851/AE XX.GP
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Karel Smolle, Partnerinnen und Partner
betreffend Ratifizierung der Europäischen Charta über den Schutz der
Regional - und Minderheitensprachen
Der Nationalrat wolle beschließen:
“Die Bundesregierung wird ersucht, noch im September 1998 dem
Nationalrat die Europäische Charta über den Schutz der Regional - und
Minderheitensprachen zur Genehmigung vorzulegen.”
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuß
vorgeschlagen
Begründung
Die Rechtslage ethnischer Gruppen in Österreich
1.Vorbemerkung: Zur erforderlichen Akzeptanz des Rechts
Über die Situation ethnischer Gruppen in rechtswissenschaftlicher Methodik zu
sprechen, ist schwierig. Denn wie bei kaum einem anderen Thema wird auf
dem Gebiet des Minderheiten - oder Volksgruppenschutzes deutlich, wie
begrenzt die Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts sind und wie sehr sowohl
die Schaffung von Rechtsnormen als auch ihre Durchsetzung von der
Bereitschaft der Menschen abhängig ist, Normen zu akzeptieren. Eine rationale
juristische Diskussion wird gerade in diesem Bereich überlagert von
Emotionen, Vorurteilen und Ängsten.
Die Vorurteile und Ängste gegenüber Fremden - in einem weiten Sinn dieses
Wortes - sind in Österreich in den letzten Jahren erschreckend gewachsen. Es
ist vor allem die Zuwanderung von Ausländern - also Fremden im engeren
rechtlichen Sinn - und die damit zusammenhängende Entstehung neuer
ethnischer Gruppen, die bei vielen Österreichern solche Ängste ausgelöst oder
verstärkt hat. Die autochthonen ethnischen Gruppen in Österreich sind
insofern nur indirekt Opfer dieser Entwicklung, aber sie sind eben Opfer. Dazu
braucht man nicht erst auf den schrecklichen Mord an den vier Roma in
Oberwart im Februar 1995 hinzuweisen.
Wer die Vielfalt ethnischer Gruppen im eigenen Land als ein Reichtum
empfindet, wird solchen Entwicklungen gegenüber
Verständnisschwierigkeiten haben. Wer allerdings die Vorurteile und Ängste
gegenüber Fremden bei vielen Österreichern ignoriert und ohne Rücksicht
darauf seine Ideale durchsetzen will, riskiert herbe Enttäuschungen. Das Recht
ist ein sehr unzulängliches Instrument, um solchen emotionalen Phänomenen
entgegenwirken zu können. Es kann die notwendige Bewußtseinsbildung nur
punktuell unterstützen, ist aber seinerseits in hohem Maße vom Stand des
gesellschaftlichen Bewußtseins abhängig. Volksgruppenpolitik muß daher vor
allem eine Politik der Information und der Aufklärung sein.
Selbstverständlich kann man aber den Faktor Recht nicht ausklammern. Man
kann dies schon deshalb nicht, weil die Situation ethnischer Gruppen durch
ihre Rechte bestimmt wird. Die notwendige Informations - und
Aufklärungsarbeit muß das Ziel haben, der erforderlichen Akzeptanz solcher
Rechte den Boden zu bereiten. Die Diskussion um diese Rechte darf aber den
Horizont des gesellschaftlichen
Bewußtseins nicht außer Acht lassen.
Damit soll allerdings nicht gesagt sein, daß Gesetzgebung nur ein
“Nachziehverfahren” gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen sein kann.
Eine kritische Sichtung der bestehenden Rechtslage, das Aufzeigen
immanenter Mängel und Unvollständigkeiten und ein daraus entwickelter
Katalog von Änderungs - und Verbesserungsvorschlägen können selbst zu
einem Teil jener Informations - und Aufklärungsarbeit werden, die hier
angesprochen ist. Das gilt gerade für ein Land, dessen politische Kultur in so
hohem Maße von rechtlichen Denkstrukturen geprägt ist, wie das in Österreich
der Fall ist. Das Recht selbst wird so zu einem Faktor jener Bildung von
Bewußtsein und Akzeptanz, die es zu seiner Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit
zugleich voraussetzen muß. Recht setzt Akzeptanz voraus, kann aber selbst
einen - durchaus eigenständigen - Faktor im Prozeß der Herstellung dieser
Akzeptanz bilden.
