1480/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Martina Gredler und
Kollegen haben am 27. November 1996 unter der Nr. 1478/J an
mich eine schriftliche Anfrage betreffend Abschluß eines
"Sicherheitsabkommens" mit der WEU gerichtet, welche den
folgenden Wortlaut hat:
1. welche Art zusätzlicher "vertraulicher" Dokumente wird
Österreich durch den Abschluß des Sicherheitsabkommens mit
der WEU erhalten, die es ohne dieses Abkommen nicht
bekommen könnte?
2 . welche sonstigen Vorteile bringt Österreich dieses
Sicherheitsabkommen gegenüber dem bisherigen Beobach-
terstatus?
3 . Welche Art von Informationen wird Österreich als nicht
gleichberechtigtes Mitglied der WEU weiterhin nicht
erhalten können?
4 . Aus welchem Grund muß durch dieses Abkommen ein zusätz-
licher "möglichst lückenloser Schutz des klassifizierten
Informationsflusses" , wie es dazu in der Mitteilung des
Ministerratsdienstes heißt, erfolgen? Von welchen Infor-
mationen soll die öffentlichkeit ausgeschlossen bleiben?
5. Offensichtlich gab es bei den WEU-Mitgliedern Uneinigkeit
darüber, inwieweit ein "Beobachter" wie Österreich weiter
in die strukturen der WEU eingebunden werden sollte. welche
WEU-Staaten sind gegen eine Vertiefung der diesbezüglichen
Beziehungen, solange Österreich nicht seine Neutralität
aufgibt und die Vollmitgliedschaft beantragt?
6 . Sie haben bei der Herbsttagung der WEU laut "PRESS" vom
20 . 11 . angekündigt, daß Österreich in die "operative Pla-
nung" der WEU einbezogen werden soll . In welcher Form soll
und kann dies geschehen, solange Österreich nicht Vollmit-
glied der WEU ist?
7. werden Sie den Text des Sicherheitsabkommens mit der WEU
dem Parlament zukommen lassen?
8 . Wie lautet Ihre Erklärung zum WEU-Ministerrat im Volltext?
9 . Welche Vorteile brächte eine Vollmitgliedschaft Österreichs
in der Weu gegenüber dem jetzigen Status?
10 . Aus welchem Grund soll das österreichische Parlament erst
1998 mit der Möglichkeit einer WEU-Mitgliedschaft "befaßt"
werden, obwohl die sicherheitspolitischen Optionen öster-
reichs schon heute klar auf der Hand liegen und eine
weitere Verzögerung der Entscheidung bei den meisten
EU-Partnern Verwunderung bis Befremdung
auslösen würde?
11 . Welche Auswirkungen hätte Ihrer Einschätzung nach ein
Nicht-Beitritt zur WEU, d.h. die Nichtteilnahme an einem
sich daraus entwickelnden Sicherheitssystem, für ein in
diesem Fall weiterhin neutrales Österreich auf Investi-
tionen bzw. das Beschaffungswesen im Bereich der Landes-
verteidigung?
12 . Warum werden Sie sich im Rahmen der Regierungskonferenz
bestenfalls für eine Übernahme der sog. "Petersberger
Aufgaben" (Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens usw. )
der WEU in die 2 . Säule der EU aussprechen, nicht jedoch
für eine Übernahme des gesamten WEU-Vertrages?
13 . Halten Sie den Weg für gangbar , zur schrittweisen
Integration der WEU in die EU alle WEU-Aufgaben mit
Ausnahme des Art . V des WEU-Vertrages ( Beistandsver-
pflichtung) in den EU-Vertrag aufzunehmen und die
Beistandsverpflichtung in ein Protokoll zum EU-Vertrag
überzuführen?
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
Zu Frage 1:
Das WEU-Sicherheitsabkommen eröffnet Österreich den Zugang auch
zu Dokumenten ab der Klassifikationsstufe "vertraulich" , wäh-
rend Österreich bisher nur formalisierten Zugang zu Dokumenten
hatte, die als "nicht klassifiziert,' und "offen" einzustufen
sind.
-Zu Frage 2:
Der - im Sicherheitsabkommen geregelte - Zugang zu klassifi-
zierten Dokumenten ist vor allem eine
Vorbedingung dafür, daß
österreich die - einem Beobachter schon jetzt theoretisch -
gegebenen Möglichkeiten der Zusammenarbeit auch in der Praxis
tatsächlich nutzen kann. Das Sicherheitsabkommen ist darüber-
hinaus aber auch eine der Grundlagen, auf welche österreich
seine Forderung nach weitergehender Einbindung in die WEU-
strukturen, insbesondere auch im Bereich der in Frage 6 ange-
sprochenen operativen Planung für Krisenmanagement, abstützen
kann.
