1109/AB

 

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag.  Doris Kammerlander, Freundinnen und Freunde haben am 12.  Juli 1996 unter der Nr. 1179/J-NR/1996 an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend die immerwährende Neutralität gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:

 

1.    Machen Sie einen etwaigen Beitritt zu WEU und NATO und die damit verbundene Aufgabe der Neutralität von einer Volksabstimmung abhängig?

 

2.    In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Neutrali­tätsgesetzes (598 d. Beil.  VII GP) heißt es ausdrücklich: "Der Gesetzesbefehl der Vorlage richtet sich auch an die vollziehende Gewalt und insbesondere an die Bundesregierung".  Erachten Sie sich an diesen Gesetzesbefehl weiterhin gebunden?

 

2.1  Durch welche Maßnahmen werden Sie sicherstellen, daß auch die österreichischen Vertreter in internationalen Foren ­z.B. bei der Regierungskonferenz - sich an diesen Gesetzesbefehl gebunden fühlen?

 

3.    Schließen Sie sich der Überzeugung an, daß der nationale Konsens über das Ziel eines atomfreien Europas selbstverständlich die Forderung miteinschließt, alle Atomwaffen zu beseitigen und dieser nationale Konsens jedenfalls einen Beitritt zu einem nuklearbewaffneten Militärbündnis ausschließt?

 

4.    Nach einer Studie des Pentagon müßten die potentiellen Neumitglieder der NATO Polen, Tschechien und Ungarn bis ins Jahr 2010 124 Milliarden Dollar investieren, um ihre Armeen auf NATO-kompatible Waffensysteme umzustellen. ohne sich in die inneren Angelegenheiten dieser Länder einzumischen: Halten Sie eine solche horrende Aufrüstung in Europa und die daraus folgende wirtschaftliche Belastung für die europäische Integration und eine friedliche und demokratische Entwicklung dieser Länder für förderlich?

 

5.    Sind Sie bereit - insbesondere vor dem Hintergrund von Budgetkrise und Arbeitslosigkeit - die Kosten von einem unabhängigen Institut analysieren zu lassen und offen zu legen, die durch einen Beitritt zu NATO oder WEU dem österreichischen Steuerzahler erwachsen würden?

 

6.    Sind Sie für eine Anpassung der österreichischen Kriegsmaterialiengesetzgebung an die Regelungen der EU?

 

6.1. Wenn ja; sehen Sie darin nicht die Gefahr einer weiteren Aushöhlung der Neutralität?

 

7.    Bei der 9. Tagung der Regierungsbeauftragten am 6.06.96 wurde im Hinblick auf die Frage der Entscheidungsfindung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU von den anderen neutralen EU-Mitgliedern Schweden und Finnland die Beibehaltung einer Veto-Möglichkeit gefordert. Österreich hat sich in dieser Frage für Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit ausgesprochen.

       Wie soll mit qualifizierter Mehrheit und ohne Veto-Recht in der GASP den verfassungs- und völkerrechlichen Verpflichtungen Österreichs zur immerwährenden Neutralität entsprochen werden?

 

8.    Sind Sie bereit, die sich aus den bestehenden Einstimmigkeitsregeln ergebenden Möglichkeiten in Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bei der Regierungskon­ferenz dazu zu nutzen, ein tatsächliches System kollektiver Sicherheit unter der Oberhoheit von UNO und OSZE anzusteuern, anstatt NATO und WEU als Rahmen für eine militärisch ausgerichtete europäische Sicherheitspolitik anzunehmen?"

 

Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:

 

Zu Frage 1:

 

Die Frage einer Aufgabe der Neutralität ist nicht aktuell.

 

Zu Frage 2:

 

Das Neutralitäts-B-VG 1955 ist geltendes österreichisches Recht.  Selbstverständlich muß es jedoch in einem demokratischen Staat möglich sein, rechts- und sicherheitspolitische Überlegungen anzustellen und zu diskutieren.

 

Im Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, welcher auf der Grundlage eines mit der Zustimmung des Bundesvolkes beschlossenen BV-G erfolgte, hat sich Österreich auch zu der im EU-Vertrag verankerten Perspektive einer gemein­samen Verteidigungspolitik verpflichtet.

