1511/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Martina Gredler und Partner/innen haben am
18. Dezember 1996 unter der Nr. 1718/J-NR/1996 an mich eine schriftliche Anfrage
betreffend Grundrechte im Rahmen der Regierungskonferenz gerichtet, welche
folgenden Wortlaut hat:
"1 . Welche Ergebnisse bzw. Fortschritte brachte das Treffen der Staats- und
Regierungschefs in Dublin im Bereich der Beratungen zur Regierungskonferenz
betreffend Grundrechte?
2. Österreich vertritt die Auffassung, daß die EU der ERMK beitreten soll. Welche
Voraussetzungen müssen dafür noch geschaffen werden und was werden Sie
unternehmen, um diejenigen Staaten, die diesen Standpunkt nicht vertreten, zu
überzeugen?
3. Im Positionspapier der österreichischen und der italienischen Delegation zu den
Grundrechten wird verlangt, daß folgender Absatz 5 in Artikel F des Vertrages
über die Europäische Union aufgenommen wird: "Die Union anerkennt die
verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften
in den Mitgliedstaaten als Ausdruck ihrer Identität und Kultur sowie als Teil des
gemeinsamen kulturellen Erbes." Aus welchem Grund soll diese Bestimmung in
den Vertrag aufgenommen werden?
4. Ist geplant, durch eine solche "Kirchensicherungsklausel" das Konkordat, das
zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich 1933/34 abgeschlossen wurde, und
welches einige umstrittene Bestimmungen enthält, durch die Aufnahme in den
EU-Vertrag auf europäischer Ebene
abzusichern?
5. Ist der Vorschlag nach Einführung dieser "Kirchensicherungsklausel" eine
akkordierte Position der Bundesregierung?
6. Der Hauptausschuß hat beschlossen, daß ein allgemeines
Diskriminierungsverbot in die Verträge aufgenommen werden soll. ln welchen
Vertragsteil soll dieses, Ihrer Vorstellung nach, integriert werden?
7. Der diesbezügliche Vorschlag der irischen Präsidentschaft enthielt zwei
Optionen: a) Einführung einer generellen Antidiskriminierungsklausel in Art. F des
EU-Vertrages oder b) Einführung eines neuen Artikels 6a im EG-Vertrag. Würde
nicht Option b) aufgrund des vorgesehenen komplizierten
Konsultationsmechanismus und der Forderung, daß Beschlüsse einstimmig
zustande kommen müssen, eine Schwächung des Anliegens bedeuten?
8. Welche Option wurde - wenn überhaupt - beim Europäischen Rat in Dublin
beschlossen bzw. wofür haben Sie sich eingesetzt?
9. Im Hauptausschuß des Nationalrates wurde ein Antrag auf Stellungnahme
betreffend die Stärkung des Grundsatzes der Gleichstellung von Männern und
Frauen sowie die Ermöglichung von Maßnahmen zur Bevorzugung von Frauen
mit Mehrheit abgelehnt. Halten Sie dieses Abstimmungsergebnis für hilfreich, wo
doch im Positionspapier der Bundesregierung zur Regierungskonferenz genau
diese Forderungen aufgestellt werden?
1 O. Welche Position vertreten Sie bezüglich der Ausweitung der Rechte von
Staatsangehörigen aus Drittstaaten der EU? Werden Sie sich dafür einsetzen,
daß Drittlandsausländern, die über einen Zeitraum von fünf Jahren legal in einem
Mitgliedsland der EU ansässig sind, die Unionsbürgerschaft gem. Art. 8 EGV und
die Freizügigkeit gem. Art. 48 bis 66 EGV gewährt werden kann? Wenn nein,
warum nicht?"
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1 :
Die irische Präsidentschaft hat dem Europäischen Rat Dublin 11 am 13./14.
Dezember 1996 unter dem Titel "Anpassung der Europäischen Union zum
Nutzen ihrer Bürger und Vorbereitung der Europäischen Union auf die
Zukunft" einen ersten Entwurf für einen neuen EU- bzw. EG-Vertrag vorgelegt.
