2372/AB XX.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Haider, Scheibner und Kollegen haben

am 6. Mai 1997 unter der Nr. 2381/J an mich eine schriftliche parlamentarische

Anfrage gerichtet, die folgenden Wortlaut hat:

"1. Entspricht die von Vizekanzler und Außenminister Dr. Schüssel am

24. April dieses Jahres im NATO-Hauptquartier in Mons vertretene

Meinung, daß Österreich bereits am NATO-Gipfel in Madrid eingeladen

werden soll, der NATO beizutreten, dem offiziellen österreichischen

Regierungsstandpunkt?

Wenn ja, wann wird Österreich sein NATO-Beitrittsansuchen stellen?

Wenn nein, warum wurde die von Außenminister Dr. Schüssel in Mons

vertretene sicherheitspolitische Linie nicht mit Ihnen akkordiert?

Wenn nein, wie sieht derzeit die gemeinsame und offizielle

Regierungslinie aus?

2. Beharren Sie angesichts des Bestrebens des Koalitionspartners nach

raschem Beitritt Österreichs zur NATO (,,Dringlichkeitsstufe römisch eins")

weiterhin darauf, den diesbezüglichen Regierungsbericht im 1. Quartal

1998 dem Parlament vorzulegen?

Wenn ja, aus welchen konkreten Gründen?

Wenn nein, wann soll dieser dem Parlament vorgelegt werden?

3. Existieren im Bundeskanzleramt außen- und sicherheitspolitische

Untersuchungen und Beurteilungen betreffend die Ausgestaltung der

künftigen österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik?

Wenn ja, welche und zu welchem Schluß gelangen diese?

Wenn nein, warum nicht?

4. Existiert ein sicherheitspolitisches Konzept der Bundesregierung?

Wenn ja, wie sieht dieses aus?

Wenn nein, wann gedenkt die Bundesregierung ein solches zu

erarbeiten?

5. Wie sieht die Zukunft der österreichischen Sicherheitspolitik für den Fall

eines Nicht-Beitritts zur NATO und WEU aus?

Welche sicherheitspolitische Vorteile erwarten Sie sich durch einen

solchen Nicht-Beitritt?

Wie kann Ihrer Auffassung nach sonst die Sicherheit Österreichs

bestmöglich gewährleistet und gestaltet werden?

6. Wie ist die Aussage der SPÖ-Regierungspartei ‹Statt NATO und Waffen

Arbeitsplätze schaffen" zu verstehen?

Besteht zwischen Sicherheitspolitik und Arbeitsplatzpolitik Ihrer

Auffassung nach ein Widerspruch, und wann ja, wie sieht dieser aus?

Wenn nein, wie erklären Sie sich dieses Aussage der SPÖ im Verhältnis

zur Regierungspolitik?

7. Ist Ihrer Auffassung nach eine NATO-Mitgliedschaft mit den

,,Kernelementen" der österreichischen Neutralität vereinbar?

Wenn ja, weshalb?

Wenn nein, warum nicht?

8. Ist Ihrer Meinung nach eine WEU-Mitgliedschaft mit der Neutralität

vereinbar?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

9. Auf welche Höhe werden sich die Kosten eines NATO-Beitritts für

Österreich belaufen?

Gibt es hinsichtlich der diesbezüglichen Kosten im Bundeskanzleramt

Berechnungen, und wenn nein, worauf beruhen Ihre Kostenschätzungen?

Welche Kosten würden im Bereich der militärischen Landesverteidigung

anfallen?

10. Entspricht es den Tatsachen, daß Sie am 22. Februar 1997 in einem

Interview mit den Salzburger Nachrichten die Behauptung aufgestellt

haben, daß Österreich im Falle eines NATO-Beitritts verpflichtet wäre,

Nuklearwaffen und/oder fremde Truppen auf seinem Hoheitsgebiet zu

stationieren?

Wenn ja, woher haben Sie die diesbezüglichen Informationen erhalten?

Existiert ein NATO-Dokument, daß den Vertragsstaaten die unbedingte

Stationierung von Nuklearwaffen und/oder fremden Truppen vorschreibt?

Wenn ja, welches?

11. Welche kosten würden entstehen, würde Österreich tatsächlich seine

Landesverteidigung nach Schweizer Muster, auf sich allein gestellt als

bewaffnete Neutralität, organisieren?

Wäre Österreich bei der Durchführung seiner Sicherheitspolitik nach

Schweizer Vorbild zu Nachrüstungen im Bereich der militärischen

Landesverteidigung gezwungen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, auf welche Höhe würden sich die Kosten für eine ernst

genommene militärische Landesverteidigung belaufen?"

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Zu Frage 1:

Diese Frage nimmt auf Äußerungen des Herrn Vizekanzlers und

Außenministers Bezug. Zumal eine nahezu gleichlautende Anfrage (mit der

Nr.2411/J) an den Herrn Außenminister gerichtet ist, gehe ich davon aus, daß

er diese Frage selbst beantworten wird. Es ist zu bemerken, daß von

Regierungspositionen nur dann zu sprechen ist, wenn die Bundesregierung

diese in ihrer Gesamtheit festgelegt hat.

