395/AE XX.GP
ENTSCI-ILIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Öllinger, Pollet-Kammerlander, Freundinnen und Freunde
betreffend Sozial- und Beschäftigungspolitik auf EU-Ebene
Nach Ansicht der Grünen kann die Europäische Union ohne ein koordiniertes Vorgehen im
Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung keine Zustimmung der Bürger und
Bürgerinnen Europas finden bzw. drohnt der Europäische lntegrationsprozeß zu scheitern.
Im Gegensatz zur Währungsunion und zur weitgehenden Integration im wirtschaftlichen
Bereich ist eine europäische Sozialunion jedoch kein Anliegen der EU. Zum auf dem
Dubliner EU-Gipfel im Dezember abgeschlossenen Stabilitätspakt zur Währungsunion, der
Sanktionen für jene Mitgsliedstsaten vorsieht, die die Vorgaben der gemeinsamen
Wirtschafts- und Währungspolitik, beispielsweise eine strenge Budgetdiziplin, nicht
einhalten' gibt es auf sozialpolitischer Ebene kein Gegenstück.
Der von der Europäischen Kommission im Juni vorgelegte Entwurf für einen
',Vertrauenspakt für Beschäftigung, stellt nach Ansicht der Grünen zwar einen ersten
Schritt zur Etablierung) einer gemeinschaftlichen Beschäftigungspolitik dar, der schon viel
früher hätte getan werden sollen. Die Grünen halten es jedoch für unzureichend, einen
Vertrauenspakt für Beschäftigung zu schließen' der - wie dem vorliegenden Entwurf zu
entnehmen ist - weder neue Kompetenzen für die Union schaffen soll, noch die
Gemeinschaftsausgaben erhöht, noch neue Kriterien für die Wirtschafts- und
Währungsunion einführen soll. Angesichts von rd. 20 Millionen Arbeitslosen und 50
Millionen an der Armutsgrenze lebenden Menschen in der EU geht es um mehr: die Reform
der Währungsunion' die Arbeitslosigkeit und Sozialabbau in allen EU-Ländern verursacht
bzw. verstärkt, sowie die Etablierung einer Sozial- und Beschäftigungsunion.
Sozialpolitik soll nach Ansicht der EU-Staats- und Regierungschefs jedoch subsidiär von
den Nationalstaaten betrieben werden. Sozialpolitische Fortschritte auf EU-Ebene werden
infolge des Einstimmigkeitserfordernisses in sozialen Fragen erschwert. Das Sozialprotokoll
des Maastrichter Vertrages hat sich als keine Hilfe erwiesen, sogar ein opting-out ist
möglich. Das Problem von nahezu zwanzig Millionen Arbeitslosen und fünfzig Millionen
an oder unter der Armutsgrenze lebenden Menschen in der EU gerät zunehmend aus dem
Blickfeld der Politik. Verbale Bekenntnisse zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sollen
über den mangelnden Willen zu einer gemeinsamen Sozialpolitik und Hebung der
sozialpolitischen Standards
hinwegtäuschen.
Vor dem EU-Beitritt Österreichs hat die Bundesregierung versprochen' sich auf Ebene der
Europäischen Union für eine aktive Sozial- und Beschäftigungspolitik einzusetzen. Sowohl
der damalige Bundeskanzler Vranitzky als auch Vizekanzler Schüssel' forderten die
umgehende Bildung einer Europäischen Sozial- und Beschäftigungsunion, nicht zuletzt als
notwendige Ergänzung zur Währungsunion. Im "Vranitzky-Report zur WWU., wird die
Sorge über einen drohenden Sozialabbau innerhalb der EU als Folge der Wirtschafts- und
Währungsunion ausgedrückt. Auch in seiner Regierungserklärung hat Bundeskanzler
Viktor Klima wiederholt auf die Notwendigkeit der stärkeren Verankerung der
Beschäftigungspolitik in der Gemeinschaftspolitik hingewiesen. Nach Ansicht Vizekanzler
Schüssels mache die Budgetkonsoliderung offensive Beschäftigungsmaßnahmen zur Zeit
zwar schwieriger, angesichts der dramatischen Lage am europäischen Arbeitsmarkt wäre
es aber sicherlich falsch, mit beschäftigungspolitischen Maßnahmen bis zum lnkrafttreten
der Währungsunion zu warten.
Die Österreichischen Grundsatzpositionen für die EU-Regierungskonferenz enthalten u. a.
