2387/AB XX.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Ewald Stadler und Kollegen haben am
20. Mai 1997 unter der Nummer 2457/J-NR/1997 an mich eine schriftliche Anfrage betreffend
die einjährige untersuchungshaft gegen den österreichischen Staatsbürger Friedrich Dvorak in
einem Finanzstrafverfahren in Deutschland gerichtet, welche folgenden Wortlaut hat:
1) Welche Bemühungen hat Ihr Ministerium zwischenzeitlich zugunsten des Betroffenen mit
dem Ziel seiner Enthaftung unternommen?
2) Welche Schritte wird Ihr Ministerium unternehmen, um die menschenrechtswidrige Fortdauer
der nunmehr einjährigen Untersuchungshaft des Herrn F. Dvorak zu beenden?
3) Wann ist Ihren Informationen zufolge endlich mit einem ordentlichen strafgerichtlichen
Verfahren gegen F. Dvorak zu rechnen?
4) Welche Meinung vertritt nach den österreichischen Erfahrungen der Europäische Gerichtshof
für Menschenrecht in Straßburg zur Frage der überlangen Dauer einer Untersuchungshaft,
insbesondere dann, wenn dem Betroffenen die angeblich hinreichenden Haftgründe nicht
genannt werden?
5) In welcher Weise wird die Republik Österreich dem Betroffenen bei der Geltendmachung von
Schadenersatzansprüchen gegen die Bundesrepublik Deutschland behilflich sein - etwa aus
dem Titel der Amts- oder Organhaftung, der Entschädigung aus dem Titel des
Schmerzensgeldes und dergleichen?
Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
Zu Punkt 1:
Einer Enthaftung Herrn Dvoraks stehen lt. Auskunft der deutschen Justizbehörden der dringende
Tatverdacht, die Straferwartung sowie die Befürchtung, er werde sich dem Strafverfahren
entziehen, entgegen. Das BMaA ist angesichts der auch in Österreich gewährleisteten
Unabhängigkeit der Justiz nicht in der Lage, die Enthaftung Herrn Dvoraks zu veranlassen.
Die Bemühungen des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten zielen auf eine
Erleichterung der Haftbedingungen ab, beispielsweise durch Intervention zur Erlangung einer
Sprecherlaubnis für die Angehörigen. Vom Verteidiger Herrn Dvoraks, Rechtsanwalt Dr.
Kreuzer, wurde zum Stand des Verfahrens mitgeteilt, daß im Abstand von jeweils drei Monaten
eine Haftprüfung durchgeführt werde.
Zu Punkt 2 und 4:
Das Instrument der Haftprüfung soll die Überprüfung der Angemessenheit der Haftfortdauer
gewährleisten. Das deutsche Gericht hat alle drei Monate im Zuge der oben erwähnten
Haftprüfungen förmliche Entscheidungen hierüber zu treffen. Wie in der Anfragebeantwortung
GZ 117.152/8-IV.1/96 vom 28.11.1996 ausgeführt, ist in Deutschland bei Fiskaldelikten das
Prinzip der Generalprävention vorherrschend, wonach selbst im Fall der Begleichung der
aushaftenden Steuerschuld eine Strafe verhängt wird, wenn nicht rechtzeitig Selbstanzeige
erstattet wird.
Die lange Dauer der Ermittlungen ist den deutschen Justizbehörden zufolge insbesonders auf den
Umfang der auch im Ausland erforderlichen Recherchen, zurückzuführen. Berichten der
deutschen Medien zufolge wird bereits gegen
insgesamt 40 Verdächtige ermittelt, die
Schadensumme soll sich diesen Berichten zufolge auf über 1,3 Millionen Deutsche Mark
belaufen.
Artikel 5 Absatz 2 MRK legt fest, daß jeder Festgenommene in möglichst kurzer Frist über die
Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet
werden muß. Zweck dieser Vorschrift ist es, den Festgenommenen in die Lage zu versetzen, die
Rechtmäßigkeit der Festnahme zu beurteilen und gegebenenfalls in Frage zu stellen, indem er
von seinem durch Artikel 5 Absatz 4 MRK garantierten Recht auf Haftkontrolle Gebrauch
macht. Auch über Änderungen der Haftgründe ist der Betroffene entsprechend zu informieren,
um seine Verteidigung auf die neue Sachlage einstellen zu können. Die Unterrichtung hat sich
nicht nur auf die Bekanntgabe der gesetzlichen Grundlage der Festnahme zu beschränken,
sondern sie muß auch die tatbeständlichen Umstände erkennen lassen, die für die Rechtmäßigkeit
der Haft ausschlaggebend sind.
Die Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft wird vom Europäischen Gerichtshof
jeweils nach den besonderen Umständen des Einzelfalles beurteilt. Eine absolute Begrenzung der
Untersuchungshaft läßt sich aus den Entscheidungen des Gerichtshofes nicht ableiten.
Maßgebend ist, ob die in den Entscheidungen der nationalen Gerichte genannten Gründe für die
Notwendigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft bei Berücksichtigung des im Zeitpunkt
dieser Entscheidung feststehenden Sachverhalts und auch der vom Beschwerdeführer zur
Begründung seiner Haftbeschwerde vorgetragenen und erwiesenen Umstände gerechtfertigt
erscheinen. Das Prinzip der Unschuldsvermutung darf durch die Dauer der Untersuchungshaft
nicht dadurch ausgehöhlt werden, daß sie einer vorgezogenen Strafvollstreckung gleichkommt.
Daher werden die Haftgründe im Verlauf der Zeit im Verhältnis zum Recht auf Freiheit welliger
gewichtig. So ist Fluchtgefahr nicht allein mit der Schwere der Strafe zu begründen, die der
Beschwerdeführer zu erwarten hat, vielmehr werden insbesondere die Bindungen des
Betroffenen zu dem Land, in dem das Strafverfahren anhängig ist, berücksichtigt. Diese
Bindungen ergeben sich unter anderem aus der familiären, beruflichen und vermögensrechtlichen
Situation des Untersuchungshäftlings. Der Gerichtshof berücksichtigt bei seinen Entscheidungen
über die Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft auch die Schwierigkeit der
aufzuklärenden Strafsache, das Verhalten des Beschwerdeführers und die Art und Weise der
Bearbeitung des Falles durch die nationalen
Justizbehörden.
Nach den Erfahrungen der österreichischen Bundesregierung legt der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Untersuchungshaft
im Verhältnis zu den Justizbehörden der Mitgliedstaaten relativ strenge Maßstäbe an.
Zu Punkt 3:
Die Vorbereitung der öffentlichen Klage (hiezu zählt das Ermittlungsverfahren) ist als Teil des
ordentlichen Verfahrens im ersten Rechtszug anzusehen. Über den konkreten Zeitpunkt der
möglichen Erhebung der öffentlichen Klage konnte die Staatsanwaltschaft München aufgrund
des besonderen Umfangs sowie der Schwierigkeit der Ermittlungen keine Auskunft geben.
Zu Punkt 5:
Deutschland hat die Erklärung nach Artikel 25 MRK abgegeben, sodaß nach rechtskräftigem
Abschluß des Verfahrens durch eine Individualbeschwerde die Konventionsgemäßheit des
Vorgehens der deutschen Justizbehörden einer Überprüfung unterzogen werden kann. Für die
Übernahme der Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung Herrn Dvoraks aus Steuergeldern in
einem Verfahren, das dieser allenfalls gegen die Bundesrepublik Deutschland anzustrengen
beabsichtigt, besteht in Österreich keine Rechtsgrundlage.