2.Verfassungsrechtliche Situation
Die Rechte der autochthonen ethnischen Gruppen in Österreich - in der
Terminologie des Volksgruppengesetzes: der Volksgruppen - sind
verfassungsrechtlich verankert. Sie gehören damit zu den
verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder "Grundrechten”.
Allerdings ist diese verfassungsrechtliche Verankerung schon in formaler
Hinsicht äußerst mangelhaft. Sie setzt sich aus einer Mehrzahl von
Bestimmungen zusammen, die von ganz unterschiedlicher Herkunft sind und
sich zu keinem einheitlichen Ganzen zusammenfügen. Die wichtigsten
Bestimmungen finden sich im Staatsgrundgesetz von 1867 (Art. 19 StGG), im
Staatsvertrag von St. Germain (1919) sowie im Wiener Staatsvertrag von 1955.
Dazu kommen Art. 8 B-VG sowie Verfassungsbestimmungen in den
Minderheitenschulgesetzen für Kärnten und für das Burgenland.
Bei einer dieser Bestimmungen, Art. 19 StGG, ist es schon strittig, ob sie
überhaupt noch in Geltung steht. Art. 19 StGG spricht von “Volksstämmen” und
“landesüblichen Sprachen”, und nach älteren Entscheidungen des VfGH (Slg
2459/1952, 4221/1962) gibt es solche im heutigen Österreich nicht mehr. Diese
aus der Lehre übernommene Begründung bekundet nicht gerade Verständnis
für die heutige Situation der Volksgruppen; sie ist aber auch juristisch höchst
zweifelhaft. Gewiß ist die Terminologie des StGG veraltet, aber sie wurde
schon vom Reichsgericht der Monarchie in einer Weise interpretiert, die eine
Anwendung auf die Situation der Volksgruppen im republikanischen Österreich
durchaus möglich und geboten erscheinen läßt.
Das ist deshalb bedeutsam, weil Art. 19 StGG einen normativen Gehalt hat, der
in einzelnen Punkten über die späteren Bestimmungen der Staatsverträge von
St. Germain und Wien hinausgeht. Zum einen ist Art. 19 StGG die einzige
geltende Verfassungsbestimmung, die die Volksgruppen als solche als
Schutzsubjekte konstituiert und damit Ansatzpunkte zu einem kollektiven
Schutz der Minderheiten liefert; alle anderen Bestimmungen schützen nur
Individualrechte der Angehörigen der Volksgruppen. Das hat zum einen
Konsequenzen für den Rechtsschutz. Vor
dem VfGH und dem VWGH sind
mangels Rechtssubjektivität nicht Rechte der Volksgruppen als solche - z. B.
die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln - einklagbar, sondern nur
Individualrechte der Angehörigen der Volksgruppen. Von Art 19 StGG her ließe
sich dies durchaus in Frage stellen, wobei man nur auf die Rechtsprechung des
Reichsgerichtes und des VWGH zur Zeit der Monarchie - die die "Volksstämme”
als Rechtssubjekte anerkannten - zurückgreifen müßte. Freilich setzt dies auch
eine entsprechende Organisationsform der Volksgruppen voraus. Als einem
"Kollektivrecht” korrespondiert dieser Bestimmung ferner eine Verpflichtung
des Staates, die Volksgruppen nicht nur in ihrem Bestand zu wahren, sondern -
im Sinne eines affirmative - action - Programmes - auch aktiv zu fördern. Der
VfGH hat dem in seiner neueren Rechtsprechung, zumindest ansatzweise, auch
Rechnung getragen.
Von dieser grundsätzlichen Bedeutung des Art. 19 StGG abgesehen reicht aber
diese Bestimmung auch in ihren unmittelbar anwendbaren Details über
spätere Regelungen hinaus. Art. 19 StGG garantiert allen Volksgruppen ein
“unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege” ihrer Identität (“Nationalität
und Sprache”). Er garantiert die Gleichberechtigung aller “landesüblichen
Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben”. Landesüblich sind nach der
Rechtsprechung des Reichsgerichtes jene Sprachen, die in einem bestimmten
Territorium - und als solches kommt auch das einer Gemeinde in Betracht -
von einem Prozentsatz ab etwa 3,5% als Umgangssprache verwendet werden.
Art. 19 StGG garantiert schließlich jeder Volksgruppe ein Recht auf Ausbildung
in ihrer Minderheitensprache in öffentlichen Schulen. In all diesen Punkten ist
Art. 19 StGG nicht - wie der Wiener Staatsvertrag - auf bestimmte
Volksgruppen eingeschränkt. Jede Volksgruppe hat ferner einen Anspruch auf
finanzielle Förderung des Unterrichts in der Minderheitensprache - in diesem
Punkt reicht Art. 19 StGG selbst für die slowenischen und kroatischen
Minderheiten über den Staatsvertrag von Wien hinaus.
