162/AE

 

 

 

der Abgeordneten Mag. Stadler, Dr. Haider, Ing. Meischberger, Scheibner, Dkfm. Bauer, Ing.

Reichhold und Kollegen

betreffend weitere vertragliche Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips

 

 

 

Die am 29. März 1996 in Turin eröffnete Konferenz der Vertreter der Regierungen der EU-

Mitgliedsstaaten (Regierungskonferenz l996) wird mittelfristig die Strukturen der

Europäischen Union festlegen und stellt auf absehbare Zeit die einzige Möglichkeit dar, das

im Artikel 3b EG-Vertrag festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip eindeutig zu definieren und

vertraglich weiter auszugestalten.

 

Zusätzlich kann nur im Rahmen der Regierungskonferenz eine, u.a. von der Versmmlung

der Regionen Europas (VRE) in ihrer "Wiener Erklärung" geforderte, Regionalisierung der

Europäisehen Union besehlossen und verbindlich festgeschrieben werden. Die

Regionalisierung, insbesondere durch grenzüberschreitende Kooperationen von Regionen

innerhalb der Europäischen Union, stellt ein wesentliches Gegengewicht zu vorhandenem

staatlichen, vor allem aber zum von der Europäischen Union verursachten Zentralismus bzw.

zu immer stärker werdenden Zentralisierungstendenzen dar.

 

Ein solches Gegengewicht, beispielsweise fordern die deutschen Bundesländern eine "Dritte

Ebene der Europäischen Union", kann einerseits der Gefahr einer weiteren Beschneidung von

Initiativ- und Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger und der damit verbundenen

Einschränkung der Demokratie und demokratischer Prozesse in der EU effizient

 

entgegenwirken, und andererseits nicht nur die regionale Vielfalt als Stärke Europas sichern,

sondern auch einen maßgeblichen Beitrag zur Erhöhung der Stabilität und des Friedens in

Europa insgesamt leisten. Nicht zuletzt würde eine grenzüberschreitende Regionalisierung die

Zusammenarbeit und Solidarität innerhalb der Europäischen Union fördern.

 

Vor diesem Hintergrund hat die am 2l . Juni l995 auf Einladung der Versammlung der

Regionen Europas stattgefundene Konferenz der Präsidenten von zwölf interregionalen

Organisationen -

Versammlung der Europäischen Weinbauregionen (AREV).

Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG).

Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ARGE ALP)

Arbeitsgemeinschaft der Westalpen (COTRA O).

Arbeitsgemeinschaft ALPEN ADRIA.

Arbeitsgemeinschaft der Unteren und Mittleren Adria,

Arbeitsgemeinschaft Donauländer.

Arbeitsgemeinschaft Galicien-Nord Portugal.

Arbeitsgemeinschaft des Jura (CTJ).

Arbeitsgemeinschaft der Pvrenäen (CTP).

Vereinigung der Europäischen lndustrie- und Technologieregionen (RETI).

Konferenz der Peripheren Küstenregionen (KPKR) -

in ihrer abschließenden "Wiener Erklärung" u.a. folgende Punkte als Zielsetzung und

Forderung formuliert:

 

... Stellung und Rolle der Regionen beim neuen europäischen A ufbau

 

1. Wir verweisen auf die Bedeutung unserer Aufgabe zum A ufbau eines friedlichen. gemeinsamen.

demokratischen und pluralistischen Europas gemäß den Prinzipien des Abkommens von Helsinki

beizutragen. insbesondere durch die Förderung des Dialogs und der Verhandlungen zur Umsetzung

eines echten Friedensprozesses in Krisengebieten. Wir verurteilen jeglichen extremen Nationalismus

und Fremdenhaß. Wir verweisen weiterhin auf die Bedeutung unserer Aufgabe, interregionale

Zusammenarbeit auf bürgernaher Ebene zu fördern. Wir sind der Überzeugung, daß Europa an

seinen Grenzen zusammenwachsen muß und deshalb der interregionalen und grenzüberschreitenden

Zusammenarbeit eine zukunftsweisende Bedeutung zukommt als Brücke zum Nachbarn und Nahtstelle

des europäischen Einigungsprozesses.

Wir betonen das Engagement der Regionen und ihrer Vereinigungen auf regionaler Ebene zur

Vertiefung der Demokratie, wirtschaftlichem Wohlstand, zum Schutz und zur Wahrung von nationalen

und anderen Minderheiten sowie der kulturellen und sprachlichen Diversitäten ihrer Bevölkerungen

beizutragen;

2. Wir unterstreichen unser Engagement für den A ufbau von demokratisch gewählten

Regionalstrukturen mit echten Kompetenzen, oder - wo dies derzeit nicht möglich ist - zumindest für

den A usbau dezentraler Strukturen in sämtlichen Ländern Europas. Dadurch soll die Teilnahme aller

Bürger an der staatlichen Willensbildung und am dynamischen Prozeß der Demokratie gefördert

werden.

