1021/AB
ANFRAGEBEANTWORTUNG
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Schmidt, Mag. Barmüller und Partnerinnen haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Homosexuellenurteil vom 8.2.1996, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
1.). Teilen Sie die Meinung, daß die ggst. Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz unvereinbar ist, wonach eine Tat ausreichend individualisiert werden muß, damit eine Doppelverwertung wegen der selben Tat ausgeschlossen ist ("ne bis in idem")?
Wenn nein, warum nicht?
2. Werden Sie dafür Sorge tragen, daß solche Anklagen (Strafanträge) in Hinkunft, insbesondere im Bereich der Sonderstrafbestimmungen, für deren Ersatzes Streichung Sie sich wiederholt eingesetzt haben, unterbleiben?
2.a. Wenn nein, warum nicht?
2. b. Wenn ja, wie?
3. Werden Sie den Staatsanwaltschaften entsprechende Weisungen erteilen?
3.a. Wenn nein, warum nicht?
4. Teilen Sie die Meinung, daß die Verfolgungsbehörden, die im Bereich der antihomosexuellen Sonderstrafbestimmungen zur Strafverfolgung und Anklageerhebung verpflichtet sind, in Verfahren nach diesen Gesetzen angesichts der erheblichen grundrechtlichen und kriminalpolitischen Bedenken gegen diese Bestimmungen zu besonderer Sorgfalt verpflichtet sind?
4.a. Wenn nein, warum nicht?"
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Lehre und Rechtsprechung vertreten die Ansicht, daß "bei einer Vielzahl gleichartiger Straftaten, deren Anzahl mangels weiterer Aufklärungsmöglichkeiten nicht ziffernmäßig genau festgestellt werden kann und deren Einzelheiten auch nach Zeit und Ort der Tat, nach bestimmten Tatobjekten und nach der Person des jeweiligen Geschädigten nicht näher beschrieben werden können, dem Erfordernis der Individualisierung schon dann entsprochen (wird), wenn die betreffenden gleichartigen Taten insgesamt im Urteil, in welchem Spruch und Gründe eine Einheit bilden, örtlich und zeitlich umgrenzt und die Art ihrer Ausführung sowie die Deliktsobjekte generell bezeichnet werden" (vgl. Mayerhofer/Rieder, StPO' Nr. 46a zu § 260; im gleichen Sinn Bertel, Die Identität der Tat [1970] 174 f.: "Nicht immer wird es möglich sein, jede einzelne Tat expressis verbis anzufahren, weil sich die Umstände jedes einzelnen Verbrechens vielleicht gar nicht ermitteln lassen. Es kann ja sein, daß sich der Täter selbst nicht mehr erinnert, zu welcher Zeit, an weichem Ort und unter welchen Umständen er gestohlen hat. Der Ankläger kann also eine unbestimmte Vielzahl gleichartiger Taten unter Anklage stellen, indem er die Bestrafung des Beschuldigten wegen all der Diebstähle, Veruntreuungen etc. begehrt, auf welche bestimmte Merkmale zutreffen: z.B. die Begehung an einem bestimmten Ort, innerhalb eines bestimmten Zeitraums, zum Schaden dieser oder jener Personen. In diesem Umfang ist er [der Beschuldigte] dann durch die Rechtskraft des Urteils vor einer neuerlichen Verfolgung geschätzt."; ebenso Venier, Der Fortsetzungszusammenhang im österreichischen Strafrecht [l 989] 38 ff.). In einem solchen Fall ist daher auch eine Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" nicht zu befürchten. Für die Erteilung einer Weisung an die Staatsanwaltschaften besteht daher kein Anlaß.
Was das in den einleitenden Ausführungen der Anfrage erwähnte Gerichtsverfahren anlagt, so weise ich darauf hin, daß das Urteil aufgrund der Erhebung von Rechtsmitteln durch den Angeklagten noch nicht rechtskräftig ist und über die Berechtigung der Strafverfolgung im Instanzenzug noch eine gerichtliche Entscheidung ergehen wird. Ich bitte daher um Verständnis, daß ich mich zu dem konkreten Fall nicht äußere, um nicht den Eindruck einer Einflußnahme auf die unabhängige Rechtsprechung zu erwecken.
Zu 4 und 4a:
Ganz allgemein bin ich der Ansicht, daß die Staatsanwaltschaften bei Wahrnehmung der ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben der Strafverfolgung und Anklageerhebung stets insbesondere auch bei der Beurteilung der Voraussetzungen für eine Verfolgung von Auslandstaten nach § 65 StGB sehr sorgfältig vorzugehen haben. Ich bin deshalb nicht der Meinung, daß für die Bearbeitung bestimmter Deliktsgruppen ein besonderes Sorgfaltsgebot anzuerkennen wäre, weil dies zwingend zur Folge hätte, daß in anderen Bereichen ein geringerer Grad der Sorgfalt als ausreichend angesehen werden müßte.