Der V. Abschnitt des III. Teils des Staatsvertrages von St. Germain ragt als Teil
des - heute untergegangenen - Minderheitenschutzsystems des Völkerbundes
in die geltende österreichische Verfassungsordnung hinein. “Der in diesen
Bestimmungen verankerte Minderheitenschutz ist als wenig effektiv und
weitreichend anzusehen; er gewährleistet - im Unterschied zum
altösterreichischen Nationalitätenrecht - lediglich Individualrechte und enthält
keine ausdrückliche Anerkennung der Minderheiten als solche.”
Bedeutungsvoller ist nach wie vor der Art. 7 des Wiener Staatsvertrages von
1955, der freilich nicht zur Gänze, sondern nur in seinen Ziffern 2, 3 und 4
Verfassungsrang besitzt und insofern nur als ein Torso dem Verfassungsrecht
angehört. Das ist, von der inhaltlichen Einschränkung abgesehen, ein
sprechendes Zeugnis für die zersplitterte Rechtslage des
Volksgruppenschutzes auf Verfassungsebene. Die drei dem Verfassungsrecht
angehörenden Ziffern schützen nur die slowenische und kroatische Minderheit
in drei Bundesländern; es handelt sich daher um eine weitreichende, aber
nicht umfassende Minderheitenschutzbestimmung.
Zu diesen aus dem alt - österreichischen Recht und dem Völkerrecht
stammenden Bestimmungen kommt, wie gesagt,
noch Art. 8 B-VG, der Deutsch
zur Staatssprache erklärt, dies aber "unbeschadet der den sprachlichen
Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte”. Diese Bestimmung
stellt also eine Ermächtigung an den einfachen Bundesgesetzgeber dar, den
sprachlichen Minderheiten Rechte des Gebrauchs ihrer Sprache einzuräumen,
ohne freilich von sich aus den Bundesgesetzgeber dazu zu verpflichten.
Verfassungsrang haben ferner die §§ 7 und 8 des Minderheiten - Schulgesetzes
für Kärnten sowie § 1 des Minderheiten - Schulgesetzes für das Burgenland.
Auch der - bundesverfassungsgesetzlich sehr differenziert nominierte -
Gleichheitsgrundsatz und die damit zusammenhängenden
Diskriminierungsverbote haben für die Volksgruppen eine spezifische
Bedeutung.
Diese zersplitterte Verfassungslage mit zum Teil veralteten, zum Teil
unvollständigen Bestimmungen ist für das österreichische Verfassungsrecht
nicht untypisch. Sie ist aber auch innerhalb der oft beklagten Zersplitterung
des gesamten österreichischen Bundesverfassungsrechtes ein Extremfall. Das
ist kein Zufall, sondern Reflex der Rechts - und Verfassungspolitik auf dem
Gebiet des Volksgruppenschutzes in der Zweiten Republik. Daß die
wesentlichen Bestimmungen des österreichischen Minderheitenrechtes
entweder noch aus der Monarchie oder aber aus dem Völkerrecht stammen,
zeigt, daß es in der Zweiten Republik eine eigenständige und moderne
Minderheitenpolitik schlicht immer noch nicht gibt.
Die Forderung nach einer Kodifizierung der zerstreuten Verfassungsrechtslage,
nach einer Charta der Volksgruppenrechte, ist daher mehr als nur ein
rechtsästhetisches Anliegen, wie es gelegentlich den Forderungen nach einer
vereinheitlichenden Kodifikation des gesamten Bundesverfassungsrechts
unterstellt wird. Es geht bei diesem speziellen Kodifikationsanliegen in der Tat
darum, eine nicht nur einheitliche, sondern auch eindeutige Verfassungslage
überhaupt erst zu begründen. Es geht ferner auch darum, jene
bewußtseinsbildende Funktion des Rechts wirksam werden zu lassen, die dem
Verfassungsrecht im allgemeinen stärker als dem einfachen - naturgemäß viel
detaillierteren und technischeren - Gesetzesrecht zukommt, und die, wie
gesagt, gerade auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes eine so zentrale
Bedeutung hat.
