2344/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Anschober, Freundinnen und Freunde ha-

ben am 30. April 1997 unter der Nr. 2343/J an mich eine schriftliche parlamen-

tarische Anfrage betreffend "Tod der Kreuzzugspolitik Österreichs gegen die

Kernenergie" gerichtet' die folgenden Wortlaut hat:

"1 . Ist es üblich' daß Sektionschefs in den Medien Erklärungen über neue

Positionen Österreichs in wesentlichen Politikbereichen abgeben?

2. Wurde diese Erklärung des Sektionschef Zluwa, wonach "die Kreuzzugs-

politik Österreichs gegen die Kernenergie tot ist", mit Ihnen bzw. innerhalb

der Bundesregierung akkordiert?

3. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Erklärung?

4. Wurde diese neue österreichische Position gegenüber der EU und den

betreffenden kernenergienutzenden Ländern in Osteuropa bereits dar-

gestellt?

5. In welchen relativen nationalen, internationalen und bilateralen Gremien

und zu welchen Anlässen wurden seitens des Sektionschefs Zluwa bereits

gleichlautende Erklärungen abgegeben?

6. Wann haben Sie sich zuletzt für die Schaffung eines kernenergiefreien Mit-

teleuropas ausgesprochen und welche diesbezüglichen Aktivitäten haben

Sie zuletzt gesetzt, bzw. welche konkreten programmatischen und strate-

gischen Punkte zum Erreichen dieser Zielsetzung sind darin enthalten?

7. Was ist der genaue Zeitplan zur Behandlung der Frage des Umganges mit

den sogenannten "Ost-AKW, im Rahmen der geplanten Osterweiterung der

EU?

8. In welchen nationalen, internationalen bilateralen und/oder EU-Gremien

wurde bzw. wird diese Thematik behandelt, wer nahm bzw. nimmt seitens

Österreich daran teil, welche Positionen wurden bzw. werden dabei ver-

treten und welche Reaktionen wurden dabei hervorgerufen?

9. Teilen Sie die Einschätzung des EU-Direktors Benavides Salas, wonach

Österreichs Position zur Zukunft der osteuropäischen Kernkraftwerke im

Rahmen der Osterweiterung der EU eine große Rolle spielen werde (Der

Standard' 28. April 1997)?

10. Wie ist Ihre Position zu den Beschlüssen der Landtage Oberösterreichs

und Salzburgs bezüglich Abschluß von "Atomverträgen" als Voraussetzung

für eine Zustimmung Österreichs zu einem möglichen EU-Beitritt Tschechi-

ens oder der Slowakei?

11 . Welche Aktivitäten im Sinne diverser Parlamentsbeschlüsse zur Änderung

von Euratom, zur Widmung von EU-Finanzierungsinstrumenten für die Er-

stellung und Umsetzung von Atom-Ausstiegskonzepten in Ostmitteleuropa,

bzw. im Zusammenhang mit dem von verschiedenen Seiten geforderten

Abschluß von Atomverträgen im Rahmen der EU-Osterweiterung werden

Sie speziell anläßlich der österreichischen EU-Präsidentschaft im Jahr

1998 setzen, und welche Vorarbeiten dazu wurden bereits geleistet?

12. Was ist die österreichische Position im Rahmen der Erstellung des "Grund-

satzpapieres der EU-Kommission" zur Zukunft der osteuropäischen Kern-

kraftwerke bzw. zum neuen Nuklearprogramm der EU-Kommission, PINC'

in dem unter anderem der Bau eines "Euro-Reaktor-Prototyps" für die näch-

sten zwei bis drei Jahre in Aussicht gestellt wird?"

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Eingangs sei festgehalten, daß die Bundesregierung auch unter meinem Vor-

sitz ihre grundsätzliche kernenergiepolitische Linie beibehalten wird. Ich nehme

die gegenständliche Anfrage gerne zum Anlaß, die grundsätzlichen kernener-

giepolitischen Positionen Österreichs erneut darzustellen:

Die österreichische Kernenergiepolitik geht von der Einsicht aus, daß die ener-

getische Nutzung von Kernkraft eine risikoreiche und potentiell extrem teure

Technologie darstellt, die nicht mit den Prinzipien und Prioritäten einer

zukunftsverträglichen Entwicklung in Einklang zu bringen ist. Die Bundesregie-

rung ist sich jedoch bewußt, daß ein Ausstieg aus der energetischen Nutzung

der Kernenergie kaum kurzfristig zu erreichen sein wird. Die österreichische

Kernenergiepolitik versteht sich daher als Schrittmacher. Sie enthält drei stra-

tegische Elemente:

1 . Risikobezogene Dimension: Aktivitäten zur Reduktion des Gefährdungspo-

tentials grenznaher kerntechnischer Anlagen (im Bewußtsein, daß seit dem

Unfall von Tschernobyl der Begriff "grenznahe" eine erhebliche Ausweitung

erfahren hat).

2. Energiewirtschaftliche Dimmensionen: Energiewirtschaftliche Kooperation und

Unterstützung für die Reformstaaten Zentral- und Osteuropas, um dazu

beizutragen, die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Nutzung der

Kernenergie in diesen Ländern zu schaffen.

