1843/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dipl. Ing. Prinzhorn, Scheibner und
Kollegen haben am 22. Jänner 1997 unter der Nr. 1833/J an mich eine
schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Novellierungsbedürftigkeit
des Kriegsmaterialgesetzes gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:
"1. Wurde der Ankündigung, die geltenden Regelungen zu überprüfen,
folgegeleistet, oder wurde diesbezüglich seit dem Sommer 1996 nichts
unternommen? Wenn ja, in welchen Bereichen werden Sie das Kriegs-
materialgesetz einer Änderung zuführen? Welche Bundesminister
wurden mit der Ausarbeitung von Änderungen betraut? Gab es dies-
bezüglich bereits Gespräche mit dem Koalitionspartner? Ist eine Re-
gierungsvorlage in Ausarbeitung? Wenn nein, warum wurde nichts
unternommen?
2. Welche Überlegungen liegen der angekündigten Änderung zugrunde?
Sind die Voraussetzungen, die damals zur Schaffung dieses Bundes-
gesetzes führten, noch gegeben?
3. Beabsichtigen Sie, die diesbezüglichen österreichischen Regelungen
denen der Schweiz und Schwedens anzugleichen, um Wettbewerbs-
nachteile der heimischen Waffenhersteller zu
beseitigen?
4. Entsprechen die österreichischen Regelungen den Gesetzesbestim-
mungen anderer Mitglieder der Europäischen Union? Sollen unsere
Bestimmungen europäischen Standards angeglichen werden?
5. Soll eine Liberalisierung des Kriegsmaterialgesetzes die Exportmög-
lichkeiten der heimischen Waffenproduzenten stärken und somit
Arbeitsplätze sichern?
6. Wieviele Bewilligungen wurden in den letzten fünf Jahren gemäß § 3
Abs. 3 und § 4 Kriegsmaterialgesetz widerrufen? Wie hoch schätzen
Sie den wirtschaftlichen Schaden, der österreichischen Waffenher-
stellern dadurch erwuchs, aufgrund konkreter Daten ein? Können Sie
den Folgeschaden, der dem Handel mit zivilen Gütern dadurch er-
wächst, wertmäßig beziffern?
7. Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um das Prüfungsverfahren für
den Export von Kriegsmaterial, das sich in manchen Fällen über sechs
Monate hinzieht, zu beschleunigen?
8. Beabsichtigen Sie, das Prüfungsverfahren, in das das Verteidigungs-
ministerium, das Außenministerium, das Innenministerium und Sie mit
einbezogen sind, zu vereinfachen?
9. Welche Beurteilungen lagen dem Umstand zugrunde, daß Jordanien,
wohin im Jahr 1996 Kriegsmaterial geliefert wurde, den Anforderungen
des Kriegsmaterialgeselzes entspricht, während Saudi-Arabien, das
ebenfalls von heimischen Waffenherstellern beliefert werden sollte, den
notwendigen Anforderungen nicht entspricht?
10. Wurde eine Liste von Ländern, an die eine Lieferung von Kriegsmaterial
verboten ist, formuliert? Falls ja, wer erstellt und aktualisiert sie? Falls
nein, warum gibt es eine derartige Liste nicht?"
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Einleitend weise ich darauf hin, daß die Novellierung des Kriegsmaterial-
gesetzes an sich nicht einen Gegenstand der Vollziehung meines Wir-
kungsbereiches nach Art. 52 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz bildet. lm
Hinblick auf die zitierten Aussagen meines Amtsvorgängers
Dr. VRANITZKY sowie aufgrund der aus der Anhörung des Bundeskanzlers
nach § 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes
über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von
Kriegsmaterial, BGBl.Nr. 540/1977 in der geltenden Fassung, resultieren-
den Erfahrungen möchte ich aus der Sicht meines Wirkungsbereiches
jedoch folgendes grundsätzlich festhalten:
Zu den Fragen 1, 3 bis 5, 8 und 10:
Die zur Vollziehung des Bundesgesetzes über die Ein-, Aus- und Durchfuhr
von Kriegsmaterial zuständigen Fachressorts sind laufend bemüht, die
internationalen, völkerrechtlichen und humanitären Entwicklungen betref-
fend die Herstellung und den grenzüberschreitenden Verkehr von Kriegs-
material zu verfolgen und das österreichische Kriegsmaterialrecht in diesem
Licht zu überprüfen. Besondere Aufmerksamkeit wird naturgemäß der Zu-
sammenarbeit auf europäischer Ebene in den EU-Ratsarbeitsgruppen
COARM und POLARM eingeräumt, zumal man dort unter anderem bestrebt
ist, das jeweils national - mehr oder weniger unterschiedlich - geregelte
Kriesgsmaterialrecht in materieller Hinsicht weiter anzugleichen sowie
allenfalls verfahrensmäßig zu vereinfachen. Im Wege eines praktischen
Erfahrungs- und Informationsaustausches sowie gemeinsamer Diskussion
der politischen und menschenrechtlichen Situation von dritten Bestim-
mungsländern unternimmt man den Versuch, die konkrete Ausfuhrpolitik im
Lichte der vom Europäischen Rat im Juni 1991 in Luxemburg und der vom
Europäischen Rat im Juni 1992 in Lissabon erstellten "Gemeinsamen
Kriterien für Waffenexporte" zu vereinheitlichen.
