105/AB

 

 

 

B e a n t w o r t u n g .

 

der Anfrage der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Arbeit und Soziales

betreffend Selbstbehalte (Nr.45/J)

 

 

Zu den aus der beiliegenden Ablichtung der gegenständli-

chen Anfrage ersichtlichen Fragen führe ich folgendes aus :

 

Da in der Anfrage einerseits grundsätzliche Themen der

gesetzlichen Sozialversicherung behandelt werden und anderer-

seits auch um die Bekanntgabe einer Reihe von statistischen

Daten ersucht wurde , die in meinem Ministerium direkt nicht

verfügbar sind, habe ich den Hauptverband der österreichischen

Sozialversicherungsträger hiezu zur Stellungnahme eingeladen.

 

Weiters sind in einigen Fragen verschiedene Träger der

gesetzlichen Sozialversicherung (Allgemeine Unfallversiche-

rungsanstalt , Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter,

Wiener Gebietskrankenkasse) angesprochen. Ich habe daher auch

diese Sozialversicherungsträger zu den gegen sie erhobenen

Vorwürfen um Stellungnahme ersucht .

 

Ich schließe die nunmehr eingelangten Mitteilungen der

Versicherungsträger und des Hauptverbandes dieser Beantwortung

in Kopie an und erlaube mir, zunächst ganz allgemein auf die

darin enthaltenen Ausführungen hinzuweisen.

Insofern aus meiner Sicht noch Ergänzungen zu den einzel-

nen Punkten der gegenständlichen Anfrage erforderlich sind,

nehme ich wie folgt Stellung :

 

Zur Frage 1 :

 

Die Frage von Selbstbehalten in der gesetzlichen Kranken-

versicherung wurde in einem beim Bundesministerium für Arbeit

und Soziales in der Zeit vom November 1989 bis Juni 1990 ein-

gerichteten Arbeitskreis " Strukturreform der Krankenversiche-

rung" , an dem unter anderem auch die Interessenvertretungen

von Dienstnehmern und Dienstgebern, Vertreter der Ärzteschaft

sowie Fachleute aus dem universitären Bereich teilgenommen ha-

ben, und auch schon vorher bei der im Jahre 1971 durchgeführ-

ten "Enquete über die soziale Krankenversicherung" diskutiert .

Selbst seitens der Ärzteschaft wurde gegen einen Selbstbehalt

ins Treffen geführt , daß eine Kostenbeteiligung nicht so hoch

sein dürfe , daß sie prohibitiv wirke .

 

Wird die Kostenbeteiligung in einer solchen Höhe festge-

setzt , daß sie fühlbare Auswirkungen auf der Einnahmenseite

hat und darüber hinaus auch als Lenkungsinstrument zum Einsatz

kommt , besteht die Gefahr der Prohibitivwirkung und es ist

zweifellos eine umfangreiche und differenzierte Ausnahmerege-

lung für sozial berücksichtigungswürdige Personen erforder-

lich. Ist andererseits die Kostenbeteiligung nur gering, ist

zu befürchten, daß der administrative Aufwand in einem ungün-

stigen Verhältnis zu den erzielbaren Einnahmen steht . Auch ein

Lenkungseffekt ist in diesem Fall nicht zu erwarten.

 

Ich verweise auf die Aussage des Hauptverbandes der

österreichischen Sozialversicherungsträger in seiner Beantwor-

tung dieser Frage , welche zeigt , daß der Lenkungseffekt von

der Höhe des Selbstbehaltes abhängig ist , weshalb dann, wenn

ein Lenkungseffekt eintreten soll, aus der getroffenen Maß-

nahme zwangsläufig höhere Einnahmen der Krankenversicherung

resultieren. Allerdings bin ich der Auffassung , daß die zu er-

wartenden höheren Einnahmen nicht vorrangiger oder gar allei-

niger Grund für Selbstbehalte sein soll .

 

Zu den Fragen 2 und 3 :

 

Ich verweise auf die Ausführungen des Hauptverbandes .

Weiteres Zahlenmaterial steht auch mir nicht zur Verfügung .

 

Zur Frage 4 :

 

Ich weise auf meine Ausführungen zur Frage 1 hin, aus

denen sich ergibt , daß weitere Selbstbehalte nur in äußerst

maßvoller Weise eingeführt werden dürfen. Lediglich in be-

stimmten klar abgegrenzten Bereichen, etwa beim Kuraufenthalt ,

werden diesbezügliche Überlegungen angestellt , wobei j edoch

durch eine soziale Staffelung Härten ausgeschlossen werden

müssen.

