1947/AB XX.GP

 

Schriftliche Anfrage der

Abgeordneten Pollet-Kammerlander,

Freundinnen und Freunde Zl. 1941/J vom 12.2.1997

an den Bundesminister für auswärtige

Angelegenheiten betreffend Verhalten des

österreichischen Botschafters in Chile nach

dem Pinochet-Putsch

Die Abgeordneten zum Nationalrat Pollet-Kammerlander, Freundinnen

und Freunde haben am 12. Februar 1997 unter No. 1941/J an mich eine

schriftliche Anfrage betreffend das Verhalten des österreichischen Bot-

schafters in Chile nach dem Pinochet-Putsch gerichtet, welche folgenden

Wortlaut hat:

1. Stimmt die Aussage, daß dem damaligen österreichischen Botschafter

seitens des österreichischen Außenamtes verboten wurde, gegen diese

schwere Verletzung der diplomatischen Immunität zu protestieren?

Oder stimmt es, wie in einem Schreiben des Außenamtes vom 13. Jän-

ner 1977 (gezeichnet von Dr. W. Köffler) behauptet, daß die österrei-

chische Botschaft Santiago wegen dieses Vorfalls bei den chilenischen

Stellen umgehend vorstellig geworden sei und protestiert habe? Wie

erklären Sie diese widersprüchlichen Aussagen bzw. wie lautete die

Weisung des Außenamtes?

2. Wieviele der angeführten asylsuchenden Personen sind damals ver-

schwunden ?

3. Was hat der damalige Botschafter in der besagten Nacht unternommen,

als zwei Dutzend Chilenen in der bulgarischen Botschaft, die damals

unter Österreichs diplomatischem Schutz stand, Asyl suchten ? Wie hat

das Außenamt auf das Verschwinden dieser Personen reagiert ? Wel-

che Konsequenzen hatte der Vorfall für den damaligen Botschafter?

4. Wie stellen sich die Vorkommnisse lt. Akten des Außenministeriums

dar ?

Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:

Zunächst möchte ich ganz allgemein festhalten, daß es angesichts des

Zeitablaufs von mehr als 20 Jahren nicht immer möglich war, den Lauf

der Ereignisse, die den Gegenstand der Anfrage bilden, eindeutig zu re-

konstruieren. In den nachstehenden Antworten wurde jedenfalls gewis-

senhaft versucht, anhand der Aktenlage und auch aufgrund von Gesprä-

chen mit Personen (soweit diese greifbar waren bzw. überhaupt noch am

Leben sind), die an den damaligen Geschehen beteiligt waren, eindeutige

Fakten wiederzugeben. Vor allem der Ablauf der Ereignisse in der fragli-

chen Nacht des Juni 1976 ist nicht mehr hundertprozentig eindeutig in

allen Einzelheiten nachzuvollziehen.

ad 1):

In den Tagen unmittelbar nach dem Versuch einiger Personen, in der

ehemaligen bulgarischen Residenz - die von Österreich als Schutzmacht

mit übernommen worden war und von einem verbliebenen bulgarischen

Botschaftsbeamten bewohnt und betreut wurde - Asyl zu nehmen, war die

entscheidende Frage, ob nämlich die chilenische Polizei tatsächlich in die

Residenz eingedrungen war, zunächst nicht klar. Auch in der ersten Be-

richterstattung der ÖB Santiago konnte die Frage eines Verstosses gegen

die Unverletzlichkeit des Gebäudes nicht eindeutig beantwortet werden.

Botschafter Ségur empfahl jedenfalls für den Fall, daß ein gewaltsames

Eindringen festgestellt werden sollte, Protest mittels Verbalnote bei den

chilenischen Behörden zu erheben. Angesichts der Unklarheit der Sachla-

ge wurde die ÖB Santiago angewiesen, lediglich mündlich (und nicht mit

schriftlicher Protestnote) gegenüber der chilenischen Seite vorzubringen,

daß "bisher starke Indizien vorlägen, wonach sich die chilenische Polizei

einer flagranten Verletzung der Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten ei-

ner diplomatischen Mission schuldig gemacht habe". Dieser Weisung ent-

sprach der österreichische Botschafter in Santiago und berichtete über

sein Gespräch mit dem Generalsekretär des chilenischen Außenministeri-

ums, daß dieser erklärt habe, eine Studie des (chilenischen) Außenmini-

steriums habe ergeben, daß die Räumlichkeiten von ehemaligen Bot-

schaftsgebäuden (also solchen, die Staaten gehören, die keine diplomati-

sche Beziehungen mit Chile unterhalten und die von Schutzmächten ver-

waltet wurden) nicht exterritorial seien. Dies sei laut Generalsekretär des

chilenischen Außenministeriums aber nur eine Vorausinformation und

nicht so zu verstehen, "daß sich die chilenischen Behörden derzeit be-

rechtigt fühlen, in die Räumlichkeiten von Ex-Botschaften einzudringen".