Festzuhalten ist auch, daß Österreich zu jenen westeuropäischen Staaten
zählt, die den Kreis der Bewilligungspflichten relativ eng gezogen haben.
Während nach dem österreichischen Kriegsmaterialrecht die Bewilligungs-
pflicht auf die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial beschränkt ist,
ziehen andere Rechtsordnungen den Kreis der Bewilligungspflichten teil-
weise viel weiter: So sind zum Teil etwa die
Herstellung (z.B. Deutschland,
Schweden, Schweiz, USA), der bloße Handel (z.B. Deutschland, Schweiz),
die Vermittlung von Auslandsgeschäften (z.B. Deutschland, Schweiz), die
Beförderung auch innerhalb des Bundesgebietes (z.B. Deutschland) sowie
der Abschluß bestimmter Kooperationsverträge (z.B. USA) bewilligungs-
pflichtig.
Die inhaltlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung in den Rechtsord-
nungen westeuropäischer Staaten sind im großen und ganzen als gleich-
artig zu beurteilen. Regelmäßig stehen die Einhaltung völkerrechtlicher
Verpflichtungen, die Wahrung außen- und sicherheitspolitischer Interessen
und das Bestehen von gefährlichen Spannungen oder von schweren
Menschenrechtsverletzungen im potentiellen Destinationsstaat einer
Bewilligung entgegen.
Die grundsätzliche Übereinstimmung der Bewilligungsvoraussetzungen
spiegelt sich auch in den im Rahmen der damaligen KSZE im Jahr 1993
angenommenen "Prinzipien betreffend Transfers konventioneller Waffen
und dazugehöriger Technologie" wider. Die Teilnehmerstaaten verpflich-
teten sich, Waffentransfers zu vermeiden, wenn diese der Unterdrückung
von Menschenrechten dienen, internationalen Verpflichtungen des Liefer-
landes zuwiderlaufen, einen bewaffneten Konflikt verlängern oder verschär-
fen, zur Repression verwendet werden oder der Unterstützung des Terroris-
mus dienen könnten. Auch im Rahmen der seinerzeitigen Europäischen
Politischen Zusanmmenarbeit der EG-Mitgliedstaaten wurden in den Schluß-
folgerungen der Europäischen Räte von Luxemburg 1991 und Lissabon
1992 die bereits oben genannten "Gemeinsamen Kriterien für Waffenex-
porte" aufgestellt. Letztere sind nach Art. 4 Abs. 3 der EU-Beitrittsakte mit
1. Jänner 1995 für Österreich übernommen worden und jedenfalls aufgrund
des § 3 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes
über die Ein-, Aus- und Durchfuhr
von Kriegsmaterial auch von der Republik Österreich zu beachten. In einer
deutschen Übersetzung lauten die Gemeinsamen Kriterien wie folgt:
GEMEINSAME KRITERIEN ÜBER DIE WAFFENAUSFUHRPOLITIK
EINES
EWG-MITGLIEDSTAATES IN DRITTSTAATEN
Achtung vor den internationalen Verpflichtungen eines Mitgliedstaates der
Gemeinschaft, im besonderen hinsichtlich der vom Sicherheitsrat der Ver-
einten Nationen und der von der Gemeinschaft verhängten Sanktionen, vor
den Abkommen über die Nichtweiterverbreitung und über andere Gegen-
stände, als auch vor sonstigen internationalen Verpflichtungen;
Achtung vor den Menschenrechten im endgültigen Bestimmungsstaat;
Die innere Lage im endgültigen Bestimmungsstaat als eine Funktion des
Bestehens von Spannungen oder internen bewaffneten Konflikten;
Die Wahrung des regionalen Friedens, der Sicherheit und Stabilität;
Die nationale Sicherheit eines Mitgliedstaates und solcher Territorien, deren
auswärtige Beziehungen in die Verantwortung eines Mitgliedstaates fallen,
sowie auch jene befreundeter und alliierter Staaten;
Das Verhalten eines Käuferstaates im Hinblick auf die internationale Ge-
meinschaft, insbesondere was seine Haltung zu Terrorismus, die Natur
seiner Bündnisse und die Achtung des Völkerrechtes anbetrifft;
Das Bestehen einer Gefahr, daß das Material innerhalb des Käuferstaates
umgelenkt oder unter unerwünschten Bedingungen wiederausgeführt wird;
Die Vereinbarkeit von Waffenausfuhren mit der technischen und wirtschaft-
lichen Fähigkeit des Empfängerstaates unter Bedachtnahme darauf, daß es
wünschenswert ist, daß Staaten ihre legitimen Sicherheits- und Verteidi-
gungsbedürfnisse mit der geringsten Umleitung von menschlichen und
wirtschaftlichen Ressourcen für Rüstung befriedigen.
lch weise im übrigen darauf hin, daß wegen des Vorherrschens absoluter
Versagungsgründe die behördliche Ermessensfreiheit und mithin die Mög-
lichkeit zur Ausübung sogenannter "Einzelfallgerechtigkeit" bei der Erteilung
von Bewilligungen im österreichischen
Kriegsmaterialrecht beschränkt ist.
