1151/AB
ANFRAGEBEANTWORTUNG
Die Abgeordneten zum Nationalrat Doris Pollet-Kammerlander, Freundinnen und Freunde haben am 12.Juli 1996 unter der Nr. 1181/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Prognosen vor dem EU-Beitritt gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:
1. Wann und in welchen Branchen werden sich die von der Bundesregierung antizipierten Arbeitsplatzgewinne einstellen?
2. Wirtschaftsexperten bestätigen, daß der verstärkte Personalabbau im Dienstleistungssektor (Handel, Verkehr, öffentlicher Dienst) auf die verstärkte Konkurrenz nach dem EU-Beitritt zurückzuführen ist. Im Rahmen des EUROFIT-Programmes hat die Bundesregierung die Einrichtung von Arbeitsstiftungen für von den Folgen des EU-Beitrittes direkt betroffene Arbeitnehmerlnnen versprochen.
a) In welchen Branchen wurden diese Arbeitsstiftungen eingerichtet?
b) Wieviele Arbeitnehmerlnnen sind von den Arbeitsstiftungen betroffen (aufgegliedert nach Frauen und Männern)?
c) Wieviele bei diesen Arbeitsstiftungen erfaßte Dienstnehmerlnnen konnten erfolgreich vermittelt werden (aufgegliedert nach Frauen und Männern)?
d) Wieviele bei diesen Arbeitsstiftungen erfaßte Dienstnehmerlnnen sind jetzt arbeitslos gemeldet (aufgegliedert nach Frauen und Männern)?
e) Wieviele bei diesen Arbeitsstiftungen erfaßte Dienstnehmerlnnen sind in den Ruhestand getreten (aufgegliedert nach Frauen und Männern)?
f) Aus welchen Mitteln werden diese Arbeitsstiftungen finanziert?
g) Welche Arbeitsstiftungen sind in Planung?
3. Heimische und internationale Wirtschaftsforscher warnen vor den Folgen einer von allen EULändern gleichzeitig betriebenen Sparpolitik infolge der Verwirklichung der Währungsunion.
a) In welcher Weise wirken sich die österreichischen Konsolidierungsmaßnahmen auf die österreichische Konjunktur aus?
b) In welcher Weise wirken sich die Konsolidierungsmaßnahmen der deutschen Regierung auf die österreichische Konjunktur aus?
c) In welcher Weise wirken sich die österreichischen Konsolidierungsmaßnahmen auf die Kaufkraft der Konsumentlnnen aus?
d) In welcher Weise wirken sich die österreichischen Konsolidierungsmaßnahmen auf die Steuereinnahmen aus?
e) Wurden die Auswirkungen der Konsolidierungsmaßnahmen in das von Finanzminister Klima am 8. Juli d.J. im Finanzministerrat präsentierte Konvergenzprogramm der Bundesregierung einberechnet?
4. Vor der EU-Volksabstimmung versprach die Bundesregierung, die jährlich zu leistenden Beitrittskosten zur EU (Direktzahlungen) wurden sich "quasi von selbst finanzieren".Finanzminister Lacina sprach von "5 Milliarden Beitrittskosten", die durch das zusätzliche Wirtschaftswachstum leicht hereingebracht werden könnten. Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO sprach von " 13 Milliarden Budgetbelastung", wies jedoch gleichzeitig darauf hin, daß der Wachstumseffekt des Binnenmarktes stark reduziert wurde, sollte diese Mehrbelastung durch Steuererhöhungen und/oder Ausgabenkürzungen kompensiert werden. In Wahrheit beträgt die Budgetbelastung durch den EU-Beitritt nun rund 50 Milliarden Schilling und das Wirtschaftswachstum ist stark rückläufig. Die von der Bundesregierung als Kompensation für die Beitrittszahlungen bezeichneten Rückflüsse aus EU-Fördertöpfen sind lediglich "Durchlaufposten", die dem Budget nicht zugute kommen. Den Grünen, die wiederholt auf die Belastungen des Budgets durch den EU-B eitritt hingewiesen haben, wurde weder vor dem Beitritt noch jetzt angesichts der Budgetkrise Glauben geschenkt.
a) Welche Höhe haben die Direktzahlungen Österreichs an die EU in den nächsten Jahren?
b) Stehen den Direktzahlungen infolge des EU-Beitrittes zusätzliche aus dem EU-Beitritt
resultierenden budgetwirksamen Einnahmen gegenüber?
c) Aus welchen Mitteln werden die Direktzahlungen finanziert?