 

Eine Untersuchung über die Auswirkungen von Selbstbehal-

ten auf BezieherInnen von niedrigen Einkommen und auf Mehrper-

sonenhaushalte halte ich nicht für sinnvoll, da das Ergebnis ,

nämlich eine verhältnismäßige Mehrbelastung im Vergleich zu

Höherverdienern und/oder Einpersonenhaushalten, bereits von

vorneherein feststeht .

 

Zur Frage 5 :

 

Ich verweise auf die Aussage des Hauptverbandes .

 

Zu den Fragen 6 bis 9 :

 

Ich verweise auf die Stellungnahme der Versicherungsan-

stalt öffentlich Bediensteter und möchte besonders hervorhe-

ben, daß - entgegen der Meinung der anfragenden Abgeordneten -

die Möglichkeit besteht , in sozial berücksichtigungswürdigen

Fällen von der Einhebung des von der Anstalt in ihrer Satzung

festgelegten Selbstbehaltes Abstand zu nehmen. Es müssen für

eine diesbezügliche Entscheidung alle Lebensumstände und fi-

 

nanziellen Belange des Betroffenen in Betracht gezogen werden,

sodaß, wie die Versicherungsanstalt zutreffend ausführt , z .B.

der Umstand einer chronischen Erkrankung für sich allein ge-

nommen noch keine soziale Schutzbedürfigkeit bedeutet , die

eine Befreiung von der Entrichtung eines Selbstbehaltes nach

sich zu ziehen hätte . Die Vorgangsweise der Versicherungsan-

stalt öffentlich Bediensteter im Zusammenhang mit der Einhe-

bung eines Selbstbehaltes für bestimmte Fälle der ärztlichen

Hilfe kann daher weder als "unsozial" noch als "gesundheits-

politisch kontraproduktiv" noch als "verfehlt" angesehen wer-

den. Im übrigen findet die ihr zugrundeliegende Satzungsbe-

stimmung im Gesetz ihre volle rechtliche Deckung, weshalb mei-

nem Ministerium keine Möglichkeit offenstand, die Genehmigung

dieser Bestimmung zu verweigern, und auch mir keine Möglich-

keit offensteht , die Anstalt zu einer Rücknahme dieser Vor-

schrift zu bewegen.

 

Zu den Fragen 10 bis 12 :

 

Gemäß § 191 Abs . 1 ASVG besteht Anspruch auf Unfall-

heilbehandlung, wenn und soweit der Versehrte nicht auf die

entsprechenden Leistungen aus einer gesetzlichen Kran-

kenversicherung Anspruch hat bzw. für ihn kein solcher An-

spruch besteht .

 

Das heißt , daß der Versehrte grundsätzlich keinen An-

spruch auf Unfallheilbehandlung hat , soweit er die in Betracht

kommenden Leistungen aus der Krankenversicherung beanspruchen

kann. Zweck dieser Vorleistungspflicht der Krankenversicherung

ist es , Doppelleistungen (Krankenver-sicherung, Unfallversi-

cherung) und Kostenabwälzungen zu vermeiden.

 

Der Versicherte kann nur Leistungen der Krankenver-

sicherung, nicht aber solche der Unfallversicherung verlangen

(außer die Unfallversicherung zieht die Behandlung an sich) .

Der Versicherte kann unmittelbare Ansprüche an die Unfallver-

sicherung stellen, wenn er nicht krankenversichert ist oder

die Krankenversicherung keine entsprechende Leistung gewährt .

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom

10.10.1991 , G 208/90 , G 321/90 , u.a. zum Ausdruck gebracht ,

daß die Krankenversicherung im Verhältnis zur Unfallversiche-

rung absolute Priorität habe bzw. daß die Unfallversicherung

bei gleichwertigen Leistungen sekundär sei . Das bedeutet , daß

dort , wo in der Krankenversicherung Selbstbehalte vorgesehen

sind, diese entsprechend den für die Krankenversicherung maß-

geblichen Bestimmungen auch bei Vorliegen eines Arbeitsunfal-

les (einer Berufskrankheit) einzuheben sind.

 

Ich bekenne mich zu dieser Rechtslage und beabsichtige

nicht , eine Änderung in dem von Ihnen gewünschten Sinn vorzu-

schlagen.

