1297/AB
zur Zahl 1351/J-NR/1996
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier, Annemarie Reitsamer, Em-
merich Schwemlein, Dr. Ewald Nowotny und Genossen haben an mich eine schriftli-
che Anfrage, betreffend Ausschlu ß der Öffentlichkeit nach § 213 Finanzstrafgesetz,
gerichtet und foIgende Fragen gestellt:
''1. Wann kann in Österreich die Öffentlichkeit von gerichtlichen Strafverfahren
bzw. Verwaltungsstrafverfahren generell ausgeschlossen werden?
2. HaIten Sie diese Regelungen noch für gerechtfertigt?
3. Halten Sie den Ausschluß der ÖffentIichkeit (inkI. der Verwehrung der Akten-
einsicht durch Dritte) nach § 213 Finanzstrafgesetz für noch gerechtfertigt?
4. Gibt es diese bzw. ähnliche AusschIu ßgründe bei Finanzstrafverfahren auch in
der BRD?
5. ln welchen sonstigen europäischen Ländern existieren diese oder ähnliche
Ausschlußgründe bei Finanzstrafverfahren?
6. Führt nicht dieser Ausschlu ß der ÖffentIichkeit - mit dem dem sog. Grundsatz
des Steuergeheimnisses gefoIgt wird - dazu, daß dabei zwar ''Steuersünder''
geschützt werden, jedoch Personen, die sich als PrivatbeteiIigte einem gericht-
lichen Strafverfahren angeschlossen haben (z.B. durch fehlende Akteneinsicht
bzw. Parteistellung) benachteiligt werden?
7. Sehen Sie dabei nicht auch diese Nachteile für Personen (z.B. geschädigte
Anleger), die gegen dieselben Personen ein Zivilverfahren angestrengt haben?
8. Wenn nein, warum nicht?
9. Sind Sie bereit, einer Novellierung von § 213 Finanzstrafgesetz dahingehend
zuzustimmen, daß die Öffentlichkeit in Zukunft dann nicht mehr ausgeschIos-
sen werden kann, wenn darüber hinaus in einem Zivilverfahren über strittige
Ansprüche Dritter gegenüber den in einem Finanzstrafverfahren AngekIagten
oder in einem weiteren gerichtlichen Strafverfahren über die strafrechtliche Re-
levanz entschieden wird?
10. Sind Sie auch bereit, einer Novellierung von § 213 Finanzstrafgesetz dahinge-
hend zuzustimmen, daß der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit gegeben wird,
gegen eine derartige Entscheidung ein RechtsmitteI zu ergreifen?''
lch beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 :
Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung sowie der Urteilsverkündung in Zi-
vil- und Strafrechtssachen ist in Art. 90 Abs. 1 B-VG und in Art. 6 Abs.1 EMRK ver-
fassungsrechtlich, und zwar jeweils mit Vorbehalten, verankert. Öffentlichkeit bedeu-
tet zunächst, daß grundsätzlich jedermann an der Verhandlung teilnehmen kann
(sogenannte ''VoIksöffentlichkeit''). Die Zulässigkeit von ''ParteiöffentIichkeit'' besagt
hingegen, daß es den Prozeßparteien gestattet ist, bei den Prozeßhandlungen des
Gerichts anwesend zu sein.
Der Gesetzesvorbehalt des Art. 90 Abs. 1 Satz 2 B-VG läßt ''Ausnahmen'' vom Öf-
fentlichkeitsgebot dann zu, wenn sie durch Gesetze bestimmt werden. Nach der
Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. Lienbacher, Der Öffentlichkeits-
grundsatz des Zivil- und Strafverfahrens im österreichischen Verfassungsrecht, ÖJZ
1990, 415) ist eine Einschränkung des unter Gesetzesvorbehalt stehenden, verfas-
sungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nur dann zulässig, wenn diese Beschrän-
kung ausdrücklich im öffentlichen lnteresse liegt und wenn sie ein taugliches und
adäquates Mittel ist, um die Beeinträchtigung des öffentlichen lnteresses zu vermei-
den. Darüber hinaus muß sie ''auch sonst sachlich zu rechtfertigen'' sein.
Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann das Recht, daß seine Sache öffentlich von
einem unparteiischen Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtun-
gen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtIichen Anklage
zu entscheiden hat, gehört wird. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden. Ge-
mäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK kann die ÖffentIichkeit ganz oder teilweise im lnter-
esse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit ausge-
schlossen werden. Daneben ist ein solcher Ausschluß auch möglich, wenn es die
lnteressen von Jugendlichen oder der Schutz des privaten Lebens der Prozeßpar-
teien verlangen. Schließlich sieht eine ''HärtekIausel'' eine AusschlußmögIichkeit vor,
wenn die lnteressen der Rechtspflege bzw. der Gerechtigkeit beeinträchtigt würden.
Österreich hat diese Bestimmung jedoch nur unter dem Vorbehalt ratifiziert, daß
Art. 6 mit der Maßgabe angewendet werde, daß die in Art. 90 B-VG festgelegten
Grundsätze über die Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren in keiner Weise beein-
trächtigt werden.
Für das österreichische Strafverfahren konkretisiert § 228 StPO diese verfassungs-
rechtlichen Vorgaben. Nach § 228 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Hauptverhandlung bei
sonstiger Nichtigkeit öffentlich. Gemäß § 228 Abs. 1 Satz 2 StPO ist es erwachse-
nen und unbewaffneten Personen erlaubt, als Zuhörer bei der Hauptverhandlung zu
erscheinen. Gemäß § 229 Abs. 1 StPO darf die (Volks-)Öffentlichkeit einer Haupt-
verhandlung aus Gründen der SittIichkeit oder der öffentlichen Ordnung ausge-
schlossen werden, wobei auch in Anwendung dieser Bestimmung der Ausschluß
nur ausnahmsweise zulässig ist, wenn die maßgebenden Individual- und Allge-
meininteressen die gewichtige Bedeutung der Kontroll- und Präventivfunktion einer
öffentlichen Durchführung der HauptverhandIung im konkreten Einzelfall aus beson-
deren Gründen eindeutig überwiegen. Die für und gegen den Ausschluß der Öffent-
lichkeit sprechenden Gründe sind im EinzelfaIl sorgfältig gegeneinander abzuwägen.
Der Ausschluß der Öffentlichkeit muß von Amts wegen oder auf Antrag des Anklä-
gers oder des Angeklagten mit Beschluß verfügt werden; der Beschluß ist in öffentli-
cher Sitzung zu verkünden und im Verhandlungsprotokoll zu beurkunden. Der Be-
schluß selbst ist mit einem abgesonderten Rechtsmittel nicht anfechtbar, der unge-
rechtfertigte Ausschluß der Öffentlichkeit stellt jedoch einen Nichtigkeitsgrund
(§§ 281 Abs. 1 Z 3, 345 Abs. 1 Z 4, 456 und 468 Abs. 1 Z 3 StPO) dar.
Die Öffentlichkeit kann ferner gemäß § 229 Abs. 2 StPO bei überwiegenden
schutzwürdigen lnteressen ausgeschlossen werden, wenn Umstände aus dem per-
sönlichen Lebens- und Geheimnisbereich des Angeklagten, eines Zeugen oder
eines Dritten erörtert werden sowie bei der Vernehmung eines Zeugen, dessen An-
gaben zu seiner Person nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein sollen. Ein
weiterer Ausschlußgrund wird durch § 488 Z 3 StPO normiert, wonach auf Antrag
des Beschuldigten die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung im einzelrichterlichen
Verfahren des Gerichtshofs erster lnstanz auszuschließen ist, wenn weder eine Vor-
untersuchung noch gerichtliche Vorerhebungen stattgefunden haben.
Weitere Ausnahmen finden sich in § 456 StPO (Privatanklageverfahren) und in § 42
Abs. 1 JGG (Jugendgerichtsverfahren) sowie in strafrechtlichen Nebengesetzen.
Beispielhaft sei auf § 8a Abs. 2 Mediengesetz verwiesen, wonach im selbständigen
Entschädigungsverfahren - ebenso wie gemäß § 15 Abs. 3 MedienG im Verfahren
zur Durchsetzung einer Gegendarstellung - die Öffentlichkeit der Verhandlung aus-
zuschließen ist, soweit Tatsachen des höchstpersönlichen Lebensbereichs erörtert
werden. § 26 UWG erlaubt den Ausschluß der Öffentlichkeit für den Fall der Gefähr-
dung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen (vgl. dazu Zacharias, Das Öffent-
lichkeitsprinzip im Strafprozeß, ÖJZ 1 996, 681 mwN).
