro Jahr angegeben.

 

Österreicb hat sich auch völkerrechtlich verpflichtet, alles Mögliche zum Schutz der

Bevölkerung zu tun. Die Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation (Beitritt

Österreichs 1949) bringt zum Ausdruck, daß "der Genuß des höchsten ereichbaren

Gesundheitsstandards eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens (sei). " In der

Europäischen Sozialcharta, welche Österreich 1969 ratifiziert hat, haben sich die

Vertragsparteien verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um " soweit wie möglich

die Ursachen von Gesundheitsschäden zu beseitigen " . Im UNO-Sozialpakt, welcher von

Österreich 1978 ratifiziert wurde, ''anerkennen" die Vertragsstaaten ''das Recht eines jeden

auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit" . Die

 

Vertragsstaaten verpflichten sich , alles " zur Verbesserung aller Aspekte der Umwelt- und

der Arbeitshygiene" zu unternehmen.

 

Der Gesundheitsschutz zählt zu den wichtigsten Aufgaben des Staates. Diese Bedeutung

sollte auch im österreichischen Grundrechtskatalog ihren Niederschlag finden. Die Grünen

haben zu diesem Zweck eine Studie bei Frau Mag. Elisabeth SCHADLER in Auftrag

gegeben, deren Formulierungsvorschlag der Gesetzesantrag im wesentlichen folgt.

 

 

 

2. Inhalt

 

Das vorgeschlagene Grundrecht gibt Betroffenen das Recht,

 

- die Vereinbarkeit von Bescheiden, Verordnungen und Gesetzen mit dem Grundrecht

auf Gesundheit durch den Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen,

 

- auch die Einhaltung von generellen Gesundheitsschutzbestimmungen geltend zu

machen,

 

- auf Durchsetzung des ihnen zugebilligten Gesundheitsschutzes in einem Verfahren

(Parteistellung in gesundheitsrelevanten Verfahren) ,

 

- auf ein Tätigwerden des Verordnungsgebers,

 

- bei schwerwiegender bestehender oder drohender Beeinträchtigung auf ein

Tätigwerden des Gesetzgebers (in den beiden letztgenannten Fällen erkennt der

Verfassungsgerichtshof über die Säumigkeit).

 

Betroffen ist eine Person, wenn sie durch Handlungen oder Unterlassungen des S taates

konkret in ihrer Gesundheit beeinträchtigt wurde oder gefährdet ist.

 

Der Nachweis der bestehenden oder drohenden Gesundheitsbeeinträchtigung ist aus

zumindest zwei Gründen schwierig: Die Ursachen-Wirkungszusammenhänge zwischen

Umweltgiften und Erkrankungen sind noch unzureichend erforscht und der Nachweis im

konkreten Fall bedarf kostspieliger Gutachten. Deshalb wurde dem Staat die Pflicht zur

Förder.ung der Umweltmedizin und zur Einrichtung einer Gesundheitsanwaltschaft, welche

Beschwerde wie die Betroffenen erheben kann, auferlegt.

 

 

 

3. Kosten

 

Die mögliche Zunahme der Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof läßt sich nicht

quantifizieren, wird jedoch den derzeitigen Trend nicht wesentlich verändern. Die

Verankerung eines zusätzlichen Grundrechts sollte jedoch zum Anlaß genommen werden,

die schon bestehende Überlastung des VfGH durch eine Vermehrung der ständigen

Referent/inn/en und des Personals wettzumachen. Die Kosten, die durch die

Gesundheitsanwaltschaft entstehen würden, liegen im Ermessen des einfachen Gesetzgebers.

 

4. AIternativen

 

Unter Aufzählung materieller Gesetzesvorbehalte könnte die Gesundheit prinzipiell für

unverletzlich erklärt werden. Jeder Eingriff in die Gesundheit durch den S taat oder durch

Dritte, die nicht gesetzlich legitimiert sind, könnten so abgewehrt werden , im Fall von

Privaten im Wege einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage (Grundrecht mit Drittwirkung).