 

Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung spätestens im ersten Quartal 1998 dem Parlament im Lichte des Verlaufs der EU-Regierungskonferenz und der Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik über alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer WEU-Vollmitgliedschaft, berichten und nach Maßgabe der Schlußfolgerungen dieses Berichtes dem Parlament Vorschläge für die erforderlichen Maßnahmen unterbreiten.

 

Zu Frage 3:

 

Österreich ist stets für die Nichtanwendung, Reduzierung und letztendlich Eliminierung von Kernwaffen eingetreten und wird auch in Zukunft am Ziel ihrer globalen Beseitigung festhalten.  Wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag in diesem Zusam­menhang in einem Rechtsgutachten betreffend Atomwaffen vom 8. Juli 1996 feststellt, erfordert jedes realistische Streben nach Abrüstung, insbesondere im nuklearen Bereich, die Zusammenarbeit aller Staaten.  Bemühungen zur weltweiten atomaren Abrüstung lassen sich daher nicht auf die Frage der Zugehörigkeit zu Sicherheitsorganisationen reduzieren.

 

zu Frage 4:

 

Eine Erweiterung der NATO um neue Mitglieder ist ausschließlich Angelegenheit der NATO-Mitgliedsstaaten und der beitrittswilligen Länder.  Die Frage ist daher nicht Gegenstand der Vollziehung im Sinne des Art. 52 B-VG, weshalb ich um Verständnis bitte, wenn ich darauf nicht näher eingehe.

 

zu Frage 5:

 

Hierzu verweise ich auf das - in Beantwortung der Frage 2 bereits erwähnte - festgelegte Procedere der Bundesregierung hinsichtlich weiterführender sicherheitspolitischer Optionen.

 

zu Frage 6:

 

Im Rahmen der damaligen Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) der EG-Mitgliedsstaaten wurden in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates vom 28./29. Juni 1991 in Luxemburg sowie des Europäischen Rates vom 26./27. Juni 1992 in Lissabon gemeinsame Kriterien für Waffenexporte aufgestellt.  Diese "Common criteriall sind infolge des EU-Beitritts auch von Österreich beim Vollzug zu berücksichtigen.  Diese Regelungen sind mit der österreichischen Neutralität vereinbar.

 

Eine Anpassung, die zur Zeit innerstaatlich geprüft wird, betrifft die Einführung eines EU-Standarddokuments für Kriegsmaterialtransfers innerhalb der EU, das von der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten bereits angewendet wird.  Das "Standarddokument" ist ein Warenbegleitpapier mit Endverbraucherbescheinigung, welches eine zusätzliche Sicherheit bietet, daß innerhalb der EU exportiertes Kriegsmaterial auch in der EU verbleibt.

 

zu Frage 7:

 

Österreich hat im Rahmen der Regierungskonferenz stets den Standpunkt vertreten, daß für GASP-Entscheidungen mit militärischen Implikationen auch in Zukunft die Einstimmigkeitsregel fortbestehen muß.  Diese Auffassung wird im übrigen von allen EU-Mitgliedsstaaten - und insbesondere auch von Schweden und Finnland - geteilt.

 

Zu Frage 8:

 

Der EU-Vertrag von Maastricht gibt in Art.  J.4 (6) die Tagesordnung der Regierungskonferenz im Bereich der Sicherheitspolitik insoferne vor, als in deren Rahmen jedenfalls auch über das Verhältnis der EU zur WEU sowie Über die bisherige Umsetzung der Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik zu reden ist.

 

Österreich geht es dabei in erster Linie darum, ein im Einklang mit den Bestimmungen der Satzung der Vereinten Nationen stehen­des europäisches Instrumentarium für Krisenmanagement zu schaf­fen.

 

Die Weiterentwicklung der OSZE fällt nicht in die Zuständigkeit der EU-Regierungskonferenz.  Dazu findet zur Zeit innerhalb der OSZE eine umfassende Diskussion - ich verweise hier insbeson­dere auf die laufende Debatte über ein "gemeinsames und umfassendes Sicherheitsmodell für das 21.  Jahrhundert" - statt, an der sich Österreich aktiv beteiligt.