1137/AB

 

 

ANFRAGEBEANTWORTUNG

Die Abgeordneten zum Nationalrat lng. Monika Langthaler, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend strafrechtliche Verfahren zur MVA Flötzersteig 111, gerichtet und folgende Fragen gestellt:

 

"1.a) Aus welchen Gründen die Anzeigen  in der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig zurückgelegt?

b)         Welche Gutachtenaussagen waren für den Staatsanwalt für die Zurücklegung entscheidend?

 

2.a)      Wie wurde der tatsächliche Schadstoffausstoß (siehe Anfragebeantwortung 2 zu Nr. 4986/J) für die Zeit vor und nach der sogenannten "Sanierung" erhoben, welche Daten (Schadstoffe, Schadstoffpfade, Konzentrationen, Zeitpunkt der Messung) lagen der Staatsanwaltschaft vor und wurden zur weiteren sachverständigen Beurteilung weitergeleitet?

b)         Wurden die zuständigen Behörden zur Überwachung der Anlage nach dem DKEG bzw. LRGK und dem WRG kontaktiert und um Weiterg abe der Meßergebnisse ersucht?  Wenn nein, warum nicht?

 

c)         Wie wurde die Rechtskonformität des MVA-Betriebs inkl. des Rückstandtransports vor und nach der "Sanierung" geprüft und welches Ergebnis zeitigten diese Erhebungen?

 

3. a)     Mit weichen Gutachten wurde die Gefährdung durch den erhobenen Schadstoffausstoß (MVA, Transport, Deponie) untersucht?  Wurden alle in der An-

 

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fragebeantwortung Nr. 487/J angekündigten Gutachten erstellt und herangezogen?

b)         Wurde bei der Fragestellung für diese Gutachten vom Begriff der potentiellen Gefährdung, wie er durch OGH vom 25.6.1991, 11 Os 61/91 interpretiert wird, ausgegangen? Wenn nicht, von welchem Gefahrenbegriff dann?

 

c)         Wie ist nach Ansicht des Justizministeriums die gegebene Einschränkung,des Untersuchungsgegenstandes zu rechtfertigen, warum wurde nur der Schadstoff Dioxin untersucht, warum nur der Zeitraum 1987 bis 1993 und warum nur die akute Wirkung von Dioxin und nicht auch die Langzeitwirkungen desselben, wie dies Stand des Wissens ist?

4.a)      Warum wurde die Voruntersuchung trotz der Tatsache nicht eingeleitet, daß selbst von Prof. Dr. Schulte-Herrmann der offene Transport der Rückstände der MVA als bedenklich beurteilt wurde und eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen wurde?

b)         Wäre die Beweiswürdigung nicht Sache des Richters gewesen?

5.         Warum wurde trotz der angemeldeten Bedenken gegen

 

Prof.  Dr. Schulte-Herrmann, welcher ja auch schon für die Betreiber der MVA Flötzersteig tätig geworden ist, an diesem Gutachter festgehalten und nicht ein ausländischer Gutachter herangezogen?

 

6.         Wie oft hat sich der Justizminister über dieses Verfahren unterrichtet?

7.         Hat der Justizminister in diesem Verfahren Weisungen erteilt, wenn ja welcher Art?

8.         Wird der Justizminister nach Durchsicht der schriftlichen Stellungnahme des BI-Anwalts die formlose Wiederaufnahme des Verfahrens veranlassen?"

 

Ich beantworte diese Fragen wie folgt:

Zu la):