Forderungen nach verstärkter Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowohl auf nationaler als
auch auf europäischer Ebenes. Das Arbeitspapier der österreichischen Delegation zur
Beschäftigungspolitik enthält ebenfalls die Forderung nach Erweiterung des VEU um sozia.1-
und beschäftigungspoliti.sche Grundsätze' Ziele und Kompetenzen. Vorgesehen ist die
Aufnahme eines Kapitels "Beschäftigung" in den EU-Vertrag, das u. a. das Ziel der
Vollbeschäftigung und einer koordinierten Beschäftigungspolitik der Union enthält. Ebenso
sind eine institutionelle Verschränkung der Räte "Arbeit und Sozialfragen" und
"Wirtschafts- und Finanzfragen,' vor' sowie ein Sanktionssystem in Anlehnung an Art. 1O4c
EGV im Fall der Nichteinhaltung bestimmter Vorgaben im Rahmen der
Beschäftigungspolitik vorgesehen.
Nach Ansicht der Grünen stellt das vorliegende Arbeitspapier der österreichischen
Delegation zur Beschäftigungspolitik einen ersten Schritt in Richtung Etablierung einer
gemeinschaftlichen Sozial- und Beschäftigungspolitik dar. Die Grünen nehmen die Revision
der Verträge über die Europäische Union im Rahmen der EU-Regierungskonferenz daher
zum Anlaß ' die Bundesregierung entsprechend ihrer Verantwortung und ihrer Versprechen
hinsichtlich einer aktiven Mitbestimmung innerhalb der EU in Richtung einer sozialen
Entwicklung, aufzufordern, konkrete Forderungen
zu formulieren.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Entschließungsantrag:
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, ihre Integrationspolitik (durch die Einbringung von
Regierungsvorlagen, die Ergreifung von entsprechenden lnitiativen auf EU-Ebene etc.) an
folgenden sozial- und beschäftigungspolitischen Leitlinien zu orientieren:
1. Die Aufnahme einer Erklärung der Mitgliedstaaten in den VEU, daß die nachhaltige
Senkung der Arbeitslosigkeit und der Armut, die Vollbeschäftigung, sowie die
Entwicklung sozialer und ökologischer Mindeststandards Ziel europäischer
Wirtschaftspolitik ist und im Rahmen der Tätigkeiten der Gemeinschaft gem. Art. 2
VEU der Bildung einer Währungsunion gleichrangig ist.
2. Einfügen eines Kapitels "Sozial- und Beschäftigungspolitik" in den VEU mit folgenden
Mindestvorschriften:
2a. Die verpflichtende Erstellung von Mehrjahresprogrammen der Arbeitsmarkt- und
Beschäftigungspolitik durch die Mitgliedstaaten, wobei bestimmte Mindeststandards
nicht unterschritten werden dürfen (Bsp. : ein bestimmter Prozentsatz des BIP muß für
aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet werden, die Arbeitslosigkeit ist um einen
bestimmten Prozentsatz zu reduzieren), sowie Sanktionen für Mitgliedstaaten, die die in
den Programmen definierten Beschäftigungsziele nicht einhalten. Die Sanktionen
entsprechen jenen bei Nichteinhaltung der gemeinsamen Wirtschafts- und
Währungspolitik (analog zu Art. 104 c VEU, sowie zum Stabilitätspakt zur
Währungsunion).
2b. Stärkere Verschränkung der Räte ,'Arbeit und Sozialfragen" und "Wirtschafts- und
Finanzfragen" zur Koordination der gemeinschaftlichen Wirtschafts- und
Währungspolitik gem. Art. 103 (2) VEU (Grundzüge zur Wirtschaftspolitik) mit der
gemeinschaftlichen Sozialpolitik- und Beschäftigungspolitik.
2c. Änderung des Art. 100a (2) VEU (Beschlußverfahren), um Abstimmungen in sozial-
und beschäftigungspolitischen Angelegenheiten im Rat mit qualifizierter Mehrheit zu
ermöglichen. Abschaffung der Möglichkeit des "opting out" im Rahmen des
Sozialprotokolls .
2d. Einsetzung eines Ausschusses für Beschäftigungsfragen, dessen Kompetenzen jenen des
Währungsausschusses entsprechen, durch den Rat.
3 . Einführung eines europäischen Finanzausgleichssystems als Ausgleich des Verlustes der
geld- und fisklapolitischen Autonomie der Mitgliedstaaten infolge der Wirtschafts- und
Währungsunion.
4. Einführung einer europäischen Arbeitslosen- und Pensionsabsicherung als
gemeinschaftsweiter sozialer Mindeststandard.
In formeller Hinsicht wird eine Zuweisung an den Ausschuß für Arbeit und Soziales
vorgeschlagen.