3.Verfassungsrechtsprechung
Die neuere Rechtsprechung des VfGH hat einiges an den Defiziten des
formellen (gesatzten) Verfassungsrechts kompensiert. Seit 1981 sind einige
Entscheidungen ergangen, die die Rechtsstellung der Volksgruppen deutlich
verbessert haben.
Am Beginn dieser Judikatur steht die Aussage des VfGH (SIg 9224/1981), daß den
verstreuten verfassungsnormen auf diesem Gebiet insgesamt “eine
Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers zugunsten des
Minderheitenschutzes” zu entnehmen sei und daß eine “mehr oder minder
schematische Gleichstellung von
Angehörigen der Minderheiten mit
Angehörigen anderer gesellschaftlicher Gruppen (dieser)
verfassungsgesetzlichen Wertentscheidung nicht immer genügen” könne.
Vielmehr kann es “der Schutz von Angehörigen einer Minderheit gegenüber
Angehörigen anderer gesellschaftlicher Gruppen sachlich rechtfertigen oder
sogar erfordern, die Minderheit in gewissen Belangen zu bevorzugen”. Wer
den Stil der Verfassungsgerichtsbarkeit noch zu Beginn der 80er Jahre kennt,
vermag den revolutionären Gehalt dieser Aussage zu ermessen. Sie beinhaltet
einen Qualitätssprung im verfassungsrechtlichen Schutz der österreichischen
Volksgruppen.
Der VfGH hat diese - später von ihm selbst (SIg 12.245/1989, 5. 578) als
“richtungsweisend” qualifizierte - Aussage einer sehr sorgfältigen Prüfung der
Kärntner Landtagswahlordnung mit ihrer die slowenische Volksgruppe nicht
gerade begünstigenden Wahlkreiseinteilung vorangestellt. Auch wenn er die
Verfassungswidrigkeit dieser Wahlordnung letztlich verneinte, hat er damit
doch neue Maßstäbe der verfassungsrechtlichen Analyse und Begründung
gesetzt. Anknüpfend an diese Aussage hat der Gerichtshof in Slg 12.245 auch
den Auslegungsgrundsatz normiert, daß Minderheitenschutzbestimmungen
“schon von ihrem Regelungszweck her nicht restriktiv ausgelegt werden
dürfen”.
In der Folge sind diese neuen Maßstäbe der Verfassungsinterpretation
durchaus praktisch geworden. In mehreren Entscheidungen aus 1983 (SIg 9744,
9752, 9801) sowie 1987 (SIg 11.585) hat der VfGH die unmittelbare
Anwendbarkeit der Ziffer 3 des Art. 7 des Wiener Staatsvertrages
herausgearbeitet und damit für die Angehörigen aller im Wiener Staatsvertrag
erfaßten Volksgruppen das Recht der Verwendung der Volksgruppensprache
als Amtssprache vor Gerichten und Verwaltungsbehörden auch für den Fall
durchgesetzt, daß es keine Ausführungsbestimmungen gibt oder diese
Ausführungsbestimmungen das durch den Staatsvertrag gewährleistete Recht
einschränken. Ausführungsregelungen sind zwar zulässig und in praktischer
Hinsicht sinnvoll, sie müssen sich aber am Inhalt der Verfassungsrang
besitzenden Staatsvertragsregelung messen lassen bzw. sind im Lichte dieser
Regelung extensiv zu interpretieren.
In Fortsetzung dieser Rechtsprechung hat schließlich der VfGH 1989 (SIg 12.245)
die Ziffer 2 des Art. 7 des Wiener Staatsvertrages als unmittelbar anwendbares
subjektives Recht auf Elementarunterricht in der Volksgruppensprache
interpretiert - und dies als ein Recht, das von den Angehörigen der im Wiener
Staatsvertrag erfaßten Volksgruppen im jeweils gesamten Bundesland in
Anspruch genommen werden darf (dies freilich in Abhängigkeit von einem
gewissen Mindestbedarf). Obwohl diese Entscheidung durchaus ambivalente
Aussagen trifft, ist sie insgesamt doch positiv zu bewerten. Als Konsequenz
dieser Entscheidung wurde dann auch eine öffentliche zweisprachige
Volksschule in Klagenfurt eingerichtet.