Zu Frage 3:
Die WEU hat mit der NATO kürzlich zum Zwecke einer engeren
Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen ein Sicherheits-
abkommen über den Austausch klassifizierter Dokumente
abgeschlossen . Dieses Abkommen bestimmt u . a . , daß die Weiter-
leitung klassifizierter Dokumente an Staaten, die nicht WEU-
und/oder NATO-Vollmitglieder sind, grundsätzlich untersagt ist
(ausgenommen bei vorheriger ausdrücklicher Zustimmung des
Urhebers) .
Daraus ergibt sich, daß WEU-Beobachter in die Zusammenarbeit
der WEU mit der NATO nur beschränkt eingebunden werden. Dies
betrifft bis dato insbesonders auch die gemeinsame Planung für
jene Petersberg-Aufgaben, zu deren Durchführung die WEU auf
Ressourcen der NATO zurückgreifen möchte (siehe dazu auch die
Beantwortung zu Frage 6) .
Zu Frage 4:
Die Intensivierung der Zusammenarbeit der WEU-Nationen (d.s.
die Vollmitglieder, Beobachter, Assoziierten Mitglieder und
Assoziierten Partner) v. a . im Bereich des europäischen
Krisenmanagements setzt rasch die Schaffung der Voraussetzungen
zum Austausch vertraulicher Informationen voraus . Dazu hat die
WEU ein standardisiertes Sicherheitsabkommen ausgearbeitet, das
nunmehr auch von Österreich unterzeichnet
worden ist .
Dieses sieht u . a . vor , daß der Empfänger von vertraulichem
Material diesem den gleichen Vertraulichkeitsschutz zukommen
läßt, den der Urheber für geboten erachtet.
Zu Frage 5:
In diesem Zusammenhang hat Österreich bisher die Erfahrung ge-
macht, daß die Möglichkeiten zur weiteren Austgestaltung des
Beobachterstatus nach übereinstimmender Auffassung aller WEU-
Mitglieder jedenfalls dort enden, wo das alleinige Entschei-
dungsrecht der Vollmitglieder berührt wird.
Zu Frage 6:
Für den Bereich des europäischen Krisenmanagements ist Öster-
reich von der operativen Planung der WEU - also der generellen
Einsatzplanung für denkmögliche Anlaßfälle - schon heute in
mehrfacher Hinsicht betroffen .
Einerseits nämlich dann , wenn WEU-Einsätze gemäß Art . J . 4 EU-V
über Ersuchen der Union erfolgen (was bedeuten würde, daß
Österreich am "politischen Vorlauf" einer solchen Aktion in
seiner Eigenschaft als EU-Mitglied teilnehmen würde) .
Zum anderen hat Österreich der WEU auf Beschluß der Bundes-
regierung im Zuge des WEU-Ministerrates von Ostende im November
v.J. die "Vorbereitenden Einheiten" des Bundesheeres als Kräfte
genannt, die grundsätzlich für WEU-Einsätze geeignet sind
("Forces Suitable for WEU") . Die WEU kann diese Einheiten also
schon jetzt in ihrer operativen Planung berücksichtigen (wenn
auch die konkrete Entscheidung über die 'Teilnahme an einem
Einsatz von Österreich - wie von allen anderen entsendenden
WEU-Nationen - Fall für Fall gemäß nationaler Entsendebe-
stimmungen getroffen wird) .
Umso wichtiger ist es daher, in diese ( im wesentlichen mili-
tärischen) Vorbereitungsarbeiten für mögliche Krisenmanage-
menteinsätze der WEU - insbesondere für solche auf Initiative
der Union und mit österreichischer Beteiligung - voll einge-
bunden zu sein.
so wurde Österreich - wie andere Beobachterstaaten auch - bei
der Erstellung typisierter Einsatzprofile von der WEU beige-
zogen. In der Praxis zeichnet sich allerdings ab, daß unserer
vollen Einbindung in diesbezügliche Planungsarbeiten grenzen
9esetzt sind . Dies v. a . in Bezug auf die Planung jener WEU-ein-
sätze , welche auch die Verwendung von NATO-Ressourcen vorderen
(was sich in der Regel insbesondere hinsichtlich Kommunikation
und Logistik als notwendig erweisen würde) . Vor diesem Hinter-
grund erfolgen wichtige Vorarbeiten zwischen der Planungszelle
der WEU und den zuständigen NATO-Gremien, worüber österreich
nur nach Maßgabe der Bestimmungen des in Beantwortung zu Frage
3 erwähnten NATO/WEU-Sicherheitsabkommens informiert wird.
