194/AB

 

 

                   An den                                                                                                                                           

 

Herrn Präsidenten des Nationalrates

 

Parlament 1017 Wien

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Jörg Haider und Genossen haben am 29. 2. 1996 unter der Nummer 246/J-NR/1996 an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Konver­genzkriterien und Arbeitslosigkeit gerichtet, welche den fol­genden Wortlaut hat:

 

111)       Werden Sie sich dafür einsetzen, daß die in Art. 109j EG-Vertrag angeführten Konvergenzkriterien, welche die Gemeinschaft bei der Beschlußfassung über den Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion leiten sollen, in Bezug auf die Arbeitslosenquote ergänzt werden, das heißt, etwa in einer Klausel hinsichtlich einer maxi­malen Neuverschuldung von drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes investive Ausgaben für Arbeitsplatz­beschaffung nicht enthalten sind?  Wenn nein, aus welchen konkreten Gründen nicht?

 

2)      würde durch eine solche Maßnahme den Anstrengungen der Mit­gliedstaaten im Bereich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht eine höher e Glaubwürdigkeit verschafft?  Wenn nein,

 

warum nicht?

 

3)       Was halten Sie von der Idee, daß Vollbeschäftigung als Zielbestimmung im EU-Vertrag verankert wird?

4)       Welche konkreten Vorteile und welche konkreten Auswirkungen auf Beschäftigungsmaßnahmen würde eine solche Verankerung im EU-Vertrag mit sich bringen?

 

5)       Was halten Sie von der Idee, Sanktionen für jene Länder der Europäischen Union einzufahren, die vorher festgesetzte Beschäftigungsziele nicht erreicht haben?

 

6)       Um welche Formen von Sanktionen könnte es sich dabei han­deln?

 

7)       Welche sonstigen Maßnahmen und Initiativen wird Österreich, auch im Rahmen der Europäischen Union, ergreifen, damit ein weiteres Anwachsen der Arbeitslosigkeit, das auch im Falle des fristgerechten Übergangs in die 3. Stufe der WWU und infolge der Notwendigkeit, das Dauerkriterium 60 % Schul­denstand zu erfüllen, nicht auszuschließen ist, vermieden wird?"

 

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu Frage 1:

 

Die Beschäftigungspolitik hat in der Gemeinschaft in letzter zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen.  Dies findet Ausdruck im Weißbuch der Kommission zu Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung bzw. in den Maßnahmen, die im Rahmen des "follow up" des Europäischen Rats in Es sen gesetzt wurden.  Um lang­fristig sicherzustellen, daß die Beschäftigungspolitik in Europa die ihr zukommende Bedeutung erhält, wird sich Öster­reich im Rahmen der Regierungskonferenz nachhaltig für die Auf­nahme beschäftigungspolitischer Zielsetzungen in den Vertrag einsetzen.

 

Um dem Stellenwert der Beschäftigungspolitik Rechnung zu tra­gen, ist es sinnvoller, den Vertrag explizit in dieser Hinsicht zu ergänzen, als beschäftigungspolitische Überlegungen in Form von investiven Ausgaben für Arbeitsplatzbeschaffung lediglich als Zusatz zu einem Kriterium aufzunehmen.  Es würden daraus folgende Probleme entstehen:

 

Die Schwierigkeit, daß beschäftigungspolitische Maßnahmen möglich, aber nicht verbindlich sind, wäre weiterhin nicht gelöst.  Darüber hinaus würde sich ein massives Abgrenzungsproblem stellen.  Ausgaben für Arbeitsplatzbeschaffung können verschie­denartige Charakteristika aufweisen (z.B. Öffentliche Investi­tionen, Steigerung der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, Ruhestandsregelungen, aktive Arbeitsmarktpolitik etc.), wobei jedoch eine exakte Abgrenzung dieser Ausgaben von anderen nicht möglich ist.  Weiters könnte eine solche Regelung in Wirklich­keit dazu führen, daß das Neuverschuldungskriterium vollständig an Aussagekraft verliert, da die verschiedensten Ausgaben ein­fach als "investive Ausgaben für Arbeitsplatzbeschaffung" de­klariert werden könnten.

 

Letztlich würde die Aufnahme dieses Vorschlags eine Aufweichung der Konvergenzkriterien bedeuten.  Die Konvergenzkriterien sind aber für die Sicherstellung einer ausreichenden wirtschaft­lichen Stabilität in der Währungsunion unverzichtbar.  Durch eine Veränderung der Kriterien würden aber auch große Unsicher­heiten auf politischer und wirtschaftlicher Ebene entstehen.  Die Verwirklichung der Währungsunion und die europäische Inte­gration in ihrer Gesamtheit könnten damit gefährdet werden.