Das Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Betrieb der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig und dem Transport der Verbrennungsrückstände wurde zur Einstel­lung gebracht, weil ein gegen eine Rechtsvorschrift oder einen behördlichen Auftrag verstoßendes strafbares Verhalten nicht festgestellt werden konnte. Nach Inkrafttreten des Luftreinhaltegesetzes für Kesselanlagen, BGBl 1988/380, wurden zwar die in der Luftreinhalteverordnung für Kesselanlagen festgesetzten Grenzwerte für Dioxine und Stickoxide überschritten, deren Einhaltung war jedoch für Altanlagen wie die Müllverbrennungsanlage Flötzersteig erst nach Ablauf einer Übergangsfrist von sechs Jahren (§ 12 LRG-K), also ab 1.1.1995, vorgeschrieben. Die nach der Luftreinhalteverordnung für Kesselanlagen zulässigen Emissionsgrenzwerte, vor allem auch für Dioxine und Furane, werden seit dem Jahre 1994 eingehalten. Außerdem war nach den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens des Vorstandes des Institutes für Tumorbiologie-Krebsforschung der Universität Wien, Univ. P'rof. Dr. Rolf Schulte-Hermann, unter Zugrundelegung einer "worst-case Abschätzüng" davon auszugehen, daß zumindest nach derzeitigem Wissensstand - Weder eine abstrakte Gefährdung von Personen bzw. des Tier- oder Pflanzenbestandes noch eine potentiell gefährliche Umweltbeeinträchtigung erweisbar wäre. Schließlich fehlt es angesichts der Schwierigkeit der Materie bzw. der auch unter Wissenschaftern bestehenden erheblich divergierenden Meinungen zur Gesundheitsgefährdung durch Dioxine und Furane auch am Tatbestandsmerkmal eines strafrechtlich relevanten schuldhaften Verhaltens der für den Betrieb der Müllverbrennungsanlage verantwortlichen Personen.

 

Zu 1 b):

Auf Grund des vorliegenden Sachverständigengutachtens von Univ. Prof.

 

Dr. Schulte-Hermann ist die Staatsanwaltschaft Wien zur Ansicht gelangt, daß die" zusätzliche Belastung durch die Emissionen der MVA Flötzersteig zur unvermeidlichen Grundbelastung der Bevölkerung in Ballungsräumen derart gering sei, daß eine potentielle Gefährdung durch die Mehrbelastung ausgeschlossen werden könne.

 

Zu 2a):.

 

Analysiert wurden die Messungen hinsichtlich des Schadstoffes Dioxin. Im Auftrag

des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurden durch das Forschungszentrum Seibersdorf im März 1990 Rauchgasfilterasche- und Filterkuchenproben aus der MVA Flötzersteig gezogen und auf polychlorierte Dibenzodioxine und polychlorierte Dibenzofurane analysiert. Die Dioxinkonzentrationen betrugen 0,7 bis 3,0 ng 2, 3, 7, 8-TCDD-Äquivalente pro Nm' Rauchgas. In der Filterasche und in den Filterkuchenproben wurden Konzentrationen von 5,4 bzw. 78 ng 2, 3, 7, 8-TCDD-Äquivalente pro Gramm Trockengewicht ermittelt.

Im Zeitraum, 1986 bis 1994 wurden im Auftrag des Betreibers der MVA Flötzersteig, der Heizbetriebe Wien Ges.m.b.H., weitere Dioxin-Messungen im Rauchgas durch die ARGE Technischer Umweltschutz, die Forschungsgesellschaft Technischer Umweltschutz Wien, die Miljökonsulterna, Schweden, die Simmering-Graz-Pauker AG, Wien, und die Rhone-Poulenc, Frankreich, durchgeführt. Messungen durch Dipl.-Ing. Dr. Rolf Boos im Jänner 1984 ergaben Werte von 0,001 bis 0,006 ng TEQ/Nm" Abgas.

Dem Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Rolf Schulte-Hermann wurden alle vorhandenen Meßergebnisse bezüglich des Schadstoffes Dioxin, also auch der in der von der MA 22 herausgegebenen Reihe "Beiträge zum Umweltschutz" erschienene Bericht von H. Löffler über einen Vergleich der Dioxinmeßwerte 1983 und 1986, zur Verfügung gestellt. Bei den im zuletzt genannten Bericht angegebenen Meßwerten handelt es sich jedoch um Summenwerte der Dioxin-Kongeneren-Gruppen, sodaß eine Berechnung des TCDD-Äquivalentes und somit ein Vergleich mit späteren Analyseergebnissen nicht möglich war. Diese Werte wurden daher im Sachverständigengutachten nicht weiter verwendet.

 

Zu 2b):

 

Für eine Einholung der Ergebnisse der von den zuständigen Verwaltungsbehördeh hinsichtlich der übrigen Schadstoffe nach dem Luftreinhaltegesetz durchgeführten Messungen durch das Strafgericht bestand keine Veranlassung. Der für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Sachverhalt konnte im Rahmen des vorliegenden Strafverfahrens, insbesondere durch Einholung gerichtlicher Sachverständigengutachten, ausreichend ermittelt werden.

 

Zu 2L.