Diese Variante wurde angesichts der Bedeutung der diffusen Schadensquellen nicht

weiterverfolgt. Ein einzelner Privater verursacht in solchen Fällen nicht die

Gesundheitsbeeinträchtigung. Zielführend ist hier nur das Handeln des S taates, der das

Handeln der vielen, die in der Summe den Schaden herbeiführen , regeln kann. Unter

Anknüpfung der aus dem Grundrecht erfließenden Schutzpflicht des Staates sieht die

vorgeschlagene Lösung hier die Beschwerde gegen die säumige Behörde oder den säumigen

Gesetzgeber vor. Ein weiteres Problem stellt bei dieser Variante die generelle Festlegung

der verfassungsrechtlich zulässigen Gesundheitseingriffe, die Formulierung des materiellen

Gesetzesvorbehalts, dar.

 

 

 

 

BESONDERER TEIL*

 

 

Art 1 Abs 1 (Achtung der Gesundheit) :

 

Durch diese Bestimmung sollen staatliche Akte wie Bescheide, Verordnungen und Gesetze

einer Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof unterzogen werden können, ob sie die

Gesundheit im konkreten Fall ausreichend achten und schützen. Die allgemeine

Formulierung soll ermöglichen , den Kernbegriff " Gesundheit" den jeweiligen

wissenschaftlichen Erkenntnissen und auch sozialen Gegebenheiten anzupassen. Als

Mindestinhalt des Begriffs ist das Freisein von (durch äußere Einwirkungen verursachte)

Krankheitssymptomen anzusehen. Das Grundrecht ist nicht bloß als Titel für Beschwerden

von in ihrer Gesundheit Betroffenen an den Verfassungsgerichtshof von Bedeutung, sondern

beeinflußt auch den Gehalt anderer Grundrechte wie zB des Grundrechts auf Eigentum und

auf Erwerbsfreiheit.

 

 

 

 

 

* Die Erläuterungen beschränken sich hier auf das unerläßliche Maß, da die studie von SCHADLER und die

dazu im Frühjahr 1993 stattfindende Enquete mit den Beiträgen von Franz MERLI, Benjamin DAVY, Theo

ÖHLINGER ua. dokumentiert und publiziert wurden (Marlies MEYER (Hrsg), Grundrecht auf Gesundheit,

Wien 1993). Mit dem .Thema eines Grundrechts auf Gesundheit beschäftigte sich auch ein von Maria

ZENKL im Rahmen des IFF im Herbst 1993 veranstaltetes Symposion. das im Journal für Rechtspolitik

1994. H 1 . dokumentiert ist (siehe insbes. Bernd-Christian FUNK. Ein Grundrecht auf Schutz der

Gesundheit?, JRP 1994. H 1 . s 68 - 78).

 

Art 1 Abs 2 (Objektiv-rechtlicher Gesundheitsschutz, Recht auf ein Verfahren) :

 

Durch diese Regelung wird ein subjektiver Rechtsanspruch auf Einhaltung auch der

objektiv-rechtlichen gesundheitsbezogenen Vorschriften begründet. Geltend gemacht kann

er von jedem werden, der in seiner Gesundheit beeinträchtigt oder gefährdet wird.

 

Der subjektive, gegen den S taat gerichtete Anspruch besteht darauf,

 

a) daß einer in Gesetzen oder Verordnungen positivierten Pflicht zum Tätigwerden zum

Schutze der Gesundheit der Menschen entsprochen werden muß. Diesbezügliche

Ermessensentscheidungen können nun kontrolliert werden.

 

b) Weiters ist der Staat für bestimmte hoheitliche Tätigkeiten bereits einfachgesetzlich

verpflichtet, nach materiellen Kriterien bestimmte Maßnahmen (hier im Sinne von

bescheidförmigen Auflagen , Beschränkungen) für das Hintanhalten von

Gesundheitsbeeinträchtigungen zu ergreifen. So erwächst dem Einzelnen darauf ein

subjektiver Anspruch , selbst wenn in den einfachgesetzlichen Normen dies nicht

festgelegt war. Dadurch wird das Handeln der Behörde auch inhaltlich überprüfbar.