Zu Frage 7:
Das Abkommen hat nicht politischen, sondern rein technischen
Charakter . Es enthält gesetzändernde und gesetzesergänzende
Bestimmungen und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrates
gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VC. Dem Parlament wird die entsprechende
Regierungsvorlage übermittelt werden.
Zu Frage 8:
Beim WEU-Ministerrat vom 18 . / 19 . November 96 in Ostende meldete
ich mich - ebenso wie Bundesminister Dr. Werner Fasslabend -
auf der Basis des beiliegenden Textes zu Wort, der auch als
"österreichische Erklärung" an die anderen teilnehmenden
Staaten zirkuliert wurde.
Zu Frage 9:
In Beantwortung dieser Frage verweise ich darauf, daß die
Bundesregierung gemäß Koalitionsübereinkommen vom März v. J.
dem Parlament spätestens im ersten Quartal 1998 einen Bericht
über alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen,
einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft Österreichs
in der WEU, vorlegen wird.
Zu Frage:
wie in Beantwortung zu Frage 9 angeführt, haben die Regierungs
parteien in Aussicht genommen, das Parlament i.G. "spätestens
im Laufe des ersten Quartals des Jahres l998 zu befassen, um
diesen Bericht " im Lichte des Verlaufes der EU-Regierungskon-
ferenz und der Entwicklungen in der europäischen Sicherheit-
Politik" erstellen zu können.
Diese Terminwahl ist durch die seither eingetretene Entwicklung
bestätigt. Insbesondere ist im Zuge des Europäischen Rates von
Amsterdam am 16 . / 17 . Juni 1997 mit einem Ergebnis der EU-Regie
rungskonferenz zu rechnen . Weiters ist davon auszugehen , daß
der Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der NATO am
a . /9 . Juli ls97 in Madrid wesentliche Auswirkungen auf die
künftige europäische sicherheitsarchitektur haben wird.
In meinen zahlreichen Gesprächen auf europäischer Ebene hat
sich Ihre Einschätzung, daß der geschilderte österreichische
Entscheidungsprozess , der ganz bewußt auf der Grundlage dieser
Fakten vorgenommen wird , bei unseren EU-Partnern "Verwunderung
bis Befremdung" auslösen könnte, nicht bestätigt.
Zu Frage 11:
Da diese Frage den Zuständigkeitsbereich des Bundesministers
.
für Landesverteidigung berührt, bitte ich um Verständnis, wenn
ich darauf nicht näher eingehe.
Zu Frage 12:
Nach Auffassung aller Eu-Mitgliedstaaten ist die Verwirklichung
der im
Vertrag vorgesehenen gemeinsamen Verteidi-
gung ein längerfristiger und schrittweiser Prozeß. Das größte
aktuelle Defizit der Union besteht in der mangelnden Kapazität
der Union im Bereich des militärischen Krisenmanagements. Dem
soll durch die Aufnahme der Petersberg-Aufgaben in den Unions-
vertrag und eine stärkere Verschränkung zwischen Union und WEU
in diesem Bereich abgeholfen werden.
Obwohl Details noch zu klären sind, vertreten alle Teilnehmer
an der Regierungekonferenz die Grundzüge dieser Konzeption . Die
in der Frage angesprochene Übernahme des gesamten WEU-Vertrags
wird für die gegenwärtige Regierungskonferenz von keinem Mit-
gliedstaat gefordert.
Zu Frage 13:
Als längerfristiges Ziel wird die Integration der WEU in die EU
von einer Mehrheit der EU-Mitglieddstaaten unterstützt. Die
Verhandlungen darüber werden jedoch werden in einer späteren Re-
gierungskonferenz geführt werden. Wie diese Integration durch-
geführt wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab.
U. a . werden die Erweiterungsprozente von EU und NATO eine
wesentliche Rolle spielen. Es erscheint verfrüht, zum gegenwär-
tigen Zeitpunkt Spekulationen über das Modell der Verwirkli-
chung der Integration der WEU in der EU anzustellen.