5. Wurden seit dem EU-Beitritt Österreichs seitens Ihres Ressorts Studien über die Auswirkungen des Beitrittes in Auftrag gegeben? Geben Sie Arbeitstitel der Studie, den/die AuftragnehmerInnen, sowie Datum und Ort der (geplanten) Präsentation an.
6. Einer Studie des IHS zufolge verursacht der EU-Beitritt einen Verteilungskonflikt sowohl zwischen den Generationen, als auch zwischen Untemehmen/Kapitaleigentümem und Arbeitnehmerlnnen.
Liegen der österreichischen Bundesregierung Studien vor, die die Ergebnisse der IHS-Studie widerlegen?
Sollte eine solche Studie vorliegen, wie lauten deren Begründungen?
7. Infolge des EU-Beitritts wurde die Berechnung der Arbeitslosenquote durch eine EU-konforme Berechnungsmethode ersetzt. Diese Methode zieht u.a. Umfragen zur Berechnung der Arbeitslosigkeit heran, wobei Personen, die einer Erwerbstätigkeit im Umfang von über 1 Stunde pro Woche nachgehen, nicht als arbeitslos gelten. Die auf diese Weise ermittelte Arbeitslosenquote liegt beträchtlich unter den bisher von Österreich im Rahmen der Erhebungsmethode ermittelten Werten.
a) Ist eine solche Methode für eine echte Ermittlung der Zahl arbeitssuchender Personen geeignet oder stellt eine solcher Berechnungsmodus nicht eine "Beschönigung" der Arbeitslosigkeit dar?
b) Erfolgt die Ermittlung der Höhe der Arbeitslosigkeit zukünftig ausschließlich nach der EUkonformen Methode, oder werden die Werte der Erhebungsmethode weiterhin veröffentlicht?
8. Die Bundesregierung hat vor dem Beitritt versprochen, sie werde sich auf EU-Ebene insbesondere für die Förderung von Frauen einsetzen. Umfragen zufolge stehen insbesondere Frauen der EU skeptisch gegenüber.
a) Welche frauenfördernden Maßnahmen mit für die Mitgliedstaaten verbindlicher Wirkung hat die EU seit dem Beitritt Österreichs beschlossen?
b) Welche frauenfördernden Maßnahmen hat Österreich zusätzlich zu den von der EU beschlossenen Maßnahmen gesetzt?
c) Hat Österreich seit dem EU-Beitritt frauenfördernde Maßnahmen eingeschränkt?
Wenn ja, welche und welche Begründung gibt es dafür?
d) In welcher Form hat Österreich gegen die Auflösung von frauenspezifischen Netzwerken auf EU-Ebene protestiert?
e) In welcher Form hat Österreich gegen die geringe Höhe der Finanzmittel für das 4. Aktionsprogramm zur Förderung der Chancengleichheit protestiert?"
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Alle Prognosen über die Effekte der EU-Mitgliedschaft sind immer Differentialprognosen, welche den durch die Europäische Union zusätzlich zu erwartenden Effekt im Hinblick auf Wachstum, Arbeitsplätze etc. und nicht Gesamtgrößen vorhersagen. Ausgangspunkt für solche Voraussagen ist immer ein Basisszenario, meist definiert als Weiterwirken des, mit welchem die Entwicklung etwas wäre zu erwarten, wenn Österreich nicht der EU beigetreten wäre", simuliert wird.