 

Zu Frage 2:

 

Ich bin der Ansicht, daß die Aufnahme einer solchen Klausel die Glaubwürdigkeit nicht erhöhen würde.  Wie bereits in der Beant­wortung der Frage 1 ausgeführt, wäre die Bekämpfung der Arbeits­losigkeit nur ein fakultativer Zusatzpunkt zu den budgetären Maßnahmen.  Im Gegensatz dazu trete ich für Maßnahmen ein, die die Beschäftigungspolitik wesentlich mehr in den Mittelpunkt

 

der Wirtschaftspolitik der EU und ihrer Mitgliedstaaten rücken und an Verbindlichkeit gewinnen.  Im übrigen verweise ich auf die Beantwortung der Fragen 3 und 4.

 

Zur Frage 3:

 

Die Bundesregierung hat sich seit längerem intensiv mit dieser Frage befaßt und konkrete Vorschläge ausgearbeitet, wie das Ziel der Vollbeschäftigung am besten im EU-Vertrag verankert werden kannte.  Im Art. 2 des Vertrags sollte der Begriff "hohles Beschäftigungsniveau" durch den Begriff "Vollbeschäftigung ersetzt werden.  Dies wäre aber nur ein erster Schritt.  Um eine wirksame Grundlage zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu schaffen, ist es notwendig, den in Art. 3 des Vertrags bestimm­ten Tätigkeitsbereich der Union um die Aufgabe der Beschäfti­gungspolitik und Koordinierung der Arbeitsmarktpolitiken zu er­weitern.

 

Zu Frage 4:

 

Die bereits erwähnten Maßnahmen würden das gegenwärtige Un­gleichgewicht zwischen monetären und realwirtschaftlichen Zielen korrigieren und somit die Bedeutung der Beschäftigungs­politik erheblich stärken.  Der verbindliche Charakter des Be­schäftigungsziels wurde zwangsläufig verstärkte Maßnahmen auf diesem Gebiet nach sich ziehen, genauso wie die Verankerung der Maastricht-Kriterien zu vermehrten Anstrengungen der Mitglied­staaten bei der Inflations- und Defizitbekämpfung geführt hat.  Zudem sind die in der Beantwortung der Fragen 5 und 6 ange­sprochenen politischen Sanktionen geeignet, den notwendigen Druck zur Umsetzung beschäftigungspolitischer Maßnahmen zu erzeugen.

 

Zu den Fragen 5 und 6:

 

Die Durchführung - das heißt, konkrete verbindliche Zielsetzun­gen, ein effizientes überwachungsverfahren, institutionelle Vorkehrungen - dieser Aufgaben sollte ebenfalls im Vertrag ge­regelt sein.  Das Überwachungsverfahren sollte folgende Vor­gangsweise vorsehen: Die Mitgliedstaaten müssen verbindliche

 

Programme, in denen sie ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der Ar­beitslosigkeit darstellen, zur Beurteilung vorlegen.  Damit sollen die strukturellen Anreize wesentlich verstärkt werden, die auf europäischer Ebene festgelegten Zielsetzungen - wie sie insbesondere im Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Be­schäftigung" enthalten sind - auf mitgliedstaatlicher Ebene konsequenter und kohärenter umzusetzen.  Im Fall wesentlicher Abweichungen von den Leitlinien bzw.  Beschäftigungsprogrammen erscheint es zweckmäßig, politische Sanktionen zu verhängen.  Zur Unterstützung des Europäischen Rates in Fragen der Beschäf­tigungspolitik soll ein Ausschuß für Beschäftigungs- und Ar­beitsmarktpolitik nach dem Vorbild des Währungsausschusses ein­gerichtet werden.

Zu Frage 7:

 

Es ist zu erwarten, daß die Währungsunion dazu beitragen wird, daß mittel- und langfristig Arbeitsplätze gesichert und ge­schaffen werden.  Zusätzlich wird durch die Verwirklichung der oben genannten Maßnahmen ebenfalls ein Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit geleistet werden. Österreich hat bereits vor einem Jahr die Initiative ergriffen, diese Vorschläge auf euro­päischer Ebene weiter auszuarbeiten und zu konkretisieren.

 

Österreich arbeitet selbstverständlich auch intensiv an der Um­setzung der Initiativen mit, die bereits auf Gemeinschaftsebene gesetzt wurden und vor allem in den Schlußfolgerungen des Euro­päischen Rats von Essen zum Ausdruck kommen.  Auf innerstaat­licher Ebene hat die österreichische Bundesregierung bekannt­lich eine "Offensive für mehr Wachstum und Beschäftigung" be­schlossen, in deren Mittelpunkt Exportförderung, Infrastruk­turinvestitionen, Förderung von Unternehmensgründungen, Maß­nahmen im Bereich der Aus- und Weiterbildung etc. stehen.

 

Der Bundesminister

für auswärtige Angelegenheiten