 

Im übrigen wäre der administrative Mehraufwand für den

Fall , daß die Träger der Krankenversicherung von ihren Ver-

tragspartnern gesonderte Abrechnungen in j enen Fällen verlan-

gen würden, in denen der Verdacht auf Vorliegen eines Ar-

beitsunfalles oder einer Berufskrankheit besteht , ungeheuer

groß.

 

Hinsichtlich der Frage der Rückverrechnung verweise ich

auf die beiliegende Stellungnahme der Versicherungsanstalt öf-

fentlich Bediensteter .

 

Zur Frage 13 :

 

Ergänzend zu den Ausführungen des Hauptverbandes , auf

welche ich mir zu verweisen gestatte , stelle ich fest , daß das

Impfwesen zu den Angelegenheiten des Gesundheitswesens zählt ,

die gemäß Abschnitt F des Teiles 2 der Anlage zu § 2 des Bun-

desministeriengesetzes 1986 , BGBl .Nr. 76 , in der Fassung

BGBl .Nr. 1105/1994 , in den Zuständigkeitsbereich des Bundesmi-

nisteriums für Gesundheit und Konsumentenschutz fallen.

 

Die gesetzliche Krankenversicherung trifft in erster Li-

nie Vorsorge für den Versicherungsfall der Krankheit . Beson-

ders in den letzten Jahren war man aber bemüht , der Prävention

 

einen höheren Stellenwert im Rahmen des Leistungsspektrums der

sozialen Krankenversicherung einzuräumen. Dies ist aber nur

solange und insoweit möglich, als die dadurch entstehende fi-

nanzielle Belastung der Krankenversicherungsträger nicht zu

einer Beeinträchtigung der von diesen in erster Linie wahrzu-

nehmenden Aufgaben führt .

 

Zur Frage 14 :

 

Wie der Hauptverband auch meiner Auffassung nach zutref-

fend festhält , ist es Aufgabe der Länder für eine entspre-

chende Versorgung der Bevölkerung im Krankenanstaltenbereich

Sorge zu tragen. Die auf diesem Gebiet bestehende - zum Teil

nicht befriedigende - Situation ist seitens der gesetzlichen

Krankenversicherung und auch durch mich als Bundesminister für

Arbeit und Soziales nicht beeinflußbar.

 

Die von den anfragenden Abgeordneten genannte " Kuvert-

medizin" ist rechtlich nicht zulässig . Ihr muß einerseits

durch eine entsprechende Organisation auf dem Spitalssektor

und andererseits durch hinreichende Kontrollen und Sanktionen

der Boden entzogen werden.

 

Zur Frage 15 :

 

Zunächst verweise ich auf die Stellungnahmen des Haupt-

verbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger und

der Wiener Gebietskrankenkasse . Besonders aus der Äußerung der

Kasse geht eindeutig hervor, daß eine Benachteiligung der Ver-

sicherten durch die von ihr mit der Ärztekammer für Wien ge-

troffene Vereinbarung auszuschließen ist . Ethische Bedenken

bestehen daher aus meiner Sicht gegen eine derartige Regelung

nicht . Auch aus rechtlicher Sicht erscheint diese Vorgangs-

weise nicht von vorneherein unzulässig. Bedenkt man weiters ,

daß es ohne steuernde Maßnahme auf dem Heilmittelsektor zu ei-

ner für die Versichertengemeinschaft nicht mehr verkraftbaren

Kostenexplosion kommt , so stellt der von der Wiener Gebiets-

krankenkasse beschrittene Weg einen vertretbaren Versuch der

Kostenreduktion ohne Beeinträchtigung der Interessen der

Versicherten dar.

 

Meinem Ministerium ist die in Rede stehende Vereinbarung

im Rahmen der Wahrnehmung der Aufsicht über die Versicherungs

träger zur Kenntnis gelangt . Im Hinblick auf die oben festge-

haltenen Überlegungen wurde sie sowohl als rechtlich als auch

als ethisch unbedenklich qualifiziert .

 

Zur Frage 16 :

 

Wie die in letzter Zeit geführte politische Diskussion

zum Thema " Selbstbehalte" gezeigt hat , werden - auch von mir

und meinem Ministerium - laufend Überlegungen hinsichtlich ei

ner ausgewogenen Gestaltung des Leistyungsrechtes der

gesetzlichen Krankenversicherung angestellt . Sollte sich

herausstellen, daß in diesem Bereich Korrekturen - in welcher

Weise auch immer - notwendig sind, so werde ich eine Initia-

tive zu deren Durchführung ergreifen.