 

Der Betrieb der MVA Flötzersteig wurde ursprünglich im Jahre 1963 genehmigt. Den Bestimmungen des Dampfkessel-Emissionsgesetzes in der Fassung der Novelle 1984 wurde 1985 durch Einbau einer Rauchgasreinigungsanlage Rechnung getragen. Den verschärften Bestimmungen durch das Luftreinhaltegesetz wurde durch den Ende 1993 abgeschlossenen Umbau mit Einbau eines Denox-Katalysators entsprochen. Seit Jänner 1994 unterschreiten die Emissionen deutlich die Emissionsgrenzwerte nach dem Luftreinhaltegesetz.

 

Nach den Verfahrensergebnissen konnte den Verantwortlichen für den Betrieb der Müllverbrennungsanlage auch bezüglich des Transportes von Filterasche und Filterkuchen ein Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften (Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße - ADR) nicht angelastet werden. Es gibt auch keinen Hinweis für einen Verstoß gegen die Verordnung zur Festlegung von gefährlichen Abfällen, BGBl 607/1989.

 

Zu 3a

 

Die Frage der Gefährdung durch den erhobenen Schadstoffausstoß wurde im Gutachten von Univ.  Prof.  Dr. Schulte-Hermann geprüft. Dieser Gutachter stützte sich dabei auch auf das Gutachten des Österreichischen Forschungszentrums Seibersdorf zu Dioxinanalysen an Proben aus der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig vom August 1990 und auf ein meteorologisches Gutachten vom 19.12.1994 über die Emissionsbelastung durch Dioxin infolge von Emissionen aus der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig.

 

Das in der Beantwortung der schriftlichen Anfrage der Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Pilz und Freunde, Zahl 487/J, betreffend strafrechtliche Verfahren zur MVA Flötzersteig 11, angekündigte forstbotanisch Gutachten wurde nicht erstattet. Von " den bereits bestellten Sachverständigen erklärte sich nämlich einer für nicht ausreichend kompetent, während der andere auf seinen Wunsch als Sachverständiger enthoben wurde, weil auf Grund der Heterogenität sowohl der betreffenden Böden als auch der Emissionssituation und der Eigenschaften der zu quantifizierenden Stoffe trotz eines erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwandes eine kausalanalytische Beurteilung nicht möglich wäre. Der ursprünglich für die Erstattung des medizinischen Gutachtens in Aussicht genommene Leiter des Institutes für Umwelthygiene wurde im Hinblick auf die von Vertretern der Bürgerinitiative gegen seine Person geäußerten Bedenken auf sein Ersuchen als Sachverständiger enthoben. An seiner Stelle wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.4.1992 Univ. Prof. Dr. Schulte-Hermann zum Sachverständigen bestellt.

 

Zu 3bL

 

In dem von Univ.  Prof.  Dr. Rolf Schulte-Hermann erstatteten Gutachten wird von einer maximalen Imissionskonzentration unter Berücksichtigung der Anwesenheit von extrem anfälligen Personen in den umliegenden Krankenhäusern für den Zweck einer "worst-case-Abschätzung" ausgegangen. Damit wird dem Gefährdungsbegriff im Sinne des in der Anfrage zitierten Erkenntnisses des Obersten Gerichtshofes entsprochen.

 

Zu. 3cL

 

Seit Bestehen der MVA Flötzersteig bis zum Inkrafttreten des Luftreinhaltegesetzes 1988, mit dem erstmals Emissionsgrenzwerte für die Giftstoffe Dioxin (PCDD) und Furan (PCDF) für Dampfkesselanlagen der Müllverbrennung festgesetzt wurden, wurden die jeweils geltenden Grenzwerte eingehalten. Die im Luftreinhaltegesetz festgelegten Emissionswerte wurden bis zur Sanierung der Müllverbrennungsanlage im Jahre 1993 hinsichtlich Dioxin und Stickoxiden überschritten. Da allein die Emissionen von Stickoxiden durch den LKW-Verkehr auf den unmittelbar benachbarten Verkehrsflächen jene der MVA Flötzersteig überschritten, war hinsichtlich dieses Schadstoffes eine kausalanalytische Beurteilung von vornherein ausgeschlossen, sodaß eine aufwendige wissenschaftliche Untersuchung nur hinsichtlich des Schadstoffes Dioxin geboten war. Diesbezüglich wurden aber nicht nur die akuten Wirkungen von Dioxin, sondern auch die aus Reihenuntersuchungen abgeleiteten Schlußfolgerungen, bestätigt durch eine große Zahl wissenschaftlicher Studien, erörtert.