3. Rechtliche Dimmensionen: Weiterentwicklung und Verbesserung des Völker-

rechtes zur Wahrung der Interessen der österreichischen Bevölkerung und

zum Schutz der Umwelt.

Dies in Verbindung mit den verschiedenen Ebenen österreichischer Aktivitäten'

nämlich der nationalen, der bilateralen, der europäischen und der internationa-

len bzw. multilateralen Ebene, skizziert die Vielfalt und Komplexität der Aktions-

felder, in denen die österreichische Kernenergiepolitik gefordert ist. Da Ent-

scheidungen über Bau und Betrieb von kerntechnischen Anlagen nach wie vor

der nationalen Souveränität unterliegen, erfordert die Verwirklichung der Ab-

sichten der Bundesregierung nachbarschaftliche Kooperation mit den betrof-

fenen Staaten und konsensfähige Vorschläge in internationalen Verhand-

lungen.

Die Möglichkeiten' die sich Österreich nunmehr als Mitglied der Europäischen

Union bieten' werden konsequent genützt. Österreich ist zuversichtlich, auf

dem Weg zu einer zukunftsverträglichen Versorgung Europas mit Energie-

dienstleistungen zunehmend auf die Unterstützung anderer Mitglieder der

Europäischen Union zählen zu können.

Bezüglich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen in Zentral- und Osteuropa

beteiligt sich Österreich direkt an Projekten zur Analyse des Sicherheitsstatus,

nicht jedoch an Maßnahmen zur Rekonstruktion oder zur Verlängerung der

Lebensdauer kerntechnischer Anlagen. Für vordringlich hält Österreich die

Durchführung von Least-Cost-Planning (LCP) - bzw. Integrated Resource-

Planning (IRP) - Studien, da erst auf Basis derartiger Studien energiewirt-

schaftlich und ökonomisch sowie ökologisch optimierte Entscheidungen ge-

troffen werden können.

Es ist bisher allerdings trotz massiver westlicher Hilfe nicht gelungen, die

vorzeitige, endgültige Schließung auch nur eines einzigen der besonders

unsicheren Leistungsreaktoren zu erreichen.

Um den betroffenen Staaten Zentral- und Osteuropas eine glaubhafte

Alternative bieten zu können, erscheint es daher dringend geboten, die

Unterstützung für den nichtnuklearen Energiesektor zu verstärken. Österreich

hat im Rahmen seiner Möglichkeiten schon bisher seinen Beitrag geleistet und

ist der festen Absicht, dies auch in Zukunft zu tun.

Festzustellen ist auch, daß Österreichs Positionen und Analysen in vielen Fäl-

len von nachfolgenden Entwicklungen und Ereignissen bestätigt wurden. Dies,

aber auch die Chancen, die durch die Entwicklung des nichtnuklearen Energie-

sektors in den Reformstaaten für die österreichische Wirtschaft entstehen' sind

Ansporn, Österreichs Bemühungen unvermindert fortzusetzen. Angesichts der

dynamischen Veränderungen in Europa einerseits und der Langfristigkeit der

kernenergiepolitischen Ziele Österreichs andererseits schließt dies selbst-

verständlich die Weiterentwicklung und Präzisierung der österreichischen

Positionen ein.

Die von mir vertretene Offenheit und Ehrlichkeit in der Politik gebietet es jedoch

auch, darauf hinzuweisen, daß die Umsetzung der österreichischen Kernener-

giepolitik im Rahmen des durch die erforderliche Budgetkonsolidierung gege-

benen Spielraums erfolgen muß.

Die einzelnen Fragen beantworte ich wie folgt:

Zu den Fragen 1 und 3:

Es obliegt dem jeweiligen Ressortminister festzulegen, von wem und in welcher

Weise die Öffentlichkeit über Positionen im jeweiligen Wirkungsbereich infor-

miert wird.

Da mir vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten versichert wur-

de, daß er nach wie vor auf dem gemeinsamen Boden der österreichischen

Kernenergiepolitik steht, besteht für mich persönlich kein Anlaß für

Konsequenzen. Im übrigen verweise ich auf die Beantwortung der

gleichlautend an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten

gerichteten parlamentarischen Anfrage Nr. 2344/J.

Zu Frage 2:

Nein.

Zu Frage 4:.

Da sich die österreichische Position, wie bereits dargestellt' nicht geändert hat'

bestand auch kein Anlaß' eine Position gegenüber der EU oder den kernener-

gienutzenden Ländern Osteuropas darzustellen.

Zu Frage s.

Diesbezüglich verweise ich auf die Antwort des Herrn Bundesministers für

wirtschaftliche Angelegenheiten.

Zu Frage 6:

Als Beispiel sei der Besuch des tschechischen Premierministers V. KLAUS am

5. Mai 1997 in Wien genannt. Anläßlich dieses Besuchs habe ich aktuelle bila-

terale Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung der Kernenergie angespro-

chen. Hinsichtlich der programmatischen und strategischen Aspekte verweise

ich auf meine einleitenden Ausführungen.

