1406/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier, Mag. Gisela Wurm und Ge-
nossen haben an mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Ratifizierung des Luga-
no-Übereinkommens durch zwei EU-Mitgliedstaaten und Harmonisierung der Zu-
stellungsregelungen für Zivilverfahren, gerichtet und folgende Fragen gestellt.
"1. Ist die o.a. beispielhafte Darstellung richtig? Wenn ja, was werden Sie zur Re-
duzierung dieses beschriebenen Rechtsschutzdefizites wegen fehlender Ratifi-
zierung unternehmen?
2. Welche Maßnahmen werden sie unternehmen, damit Belgien das "Lugano-Ab-
kommen,' ratifiziert?
3. Welche Maßnahmen werden Sie unternehmen, damit Griechenland das
"Lugano-Abkommen" ratifiziert?
4. Welche Maßnahmen werden Sie unternehmen, damit auch die "Reformstaa-
ten" - insbesondere die Nachbarländer Österreichs - diesem Abkommen bei-
treten?
5. Sehen Sie die fehlende Harmonisierung der Zustellregelungen für Schriftsätze
in Zivilverfahren ebenfalls als Problem, das allen Bestrebungen des gemeinsa-
men Marktes und damit auch dem Rechtsschutzbedürfnis der Bevölkerung in
den einzelnen Mitgliedstaaten entgegenwirkt?
6. Wenn nein, warum nicht?
7. Welche Maßnahmen sind seitens des Justizministeriums geplant, um dieses -
europaweit bestehende - Defizit hinsichtlich harmonisierter Zustellregelungen
für Schriftsätze in Zivilverfahren abzubauen?
8. Hat sich das Justizministerium bereits dafür eingesetzt, daß die höchst unter-
schiedlichen - und europaweit nicht abgestimmten - Zustellvorschriften der Mit-
gliedstaaten für Schriftsätze in Zivilverfahren harmonisiert werden?
9. Wenn ja, in welcher Form?"
-
Ich beantworte diese Fragen wie f0lgt.
Zu 1
S0weit ersichtlich, bezieht sich das in der Einleitung der Anfrage angez0gene Bei-
spiel auf das Pr0dukthaftungsgesetz, BGBl.Nr. 99/1988 i.d.F. der BGe eGBl.Nr.
95/1 993 und 51 O/1 994. Nach § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes haben für fehlerhafte Pro-
dukte
1 . der Hersteller und
2. der Unternehmer, der das Pr0dukt zum Vertrieb in den Eur0päischen Wirt-
schaftsraum eingeführt und dort in den Verkehr gebracht hat (Importeur). Im ange-
führten Beispiel handelt es sich hiebei um den isländischen Unternehmer.
Da das Lugano-Übereinkommen zwischen Österreich und Island in Geltung steht,
kann sich der österreichische Geschädigte auf Art. 5 Z 3 dieses Übereinkommens
berufen. Nach dieser Bestimmung kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheits-
gebiet eines Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden,
und zwar, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaub-
ten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung
den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das
schädigende Ereignis eingetreten ist (Ort des Schadenseintrittes). Diese Bestim-
mung wurde ohne Änderung aus dem Brüsseler Gerichtsstands- und V0llstrek-
kungsübereinkommen 1968 (EuGVÜ) übernommen. Unter den Begriff der "uner-
laubten Handlung', fallen auch Schädigungen durch fehlerhafte Produkte. Der öster-
reichische Geschädigte kann daher in Österreich den Gerichtsstand des Schadens-
eintrittes in Anspruch nehmen. Das erwirkte Urteil wäre in Island vollstreckbar.
Würde das fehlerhafte Produkt von einem belgischen oder griechischen Unterneh-
mer in den Europäischen Wirtschaftraum eingeführt und dort in den Verkehr ge-
bracht werden, bestünde in der Tat ein Rechtsschutzdefizit, das aber, wie sich aus
der Beantwortung der folgenden Fragen ergibt, in Kürze beseitigt sein wird. Anzu-
merken ist, daß zumindest bis zum Beitritt Österreichs zur EG nach der Übergangs-
bestimmung des § 17 PHG in einem solchen Fall der österreichische Importeur ge-
haftet hätte.
Weiters ist darauf hinzuweisen, daß Österreich in absehbarer Zeit durch Ratifikation
des Beitrittsübereinkommens zum Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungs-
übereinkommen dem EuGVÜ beitreten wird, dem Belgien und Griechenland bereits
angehören.
Zu 2
ln Belgien ist das Verfahren zur parlamentarischen Genehmigung der Ratifikation
des Lugano-Übereinkommens bereits in die Wege geleitet worden. Nachdem der
belgische Senat die Genehmigung schon erteilt hat, ist mit der Genehmigung durch
das Abgeordnetenhaus in absehbarer Zeit zu rechnen.