 

So soll vor allem eine Effektuierung bereits bestehender Normen, welche der Vermeidung

von Gesundheitsbeeinträchtigungen dienen, herbeigeführt werden. Durch die

verfahrensrechtliche Garantie wäre eine bessere Durchsetzbarkeit bestehender Vorschriften

zum Schutze der Gesundheit anknüpfend an die individuelle Betroffenheit gegeben.

 

 

Art 1 Abs 3 (VfGH-Beschwerde bei Säumigkeit des Verordnungs- und des

Gesetzgebers) :

 

Die geschaffene Beschwerdelegitimation ist in der Schutzpflicht des Staates begründet, wie

sie aus Grundrechtsgewährungen gefolgert wird. Gerade die neuere

Umweltschutzgesetzgebung ist durch eine Vielzahl von Verordnungsermächtigungen

gekennzeichnet, die nachträglich oder vorbeugend Gesundheitsbeeinträchtigungen

ausschalten sollen. Der einzelne hat bisher kein Recht auf Erlassung solcher Verordnungen.

Das Unterlassen der Behörde greift jedoch ohne Frage stark in die Gesundheit des einzelnen

ein, deshalb soll beim VfGH Beschwerde erhoben werden können. Aber auch die

Untätigkeit des Gesetzgebers soll releviert werden können. Zwischen der Prüfung und

allfälliger Aufhebung von erlassenen Gesetzen durch den VfGH und der Feststellung eines

gesetzgeberischen Handlungsbedarfs liegen strukturell nicht solche Welten, wie gerne

behauptet wird. Zugebenermaßen ist der Beurteilungsrahmen größer. Darauf wurde auch

insofern eingegangen, als nur bei einer '' schwerwiegenden" bestehenden oder drohenden

Beeinträchtigung ein Säumigkeitserkenntnis ergehen soll. Primärer Sinn dieser Regelung ist

es, die Untätigkeit des Gesetzgebers rechtfertigungsbedürftig zu machen und nur bei

massiver und nicht zu rechtfertigender Verletzung des Gutes Gesundheit der

Säumigkeitsbeschwerde stattzugeben.

 

Die Säumnisbeschwerde gegen den Verordnungsgeber würde eine Novellierung des Art 139

B-VG , die Säumnisbeschwerde gegen den Gesetzgeber eine Novellierung des Art 140 B-VG

notwendig machen. Beide Verfahren wären außerdem im VfGG näher auszuführen.

 

Art 2 (Gesundheitsanwaltschaft) :

 

Schon im allgemeinen Teil wurde auf die Kostenintensität vor allem der

Säumnisbeschwerden hingewiesen. Aus diesem Grunde wird eine Gesundheitsanwaltschaft

vorgesehen.

 

 

Art 3 (Umweltmedizin) :

 

Diese Bestimmung begründet kein subjektiv durchsetzbares Recht, sondern ist als Auftrag

an Gesetzgebung (Budgethoheit) und Verwaltung zu verstehen. Dadurch soll bei der

Tatsachenfeststellung im Vorfeld der rechtlichen Beurteilung für die Durchsetzung des

grundrechtlich geschützten Gutes Gesundheit ein Unsicherheitsfaktor genommen werden,

der dazu führen könnte, daß es wesentlich restriktiver, vor allem im Vergleich mit den

ebenfalls grundrechtlich geschützten Eigentumsrechten, angewendet wird. Diese Gefahr

besteht nicht etwa wegen einer mangelnden Schutzwürdigkeit, sondern wegen der

schwierigen Abgrenzung des personenbezogenen Rechtsgutes Gesundheit und auch der

Feststellung, was als " sozialadäquat" anzusehen ist.

 

 

 

In formeller Hinsicht wird unter Verzicht auf eine 1 . Lesung die Zuweisung an den

Verfassungsausschuß vorgeschlagen.