 

Univ.Prof. Dr. Schulte-Hermann hat eine Gefährdung der Anwohner durch die Emissionen der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig auch für den Zeitraum von 1985 bis 1993 (also vom Einbau einer Rauchgasreinigungsanlage bis zur schlußendlich erfolgten Sanierung durch Einbau eines Denox-Katalysators) verneint. Da auch für den davor gelegenen Zeitraum ein Hinweis auf einen Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift oder einen behördlichen Auftrag nicht vorlag, bestand auch insoweit kein Anlaß für weitere Prüfungen. Auch ein Verdacht in Richtung vorsätzlicher oder fahr-, lässiger Gemeingefährdung nach den §§ 176, 177 StGB war mangels Hinweises auf eine konkrete Gefährdung einer größeren Zahl von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß nicht indiziert.

 

Z u Lal.

 

Bezüglich des Transportes der Verbrennungsrückstände wurde die Erklärung nach § 90 Abs. 1 StPO abgegeben, weil ein Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften nicht festgestellt werden konnte. Mangels erkennbarer Verletzung einer entsprechenden Norm beim Transport der Rückstände wäre selbst bei Erweislichkeit einer abstrakten Gefährdung (eine konkrete Gefährdung bzw. eine eingetretene Verletzung ist ohnedies nicht behauptet worden) ein Umweltstraftatbestand nach den §§ 180 f. StGB nicht in Betracht gekommen. Außerdem wurde der Abtransport der Rückstände aus der in Rede stehenden Müllverbrennungsanlage durch ein selbständiges Transportunternehmen durchgeführt. Ein solches muß selbst für die Einhaltung der entsprechenden Transportvorschriften sorgen. Da kein Hinweis dafür zutage kam, daß die für die Müllverbrennungsanlage Verantwortlichen das betraute Transportunternehmen über den Zustand des Transportgutes in Irrtum geführt bzw. gelassen hätten, käme schon aus diesem Grund deren strafrechtlichen Verfolgung nicht in Betracht.

 

Zu 4bL

 

Da ein Schuldnachweis nicht zu erwarten war, hatte der Staatsanwalt gemäß § 90 Abs. 1 StPO vorzugehen.  Für den Staatsanwalt gilt der Grundsatz, daß er nur ankla­gen darf, wenn er mit einem Schuldspruch des Gerichtes als wahrscheinlich rech­nen kann.

 

Zu 5:

 

Die Auswahl und Bestellung des Sachverständigen ist Sache des unabhängigen Gerichtes. Von seiten der Staatsanwaltschaft bestanden keinerlei Bedenken gegen die fachliche Qualifikation des genannten Sachverständigen.

 

Zu 6:

 

Die Staatsanwaltschaft Wien hat dem Bundesministerium für Justiz über dieses Strafverfahren seit dem Jahre 1987 insgesamt 20mal schriftlich berichtet. Überdies hat der zuständige Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Wien den Leiter der (unter anderem) für Umweltstrafsachen nach den §§ 180 bis 183 StGB zuständigen Fachabteilung im Bundesministerium für Justiz wiederholt auch fernmündlich über den Verfahrensfortgang unterrichtet. Sowohl mein Amtsvorgänger als auch ich selbst wurden über diese Strafsache von der Fachabteilung mehrfach informiert.

 

Zu 7:

 

Weisungen wurden in dieser Strafsache nicht erteilt. Seitens des Bundesministeriums für Justiz wurde aber wiederholt ersucht, auf eine raschere Erstellung der Gutachten hinzuwirken.

 

Zu 8:

 

Die Ausführungen in der schriftlichen Stellungnahme des Anwaltes der Bürgerinitiative stellen sich teils als Kritik und teils unter Berufung auf Literaturzitate als dem gerichtlichen Sachverständigengutachten widersprechende wissenschaftlichen Ansichten, nicht jedoch als neue Beweismittel dar. Sie erscheinen nicht geeignet, die Bestrafung der Verdächtigen zu begründen. Die Staatsanwaltschaft Wien beabsichtigt daher nicht, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach § 352 Abs. 1 StPO zu stellen (die Voraussetzungen für eine formlose Wiederaufnahme nach § 363 StPO sind im vorliegenden Fall nicht gegeben).