2288/AB XX.GP
An den
Herrn Präsidenten des Nationalrates
zur Zahl 2305/J-NR/1997
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und Genossen haben an
mich eine schriftliche Anfrage, betreffend Weisung des Justizministeriums an die
Staatsanwaltschaft Graz, gerichtet und folgende Fragen gestellt:
"1 . Ist es richtig, daß das Justizministerium eine Weisung erteilte, die Ermittlungen
gegen den Chirurgen Dr. M. H. einzustellen?
2. Wenn ja, mit welcher Begründung?
3. Gibt es dazu ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Verstoßes nach dem Ärzte-
gesetz?
4. Wer hat lhrer Meinung nach zu entscheiden, ob ein Täter zu therapieren oder
anzuzeigen und damit zu strafen sei?
Ist es der Arzt oder die Justiz?
5. Bekennen Sie sich zur Anzeigeverpflichtung nach dem Ärztegesetz bei
(schweren) Kindesmißhandlungen?
6. Wie oft hat das Justizministerium in den letzten 5 Jahren Weisungen erteilt, Er-
mittlungen gegen Ärzte einzustellen, die ihrer gesetzlichen Anzeigeverpflich-
tung bei Kindesmißhandlungen nicht
nachgekommen sind?
7. In wievielen Fällen haben in den letzten fünf Jahren Ärzte bei Kindermißhand-
lungen Anzeige erstattet?',
Ich beantworte diese Fragen wie folgt:
Zu 1 und 2:
Mit Erlaß des Bundesministeriums für Justiz vom 1. April 1997 wurde die Ober-
staatsanwaltschaft Graz unter Bezugnahme auf § 29 Abs. 1 des Staatsanwalt-
schaftsgesetzes ersucht, die Staatsanwaltschaft Graz anzuweisen' das Strafverfah-
ren gegen Dr. M.H. und Dr. H.S. wegen des angenommenen Verdachtes des Ver-
gehens der Begünstigung nach § 299 Abs. 1 StGB gemäß § 90 Abs. 1 StPO zu be-
enden. Die Verwirklichung des Tatbestandes der Begünstigung nach § 299
Abs. 1 StGB erfordert, daß es dem Täter darauf ankommen muß, die Vereitelung
der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung zu bewirken. Es ist daher Absicht im Sin-
ne des § 5 Abs. 2 StGB gefordert, die den Ärzten im vorliegenden Fall schon des-
halb nicht unterstellt werden kann, weil therapeutische Überlegungen zum Wohl des
Kindes für die Unterlassung der Anzeige ausschlaggebend waren (vgl. SCHICK, Zur
Anzeigepflicht der Ärzte, Festschrift MOOS (1997) Seiten 303 ff. und 311).
Zu 3 und 5:
Das Ärztegesetz fällt nicht in meinen Vollziehungsbereich, sodaß mir eine Beantwor-
tung dieser Fragen nicht zusteht.
Zu 4:
Nach § 86 Abs. 1 der Strafprozeßordnung ist, "wer immer von einer strafbaren
Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist' Kenntnis erlangt, ... berechtigt, sie
anzuzeigen". Es ist daher grundsätzlich die Entscheidung jedes Einzelnen, ob bzw.
wann er Anzeige erstatten will. Bei den sogenannten "Kindesmißhandlungen" sollte
das Wohl des Kindes das ausschlaggebende Moment sein.
Zu 6:
Derartige Weisungen hat das Bundesministerium
für Justiz nicht erteilt; auch im vor-
liegenden Fall ist eine derartige Weisung nicht ergangen, ist doch die (bloße) Verlet-
zung der Anzeigepflicht nach § 27 Ärztegesetz keine gerichtlich strafbare Handlung.
Vielmehr ging es - wie bereits oben ausgeführt - um die Beendigung des wegen
Verdachtes des Vergehens der Begünstigung nach § 299 StGB geführten Strafver-
fahrens.
Zu 7:
Über die Zahl der von Ärzten bei Kindesmißhandlungen erstatteten Anzeigen liegen
dem Bundesministerium für Justiz keine statistischen Aufzeichnungen vor. Das Bun-
desministerium für Justiz hat jedoch aus Anlaß der vorliegenden Anfrage Berichte
sämtlicher Staatsanwaltschaften eingeholt. Von den eingelangten Berichten gebe
ich im folgenden die Ausführungen der Staatsanwaltschaft Salzburg wieder, in de-
nen die der Beantwortung dieser Frage entgegenstehenden Schwierigkeiten zutref-
fend dargestellt werden :
"Die Frage, in wievielen Fällen in den letzten fünf Jahren Ärzte bei Kindesmißhandlungen Anzeige er-
stattet haben, kann nicht beantwortet werden. Kindermißhandlungen können in verschiedener Weise
erfolgen und daher auch in verschiedener Weise angezeigt werden, wie beispielsweise als sexueller
Mißbrauch oder als Quälen von Minderjährigen nach § 92 StGB oder auch - in häufigen Fällen - als
Körperverletzung nach §§ 83 ff. StGB. Die Anzeigen erfolgen regelmäßig zunächst bei den Sicher-
heitsdienststellen, die nach Erhebungen Anzeige bei den Anklagebehörden erstatten. In den Regi-
stern der Staatsanwaltschaft ist daher regelmäßig die Sicherheitsdienststelle (Gendarmerieposten,
Landesgendarmeriekommando, Bundespolizeidirektion) als Anzeiger verzeichnet. Auch eine Differen-
zierung nach der Groß- oder Minderjährigkeit des Opfers eines Verletzungsdeliktes wird im Register
nicht vorgenommen. Man könnte also nur durch die Überprüfung jedes einzelnen Aktes den "ur-
sprünglichen" Anzeigerarzt und das minderjährige Opfer feststellen."
Nach der bereits in die Wege geleiteten bundesweiten Umstellung der Register der
Staatsanwaltschaften auf automationsunterstützte Datenverarbeitung werden sich
Auswertungsmöglichkeiten ergeben, durch die voraussichtlich auch Fragen wie die
vorliegende beantwortet werden können.