Die Beschäftigungssituation in Österreich hat sich im ersten Jahr der EU-Mitgliedschaft aufgrund der europaweit schwachen Konjunktur insgesamt gegenüber dem Vorjahr nicht verbessert. Dennoch sind Beschäftigungszuwächse in einer Reihe von Bereichen, wie z.B. in einigen industrienahen Dienstleistungsbranchen, in Teilen der verarbeitenden Industrie und der Finanzdienstleistungen, erfolgt. In den nächsten Jahren sind weitere positive Beschäftigungseffekte in höher qualifizierten und wertschöpfungsintensiven Tätigkeitsbereichen zu erwarten.
Zu Frage 2 samt Unterfragen:
In direkter Konsequenz des EU-Beitritts sind zwei Branchenstiftungen AUFLEB für ehemalige
Beschäftigte der Lebensmittelbranche sowie AUSPED für ehemalige Beschäftigte der Speditionsbranche) eingerichtet worden. Aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds werden darüber hinaus auch weitere Stiftungsmaßnahmen kofinanziert, die aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem EU-Beitritt stehen, sondern vielmehr im Rahmen der bisherigen Förderungsrichtlinien als Instrument zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit eingesetzt werden (zB "Konsumstiftung", "DDSGStiftung" etc.).
An der Stiftung AUFLEB nehmen 418 Frauen und 1.017 Männer teil, an der Stiftung AUSPED 401 Frauen und 625 Männer.
Mit Stand Ende Juni 1996 konnten 52 Frauen und 207 Männer, die an AUFLEB, sowie 172 Frauen und 207 Männer, die an AUSPED teilgenommen hatten, erfolgreich vermittelt werden.
Bis Juni 1996 sind aus der AUSPED 165 Personen (58 Frauen und 107 Männer) und aus der AUFLEB 43 Personen (eine geschlechtsspezififische Differenzierung ist hier derzeit leider nicht möglich) ohne unmittelbare Arbeitsaufnahme ausgetreten. Davon traten 21 Personen in den Ruhestand ( 4 Frauen und 11 Männer aus der AUSPED sowie 6 Männer aus der AUFLEB).
Neben der Gewährung des Arbeitslosengelds, das zur Gänze aus Mitteln des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) finanziert wird, wurden folgende Mittelzuwendungen vereinbart:
AUSPED: AMS-Mittel: ÖS 23,270.123,-
ESF-Mittel: ÖS 38,783.537,-
Länder/Gemeinden ÖS 15,513.414,-
Betriebe: ÖS'i1,350.000,-
AUFLEB: AMS-Mittel ÖS 158,824.000,-
ESF-Mittel ÖS 158,825.000,-
Länder/Gemeinden ÖS 59,851.000,-
Wirtschaftskammer ÖS 72,500.000,-
Es werden im Rahmen des bestehenden Förderungsinstrumentariums entsprechend den sich durch die am Arbeitsmarkt ergebenden Entwicklungen gleichgültig, ob durch die EU-Integration beeinflußt oder nicht laufend weitere Arbeitsstiftungen gegründet.
Zu Frage 3 samt Unterfragen:
Die internationalen Wirtschaftsforschungsinstitute sowie die internationalen Organisationen, welche Wirtschaftsprognosen erstellen (v.a. die Europäische Union sowie die OECD), stellen ebenso wie die heimischen Institute fest, daß Budgetkonsolidierung kurzfristig eine dämpfende Wirkung auf das Wirtschaftwachstum ausübt. Mittel- bis langfristig jedoch führt die Konsolidierung nach allgemeiner Auffassung zu einer Wirtschaftsbelebung, da dadurch die Grundvoraussetzungen für den Wirtschaftsprozeß verbessert werden.
Die Auswirkungen der deutschen Budgetmaßnahmen nahmen au die österreichische Konjunktur sind nur schwer von jenen der allgemeinen Wirtschaftsflaute zu trennen. Faktum ist jedoch, daß die deutsche Konjunktursituation besonders im österreichischen Tourismus, der sehr stark auf deutsche Gäste ausgerichtet ist, deutliche Spuren hinterlassen hat.