Angelegenheiten des Verwaltungsstrafverfahrens sind nicht Gegenstand der VolIzie-
hung meines Ressorts; auf § 51 i VStG über die Durchführung einer öffentlichen Be-
rufungsverhandlung vor dem Unabhängigen VerwaItungssenat sei hingewiesen. lm
verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren - dessen VolIziehung dem Bundesmi-
nister für Finanzen obliegt - gilt der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit, wobei nur in
der mündlichen VerhandIung vor dem Spruch- bzw. Berufungssenat, die öffentlich
zu führen ist, eine mit § 213 FinStrG übereinstimmende Ausschlußregelung vorge-
sehen ist.
Hervorzuheben ist freilich, daß sich alle dargestellten Ausnahmen vom Grundsatz
der Öffentlichkeit auf die sogenannte Volksöffentlichkeit beziehen, während die
Hauptverhandlung aller gerichtlichen Strafverfahren grundsätzIich parteiöffentlich
ist, weshalb auch das Recht des Privatbeteiligten zur Anwesenheit und Teilnahme
an der Hauptverhandlung nicht beschränkt werden kann.
Zu 2:
Wie sich schon aus der Formulierung der einzelnen Ausnahmetatbestände ergibt,
kann der Grundsatz der Öffentlichkeit niemals ein schrankenloser sein, sondern
muß vor allem mit den Persönlichkeitsrechten, insbesondere mit der Wahrung und
Achtung der Menschenwürde, abgewogen werden. Denn so sehr die Öffentlichkeit
Garant für die Durchführung eines ''fairen Prozesses'' sein kann und damit dem ein-
zelnen gewährleistet, daß er nicht einer ''Geheim- oder Kabinettsjustiz'' ausgeliefert
wird, so sehr kann damit auch ein Eingriff in die Würde des einzelnen als Mensch
verbunden sein.
Da sich sämtIiche Ausnahmen vom Grundsatz der VolksöffentIichkeit innerhalb des
verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens bewegen und auf einen Ausgleich
zwischen dem Allgemeininteresse auf lnformation und Nachvollziehbarkeit gerichtli-
cher Verhandlungen einerseits und dem lndividualinteresse der von einem Strafver-
fahren Betroffenen auf Geheimhaltung ihrer personenbezogenen Daten anderer-
seits bedacht sind, halte ich diese Regelungen grundsätzlich für sachgerecht und
angemessen.
Zu 3:
Der Ausschluß der Öffentlichkeit nach § 213 FinStrG kann grundsätzlich damit ge-
rechtfertigt werden, daß er Ausfluß der abgabenrechtIichen Geheimhaltungspflicht
nach § 48a BAO ist, deren VerIetzung nach den §§ 251 , 252 FinStrG einen gerichtli-
chen Straftatbestand darstellt. Der rechtspolitische Grund für die Normierung beson-
derer Geheimhaltungspflichten in dem durch § 48a BAO umschriebenen Bereich -
also für ein besonderes ''Steuergeheimnis'' - wird darin gesehen, daß der Abga-
bengläubiger vom Abgabenpflichtigen die Mitwirkung an der Ermittlung der von die-
sem zu entrichtenden Abgaben verlangt und diesem die Pflicht auferlegt, durch Of-
fenlegung und wahrheitsgemäße Darlegung seiner persönlichen, betrieblichen, ge-
schäftlichen und sonstigen steuerlichen Verhältnisse zur Erreichung des Verfahrens-
zieles aktiv und initiativ beizutragen. Hinzu kommt, daß die abgabenrechtlichen Tat-
bestände nicht nur an von der Rechtsordnung erlaubte Handlungsweisen anknüp-
fen, sondern an die von der Steuerrechtsordnung schlechthin erfaßten Sachverhal-
te, gleichgültig, wie diese ethisch oder strafrechtlich zu werten sind (§ 23 Abs. 2
BAO). Diese rechtspolitischen lmplikationen können - im Hinblick auf die Unschulds-
vermutung - nicht schon deshalb außer acht gelassen werden, weil dem Abgaben-
pflichtigen die Begehung eines Finanzstrafdeliktes zur Last gelegt wird. Zusätzlich
muß überdies auf die lnteressen der Nebenbeteiligten und Zeugen Bedacht genom-
men werden, zumal die Erzielung einer wahrheitsgemäßen Zeugenaussage mitun-
ter den Schutz eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses oder die Geheimhal-
tung sonstiger, der Öffentlichkeit unbekannter Verhältnisse oder Umstände des Zeu-
gen voraussetzt.
lnsgesamt kommt daher in § 213 FinStrG der hohe Stellenwert zum Ausdruck, den
die Geheimhaltung personenbezogener Daten in der österreichischen Rechtsord-
nung hat, und diese Bestimmung dient auch - wie aufgezeigt wurde - den von Art. 6
Abs. 1 EMRK erfaßten ''lnteressen der Rechtspflege''.