 

8. Wir fordern. daß der neue europäische A ufbau nach den Prinzipien der Subsidiarität, der

Partnerschaft und der Komplementarität in einem dementsprechenden institutionellen Rahmen

zwischen den europäischen Institutionen. den Staaten. den Regionen und den Kommunen gestaltet

wird;

 

18. Wir verweisen darauf, daß die regionale Ebene die bestgeeignete Ebene zur Umsetzung der

Regionalpolitik der europäischen Institutionen ist. und halten es daher fur unbedingt erforderlich. die

europäischen Regionen eng bei deren A usarbeitung und Umsetzung heranzuziehen.

 

21. Wir sind der Überzeugung. daß für den Erfolg der europäischen Regionalpolitik und den Erfolg

des europäischen A ufbaus insgesamt eine aktive Beteiligung der Regionen als demokratisch von den

Bürgern der Union gewählte politische Körperschaften unerläßlich ist.

22. Wir vertreten den Standpunkt, daß eine stärkere Zentralisierung der administrativen

Programmverwaltung durch die Europäische Kommission die europäische Regionalpolitik in ihrer

Legitimität und demokratischen Kontrolle beschneidet.

 

 

Bereits vor dieser "Wiener Erklärung'' haben die deutschen Bundesländer ihrer

Bundesregierung für die Regierungskonferenz einen umfassenden Forderungskatalog zur

Regionalisierung der Europäischen Union übermittelt. Die deutschen Bundesländer wollen

eine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten

erreichen. Darüber hinaus herrschte auf einer Konferenz der Europaminister der deutschen

Bundesländer in Bonn Einigkeit darüber, daß geprüft werden muß, ob die Union bisher von

ihr übernommene Aufgaben nicht wieder an die Mitgliedsstaaten sowie an deren Regionen

und Kommunen zurückgeben sollte.

 

Einen ähnlichen Forderungskatalog zur Revision des EU-Vertrages hat die österreichische

Landeshauptleutekonferenz am 4. Mai l995 beschlossen und an die Bundesregierung

übermittelt. Die Bundesregierung wird aufgefordert die Anliegen der Länder bei der

Regierungskonferenz l996 zu berücksichtigen. Den Ländern geht es u.a. darum, einen

Beitrag zur Beseitigung der "bekannten Schwachpunkte im europäischen Integrationsprozeß''

-zu wenig Bürgernähe, zu geringe Transparenz- zu leisten. Eine besondere Bedeutung haben

die Länder jenen Reformzielen beigemessen, die auf eine Stärkung der Rolle der Länder und

Regionen im europäischen Aufbauwerk abzielen. Konkret geht es um eine konsequente

Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips, um Klagemöglichkeiten vor dem Europäischen

Gerichtshof sowie um die Stärkung der Rolle des Ausschusses der Regionen.

 

SpezielI zum Stichwort Subsidiarität muß nach Ansicht der Landeshauptleutekonferenz das in

Europa gemeinte "Effektivitätsprinzip" (wer kann etwas besser) durch das

"Erforderlichkeitsprinzip" ersetzt werden. Das heißt konkret, daß die Union nur dann tätig

werden soll, wenn eine Aufgabe auf der Ebene der Mitgliedsstaaten, der regionalen oder

lokalen Gebietskörperschaften nicht ausreichend erfüllt werden kann.

 

ZuIetzt hat der Vorarlberger Landeshauptmann, Martin Purtscher, am 27. Februar 1996 diese

Forderungen untermauert und zur Reform der EU-Institutionen im Rahmen der

Regierungskonferenz Stellung genommen: ''Primäre Anliegen der österreichischen

Bundesländer sind die Stärkung des Ausschusses der Regionen und eine Vertiefung des

Subsidiaritätsprinzips '' Landeshauptmann Purtscher erneuerte in diesem Zusammenhang die

Position der Landeshauptleutekonferenz vom Mai 1995, die sich weitgehend mit einer

Entschließung des deutschen Bundesrates vom Dezember 1995 deckt und folgende

Forderungen enthält:

. Neudefinition des Subsidiaritätsprinzips

. Klare organisatorische Trennung des A usschusses der Regionen vom Wirtschafts- und

Sozialausschuß

. Klare A ufgabenabgrenzung

. Verstärkung der Mitwirkungs- und Initiativrechte

. Klagerecht bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips.