Das Dokument enthält Entwürfe für neue Vertragsbestimmungen zu den Bereichen
der Regierungskonferenz und gibt den Stand der Beratungen in den zentralen
institutionellen Fragen und zur verstärkten Zusammenarbeit ("Flexibilität") wieder.
Insbesondere finden sich im Abschnitt "Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts" spezifische Vertragsformulierungen zu den Grundrechten und zur
Nichtdiskriminierung. Dabei handelt es sich im
einzelnen um
. die Verankerung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit als
allgemeine Grundsätze der Union sowie den Hinweis auf die erforderliche
Achtung eben dieser Grundprinzipien durch beitrittswillige Länder,
. einen "Sanktionsmechanismus" im Falle einer schwerwiegenden und
anhaltenden Verletzung dieser Grundsätze durch einen Mitgliedstaat, unter
Einbindung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission,
. einen neuen EGV-Artikel zur Verankerung und gerichtlichen Kontrolle der
Achtung der Menschenrechte aus der EMRK und den nationalen Verfassungen
im Rahmen der Zuständigkeit des EuGH bzw., alternativ dazu, die Option eines
EMRK-Beitritts der EU bzw. EG oder die Einbeziehung des
Menschenrechtsschutzes für alle drei Säulen in die Zuständigkeit des EuGH,
. die Aufnahme einer Zuständigkeit der Gemeinschaft in den EG-Vertrag,
Regelungen gegen Diskriminierungen - u.a. aus Gründen einer Behinderung -
zu erlassen, wobei der endgültige Umfang und die Tragweite dieser neuen
Bestimmung noch zu vereinbaren sein werden, sowie der Vorschlag einer
besonderen Berücksichtigung und Bezugnahme auf Personen mit einer
Behinderung in Artikel 1 27 oder Artikel 1 00a EGV sowie
. die Festschreibung der Gleichstellung von Männern und Frauen als
Zielbestimmung, ihre Förderung im Rahmen der EG-Tätigkeiten in den Artikeln 2
und 3 EGV sowie eine Gleichberechtigungskompetenz in Arbeits- und
Beschäftigungsfragen (einschl. gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit), unter
ausdrücklicher Einräumung positiver Förderungsmaßnahmen im Beruf.
Der Entwurf hat bei der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten, einschließlich
Österreich, sowie den Vertretern von EP und EK insgesamt eine überaus positive
Aufnahme gefunden und wurde vom Europäischen Rat in Dublin allgemein als
Grundlage für die weiteren Verhandlungen anerkannt. Aus österreichischer Sicht
ist besonders positiv zu vermerken, daß im Entwurf die wesentlichen
österreichischen Prioritäten angesprochen sind. Speziell die Vertragsvorschläge
zum Bereich der Grundrechte und Nichtdiskriminierung entsprechen in vielen
wesentlichen Elementen der einschlägigen österreichisch-italienischen
Initiative vom Oktober 1996. Bereits beim Außenminister-Konklave am 6.
Dezember 1996 habe ich mich gemäß der Stellungnahme des Hauptausschusses
betreffend Grundrechte vom 3. Dezember 1996 für eine klare Fassung des
Diskriminierungsverbots, unter besonderer Berücksichtigung der Anliegen der
Behinderten sowie für die Weiterverfolgung der Option eines EMRK-Beitritts
eingesetzt. Auch in der unter niederländischem Vorsitz beginnenden Schlußphase
der Konferenz wird sich Österreich für die größtmögliche Umsetzung seiner
Vorschläge zu den Grundrechten und der Nichtdiskriminierung engagieren.
Zu Frage 2:
Die rechtlichen Voraussetzungen eines EMRK-Beitritts der Gemeinschaft waren
lange Zeit strittig. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings vor einigen Monaten in
einem Gutachten festgestellt, daß ein Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK auf der
Grundlage des bestehenden Vertrages nicht
möglich ist. Dies bedeutet, daß die
Regierungskonferenz eine entsprechende Vertragsbestimmung vereinbaren müßte.