Die österreichischen Konsolidierungsmaßnahmen haben einen dämpfenden Einfluß auf die Kaufkraft der Konsumenten, da sie primär ausgabenseitig durchgeführt werden. Dennoch ist, wie die Wirtschaftsprognosen zeigen, nicht mit einem Einbruch des privaten Konsums zu rechnen, da die sehr hohe österreichische Sparquote etwas sinken dürfte und damit das Konsumnievau grosso modo aufrecht erhalten werden kann. Selbstverständlich wurden die Auswirkungen des Konsolidierungspakets bei der Erstellung des Konvergenzprogramms der Bundesregierung berücksichtigt.
Zu Frage 4 samt Unterfragen:
Daß das Wirtschaftswachstum "stark rückläufig" sei, ist eine unzutreffende Behauptung.
Das WIFO hat in seiner EU-Beitrittsstudie aus dem Jahr 1994 die Bruttokosten für den
österreichischen Staatshaushalt für das Jahr 1995 auf 34 Milliarden Schilling und die Nettokosten auf 22 Milliarden Schilling geschätzt. Unterschätzt gegenüber dem tatsächlichen Ergebnis 1995 wurden vor allem die EU-bedingten Steuermindereinnahmnen im Ausmaß von ca. 16 Milliarden Schilling, welche hauptsächlich auf den "Ausfall" eines Mehrwertsteuermonats zurückzuführen sind. Dabei handelt es sich um einen rein buchhalterischen Effekt.
Die Direktzahlungen Österreichs an den EU-Haushalt betragen 1996 etwa 29 Milliarden Schilling und werden in den Jahren 1997 und 1998 rund 31 bzw 33 Milliarden Schilling betragen. Diesen Zahlen stehen nur geringe budgetwirksame Rückflüsse gegenüber. Hingegen fließen EU-Mittel im Ausmaß von durchschnittlich etwa 16 Milliarden Schilling pro Jahr direkt an die österreichische Wirtschaft. Darüber hinaus werden heuer zusätzliche Rückflüsse im Ausmaß von etwa 3,4 Milliarden Schilling, welche aus nicht verbrauchten Mitteln stammen, den österreichischen Staatshaushalt entlasten.
Gemäß einem Abkommen zwischen Bund und Ländern werden zwei Drittel der Direktzahlungen vom Bund und ein Drittel von den Ländern und Gemeinden finanziert.
Zu Frage-
Nein.
Zu Frage-
Dem Bundeskanzleramt liegt keine einschlägige Untersuchung vor.
Zu Frage 7 samt Unterfragen:
Ich halte zunächst fest, daß die Berechnung der Arbeitslosenquote infolge des EU-Beitritts keinewegs durch eine EU-konforme Berechnungsmethode ersetzt wurde. Letztere ergänzt vielmehr die Berechnung auf Basis von Registerdaten. Das Statistische Zentralamt der Europäischen Union, EUROSTAT, verpflichtet die Unionsmitglieder zu einer jährlichen Arbeitskräfteerhebung auf Umfragebasis, also zu einer einheitlichen Methode und Definition der Erfassung der Arbeitslosigkeit gemäß den ILO-Kriterien, um die internationale Vergleichbarkeit des Niveaus der Arbeitslosigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ermöglichen.
Da die Erfassung der Arbeitslosigkeit auf Registerbasis durch Vermittlungsvormerkung beim Arbeitsamt zwischen den einzelnen Staaten erheblich divergiert, ist eine internationale Vergleichbarkeit auf dieser Grundlage nicht gegeben.
Die Ermittlung der Arbeitslosigkeit wird zukünftig sowohl durch EUROSTAT im Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Statistischen Zentralamt als auch nach der traditionellen Methode der Erfassung der vorgemerkten Arbeitssuchenden durch das Arbeitsmarktservice erfolgen.
Zu Frage 8:
Ich verweise auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 1191/J betreffend frauenfördemde Maßnahmen nach dem EU-Beitritt.