1644/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Maier und Genossen haben am 12 Dezember 1996
unter der Nr. 1621/J an meinen Amtsvorgänger eine schriftliche parlamentarische Anfrage
betreffend "Ausübung des Wahlrechts von Pfleglingen in Heil- und Pflegeanstalten" gerichtet, die
folgenden Wortlaut hat.
" 1 . Welche Person trägt in Heil- und Pflegeanstalten, die unter ärztlicher Leitung stehen, die
Verantwortung für die Entscheidung, das Wahlrecht zu untersagen?
2. Wieviele Personen (Pfleglinge) waren mit Stichtag 13. Oktober 1996 in Heil- und Pfle-
geanstalten unter ärztlicher Leitung aktiv wahlberechtigt?
3. Wieviele Personen (Pfleglinge) in Heil- und Pflegeanstalten unter ärztlicher Leitung haben
von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht?
4. Wievielen gehfähigen oder bettlägerigen Pfleglingen in Heil- und Pflegeanstalten unter
ärztlicher Leitung wurde die Ausübung des Wahlrechts "aus gewichtigen, medizinischen
Gründen" bei der Europawahl 1996 untersagt?
5. Wie sind die Worte "aus gewichtigen,
medizinischen Gründen" auszulegen?
6 Wer kontrolliert im Innenministerium derartige medizinische Entscheidungen?
7. Welche Auffassung vertreten zu diesen Ausschluß-Bestimmungen in der Nationalrats-
sowie Europawahlordnung nun die mit der Legistik befaßten Stellen des Innenministeri-
ums?
8. Zu welchen Ergebnissen sind Sie bei der Uberprüfung der oben zitierten Bestimmungen
gelangt?
9. Sind Sie bereit, diese oben zitierten Bestimmungen in der Nationalrats-Wahlordnung 1992
(§ 72 Abs. 4) und in der Europawahlordnung (§ 58 Abs. 4) generell zu novellieren bzw.
überhaupt ersatzlos zu streichen?
1O. Ist es für Sie vorstellbar - im Falle der Beibehaltung dieser Bestimmungen -, ein Rechts-
mittel gegen diese - meist nicht nachvollziehbaren - (ärztlichen) Entscheidungen, mit dem
das Wahlrecht untersagt wird, zu treffen?
Diese Anfragen beantworte ich wie folgt
Zu Frage 1 :
In § 72 Abs. 4 der Nationalrats-Wahlordnung 1992 (sowie im gleichlautenden § 58 Abs, 4 der
Europawahlordnung) ist normiert, daß in Anstalten untergebrachten Pfleglingen durch die
ärztliche Leitung die Ausübung des Wahlrechts aus gewichtigen medizinischen Gründen unter-
sagt werden kann. Es besteht keine Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu diesen Bestimmun-
gen. Die Frage, wem konkret die Aufgabe zukommt, gegebenenfalls die Ausübung des Wahl-
rechts zu untersagen, wird daher nach den jeweils einschlägigen, die Verantwortung in Kranken-
anstalten regelnden Bestimmungen zu beurteilen sein.
Zu den Fragen 2 bis 4:
Eine statistische Erfassung jener Personen, die an einem Wahltag in Heil- oder Pflegeanstalten
untergebracht sind, ist weder in der Nationalrats-Wahlordnung 1992 noch in der Europawahl-
ordnung Vorgesehen, eine solche Erfassung hat daher bei der zurückliegenden Europawahl auch
nicht stattgefunden.
Es liegt keine Informationen vor, wonach anläßlich einer der zurückliegenden Wahlen einem in
einer Anstalt untergebrachten Wahlberechtigten das Wahlrecht aus medizinischen Gründen
versagt worden ist. Ich gehe daher davon aus, daß die angeführten Gesetzesbestimmungen
besonders zurückhaltend interpretiert werden und daß - wenn überhaupt - von der Möglichkeit,
einem Menschen die Ausübung des Wahlrechts aus medizinischen Gründen zu untersagen, nur in
Ausnahmefällen Gebrauch gemacht wird,
Zu den Fragen 5 bis 8:
Die einschlägigen Wahlgesetze enthalten keine näheren Auslegungsregeln, auch besteht - wie
schon gesagt - zur gegenständlichen Frage keinerlei Judikatur.
In einem zur Nationalrats-Wahlordnung 1957 erschienenen Kommentar (Fritzer, Die Wahlgeset-
ze, Wien 1957) wird darauf verwiesen, daß die Ausübung des Wahlrechts unter Umständen
insbesondere bei bettlägerigen Patienten eine besondere Gefährdung des Gesundheitszustandes
des Betreffenden mit sich bringen könnte, Es könnten aber auch Rücksichten für die Umwelt zu
einem Einwand der ärztlichen Anstaltsleitung führen, so z. B. bei Infektionskrankheiten. Die
Wahlbehörde sei in einem solchen Fall an das Votum der ärztlichen Anstaltsleitung gebunden. Es
stehe der Wahlbehörde nicht zu, über die Ausübung der Wahl solcher Anstaltsinsassen eine
Entscheidung zu treffen, Doch werde sich die ärztliche Anstaltsleitung stets vor Augen halten
müssen, daß es sich beim Wahlrecht um ein politisches Grundrecht des Staatsbürgers handle, das
nur dann beschnitten werden solle, wenn tatsächlich schwerwiegende medizinische Gründe die
Ausübung dieses Rechtes nicht für angezeigt erscheinen ließen.
Ich vertrete daher gemeinsam mit meinen Mitarbeitern die Ansicht, daß die Beurteilung eines
einschlägigen Sachverhalts mangels anderer positiver Kriterien der ärztlichen Leitung einer
Anstalt vorbehalten bleibt, die freilich ausschließlich nach medizinischen Gründen zur urteilen
haben wird Eine Kontrolle ihres Vorgehens hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen
Zu den Fragen 9 und 10:
Bezüglich dieser Fragen verweise ich Sie auf die Beantwortung der Frage 1 der parlamentarischen
Anfrage Nr, 950/J, weise jedoch besonders daraufhin, daß eine Novellierung oder Streichung der
in Rede stehenden Bestimmungen nicht von meiner diesbezüglichen Bereitschaft, sondern von
einer entsprechenden Entscheidung des
Gesetzgebers abhängt,
Gegen bei der Durchführung einer Wahl unmittelbar getroffene Entscheidungen ist ein abge-
sondertes Rechtsmittel völlig unüblich, Selbstverständlich unterliegt aber eine solche Entschei-
dung im Rahmen der Anfechtung einer Wahl einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfas-
sungsgerichthof.