Zu 4 und 5:
Neben dem Ausschluß der Öffentlichkeit zum Schutz von Persönlichkeitsrechten
(§ 171 b dGVG) sieht § 172 Z 2 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes
(dGVG) die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit vor, wenn ein wichtiges
Geschäfts,- Betriebs,- Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch
dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt wür-
den. Das Gericht hat über die Ausschließung der Öffentlichkeit über Antrag oder von
Amts wegen durch einen keiner weiteren Anfechtung unterIiegenden Beschluß zu
entscheiden (§ 175 dGVG ; vgl. Kleinknecht/Meyer/Gossner, StPO41 Rz 19 zu § 175
GVG). Der unzulässige Ausschluß der Öffentlichkeit kann jedoch mit Revision des
UrteiIs nach § 338 dStPO bekämpft werden.
Unterlagen über die diesbezügliche Rechtslage in anderen europäischen Länden
stehen meinem Ministerium derzeit nicht zur Verfügung.
Zu 6 bis 10:
Vorweg ist zu bemerken, daß es in dem in den einleitenden Ausführungen der An-
frage angesprochenen Verfahren (Verhandlung am 4.7.1996 vor dem Landesge-
richt Salzburg) ausschIießlich um die Verkürzung von Umsatzsteuer durch Verant-
wortliche aus dem sogenannten ''WEB-Führungskreis'' ging. Aus der Prüfung des
Vorwurfs der strafrechtlich relevanten Verkürzung von Umsatzsteuer ist jedoch für
''private Dritte,' grundsätzlich nichts zu gewinnen.
§ 213 FinStrG kann nicht zur Bevorzugung von ''Steuersündern'' oder zur Benachtei-
ligung von Personen wie etwa geschädigten Anlegern führen. Vermögensrechtlich
Geschädigter im Finanzstrafverfahren kann begrifflich lediglich der Staat als Abga-
bengläubiger sein. Dieser wird kraft Gesetzes durch einen ''Privatbeteiligten sui ge-
neris'' (§ 200 FinStrG), nämlich die Finanzstrafbehörde vertreten. AlIfäIlige Nebenbe-
teiligte (z.B. Verfallsbeteiligte) können durch § 213 FinStrG - der ja bloß den Aus-
schluß der sogenannten Volksöffentlichkeit betrifft - in ihren Rechten nicht be-
schränkt werden.
Soweit Dritte Ansprüche wegen ''aIlgemeiner'' strafbarer Handlungen gegen jene
Personen geltend machen, die einer Abgabenverkürzung verdächtig sind, ist dar-
über in einem eigenen Strafverfahren abzusprechen. Sind für dieses die Ergebnisse
des Finanzstrafverfahrens von Bedeutung, so besteht selbstverständlich die Mög-
lichkeit, durch Beischaffung des Finanzstrafverfahrensaktes die in diesem Verfahren
gewonnenen Erkenntnisse zu verwerten; ein Ausschluß der Privatbeteiligten von der
Verhandlung kommt dabei nicht in Betracht.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Bewilligung oder Verwehrung der
Akteneinsicht durch Dritte von § 213 FinStrG nicht geregelt wird und eine Lösung
dieser Frage daraus auch nicht abgeIeitet werden kann ; insofern sind die allgemei-
nen Bestimmungen der Strafprozeßordnung über die Akteneinsicht (§§ 45, 47
Abs. 2 Z 2, 82 StPO) anzuwenden.
lnsgesamt vermag ich daher keinen Novellierungsbedarf zu erkennen, zumal für
den Fall eines gesetzwidrigen Ausschlusses der Öffentlichkeit grundsätzlich das
Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde zur Verfügung steht, sofern der ungerecht-
fertigte Ausschluß der Öffentlichkeit einen nachteiligen Einfluß auf die Entscheidung
auszuüben vermochte (sogenannter relativer Nichtigkeitsgrund; § 281 Abs. 3 StPO).