Aus österreichischer Sicht sollte allerdings nicht nur die Gemeinschaft, sondern die
Union insgesamt der EMRK beitreten. Dies hätte insbesondere den Vorteil, daß auch
die Aktivitäten der zweiten und der dritten Säule einer besseren
Menschenrechtskontrolle unterworfen würden, würde allerdings voraussetzen, daß
die EU über eine entsprechende Rechtspersönlichkeit verfügt. Österreich und
Italien haben im gemeinsamen Text vorgeschlagen, im Unionsvertrag eine
Kompetenz der EU für einen EMRK-Beitritt zu schaffen. ln den bisherigen
Diskussionen hat eine Reihe von Staaten für diese Option Unterstützung gezeigt.
Skeptisch äußerten sich vor allem GB, F und DK. Die österreichische Delegation
wird sich weiterhin engagiert für das Ziel eines EMRK-Beitritts der Union einsetzen,
da der Gewährleistung eines einheitlichen europäischen Grundrechtschutzes
nicht zuletzt im Zusammenhang mit der bevorstehenden Erweiterung besondere
Bedeutung zukommt.
Zu Fragen 3 bis 5:
Der österreichisch-italienische Vorschlag für einen neuen Abs. 5 in Artikel F EU-V
entspricht einem von Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber den
Regierungen verschiedener EU-Mitgliedstaaten vertretenen Anliegen. Die Kirchen
sind der Auffassung, daß ihre bisherige Nichterwähnung im EU-Primärrecht der
Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften als Teil der europäischen
Identität und Kultur nicht gerecht wird. Rechtlich verweist die Bestimmung lediglich
auf die staatskirchenrechtlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten. Die
Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten hinsichtlich dieses Rechts, einschließlich der
in manchen Ländern vorhandenen Konkordate, ist damit in keiner Weise in Frage
gestellt. Ebenso wie die anderen Positionen in der Regierungskonferenz wurde auch
der österreichisch-italienische Vorschlag zu den Menschenrechten und zur
Unionsbürgerschaft zwischen den zuständigen Stellen akkordiert.
Zu Fragen 6 und 7:
Der österreichisch-italienische Text schlägt die Schaffung eines eigenen Abschnittes
zu den Grundrechten vor, mit der Nichtdiskriminierungsklausel im Artikel F bis
EUV als einem wesentlichen Bestandteil. Dies hätte den Vorteil, daß die
vorgeschlagenen Artikel als Teil der "Gemeinsamen Bestimmungen" Gültigkeit für
die gesamte Tätigkeit der Union hätten. Auch vom Standpunkt der Transparenz und
Lesbarkeit des Vertragswerkes - ein weiteres Ziel der Konferenz - erscheint ein
solcher systematischer und thematisch kohärenter Ansatz zweckmäßig. Die
bisherigen Diskussionen zu diesem Thema im Rahmen der Regierungskonferenz
haben erhebliche Meinungsdifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten ergeben.
Österreich wird daher auch die Variante von Nichtdiskriminierungsregelungen im
EG-Vertrag weiter prüfen. Priorität kommt dabei aus österreichischer Sicht der
inhaltlichen Qualität einer solchen
Bestimmung zu.
Zu Frage 8:
Der ER in Dublin bot lediglich Gelegenheit zu einer ersten generellen Stellungnahme
zum irischen Vertragsentwurf. Nunmehr werden unter niederländischem Vorsitz
die Verhandlungen in den einzelnen Bereichen im Rahmen der Konferenz
weitergeführt werden.
Zu Frage 9:
Die Kommentierung von Entscheidungen des österreichischen Parlaments oder
eines seiner Gremien ist kein Gegenstand der Vollziehung des Bundes.
Zu Frage 10:
Die inhaltliche Festlegung der Rechte von Staatsbürgern aus Drittstaaten ist nicht
Gegenstand dieser Regierungskonferenz. Die Unionsbürgerschaft gem. Art. 8
EGV kommt all jenen zu, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind. Die
Verleihung dieser Staatsangehörigkeit soll auch weiterhin Sache der Mitgliedstaaten
bleiben.