. Als zwei Monate später, im August 1976, aufgrund eines Gesprächs zwi-

schen Botschafter Ségur und einer Frau, die zur Gruppe der Personen ge-

hörte, die Asyl in der bulgarischen Residenz gesucht hatte, feststand, daß

chilenische Polizeikräfte tatsächlich in die bulgarische Residenz einge-

drungen waren, erschien es dem Bundesministerium für auswärtige An-

gelegenheiten wegen des Zeitablaufs nicht mehr angezeigt, jetzt noch

formal zu protestieren. Ein indirekter Protest war ja bereits erfolgt.

Angesichts der Sachlage und des Umstands, daß gleichzeitig ein Asylfall

in der Österreichischen Botschaft einer Lösung harrte (Fall Penailillo) und

die Lösung dieses Falles nicht gefährdet werden sollte, erschien die Re-

aktion angemessen.

Das in der Anfrage erwähnte Schreiben vom 13. Jänner 1977, "wonach

die österreichische Botschaft Santiago wegen dieses Vorfalls bei den chi-

lenischen Stellen umgehend vorstellig geworden sei und protestiert habe",

bezieht sich auf die bereits erwähnte Vorgangsweise des mündlichen

Vorbringens. Somit handelte einerseits Botschafter Dr. Ségur weisungs-

gemäß, andererseits ist aber auch das Schreiben, auf das sich die parla-

mentarische Anfrage bezieht, richtig, denn ein indirekter Protest war von

Bot. Ségur, wie erwähnt, in der Tat vorgebracht worden.

ad 2):

Die asylsuchenden Personen wurden am 16. Juni 1976 mit Dekret des

chilenischen Innenministeriums freigelassen. Jedenfalls einer von ihnen

(Raul Guillermo Cornejo Campos, der mit Dekret des Innenministeriums

D/E Nr. 21 15 6reigelassen wurde) wurde dann von der chilenischen Ge-

heimpolizei DINA wieder verhaftet. Über die genaue Zahl von nach der

Freilassung Verschwundenen verfügt das Bundesministerium für auswär-

tige Angelegenheiten keine Informationen.

Ad 3):

Die Angehörigen der österreichischen Botschaft bemühten sich fortge-

setzt und eingehend um eine Klärung der Frage. Wie schon erwähnt, wur-

de die bulgarische Residenz lediglich von einem bulgarischen Botschafts-

angehörigen bewohnt. Als Angehörige der österreichischen Botschaft am

15. Juni 1976 von dem Versuch einiger Personen erfuhren, in der bulgari-

schen Residenz Asyl zu nehmen, begaben sie sich sogleich an Ort und

Stelle. Botschafter Ségur und zwei weitere Angehörige der österreichi-

schen Botschaft langten um etwa 23:15 Uhr bei der bulgarischen Resi-

denz ein. Der bulgarische Beamte, der das Gebäude bewohnte, war be-

reits ebenso wie mehrere uniformierte Polizisten, an Ort und Stelle.

Der bulgarische Beamte, der sich möglicherweise subjektiv bedroht fühl-

te, wollte erreichen, daß die Asylanten möglichst sofort das Gebäude wie-

der verließen. Botschafter Ségur untersagte dem bulgarischen Beamten

jedoch jegliche Aktion ohne vorherige Weisung aus Wien.

Die Asylanten wollten sodann eine Aussprache mit Botschafter Ségur im

Gebäude, aus Sicherheitsgründen bestand der Botschafter aber auf einem

Gespräch im Freien und zwar im Garten. Es kam schließlich zu keiner Ei-

nigung über die Gesprächsmodalitäten und der Bulgare (anscheinend

nach einem Handgemenge mit den Asylanten) und etwas später Bot-

schafter Ségur verließen das Areal.

Am folgenden Vormittag stellte sich nach einem Gespräch mit dem zu-

ständigen Kommissär heraus, daß niemand mehr in der Residenz war.

Auf die Frage, wie das geschehen sei, erwiderte er, er wisse es nicht, in

der letzten Nacht habe die Kriminalpolizei die Wache übernommen. Es

blieb also unklar, auf welche Weise die Asylanten das Gebäude verlassen

hatten.

Zur Frage, wie das Außenamt auf das "Verschwinden dieser Personen"

reagiert hat, ist nochmals zu erwähnen, daß die Asylanten am 16. Juni

1 976 freigelassen wurden.

Bezüglich jenes Asylanten, von dem feststeht, daß er nach seiner Freilas-

sung wieder verhaftet wurde (Raul Cornejo Campos), hat das Außenmini-

sterium viele Male bei den chilenischen Stellen interveniert.

Aufgrund einer Eingabe von dritter Seite, in der die Behauptung aufge-

stellt wurde, Botschafter Ségur habe sich im Zusammenhang mit dem Fall

Cornejo Campos unkorrekt verhalten, wurde ein Disziplinarverfahren ge-

gen Botschafter Ségur eingeleitet, das mit einem Freispruch endete, da

keinerlei Dienstpflichtverletzungen des Genannten festgestellt werden

konnten.

Ad 4):

Dazu verweise ich auf die Antwort zu den vorherigen Fragen.