Zu Frage 7:

Im Rahmen der Vorbeitrittsstrategien für die Reformstaaten Zentral- und Osteu-

ropas bzw. des "strukturierten Dialogs" mit diesen Ländern mißt Österreich Fra-

gen der nuklearen Sicherheit große Bedeutung bei. Folglich hat und wird Öster-

reich im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür Sorge tragen' daß diesem Thema

auch auf europäischer Ebene gebührende Achtung geschenkt wird. Die jeweils

im einzelnen zu setzenden Schritte hängen von der weiteren Entwicklung hin-

sichtlich der Osterweiterung der EU ab.

Zu Frage 8:

Angesichts der Vielzahl nationaler, bilateraler, europäischer und internationaler

Gremien, in denen Aspekte der friedlichen Nutzung der Kernenergie, bzw- As-

pekte der Sicherheit von kerntechnischen Anlagen in den Reformstaaten Zen-

tral- und Osteuropas, behandelt werden, muß von einer detaillierten Aufzählung

dieser Gremien Abstand genommen werden. Bezüglich der österreichischen

Position verweise ich auf meine einleitenden Ausführungen. Die Gesamtkoordi-

nation der Ausformulierung und Umsetzung einschlägiger österreichischer

Positionen erfolgt durch das Bundeskanzleramt. Die verfassungsrechtlich

normierte Letztverantwortung der Ressortminister für ihren Wirkungsbereich

bleibt davon jedoch unberührt.

Zu Frage 9:.

Die Einschätzung, die mir nur aus den Medien bekannt ist, wonach Österreichs

Position zur Zukunft der Osteuropäischen Kernkraftwerke im Rahmen der Ost-

erweiterung der EU eine große Rolle spielen werde, ehrt Österreich. Die Bun-

desregierung ist sich der damit verbundenen Verantwortung wohl bewußt. Die

Bundesregierung ist sich jedoch auch bewußt, daß die Lösung der anstehen-

den Probleme ein hohes Ausmaß an Konsens unter den Mitgliedstaaten der

Europäischen Union erfordert.

Zu Frage 10 :

Wie bereits ausgeführt, thematisiert Österreich konsequent Fragen der nukle-

aren Sicherheit im Rahmen der Vorbeitrittsstrategien bzw. des strukturierten

Dialoges insbesondere mit der Tschechischen Republik und der Slowakei. Der

Prozeß der Annäherung der Reformstaaten Zentral- und Osteuropas an die

Europäische Union ist jedoch ein äußerst dynamischer und komplexer. Die

Möglichkeit gesonderter Vereinbarungen im Nuklearsektor wird zu gegebener

Zeit unter den dann gegebenen Bedingungen zu prüfen sein. Es muß darauf

verwiesen werden, daß Entscheidungen über Bau und Betrieb von kerntechni-

schen Anlagen auch nach europäischem Recht weitestgehend der nationalen

Souveränität unterliegen und daß erwähnte Sonderregelungen auch der Zu-

stimmung aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie des Beitrittswer-

bers bedürfen.

Zu Frage 11 :

Einleitend ist Grundsätzliches zur Rolle der EU-Präsidentschaft klarstellen: Die

primäre Aufabe der Präsidentschaft besteht darin, die von der Kommission an

den Rat vorgelegten Dossiers zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen.

Dies bedeutet insbesondere, als Vermittler bei der Suche nach tragfähigen

Kompromissen zu agieren. Natürlich bietet die Präsidentschaft auch die

Möglichkeit, eigene Schwerpunkte und Akzente zu setzen. Diesbezügliche Vor-

bereitungsarbeiten sind bereits unter der Koordination des Bundeskanzleram-

tes sowie des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten im Gange.

Angesichts der dynamischen Entwicklung in Europa erscheint es jedoch ver-

früht, konkrete Initiativen anzukündigen.

Zu Frage 12:

Zunächst ist festzuhalten, daß Grundsatz- oder Positionspapiere der Kommis-

sion auch von dieser erstellt werden. Während des Erstellungsprozesses wer-

den die Mitgliedstaaten im allgemeinen nicht kontaktiert. Somit liegen der Bun-

desregierung hinsichtlich des angekündigten "Grundsatzpapieres der EU-Kom-

mission zur Zukunft der Osteuropäischen Kernkraftwerke" noch keine offiziellen

Informationen vor. Auch die Erstellung des hinweisenden Nuklearprogrammes

"PINC" erfolgt gemäß Art. 40 EURATOM-Vertrag in alleiniger Verantwortung

der Kommission. Die Kommission hat dazu vor Veröffentlichung eine Stellung-

nahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) einzuholen. Im vorlie-

genden Fall hat die Kommission ihren Entwurf des PINC auch an das Europä-

ische Parlament und an den Rat übermittelt. Der österreichische Wunsch, die-

ses Papier auch auf Ratsebene zu erörtern, wurde angesichts des Widerstan-

des der anderen Mitgliedstaaten von der Präsidentschaft nicht aufgegriffen.

Österreich hat jedoch in jenen Gremien auf Kommissionsebene, in denen das

Papier erörtert wurde, seine Stellungnahme abgegeben.