 

 

Die der europäischen Einigung und Regionalisierung nicht dienlichen Stellungnahmen und

Maßnahmen der Republik Italien aus Anlaß der Eröffnung des gemeinsamen Büros der

"Europaregion Tirol", gebildet vom Bundesland Tirol sowie den Provinzen Bozen und Trient,

haben gezeigt, daß

. die in den Gemeinschaftsverträgen fixierten Ziele der Regionalisierung und des

Subsidiaritätsprinzips,

. die Entschließungen des Europäischen Parlaments zur Regionalpolitik der Gemeinschaft und zur

Rolle der Regionen,

. das Europäische Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit

zwischen Gebietskörperschaften vom 21. Mai 1980.

. die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung vom 15. Oktober 1985

nicht ausreichend sind, um eine grenzüberschreitende Regionalisierung der Europäischen

Union zu erreichen und zu garantieren.

 

Die Errichtung eines Verbindungsbüros mit fünf Büroräumen in Brüssel erfolgte aufgrund

eines gemeinsamen Beschlusses der beiden Landtage Nord- und Südtirols (1l992) sowie

aufgrund entsprechender Landtagsbeschlüsse, durch die die Zusammenarbeit zwischen den

Landesteilen des historischen Tirol eingeleitet wurde. Weiters basiert diese Kooperation im

Sinne einer Europaregion bzw. der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf der

Grundlage der Madrider Konvention und des entsprechenden Abkommens zwischen

Österreich und Italien aus dem Jahr 1993 sowie der Landesregierungen der drei Länder aus

dem Jahr 1994. Die Räumlichkeiten wurden offiziell vom L and Tirol angemietet. Juristische

Partner sind für Südtirol und das Trentino allerdings nicht die jeweiligen Landesregierungen,

sondern die dortigen Wirtschaftskammern. Deshalb erscheint auch die mediale Aufregung in

 

Italien kurz vor Eröffnung des Brüsseler "Tirol-Büros" kaum verständlich. Ebensowenig die

diesbezügliche von der Außenministerin der Republik Italien, Susanna Agnelli, in Brüssel

abgegebene Erklärung: ''Wir in Italien können einfach nicht akzeptieren, daß ein Teil Italiens sich

einem anderen Land anschließt und ein gemeinsames EU-Büro eröffnet, selbst wenn es ein

europäisches Land ist. Italien beobachtet die Entwicklungen um das Büro mit gewisser Sorge.

Vertretungen Italiens im A usland sollten nur auf nationalem Niveau eröffnet werden bzw. es müsse

der Regierung vorbehalten bleiben. ob eine bestimmte Region im A usland ein Büro eröffnen darfoder

nicht. Das gemeinsame Büro von Südtirol und Tirol kann die Regierung nicht akzeptieren. Wenn eine

Region mit einem anderen Staat ein Büro eröffnet, ist das nicht akzeptabel. ''

 

Die Haltung der Republik Italien in der Frage des EU-Verbindungsbüros steht nicht nur in

krassem Gegensatz zum Geist der Europäischen Einigung und einer Regionalisierung der

Europäischen Union, sondern bekräftigt vielmehr die Notwendigkeit im Zuge der

Regierungskonferenz das Prinzip der Subsidiarität vertragIich weiter auszugestalten. Dies

bedeutet neben der Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedsstaaten die

Schaffung von Rechtsgrundlagen der Union, welche die grenzüberschreitende Kooperation

von (gliedstaatlichen) politisch-administrativen demokratisch strukturierten

Gebietskörperschaften der Mitgliedsstaaten in "Europäische Regionen" als teilsouveräne

Einrichtungen zur Besorgung bestimmter übertragener Aufgaben, welche durch spezielle

Rechtsharmonisierungen im Kompetenzbereich einer regionalen Kooperation zugänglich

gemacht werden. ermöglicht.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

E N T S C H L I E S S U N G S A N T R A G :

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, durch entsprechende Maßnahmen im Rahmen der

Regierungskonferenz 1996 eine rechtlich bindende weitere Ausgestaltung und Verankerung

des Subsidiaritätsprinzips sowie eine rechtlich eindeutige Defimition der Europaregion und

ihrer Funktionsweise im (neuen) Unionsvertrag zu bewirken, um in Hinblick auf die

Entwicklung der Europaregion Tirol die legistischen Voraussetzungen auf europäischer

Ebene zu schaffen.''

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Außenpolitischen Ausschuß beantragt.