Daß es in dieser Linie der Rechtsprechung auch Rückschläge geben kann,
belegt eine Entscheidung vom Dezember 1994 (G 241193), die das Recht der
Verwendung der Volksgruppensprache auf die staatliche Hoheitsverwaltung
einschränkt. Immerhin heißt es im
Art 19 StGG, daß die Gleichberechtigung der
“landesüblichen Sprachen in Schulen, Amt und öffentlichem Leben vom Staat
anerkannt (wird)”. Zu diesem öffentlichen Leben gehören auch
,,Serviceleistungen” einer Kammer, um die es - in der Terminologie des VfGH
selbst - in dieser Entscheidung ging.
Dieses Beispiel belegt zugleich, daß eine durchaus wohlwollende
Rechtsprechung eine Kodifikation der Volksgruppenrechte nicht ersetzen
kann.
4.Defizite der Rechtsdurchsetzung
Das einschlägige formelle Verfassungsrecht ist, wie gesagt, formal und
inhaltlich defizitär. Defizitär - und dies wohl noch um einiges spektakulärer -
ist aber vor allem seine Durchführung. Hier hat es wohl in den letzten Jahren
einige Fortschritte, es hat aber auch Rückschläge gegeben.
a) Es gibt nach wie vor eklatante Defizite in bezug auf die zweisprachigen
topographischen Bezeichnungen - und dies trotz der (wohl
staatsvertragswidrigen) 25% - Klausel im Volksgruppengesetz (VGG). Auf die
Unmöglichkeit, dieses kollektive Recht auch einzuklagen, wurde bereits
hingewiesen.
b) Defizitär, weil die Regelung des Wiener Staatsvertrages in territorialer
Hinsicht einschränkend, sind auch die aufgrund des VGG erlassenen
Amtssprachenverordnungen.
Das staatsvertraglich verankerte Recht auf Gebrauch der Minderheitensprache
als Amtssprache in den Gebieten mit gemischter Bevölkerung wurde zwar vom
VfGH als unmittelbar anwendbares subjektives Recht von dieser
verfassungswidrigen Einschränkung auf die in den
Amtssprachenverordnungen tatsächlich festgelegten Gebiete befreit. Doch
muß dabei auch der VfGH von einer “vergröberten statistischen Erfassung”
ausgehen, die mangels einer zahlenmäßigen Erhebung der Minderheit
zwangsläufig auf objektive Merkmale abzustellen hat. Das widerspricht zum
einen dem verfassungsrechtlich verbürgten anonymen Bekenntnisprinzip und
hat zum anderen auch keine gesicherte empirische Grundlage.
c) Defizite gibt es ferner in dem für die Volksgruppen besonders wichtigen
Bereich der Kindergärten und Schulen.
Einen bedeutsamen Fortschritt auf diesem Gebiet stellt allerdings das
Minderheitenschulgesetz für das Burgenland von 1994 dar. Immerhin brauchte
es fast 40 Jahre, bis der den burgenländischen Kroaten im Wiener Staatsvertrag
garantierte Anspruch auf Elementarunterricht auch auf der Ebene der Haupt -
und Mittelschule mit diesem Gesetz erfüllt wurde. Ohne staatsvertragliche
Verpflichtung wurde dieses Recht zugleich auf die ungarische Volksgruppe
ausgedehnt. Freilich kann eine genaue Analyse, wie sie jüngst eine Wiener
Dissertation (Dieter Kolonovits) vorgenommen hat, zeigen, daß, gemessen am
Staatsvertrag, einiges verfassungs - und
völkerrechtlich fragwürdig bleibt.
In Kärnten ist es um die unter massivem minderheitenfeindlichen Druck
zustandegekommene Minderheitenschulgesetz - Novelle 1988 mit ihrem
Zweilehrersystem ruhiger geworden. Die schlimmsten Befürchtungen sind
anscheinend nicht eingetreten. Es gibt trotzdem berechtigte Zweifel an der
Staatsvertragskonformität und damit Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung
des zweisprachigen Unterrichts auf die ersten drei Volksschuljahre. Ferner
bewirkt die im Kärntner Minderheitenschulgesetz (§ 13) festgelegte
Anmeldepflicht im autochthonen Siedlungsgebiet einen sozialen
Assimilierungsdruck, der kaum jener minderheitenfreundlichen
“Wertentscheidung” entspricht, die der VfGH dem einschlägigen
Verfassungsrecht entnommen hat. Diese Anmeldepflicht verstärkt außerdem
den spezifischen Assimilationseffekt, der durch den Mangel an
Slowenischunterricht bereits in der Vorschulphase Platz greift.
