1894/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Graf, Haigermoser,

Dr. Ofner und Kollegen haben am 29.1.1997 unter der Nr.

1897/J-NR/97 an mich eine schriftliche Anfrage betreffend Ver-

säumnisse in der Sudetendeutschen Frage gerichtet, welche den

folgenden Wortlaut hat:

"1 . Wurde die Republik Österreich eingeladen, an den Verhand-

lungen teilzunehmen, um im Rahmen derselben die mehr als

160.000 in Österreich lebenden Sudetendeutschen zu vertre-

ten?

Wenn ja, wie wurde von seiten Österreichs auf diese Ein-

ladung reagiert ?

Wenn nein, was wurde unternommen, um zu erwirken, daß

Österreich doch zu den Verhandlungen eingeladen wird bzw.

an ihnen teilnehmen kann?

2 . Ist für die Zukunft geplant, mit der Tschechischen Republik

in solche Verhandlungen einzutreten, wenn ja, welche

Schritte sind in dieser Richtung wann konkret unternommen

worden?

Welches Ziel wird Österreich in diesen Verhandlungen ver-

folgen?

Ist es vorgesehen, Vertreter der Sudetendeutschen in diese

Verhandlungen einzubeziehen?

Wenn nein, warum nicht?

3 . Welche Aktivitäten haben Sie in den vergangenen Jahren in

der Richtung gesetzt, die Aufhebung der nach wie vor

geltenden - in jeder Hinsicht rechtswidrigen, vor allem

auch menschenrechtswidrigen - Benesch-Dekrete, insbesondere

der diesbezüglichen Dekrete Nr. 12 , 33 und 108 , welche zur

Vertreibung und Enteignung der Sudetendeutschen führten,

gesetzt?

4. Welche Aktivitäten werden Sie in dieser Richtung konkret

wann setzen?

5 . Wie wird sich Österreich gegenüber den Bemühungen der

Tschechischen Republik um Aufnahme in die Europäische Union

verhalten, solange die in jeder Hinsicht rechtswidrigen,

vor allem auch menschenrechtswidrigen, Benesch-Dekrete in

Gültigkeit stehen?

Wird sich Österreich in diesem Zusammenhang gegen die Bei-

trittsbemühungen der tschechischen Republik wenden?

Wenn nein, warum nicht, obwohl es unerträglich erschiene,

daß ein Staat, in dem sich derart menschenverachtendes

Rechtsgut in Gültigkeit befindet, Mitglied der Europäischen

Union wird?

6 . Wie beurteilen Sie politisch und rechtlich den Verzicht

eines Staates auf seinen Bürgern zustehende Rechte (Recht

auf Heimat , Recht auf Eigentum etc . ) , welches Ziel offen-

sichtlich durch die zitierte , Deutsch- tschechische Erklä-

rung, erreicht werden soll ;

Werden Sie für den Fall, daß es zu adäquaten Verhandlungen

zwischen Osterreich einerseits und der Tschechischen Repu-

blik andererseits kommen sollte, im Zusammenhang mit den-

selben gleichfalls trachten, auf österreichischen Staats-

bürgern zustehende Rechte verzichten zu können bzw. zu

verzichten?

Wenn ja, warum?

7. Teilen Sie die Ansicht der Anfragesteller, daß begrifflich

und logisch, aber auch rechtlich, auf Rechte, die jemandem

zustehen, allenfalls dieser selbst verzichten kann, und daß

dies kein dritter, auch nicht der Staat, dessen Bürger er

ist, für ihn tun kann?

8. Teilen Sie darüber hinaus die einhellige Rechtsauffassung,

daß es sich beim Selbstbestimmungsrecht überhaupt um ein

unverzichtbares Recht handelt, auf das niemand für Dritte,

aber auch niemand für sich selbst und vor allem niemand für

seine Kinder und Kindeskinder rechtswirksam verzichten

kann?"

Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten.

ad 1 und 2

Nein. Die Verhandlungen über die "deutsch-tschechische Erklä-

rung über die gegenseitigen Beziehungen und deren zukünftige

Entwicklung" sind vor dem politischen und historischen Hinter-

grund der leidvollen deutsch-tschechischen Beziehungen zu

sehen, von dem sich das österreichisch-tschechische Verhältnis

grundlegend unterscheidet .

ad 3 und 4

Österreich hat seine ablehnende Haltung gegenüber den Benesch-

Dekreten der tschechischen Seite immer wieder zur Kenntnis

gebracht und wird diese Haltung auch weiterhin vertreten.

Die "deutsch-tschechische Erklärung" hält fest, daß "jede Seite

ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß

die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten

erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der

Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen

belasten werden. "

ad 5)

Österreich ist in konsequenter Fortsetzung seiner Nachbar-

schaftspolitik, die nachhaltig zur Wende in Osteuropa beige-

tragen hat, und im Interesse der Sicherheit und Stabilität

Europas bestrebt, die EU-Beitrittsbemühungen der mittel- und

osteuropäischen Staaten zu unterstützen. Die Erweiterung der EU

als Kernpunkt der fortschreitenden Integration Europas bietet

die beste Gewähr, um den Frieden auf unserem Kontinent zu

stärken und den Gefahren des Nationalismus, der zum 11. Welt-

krieg und seinen schrecklichen Folgen geführt hat, wirksam

entgegenzutreten.

ad 6 und 7

Bundeskanzler Kohl hat in seiner Regierungserklärung vom

30.1.1997 u.a. festgestellt: "In der Vermögensfrage bleibt jede

Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet und respektiert, daß die

andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat" . Auf eine Frage

hat der Bundeskanzler in einer Pressekonferenz erklärt, daß die

Vermögensfrage offen bleibt.

ad 8

Die auch von Österreich unterzeichnete "Pariser Charta für ein

neues Europa" der OSZE stellt zum Selbstbestimmungsrecht fol-

gendes fest:

"Wir bekräftigen die Gleichberechtigung der Völker und ihr

Selbstbestimmungsrecht in Übereinstimmung mit der Charta der

Vereinten Nationen und den einschlägigen Normen des Völker-

rechts, einschließlich jener, die sich auf die territoriale

Integrität der Staaten beziehen. "