Zu den Fragen 2 und 4:

In Entsprechung der Koalitionsvereinbarung vom 11. März 1996 bekennen sich

die Regierungsparteien zu einer umfassenden Sicherheitspolitik, die Fragen der

wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Stabilität ebensolche Bedeutung

beimißt wie Fragen der inneren und äußeren Sicherheit.

Im Koalitionsübereinkommen wurde auch festgelegt, daß sich die

Bundesregierung im Geiste der europäischen Solidarität und zum Zwecke der

dauernden Gewährleistung der Sicherheit der Republik Österreich sowie im

Einklang mit den Zielsetzungen der Europäischen Union für die vollberechtigte

Teilnahme Österreichs an funktionsfähigen Sicherheitsstrukturen einsetzen

wird.

Weiters bringen die Regierungsparteien in dieser Vereinbarung ihre Absicht

zum Ausdruck, im Lichte des Verlaufes der EU-Regierungskonferenz und der

Entwicklungen in der europäischen Sicherheitspolitik alle weiterführenden

sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer

Vollmitgliedschaft Österreichs in der WEU, einer umfassenden Überprüfung zu

unterziehen und dem Parlament hierüber auf einvernehmlichen Antrag des

Bundeskanzlers, des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten und des

Bundesministers für Landesverteidigung noch vor Übernahme des EU-

Vorsitzes durch Österreich, spätestens jedoch im Laufe des ersten Quartals

1998 zu berichten.

In der Zwischenzeit hat der Nationalrat die Bundesregierung in seiner … am

26. Februar dieses Jahres verabschiedeten - Entschließung Nr. 43/E

ausdrücklich aufgefordert, diese Zielsetzung zu verfolgen und gemäß den

beschriebenen Verfahren vorzugehen. Die Vorgangsweise der

Bundesregierung orientiert sich an dieser Entschließung.

Zu Frage 3:

In den zuständigen Ministerien werden laufend außen… und

sicherheitspolitische Analysen erstellt, deren Ergebnisse in den genannten

Bericht an das Parlament einfließen werden.

Zu Frage 5:

Wie bereits dargestellt, wird die Bundesregierung dem Parlament spätestens im

Laufe des ersten Quartals des Jahres 1998 einen umfassenden Bericht

vorlegen, der alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen

einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft in der WEU prüft. Nach

Maßgabe der Schlußfolgerungen dieses Berichts wird die Bundesregierung

dem Parlament Vorschläge für die erforderlichen Maßnahmen unterbreiten,

weshalb ich um Verständnis ersuche, daß der Gesamtbewertung dieses

Berichts nicht schon jetzt durch eine gesonderte Erörterung einzelner Aspekte

vorgegriffen werden kann.

ZuFrage6:

Wenngleich die Beantwortung dieser Frage nicht in den Wirkungsbereich des

Bundeskanzleramtes fällt, ist dazu folgendes festzuhalten:

Eine Diskussion über Sicherheit und Sicherheitspolitik darf nicht allein auf einen

militärischen Aspekt reduziert werden. Es ist zu betonen, daß

Sicherheitsproblemen, die auf österreichischer und europäischer Ebene

auftreten, nur mit einer Vielzahl von Instrumenten begegnet werden kann.

Das Bedürfnis nach Sicherheit in Österreich schließt den Aspekt der

Arbeitsplatzsicherung ein, weshalb die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie die

Sicherung bestehender Arbeitsplätze von der Bundesregierung sowohl in

Österreich als auch auf internationaler Ebene zu einem vordringlichen Anliegen

gemacht wird.

Das heißt jedoch nicht, daß andere Politikbereiche, die für die Sicherheit

Österreichs ebenfalls von Bedeutung sind, unbeachtet bleiben.

Zu den Fragen 7 und 8:

Der Beitritt zu militärischen Bündnissen wäre mit den geltenden

verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Neutralität nicht vereinbar.

Der schon mehrfach erwähnte Bericht wird auch diese Fragestellung

behandeln, weshalb ich von einer eingehenden rechtlichen Darstellung in

diesem Kontext absehe.

Zu den Fragen 9 und 11:

Die Frage einer realistischen Kostenabschätzung - sowohl hinsichtlich eines

NATO…Beitritts als auch hinsichtlich einer Landesverteidigung nach Schweizer

Muster - wird im Rahmen des erwähnten Berichts der Bundesregierung zu

behandeln sein.

Zur Frage 10:

Es muß zur Kenntnis genommen werden, daß sich die NATO die

grundsätzliche Möglichkeit vorbehält, in Krisenzeiten Truppen oder

Nuklearwaffen auf dem Territorium von Mitgliedstaaten zu stationieren.

Allerdings verweise ich in diesem Zusammenhang auch auf die Aussagen,

welche die NATO in der - am 27. Mai dieses Jahres unterzeichneten -

,,Gründungsakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und

Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation" zum Thema

der Stationierung von Nuklearwaffen und Truppenverbänden auf dem Gebiet

neuer Mitglieder getroffen hat.