Dem bereits erwähnten Erkenntnis des VfGH aus 1989 (SIg 12.245) folgte in
Kärnten 1991 ein gesetzliches Regime, das es jedem slowenischsprachigen
Österreicher im ganzen Landesgebiet ermöglichen soll, sein im Staatsvertrag
von Wien verankertes Recht auf Elementarunterricht in seiner Muttersprache
in Anspruch zu nehmen. Außerhalb des traditionellen Siedlungsgebietes ist
jedoch slowenischer Unterricht nicht nur nach seiner örtlichen Dichte, sondern
auch in der Stundenanzahl vom Bedarf abhängig gemacht. Dies äußert sich in
Form einer gestaffelten Reduzierung slowenischer Unterrichtsstunden, und
zwar hinunter bis auf bloß vier Stunden Slowenisch als Pflichtgegenstand.
Überdies führt die Abhängigkeit zweisprachiger Schulstandorte vom örtlichen
Bedarf letztlich dazu, daß der einzelne kein subjektives Recht hat, einen
zweisprachigen, diesem Bedarf entsprechenden Schulstandort auch
durchzusetzen. Die Einhaltung dieser - aus individualrechtlicher Perspektive
bloß ‚,objektivrechtlichen” - Kriterien für die Organisation des
Minderheitenschulwesens könnte als kollektives Recht wiederum nur (wie das
“Recht auf zweisprachige Ortstafeln) von einer entsprechend organisierten
Vertretung der Volksgruppe durchgesetzt werden.
Eine zweisprachige Führung von Kindergärten ist auf Verfassungsebene
überhaupt nicht garantiert. Das burgenländische Kindergartengesetz
garantiert allerdings - ohne verfassungsrechtliche Verpflichtung - seit seiner
Novelle aus 1990 zweisprachige Kindergärten: Die Volksgruppensprache muß in
einem Ausmaß von mindestens 6 Stunden pro Woche als zusätzliche
“Kindergartensprache” verwendet werden (§ 2a leg. cit.). Das Kärntner
Kindergartengesetz sieht eine zweisprachige Erziehung nach wie vor nicht vor.
Die steirischen Slowenen haben, entgegen der Garantie des Wiener
Staatsvertrages überhaupt keine Möglichkeit, ihre Muttersprache in
öffentlichen Schulen zu erlernen, wie sie im übrigen auch sonst keine der
ihnen im Staatsvertrag garantierten Rechte genießen. Angesichts des klaren
Wortlauts dieser verfassungs - und völkerrechtlichen Regelung läßt sich dies
nicht mit der Kleinheit dieser Volksgruppe rechtfertigen. Keine öffentlichen
Schulen, sondern nur eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht und großen
Finanzierungsproblemen, gibt es für die tschechische und die slowakische
Volksgruppe in Wien, wie überhaupt die
ungelöste Schulfrage wohl das
zentrale Problem aller in Wien lebenden Volksgruppen, auch jener der
burgenländischen Kroaten und der Ungarn, ist.
Vom Ideal, daß es für alle Angehörigen der Volksgruppen vom Kindergarten bis
zur höheren Schule einschließlich der berufsbildenden höheren Schulen eine
Chance auf Bildung in der jeweiligen Muttersprache gibt, ist die Realität trotz
vieler Verbesserungen in den letzten Jahren noch um einiges entfernt. Art. 19
StGG bleibt insofern unerfüllt.
5.Die Rechte "neuer” ethnischer Gruppen in Österreich
Neben den autochthonen ethnischen Gruppen sind in Österreich - wie in
vielen anderen Staaten Europas und der Welt - in den letzten Jahrzehnten
durch Zuwanderung solche neue Minderheiten entstanden: die Gruppen der
Türken, Kurden, Bosnier, Polen, Serben usw. Es sind dies Gruppen, die in Teilen
des Bundesgebietes wohnen und zum Teil bereits in der zweiten oder dritten
Generation hier “beheimatet” sind, die aber schon deshalb nicht unter die
Definition der Volksgruppen in § 1 Abs. 2 VGG fallen, weil sie überwiegend nicht
österreichische Staatsbürger sind. Jedenfalls ist die Staatsbürgerschaft des
“Gastlandes” kein Definitionskriterium solcher Migrantenminderheiten. Aber
auch soweit Angehörige dieser Gruppen österreichische Staatsbürger sind,
werden sie nicht als Angehörige ethnischer Minderheiten im Sinne eines auf
autochthone Gruppen eingeschränkten Minderheitenbegriffs verstanden.