Zu 3
ln Griechenland wurde die bereits im Parlament eingebrachte Regierungsvorlage
zur Genehmigung der Ratifikation des Lugano-Übereinkommens durch die unerwar-
teten vorzeitigen Parlamentswahlen und die Auflösung des Parlaments gegen-
standslos. Nachdem die neue Regierung gebildet worden ist, ist mit der baldigen
Neueinbringung der Regierungsvorlage zu rechnen.
Zu 4
Gemäß Art. 62 Abs. 1 lit. b des Lugano-Übereinkommens haben die Niederlande
die Schweiz als Depositarstaat ersucht, Polen zum Übereinkommensbeitritt einzula-
den. Die Schweiz hat die erforderliche Mitteilungen und Informationen über das ein-
schlägige polnische Recht eingeholt und alle Unterzeichnerstaaten des Lugano-
Übereinkommens ersucht, dem Beitritt Polens bis spätestens Ende März 1997 zuzu-
stimmen. Nach Ansicht der Vertragsstaaten des Lugano-Übereinkommens ist ihre
ausdrückliche Zustimmung hiefür erforderlich. Sobald diese Zustimmungserklärun-
gen vorliegen, wird Polen zum Beitritt eingeladen werden.
Österreich und Finnland werden die Schweiz als Depositarstaat des Lugano-Über-
einkommens ersuchen, für die tschechischen Republik und für Ungarn das Verfah-
ren nach Art. 62 Abs. 1 lit. b des Lugano-Übereinkommens einzuleiten. Es ist davon
auszugehen, daß die erforderlichen Mitteilungen und Informationen bis zur Tagung
des Ständigen Ausschusses nach dem Lugano-Übereinkommen im September
1997 vorliegen und auch diese beiden Staaten in der Folge zum Beitritt eingeladen
werden.
Zu 5 und 6:
Die rasche und effiziente Behandlung grenzüberschreitender. Zustellersuchen stellt
einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung unnötiger Verfahrensverzögerungen
dar. Plattform für die Verbesserung des Rechtsschutzes und die Erleichterung der
Rechtsdurchsetzbarkeit im Rahmen der Europäischen Union ist deren dritte Säule
(Zusammenarbeit im Bereich von Justiz und lnneres). Zur Verwirklichung der er-
wähnten Zielvorgaben sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits tätig
geworden. Auf Basis eines niederländischen Vorschlags für eine Überarbeitung des
Art. IV des Protokolls zum Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsüberein-
kommen vom 27.9.1968 bzw. des Protokolls Nr. 1 des Lugano-Übereinkommens
vom 16.9. 1988 wurde die Ratsarbeitsgruppe ',Vereinfachung der Übermittlung von
Schriftstücken" mit der Ausarbeitung eines Instruments zur Vereinfachung und Be-
schleunigung der Übermittlung von Schriftstücken in Zivil- und Handelssachen zwi-
schen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beauftragt. Grundlage dieser Ar-
beiten ist das Haager Zustellungsübereinkommen vom 15.11.1965, das aus dem
Haager Prozeßübereinkommen 1954 hervorgegangen ist.
Ende Oktober 1996 wurde der Entwurf eines Übereinkommens über die Zustellung
gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union fertiggestellt. Der Entwurf sieht die direkte
Übermittlung der zuzustellenden Schriftstücke zwischen den von den Mitgliedstaa-
ten zu benennenden Behörden, die nach den Intentionen des Entwurfes dezentrali-
siert sein sollen, vor. Hiebei soll auch die Anwendung moderner Übermittlungsme-
thoden möglich sein. Basierend auf einer österreichischen Initiative wurden auch die
übrigen vom Haager Zustellungsübereinkommen 1965 geregelten Zustellungsarten
in den Text des Europäischen Übereinkommens aufgenommen. Hiebei handelt es
sich um die Zustellung durch konsularische oder diplomatische Vertretungsbehör-
den sowie im Wege der Post.
Aus österreichischer Sicht stellt der Übereinkommensentwurf ein geeignetes Instru-
ment zur Vornahme grenzüberschreitender Zustellungen dar. Es ist damit zu rech-
nen, daß das Übereinkommen im ersten Quartal 1997 finalisiert werden wird.
Zu 7 bis 9:
Österreich war bei der Ausarbeitung des Übereinkommensentwurfes führend tätig.
Dementsprechend gehen diverse Bestimmungen des Übereinkommenstextes, die
insbesondere den Rechtsschutz des Zustellungsempfängers im Auge haben, auf ei-
nen österreichischen Vorschlag zurück. Gleiches gilt für die Intention, ein autono-
mes europäisches Zustellungsübereinkommen zu schaffen, um Anwendungsproble-
me nach Möglichkeit zu vermeiden und dem Europäischen Gerichtshof eine umfas-
sende Auslegungskompetenz einräumen zu können.