Die angesprochene rechtspolitische Frage, ob das Bewilligungsverfahren
im österreichischen Kriegsmaterialrecht vereinfacht werden sollte, wird
allenfalls nach dem Abschluß der laufenden Beratungen der EU-Ratsar-
beitsgruppe POLARM über die mögliche Vereinfachung der nationalen
Genehmigungsverfahren innerhalb des EU-Raumes von den zuständigen
Stellen zu beurteilen sein.
Soweit ersichtlich ist, werden "Länderlisten" in westeuropäischen Staaten
offiziell nicht geführt. Die einschlägigen österreichischen Vorschriften sehen
die Führung einer solchen "black list" nicht vor. Die Beurteilung von Be-
willigungsanträgen erfolgt - jedenfalls soweit es sich um die Ausübung des
Anhörungsrechtes des Bundeskanzlers handelt - vielmehr jeweils unter
Bedachtnahme auf die besonderen Umstände des Einzelfalles.
Zu Frage 2:
Wie mein Amtsvorgänger Dr. VRANITZKY zuletzt am 10. Juli 1996 in seiner
Beantwortung der Dringlichen Anfrage betreffend "Immerwährende Neu-
tralität" Österreichs (989/J), ausgeführt hat, ist im Bereich des Kriegs-
materialrechtes "an eine wie immer geartete Anlaßgesetzgebung jedenfalls
nicht gedacht"; vielmehr hat er "in diesem Zusammenhang die Frage auf-
geworfen, inwieweit zum Beispiel Österreichs Mitgliedschaft in der Europäi-
schen Union ein grundsätzliches Überdenken der in Rede stehenden Rege-
lungen nahelegt". Die in der Anfrage getroffene Aussage, wonach eine
Änderung des Kriegsmaterialrechtes angekündigt wurde, trifft mithin nicht
zu. Im übrigen verweise ich auf die vorhergehende Beantwortung der
Fragen 1, 3 bis 5, 8 und 10.
Zu Frage 6:
Hinsichtlich des Widerrufes von Bewilligungen nach dem Bundesgesetz
über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial verweise ich auf die
Zuständigkeit des Bundesministers für Inneres. Auch die Frage betreffend
die widerrufsbedingten wirtschaftlichen Nachteile bildet keinen Gegenstand
der Vollziehung im Bereich des Bundeskanzleramtes nach Art. 52 Abs. 1
Bundes-Verfassungsgesetz.
Zu Frage 7:
ln meinem Wirkungsbereich wurden die erforderlichen Vorkehrungen dafür
getroffen, daß im Zuge der Anhörung des Bundeskanzlers nach § 3 des
Bundesgesetzes über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial nach
Möglichkeit rasch Stellung genommen wird. Wie bereits dargestellt, ist eine
Einzelfallprüfung gesetzlich vorgesehen, was vereinzelt zeitaufwendige
Recherchen notwendig macht, die zu zeitlichen Verzögerungen führen kön-
nen. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß im Sinn der Schlußfolgerungen des
Berichtes des NORICUM-Untersuchungsausschusses, 1235 der Beilagen
zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XVII. Gesetzge-
bungsperiode, Seite 33, von den im Bewilligungsverfahren befaßten Stellen
eine "konsequente und exakte Anwendung" des Bundesgesetzes über die
Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial gefordert ist und Anträge auf
Bewilligung der Ausfuhr von Kriegsmaterial seitens der beteiligten Ressorts
umfassend zu prüfen sind.
Zu Frage 9:
§ 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von
Kriegsmaterial steht der Genehmigung eines Antrages auf Ausfuhr von
Kriegsmaterial dann entgegen, wenn aufgrund
schwerer und wiederholter
Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland die Gefahr besteht, daß
das gelieferte Kriegsmaterial zur Unterdrückung von Menschenrechten
verwendet wird.
Wenngleich Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien
gegeben sind - Tatsache ist, daß nach der ECOSOC-Resolution 1503/1958
ein Verfahren wegen schwerer und systematischer Menschenrechtsver-
letzungen vor der UN-Menschenrechtskommission anhängig ist - und daher
die Vermutung begründet erscheint, daß sich in Saudi-Arabien - im Gegen-
satz zu Jordanien - derzeit schwere und wiederholte Menschenrechtsver-
letzungen im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 3 leg.cit. ereignen, so kann doch nicht
gesagt werden, daß Kriegsmaterialexporte nach Saudi-Arabien aufgrund
der gegebenen Menschenrechtssituation mit der in Österreich geltenden
Rechtslage schlechthin unvereinbar wären. Es hängt nämlich auch wesent-
lich von der Art des Kriegsmaterials ab, ob eine Gefahr anzunehmen ist,
daß das gelieferte Kriegsmaterial zur Unterdrückung von Menschenrechten
verwendet wird. Die Entscheidung über eine Bewilligungserteilung ist daher
jeweils im Einzelfall zu treffen.