Auf die nicht - autochthonen ethnischen Gruppen bezieht sich keine der
erwähnten Regelungen des österreichischen Minderheitenschutz -
Verfassungsrechtes. Das bedeutet natürlich nicht, daß die Angehörigen dieser
Minderheiten rechtlos wären. Sie genießen den Schutz aller Rechte, die nicht
auf Staatsbürger eingeschränkt sind; sie genießen insbesondere auch den
Schutz aller Grundrechte, soweit diese als Jedermannsrechte
(“Menschenrechte”) formuliert sind. Das ist schon auf der Basis des StGG bei
zahlreichen Grundrechten der Fall und wurde durch die EMRK mit ihren
Zusatzprotokollen noch erweitert.
Kein Jedermannsrecht ist allerdings das Recht auf Aufenthalt und kann dies
wohl auch nicht sein. Kein Jedermannsrecht ist auch der Gleichheitsgrundsatz
des B - VG (Art. 7). Es gibt zwar eine neuere Rechtsprechung, wonach gemäß
dem BVG betreffend die Durchführung der Konvention über die Beseitigung
aller Formen der rassischen Diskriminierung der Gleichheitsgrundsatz auch für
Fremde gilt. Damit sind Differenzierungen zwischen den Fremden
untereinander nur mehr verfassungskonform, wenn sie sachlich gerechtfertigt
sind. Differenzierungen zwischen Staatsbürgern und Fremden bleiben aber im
Prinzip uneingeschränkt zulässig. In diesem Punkt hat zwar der Beitritt zur EU
einiges gravierend verändert. Die durch das EU - Recht geforderte weitgehende
Gleichstellung von Inländern und Unionsbürgern - sie kann gelegentlich sogar
auf eine Besserstellung der nicht - staatsangehörigen Unionsbürger im Sinne
einer "Inländerdiskriminierung” hinauslaufen - erfaßt freilich gerade jene
Gruppen nicht, die sich durch Zuwanderung in den letzten Jahren in Österreich
neu gebildet haben, weil ihre Herkunftsländer nicht Mitglieder der EU sind.
Insofern hat der EU - Beitritt diese Menschen noch mehr degradiert: Sie sind
heute rechtlich nicht nur Bürger zweiter,
sondern solche dritter Klasse.
Auch das Völkerrecht klammert diese Gruppen weitgehend aus seinen
Schutzbestimmungen zugunsten nationaler und sprachlicher Minderheiten
aus. Nach der klassisch gewordenen Definition von Capotorti bildet die
Staatsangehörigkeit ein Definitionsmerkmal des völkerrechtlichen
Minderheitenbegriffs. Auch Art. 27 des UN - Paktes über bürgerliche und
politische Rechte, der von Staaten mit “ethnischen, religiösen und sprachlichen
Minderheiten” spricht, ohne diesen Begriff der Minderheiten explizit auf
Staatsangehörige einzugrenzen, wurde zunächst in diesem Sinne interpretiert.
1991 entschied jedoch das Menschenrechtskomitee, daß die Garantien dieser
Bestimmung auch auf Minderheiten anzuwenden seien, die von Fremden
gebildet werden. Die grundlegende Bedeutung dieser Entscheidung liegt
darin, daß damit der traditionelle, als kollektives Staatsbürgerrecht
verstandene Minderheitenschutz zu einem Menschenrecht geworden ist,
wenn auch die praktischen Folgen dieser Entscheidung gering sind, weil zum
Minderheitenbegriff des UN - Paktes auch eine gewisse historische Stabilität in
einem Land gehört und Immigranten sich nach längerer Aufenthaltsdauer
meist um Einbürgerung bemühen.
Neuere Bestrebungen auf internationaler Ebene beziehen sich aber bewußt
auf den Schutz der sprachlichen und kulturellen Identität von Gastarbeitern. So
normiert eine 1991 verabschiedete UN - Konvention über Wanderarbeiter in
ihrem Art. 31: “Die Vertragsstaaten gewährleisten die Achtung der kulturellen
Identität der Wanderarbeiter und ihrer Familienmitglieder und hindern diese
nicht an der Aufrechterhaltung ihrer kulturellen Verbindungen zu ihrem
Heimatstaat.” Auch die KSZE - Dokumente zur sog. “menschlichen Dimension”
enthalten vorsichtig formulierte Verpflichtungen in diese Richtung. Es ist
allerdings bezeichnend, daß die besagte UN - Konvention bislang nur von Mexico
und Marokko ratifiziert wurde. Das zeigt ein Interesse der jeweiligen
Heimatstaaten, gleichsam als Schutzmacht aufzutreten, verstärkt aber zugleich
die Abwehrhaltung der Gastländer.
Unübersehbar ist, daß sich die Interessenlage dieser neuen Minderheiten von
jener der traditionellen Volksgruppen sehr grundlegend unterscheidet. Den
traditionellen Volksgruppen geht es um die Erhaltung ihrer Identität in einer
Gesellschaft, in der sie im Prinzip alle individuellen Rechte besitzen, die den
Mitgliedern dieser Gesellschaft zukommen. Den neuen Minderheiten geht es
primär um den Zutritt zu dieser Gesellschaft. Ihr Hauptanliegen ist die
Integration, und erst ab dem Punkt, in dem sich die Möglichkeit der
Integration zu einem Druck zur Assimilation steigert, laufen ihre Interessen mit
denen der traditionellen Volksgruppen wieder parallel. Mit einer Extension des
klassischen Schutzes ethnischer, sprachlicher und/oder religiöser Minderheiten
auf diese neuen Gruppen ist daher für letztere nicht allzuviel gewonnen. Es
geht für diese vor allem um die Chance zur Integration, freilich ohne Zwang
zur Assimilation. Dazu bedürfte es neuer Ansätze im Staatsbürgerschaftsrecht,
im kommunalen Wahlrecht etc.
Zum allgemeinen Verständnis der Charta
Die Europäische Charta der Regional - oder Minderheitensprachen ist eine
völkerrechtlich verbindliche Konvention des Europarates. Mit Inkrafttreten für
Österreich entstehen völkerrechtlich verbindliche Vertragspflichten
gegenüber den anderen Vertragsstaaten, deren Erfüllung entsprechend den in
Teil IV der Charta enthaltenen Bestimmungen überwacht wird. Die
Verpflichtungen sind im Hinblick auf den Status der Sprachen) die
innerstaatlichen Rechtsvorschriften und die staatliche Politik zum Schutz und
zur Förderung der entsprechenden Sprachen umzusetzen. Teil II umfaßt Ziele
und Grundsätze für den staatlichen Schutz der Regional - oder
Minderheitensprachen und die entsprechende Politik, die die Vertragsstaaten
durch entsprechende, selbst gewählte Maßnahmen umzusetzen haben. Teil III
enthält zur Auswahl durch die Vertragsstaaten Verpflichtungen zu bestimmten
konkreten Maßnahmen.
Die Verpflichtungen wurden im Hinblick auf die unterschiedlichen Situationen
der Sprachen so ausgestaltet, daß sie den Vertragsstaaten einen größeren
Handlungsspielraum bei der Umsetzung der Verpflichtungen lassen. Dabei muß
jedoch das Ziel der Charta gesichert sein, diese Sprachen als einen lebendigen
Aspekt der europäischen kulturellen Identität zu erhalten und
weiterzuentwickeln.
Ein Vorzug der Charta ist die genaue Definition des Ausdrucks “Regional - oder
Minderheitensprachen”. Unter ihnen werden Sprachen verstanden, die
herkömmlicherweise in einem bestimmten Sprachraum eines Staates von
Angehörigen dieses Staates benutzt werden, die eine Gruppe bilden, die
zahlenmäßig der übrigen Bevölkerung des Staates unterlegen ist, und die sich
von der Amtssprache dieses Staates unterscheidet. Nicht erfaßt werden
Dialekte der Amtssprache bzw. die Sprachen von Zuwanderern. Der
Anwendungsbereich der Charta ist daher auf die Sprachen der “traditionell
ansässigen” Volksgruppen beschränkt, wobei der Übergang sicherlich fließend
ist und durch die Charta selbst nicht bestimmt wird.
Der Nationalrat hat am 31. Jänner 1996 einstimmig folgende Entschließung
verabschiedet:
“Die Bundesregierung wird ersucht, noch im laufenden Jahr 1996 dem
Nationalrat die Europäische Charta der Regional - oder Minderheitensprachen
und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten zur
Ratifizierung vorzulegen.”
Hinsichtlich des Rahmenübereinkommens ist die Bundesregierung mit
Regierungsvorlage (889 d. B.) der Aufforderung des Nationalrates
nachgekommen, wenn auch mit Verzug, eine Regierungsvorlage zur
Europäischen Charta der Regional - oder Minderheitensprachen ist nach wie vor
ausständig.